Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 03.05.2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Die 1965 geborene Klägerin ist serbische Staatsangehörige und 1989 in die Bundesrepublik Deutschland zugezogen. Von 1996 bis 1999 war sie als Servicekraft, von 1999 bis 2001 in der Altenpflege und von 2001 bis 2011 wieder als Servicekraft versicherungspflichtig beschäftigt. Anschließend war die Klägerin arbeitsunfähig bzw. arbeitslos, bis sie im Rahmen einer von der Beklagten geförderten Teilhabe zum Arbeitsleben 2017 eine Qualifikation zur Betreuungsassistentin erworben hat. In diesem Beruf war sie von Januar 2018 bis Dezember 2019 im Rahmen eines Teilzeitarbeitsverhältnisses versicherungspflichtig beschäftigt. Von November 2019 bis Dezember 2020 bezog die Klägerin Krankengeld und anschließend bis März 2022 Leistungen nach dem Dritten Buch Sozialgesetzbuch (SGB III). Seither steht die Klägerin nicht mehr im Leistungsbezug und ist auch nicht arbeitslos gemeldet.
Vom 21.02.2012 bis 13.03.2012 befand sich die Klägerin in einer stationären medizinischen Rehabilitationsmaßnahme in der Reha-Klinik A1 K1. Im Entlassungsbericht vom 14.03.2012 führte die Fachärztin R1 aus, die Klägerin leide unter einer chronischen Schmerzstörung vom Fibromyalgietyp, idiopathischer Schultersteife beidseits., Metatarsalgie mit Plantarfasziitis links bei Knick-, Senk-, Spreizfüßen, Stressinkontinenz I.-II. Grades und Hypothyreose. Ihren zuletzt ausgeübten Beruf sowie leichte bis mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt könne die Klägerin im Wechsel zwischen Gehen, Stehen und Sitzen, unter Vermeidung von Kälte- und Nässeexposition noch sechs Stunden und mehr täglich ausüben.
Einen am 13.09.2012 gestellten (zweiten) Rentenantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 02.10.2012 nach Einholung eines Gutachtens beim S1 vom 31.08.2012 [Diagnosen: idiopathische Schultersteife beidseits, Impingement-Symptomatik beidseits (Erstmanifestation Frühjahr 2011) mit Funktionseinschränkung, chronische Schmerzstörung vom Fibromyalgietyp, Hypothyreose mit L-Thyroxin-Substitution seit 2/2012 sowie Stressinkontinenz I. bis II. Grades; leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten ohne Armvorhalte, ohne schweres Tragen von mehr als 10 kg und ohne Überkopfarbeiten seien zumutbar, auszuschließen seien Arbeiten in Wirbelsäulenzwangshaltungen, in Nässe oder Kälte, Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsmarkt zur Wiedereingliederung am Arbeitsplatz seien indiziert] ab. Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 14.11.2012 zurück. Die dagegen beim Sozialgericht Heilbronn (SG) erhobene Klage (S 4 R 4112/12) wies das SG mit Gerichtsbescheid vom 11.07.2014 nach Einholung sachverständiger Zeugenauskünfte und Beauftragung des orthopädischen Sachverständigen T1 (Diagnosen: endgradige Funktionseinschränkung der Halswirbelsäule ohne radikuläre Ausfallsymptomatik, endgradige Funktionseinschränkung der Lendenwirbelsäule ohne radikuläre Ausfallsymptomatik, polyarthrotische Beschwerden der oberen und unteren Extremitäten ohne objektivierbare Funktionseinschränkung und Schilddrüsenfunktionsstörung, medikamentös behandelt; leichte bis mittelschwere Tätigkeiten seien der Klägerin noch sechs Stunden und mehr täglich unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen möglich) ab. Die hiergegen beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegte Berufung (L 9 R 3401/14) wies das LSG Baden-Württemberg mit Urteil vom 10.02.2015 ohne Einleitung weiterer Ermittlungen zurück.
