L 3 R 471/23

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
3
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 4 R 1412/21
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 3 R 471/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.04.2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Gewährung von Regelaltersrente unter Berücksichtigung einer Beitragszeit vom 18.11.1974 bis zum 30.09.1980.

 

Der am 00.00.0000 in Polen geborene Kläger studierte in der Zeit vom 01.10.1968 bis zum 12.11.1974 Medizin an der Medizinischen Universität in N.. Vom 18.11.1974 bis zum 30.09.1980 war er dort als I. im Praktikum, I. und Y. beschäftigt.

 

Am 01.10.1980 zog der Kläger nach Deutschland zu. Er war ab dem 28.11.1980 als X. an der Universität S. tätig und zunächst bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA), rentenversichert. Mit Bescheid vom 24.02.1982 wurde er auf seinen Antrag von der BfA aufgrund der Mitgliedschaft in der Ärzteversorgung Niedersachsen von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung mit Wirkung zum 10.11.1981 befreit.

 

Der Kläger beantragte am 09.12.1982 bei der BfA die Beitragserstattung, da das Recht zur freiwilligen Versicherung in keinem Zweig der gesetzlichen Rentenversicherung bestünde und seit dem Ende der letzten Versicherungspflicht zwei Jahre verstrichen seien.

Unter Ziffer 7 des Antrages mit der Überschrift „Angaben über sämtliche Beschäftigungen und Tätigkeiten, auch im Ausland“ befand sich folgender Hinweis:

 

„Um Rückfragen zu vermeiden, bitten wir, alle Beschäftigungen und Tätigkeiten seit Schulentlassung bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt lückenlos anzugeben. […]“

 

Der Kläger gab darunter einzig seine Tätigkeit als X. von November 1980 bis November 1981 an der Universität S. an.

Der Kläger erklärte entsprechend Ziffer 12 des Antrages:

„Es ist mir bekannt,

  1. daß die Erstattung weder auf eine bestimmte Zeit noch auf einem einzelnen Versicherungszweig beschränkt werden kann,
  2. daß eine Rücknahme des Erstattungsantrages nur bis zum Eintritt der Bindungswirkung des Erstattungsbescheides möglich ist,
  3. daß die Beitragserstattung weitere Ansprüche aus allen bisher zurückgelegten Versicherungszeiten in allen Zweigen der Rentenversicherung ausschließt. Der Ausschluss erfasst also nicht nur die Zeiten, für welche eine Erstattungsleistung gezahlt wird. Es verfallen somit u.a. auch Ansprüche nach dem Fremdrentengesetz aus Beitrags- und Beschäftigungszeiten, die außerhalb des Bundesgebietes einschließlich Berlin-West zurückgelegt sind, insbesondere also auch die Beiträge zur Sozialversicherung in der DDR und in Berlin-Ost.

Sämtliche Fragen in diesem Antrag habe ich nachbestem Wissen beantwortet. Mir ist bekannt, daß ich bei wissentlich falschen Angaben strafrechtlich verfolgt werden kann.“

Mit Bescheid vom 23.03.1983 lehnte die BfA den Antrag des Klägers ab. Die Beitragserstattung sei noch nicht möglich, da seit dem Wegfall der Versicherungspflicht noch keine zwei Jahre verstrichen seien. Der Antrag könne frühestens ab dem 09.11.1983 wiederholt werden.

 

Am 09.04.1984 beantragte der Kläger unter Bezugnahme auf „Ihr Schreiben vom 23.3.1983“ erneut die Rückerstattung der von ihm gezahlten Beiträge zur Rentenversicherung von November 1980 bis November 1981.

 

Mit weiterem Bescheid vom 04.05.1984 entsprach die BfA dem Antrag des Klägers auf Beitragserstattung. Es ergab sich ein Erstattungsbetrag i.H.v. 4.528,10 DM. Die BfA führte aus, die Beitragserstattung schließe weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten aus. Der Ausschluss erstrecke sich auf alle Zweige der gesetzlichen Rentenversicherung.

