Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 07.07.2015 geändert und die Klage abgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind in den beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Beteiligten streiten über die Gewährung von Leistungen aufgrund eines vorgetragenen Impfschadens.
Der am 00.00.0000 geborene ursprüngliche Kläger ist in der Nacht vom 00. auf den 00.00.0000 verstorben. Er lebte bis zu seinem Tod mit seiner Ehefrau, der jetzigen Klägerin, in einem gemeinsamen Haushalt. Das Ehepaar hat drei Kinder. Der verstorbene Kläger verfügte über einen Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Nachteilsausgleiche H, G, aG und B ab dem 01.01.2007.
Er hatte zwei Brüder, die Herren F., geboren am 00.00.0000 und P., geboren am 00.00.0000. Er schloss eine Lehre zum U. im elterlichen Betrieb, einem L., ab. Er war zunächst dort tätig und sodann mit mehreren T. sowie mit der Vermarktung hochwertiger K. selbständig. Im Nachgang war er als D. einiger Unternehmen und zeitweilig angestellt als B. beschäftigt.
Am Montag, den 11.09.1950 ist der verstorbene Kläger im Rahmen eines öffentlichen Impftermins erstmalig gegen Pocken geimpft worden. Der Erfolg dieser Impfung wurde im Rahmen des am 18.09.1950 stattgefundenen sog. Nachschautermins durch den jeweiligen Impfarzt kontrolliert und durch Ausstellung des Impfscheines bestätigt. Auf den Inhalt des Impfscheins sowie des damaligen undatierten Merkblattes zur Impfung wird Bezug genommen.
In einem auf den 04.09.2004 datierenden Bericht des Vaters des verstorbenen Klägers, dem am 00.00.0000 geborenen und am 00.00.0000 verstorbenen Y., der erstmalig mit Schriftsatz vom 05.12.2012 vorgelegt worden ist, erläutert dieser, dass der Kläger im Herbst 1950 gegen Pocken geimpft worden sei. Damals sei er erkältet gewesen. Die Eltern hätten ihn nicht impfen lassen wollen, seien aber mit einem Bußgeld bedroht worden. Etwa vier Tage später sei der verstorbene Kläger erkrankt und habe 40°C hohes Fieber bekommen. Er sei in das Klinikum H. eingewiesen worden, wo die Eltern erfahren hätten, dass er gelähmt gewesen sei. Er – der Vater – habe es damals so verstanden, dass es ein Impfschaden gewesen sei. Auf den weiteren Inhalt wird Bezug genommen.
Am 26.10.2009 stellte der verstorbene Kläger bei dem Beklagten einen Antrag auf Anerkennung eines Impfschadens und Versorgung. Er legte dem Antrag Unterlagen aus einem parallelen Schwerbehindertenverfahren bei und verwies darauf, dass er ständig auf den Rollstuhl angewiesen sei; eine vollschichtige Arbeit sei ihm nicht möglich. Vier Tage nach der durchgeführten Pockenimpfung sei er querschnittsgelähmt gewesen. Seine Mutter erinnere sich, dass die Impfung in einem Gebäude der Stadt H. (vermutlich dem Gesundheitsamt) durch einen Amtsarzt durchgeführt worden sei. Auch sein Vater lebe noch, leide aber unter Demenz.
Der Beklagte zog die Schwerbehindertenakte sowie weitere medizinische Unterlagen bei, wobei solche aus der Zeit der Impfung nicht mehr greifbar waren. Der Schwerbehindertenakte war u.a. ein neurologisches Sachverständigengutachten des Arztes für Nervenheilkunde J. vom 22.05.2009 (Sozialgericht Duisburg – S 22 SB 287/07) zu entnehmen. Danach stünden bei dem Kläger im Vordergrund die Folgen einer Poliomyelitis mit linksbetonten hochgradigen Paresen der Beine. Hierdurch sei die allgemeine Mobilität erheblich eingeschränkt. Darüber hinaus bestünden Wirbelsäulenleiden mit Fehlstellungen, Entwicklung eines chronischen Schmerzsyndroms, Beinverkürzung; Schulterteilsteife bds. links mehr als rechts, Epicondylitis bds. links mehr als rechts, anamnestisch chronische Bronchitis und Bluthochdruck sowie kein Anhalt für das Vorliegen einer Inkontinenzproblematik. Die Folgen einer Poliomyelitis mit linksbetonter hochgradiger Parese der Beine beurteilte der Gutachter mit einem Einzel-GdB von 60. Auf den Inhalt des Gutachtens im Übrigen wird Bezug genommen.
Nach Auswertung der Unterlagen lehnte der Beklagte den Antrag ab (Bescheid vom 30.03.2010); eine Pockenimpfung könne keine Lähmung hervorrufen.
Gegen den ihm am 06.04.2010 bekanntgegebenen Bescheid erhob der verstorbene Kläger am 06.05.2010 Widerspruch. Es werde angeregt, den Sachverhalt nochmals zu prüfen.
Der Beklagte holte sodann ein Gutachten nach Aktenlage des Arztes für Kinderheilkunde und Mikrobiologie X. ein, welcher in seinen Ausführungen vom 23.09.2011 darauf verwies, dass in seltenen Fällen nach der Pockenimpfung eine Querschnittlähmung auf der Grundlage einer Myelitis beschrieben worden sei, die allerdings nicht paretisch schlaff verliefe. Als Inkubationszeit werde im Durchschnitt 8,6 Tage ± 2,3 Tage, also mindestens sechs Tage beschrieben. Eine Lähmung am vierten Tag sei praktisch ausgeschlossen. Um das Gehirn bzw. Rückenmark zu schädigen, benötigten die Viren mindestens eine Woche bis sie über eine Virämie zum Nervensystem gelangten. Stattdessen sei davon auszugehen, dass es 1950 eine lebhafte Zirkulation von Poliomyelitis-Wildviren gegeben, der Kläger sich infiziert habe und während der Inkubationszeit geimpft worden sei. Es ergebe sich dann ein schicksalhafter Verlauf, der mit der Pockenimpfung nicht in einem Zusammenhang stehe. Die Zunahme der Beschwerden mit der Zeit ließen sich als Post-Polio-Syndrom erklären. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.
Daraufhin wies der Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 10.11.2011 den Widerspruch als unbegründet zurück. Unter Berücksichtigung des Gutachtens von X. bestehe der Anspruch nicht.
Dagegen hat sich der verstorbene Kläger mit seiner Klage zum Sozialgericht (SG) Duisburg vom 30.11.2011 gewandt. Er sei der Ansicht, dass seine Erkrankung kausal auf die Pockenschutzimpfung aus dem Jahre 1950 zurückzuführen sei. Zur weiteren Begründung hat er den Impfschein sowie den bereits erwähnten Bericht seines Vaters und zudem eine eidesstattliche Versicherung seiner Mutter – S. (geboren 00.00.0000, verstorben 00.00.0000) – vom 27.08.2012 vorgelegt. Im Herbst 1950 sei danach ihr Sohn, der verstorben Kläger, gegen Pocken geimpft worden; damals sei er stark erkältet gewesen. Sie hätten ihn nicht impfen lassen wollen, seien aber mit einem Bußgeld bedroht worden. Etwa vier Tage später sei er krank geworden und habe über 40°C hohes Fieber bekommen. Er sei so nass gewesen, wie aus der Badewanne und habe fürchterlich gekrampft. Der damalige Hausarzt M. habe ihn in das Klinikum H. einweisen lassen. Dort habe man erfahren, dass er gelähmt sei. Sie – die Mutter – habe es damals so verstanden, dass es ein Impfschaden gewesen sei. Der später behandelnde neue Hausarzt Z. habe sich damals in das darauffolgende Bußgeldverfahren bezüglich des weiteren Sohnes eingeschaltet und ihrem Mann einen Brief für die Stadt mitgegeben, welchen dieser unter Wasserdampf geöffnet habe. Darin habe der Arzt den Impfschaden bestätigt und argumentiert, dass der Bruder daher nicht zu impfen sei. Das Bußgeldverfahren sei daraufhin eingestellt worden. Eine Kopie des Schreibens habe man nicht. Auf den Inhalt im Übrigen wird Bezug genommen.
Der damalige Kläger hat beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 30.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2011 zu verurteilen, seine Erkrankung als Impfschaden nach dem Impfschutzgesetz anzuerkennen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat zunächst auf seine Bescheide Bezug genommen. Ein Zusammenhang zwischen der Impfung und der Erkrankung sei zwar möglich. Dies reiche aber zur Anerkennung eines Impfschadens nicht aus.