In der Zeit vom 29.09.2020 bis 20.10.2020 absolvierte die Klägerin in der Reha-Klinik K1 eine weitere stationäre medizinische Rehabilitationsmaßnahme. Im Reha-Entlassungsbericht vom 23.10.2020 führte W1 aus, die Klägerin leide an einem polymyalgischen Schmerzsyndrom, einem degenerativen LWS-Syndrom, einem Rotatorenmanschettensyndrom beidseits bei beginnender Schultersteife beidseits, einer rezidivierenden depressiven Störung sowie einer Adipositas Grad I. Die Klägerin sei lediglich noch in der Lage, drei bis unter sechs Stunden täglich leichte körperliche Tätigkeiten in Tages- bzw. in Früh-/Spätschicht, idealerweise überwiegend sitzend und nur zeitweilig stehend/gehend, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben. Die zuletzt ausgeübte Tätigkeit als Betreuungsassistentin in einem Pflegeheim in Teilzeitbeschäftigung entspreche nicht mehr diesen Anforderungen.
Am 18.02.2021 beantragte die Klägerin bei der Beklagten erneut die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente. Die Beklagte veranlasste daraufhin eine Untersuchung und Begutachtung der Klägerin in der Ärztlichen Untersuchungsstelle H1 durch den B1. In seinem Gutachten vom 07.04.2021 stellte dieser fest, die Klägerin leide an Wirbelsäulen- und Gelenkbeschwerden ohne bedeutsame funktionelle Einschränkung. Er vermute eine psychische Beschwerdeüberlagerung im Sinne einer somatoformen Schmerzstörung. Zudem stellte er bei der Klägerin eine Adipositas Grad I fest. Bei der funktionellen Untersuchung sei die Klägerin durch unzureichende Mitarbeit aufgefallen, so dass hinsichtlich der Schultergelenke keine gesicherte Aussage getroffen werden könne. Anhalte für das Vorliegen einer entzündlich-rheumatischen Erkrankung bestünden keine, weshalb er von einer somatoformen Schmerzstörung ausgehe. Eine zeitliche Minderung des rentenrelevanten Leistungsvermögens bestünde in der Folge nicht. Lediglich quantitative Leistungseinschränkungen seien beachtlich.
Mit Bescheid vom 08.04.2021 lehnte die Beklagte den Rentenantrag der Klägerin ab, da die medizinischen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Die Klägerin könne noch mindestens sechs Stunden täglich unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes erwerbstätig sein.
Den hiergegen eingelegten Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 20.07.2021 zurück. Die Bewertung der medizinischen Unterlagen – auch aus den verwaltungs- und gerichtlichen Vorverfahren – begründeten keine quantitative Leistungseinschränkung. Der Klägerin seien noch leichte bis mittelschwere Tätigkeiten überwiegend im Stehen, Gehen und Sitzen, in Tagesschicht, in Frühschicht/Spätschicht, in Nachtschicht sowie ohne Heben, Tragen und Bewegen von schweren Lasten sechs Stunden täglich und mehr zumutbar.
Die Klägerin hat am 20.08.2021 Klage zum SG erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen, sie sei mit der Bewertung der Beklagten nicht einverstanden. Es gehe ihr von „Jahr zu Jahr“ schlechter. Ihre gesundheitlichen Probleme seien so groß, sie sei auf die Erwerbsminderungsrente angewiesen. Unter Vorlage ärztlicher Atteste des F1 halte sie an ihrem Begehren fest. Es bestünde eine weitere gesundheitliche Verschlechterung auf kardiologischem und neurologisch-psychiatrischem Fachgebiet. Facharztbehandlungen würden durchgeführt. Aus dem Befundbericht des M1 vom 08.02.2023 gehe der Ausschluss einer entzündlichen ZNS-Erkrankung hervor. Dieser gehe davon aus, dass bei ihr vielmehr eine depressive Störung vorliege. Außerdem sei dem Gutachten des Facharztes G1 (siehe hierzu unten) nicht zu folgen. Das Gutachten gebe nicht ihre tatsächlichen Äußerungen wieder, der Gutachter habe eigene Antworten notiert und darauf das Gutachten gestützt. So habe sie z.B. die Schmerzintensität mit der Geburt ihres zweiten Kindes verglichen. Der Gutachter sei darüber hinaus sehr ungeduldig gewesen, weshalb sie die Beantwortung der Fragen dem Gutachter überlassen habe. Der Gutachter sei nicht in der Lage gewesen, ihre Schwäche, sich bei der Beantwortung zahlreicher Fragen nicht festlegen zu können, als Ausfluss ihrer Krankheit zu akzeptieren, vielmehr habe er sie bedrängt, Antworten zu geben. Unzutreffend gehe der Gutachter auch davon aus, dass sie erwerbsfähig sei, da sie mit den öffentlichen Verkehrsmitteln angereist sei. Sie habe aus Kostengründen auf eine Taxifahrt verzichtet und auch ihre Kinder hätten sie an diesem Tag nicht fahren können. Sie habe sich mühsam durch die stundenlange Anfahrt gequält. Der Gutachtenstermin sei eine einzige Zumutung gewesen. Ihr seien nicht die benötigten Pausen gewährt worden, in einer Pause habe sie Schmerzmittel nehmen müssen, da der zur Verfügung gestellte Stuhl unbequem gewesen sei.
