Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 2. Dezember 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.
Der 1991 geborene Kläger absolvierte vom 01.09.2008 bis 31.08.2011 erfolgreich eine Ausbildung zum Fachmann der Systemgastronomie. Bis 31.01.2012 war er in seinem Ausbildungsbetrieb als Jungschichtleiter versicherungspflichtig beschäftigt. Nachdem er für ein paar Monate im Außendienst zur Kundenakquise tätig war, erfolgte sodann eine versicherungspflichtige Beschäftigung vom 11.09.2012 bis 31.03.2018 als Assistent der Geschäftsführung in der Laborpraxis S1, wobei das Arbeitsverhältnis mittels Aufhebungsvertrag wegen seit 04.09.2017 bestehender Arbeitsunfähigkeit aufgelöst wurde. Der Kläger bezog vom 30.10.2017 bis 04.03.2019 Krankengeld und im Anschluss hieran bis 03.03.2020 Arbeitslosengeld. Seit dem 01.04.2020 bezieht er Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch. Wegen der rentenrechtlichen Zeiten wird auf den Versicherungsverlauf vom 11.03.2025 (Bl. 220 ff. Senatsakte) Bezug genommen.
Im Jahr 2017 wurde beim Kläger rechtsseitig ein intra- und extrameatales Akustikusneurinom (gutartige Zellneubildung, in der Regel vom Vestibularisnerv ausgehend) diagnostiziert, das am 22.06.2017 mittels Cyberknife bestrahlt wurde. In der Folge entwickelte der Kläger eine Trigeminusneuralgie. Aufgrund der Schmerzen wurde und wird ihm von D1 Bedrocan® (getrocknete Blüten zur Inhalation, 22% Tetrahydrocannabinol [THC], <1% Cannabiol [CBD]) verordnet, das er seit der Kostenzusage der Krankenkasse im Februar 2018 nach Bedarf in selbst gewählter Häufigkeit (Angabe im Juli 2019 und im Februar 2020: 150 mg [je Einzeldosis] sieben bis 11 Mal täglich, Angabe im Juni 2022: drei bis zehn Mal täglich) einnimmt.
Der Kläger befand sich im Jahr 2018 zur umfassenden Diagnostik bei verschiedenen Ärzten (04/2018 Tagesklinik Uniklinik U1 – Psychosomatik und Psychotherapie [Diagnose kombinierte Persönlichkeitsstörung, mittelgradige depressive Episode; ambulante Psychotherapie empfohlen]; 05/2018 HNO [ohne Befund], Innere Medizin/Endokrinologie [Diagnose CFS, Epstein-Barr-Virus [EBV]-Serologie mit Hinweis auf zurückliegende Infektion]; 06/2018 Urologie und Gastroenterologie [Befund unauffällig]; 06/2018 Innere Medizin/Infektiologie [Immunsystem nicht relevant aktiviert, EBV-Serologie gebe lediglich Hinweis auf länger zurückliegende Infektion, Reaktivierung aktuell nicht ableitbar]; 07/2018 Spezialambulanz entzündliche ZNS-Erkrankungen U1 [kein Hinweis auf entzündliche ZNS-Erkrankung, Myopathie oder rheumatische Erkrankung, EBV-Serologie nicht ausreichend, um Reaktivierung nachzuweisen]; 11/2018 Neurologie: Befund unauffällig]).
Am 05.06.2018 war der Kläger bei dem W1 vorstellig, der einen Zustand nach (Z.n.) radiochirurgischer Intervention bei rechts intra- und extrameatalem Akustikusneurinom (in der Kontrolle größenregedient), eine trigeminusneuralgieforme Beschwerdesymptomatik rechts und ein Chronic Fatique Syndrom (CFS) diagnostizierte (vgl. Befundbericht, Bl. 61 VA). Der Kläger gab dort an, dass die Schmerzen der Trigeminusneuralgie mit entsprechender Schmerzmedikation einigermaßen kompensiert seien, aber jegliche Stressbelastung die Schmerzen verstärke. Sein Hauptproblem sei die seit Jahren bestehende, jetzt noch verstärkte Fatique-Symptomatik. Er sei nur wenig belastbar, habe ständig Gelenk- und Muskelschmerzen. W1 empfahl die Vorstellung in einer Spezialklinik für Diagnostik. Aus neurologischer Sicht finde sich keine Erklärung für die zusätzlich beschriebene Beschwerdesymptomatik im Rahmen des Fatique-Syndroms.
Laut Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) vom 26.10.2018 habe Arbeitsunfähigkeit zunächst aufgrund des Akustikusneurinoms bestanden. Im Verlauf habe sich eine chronische Schmerzstörung entwickelt, welche inzwischen mit Cannabis behandelt werde. Im Vordergrund stehe jedoch eine mittelgradige depressive Episode sowie Probleme mit Bezug auf Schwierigkeiten bei der Lebensführung. Auch zeigten sich Hinweise auf eine kombinierte Persönlichkeitsstörung. Der Kläger denke, er habe CFS. Die weiteren Untersuchungen seien abzuwarten.
Am 31.10.2018 wurde der Kläger im Lungenzentrum U1 bei dem W2 vorstellig (vgl. Befundbericht vom selben Tag, Bl. 60, 71 VA). Dieser äußerte den Verdacht auf ein chronisches Müdigkeitssyndrom, nachdem er geführte Schlafprotokolle ausgewertet hatte, die eine durchgängige, lähmende Müdigkeit über den kompletten Tag, ohne Schlafphasen tagsüber sowie einen weitgehend regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus mit zumeist ca. sieben Stunden Schlaf pro Nacht zeigen würden.
Im März 2019 stellte sich der Kläger im Zentrum für Seltene Erkrankungen des Universitätsklinikums T1 vor. Nach Besprechung auf der interdisziplinären Fallkonferenz mit Beteiligung von Neurologie und Humangenetik spreche die beschriebene Symptomatik (Energielosigkeit, leichte Tätigkeiten würden zu Verschlechterung des Gesamtzustandes führen, Schlaf nicht erholsam, Gedächtnis- und Konzentrationsstörungen, wechselnde Muskelschmerzen, Gelenkschmerzen, Libidoverlust, Muskelzuckungen, Druckkopfschmerzen, Verdauungsbeschwerden, unscharfes Sehen, grippeartige Beschwerden ohne Fieber) unter Berücksichtigung der Befundberichte am ehesten für ein CFS. Die Ausschlussdiagnostik sei umfangreich durchgeführt worden. Eine gesonderte Expertise zu diesem Erkrankungsbild gebe es dort nicht.
Der Kläger wurde am 16.07.2019 wegen seines Antrags auf Leistungen zur medizinischen Rehabilitation von dem T2 gutachterlich untersucht (Gutachten vom 16.08.2019). T2 diagnostizierte beim Kläger eine Neurasthenie, eine Trigeminusneuralgie und ein Akustikusneurinom rechts. Er führte aus, dass sich neurologischerseits keine wesentlichen funktionellen Einschränkungen gezeigt hätten, die Hirnstromkurve (EEG) normal ableitbar gewesen sei und sich während der Untersuchung keine Hinweise auf Ermüdung gezeigt hätten (wie z.B. periodische Kurvenabflachung und Verlangsamung und 0-Wellen). Psychiatrisch zeige sich im aktuellen Querschnittsbild kein wesentlich pathologischer Befund: Der Kläger sei affektiv ausgeglichen und schwingungsfähig. Die anamnestisch geklagten Beschwerden – vorzeitige Ermüdbarkeit, verminderte Konzentration und Aufmerksamkeit – seien in der Untersuchungssituation nicht deutlich geworden. Hinweise auf eine hirnorganische oder psychotische Störung ergäben sich nicht. Eine psychiatrische und/oder psychotherapeutische Behandlung finde nicht statt. Die zur Schmerzbehandlung (der Trigeminusneuralgie) eingenommenen Medikamente (Cannabis in mittlerer Dosierung, Naltrexon – Dosis unbekannt) seien aus Sicht des Gutachters wegen ihrer psychotropen Wirkung und angesichts der vom Kläger geschilderten Antriebsstörung kontrakproduktiv. Der Kläger könne Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes in einem Umfang von mindestens sechs Stunden täglich unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen (keine schweren Arbeiten, keine Nachtschicht, kein besonderer Zeitdruck wie z.B. am Fließband, keine Gefährdung durch Zugluft, extreme Temperaturen, Lärm, Erschütterungen, Vibrationen) ausüben. Vor einer eventuellen Reha-Behandlung sollten ambulante Behandlungsmöglichkeiten genutzt werden.