Das SG hat sodann Beweis erhoben durch Einholung eines mikrobiologischen Sachverständigengutachtens von C. (W. für medizinische Mikrobiologie und Hygiene an der I. zu R., Q. des Instituts für Medizinische Mikrobiologie, Immunologie und Hygiene) vom 04.07.2013. Dieser hat im Wesentlichen ausgeführt, dass nur ca. 0,1 bis 1% der Polioinfektionen bleibende neuronale Schäden verursachten, eine Verlaufsform, die als paralytische Poliomyelitis bezeichnet werde. Zugrunde liege eine irreversible Schädigung motorischer Ganglienzellen der Rückenmarksvorderhörner, die zu schlaffen Lähmungen führe. Nach einer paralytischen Poliomyelitis könnten im Verlauf bestimmte motorische Funktionen wiedererlangt werden. Im Gegenzug sei bei wenigen Patienten allerdings auch ein Fortschreiten der Paralysen mit zunehmenden Muskelatrophien zu beobachten (sog. Post-Polio-Syndrom). Das Ergebnis des Krankheitsbildes lasse sich bei dem Kläger mit einer paralytischen Wildtyp-Poliomyelitis vereinbaren. Aufgrund der Lähmungseigenschaften sei anzunehmen, dass bei ihm ausschließlich eine Schädigung der motorischen Ganglienzellen stattgefunden habe, was ebenfalls charakteristisch für eine Poliomyelitis mit ZNS-Beteiligung sei. Die angegebenen, wenige Tage vor Beginn der Paresen aufgetretenen unspezifischen Erkältungssymptome seien wahrscheinlich auf die erste Phase einer Poliomyelitis bzw. deren Inkubationszeit zurückzuführen. Es sei davon auszugehen, dass der Kläger unter den Folgen einer paralytischen Wildvirus-Poliomyelitis leidet, in deren Inkubationszeit bzw. Anfangsphase eine Pockenschutzimpfung durchgeführt worden sei. Er schließe sich insofern J. an. Es existierten indes seit langer Zeit Hinweise, dass die Durchführung intramuskulärer Injektionen sowohl von Medikamenten als auch von Impfstoffen, während der Inkubationsphase einer Wildvirus-Poliomyelitis das Risiko einer paralytischen Verlaufsform der Krankheit erhöhe. Dies werde als sog. „Provokations-Poliomyelitis“ bezeichnet. Die Pockenimpfung zeichne sich gegenüber anderen Impfungen durch zwei Aspekte aus. Es handele sich um einen besonders virulenten Lebendimpfstoff. Zur Immunisierung werde eine entzündliche Hautreaktion angestrebt. Es erscheine insofern „plausibel“, dass die 1950 angewandte Impftechnik (intrakutane Skarifikation mittels zweizackiger Impfnadel) Läsionen an peripheren Nerven gesetzt habe, die bei Vorliegen einer Poliomyelitis in Inkubation Polioviren den Zutritt ins Zentralnervensystem erleichtern und damit eine paralytische Verlaufsform der Erkrankung begünstigten. Auf den weiteren Inhalt wird Bezug genommen.
Daraufhin hat der Beklagte eine gutachterliche Stellungnahme nach Aktenlage des Arztes für Innere Medizin, Mikrobiologie und Epidemiologie G. vom 07.11.2013 eingeholt. Eine im Kleinkindalter durchgemachte Poliomyelitis sei vorliegend unzweifelhaft. Diese sei auch unzweifelhaft die Ursache des Krankheitsgeschehens. Der Beginn der Krankheitserscheinungen sei jedoch nicht belegt. Gegen die Versicherung der Mutter spreche die durchgeführte Nachschau. Es sei nicht nachvollziehbar, dass diese Poliomyelitis am vierten Tag nach der Impfung aufgetreten sei und der Arzt am siebten Tag dennoch eine erfolgreiche Impfung bei einem ggf. hochfiebernden, krampfenden oder gelähmten Kind bescheinigt habe. Zudem sei die Ansicht von C., die Pockenimpfung habe i.S. einer Provokation der Poliomyelitis gewirkt, eine Einzelmeinung, die nicht durch entsprechende wissenschaftliche Erkenntnisse gestützt werde. Die vorliegenden exakten Analysen im britischen Schrifttum (Medical Research Council – MRC) fanden keinen Beleg für eine Rolle der Pockenimpfung durch oberflächliche Skarifikation. Auch im Übrigen werde nur die Rolle einer intramuskulären Injektion untersucht. Dabei sei zudem zu beachten, dass die Lähmung bei den beobachteten Fällen sehr häufig an der Extremität, die die Injektion erhalten habe eingetreten sei. Die weiteren Erhebungen betrafen die Impfprogramme für Diphterie und Keuchhusten. Ein bevorzugter Lähmungsbefall der geimpften Extremität habe nicht festgestellt werden können. Dies sei verschiedentlich als Beleg gewertet worden, dass nicht das Trauma des Impfschnitts, sondern die Minderung der Abwehrkraft für die Auslösung der Poliomyelitis verantwortlich sei. Diese Hypothese sei nicht unwidersprochen geblieben. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.
Im Rahmen zweier ergänzender Stellungnahmen vom 16.06.2014 und 05.02.2015 nahm der Sachverständige C. nochmals Stellung. Richtig sei, dass ausschließlich die Rolle intramuskulärer Injektionen im Rahmen einer „Provokations-Poliomyelitis“ wissenschaftlich belegt seien. Bezüglich anderen nicht-muskulären Applikationsformen existierten Hinweise, dass auch die subkutane Gabe unterschiedlicher Substanzen das Risiko einer „Provokations-Poliomyelitis“ berge. Es existierten jedoch keine Untersuchungen, die die Applikation (intrakutane Skarifikation mittels zweizackiger Impfnadel) von Pockenimpfstoff in unterschiedliche Gewebetiefe bzw. mittels unterschiedlicher Injektionstechnik getestet haben. Er selbst sehe nicht die Pockenimpfung als Auslöser der Poliomyelitis, sondern er „räume die Möglichkeit eines schwerwiegenden Verlaufs dieser Erkrankung durch vorherige intrakutane Skarifikation ein“. Es existierten „publizierte Hinweise“, dass das Risiko hierfür mit der Immunogenität der injizierten Substanz steige. Er halte daher die Möglichkeit der Begünstigung einer Provokations-Poliomyelitis durch die vorangegangene Impfung mit Lebensimpfvirus „weiterhin nicht für ausgeschlossen.“ Auf den weiteren Inhalt wird Bezug genommen.
Mit Urteil vom 07.07.2015 hat das SG der Klage stattgegeben. Auf die Entscheidungsgründe wird Bezug genommen.
Gegen das ihm am 23.07.2015 zugestellte Urteil hat sich der Beklagte mit seiner am 19.08.2015 eingelegten Berufung gewandt. Der Anspruch bestehe nicht. Das SG habe unberücksichtigt gelassen, dass am siebten Tag nach der Impfung keine Erkrankung feststellbar gewesen sei. Der Sachverständige V. habe keine Archivquellen über eine dokumentierte Impfkomplikation bzw. Impfschaden zu der streitigen Impfung in Erfahrung bringen können. Es fehle mithin weiter an einer nachweisbaren Impfkomplikation bzw. einem Impfschaden und der jeweiligen kausalen Verknüpfung. Die mangelnde Nachweisbarkeit gehe zu Lasten des Klägers. Ebenso komme die Kann-Versorgung nicht in Betracht. Es bestehe keine Ungewissheit für die Ursache der Erkrankung.
Die Wissenschaft fordere für einen möglichen Kausalzusammenhang eine Manifestation der Poliomyelitis zwischen dem 5. und 21. Tag nach der Pockenimpfung. Das Sachverständigengutachten des C. sei nicht überzeugend. Auch habe das SG sich nicht mit der Frage beschäftigt, ob seine Ansicht der herrschenden wissenschaftlichen Lehrmeinung entspreche. Dies habe G. mit dem Hinweis auf die einschlägige Fachliteratur verneint. Es sei trotz des damals forschungsrelevanten Themas ein Zusammenhang zwischen Poliomyelitis und Pockenschutzimpfung nicht festgestellt worden. Bei damals hoher Erkrankungsquote an Polio, fehlendem Impfschutz gegen Polio sowie gleichzeitig verpflichtend durchzuführender, strafbewehrter Pockenimpfung sei somit davon auszugehen, dass ein solcher Zusammenhang festgestellt worden wäre, wenn es ihn gegeben hätte. Die Tatsache, dass dies nicht der Fall war, spreche somit gegen einen solchen Zusammenhang. Im Rahmen des Verfahrens seien mehrere Wissenschaftler (C., G., X.) beteiligt worden und es sei keine einzige belastbare Studie aufgetaucht, welches ein erhöhtes Auftreten einer paralytischen Poliomyelitis nach oberflächlichen Hautverletzungen oder Injektionen belege, insbesondere nicht nach Verabreichung des intrakutan applizierten Pocken-Impfstoffes. Selbst nach den Ausführungen von C. laut Sitzungsprotokoll zum Termin vom 26.01.2024 sei ein Zusammenhang zwischen der Pockenschutzimpfung und der Poliomyelitis nicht wahrscheinlich. Vielmehr handele es sich nur um einen möglichen, aber plausiblen Zusammenhang. Es laufe auch die Ausführungen von C. in seiner Stellungnahme vom 28.06.2023 hinsichtlich einer immunsuppressiven Wirkung des Pocken-Impfstoffes ins Leere, da sich eine solche klinisch offensichtlich nicht manifestiert habe.
Der sog. Kann-Versorgung stehe indes entgegen, dass die Theorie der Provokations-Poliomyelitis durch eine Pockenschutzimpfung nur die Meinung einzelner Mediziner sei, ohne ihr die Qualifikation einer Mindermeinung zusprechen zu können.
Die Voraussetzungen für eine Beweiserleichterung nach § 15 Satz 1 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOVVfG) seien nicht gegeben, denn der Kläger könne gerade keine glaubhaften Angaben zum schädigenden Tatbestand machen. Dies sei ihm aufgrund der fehlenden Erinnerung gerade nicht möglich. Es liege auch keine unverschuldete Beweisnot vor, wenn diese wie hier maßgeblich auf dem seit der Schädigung verstrichenen Zeitablauf, dem damit verbunden Wegfall und der immer geringer werdenden Überzeugungskraft der noch vorhandenen Beweismittel beruhe.
In der Folge hat der Beklagte ergänzende Stellungnahmen von G. vom 08.09.2017 und 17.05.2019 und X. vom 15.10.2019 und 06.04.2020 eingeholt und in das Verfahren eingeführt, auf deren Inhalt jeweils Bezug genommen wird.