Die Beklagte ist der Klage entgegengetreten und hat auf die durchgeführten medizinischen Ermittlungen und auf die Begründung im Widerspruchsbescheid verwiesen. Die Einschätzung des die Klägerin behandelnden H2 (siehe hierzu unten) überzeuge aufgrund der eingeholten orthopädischen Gutachten des S1 im Jahr 2012 sowie des T1 im Jahr 2014 nicht, da keine wesentliche Befundverschlechterung eingetreten sei.
Das SG hat Beweis erhoben durch Einholung schriftlicher sachverständiger Zeugenaussagen der die Klägerin behandelnden Ärzte H2, des W2, der G2 und der B2 sowie des S2. Sodann hat es G1 mit der Erstellung eines Sachverständigengutachtens von Amts wegen beauftragt.
G2 hat unter dem 08.06.2022 mitgeteilt, dass sie die Klägerin zuletzt im Dezember 2017 aufgrund rezidivierender depressiver Störungen und starkem Schmerzerleben bedingt durch eine Polyneuropathie behandelt habe. Daher könne sie für die Zeit nach Dezember 2017 keine aktuellen Auskünfte geben. W2 hat unter dem 17.05.2022 ausgeführt, die Klägerin zuletzt am 26.05.2014 behandelt zu haben. Die gestellten Beweisfragen des Gerichts könne er daher nicht beantworten. H2 hat (nach Verhängung eines Ordnungsgeldes) unter dem 04.11.2022 mitgeteilt, die Klägerin zuletzt am 20.11.2020 behandelt zu haben. Bei der Klägerin bestünden Beschwerden im gesamten Achsenorgan bei gesichertem weichteilrheumatischem Schmerzsyndrom im Sinne einer Fibromyalgie. Daneben bestünden radiologisch gesichert degenerative Veränderungen im Bereich der Halswirbelsäule im unteren Abschnitt mit Vorwölbung der Bandscheiben sowie im Bereich der Schultern eine Steifheit bei rezidivierenden Kapselentzündungen und Verkalkung der SSP links bei radiologisch gesicherter Teilruptur und zudem belastungsabhängige Beschwerden der Kniegelenke bei mäßiger Arthrose. Er gehe aufgrund dessen von einer teilweisen Erwerbsminderung der Klägerin aus. B2 hat in ihrer sachverständigen Zeugenauskunft vom 14.06.2023 von zweimaligen Behandlungen der Klägerin berichtet. Insbesondere hat sie die von der Klägerin geschilderten Beschwerden dargestellt und ausgeführt, dass eine psychotherapeutische Behandlung nicht indiziert sei, da die Ziele einer Psychotherapie den Rentenwunsch der Klägerin konterkarieren würden. Es bestünde eine subdepressive Stimmung der Klägerin, wobei sie affektiv jedoch ausreichend beziehbar sei, ohne relevante kognitive oder mnestische relevante Defizite. S2 hat in seiner Auskunft eine neurologische Systemerkrankung ausgeschlossen.