Auf Grundlage dieses Gutachtens lehnte die Beklagte die Bewilligung einer medizinischen Rehabilitationsmaßnahme ab (Bescheid vom 10.10.2019/Widerspruchsbescheid vom 14.01.2020).
Am 30.04.2020 beantragte der Kläger bei der Beklagten Rente wegen Erwerbsminderung. Er halte sich wegen eines CFS/einer Myalgischen Enzephalomyelitis (ME) aufgrund eines reaktivierten Verlaufs einer EBV-Infektion für erwerbsgemindert. Er leide an einer durchgängigen geistigen und körperlichen Erschöpfung, die sein Leben stark einschränke und die es ihm unmöglich mache, einem Arbeitsalltag nachzugehen. Außerdem leide er an einer Trigeminusneuralgie.
Die Beklagte forderte ärztliche Befundberichte des D1 an, der den Kläger seit Januar 2018 behandelt und ausführte, der Kläger leide an CFS, einer Burn-Out-Erschöpfung, einer chronischen EBV-Infektion und einem Z.n. Zytomegalie-Infektion sowie chronischen Schmerzen. Jeglicher Tagesablauf sei gestört und nicht möglich, die Fortbewegung sei wegen Kraftlosigkeit erheblich eingeschränkt und es liege eine erhebliche Einschränkung der Konzentrationsfähigkeit vor. Anfänglich habe eine Cannabis-Therapie eine Besserung gebracht, nach einer Impfung Mitte September 2020 sei es zu einem gravierenden Rückfall gekommen. Es zeige sich ein typischer Laborbefund für eine reaktivierte EBV-Infektion. Übersandt wurden auch Laborbefunde des Klägers aus der Laborpraxis S1.
Mit Bescheid vom 24.02.2021 lehnte die Beklagte die Gewährung einer Erwerbsminderungsrente ab, da die medizinischen Voraussetzungen nicht vorlägen.
Hiergegen erhob der Kläger Widerspruch unter Vorlage des Befundberichtes des S2 vom 07.03.2021. Dieser teilte nach ambulanter Vorstellung des Klägers Anfang März 2021 als Diagnosen Trigeminusneuralgie, Akustikusneurinom rechts, allergische Rhinitis und aktuell postvirales Erschöpfungssyndrom am ehesten nach EBV-Infektion, Hypereosinophille mit. Das durchgeführte Ruhe- und Belastungs-EKG sei ohne wegweisende Auffälligkeiten gewesen, jedoch habe sich der Verdacht auf eine rheumatoide Verwachsung an der Aortenklappe ergeben, weshalb eine Indikation für ein Kardio-MRT bestehe. Die Bodyplethysmographie und die Spiroergometrie seien insgesamt ohne auffällige Befunde bzgl. der kardialen und pulmonalen Funktionen gewesen. Laborchemisch hätten sich Werte gezeigt (Monozytose mit Erhöhung von Eosinophilen und Basophilen, Erhöhung des Interleukin 1-Beta und des löslichen Interleukin-2-Rezeptor), die Ausdruck einer Makrophagenaktivierung und hinweisend auf ein Erschöpfungssyndrom seien. S2 empfahl eine Therapie mit Mikronährstoffen und Immunglobulinen, die der Kläger sodann durchführte.
Das durchgeführte Kardio-MRT vom 16.04.2021 zeigte eine geringgradig reduzierte systolische Gesamtfunktion des linken Ventrikels und eine normale systolische Gesamtfunktion des rechten Ventrikels, eine beginnende diastolische Dysfunktion des rechten Ventrikels und keinen Hinweis für eine stattgehabte Myokarditis.
Die Beklagte holte daraufhin das Gutachten des S3 vom 03.08.2021 (= Tag der Untersuchung) ein. Der Kläger gab bei der Untersuchung an, dass er seit ca. 2015 Symptome einer allgemeinen Schwäche mit langsam zunehmenden Beschwerden (Müdigkeit, abdominelle Beschwerden, Übelkeit, zeitweise Durchfälle, Konzentrationsstörungen, multiple Unverträglichkeiten, schlechter Schlaf) habe, die seit ca. einem Jahr gleichbleibend seien (aktuell bleierne Müdigkeit, fühle sich körperlich und geistig nicht leistungsfähig, häufige
Muskel-, Gelenkschmerzen, Hitze/Kälteintoleranz, Lichtempfindlichkeit, nächtliches Schwitzen, schlechter Schlaf, Konzentrations- und Wortfindungsstörungen, Sport sei nicht mehr möglich). S3 führte aus, bei intensiver vorausgegangener Diagnostik hätten keine richtungsweisenden pathologischen Befunde erhoben werden können. Bei der (aktuellen) Funktionsdiagnostik zeigten sich lediglich Zeichen von Trainingsmangel. Ein relevantes kardiopulmonales Leistungsdefizit könne aus den bisherigen Befunden nicht dargestellt werden. Inwieweit postentzündliche/postvirale Veränderungen „(EBV?)“ eine Rolle spielten, bleibe bisher spekulativ. Bei ausführlicher Diagnostik diesbezüglich hätten sich keine „beweisenden Befunde“ gefunden. Bezüglich des radiochirurgisch behandelten Akustikusneurinoms finde sich ein rückläufiger Befund. Inwieweit die leistungsmindernden Beschwerden, insbesondere die quälende chronische Müdigkeit, psychosomatisch verursacht sei, könne von internistischer Seite nicht beurteilt werden und müsse ggf. Gegenstand entsprechender Diagnostik und Therapie sein. Für das bestehende Müdigkeitssyndrom ergäben sich von internistischer Seite keine fassbaren diagnostischen Parameter, so dass der Kläger in seinem bisher ausgeübten Beruf als Assistent der Geschäftsleitung mit überwiegend administrativen Aufgaben ohne körperliche Belastungen ohne zeitliche Begrenzung einsetzbar sei. Auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt sei er aus internistischer Sicht für leichte bis mittelschwere körperliche Tätigkeiten, insbesondere Bürotätigkeiten ohne zeitliche Begrenzung einsetzbar. Bezüglich möglicherweise psychosomatisch verursachten Leistungsminderungen könne er keine Beurteilung abgeben.
Am 11.08.2021 stellte sich der Kläger zur Verlaufskontrolle bei S2 vor, der die Medikation „unter Würdigung der bisherigen frustranen Therapieversuche“ anpasste.
Gestützt auf das Gutachten des S3 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers mit Widerspruchsbescheid vom 28.09.2021 zurück.
Hiergegen hat der Kläger am 08.10.2021 Klage zum Sozialgericht (SG) Ulm erhoben und vorgetragen, dass er seit ca. 2015 an Symptomen der allgemeinen Schwäche leide, die im Verlauf zugenommen hätten.
Das SG hat die den Kläger behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der D1 hat mit Schreiben vom 24.01.2022 mitgeteilt, der Kläger leide an einem chronischen Energie- und Kraftmangel, verbunden mit erheblichen Konzentrations- und Merkstörungen, Schlafstörungen und Appetitmangel, was insgesamt ein „absolutes“ körperliches und geistiges Leistungsunvermögen darstelle. Befundmäßig habe mit Laboruntersuchungen eine chronisch- reaktivierte EBV-Infektion nachgewiesen werden können bei gleichzeitiger Neutropenie und Lympho- und Monozytose. Zudem bestehe gleichzeitig ein erhebliches NK-Zellen-Defizit. Der Kläger sei auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt in keinster Weise einsetzbar, da schon erhebliche Schwierigkeiten bestünden, Dinge des alltäglichen Lebens zu verrichten. Auch die Geh-fähigkeit sei eingeschränkt, da wegen des Energiemangels und der Kraftlosigkeit nur sehr kurze Wegstrecken möglich seien. Bei weiteren Gehstrecken müssten sehr häufige Pausen eingelegt werden, weshalb der Kläger sie so gut wie möglich meide. Für CFS gebe es in der Bundesrepublik kein medizinisch anerkanntes Fachgebiet. Es gebe nur sehr wenige Ärzte, die sich intensiv damit beschäftigen und mögliche Therapieoptionen anböten, so wie er nach jahrelanger Tätigkeit.