Die Klägerin hat mitgeteilt, dass der ursprüngliche Kläger, ihr Ehemann, verstorben ist und sie den Rechtsstreit, vertreten durch ihren Sohn, fortführe. Sodann hat sie zunächst den erstinstanzlichen Antrag wie folgt konkretisiert und klarstellend beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 30.03.2010 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2011 zu verurteilen, eine Poliomyelitis und ein Postpoliosyndrom als Schädigungsfolgen der am 11.09.1950 bei dem verstorbenen Kläger durchgeführten Pockenimpfung anzuerkennen und der Klägerin als dessen Rechtsnachfolgerin eine Beschädigtenrente nach einem GdS von 100 v.H. ab Antragstellung nach weiterer Maßgabe der gesetzlichen Bestimmungen zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Duisburg vom 07.07.2015 zu ändern und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sodann,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Anspruch bestehe. Der Pathomechanismus der Entstehung der Provokations-Poliomyelitis sei in den 50iger Jahren bereits so bekannt gewesen, dass Gesundheitsbehörden aufgefordert waren, Injektionsimpfungen in Polio-Epidemiejahren zu vermeiden. X. habe bestätigt, dass es 1950 eine lebhafte Zirkulation von Poliomyelitis-Wildviren gegeben habe. Der Impfschein biete nicht die Möglichkeit der Aufnahme von Krankheitssymptomen; er sage insofern nichts aus. Es werde auf die eidesstattliche Versicherung der Mutter des Klägers, S., verwiesen. Daraus ergebe sich, dass sie erst durch die Ärzte des Städtischen Klinikums H. von der Lähmung und der Erkrankung an Kinderlähmung erfahren habe. Sie habe auch das Zeitfenster von vier Tagen dort angegeben. Der damalige Hausarzt M. habe die Einweisung veranlasst. Es sei ein Fall unverschuldeter Beweisnot anzunehmen. Der Gesundheitszustand habe sich zudem weiter verschlechtert. Es sei ein u.a. PPS-Syndrom (Post-Polio-Syndrom) hinzugekommen. Ferner werden weitere Erkrankungen geschildert. Der Grad der Schädigungsfolge (GdS) sei mit 100 zu bewerten. Dem im Nachgang eingeholten weiteren Sachverständigengutachten von J. sei aus verschiedenen Gründen nicht zu folgen.
Der Senat hat zunächst weiteren Beweis erhoben durch Einholung einer ergänzenden Stellungnahme von C. vom 02.05.2016. Die Angaben der Mutter ließen sich nicht mehr nachprüfen; sie würden aber auch durch ihn nicht hinterfragt. Im Übrigen wiederholt und ergänzt der Sachverständige seine Ausführungen, auf deren Inhalt Bezug genommen wird.
Der Senat hat sodann in einem Termin zur Erörterung und Beweisaufnahme am 03.06.2016 den verstorbenen Kläger sowie den Sachverständigen C. angehört. Letzterer nahm im Rahmen des Termins die Impfnarbe in Augenschein. Auf die Sitzungsniederschrift wird Bezug genommen.
Weiteren Beweis hat der Senat im Nachgang durch Einholung eines neurologischen Sachverständigengutachtens von J. vom 28.04.2017 nach ambulanter Untersuchung erhoben. Im Vordergrund stehe die Folgen einer Poliomyelitis mit linksbetonten hochgradigen Paresen der Beine. Es bestünden keine Lähmungserscheinungen der oberen Extremitäten oder Spastiken. Es habe sich ein chronisches Schmerzsyndrom entwickelt; insgesamt sei von einem Post-Polio-Syndrom auszugehen. Es bestehe eine leichte Verschlechterung zum Vorgutachten; Stehen sei nicht mehr möglich und auch keine kurzfristigen Transfers mehr. Die Folgen der Poliomyelitis mit linksbetonten hochgradigen Paresen der Beine seien mit einem Einzel-GdB von 70 anzusetzen; insgesamt sei ein Gesamt-GdB von 100 unter Berücksichtigung der weiteren Leiden anzunehmen. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.
In einem weiteren Termin zur Erörterung und Beweisaufnahme am 23.02.2018 hat der Senat den historischen Sachverständigen V., A., gehört. Der Impfschein – so V. – sei nach dem Reichsimpfgesetz verpflichtend auszustellen gewesen. Der Impferfolg im Sinne einer Pustelbildung war festzustellen. Dies bedeutete aber nicht, dass keine Komplikationen aufgetreten sein könnten. Diese wurden nicht in den Impfscheinen vermerkt, sondern stattdessen an das zuständige Gesundheitsamt gemeldet. Im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.
V. hat sodann auf Beweisanordnung des Senates unter dem 05.10.2018 ein historisches Gutachten erstellt. Es könnten keine weiteren, auf den Kläger bezogenen Quellen gefunden werden. Er sei – wie üblich – eine Woche nach der Impfung nachuntersucht worden. Es spreche alles dafür, dass er im Rahmen einer Massenimpfung geimpft und in großer Gruppe dann eine Woche später nachuntersucht worden sei. Auf die weiteren Ausführungen wird Bezug genommen.
Der Senat hat dann weitere ergänzende Stellungnahmen der Sachverständigen C. vom 29.01., 30.08.2019, vom 20.02., 11.08.2020, vom 11.10.2021, vom 12.01., 28.06.2023 sowie vom 02.05. und 12.08.2024 und von J. vom 05.05., 15.09.2019, vom 05.11.2021 und vom 12.04.2023 eingeholt. Im weiteren Fortgang hat der Senat sodann in weiteren Terminen zur Erörterung und Beweisaufnahme am 31.01.2023 und 26.10.2024 den Sachverständigen C. angehört und den Zeugen P. vernommen. Auf die Unterlagen und Sitzungsniederschriften wird Bezug genommen. Ferner hat er Befundberichte der behandelnden Ärzte des Klägers beigezogen, den früheren gesetzlichen Krankenversicherer sowie das Landesarchiv Nordrhein-Westfalen, das Haus der Geschichte und das Stadtarchiv H. befragt. Der historische Sachverständige V. hat unter dem 06.05.2022 und 06.07.2023 nochmals ergänzend Stellung genommen. Auf die jeweiligen Ergebnisse und Stellungnahmen wird gleichfalls Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der Verwaltungsakte des Beklagten sowie der beigezogenen Schwerbehindertenakte, die jeweils Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Beklagten hat Erfolg.
A. Gegenstand der Berufung ist das Urteil des SG Duisburg vom 07.07.2015, welches den Bescheid des Beklagten vom 30.03.2010 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2011 aufgehoben und den Beklagten zur Entschädigung eines Impfschadens verurteilt hat. Dabei hat die Klägerin als Rechtsnachfolgerin ihr Begehren dahingehend klargestellt, dass sie die Anerkennung der Poliomyelitis und des Postpoliosyndroms als Schädigungsfolgen der am 11.09.1950 bei dem verstorbenen Kläger durchgeführten Pockenimpfung sowie die Gewährung einer Beschädigtenrente nach einem GdS von 100 v.H. ab Antragstellung wünscht.
B. Die schriftlich eingelegte Berufung des Beklagten vom 19.08.2015 gegen das ihm am 23.07.2015 zugestellte Urteil des SG Duisburg vom 07.07.2015 ist zulässig, insbesondere gemäß §§ 143, 144 SGG ohne gerichtliche Zulassung statthaft sowie auch im Weiteren form- und fristgerecht eingelegt worden (§ 151 Abs. 1, Abs. 3; § 64 Abs.1 bis 3; § 63 SGG).
C. Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die zulässige (dazu unter I.) Klage zu Unrecht für begründet erachtet (dazu unter II.).
I. Die Klage ist dabei zulässig. Für das auf Zuerkennung einer Beschädigtenrente und Anerkennung der o.g. Erkrankung als Impfschaden gerichtete Begehren der jetzigen Klägerin ist die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage gemäß §§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4, 55 Abs. 1 Nr. 1 und 3 SGG i.V.m. § 56 SGG statthaft (Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 18.11.2015, B 9 V 1/14 R, juris, Rn. 12; BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, BSGE 113, 205; Saarländisches LSG, Urteil vom 17.11.2021, L 5 VE 7/17, Rn. 189, juris; Senat, Urteil vom 08.11.2024, L 13 VJ 4/20), hinsichtlich der Beschädigtenrente gerichtet auf den Erlass eines Grundurteils i.S. des § 130 Abs. 1 SGG (BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 12; BSG, Urteil vom 24.11.2020, B 9 V 3/18 R, BSGE 131, 61, Rn. 10). Die Klage ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere fristgerecht am 30.11.2011 binnen eines Monats nach Bekanntgabe des Widerspruchsbescheides vom 10.11.2011 erhoben worden (§§ 87 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2; 90; 78 Abs. 1 Satz 1; 85 Abs. 3 Satz 1 SGG).
1. Dabei kann die jetzige Klägerin ihr Begehren als Sonderrechtsnachfolgerin des in der Nacht vom 00. auf den 00.00.0000 verstorbenen ursprünglichen Klägers nach § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) i.V.m. § 59 SGB I geltend machen.
Fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen stehen beim Tod des Berechtigten dem Ehegatten zu, wenn diese mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben oder von ihm wesentlich unterhalten worden sind, § 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB I. Bei der Klägerin handelt es sich um die Ehefrau des verstorbenen Klägers, die ausweislich des unwidersprochenen Vortrages und der vorgelegten Auskunft des Einwohnermeldeamtes bis zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt mit diesem gelebt hat. Daran bestehen für den Senat keine Zweifel. Die Rechtsnachfolge ist auch nicht nach § 59 SGB I ausgeschlossen, da die Klägerin hier letztlich Ansprüche auf laufende Geldleistungen begehrt, über die noch nicht bestandskräftig entschieden worden ist (vgl. dazu: Groth in: jurisPK-SGB I, 4. Aufl., § 59 Rn. 25). Dabei gelten als fällige, laufende Geldleistungen nicht nur die beantragte Beschädigtengrundrente (vgl. zu Rentenleistungen: Groth in: jurisPK-SGB I, 4. Aufl., § 56 Rn. 16; BSG, Urteil vom 02.10.2008, B 9 VH 1/07 R, Rn. 35, juris u.a. zu Beschädigtenrente nach einer MdE von 100 vH), sondern es wird auch die Feststellung der Schädigungsfolgen davon gedeckt (LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.10.2013, L 12 VS 4/09, juris, Rn. 26; nachgehend: BSG, Beschluss vom 26.05.2014, B 9 V 1/14 B, juris; so auch BSG, Urteil vom 16.03.2021, B 2 U 17/19 R, juris, Rn. 13f zur Feststellung der BK Nr. 4105; so auch Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen <LSG NRW>, Urteil vom 29.10.2024, L 15 U 403/20). Auch ein Verzicht i.S.d. § 57 SGB I wurde nicht erklärt.