G1 hat in seinem Gutachten vom 13.11.2023 nach Untersuchungen der Klägerin am 20.10.2023 und 08.11.2023 ausgeführt, die Klägerin leide an einer Dysthymia mit einem somatoformen Syndrom. Unter Berücksichtigung der sich aus dieser Erkrankung ergebenden Funktionsstörung sei die Klägerin noch in der Lage, leichte Tätigkeiten acht Stunden täglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu bewältigen. Nicht mehr zugemutet werden könne eine schwere körperliche Tätigkeit insb. unter Zwangshaltungen oder mit besonderen Anforderungen an die Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit sowie eine Tätigkeit unter nervlicher Belastung. Tätigkeitsausübung in Nacht- oder Wechselschicht, auf Leitern und Gerüsten oder an laufenden Maschinen mit Verletzungsgefahr und erhöhter Verantwortung seien ebenfalls nicht zumutbar. Betriebsunübliche Pausen seien nicht notwendig, die Wegefähigkeit sei weiterhin erhalten und auch die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel uneingeschränkt möglich. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 26.02.2024 hat er ausgeführt, die Anamnese enthalte die Äußerungen der Klägerin, er habe keine Antworten vorgegeben. Der Klägerin seien auch Pausen gewährt worden.
Mit Gerichtsbescheid vom 03.05.2024 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, da sie auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt über ein arbeitstägliches Leistungsvermögen von mindestens sechs Stunden im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche verfüge. Da die Klägerin nicht vor dem 02.01.1961 geboren sei, komme auch ein Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bei Berufsunfähigkeit gemäß § 240 Abs. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) nicht in Betracht. Die im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme ermittelten Gesundheitsstörungen mit Schwerpunkt auf nervenärztlichem Gebiet schränkten das qualitative Leistungsvermögen der Klägerin ein, berührten aber ihre quantitative körperliche und geistige Leistungsfähigkeit für die Verrichtung leichter Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht. Rentenrechtlich relevante Leistungseinschränkungen ließen sich anhand der objektiven Befunde bei der Klägerin nicht nachweisen. Insoweit komme es darauf an, ob unter Berücksichtigung der üblichen Anforderungen der Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ein Versicherter trotz vorliegender Erkrankungen noch mindestens sechs Stunden täglich tätig sein könne, wenn auch unter Berücksichtigung von qualitativen Leistungseinschränkungen. Ob ein derartiges Leistungsvermögen noch bestehe oder nicht, sei nicht anhand der subjektiven Überzeugung des Versicherten, sondern durch ärztliche Sachverständige festzustellen, die die objektiv vorliegenden, aus den gesundheitlichen Erkrankungen folgenden Funktionseinschränkungen für Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes festzustellen und subjektive Angaben des Versicherten in diesen objektiv festzustellenden Rahmen einzuordnen hätten (unter Hinweis auf Bayerisches LSG, Urteil vom 21.03.2018 - L 13 R 211/16 -, in juris). Das SG mache sich diesbezüglich die Einschätzung des gerichtlichen Sachverständigen G1 sowie die Feststellungen des B1 im Verwaltungsverfahren, dessen Gutachten im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden könne, nach kritischer Würdigung zu eigen. Ebenso verwerte es das Gutachten des T1, welches im gerichtlichen Vorverfahren mit dem Aktenzeichen S 4 R 4112/12 eingeholt worden sei, im Wege des Urkundenbeweises. Auf nervenärztlichem Fachgebiet bestehe bei der Klägerin eine Dysthymia mit einem somatoformen Syndrom bei wiederkehrenden Depressionen. Noch möglich seien der Klägerin danach leichte Arbeiten mit Handhaben leichter Werkstücke