 

Der Kläger beantragte am 06.02.2017 die Zahlung von Regelaltersrente zum 01.04.2017 bei der Beklagten. Er führte aus, er habe sich ab November 1981 von der Rentenversicherungspflicht befreien lassen. Zum damaligen Zeitpunkt sei dann eine Beitragsrückerstattung durchgeführt worden. In diesem Zusammenhang sei er jedoch nicht gefragt worden, ob er über anderweitige rentenrechtliche Zeiten verfüge. Die gesetzliche Rentenversicherung sei somit seinerzeit von völlig anderen Voraussetzungen ausgegangen. Er habe noch polnische Beitragszeiten zurückgelegt. In der Zeit vom 18.11.1974 bis zum 30.09.1980 sei er an der Medizinischen Universität in N. beschäftigt gewesen. Er beantrage die Anerkennung der polnischen rentenrechtlichen Zeiten im Rahmen des deutsch-polnischen Sozialversicherungsabkommens. Die allgemeine Wartezeit sei durch die Übertragung erfüllt, sodass der Rentenanspruch im Regelalter bestehe.

 

Die Beklagte wertete diesen Antrag als Überprüfungsantrag hinsichtlich des Beitragserstattungsbescheides vom 04.05.1984 und lehnte mit Bescheid vom 24.02.2017 eine Rücknahme des Bescheides vom 04.05.1984 ab. Die Überprüfung des Bescheides vom 04.05.1984 habe ergeben, dass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Der Antrag auf Beitragserstattung des Klägers habe unvollständige Angaben enthalten. Die Aufstellung bzw. Angabe über sämtliche Beschäftigungen, auch im Ausland, habe keinen Hinweis auf polnischen Beitragszeiten enthalten. Mache ein Versicherter weitere ausländische Beitragszeiten geltend und sei der Erstattungsbescheid wegen der Nichtberücksichtigung dieser Beitragszeiten rechtswidrig begünstigend, weil das Recht zur freiwilligen Versicherung bestanden habe, sei das öffentliche Interesse an dem Bestand des rechtswidrigen Bescheides höher einzuschätzen als das Interesse des Versicherten an der Rücknahme des Bescheides, weil der Versicherungsträger als Vertreter der Solidargemeinschaft durch den Bescheid von der Erfüllung späterer Rentenanwartschaften freigestellt werde.

 

Mit weiterem Bescheid vom 24.03.2017 stellte die Beklagte die zurückgelegten Zeiten bis zum 31.12.2020 gem. § 149 Abs. 5 des Sechsten Buches des Sozialgesetzbuches – Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI) fest. Die Zeiten vom 18.11.1974 bis zum 30.09.1980 und vom 28.11.1980 bis zum 09.11.1981 könnten nicht als Beitragszeit vorgemerkt werden, da wegen der Beitragserstattung Ansprüche aus diesen rentenrechtlichen Zeiten nicht mehr hergeleitet werden könnten. Die Zeit vom 01.10.1968 bis 22.10.1968 könne nicht als Anrechnungszeit vorgemerkt werden, weil die Ausbildung vor Vollendung des 17. Lebensjahres zurückgelegt worden sei.

 

Die Beklagte lehnte außerdem mit Bescheid vom 28.03.2017 die Gewährung von Regelaltersrente ab, weil der Kläger die Mindestversicherungszeit für diese Rente, die sog. allgemeine Wartezeit von 5 Jahren nicht erfülle. Bezogen auf einen Rentenbeginn am 01.04.2017 enthalte das Versicherungskonto keinen Wartezeitmonat.

 