2. Die Prozessfähigkeit nach § 71 SGG der schwer an Demenz erkrankten Klägerin bedarf keiner weiteren Prüfung, da sie ordnungsgemäß vertreten ist. Hat eine nicht prozessfähige Partei, die eine volljährige natürliche Person ist, wirksam eine andere natürliche Person schriftlich mit ihrer gerichtlichen Vertretung bevollmächtigt, so steht diese Person einem gesetzlichen Vertreter gleich, wenn die Bevollmächtigung geeignet ist, gemäß § 1896 Abs. 2 Satz 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) die Erforderlichkeit einer Betreuung entfallen zu lassen (§ 202 Satz 1 SGG i.V.m. § 51 Abs. 3 Zivilprozessordnung <ZPO>; LSG NRW, Beschluss vom 11.08.2021, L 12 SO 111/20, juris, Rn. 52). Vorliegend hat sich die Klägerin durch ihren Sohn ordnungsgemäß in dem vorliegenden Verfahren vertreten lassen. Er kann sich dafür auf eine bereits am 24.06.2015 zu seinen Gunsten notariell erstellte Generalvollmacht und vorsorgliche Betreuungsverfügung der Klägerin stützen, wobei das Verfahren von dem Vollmachtsumfang umfasst ist. Gegenteiliges ist weder ersichtlich noch vorgetragen. Insbesondere bestehen für den Senat keine Anhaltspunkte dahingehend, dass bereits im Zeitpunkt der Vollmachtserrichtung eine entsprechende Erkrankung bei der Klägerin vorlegen oder die Vollmacht zwischenzeitlich ihre Wirksamkeit verloren hat.
II. Die Klage ist unbegründet, denn der verstorbene Kläger und damit auch seine Sonderrechtsnachfolgerin, die jetzige Klägerin, sind durch die angefochtenen Bescheide nicht in ihren Rechten verletzt (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Es besteht kein Anspruch auf Gewährung einer Beschädigtenrente und Anerkennung der o.g. Erkrankungen als Impfschaden.
1. Unter Berücksichtigung, dass die jetzige Klägerin ihr Begehren im Rahmen der Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage verfolgt, ist der vorliegende Rechtsstreit grundsätzlich nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu beurteilen (BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris, Rn. 35, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12.01.2023, L 6 VG 1976/21, juris, Rn. 73, Söhngen in: jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 54 Rn. 51). Der Anwendung der mit Art. 60 Abs. 7 des Gesetzes zur Regelung des Sozialen Entschädigungsrechts vom 12.12.2019 (BGBI. 2019 I, 2652) zum 01.01.2024 in Kraft getretenen Regelungen des Sozialgesetzbuchs Vierzehntes Buch (SGB XIV) steht indes die dortige Übergangsregelung des § 142 Abs. 2 SGB XIV entgegen (vgl. SG Berlin, Urteil vom 27.05.2024, S 118 VG 54/19, Rn. 16, juris; für Impfschäden und § 141 SGB XIV: Bayerisches <Bay> LSG, Urteil vom 30.04.2024, L 15 VJ 2/23, juris, Rn. 51; Senat, Urteil vom 08.11.2024, L 13 VJ 4/20; Senat, Urteil vom 30.08.2024, L 13 VG 53/21, juris, Rn. 58; Senat, Urteil vom 30.08.2024, L 13 VG 11/23, juris, Rn. 49 zum OEG). Nach § 142 Abs. 2 Satz 1, 2 SGB XIV ist über einen bis zum 31.12.2023 gestellten und nicht bestandskräftig beschiedenen Antrag auf Leistungen nach dem BVG oder nach einem Gesetz, das das BVG ganz oder teilweise für anwendbar erklärt, nach dem im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Recht zu entscheiden. Wird hierbei ein Anspruch festgestellt, werden ebenfalls Leistungen nach Absatz 1 Satz 1 erbracht.
Der vorliegende Antrag auf Leistungen nach dem IfSG i.V.m. dem BVG datiert auf den 26.10.2009 und ist damit vor dem 01.01.2024 gestellt, ohne dass über ihn bereits eine bestandskräftige Entscheidung getroffen worden ist. Damit ist grundsätzlich das im Zeitpunkt der Antragstellung geltende Recht anwendbar. Ob in dieser Konstellation eine Ausübung des Wahlrechts nach §152 SGB XIV zu einem anderen Ergebnis führen könnte, kann der Senat offenlassen, denn jedenfalls fehlt es an einer entsprechenden Erklärung (vgl. § 153 SGB XIV).
2. Die Rechtsgrundlage bestimmt sich eingedenk dessen nach den Vorschriften des IfSG und des BVG in seiner bis zum 31.12.2023 geltenden Fassung, konkret anwendbar für die von der Klägerin begehrte Beschädigtenrente in Zusammenhang mit der begehrten Feststellung sind die §§ 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, 61 IfSG i.V.m. §§ 9 Abs. 1 Nr. 3, 31 Abs. 1 Satz 1 BVG.
Dem steht auch nicht entgegen, dass die streitbefangene Impfung bereits im Jahr 1950 stattgefunden hat und damit vor dem Inkrafttreten des IfSG sowie des Bundesseuchengesetzes (BSeuchG). Vielmehr beurteilt sich das Begehren nach dem IfSG, weil der Antrag auf Leistungsgewährung zu einem Zeitpunkt im Jahr 2009 gestellt worden ist, als das – das BSeuchG ohne Übergangsvorschrift ablösende (vgl. Art. 5 Abs. 1 Nr. 1 Gesetz zur Neuordnung seuchenrechtlicher Vorschriften vom 20.07.2000, BGBl. I, S. 1045) – IfSG (seit dem 01.01.2001) bereits in Kraft war (vgl. BSG, Urteil vom 20.07.2005, B 9a/9 VJ 2/04 R, juris; BayLSG, Urteil vom 02.07.2019, L 15 VJ 8/17, juris, Rn. 68; SG Landshut, Urteil vom 27.05.2019, S 15 VJ 6/17, juris, Rn. 35; SG Bayreuth, Urteil vom 15.09.2015, S 4 VJ 4/14, juris, Rn. 34). Der Wortlaut des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 ISfG („war“) zeigt zudem das auch frühere Impfungen erfasst sind.
Die Versorgung nach dem BVG umfasst u.a. nach § 9 Abs. 1 Nr. 3 BVG die Beschädigtenrente (§§ 29 ff BVG). Beschädigte erhalten gemäß § 31 Abs. 1 BVG eine monatliche Grundrente ab einem GdS von 30. Nach § 30 Abs. 1 Satz 1 BVG ist der GdS - bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Änderung des BVG und anderer Vorschriften des Sozialen Entschädigungsrechts vom 13.12.2007 (BGBl I S. 2904) am 21.12.2007 als Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) bezeichnet - nach den allgemeinen Auswirkungen der Funktionsbeeinträchtigungen, welche durch die als Schädigungsfolge anerkannten körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitsstörungen bedingt sind, in allen Lebensbereichen zu beurteilen. Der GdS ist nach Zehnergraden von 10 bis 100 zu bemessen; ein bis zu fünf Grad geringerer GdS wird vom höheren Zehnergrad mit umfasst (§ 30 Abs. 1 Satz 2 BVG). Liegt der GdS insofern unter 25 besteht kein Anspruch auf eine Rentenentschädigung (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.12.2014, L 6 VS 413/13, juris, Rn. 42; Dau in: Knickrehm, Gesamtes Soziales Entschädigungsrecht, 1. Auflage 2012, § 31 BVG, Rn. 2).
3. Die streitigen Bescheide sind formell und materiell rechtmäßig. So hat der örtlich und sachlich zuständige Beklagte (vgl. § 54 Satz 1 IfSG i.V.m. § 8 Abs. 1, 2 der Verordnung zur Regelung von Zuständigkeiten nach dem IfSG <ZVO-IfSG> in der Fassung vom 15.04.2020) den Anspruch der Klägerin für ihren verstorbenen Ehemann auf eine Beschädigtenrente wegen der geltend gemachten Schädigungsfolgen, die klägerischerseits auf die streitrelevante Impfung zurückführt werden, zu Recht verneint, denn die erforderlichen Anspruchsvoraussetzungen sind nicht erfüllt. Damit kommt auch eine Feststellung der Schädigungsfolge nicht in Betracht.
Nach § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IfSG gilt nämlich folgendes: Wer durch eine Schutzimpfung oder durch eine andere Maßnahme der spezifischen Prophylaxe, die gesetzlich vorgeschrieben war, eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält nach der Schutzimpfung wegen des Impfschadens im Sinne des § 2 Nr. 11 oder in dessen entsprechender Anwendung bei einer anderen Maßnahme wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen der Schädigung auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes, soweit dieses Gesetz nichts Abweichendes bestimmt.