und Handwerkszeuge, das Bedienen leichtgängiger Steuerhebel und Kontroller oder ähnliche mechanisch wirkender Einrichtungen, Arbeiten im Sitzen, Stehen oder Umhergehen und Heben (maximal 60 Minuten pro Schicht) und Tragen (maximal 30 Minuten pro Schicht) von Lasten bis sechs Kilogramm. Zu vermeiden seien schwere Tätigkeiten, insbesondere in gebeugter Körperhaltung bzw. Zwangshaltungen, Tätigkeiten mit besonderen Anforderungen an die Reaktions- und Konzentrationsfähigkeit, unter nervlicher Belastung, auf Leitern oder Gerüsten oder an laufenden Maschinen mit Verletzungsgefahr, weil die körperbezogenen Ängste und Schmerzen in emotional belastenden oder angespannten Situationen sich konzentrationsbeeinträchtigend auswirkten, Tätigkeiten mit erhöhter Verantwortung, da sie aufgrund der psychischen Störung und der Schmerzen nur eingeschränkt in der Lage sei, den eigenen Verantwortungsbereich zu übersehen, darin sinnvolle Entscheidungen zu treffen und notwendige Handlungen umzusetzen, und Tätigkeiten in Nacht- oder Wechselschicht, da sich Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus negativ auf die Schwere der Erkrankung auswirkten. Auch Tätigkeiten mit Einwirkung von Noxen wie Kälte, Zugluft und Temperaturschwankungen seien zu vermeiden, ebenso die Ausübung einer Tätigkeit in körperlicher Zwangshaltung. Rentenrechtlich relevante kognitive Leistungseinschränkungen lägen bei der Klägerin ausweislich des eingeholten Gutachtens des G1 nicht vor. Störungen der Auffassung, der Konzentration oder des Durchhaltevermögens hätten sich im Rahmen der Untersuchung bei G1 nicht gezeigt. Mnestische Störungen ließen sich bei der Klägerin nicht nachweisen, weder im Hinblick auf die Merkfähigkeit, das Kurzzeitgedächtnis oder das Langzeitgedächtnis. Die Klägerin berichte geordnet - auch mit einigen ungenauen Zeitangaben - konzentriert und flüssig über ihre Lebensgeschichte. Der formale Gedankengang der Klägerin sei geordnet und nicht verlangsamt, inhaltliche Denkstörungen lägen nicht vor. Die Klägerin werde als auskunftsbereit und kooperativ beschrieben. Eine erhebliche Reduzierung der Psychomotorik oder Affektivität habe sich nicht feststellen lassen. Der formale Gedankengang werde als weitschweifig beschrieben. Im Rahmen der mehrstündigen Begutachtung sei kein Konzentrationsverlust festzustellen gewesen. Es ergäben sich vielmehr Anhalte für eine nicht authentische Beschwerdevalidierung. Eine Inkonsistenz habe der Gutachter dahingehend festgestellt, dass die Klägerin den Eindruck erweckt habe, sich an bedeutsame biographische Daten nicht zu erinnern, allerdings seien andere Gesprächsinhalte differenziert reproduziert worden. Auch die durchgeführten testpsychologischen Untersuchungen hätten in einigen Bereichen Anhaltspunkte für eine nicht authentische Beschwerdevalidierung gegeben. Das SG habe keine Zweifel, dass die im Gutachten angeführten Einlassungen von der Klägerin stammten. Etliche Angaben in der Anamnese beinhalteten umfassende persönliche Lebensumstände und Details aus dem Leben der Klägerin. Schon dies mache deutlich, dass die Einwendungen der Klägerin, der Gutachter habe die Antworten vorgegeben oder seine eigenen an die ihrer gesetzt, nicht zutreffend sein könnten. G1 habe darüber hinaus bedeutsame Einlassungen der Klägerin in Wortzitaten angeführt. Es sei zudem die Aufgabe eines gerichtlich bestellten Sachverständigen, die Angaben der Probanden einer kritischen Würdigung zu unterziehen. Inwiefern ein unbequem empfundener Stuhl letztlich Einfluss auf das Gutachten haben solle, erschließe sich nicht. Die von G1 abgegebene Leistungseinschätzung stütze letztlich auch die Angaben der behandelnden B2, die bei der Klägerin von einem führenden Verrentungswunsch ausgehe, welcher einer zielgerichteten