S2 hat mit Schreiben vom 03.03.2022 ausgeführt, der Kläger leide an einer Herzinsuffizienz NYHA II, einer allergischen Rhinopathie, einer Trigeminusneuralgie und einem postviralen Erschöpfungssyndrom. Die Spiroergometrie habe eine reduzierte Grundlagenausdauer gezeigt, die Echokardiographie eine grenzwertige systolische linksventrikuläre Pumpfunktion (EF nach Simpson: 50%) mit reduziertem globalem longitudinalem Strain (GLS), das Kardio-MRT eine diastolische Dysfunktion und reduzierte linksventrikuläre Pumpfunktion (EF nach Simpson: 51%). Der Kläger sei nicht in der Lage, mindestens sechs Stunden pro Tag zu arbeiten. Bei einer leichten beruflichen Tätigkeit bestehe die Gefahr einer Verschlechterung des Allgemeinzustandes. Zudem seien Konzentrationsstörungen beschrieben, welche die berufliche Eignung grundsätzlich limitieren. Die Gehfähigkeit des Klägers sei bei den Vorstellungen in der Ambulanz nicht eingeschränkt gewesen.
Das SG hat von Amts wegen das Gutachten des G1 vom 19.08.2022 (Tag der Untersuchung 22.06.2022) eingeholt. Der Kläger hat dort seine Beschwerden wie folgt geschildert: Abgeschlagenheit, Konzentrationsstörungen, keine Stresstoleranz: wenn er sich körperlich und mental belaste, brauche er eine längere Erholungsphase, die teilweise auch später auftrete; Muskel und Gelenkschmerzen nach Belastung, Schwierigkeiten beim Anpassen der Körpertemperatur, oft kalter Schweiß, Wortfindungsstörungen, Reizüberflutung, Herzklopfen beim plötzlichen Aufstehen, Brain Fog (könne gelegentlich nicht klar denken), Magen-Darm-Beschwerden (könne nicht immer etwas essen), Darmentleerungsstörung, getrübte Sicht (es liege nicht an den Augen – vom Augenarzt überprüft), generelles Krankheitsgefühl wie bei einer Grippe, könne nicht lange stehen (Schwindel mit Koordinationsproblemen), geänderter Tag/Nacht Rhythmus (nachts aktiv/tagsüber vermehrter Schlaf), morgens stehe er müde auf, Appetitverlust. G1 hat beim Kläger einen Z.n. Akustikusneurinom, einen psychotropen Zustand durch THC, eine postinfektiöse Perikarditis und eine nicht lange zurückliegende SARS-COV-2-Infektion diagnostiziert. Das Akustikusneurinom sei 2017 erstdiagnostiziert worden und im Anschluss hieran die radiochirurgische Intervention erfolgt. Aufgrund von dann aufgetretenen chronischen Schmerzen sei Cannabis verordnet worden. In diesem Zusammenhang bestehe ein CFS – das Cannabis mache müde, die darin enthaltenen Terpene hätten eine sedierende Wirkung, bei einer vom Kläger angegebenen variablen Einnahme von drei bis zehn Mal täglich sei ein entsprechender Effekt zu erwarten. Eine weitere Nebenwirkung von Bedrocan® sei die Sinustachykardie bzw. das Herzrasen, das sich im Treppentest gezeigt habe. Der psychotrope Zustand bestehe aufgrund des chronischen Konsums von Bedrocan®. Dieses enthalte 22% Tetrahydrocannabinol und <1% Cannabiol. Die entspannende und relaxierende Wirkung sei allseits bekannt. Der Kläger meine, er habe gelegentlich ein Brain Fog (könne also nicht klar denken), getrübte Sicht (der Augenarzt habe nichts festgestellt). Zwischendurch habe er Schwindel mit Koordinationsstörung, Übelkeit, Herzrasen, oft kalten Schweiß, Appetitverlust etc. Im ermittelten Persönlichkeitsprofil mit über 80 gestellten Fragen – über die Eingabe der Antworten in ein Computerprogramm anonym ausgewertet – habe der Kläger angegeben „Sie sind fast immer ausgeglichen und ruhig. Stress und Druck werden gut verkraftet. Sie sind überdurchschnittlich belastbar." Im DISG-Profil habe er folgende Attribute vergeben: „ausgeglichen, entgegenkommend, geduldig, bescheiden, taktvoll“. Damit werde die eher distanzierte entspannte und relaxierende Wirkung bestätigt. Bei chronischem Konsum könne die Wirkung gegenüber Alltagssituationen gleichgültig machen, was sich auch auf Arbeit beziehen könne. Im anonym ausgewerteten Persönlichkeitsprofil habe der Kläger angegeben: „wenig ehrgeizig und wenig leistungsorientiert“ und „Geeignet sind für Sie Berufe, in denen nicht Genauigkeit, Ordnung und Pflichtbewusstsein im Vordergrund stehen." Allgemein könne chronischer Konsum psychotroper Substanzen wie THC zu Motivations- und Interessenverlust und Aktivitätsminderung führen. Wie bereits der MDK festgestellt habe, bestehe beim Kläger ein Problem in der Lebensführung, wie der Kläger dies auch selbst angegeben habe (überwiegend nachtaktiv und tagsüber müde).
Die Diagnose eines CFS könne er nicht bestätigen, sondern sei auszuschließen. Das Schlaflabor im Jahr 2019 habe einen weitgehend regelmäßigen Schlaf-Wach-Rhythmus mit zumeist ca. sieben Stunden Schlaf pro Nacht gezeigt sowie lähmende Müdigkeit über den kompletten Tag, aber tagsüber ohne Schlafphasen. Die Uniklinik U1 habe eine umfassende Diagnostik durchgeführt, ohne dem CFS-Syndrom auf die Spur zu kommen und sei auf die Idee gekommen, ein „postvirales Erschöpfungssyndrom" zu postulieren. Die aktuelle psychometrische Untersuchung spreche gegen ein CFS. Entsprechende Fragen seien derart beantwortet worden, dass kein Anhalt für eine CFS bestehe (Fühlen sie sich ausgebrannt, abgekämpft und traurig? Antwort: eher entspannt und ausgeglichen.; Fühlen sie sich depressiv, haben sie überall Schmerzen, sind sie eingespannt und energiegeladen, sind sie verzweifelt? Alles wurde verneint.). Auch der Zahlenverbindungstest sei innerhalb von 35 Sekunden korrekt vollzogen worden und habe damit ein normales Reaktionsvermögen gezeigt, was ebenfalls gegen ein CFS spreche. Zudem seien zu keinem Zeitpunkt der Untersuchung depressive Elemente vorhanden gewesen. Die abgelaufene Perikarditis sei ein Zufallsbefund und möglicherweise aufgrund einer noch nicht lang zurückliegenden Corona-Infektion verursacht. Eine Leistungsminderung für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten lasse sich daraus nicht ableiten. Es sei mit Erstaunen festzustellen, dass die Uniklinik U1 daraus ein „postvirales Erschöpfungssyndrom“ konstruiert habe, um ein vermeintliches Müdigkeitssyndrom zu erklären. Beim Kläger bestehe ein Leistungsvermögen von sechs Stunden und mehr täglich für leichte bis mittelschwere Tätigkeiten. Er solle auf klassische schulmedizinische Analgesie umsteigen und die bisherige psychotrope Therapie aufgeben. Die Cannabistherapie mit variabler Dosierung habe zu einem psychotropen Zustand geführt, der sich sowohl körperlich als auch psychisch auswirke. Dies sei eine vermeidbare Gesundheitsstörung, da auch auf klassische Analgetika umgestellt werden könne. Mit Absetzen der psychotropen Substanzen, in diesem Falle Bedrocan® und ggf. Umstellung auf andere Analgetika, sei mit einer raschen Rückbildung der bisher leistungsmindernden Symptome zu rechnen.