Die Anerkennung als Impfschaden setzt dabei zunächst voraus, dass die allgemeinen Tatbestandsmerkmale des § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 IfSG gegeben sind, die im Wesentlichen aus drei Gliedern bestehen. Ein schädigender Vorgang in Form einer "Schutzimpfung oder einer anderen Maßnahme der spezifischen Prophylaxe", der die Voraussetzungen des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG erfüllt, muss zu einer "gesundheitlichen Schädigung", also einem Primärschaden in Form einer Impfkomplikation geführt haben, die wiederum den "Impfschaden", d.h. die dauerhafte gesundheitliche Schädigung, also den Folgeschaden bedingt (BayLSG, Urteil vom 02.05.2023, L 15 VJ 5/19, juris, Rn. 77ff.). Diese drei Glieder der Kausalkette müssen im Vollbeweis nachgewiesen sein (BSG, Urteil vom 15.12.1999, B 9 VS 2/98 R, juris; BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris; BSG, Beschluss vom 29.01.2018, B 9 V 39/17 B, juris, Rn. 7; BSG, Beschluss vom 02.02.2024, B 9 V 10/23 B, juris, Rn. 9, 11; BayLSG, Urteil vom 02.05.2023, a.a.O., Rn. 78; Hessisches LSG, Urteil vom 26.06.2014, L 1 VE 12/09, juris; Senat, Urteil vom 01.07.2016, L 13 VJ 19/15, juris; Senat, Urteil vom 15.01.2016, L 13 VJ 27/13, juris).
Zwischen den jeweiligen Anspruchsmerkmalen muss ein Ursachenzusammenhang bestehen. Maßstab dafür ist die im sozialen Entschädigungsrecht allgemein geltende Kausalitätstheorie von der wesentlichen Bedingung. Danach ist aus der Fülle aller Ursachen im naturwissenschaftlich-philosophischen Sinne diejenige Ursache rechtlich erheblich, die bei wertender Betrachtung wegen ihrer besonderen Beziehung zu dem Erfolg bei dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt hat. Als wesentlich sind diejenigen Ursachen anzusehen, die unter Abwägen ihres verschiedenen Wertes zu dem Erfolg in besonders enger Beziehung stehen, wobei Alleinursächlichkeit nicht erforderlich ist (BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris, Rn. 36 ff.; Senat, Urteil vom 15.01.2016, L 13 VJ 27/13, juris, Rn. 24).
Alle medizinischen Fragen, insbesondere zur Kausalität von Gesundheitsstörungen, sind auf der Grundlage des im Entscheidungszeitpunkt neuesten medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstandes zu beantworten (BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 42).
Hinsichtlich der entscheidungserheblichen Tatsachen kennt das IfSG mithin drei Beweismaßstäbe. Grundsätzlich bedürfen – wie gesehen – die drei Glieder der Kausalkette (Impfung, Impfkomplikation und Impfschaden) des Vollbeweises, wobei nach § 61 Satz 1 bis 3 IfSG für die Anerkennung eines Gesundheitsschadens als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG i.V.m. § 1 Abs. 3 BVG die Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhangs genügt (vgl. BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 3/12 R, juris, Rn. 33ff). Wenn diese Wahrscheinlichkeit nur deshalb nicht gegeben ist, weil über die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft Ungewissheit besteht, kann mit Zustimmung der für die Kriegsopferversorgung zuständigen obersten Landesbehörde der Gesundheitsschaden als Folge einer Schädigung im Sinne des § 60 Abs. 1 Satz 1 IfSG anerkannt werden. Die Zustimmung kann allgemein erteilt werden, vgl. § 61 Satz 2, 3 IfSG. Nach Maßgabe des § 15 Satz 1 KOVVfG, der gemäß § 64 Satz 2 IfSG anzuwenden ist, sind der Entscheidung hinsichtlich des schädigenden Vorgangs die Angaben des Antragstellers, die sich auf die mit der Schädigung im Zusammenhang stehenden Tatsachen beziehen, zugrunde zu legen, wenn Unterlagen nicht vorhanden oder nicht zu beschaffen oder ohne Verschulden des Antragstellers oder seiner Hinterbliebenen verlorengegangen sind und wenn die Angaben des Antragstellers nach den Umständen des Falles glaubhaft erscheinen (vgl. dazu: BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 25).
Für den Vollbeweis muss sich das Gericht dabei die volle Überzeugung vom Vorhandensein oder Nichtvorhandensein einer Tatsache verschaffen. Eine Tatsache ist bewiesen, wenn sie in so hohem Grade wahrscheinlich ist, dass alle Umstände des Falles nach vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens und nach der allgemeinen Lebenserfahrung geeignet sind, die volle richterliche Überzeugung zu begründen (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4; BSG, Urteil vom 05.05.2009, B 13 R 55/08 R, BSGE 103, 99; BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 26 m.w.N.; BayLSG, Urteil vom 02.05.2023, a.a.O., Rn. 77f.)
Eine Wahrscheinlichkeit i.S. des § 1 Abs. 3 Satz 1 BVG ist dann gegeben, wenn nach der geltenden wissenschaftlichen Lehrmeinung mehr für als gegen einen ursächlichen Zusammenhang spricht (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 S 14 m.w.N.; BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 27). Diese Definition ist der Fragestellung nach dem wesentlichen ursächlichen Zusammenhang angepasst, die nur entweder mit ja oder mit nein beantwortet werden kann. Es muss sich unter Würdigung des Beweisergebnisses ein solcher Grad von Wahrscheinlichkeit ergeben, dass ernste Zweifel hinsichtlich einer anderen Möglichkeit ausscheiden. Für die Wahrscheinlichkeit ist ein "deutliches" Übergewicht für eine der Möglichkeiten erforderlich. Sie entfällt grundsätzlich, wenn eine andere Möglichkeit ebenfalls ernstlich in Betracht kommt (BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, BSGE 113, 205, Rn. 34 und B 9 V 3/12 R, juris, Rn. 35; BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 27).
Bei dem "Glaubhafterscheinen" i.S. des § 15 Satz 1 KOVVfG handelt es sich um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts. Glaubhaftmachung bedeutet das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteile vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, BSGE 113, 205, Rn. 35 und B 9 V 3/12 R, juris, Rn. 36), d.h. der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen hat, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben können (BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 S 14). Dieser Beweismaßstab ist durch seine Relativität gekennzeichnet. Es muss nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reicht die gute Möglichkeit aus, d.h. es genügt, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten ist (BSG Urteile vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, BSGE 113, 205, Rn. 35), weil nach der Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spricht. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten muss einer den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reicht die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht ist allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansieht (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG; vgl. BSG, Urteile vom 17.04.2013, B 9 V 1/12 R, BSGE 113, 205, Rn. 35 35 und B 9 V 3/12 R, juris, Rn. 36; BSG, Beschluss vom 08.08.2001, B 9 V 23/01 B, SozR 3-3900 § 15 Nr. 4 S 14; BSG, Urteil vom 15.12.2016, B 9 V 3/15 R, BSGE 122, 218, Rn. 28).
Ausgehend von diesen Grundsätzen steht im vorliegenden Fall die Impfung als erstes Glied der Kausalkette fest <dazu a)>. Ferner lag bei dem verstorbenen Kläger unzweifelhaft eine Gesundheitsstörung vor; die Frage, ob es sich dabei um einen Impfschaden handelt, kann der Senat allerdings offen lassen <dazu b)>. Denn nicht im Vollbeweis feststellbar ist das zweite Glied der Kausalkette, mithin der Eintritt einer Impfkomplikation bei dem verstorbenen Ehemann der Klägerin nach der Impfung am 11.09.1950 <dazu c)>.
a) Zunächst steht im Vollbeweis fest, dass der zwischenzeitlich verstorbene Ehemann der Klägerin am 11.09.1950 eine Pockenimpfung in den rechten Oberarm erhalten hat.
aa) Dies folgt zum einem aus dem vorgelegten Impfschein des verstorbenen Klägers vom 11.09.1950. Zum anderen hat der Sachverständige C. im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes am 03.06.2016 die Impfnarbe in Augenschein genommen und entsprechend festgestellt. Dies wird von dem Beklagten auch nicht in Zweifel gezogen.
Hinsichtlich des verwandten Impfstoffes steht fest, dass es sich gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 der Verordnung zur Ausführung des Impfgesetzes vom 22.01.1940 um Tierlymphe gehandelt hat. Der Impfstoff wurde aus staatlichen Impfanstalten bezogen (§ 1 Abs. 1 Satz 2 der Verordnung). Eine nähere Konkretisierung der Herstellung folgte in der Anlage 7 des Runderlasses des Reichsministeriums des Inneren (<RMdI> veröffentlicht in Gutachten des Bundesgesundheitsamtes über die Durchführung des Impfgesetzes, 1959, S. 155, 157). Der Sachverständige C. hat diesbezüglich zudem erläutert, dass ein Lebendimpfstoff verwendet worden ist; das sog. Vaccina-Virus (Kuhpocken). Dieser Impfstoff ist bis zu gesetzlichen Abschaffung generell verimpft worden.
bb) Die Impfung war auch im Impfzeitpunkt gesetzlich vorgeschrieben. Dies folgt aus § 1 Nr. 1 Reichs-Impfgesetz vom 08.04.1874, der eine Pflichtimpfung gegen Pocken vorsah (<RIG>RGBl. S. 31; BSeuchG trat erst 1961 in Kraft; zur Fortgeltung des RIG: Bundesgerichtshof <BGH>, Gutachten vom 25.01.1952, VRG 5/51, BGHSt 4, 375; zur Verfassungsgemäßheit auch im Rahmen des Grundgesetzes: vgl. Bundesverwaltungsgericht <BVerwG>, Urteil vom 14.07.1959, IC 170.56, Rn 19, NJW 1959, 2325; zum Entschädigungsanspruch: BGH, Urteil vom 19.02.1953, III ZR 208/51, juris; SG Bayreuth, Urteil vom 15.09.2015, S 4 VJ 4/14 juris, Rn. 32).
cc) Die Impfung fand auch im maßgeblichen Zuständigkeitsbereich, nämlich im Impfbezirk H., statt, wie sich aus dem Impfschein ergibt.