Der Kläger legte am 24.03.2017 Widerspruch gegen den Bescheid vom 24.02.2017 ein. Er führte aus, er sei bei Erlass des Beitragserstattungsbescheides erst „Zitat wurde entfernt“ Jahre alt gewesen. Ihm seien die Konsequenzen dieser Beitragserstattung in keiner Weise bewusst gewesen. Insbesondere sei ihm nicht klar gewesen, dass mit einer Beitragserstattung sein Versicherungsverhältnis erlöschen werde und er somit - auch zu einem späteren Zeitpunkt -seine in Polen verbrachten Zeiten nicht wie andere aus Polen zugezogene Bürger über die gesetzliche Rentenversicherung geltend machen könne. Ihm sei überhaupt nicht bekannt gewesen, dass es ein entsprechendes Abkommen mit Polen gebe und seine polnischen Beitragszeiten in die hiesige gesetzliche Rentenversicherung übertragen werden könnten. Die Beklagte hätte ihn über diesen Umstand aufklären müssen. Dies habe sie zu keinem Zeitpunkt getan. Es sei auch nicht einzusehen, dass das „öffentliche Interesse" an dem Bestand des rechtswidrigen Bescheides höher sei als das Interesse des Versicherten. Aus der Begründung des Bescheides vom 24.02.2017 sei an keiner Stelle zu entnehmen, welche Auswirkungen die Entscheidung für ihn habe. Ihm werde nämlich durch die Entscheidung der Behörde die Möglichkeit genommen, die polnischen Zeiten im Rahmen des deutsch-polnischen Abkommens geltend zu machen. Dies benachteilige ihn im Vergleich zu anderen zugezogenen Bürgern aus Polen. Es bestehe hier unter Umständen lediglich die Möglichkeit, einen Rentenantrag in Polen zu stellen und von dort die polnische Rente zu beziehen. Hierin liege eine Ungleichbehandlung, da die Zeiten in der hier bestehenden gesetzlichen Rentenversicherung höher bewertet worden wären. Er bitte um eine Anhörung nach § 24 des Zehnten Buches des Sozialgesetzbuches – Verwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X).

 

Mit Bescheid vom 03.04.2017 gewährte die Ärzteversorgung Niedersachsen dem Kläger ab dem 01.04.2017 Altersrente i.H.v. 3.185,90 € monatlich.

 

Am 24.04.2017 legte der Kläger auch Widerspruch gegen die Bescheide vom 24.03.2017 und 28.03.2017 ein. Er führte aus, die Beitragserstattung mit Bescheid vom 04.05.1984 sei rechtswidrig durchgeführt worden, da er noch über polnische Beitragszeiten verfügt habe. Unter Berücksichtigung dieser Zeiten sei die allgemeine Wartezeit erfüllt gewesen. Unzutreffend weise die Beklagte im Bescheid vom 24.02.2017 aus, dass er seinerzeit in seinem Antrag auf Beitragsrückerstattung unvollständige Angaben gemacht habe. Die Behörde hätte ihn in diesem besonderen Fall beraten und ihm aufzeigen müssen, welche Konsequenzen die Beitragsrückerstattung haben könne. Er sei zu dieser Zeit noch sehr jung und u.a. bedingt durch die zu diesem Zeitpunkt noch recht kurze Aufenthaltsdauer in Deutschland nicht in der Lage gewesen, sich mit dem deutschen Rentenversicherungsrecht auseinanderzusetzen.

 