Der Kläger ist dem Gutachten entgegengetreten und hat vorgetragen, dass das Müdigkeitssyndrom schon bereits vor der Einnahme von Bedrocan® bestanden habe und er es erst seit der Genehmigung durch die Krankenkasse im Frühjahr 2018 einnehme. Außerdem fühle er sich durch den Cannabis nicht müde, sondern eher fokussiert und „gepusht“. Die fehlende Depression bewerte der Gutachter fachfremd. Die CFS sei Schnittfeld von Innerer Medizin, Immunologie, Neurologie und ggf. Virologie. Daher werde ihm die rein internistische Begutachtung nicht gerecht.
Eine fachärztliche psychiatrische, psychosomatische oder psychotherapeutische Behandlung des Klägers fand und findet nach den vorliegenden Unterlagen und Angaben des Klägers nicht statt.
Mit Gerichtsbescheid vom 02.12.2022 hat das SG die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass der Kläger leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes noch mindestens sechs Stunden täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche verrichten könne und sich hierbei auf das Sachverständigengutachten des G1 und das im Verwaltungsverfahren eingeholte Gutachten des S3 gestützt. Die vom Kläger in der Untersuchungssituation zahlreich geschilderten Beschwerden seien insbesondere nicht durch objektive Befunde und auch nicht durch Beobachtungen während der gutachterlichen Untersuchung belegt. Der Kläger habe nicht nachweisen können, dass sein quantitatives Leistungsvermögen unter sechs Stunden täglich gesunken sei. Zwar fühle er sich subjektiv nicht leistungsfähig, er sei jedoch in der Lage selbstständig seinen Haushalt zu führen, spazieren zu gehen und E-Bike zu fahren. Auch bestünden soziale Kontakte (Telefonate mit Schwester und Mutter, Treffen mit Freunden).
Gegen den seinen Prozessbevollmächtigten am 07.12.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 22.12.2022 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und sein Vorbringen aus dem Klageverfahren wiederholt. Seine Beschwerden hätten Anfang 2017 angefangen, er habe sich bei seiner Arbeit nicht konzentrieren können und sei sehr müde gewesen. Er benötige längere Erholungszeiten etwa nach alltäglichen Verrichtungen wie einem Einkauf. Einfache Dinge wie Kochen, ein Gespräch aufrechterhalten oder jemandem zuhören, seien ihm nur unter großer Anstrengung und einen kurzen Zeitraum möglich. Mit zunehmender Belastung komme es zu Muskel- und Gelenkschmerzen, die tagelang anhielten und den Schlaf negativ beeinflussen würden. Bei Überlastung verschlimmerten sich die Symptome, bei anhaltender Überlastung komme es zu einem Crash, von dem er sich tage- oder wochenlang erholen müsse. Einkaufen oder die Wohnung verlassen sei ihm aktuell gar nicht möglich. Außerdem hat der Kläger mitgeteilt, dass er weiterhin bei S2 in Behandlung sei und an der Uniklinik U1 auch an einer Studie (COME = Covid-19 Fatique Muscle) teilnehme und hierzu ein Schreiben des S2 vom 23.06.2022 vorgelegt. Er rege an, ein Gutachten bei B1 in M1 einzuholen, der Spezialist auf dem Gebiet des CFS sei.
Zudem hat der Kläger ärztliche Berichte von S2 vom 12.04.2022 (Diagnose u.a. „Kontrolluntersuchung bei postviralem Erschöpfungssyndrom“, empfohlene Medikation: THC 150 mg, Vitamin C, Vitamin D, Magnesium, Zink, Eisen, EPA), vom 12.07.2022 (Diagnose u.a. postvirales Erschöpfungssyndrom am ehesten nach EBV-Infektion – Auswertung der im Rahmen der Studie entnommenen Muskelbiopsie: normale Funktion der Atmungskette und damit der Mitochondrienfunktion) und vom 15.11.2022 (Kläger bat um Durchsicht des Gutachtens von G1 – Diagnose u.a. CFS am ehesten postviral nach EBV-Infektion – Ansicht des G1 werde nicht geteilt) vorgelegt.
Weiter hat er einen Befundbericht der Herzklinik U1 vom 24.04.2023 übersandt, in dem eine mittelgradige Aortenklappeninsuffizienz (Grad II) ohne Nachweis einer relevanten Herzinsuffizienz und eine Makrozystose bei EBV-Infektion als Diagnosen mitgeteilt worden sind. Dort hat der Kläger angegeben, dass er im Februar 2023 eine Covid-Infektion gehabt und seitdem immer wieder starkes Herzstechen habe. Das EKG sowie die Ergometrie bei guter Belastbarkeit bis 225 Watt sind laut Herzklinik ohne signifikanten pathologischen Befund gewesen.
Der Kläger beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Ulm vom 2. Dezember 2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 24. Februar 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 28. September 2021 aufzuheben und ihm Rente wegen voller, hilfsweise wegen teilweiser Erwerbsminderung ab Antragstellung zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat weitere Befundberichte von den behandelnden Ärzten beigezogen.
Im weiteren Verlauf hat der Senat von Amts wegen zwei Sachverständige mit der Begutachtung des Klägers beauftragt. S2 hat den Gutachtensauftrag wegen seines Eintritts in den Ruhestand nicht angenommen. Die G2 von der Uniklinik T1 hat den Gutachtensauftrag wegen Arbeitsüberlastung und der Unmöglichkeit der Gutachtenserstattung innerhalb eines angemessenen Zeitraums abgelehnt.
Sodann hat der Senat von Amts wegen das Gutachten des B1, M1, vom 11.12.2024 (Tag der Untersuchung 04.11.2024) und die ergänzende Stellungnahme vom 17.01.2025 eingeholt. Dieser hat ausgeführt, beim Kläger seien die Diagnosen ME/CFS (G63.3) – mittelschweren Grades –; Z.n. SARS-CoV2-Infektion; Trigeminusneuralgie, Akustikusneurinom (operiert), zu stellen. Gesundheitliche Folgen nach früheren Virusinfektionen seien nicht erkennbar. EBV-, CMV- und HHV6-Infektionen seien gesichert, jedoch längere Zeit abgeschlossen (kleine Aktivierung oder Re-Aktivierung) und offensichtlich ohne belegbaren Zusammenhang mit dem Krankheitsbild. Es bestehe „absolut“ kein Anhalt für eine aktive oder reaktivierte EBV-Infektion. Die in früheren Stellungnahmen angeführten Ergebnisse des EBV-Blot als Beleg für EBV-(Re)Aktivierung seien nicht zutreffend interpretiert worden. Darüber hinaus sei das AK-Muster des EBV-Blot nicht geeignet, „aktive" von „latenter" Infektion zu unterscheiden. Eine kürzlich aufgetretene SARS-CoV2-Infektion (hochpositive Antikörper gegen Spike-Protein infolge von drei Impfungen und „wohl auch“ infolge Infektion; diskrete Zeichen einer abgelaufenen SARS-COV2-Infektion) sei ebenfalls ohne Einfluss auf den ME/CFS geblieben. Bis auf die ACE2-AAK, die als Impffolge anzusehen seien, seien bei dem Kläger alle untersuchten vaskulären und neurovegetativen Autoantikörper negativ. Auch seien jetzt und in der Vergangenheit alle proentzündlichen Zytokinmarker unauffällig gewesen.
Bei der Untersuchung habe sich der Kläger in äußerlich guter Verfassung vorgestellt, der zugewandt, aufmerksam, ohne Einschränkung oder Zögern sein Beschwerdebild und dessen chronologische Entwicklung beschreibend gewesen sei. Nicht zuletzt durch seine langjährige Tätigkeit im medizinischen Speziallabor von S1 zeige sich der Kläger mit dem Thema ME/CFS und dessen diagnostischen Eckpunkten gut vertraut, ohne jedoch den Eindruck gezielter Schilderung seiner Beschwerden zu wecken.