Verhaltens- bzw. Psychotherapie entgegenstehe. Eine relevante Einschränkung der rentenrelevanten Leistungsfähigkeit begründe sich auch anhand des von B2 mitgeteilten psychischen Befundes nicht. Etwas Anderes folge auch nicht aus der übermittelten Einweisungsverfügung. Ferner bestünden bei der Klägerin auf orthopädischem Fachgebiet beachtliche Gesundheitsbeeinträchtigungen, welche ebenfalls nur qualitative Leistungsminderungen begründeten. Hierbei stütze sich das SG auf die gutachterlichen Feststellungen des Verwaltungsgutachters B1 sowie die Feststellungen des T1 in seinem Gutachten vom 11.03.2014, die im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden könnten. Danach bestünden bei der Klägerin folgende Leiden: endgradige Funktionseinschränkung der Halswirbelsäule ohne radikuläre Ausfallsymptomatik, endgradige Funktionseinschränkungen der Lendenwirbelsäule ohne radikuläre Ausfallsymptomatik und polyarthrotische Beschwerden der oberen und unteren Extremitäten ohne objektivierbare Funktionseinschränkungen, welche B1 zutreffend von einer psychischen Komponente überlagert sehe. Radiologisch gesichert seien dem Gutachten von T1 nachfolgend eine linksbetonte ISG Arthrose, eine sehr geringe Protrusion im Bereich der Lendenwirbelsäule im Segment L3/4 links (CT der Radiologischen Gemeinschaftspraxis K2-straße in H1 vom 23.06.2018) sowie am rechten Kniegelenk eine Chondropathie am medialen Femurkondylus (Radiologischer Befundbericht November 2019 des Klinikums am P1). Im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung bei B1 betreffend die Beweglichkeit der Schultergelenke sei eine unzureichende Mitarbeit der Klägerin aufgefallen, insbesondere ein aktives Gegenspannen. Auf die dokumentierten Angaben im Verwaltungsgutachten werde Bezug genommen. Mithin sei die objektive Aussagefähigkeit des erhobenen funktionalen Untersuchungsbefundes für dieses Gelenk nicht gegeben. Anhand der erhobenen klinisch-funktionellen Befunde zeige sich im Übrigen im Vergleich zu den von T1 im März 2014 erhobenen Befunden keine relevante Verschlechterung mit Einfluss auf die Leistungsfähigkeit. Der Klägerin seien folglich aufgrund der dokumentierten Krankheiten auf orthopädischem Fachgebiet weiterhin leichte und auch gelegentlich mittelschwere körperliche Tätigkeiten vollschichtig zumutbar, wobei eine wechselnde Köperhaltung eingenommen werden solle. Zwangshaltungen, das Tragen, Heben und Bewegen von Lasten über 10 Kilogramm ohne technische Hilfsmittel seien nicht zumutbar. Zu vermeiden sei darüber hinaus die Einflussnahme von Noxen wie Kälte, Zugluft und Temperaturschwankungen, wobei die Tätigkeit nicht ausschließlich in geschlossenen und wohltemperierten Räumen zu verrichten sei. Dieser Bewertung stehe die Aussage des schriftlich gehörten sachverständigen Zeugen H2 nicht entgegen. Dieser gehe zwar von einem reduzierten Leistungsvermögen bei der Klägerin aus, wobei er diese zuletzt am 20.11.2020 untersucht habe. Seine Angaben vom 04.11.2022 gäben daher nicht den aktuellen gesundheitlichen Zustand wieder. Die Schlussfolgerung zur Leistungsfähigkeit des H2 bzgl. des allgemeinen Arbeitsmarktes sei nicht eindeutig verneinend, denn er schließe lediglich eine „verstärkte körperliche Belastung“ aus. Eine solche sei allerdings nicht der Maßstab für die Frage der Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 43 SGB VI. Eine Begründung für das zeitlich eingeschränkte Leistungsvermögen lasse sich der Aussage des H2 zudem nicht entnehmen, so dass diese schon insoweit nicht nachvollziehbar sei. Ergänzend weise die Beklagte zutreffend darauf hin, dass die von H2 angenommene reduzierte Leistungsfähigkeit den objektiv erhobenen funktionellen Befunden des im Jahr 2014 gehörten Sachverständigen entgegenstünden und sich objektiv eine wesentliche