b) Ferner steht zur Überzeugung des Senates fest, dass der verstorbene Ehemann der Klägerin unstreitig an einer Dauererkrankung in Form der Folgen einer durch das Poliovirus ausgelösten paralytischen Poliomyelitis und nachfolgend an einem Post-Polio-Syndrom gelitten hat. Dies kann den vorliegenden medizinischen Befundunterlagen (vgl. Befundberichte E. vom 06.03.2021 und O. vom 17.05.2021) sowie den Sachverständigengutachten, insbesondere von dem Arzt für Nervenheilkunde J. vom 22.05.2009 und vom 28.04.2017, sowie dem Verwaltungsgutachten von G. vom 07.11.2013, entnommen werden und ist zwischen den Beteiligten auch nicht streitig.
aa) Die Annahme, dass der verstorbene Kläger an einer sog. Provokations- Poliomyelitis erkrankte, trägt hingegen nicht. Zum einen können – wie nachfolgend aufgezeigt wird – keine Symptome der Polioerkrankung im zeitlichen Umfeld der Impfung positiv festgestellt werden. Der Beginn der Erkrankung ist insofern nicht nachvollziehbar. Der Sachverständige C. unterstellt diesen vielmehr für seine Überlegungen als wahr; dem folgt der Senat nicht. Zum andern fehlt es an einem wissenschaftlichen Nachweis der Provokations-Poliomyelitis im Zusammenhang mit Pockenimpfungen. Der Sachverständige C. sieht die Pockenimpfung nicht als eigentlichen Auslöser der Poliomyelitis an, sondern räumt stattdessen die Möglichkeit eines schwerwiegenden Verlaufs dieser Erkrankung durch die vorherige intrakutane Skarifikation ein. Er halte den Einfluss der hier angewandten Impftechnik für plausibel. Allerdings verweist auch er darauf, dass es Nachweise nur für intramuskuläre Injektionen gebe, nicht aber für die hier angewandte Skarifikation, aber aufgrund ihrer Invasivität halte er dies für gleichfalls nachvollziehbar. Schließlich sei das Risiko umso höher je immunogener die injizierte Substanz sei. Richtig sei aber, dass es zu diesen Aspekten keine Untersuchungen speziell für Pocken gebe (vgl. dazu C. in: Sachverständigengutachten vom 04.07.2013 sowie ergänzende Stellungnahmen vom 16.06.2014, vom 05.02.2015 und vom 11.08.2020). Eingedenk dessen handelt es sich bei den Ausführungen des Sachverständigen letztlich um Thesen, die indes nicht nachgewiesen sind, worauf er selbst verweist. Diese Sichtweise bestätigen auch die Ausführungen der durch den Beklagten hinzugezogenen Gutachter X. und G. (Stellungnahmen vom 08.09.2017 und 06.04.2020), die gleichfalls darauf verweisen, dass sich die Erkenntnislage auf intramuskuläre Impfungen beziehe und dort im Übrigen die Lähmungen regelhaft an der geimpften Extremität aufgetreten seien, was hier gleichfalls nicht der Fall gewesen ist.
bb) Auch eine postvakzinale Encephalitis ist bei dem Kläger letztlich unstreitig nicht diagnostiziert worden, wie der Sachverständige C. in seiner Stellungnahme vom 11.08.2020 bestätigt.
c) Eine bei dem verstorbenen Kläger entstandene Impfkomplikation im Sinne des zweiten Gliedes der Kausalkette steht zur Überzeugung des Senates hingegen nicht fest. Der Vollbeweis ist letztlich nicht erbracht, obgleich der Senat unterstellt, dass alle Auskunftspersonen zu den entsprechenden Zeitpunkten ihrer Auskunft sich nach bestem Wissen und Gewissen bemüht haben, das von ihnen nach so langer Zeit noch Erinnerte wahrhaftig zu bekunden. Dennoch können die bestehenden Diskrepanzen insbesondere mit dem vorliegenden Impfschein als öffentlicher Urkunde nicht weiter aufgelöst werden.
Es müssen insofern sowohl der Eintritt einer über eine übliche Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung, also eine Impfkomplikation, sowie zudem und in Abgrenzung eine - dauerhafte - gesundheitliche Schädigung, also ein Impfschaden, vorliegen (BSG Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris, Rn. 36, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 13.12.2012, L 6 VJ 1702/12, juris, Rn. 26; zur abweichenden Terminologie in der Rechtsprechung des BSG nach dem BSeuchG, wonach als Impfschaden die über die übliche Impfreaktion hinausgehende Schädigung, also das zweite Glied der Kausalkette, bezeichnet wurde: BSG, Urteile vom 19.03.1986, 9a RVi 2/84 und 9a RVi 4/84, jeweils juris; Saarländisches LSG, Urteil vom 17.11.2021, L 5 VE 7/17, juris, Rn. 204ff.). Die Feststellung einer Impfkomplikation im Sinne einer impfbedingten Primärschädigung hat mithin grundsätzlich in zwei Schritten zu erfolgen: Zunächst muss ein nach der Impfung aufgetretenes Krankheitsgeschehen als erwiesen erachtet werden. Sodann ist die Beurteilung erforderlich, dass diese Erscheinungen mit Wahrscheinlichkeit auf die betreffende Impfung zurückzuführen sind (BSG Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris Rn. 38).
aa) Dabei ist die Feststellung einer Impfkomplikation – auch entgegen der geäußerten – medizinischen – Ansicht des Sachverständigen C. – weiterhin als juristische Voraussetzung des vorliegenden Anspruchs erforderlich (a.A. noch BayLSG, Urteil vom 28.07.2011, L 15 VJ 8/09, juris; BayLSG, Urteil vom 31.07.2012, L 15 VJ 9/09, juris, Rn. 36 m.w.N). Die Annahme einer dergestaltigen Erleichterung des Zugangs zu Sozialen Entschädigungsleistungen für Impfschäden entspricht nicht der gesetzlichen Systematik des Sozialen Entschädigungsrechts. Der Gesetzgeber ist einem solchen Ansinnen auch weiterhin nicht gefolgt und hat bei der Fassung des ab 01.01.2024 geltenden § 24 SGB XIV an der bisherigen eingrenzenden Systematik (sowie auch an den Begrifflichkeiten des IfSG) ohne inhaltliche Änderung festgehalten und sie in das neue Soziale Entschädigungsrecht übertragen (Karl in: Schmidt, SGB XIV, § 24 Rn. 64 ff., 70). Das Vorliegen der Primärschädigung muss demnach – weiterhin – positiv im Vollbeweis festgestellt werden (vgl. Karl a.a.O., Rn. 70, m.w.N.; BayLSG, Urteil vom 02.05.2023, L 15 VJ 5/19, juris, Rn. 87; insgesamt: BSG, Beschluss vom 29.01.2018, B 9 V 39/17 B, juris; BSG, Beschluss vom 18.06.2018, B 9 V 1/18 B, juris, BSG, Beschluss vom 02.02.2024, B 9 V 10/23 B, juris, Rn. 9, 11; Hessisches LSG, Urteil vom 26.06.2014, L 1 VE 12/09, juris; Senat, Urteil vom 01.07.2016, L 13 VJ 19/15, juris; Senat, Urteil vom 08.11.2024, L 13 VJ 4/20).
bb) Der in § 2 Nr. 11 IfSG verwandte Begriff der "gesundheitlichen Schädigung" bezieht sich auf den Erstschaden (Primärschaden), also denjenigen Schaden, der sich als direkte Folge aus der Impfung (oder Maßnahme der spezifischen Prophylaxe) ergibt. Im Sinne des Gesetzes ist nach § 2 Nr. 11 IfSG ein Impfschaden die gesundheitliche und wirtschaftliche Folge einer über das übliche Ausmaß einer Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung durch die Schutzimpfung; ein Impfschaden liegt auch vor, wenn mit vermehrungsfähigen Erregern geimpft wurde und eine andere als die geimpfte Person geschädigt wurde.
(1) Die Definition des § 2 Nr. 11 IfSG stellt insofern klar, dass nicht jede das Wohlbefinden beeinträchtigende Reaktion auf eine Impfung oder Prophylaxe-Maßnahme in den Schutzbereich des Versorgungsrechts einbezogen ist, sondern nur über das übliche Ausmaß einer Folgereaktion hinausgehende Schäden berücksichtigt werden. Von der gesundheitlichen Schädigung ist damit die bloße Impfreaktion abzugrenzen (Meßling in: Soziales Entschädigungsrecht, Kommentar, 1. Aufl. 2012, § 60 IfSG, Rn. 62).