Aktuelle Forschungsergebnisse lägen (sowohl) für ME/CFS (als auch für das Long-Covid-Syndrom) nahe, dass sich – ausgelöst oder getriggert durch eine Virusinfektion – eine chronische Multisystemerkrankung entwickele, die neben den Core-Kriterien, der Fatique, der Postexertionellen Malaise (PEM), der orthostatischen Intoleranz und dem nicht-erholsamen Schlaf, ein individuell sehr variables Muster weiterer, multipler Störungen beinhalte. Vieles spreche dafür, dass die initiale Virusinfektion Autoimmunreaktionen und einen persistenten neuroinflammatorischen Status initiiere, die das Krankheitsbild bestimme. Bei dem Kläger seien weder die für ME/CFS typischen GPCR-AAK nachweisbar noch könne bei ihm in irgendeiner Weise EBV mit ME/CFS in Verbindung gebracht werden. Nach wie vor basiere die Diagnose des ME/CFS maßgeblich auf dem klinischen Befund und der Auswertung von Fatique-Fragebögen, wobei natürlich keine Objektivität garantiert sei. Es gebe bis heute keinen validierten Biomarker. Es gebe allerdings einige Marker, die deutlich gehäuft bei ME/CFS zu finden seien. Hierzu zählten u.a. Hypocortisolismus (wohl infolge zentraler Downregulation der corticotropen Stressachse), EBV-Aktivität/Reaktivierung, Marker der proentzündlichen Immunaktivierung (Zytokine wie IL-6, TNFa, etc.), mitochondriale Funktionsdefizite, Autoantikörper (Schilddrüse, Neurorezeptoren, etc.). All diese Biomarker seien bei dem Kläger negativ. Die für ME/CFS-typischen gesundheitlichen Störungen wie chronische Fatique, PEM, Schlafstörungen und neurovegetative Symptomatik wie Orthostasesyndrom, Brain Fog, kognitive Defizite und Schmerzen habe der Kläger überzeugend geschildert. Die verschiedenen standardisierten Fatique-Fragebögen (ME/CFS-Fragebogen Charité, FAS Fatique Fragebogen, Chalder Fatique Score, Bell-Skala) und den für PEM standardisierten Screening-Fragebogen der TU München (in Kooperation mit der Charité Berlin) habe der Kläger bereitwillig und vollständig bearbeitet. Aus dem klinischen Bild und den Fragebögen ergebe sich eindeutig, dass ein am ehesten mittelschweres ME/CFS mit hochgradiger Fatique, PEM, Schlafproblemen und neurokognitiven Beeinträchtigungen bestehe. In der Summe ergebe sich aus dem Beschwerdebild ein Beeinträchtigungsgrad von 70%. Der Kläger erfülle drei der vier Kernkriterien des ME/CFS (1. Chronische Fatique länger als 6 Monate; > 50% gesundheitliche Beeinträchtigung; 2. PEM, protrahierte Erschöpfung nach jeglicher kognitiven, psychischen oder physischen Belastung; 3. Neurokognitive Störungen wie kognitive Einbußen mit Konzentrationsschwäche und Merkfähigkeitsproblemen; gestörter Schlaf mit Tagesmüdigkeit; 4. Nicht-erholsamer Schlaf) vollständig, das Kriterium der Schlafstörung mit nicht-erholsamem Schlaf nur bedingt.
Die berufliche Leistungsfähigkeit des Klägers sei auf Grund des ME/CFS nachhaltig sehr eingeschränkt. Eine Tätigkeit jedweder Art, die zwei Stunden täglich überschreite, sei – zumindest derzeit – nicht möglich. Nur leichte, sitzende Tätigkeiten in einem geschütztem, ruhigem, reizarmem Raum, z.B. Computerarbeit bis zu maximal zwei Stunden und an maximal drei Wochentagen mit zwischenzeitlichen Erholungstagen seien möglich. Das klinisch und per Fragebogen dokumentierte ME/CFS, die damit verbundene Leistungsschwäche, die schnelle Erschöpfung (Fatique) nach jeglicher Belastung, sowie die verzögerte Erholung nach Belastungen (PEM) bedingten, dass nur sehr leichte, körperlich schonende Tätigkeiten von entsprechend kurzer Dauer mit ausreichenden Zwischenpausen möglich seien. Im vorliegenden Fall sei die Auswahl der möglichen Büro-Tätigkeiten wegen überwiegender mentaler Fatique zusätzlich eingeschränkt, sodass selbst Computerarbeit nur kaum möglich erscheine. Ausschlaggebend für die Beschränkung seien die Fatique (mental > physisch) mit schneller Erschöpfung, die erhebliche Tageszeit-Abhängigkeit der Belastbarkeit (nach dem morgendlichen Aufstehen schnell und stark abfallend) und vor allem auch die PEM. Die von ihm „aktuell erhobenen Befunde“ würden das mittelschwere ME/CFS bestätigen. Eine aktive oder reaktivierte EBV-Infektion (oder CMV, HHV6, Borreliose) als aggravierende Probleme seien auszuschließen, seien allerdings auch sekundär für die Diagnose. Wenn überhaupt auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, so sei nur eine Tätigkeit im Home-Office oder in kurzer Entfernung zur Wohnung in geeignetem Büroraum mit geringer Belastung, die leicht unterbrochen werden könne, möglich. Zusätzliche Belastungen wie längere Verkehrswege, die die stark eingeschränkte Leistungsreserve vorzeitig minimierten, seien zu vermeiden. Die chronische Fatigue, die nicht mit „Müdigkeit" gleichgesetzt werden könne, bedinge vor allem das Merkmal der schnellen Erschöpfung, selbst bei geringen/geringsten Belastungen. Die aktuelle, hochgradige Gesundheitsstörung bestehe gemäß Aktenlage aller Wahrscheinlichkeit nach seit der dauerhaften Arbeitsunfähigkeit ab 2017.
Bis heute existiere keine spezifische Therapie für ME/CFS. Aktuell sei die Behandlung notgedrungen symptomatisch und fuße auf Einzelberichten und kleineren Therapiestudien mit Pharmaka und nicht-verschreibungspflichtigen Substanzen. Der Kläger sei bisher nur ansatzweise zielgerichtet behandelt worden mit Ausnahme der eineinhalbjährigen, intravenösen Immunglobulintherapie durch S2, die signifikante Besserungen gezeigt habe (wenn auch nicht länger anhaltend). Andere Behandlungsansätze seien bestenfalls symptomorientiert mit Nahrungsergänzungsmittels erfolgt. Unter Berücksichtigung der heute verfügbaren unspezifischen Behandlungen des ME/CFS seien beim Kläger noch viele Optionen offen. Die Behandlungsmöglichkeiten des Klägers seien bisher in keiner Weise ausgeschöpft. Es gebe aktuell eine Reihe von Behandlungsoptionen, die zwar nicht zur Heilung führen könnten, die aber doch das Potential besäßen, das Befinden bei ME/CFS nachhaltig zu verbessern, im besten Fall (unter optimalen Bedingungen) bis zu 50%. Unter aktiver Kooperation des Betroffenen seien vor allem mit Pacing und graduiertem Exercise signifikante Verbesserungen zu erreichen. Außerdem wäre die Fortsetzung der IVIG-Therapie, die bei dem Kläger deutliche Erfolge gezeigt habe, sehr wünschenswert. Eine derart weitgehende Besserung von bis zu 50% könne nicht von vorherein angenommen werden. Erst die individuellen Therapieversuche könnten zeigen, in welchem Maße Besserungen erreichbar seien. Jedenfalls könne nicht erwartet werden, dass die Leistungseinschränkungen ganz wegfallen oder vernachlässigbar werden würden. Unter optimalen Bedingungen sei eine signifikante, nachhaltige Besserung des Befindens im Zeitraum eines Jahres denkbar. Bei individuell wirksamer Therapie sei dann eine Leistungsfähigkeit von drei bis vier Stunden täglicher Arbeit in Form von Bürotätigkeit, vorwiegend im Sitzen und mit der Möglichkeit wiederholter Pausen, idealer Weise 80 % bis 90 % im Home-Office, an sechs Wochentagen möglich.