Verschlechterung nicht eingestellt habe. Die Leistungsbewertung der Ärzte in der Rehabilitationsklinik K1 überzeuge das SG in der Zusammenschau insbesondere aufgrund der nachfolgend erhobenen Untersuchungsbefunde des B1 im Ergebnis nicht. Weitere internistische Leiden - insb. die Schilddrüsenunterfunktion oder ein potentielles arterielles Bluthochdruckleiden – seien für die Leistungsfähigkeit ohne Relevanz. Auch die Adipositas 1. Grades bedinge keine rentenrelevante Leistungsminderung bei der Klägerin. Soweit sich aus den Akten ergebe, dass die Klägerin in der Vergangenheit unter Stressinkontinenz litt, werde bzgl. der mangelnden Rentenrelevanz auf die Ausführungen im Berufungsurteil des LSG Baden-Württemberg (L 9 R 3401/14) Bezug genommen. Das SG mache sich die diesbezüglichen Ausführungen zu eigen und sehe von einer erneuten Darstellung ab. Diesen Feststellungen stünden die Angaben der behandelnden Ärzte bzw. Therapeutin nicht entgegen. Hierbei sei zu beachten, dass diese die Klägerin zumeist in der Vergangenheit behandelt hätten und daher über deren aktuellen Gesundheitszustand naturgemäß keine Angaben machen könnten und dies auch nicht täten. Die Klägerin sei zudem auch wegefähig im rentenrechtlichen Sinne, denn sie sei in der Lage gewesen, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu G1 zu gelangen. Relevante Befunde, welche Zweifel an der Wegefähigkeit begründeten, würden nicht erhoben. Eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen liege ebenfalls nicht vor.
Gegen den ihr am 03.05.2024 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 27.05.2024 Berufung zum LSG Baden-Württemberg erhoben. Zur Begründung wiederholt sie ihren bisherigen Vortrag und führt aus, sie bleibe dabei, dass ihr eine Erwerbsminderungsrente zustehe. Auch ihr behandelnder Orthopäde habe ihr mitgeteilt, dass ihr Gesundheitszustand dauerhaft gleichgeblieben sei. Zudem habe sie im Dezember 2024 einen Termin bei einem neuen Neurologen. Dort sei sie von ihrem HNO-Arzt hingeschickt worden, der meine, ihre Erkrankung sei doch neurologischer Natur. Zuvor habe sie von ihrem (alten) S2 eine Überweisung zum HNO-Arzt erhalten, nachdem er bei ihr eine neurologische Systemerkrankung ausgeschlossen und eine HNO-Erkrankung vermutet habe.
Die Klägerin beantragt (sachgerecht gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 03.05.2024 und den Bescheid der Beklagten vom 08.04.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr eine Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Vermeidung von Wiederholungen verweise sie auf ihre bisherigen Ausführungen und die Ausführungen im angefochtenen Gerichtsbescheid. Im Übrigen habe die Klägerin die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen zuletzt bei einem Leistungsfall am 30.04.2024 erfüllt.
Die Berichterstatterin hat den Sach- und Streitstand am 21.08.2024 mit den Beteiligten erörtert. Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Senatsakte, die Akte des SG sowie die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte und die Ermittlungen im Verfahren S 4 R 4112/12 und L 9 R 3401/14 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§ 143, 144, 151 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist statthaft und zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
Gegenstand der Berufung ist der Bescheid der Beklagten vom 08.04.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.07.2021, mit dem der Antrag der Klägerin auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt worden ist.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der Bescheid rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Sie hat keinen Anspruch auf die Gewährung einer Rente wegen voller oder teilweiser Erwerbsminderung, auch nicht bei Berufsunfähigkeit.