Die früheren detaillierten Angaben zu Impfkomplikationen (damals noch als "Impfschaden" bezeichnet) bei Schutzimpfungen in Nr. 57 der Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit im sozialen Entschädigungsrecht und nach dem Schwerbehindertenrecht (AHP) in den Jahren 1983 bis 2005, die als antizipierte Sachverständigengutachten angesehen wurden, sind allerdings seit Ende 2006 aufgrund eines Beschlusses des Ärztlichen Sachverständigenbeirats "Versorgungsmedizin" beim Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) nicht mehr gültig (Rundschreiben des BMAS vom 12.12.2006 – IV.c.6-48064-3; vgl. auch Nr. 57 AHP). Die seit dem 01.01.2009 an die Stelle der AHP getretene Versorgungsmedizinverordnung und deren Anlage 2 (<VersMedV> und Versorgungsmedizinische Grundsätze <VMG>) enthalten keine detaillierten Angaben mehr zu Impfkomplikationen. Im Zusammenhang mit der Streichung der betreffenden Teile der AHP wurde darauf hingewiesen, dass die beim RKI eingerichtete STIKO nun Kriterien zur Abgrenzung einer üblichen Impfreaktion und einer über das übliche Ausmaß der Impfreaktion hinausgehenden gesundheitlichen Schädigung (Impfschaden) entwickelt. Die Arbeitsergebnisse der STIKO werden im Epidemiologischen Bulletin (EB) veröffentlicht und stellen den jeweiligen aktuellen Stand der Wissenschaft dar (vgl. zum Ganzen: BSG, Urteil vom 07.04.2011, B 9 VJ 1/10 R, juris, Rn 39 ff.; Senat, Urteil vom 15.01.2016, L 13 VJ 27/13, juris, Rn. 25; SG Bayreuth, Urteil vom 15.09.2015, S 4 VJ 4/14, juris, Rn. 37). Vorliegend ist zur Abgrenzung zwischen einer üblichen Impfreaktion und dem Verdacht auf eine mögliche Impfkomplikation auf das EB Nr. 4/2024, S. 40f der STIKO nach § 20 Abs. 2 IfSG (bzw. EB 4/2025, S. 43) zurückzugreifen. Dort hat die STIKO die folgenden Kriterien für übliche, nicht meldepflichtige Impfreaktionen entwickelt:
- für die Dauer von 1 – 3 Tagen (gelegentlich länger) anhaltende Rötung, Schwellung oder Schmerzhaftigkeit an der Injektionsstelle;
- für die Dauer von 1 – 3 Tagen Fieber < 39,5° C (bei rektaler Messung), Kopf- und Gliederschmerzen, Mattigkeit, Unwohlsein, Übelkeit, Unruhe, Schwellung der regionären Lymphknoten;
- im Sinne einer „Impfkrankheit“ zu deutende Symptome 1 – 3 Wochen nach der Verabreichung von attentuierten Lebendimpfstoffen: z. B. eine leichte Parotisschwellung, kurzzeitige Arthralgien oder ein flüchtiges Exanthem nach der MMR- oder Varizellen-Impfung oder milde gastrointestinale Beschwerden, z. B. nach der oralen Rotavirus- oder Typhus-Impfung;
- Ausgenommen von der Meldepflicht sind auch Krankheitserscheinungen, denen offensichtlich eine andere Ursache als die Impfung zugrunde liegt.
Zuvor wiesen die AHP in Nr. 57 für die Pockenschutzimpfung bereits – lediglich ergänzend – folgendes aus:
57 Schutzimpfungen im Einzelnen
1. Pocken-Schutzimpfung
Übliche Impfreaktionen:
Nach der Erstimpfung:
Lokal am 3. bis 4. Tag Papelbildung, anschließend Bläschen- und Pustelbildung mit rotem Hof (Area). Höhepunkt der Reaktion um den 10. Tag, danach allmähliche Verschorfung. Abfall des Impfschorfes 3 bis 4 Wochen nach der Impfung. Stets Narbenbildung.
Impffieber, das einige Tage anhalten kann, meist zwischen dem 7. und 11. Tag, aber auch schon ab 4. Tag. Virämie zwischen dem 4. und 10. Tag. Meist Schwellung der regionären Lymphknoten. Seltener Erbrechen und Durchfälle. Bei fehlender Pustelbildung entsteht nur in seltenen Fällen eine Pockenimmunität, die dann nur durch Feststellung von Vaccinia-Antikörpern nachzuweisen ist.
(2) Unter Einbezug dieser Grundsätze fehlt es bei dem verstorbenen Kläger bereits an einem nach der Impfung aufgetretenen Krankheitsgeschehen, welches als erwiesen anzusehen ist.
(a) Zunächst sind die im Rahmen des Verfahrens vorgetragenen Symptome, die in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang nach der Impfung bei dem verstorbenen Kläger aufgetreten sein sollen, zur Überzeugung des Senates nicht im Vollbeweis feststellbar.
Geschildet wurde durch die Eltern des verstorbenen Klägers, dass dieser bereits zum Impftermin stark erkältet gewesen sei. Etwa vier Tage nach der Impfung habe er ca. 40°C hohes Fieber, nach der Schilderung der Mutter sogar weit über 40°C Fieber entwickelt. Weiterhin schilderte sie, dass er fürchterlich gekrampft habe. Der Hinweis auf Krampfanfälle findet sich in der Erklärung des Vaters nicht. Übereinstimmend wird dann erläutert, dass der damalige Hausarzt der Familie, M., den knapp „Zitat wurde entfernt“ Monate alten früheren Kläger in das Städtische Klinikum H. eingewiesen habe. Dort hätten die Eltern erfahren, dass er gelähmt sei. Die Mutter konkretisierte dies dahingehend, dass die Lähmung zunächst von den Brustwarzen an abwärts bestanden habe, dann eine Besserung eingetreten sei, die Beine aber gelähmt blieben. Man habe im Krankenhaus darauf hingewiesen, dass es sich um einen Impfschaden handele. Diese Ansicht habe auch der spätere Hausarzt – nun Z. – vertreten.
(aa) Diese Schilderung beruht allein auf einem schriftlichen Kurzbericht vom 04.09.2004 des am 00.00.0000 verstorbenen Vaters und einer eidesstattlichen Versicherung vom 27.08.2012 der am 00.00.0000 verstorbenen Mutter. Diesbezüglich verweist der Senat zunächst darauf, dass § 118 Abs. 1 Satz 1 SGG in seinem Geltungsbereich für das sozialgerichtliche Verfahren den Grundsatz des Strengbeweises anordnet (Kühl in: Fichte/Jüttner, SGG, 3. Auflage, § 118 Rn. 2).
(aaa) Die Tatsache, dass sich aus dem Impfschein keine Impfnebenwirkungen bzw. Impfkomplikationen ergeben, ist zunächst nicht aussagekräftig. Die Dokumentation von Impfnebenwirkungen ist nicht Sinn und Zweck des Impfscheins gewesen, wie auch V. bestätigt hat (vgl. Termin zur Erörterung des Sachverhaltes und der Beweisaufnahme vom 23.02.2018). Stattdessen folgt aus § 7 d) der Verordnung zur Ausführung des Impfgesetzes vom 22.1.1940 das Störungen des Impfverlaufs an das Gesundheitsamt zu melden waren.
Es können jedoch auch keine objektiven – insbesondere ärztlichen – Befunde mehr beigebracht werden, die obige Sachverhaltsschilderung bestätigen. Weder sind Krankenhaus- noch ambulante ärztliche Unterlagen noch solche des Krankenversicherers oder des zuständigen Gesundheitsamtes beizubringen. Auch der im Verfahren angesprochene Einstellungsbescheid des Bußgeldverfahrens bzgl. des Sohnes F. konnte nicht vorgelegt werden. Zudem waren auch für den historischen Sachverständige V. in den einschlägigen Archiven keine konkreten Unterlagen mehr auffindbar.
Der Senat hat zwar den 0000 geborenen Bruder des verstorbenen Klägers, Herrn P., gehört. Dieser konnte allerdings aufgrund seines Geburtsjahres den Sachverhalt nur vom Hörensagen schildern. Zudem findet sich in seiner Aussage eine zeitliche Diskrepanz, da er den Beginn der Symptome nicht auf vier Tage, sondern auf zwei bis drei Tage nach der Impfung datiert.
(bbb) Eine Beweiserleichterung nach § 15 Satz 1 KOVVfG, der gemäß § 64 Satz 2 IfSG anwendbar ist, kommt nicht in Betracht. Die Anwendbarkeit der Norm erfordert, dass der verstorbene Kläger Angaben aus eigenem Wissen hätte machen können (BSG, Urteil vom 28.06.2000, B 9 VG 3/99 R, juris, Rn.12). Dies ist ihm, wie er auch im Termin zur Erörterung am 31.01.2023 bestätigt hat, nicht möglich gewesen. Er hat nur Erzählungen seiner Eltern mitteilen können (dazu sogleich).
(bb) Die elterliche Sachverhaltsschilderung ist nicht mit dem vorgelegten Impfschein und den nachvollziehbaren medizin-historischen Ausführungen des Sachverständigen V. in Einklang zu bringen.
(aaa) Ausweislich des Impfscheins wurde der am 00.00.0000 geborene, zwischenzeitlich verstorbene Kläger unter der Nr. „Zitat wurde entfernt“ der Impfliste am 11.09.1950 im Impfbezirk H. erstmalig gegen Pocken geimpft. Die Ausstellung des Impfscheins datiert auf den 18.09.1950, dem sog. Nachschautermin.
Nach der schlüssigen Darstellung des Sachverständigen V. ist die streitgegenständliche Impfung im Rahmen eines öffentlichen Impftermins durchgeführt worden. Dafür spricht, dass die Eltern des verstorbenen Klägers auch nach seinen Angaben zu der damaligen Zeit über wenige finanzielle Mittel verfügt haben. Öffentliche Impfungen waren indes damals nach V. kostenlos. Zudem hat der verstorbene Kläger im Rahmen seines Antrages vom 26.10.2009 die Erinnerung seiner Mutter an ein Gebäude der Stadt H. geschildert, in dem die Impfung stattgefunden habe. Im Rahmen dieser Impftermine wurde in großer Gruppe geimpft, ca. 50 bis 60 Impflinge pro Stunde. Ca. nach einer Woche – so V. – ist es dann zu einer Nachuntersuchung gekommen. Erforderlich war diese sog. Nachschau nach § 5 RIG i.V.m. § 7 b) der o.g. Verordnung zwischen dem 6. und 8. Tag nach der Impfung. Im Rahmen dieser Nachschau wurde am11.09.1950 bei dem verstorbenen Kläger der Impferfolg und damit die Pustelbildung an der Impfstelle bestätigt, wie sich aus den Erläuterungen des V. im Rahmen des Termins zur Erörterung des Sachverhaltes und der Beweisaufnahme vom 23.02.2018 ergibt (vgl. dazu auch Jacobi/Guttstadt, Das Reichs-Impf-Gesetz, 2. Auflage, 1876, S. 27). Diese Prüfung und Bestätigung des Impferfolgs nahm der Impfarzt in den entsprechenden öffentlichen Räumlichkeiten vor. So heißt es in dem durch den verstorbenen Kläger vorgelegten – undatierten – Merkblatt in § 8, dass bei der bereits im Impftermin anberaumten Nachschau der Impfling erneut vorzustellen ist. Dies bestätigt sich auch in der Anlage 3 der Richtlinien für Abhaltung von Impf- und Nachschauterminen des Runderlasses des RMdI zur Durchführung des Impfgesetzes vom 19.04.1940 (RMBliV S. 835 <abgedruckt in Gutachten des Bundesgesundheitsamtes über die Durchführung des Impfgesetzes, 1959>). Nach der dortigen Ziff. 4 haben alle am Impf- und Nachschautermin Beteiligten den Anordnungen des Impfarztes Folge zu leisten. Die Bereitstellung der Räumlichkeiten folgt aus Ziff. 3. Nach Ziff. 10 ist im Impftermin allen Beteiligten der Nachschautermin bekanntzugeben. Nach Ziff. 12 hat der Arzt bei dem Impfling frühestens am 6., spätestens am 8. Tag nach der Impfung den Impferfolg festzustellen und einen Impfschein auszustellen. Die Erstimpfung galt dabei als erfolgreich, wenn sich mindestens eine Pustel regelrecht entwickelt hat und nach Ziff. 13 wurden die Impfscheine letztlich im Nachschautermin ausgestellt.