In den Vorgutachten bzw. Stellungnahmen werde ME/CFS tendenziell, wenn nicht grundsätzlich, falsch verstanden. Es handele sich bei ME/CFS nicht um eine chronische Fatique im Sinne eines Müdigkeitssyndroms (S3), sondern um einen Grundzustand physikalisch erheblich eingeschränkter Energie auf zellulärer Ebene mit vorzeitiger, schneller Erschöpfbarkeit mit praktisch totalem Energieverlust nach jeglichen Belastungen, ob mental, psychisch und/oder physisch. Entsprechend standardisierte Fragebögen zur Feststellung der Fatique – und vor allem der PEM – seien nur teilweise verwendet worden (G1). Die Frage, ob beim Kläger EBV aktiv/reaktiviert sei, spiele letztlich keine Rolle. Die erst kürzlich (2024) beschriebene direkte „Brain-Muscle-Axis" liefere eine Erklärung für die neuronale und muskuläre Energieschwäche. Als Folge zentraler Inflammation (Neuroinflammation) werde auf direktem Wege (Brain-Muscle-Axis) den Körperzellen die Limitierung der mitochondrialen Energiegewinnung signalisiert. Nervensystem und Muskulatur seien besonders reich an Mitochondrien und daher besonders betroffen. Als Auslöser würden Virusinfektionen gelten, die einen dauerhaften pathologischen Prozess mit Neuroinflammation initiieren. Für die eigentliche Erkrankung des ME/CFS sei dann keine aktive Erregerpräsenz mehr erforderlich, der Krankheitsprozess habe sich verselbstständigt.
Im Weiteren sei u.U. eine funktionelle ZNS-Untersuchung mittels fMRT oder PET wünschenswert, um die ME/CFS-Diagnose weiter abzusichern. Allerdings basiere die Diagnose unverändert auf der Auswertung der betreffenden Fragebögen und vor allem der PEM-Feststellung. Ihm sei nicht bekannt, ob in Deutschland eine einschlägig versierte Radiologie verfügbar sei.
Die Beklagte ist dem Gutachten von B1 unter Vorlage der nervenärztlichen Stellungnahme des S4 vom 12.02.2025, auf die der Senat Bezug nimmt, entgegengetreten.
Der Kläger hat zudem mit Schriftsatz vom 01.04.2025 eine ausführliche Beschreibung seines Tagesablaufs und seiner Beschwerden vorgelegt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143, 144, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.
Das SG hat die statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG) zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Der Bescheid vom 24.02.2021 in Gestalt des Widerspruchsescheides vom 28.09.2021 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Ob dem Grunde nach Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit besteht, richtet sich nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI; in der Normfassung des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.04.2007, BGBl. I S. 554, 555). Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (§ 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Über den Wortlaut des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI hinaus ist voll erwerbsgemindert, wer zwar noch drei bis unter sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein kann, aber nicht über einen entsprechenden leidensgerechten Arbeitsplatz verfügt (zur sog. Arbeitsmarktrente wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts vgl. BSG, Beschluss des Großen Senats vom 10.12.1976 - GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 - juris, Rn. 72 f., 79; BSG, Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R - juris, Rn. 22). Auf nicht absehbare Zeit besteht eine Einschränkung, wenn sie sich voraussichtlich über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten erstreckt (zu § 1247 Abs. 2 Satz 1 RVO vgl. BSG, Urteil vom 23.03.1977 - 4 RJ 49/76 -, juris Rn. 16 a.E.).
Der Eintritt der Erwerbsminderung unterliegt dem Vollbeweis. Für den Vollbeweis muss sich das Gericht die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen (BSG, Urteil vom 15.12.2016 - B 9 V 3/15 R -, juris Rn. 26, dazu auch im Folgenden). Der Vollbeweis verlangt keine absolute Gewissheit, sondern lässt eine an Gewissheit grenzende Wahrscheinlichkeit ausreichen. Dies bedeutet, dass auch dem Vollbeweis gewisse Zweifel innewohnen können und verbleibende Restzweifel bei der Überzeugungsbildung unschädlich sind, solange sie sich nicht zu gewichtigen Zweifeln verdichten. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG, a.a.O., m.w.N.). Kann sich das Gericht nicht davon überzeugen, dass zu einem bestimmten Zeitpunkt Erwerbsminderung eingetreten ist, hat derjenige, der daraus Ansprüche ableitet, das Risiko der Nichterweislichkeit der anspruchsbegründenden Tatsache im Sinne einer objektiven Beweislast zu tragen.
Ausgehend von diesen Maßstäben konnte sich der Senat nicht davon überzeugen, dass das Leistungsvermögen des Klägers für die – aufgrund seines Geburtsjahres (vgl. § 240 Abs. 1 SGB VI) – allein maßgeblichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes auf einen Umfang von weniger als sechs Stunden täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche abgesunken ist.
Unter vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens verbleiben für den Senat gewichtige Zweifel an einem rentenrelevant eingeschränkten Leistungsvermögen des Klägers, die auch nicht durch das Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen B1 beseitigt werden.
Unter Berücksichtigung sowohl des im Reha-Verfahren eingeholten Gutachtens des T2 und des im Rentenverfahren eingeholten Verwaltungsgutachtens des S3, die der Senat beide im Wege des Urkundsbeweises verwertet, als auch unter Berücksichtigung der medizinischen Ermittlungsergebnisse im Klage- und Berufungsverfahren, insbesondere der gerichtlichen Sachverständigengutachten, ist der Versicherungsfall einer Erwerbminderung nicht nachgewiesen.
Der Kläger leidet an einem Zustand nach einem im Juni 2017 radiochirurgisch behandelten und seitdem größenregedienten (also in der Größe abnehmenden) Akustikusneurinom, einer danach entstandenen Trigeminusneuralgie und damit verbundenen Schmerzen.
Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus den ärztlichen Befundberichten über die Behandlung dieser Erkrankung, insbesondere aus dem Bericht des W1 vom 05.06.2018 sowie den Gutachten des T2 und des S3 sowie den Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen G1 und B1. Die aufgrund der Trigeminusneuralgie verursachten Schmerzen sind nach Angaben des Klägers gegenüber G1 unter Einnahme von Bedrocan® nicht symptomatisch, wobei nach den Ausführungen von G1 auch eine schulmedizinische Analgetikatherapie erfolgsversprechend ist. Eine rentenrelevante Leistungseinschränkung wird hierdurch nicht begründet. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats ebenfalls aus diesen ärztlichen Unterlagen. Soweit der Kläger in der mündlichen Verhandlung vorgetragen hat, dass er im vor der Verordnung von Bedrocan® verschiedene schulmedizinische Schmerzmittel verordnet und bekommen und diese nicht vertragen habe, ändert dies nach Auffassung des Senats nichts an den Ausführungen des G1, dass eine schulmedizinische Analgetikatherapie erfolgsversprechend ist. Denn ungeachtet der Frage, ob der Kläger vor der Verordnung von Bedrocan® und der Genehmigung durch die Krankenkasse sämtliche zur Verfügung stehende schulmedizinische Analgetika zur Behandlung der Trigeminusneuralgie ausprobiert hat, dürften jedenfalls seit 2018 weitere (neue) schulmedizinische Analgetika zur Verfügung stehen, die jedenfalls angesichts der von G1 und T2 dargestellten Kontraindikation der Einnahme von Bedrocan® auszuprobieren wären.
Außerdem liegt bei dem Kläger eine mittelgradige Aortenklappeninsuffizienz (Grad II) vor, die indes keine rentenrelevante Funktionseinschränkung bedingt. Dies stützt der Senat auf den Befundbericht der Herzklinik U1 vom 24.04.2023.
Darüber hinaus besteht bei dem Kläger ein psychotroper Zustand durch langjährige Einnahme von Bedrocan® (THC/Cannabiol), der indes zu keiner dauerhaften rentenrelevanten Leistungseinschränkung führt, da sich der psychotrope Zustand des Klägers durch das Absetzen dieser Substanz schnell und deutlich verbessern würde. Dies ergibt sich zur Überzeugung des Senats aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen G1. G1 hat unter Heranziehung des Schlaflaborbefundes – ausweislich dessen ein regelmäßiger Schlaf-Wach-Rhythmus mit sieben Stunden Schlaf pro Nacht und die sich dort zeigende lähmende Müdigkeit tagsüber, indes ohne Schlafphasen, vorhanden ist – in nachvollziehbarer und deutlicher Weise dargelegt, dass der Zustand des Klägers Folge der mit der Einnahme von Bedrocan® verbundenen Nebenwirkungen ist. Er hat dargelegt, dass der chronische – hier langjährige Konsum – von THC zu Motivations- und Interessenverlust sowie Aktivitätsminderung führen kann und im Falle des Klägers geführt hat, da der Wirkstoff müde macht und die darin enthaltenen Terpene eine sedierende Wirkung haben und bei einer vom Kläger angegebenen variablen Einnahme von drei bis zehn Mal täglich ein entsprechender Effekt zu erwarten ist. Auch hat er nachvollziehbar ausgeführt, dass das THC für das Herzrasen, das sich während des bei ihm durchgeführten Treppentests gezeigt hat, verantwortlich ist. Dies deckt sich mit den Ausführungen des Gutachters T2, der darauf hingewiesen hatte, dass er die Einnahme von THC wegen der damit verbundenen psychotropen Wirkung und der vom Kläger geschilderten Antriebsminderung für „kontraproduktiv“ halte.