Versicherte haben nach § 43 Abs. 2 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen voller Erwerbsminderung und nach § 43 Abs. 1 Satz 1 SGB VI Anspruch auf Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze (insoweit mit Wirkung zum 01.01.2008 geändert durch Artikel 1 Nr. 12 RV-Altersgrenzenanpassungsgesetz vom 20. April 2007, BGBl. I, S. 554), wenn sie voll bzw. teilweise erwerbsgemindert sind (Nr. 1), in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben (Nr. 2) und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (Nr. 3). Voll erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Teilweise erwerbsgemindert sind nach § 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außer Stande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein. Sowohl für die Rente wegen teilweiser als auch für die Rente wegen voller Erwerbsminderung ist Voraussetzung, dass die Erwerbsfähigkeit durch Krankheit oder Behinderung gemindert sein muss. Entscheidend ist darauf abzustellen, in welchem Umfang ein Versicherter durch Krankheit oder Behinderung in seiner körperlichen und geistigen Leistungsfähigkeit beeinträchtigt wird und in welchem Umfang sich eine Leistungsminderung auf die Fähigkeit, erwerbstätig zu sein, auswirkt. Bei einem Leistungsvermögen, das dauerhaft eine Beschäftigung von mindestens sechs Stunden täglich bezogen auf eine Fünf-Tage-Woche ermöglicht, liegt keine Erwerbsminderung im Sinne des § 43 Abs. 1 und Abs. 2 SGB VI vor. Wer noch sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarkts arbeiten kann, ist nicht erwerbsgemindert; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI).
In Anlegung dieser Maßstäbe ist der Senat davon überzeugt, dass die Klägerin zumindest bis zum 30.04.2024 in der Lage war, einer leichten Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in einem zeitlichen Umfang von sechs Stunden täglich und mehr nachgehen zu können. Die bei der Klägerin bestehenden Gesundheitsstörungen bedingten bis zum 30.04.2024 keine quantitative Leistungsreduzierung. Ob die Klägerin seit dem 01.05.2024 einer quantitativen Leistungsminderung ausgesetzt ist, ist hier nicht von Belang, da sie nach den zutreffenden unbestrittenen Ausführungen der Beklagten bei Bezug von Arbeitslosengeld bis März 2022 zuletzt am 30.04.2024 die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen für die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente erfüllt hatte. Der Senat sieht von einer weiteren eingehenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG). Der Vortrag der Klägerin im Berufungsverfahren führt zu keinem anderen Ergebnis.
Neue Anhaltspunkte dafür, dass das Leistungsvermögen der Klägerin bis einschließlich 30.04.2024 auf ein unter sechsstündiges Maß abgesunken gewesen sein könnte, ergeben sich auch nicht aus dem Vortrag der Klägerin, ihr behandelnder Orthopäde habe ihr mitgeteilt, ihr Gesundheitszustand sei dauerhaft gleichgeblieben. Unter Berücksichtigung der bislang maßgeblichen Erkrankungen und der hieraus resultierenden Leistungseinschränkungen war bereits das SG auch unter Berücksichtigung der sachverständigen Zeugenauskunft des H2 zu der Einschätzung gelangt, dass bei der Klägerin ein Restleistungsvermögen von sechs Stunden und mehr täglich bestand. Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat unter Berücksichtigung der bislang vorliegenden medizinischen Unterlagen an. Soweit die Klägerin im Erörterungstermin am 21.08.2024 mitgeteilt hat, sie werde sich zur Abklärung der Ursache ihrer Erkrankung im Dezember 2024 bei einem neuen Neurologen vorstellen, wurden bislang keine weiteren Unterlagen vorgelegt. Im Übrigen ist für den Senat lediglich die aus einer Krankheit resultierende Leistungseinschränkung, nicht hingegen deren Ursache für die Frage entscheidend, ob der Klägerin eine Rente wegen Erwerbsminderung zu gewähren ist. Sollte sich bei der Untersuchung im Dezember eine neue Leistungsminderung der Klägerin ergeben, wäre diese im Übrigen für das Verfahren nicht entscheidungserheblich, da der Eintritt eines Versicherungsfalls nach dem 30.04.2024 nicht mehr zur Gewährung einer Rente führen kann, denn die versicherungsrechtlichen Voraussetzungen waren zuletzt zu diesem Zeitpunkt erfüllt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht (§ 160 Abs. 2 SGG).
Land
Bundesrepublik Deutschland
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 14 R 2302/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 R 1615/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
Saved