(bbb) Mit dem oben erläuterten zweistufigen Ablaufs des damaligen öffentlichen Impfprocederes ist die Darstellung der bei dem verstorbenen Kläger aufgetretenen Symptomatik durch die Eltern für den Senat nicht in Einklang zu bringen.
Danach ist der Kläger nachweislich am Montag, den 11.09.1950 geimpft worden. Vier Tage später und damit am Freitag, den 15.09.1950 habe der knapp „Zitat wurde entfernt“ Monate alte Impfling sodann 40°C Fieber (mindestens, ggf. auch höheres Fieber) entwickelt und nach der Schilderung der Mutter schwer gekrampft. Er sei durch den Hausarzt in das Krankenhaus eingewiesen worden, wo man eine Lähmung von der Brust an abwärts festgestellt habe. Demgegenüber ist er – wiederrum nachweislich – am Montag, dem 18.09.1950 in einem öffentlichen Gebäude und damit außerhalb der Klinik dem Impfarzt zur Nachschau vorgestellt worden. Für den Senat ist eingedenk der geschilderten schweren Krankheitssymptomatik und des gleichzeitig starren öffentlichen Impfprozesses nicht erklärlich, inwieweit ein noch am Freitag zuvor schwer erkranktes Kind am darauffolgenden Montag entweder so kurzfristig genesen ist, dass es wieder aus der Klinik entlassen werden konnte oder in noch erkranktem Zustand außerhalb der Klinik dem Impfarzt vorgeführt worden ist. Beide in Betracht kommenden Sachverhaltsvarianten sind aus Sicht des Senates lebensfremd und werden so auch klägerischerseits nicht vorgetragen.
Ein weiterer Geschehensablauf ergibt sich weder in zeitlicher noch in örtlicher Hinsicht aus den vorliegenden Unterlagen oder dem Sachvortrag. Insbesondere sind keine Hinweise ersichtlich, dass entweder der öffentlich bestellte Impfarzt zu dem Impfling in die Klinik gekommen ist oder statt seiner ein Krankenhausarzt den Impferfolg bestätigt hat. Für eine solche Abweichung vom Procedere geben auch die gesetzlichen Regelungen keinen Anhalt. Auch ist weder dem Vortrag noch der Aktenlage zu entnehmen, dass die Symptomatik ggf. erst nach dem Termin zur Nachschau und wenn ja, wann eingesetzt hat. Weitere Ermittlungsmöglichkeiten stehen dem Senat hier jedoch nicht zur Verfügung.
(ccc) Eine Beweislastumkehr oder ein Beweisnotstand sind zugunsten der Klägerseite nicht anzunehmen, auch nicht aufgrund der Tatsache, dass die Eltern des verstorbenen Klägers bei Antragstellung noch vernehmbar gewesen wären. Zum einen ist zu berücksichtigen, dass ausweislich der Angaben im Antrag gegenüber dem Beklagten der Vater bereits zum damaligen Zeitpunkt dement gewesen ist, so dass fraglich ist, ob eine Befragung hätte durchgeführt werden können. Die Vernehmung der Mutter wäre bis zum Beginn des Berufungsverfahrens noch möglich gewesen. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass der Kläger seinen Antrag erst am 22.05.2009 bei dem Beklagten gestellt hat. Die mögliche Zeugin war damit zum denkbaren Befragungszeitpunkt bereits hochbetagt und das streitige Ereignis lag bereits mehr als 60 Jahre – so zur Zeit des erstinstanzlichen Verfahrens – zurück. Der Zeitablauf beeinträchtigt die Beweismöglichkeiten; hieraus kann sich jedoch im Grundsatz keine Beweiserleichterung ergeben (BSG, Urteil vom 13.12.1994, 9/9a RV 9/92, SozR 3-3100 § 5 Nr. 2, SozR 3-3900 § 15 Nr. 1, Rn. 14; LSG Hamburg, Urteil vom 29.11.2022, L 3 VE 8/20, juris, Rn. 42; BayLSG, Urteil vom 02.05.2023, L 15 VJ 5/19, juris, Rn. 103). Die Verstärkung der Beweisnot geht zudem jedenfalls dann zu Lasten des Antragstellers, wenn kein Grund bestand, den Antrag nicht in einer Zeit zu stellen, als noch bessere Beweismöglichkeiten bestanden haben (BSG, Urteil vom 13.12.1994, 9/9a RV 9/92, SozR 3-3100 § 5 Nr. 2, SozR 3-3900 § 15 Nr. 1, Rn. 14; LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 24.08.2023, L 10 VE 31/19, juris, Rn. 41). Die späte Antragstellung geschah hier ohne Not. So wurde vorgetragen, dass bereits zeitnah zur Impfung durch Ärzte der Verdacht eines Impfschadens mitgeteilt worden sei. In den 70iger Jahren hatte der verstorbene Kläger nach eigenen Angaben ergebnislos versucht, damalige Krankenhausunterlagen zu beschaffen. Die Erklärungen der Eltern wurden erstmalig im sozialgerichtlichen Verfahren vorgelegt, obgleich teilweise viel früher gefertigt. Es ist insofern nicht nachvollziehbar, weshalb sich der verstorbene Kläger erst zu einem derart späten Zeitpunkt zur Antragstellung entschlossen hat. Insofern ist auch kein schuldhaftes Handeln des Beklagten, der die Erklärungen der Eltern auch erst im gerichtlichen Verfahren erhalten hat, erkennbar (vgl. BSG, Beschluss vom 04.02.1998, B 2 U 304/97 B, juris m.w.N.: auch keine Beweislastumkehr bei Beweisvereitelung). Zudem hat der Beklagte in den streitigen Bescheiden den geschilderten Sachverhalt als wahr unterstellt und den Antrag aus medizinischen Gründen abgelehnt, so dass aus seiner Sicht keine weiteren Ermittlungen erforderlich gewesen sind.
(b) Auch kann der Senat keine anders gearteten Impfkomplikationen feststellen.
Soweit der Sachverständige C. darauf verweist, dass die Immunabwehr durch die Impfung auch für das Zweitvirus geschwächt werde, handelt es sich dabei allenfalls um eine Impfnebenwirkung, nicht aber um eine Impfkomplikation. So erläutert der Sachverständige für den Senat nachvollziehbar im Rahmen seiner Anhörung im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes und der Beweisaufnahme vom 31.01.2023, dass die Wirkung der Pockenimpfung so zu verstehen sei, dass sie zu einer vorübergehenden – aber gewünschten – Immunsuppression beim Impfling führe. Vergleichbar wird dies auch in der medizinischen Literatur beschrieben (vgl. dazu Stephen F. Austin State University, SFA Scholar Works Infectious Diseases Project 2015 Student Posters, 2-19-2015, Smallpox Infectious Disease by Miranda Allbee and Brandon Smith) wonach, wenn die Viren in die Blutbahn gelangen, das Immunsystem normalerweise eine Substanz namens Interferon-Gamma produziere. Interferon-Gamma helfe dem Körper, die Krankheit zu bekämpfen und stoppe die Virusreplikation. Gelange das Pockenvirus jedoch in die Blutbahn, erhalte es eine „Waffe“, um das Immunsystem anzugreifen. Diese Waffe werde als Interferon-Gamma-Bindungsprotein bezeichnet. Dieses Protein binde sich an Interferon-Gamma und mache es bewegungsunfähig, sodass die Substanz die Immunabwehr nicht mehr aktivieren könne.
d) Eingedenk dessen kommt es nicht mehr darauf an, ob die unstreitig vorliegenden Gesundheitsstörungen einen Impfschaden darstellen und damit auf eine – hier nicht feststellbare – Impfkomplikation und diese auf die Impfung zurückzuführen sind.
Auch die Kann-Versorgung kommt nicht in Betracht. Sie verkörpert grundsätzlich keinen eigenen Streitgegenstand (vgl. BSG, Urteil vom 12.12.1995, 9 RV 17/94, juris, Rn 9; Senat, Urteil vom 15.01.2016, L 13 VJ 27/13, juris, Rn. 27). Fehlt es – wie vorliegend – schon am Nachweis einer unmittelbaren Impfkomplikation oder ist die Wahrscheinlichkeit der Kausalität schon aus anderen Gründen zu verneinen (vgl. zum zeitlichen Zusammenhang LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 30.08.2017, L 7 VE 7/14, juris, Rn. 44), so liegen ihre Voraussetzungen nach § 61 Satz 2 IfSG nicht vor, denn dann ist nicht (lediglich) die Ursache des festgestellten Leidens in der medizinischen Wissenschaft ungewiss (Hessisches LSG, Urteil vom 16.02.2023, L 1 VE 4/21, juris, Rn. 110; Senat, Urteil vom 08.11.2024, L 13 VJ 4/20).
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 193 Abs. 1 Satz 1, 183 SGG und folgt der Entscheidung in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).