Ausweislich der vom Hersteller von Bedrocan® veröffentlichten Nebenwirkungen (vgl. https://bedrocan.com/de/medizinische-fachkreise/nebenwirkungen-und-risiken/) zählen hierzu Beschwerden der Atemwege, des Magen-Darm-Trakts (Übelkeit, Erbrechen, Diarrhoe) und des Nervensystems, Mundtrockenheit, Augenrötung, leichte Euphorie (Drogenrausch vermeiden), verringerte Aufmerksamkeit des Nutzers, erhöhte Herzfrequenz/Tachykardie, Verringerung des Blutdrucks und Schwindelgefühle. Einen Teil dieser Nebenwirkungen, u.a. Magen-Darm-Beschwerden, Probleme mit den Augen, Brain Fog, Schwindelgefühle und Herzrasen hat der Kläger immer wieder geschildert.
Soweit der Kläger dem Gutachten des G1 entgegengehalten hat, dass er Bedrocan® erst seit der Genehmigung durch die Krankenkasse im Februar 2018 inhaliere und er schon zuvor an Erschöpfungszuständen gelitten habe, entkräftet dies die Ausführungen von G1 nicht. Zwar ist der Kläger bereits seit September 2017 dauerhaft krankgeschrieben. Indes scheint sich der klägerische Zustand erst im weiteren Verlauf des Jahres 2018 verschlechtert zu haben, da erst in diesem Jahr weitere umfangreiche Diagnostik erfolgte. Die Einnahme von Bedrocan® und die damit verbundenen Nebenwirkungen wurde ausweislich der ärztlichen Befundberichte aus den Jahren 2018 indes zum damaligen Zeitpunkt nicht thematisiert, sondern erstmals von T2 und von G1. G1 hat für den Senat nachvollziehbar dargelegt, dass das Absetzen dieser Substanz zu einer schnellen Besserung der Symptomatik des Klägers führt.
Im Übrigen waren ausweislich der Dokumentation des G1 die vom Kläger geschilderten Beschwerden der Wortfindungsstörungen, Konzentrationsstörungen, Muskel- und Gelenkbeschwerden im Rahmen der gutachterlichen Untersuchung nicht zu beobachten. Letztere sind bei der körperlichen Untersuchung nicht aufgefallen. Bei dem Zahlenverbindungstest, hat sich kein – etwa aufgrund von Konzentrationsstörungen zu erwartendes – vermindertes Reaktionsvermögen gezeigt. Auch hat sich in der orientierenden Untersuchung ein unauffälliger Antrieb gezeigt. Auch bei der Untersuchung durch T2 konnte dieser keine Ermüdungszeichen des Klägers feststellen.
Davon, dass der Kläger darüber hinaus an der Erkrankung ME/CFS (nach ICD-10 klassifiziert unter dem Code G93.3) mit damit einhergehenden Funktionseinschränkungen in dauerhaft rentenrelevantem Ausmaß leidet, konnte sich der Senat indes nicht überzeugen.
Zwar kommt es im Rahmen der Prüfung von Erwerbsminderung nicht maßgeblich auf die Diagnosestellung, die Art oder Anzahl von Diagnosen oder auf die Bezeichnung von Befunden an, sondern auf die Beeinflussung des individuellen quantitativen sowie qualitativen Leistungsvermögens durch dauerhafte Gesundheitsstörungen (BSG, Beschluss vom 28.02.2017 - B 13 R 37/16 B -), also auf die durch die Gesundheitsstörungen verursachten funktionellen Beeinträchtigungen, so dass auch dem entsprechend die Ursachen der Gesundheitsstörung keine entscheidende Rolle spielen (BSG a.a.O.).
Indes müssen zur Überzeugung des Senats zur Verifizierung von – wie hier – allein vom Kläger angegebenen Beschwerden, die nach seinen Angaben zu erheblichen funktionellen Einschränkungen führen, objektive Anhaltspunkte für das tatsächliche Bestehen dieser funktionellen Einschränkungen bestehen. Diese objektiven Anhaltspunkte lassen sich etwa aus der Kombination einer nachvollziehbaren Diagnosestellung und entsprechend der Beschwerdeschilderung getätigten Beobachtungen des Sachverständigen während der gutachterlichen Untersuchung, die dieser zu dokumentieren hat, ableiten. An beidem fehlt es im vorliegenden Fall durch den Sachverständigen B1. Auch aus den ärztlichen Auskünften des D1 und des S2 ergibt sich Entsprechendes nicht.
Soweit B1 die Diagnose ME/CFS gestellt hat, ist diese für den Senat in Anbetracht seiner weiteren Ausführungen hierzu nicht nachvollziehbar. So hat er zwar dargelegt, dass aktuelle Forschungsergebnisse nahelegten, dass sich ausgelöst oder getriggert durch eine Virusinfektion diese chronische Multisystemerkrankung entwickele. Indes hat er zugleich klargestellt, dass EBV-, CMV- und HHV6-Infektionen bei dem Kläger gesichert seien, jedoch seit längerer Zeit abgeschlossen und „offensichtlich ohne belegbaren Zusammenhang mit dem Krankheitsbild“. Gleiches gilt laut B1 für die (erst 2023) erlittene SARS-CoV2-Infektion. Zwar hat er auch weiter ausgeführt, dass die initiale Virusinfektion Autoimmunreaktionen und einen persistenten neuroinflammatorischen Status, also eine Entzündung von Nervengewebe (vgl. Pschyrembel online), initiiere, die das Krankheitsbild bestimme. Indes hat er ebenso ausdrücklich an Hand der aktenkundigen Laborvorbefunde als auch der von ihm selbst erhobenen Laborbefunde klargestellt, dass beim Kläger weder die für ME/CFS typischen GPCR-AAK nachweisbar sind noch bei ihm „in irgendeiner Weise EBV mit ME/CFS in Verbindung gebracht werden“ könne. Alle maßgeblichen Entzündungsparameter sind ausweislich seiner Ausführungen negativ. Weiter hat B1 dargestellt, dass bei ME/CFS deutlich gehäuft bestimmte Biomarker zu finden seien und all diese beim Kläger negativ sind. Mithin hat B1 damit klargestellt, dass alle ansatzweise für ME/CFS sprechenden, objektiv belegbaren Befunde beim Kläger ausdrücklich negativ, also nicht vorhanden sind.