Mit Bescheid vom 15.06.2017 teilte die Beklagte mit, der Bescheid vom 04.05.1984 sei erneut überprüft worden. Sie habe sich davon überzeugt, dass dieser Bescheid rechtswidrig sei. Durch den Beleg der polnischen Versicherungszeiten seien mehr als 60 Kalendermonate Beitragszeiten zurückgelegt worden. Damit habe das Recht zur freiwilligen Versicherung bestanden. Gleichwohl sei eine Rücknahme nach § 45 SGB X nicht möglich, da das öffentliche Interesse an dem Bestand des rechtswidrigen Bescheides höher einzuschätzen sei, als das Interesse des Versicherten an der Rücknahme des Bescheides. Ausschlaggebend sei dabei, dass sie als Vertreterin der Solidargemeinschaft durch den Bescheid von der Erfüllung späterer Rentenanwartschaften freigestellt werde.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 06.10.2017 wies die Beklagte die erhobenen Widersprüche zurück. Sie habe zu Recht mit Bescheid vom 24.02.2017 in Gestalt des Bescheides vom 15.06.2017 die Rücknahme des Bescheides vom 04.05.1984 abgelehnt. Dem Einwand, dass die Verwaltung wegen mangelnder Beratung ein Mitverschulden treffe, könne nicht gefolgt werden. Der Bescheid vom 04.05.1984 beruhe auf Angaben, die der Kläger vorsätzlich in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht habe. Aufgrund der Angaben im Antrag auf Beitragserstattung vom 09.12.1982 unter Ziffer 7 habe  sie davon ausgehen können, dass keine weiteren Beitragszeiten zu berücksichtigen seien. Im nunmehr gestellten Antrag würden erstmalig die in Polen zurückgelegten Beitragszeiten vom 18.11.1974 bis 30.09.1980 geltend gemacht. Im Falle der Anerkennung dieser Zeiten nach dem deutsch-polnischen Rentenabkommen vom 09.10.1975 (DPRA 1975) wäre die allgemeine Wartezeit erfüllt gewesen. Mit Bescheid vom 24.02.1982 sei der Kläger aufgrund seines damaligen Antrags von der Versicherungspflicht zur Rentenversicherung befreit worden. Mit insgesamt 13 Monaten sei die allgemeine Wartezeit nicht erfüllt gewesen. Das Recht zur freiwilligen Versicherung habe demnach nicht bestanden. Soweit eine Ungleichbehandlung gegenüber anderen zugezogenen Polen geltend gemacht werde, schließe jede seit Inkrafttreten des DPRA 1975 durchgeführte Beitragserstattung (sowohl bis zum 31.12.1991 nach dem Angestelltenversicherungsgesetz [AVG]/der Reichsversicherungsordnung [RVO]/des Reichsknappschaftsgesetzes [RKG] als auch ab dem 01.01.1992 nach dem SGB VI) wegen der daraus resultierenden Verfallswirkung der im Zeitpunkt der Erstattung existierenden polnischen Abkommenszeiten regelmäßig eine Eingliederung der Abkommenszeiten aus (Art. 2 DPRA vom 09.10.1975 Zustimmungsgesetz – ZustG). Dass dem Kläger die Konsequenzen einer Beitragserstattung nicht bekannt gewesen seien, könne nicht nachvollzogen werden, da im Antrag auf Beitragserstattung vom 09.12.1982 unter Ziffer 12 die Erklärung durch den Kläger unterzeichnet worden sei, dass ihm bekannt sei, dass die Beitragserstattung weitere Ansprüche aus allen zurückgelegten Versicherungszeiten in allen Zweigen der Rentenversicherung ausschließe und der Ausschluss auch die Zeiten umfasse, für die Beiträge nicht erstattet worden seien. Auch im Bescheid vom 04.05.1984 sei der Kläger durch die BfA darauf hingewiesen worden, dass Leistungsansprüche nur aus künftig zurückgelegten Versicherungszeiten entstehen könnten. Insgesamt überwiege das öffentliche Interesse am Bestand des damaligen Bescheides zur Beitragserstattung, weil der Versicherungsträger als Vertreter der Solidargemeinschaft durch den Bescheid von der Erfüllung späterer Rentenanwartschaften freigestellt werde.

Nach Durchführung einer Beitragserstattung bestünden Ansprüche aus den bis zur Erstattung zurückgelegten rentenrechtlichen Zeiten nicht mehr. Sämtliche bis zur Erstattung zurückgelegten Versicherungszeiten (das bedeute im Falle des Klägers die in Polen in der Zeit vom 18.11.1974 bis zum 30.09.1980 zurückgelegten Beitragszeiten) unterlägen gemäß des bis zum 31.12.1991 geltenden § 82 Abs. 7 AVG/§ 1303 Abs. 7 RVO der Verfallswirkung.

Die Voraussetzungen für die Zahlung einer Regelaltersrente lägen nicht vor. Voraussetzung für einen Anspruch auf Regelaltersrente sei unter anderem die Erfüllung der Wartezeit von fünf Jahren. Da keine rentenrechtlichen Zeiten anrechnungsfähig seien, bestehe für den Kläger kein Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung.

 

Der Kläger stellte am 30.11.2020 einen „Überprüfungs- und Neufeststellungsantrag“ gem. § 44 SGB X. Er führte aus, soweit ein Beitragserstattungsbescheid rechtswidrig erteilt worden sei, führe dies dazu, dass die Versicherungszeiten bei dem gestellten Antrag auf Regelaltersrente zu berücksichtigen seien. Wenn ein Versicherter weitere Beitragszeiten geltend mache, die nicht erstattungsfähig seien, weil der Versicherte sie nicht mitgetragen habe, sei zu unterscheiden, ob der Beitragserstattungsbescheid rechtswidrig oder rechtmäßig gewesen sei. In seinem Fall sei dieser Bescheid rechtswidrig gewesen, da die Wartezeit unter Berücksichtigung der nachträglich geltend gemachten Beitragszeiten erfüllt gewesen wäre. In solchen Fällen sei das abzuwägende Interesse des Versicherten selbst an der Rücknahme des Bescheides höher einzuschätzen als das öffentliche Interesse an dem Bestand des rechtswidrigen Bescheides. Der an den Versicherten ausgezahlte Erstattungsbetrag werde nötigenfalls an die Beklagte zurückgezahlt, sodass die Erstattung aufzuheben sei und auch sämtliche Versicherungszeiten nach dem deutsch-polnischen Rentenabkommen direkt im deutschen Beitragskonto zu berücksichtigen seien, sodass die Voraussetzungen für die Gewährung der Regelaltersrente erfüllt seien.