Dies hat indes nicht zur Folge, dass der Sachverständige das Vorliegen der Erkrankung beim Kläger kritisch hinterfragt, sondern vielmehr, dass er die Diagnose ausschließlich auf die Angaben des Klägers in den entsprechenden Fragebögen und – wie er ausführt – auf den „klinischen Befund“ gestützt hat, ohne einen solchen Befund indes zu erheben bzw. zu überprüfen oder gar zu dokumentieren. Dem kann der Senat angesichts des von B1 dokumentierten Auftretens des Klägers bei der gutachterlichen Untersuchung (äußerlich gute Verfassung, zugewandt, aufmerksam, ohne Einschränkung oder Zögern sein Beschwerdebild und dessen chronologische Entwicklung beschreibend, bereitwillige und vollständige Bearbeitung der Fragebögen) nicht folgen, zumal sie nach Auffassung des Senats diametral zu der zeitgleich von B1 angenommenen „hochgradigen“ Fatique des Klägers (bei aber im Widerspruch hierzu wiederum nur mittelgrader ME/CFS) steht. Darüber hinaus hat B1 an keiner Stelle seines Gutachtens Beobachtungen während der gutachterlichen Untersuchung zu den vom Kläger geltend gemachten Wortfindungsstörungen und erheblichen Konzentrationsstörungen dokumentiert, was nahelegt, dass solche gerade nicht vom Sachverständigen B1 (wie im Übrigen auch nicht von dem Sachverständigen G1 und den Gutachtern S3 und T2) beobachtet wurden. Andernfalls wäre eine entsprechende Dokumentation – gerade auch zur Untermauerung tatsächlich bestehender (neuro-)kognitiver Einschränkungen, die vom Kläger sogar als weitaus schwerer beeinträchtigend als die physischen Einschränkungen geschildert worden sind – zu erwarten gewesen. Soweit B1 ausgeführt hat, dass die von ihm „aktuell erhobenen Befunde“ das mittelschwere ME/CFS bestätigen würden, weist der Senat darauf hin, dass die vorliegend objektiv (nachweisbar) erhobenen (Labor-)Befunde – wie zuvor dargelegt – nach seinen eigenen Ausführungen gerade die Diagnose der ME/CFS nicht bestätigen. Bei den rein subjektiven Angaben des Klägers (auch im Rahmen der Fragebögen) handelt es sich indes nicht um ärztliche Befunde.
Auch soweit der Sachverständige ausgeführt hat, dass die 2024 in der Forschung beschriebene direkte „Brain-Muscle-Axis" eine Erklärung für die neuronale und muskuläre Energieschwäche liefere und als Folge zentraler Inflammation (Neuroinflammation) auf direktem Wege (Brain-Muscle-Axis) den Körperzellen die Limitierung der mitochondrialen Energiegewinnung signalisiert werde, überzeugt seine Schlussfolgerung des Vorliegens von ME/CFS nicht. Denn die im Jahr 2022 durchgeführte Muskelbiopsie im Uniklinikum U1 hat ausweislich des ärztlichen Berichts von S2 vom 12.07.2022 ausdrücklich eine normale Funktion der Atmungskette und damit der Mitochondrien gezeigt.
Darüber hinaus lässt das Gutachten des B1 eine dezidierte Auseinandersetzung vor allem mit dem Gutachten des G1 vermissen, der ausführlich und für den Senat nachvollziehbar dargelegt hat, dass der vom Kläger beschriebene Erschöpfungszustand Folge der (drei bis zehnmal täglichen) bedarfsweisen und seit mehreren Jahren stattfindenden Inhalation von Bedrocan® sein kann und ist. Hierauf geht B1 mit keinem Wort ein. Indes hätte sich dies aufgedrängt, da G1 im Gegensatz zu B1 die vom Kläger geschilderten Beschwerden hinsichtlich ihrer Ursachen und vor allem ihrer Behandelbarkeit vollkommen anders beurteilt.
Dass bei dem Kläger krankheitsbedingte Einschränkungen in rentenrelevantem Ausmaß bestünden, lässt sich auch nicht aus der Lebensführung des Klägers ableiten. Zwar hat er in der Berufungsbegründung u.a. vortragen lassen, dass ihm Einkaufen und die Wohnung verlassen nicht und Kochen nur mit größtem Aufwand und mit anschließender Erholungsphase möglich sei. Hiervon kann sich der Senat indes angesichts des Umstands, dass er regelmäßig seinen Hausarzt aufsucht und auch die Wahrnehmung dreier gutachterlicher Untersuchungen möglich war sowie dem Umstand, dass der Kläger alleinlebend einen eigenen Haushalt in seiner Drei-Zimmer-Wohnung führt, nach seinen Angaben gegenüber G1 spazieren gehe, Freunde treffe und Fahrrad mit seinem eBike fahre und sogar über die Anschaffung eines Haustieres nachgedacht hat, nicht überzeugen. Auch pflegt er ausweislich seiner Angaben gegenüber B1 seit 2023 eine Beziehung zu einer Frau. Zudem fährt er nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung gelegentlich mit dem Auto seiner Freundin (was der Senat – nebenbei angemerkt – angesichts der Einnahme von Cannabis für bedenklich hält) und übt er seit eineinhalb Jahren in einem Umfang von zwei Stunden pro Woche eine Erwerbstätigkeit (Büroarbeiten) aus. Dies beschreibt nach Auffassung des Senats ein Ausmaß an Aktivitäten, die nach dem vom Kläger gegenüber allen Gutachtern geschilderten Beschwerdebild kaum mehr möglich sein dürften.
Vor dem Hintergrund all dessen ist die Leistungseinschätzung des B1 für den Senat nicht nachvollziehbar.
Der Senat verkennt – wie auch S4 vom sozialmedizinischen Dienst der Beklagten – nicht, dass der objektive Nachweis der Erkrankung ME/CFS und des Ausmaßes der mit ihr einhergehenden Funktionseinschränkungen gewissen Schwierigkeiten begegnet. Indes konnte sich der Senat aufgrund des zuvor Dargelegten und der Tatsache, dass nach dem Gutachten des Sachverständigen G1 die Einnahme von Bedrocan® für die vom Kläger geltend gemachten Beschwerden maßgeblich verantwortlich ist – dies klingt im Übrigen auch im Gutachten des T2 an –, nicht davon überzeugen, dass bei dem Kläger die Erkrankung an CFS/ME mit damit verbundenen Funktionseinschränkungen in einem Ausmaß vorliegt, die nur noch ein zeitliches Leistungsvermögen von unter sechs Stunden täglich für an den Gesundheitszustand des Klägers angepasste Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes zulässt.
Vor dem Hintergrund dieser Ausführungen kann sich der Senat auch nicht den Ausführungen des S2 und des D1 in ihren Auskünften an das SG hinsichtlich der von ihnen gestellten Diagnose und deren Leistungseinschätzungen anschließen.
Im Übrigen liegt auch keine Einschränkung der Wegefähigkeit vor. Grundsätzlich setzt eine Erwerbsfähigkeit auch das Vermögen voraus, eine Arbeitsstelle aufzusuchen. Denn eine Tätigkeit zum Zweck des Gelderwerbs ist in der Regel nur außerhalb der Wohnung möglich. Das Vorhandensein eines Minimums an Mobilität ist deshalb Teil des nach § 43 SGB VI versicherten Risikos (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991 - 13/5 RJ 73/90 -, juris Rn. 16). Erwerbsfähigkeit setzt danach grundsätzlich die Fähigkeit des Versicherten voraus, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Meter mit zumutbarem Zeitaufwand, d.h. jeweils innerhalb von 20 Minuten, zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren zu können (vgl. BSG, a.a.O.). Bei der Beurteilung der Mobilität des Versicherten sind alle ihm tatsächlich zur Verfügung stehenden Hilfsmittel (z.B. Gehstützen) und Beförderungsmöglichkeiten zu berücksichtigen (vgl. BSG, Urteil vom 17.12.1991, a.a.O., Urteil vom 19.11.1997 - 5 RJ 16/97 -, juris).
Der Kläger ist in der Lage, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Meter mit zumutbarem Zeitaufwand, d.h. jeweils innerhalb von 20 Minuten, zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Zu dieser Einschätzung gelangt der Senat sowohl aufgrund der Auskunft des S2 gegenüber dem SG als auch aufgrund der Dokumentation in den Gutachten des S3 und des G1, wonach der Kläger eigenständig zu den Begutachtungen angereist ist und überdies ausweislich aller Gutachten mit einem E-Bike fährt. Soweit der D1 von einer eingeschränkten Gehfähigkeit ausgegangen ist, überzeugt dies den Senat vor dem Hintergrund des zuvor Gesagten nicht.
An einer schweren, überdauernden krankheitsbedingten Beeinträchtigung des Klägers mit rentenrelevanten funktionellen Auswirkungen auf das berufliche Leistungsvermögen verbleiben nach alledem für den Senat gewichtige Zweifel, so dass der Versicherungsfall einer Erwerbsminderung nicht im Sinne des Vollbeweises nachgewiesen ist.
Aus den vorgenannten Gründen ist die Berufung des Klägers zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 17 R 2238/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 3593/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
Saved