 

Mit Bescheid vom 23.12.2020 lehnte die Beklagte eine Rücknahme des Bescheides vom 28.03.2017 ab. Die Überprüfung des Bescheides vom 28.03.2017 habe ergeben, dass weder das Recht unrichtig angewandt noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen worden sei. Eine Rente aus der deutschen Rentenversicherung stehe dem Kläger nicht zu, weil keine anrechenbaren Beitragszeiten vorhanden seien und somit weder die allgemeine Wartezeit erfüllt sei noch Beitragszeiten für eine Rentenberechnung zur Verfügung stünden. Wäre das Untergehen aller bislang zurückgelegten Beitragszeiten nicht die Rechtsfolge aus einer Beitragserstattung, könnte aus ausländischen Versicherungszeiten, die deutschen Beitragszeiten im Rahmen des Fremdrentengesetzes (FRG) oder des DPRA 1975 gleichgestellt seien, trotz Beitragserstattung ein Rentenanspruch erworben werden. Technische Voraussetzung hierfür wäre, dass das Wiederherstellungsverfahren nach dem Erstattungsverfahren erfolgen würde. Dies könne vom Gesetzgeber nicht gewollt sein und widerspräche auch klar jenem dem FRG und DPRA 1975 zugrundeliegenden Eingliederungsprinzip. Hiernach dürfe ein Berechtigter nicht schlechter, aber auch nicht bessergestellt werden als die Wohnbevölkerung des Gebietes, in welches die Eingliederung erfolge.

 

Nachdem der Kläger am 30.04.2021 eine Sachstandsanfrage hinsichtlich seines Antrages gehalten hatte, übersandte die Beklagte den Bescheid vom 23.12.2020 am 30.04.2021 per Telefax. Hiergegen legte der Kläger am 05.05.2021 Widerspruch ein. Er trug vor, dass die Versicherungszeiten nach dem deutsch-polnischen Rentenabkommen erstmalig im Jahr 2017 und somit vollkommen eindeutig erst nach der damaligen Erstattung, welche mit Bescheid vom 04.05.1984 erfolgt sei, geltend gemacht worden seien. Somit liege hier der Anwendungsfall vor, welcher auch mit der eigenen Rechtsauslegung der Beklagten zu § 210 SGB VI beschrieben werde. Danach sei der Erstattungsbescheid rechtswidrig, wenn der Erstattungsanspruch nur wegen nicht erfüllter Wartezeit bestanden habe und die Wartezeit unter Berücksichtigung der nachträglich geltend gemachten Beitragszeiten erfüllt gewesen wäre. In diesen Fällen sei das Interesse des Versicherten an der Rücknahme des Bescheides höher einzuschätzen als das öffentliche Interesse an dem Bestand des rechtswidrigen Bescheides. Da die Geltendmachung der in Polen zurückgelegten Beitragszeiten erst wesentlich später erfolgt sei, seien diese nicht Gegenstand der damaligen Erstattung gewesen. Wären die Zeiten bereits damals geltend gemacht worden, hätte eine Erstattung überhaupt nicht erfolgen können.

 

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 09.11.2021 als unbegründet zurück. Wie im Widerspruchsbescheid vom 06.10.2017 ausgeführt, seien dem Kläger die Konsequenzen einer Beitragserstattung bekannt gewesen. Im Antrag auf Beitragserstattung vom 09.12.1982 unter Ziffer 12 habe er die Erklärung unterschrieben, dass ihm bekannt sei, dass die Beitragserstattung weitere Ansprüche aus allen zurückgelegten Versicherungszeiten in allen Zweigen der Rentenversicherung ausschließe und der Ausschluss auch Zeiten umfasse, für die Beiträge nicht erstattet worden seien. Jede seit Inkrafttreten des DPRA 1975 durchgeführte Beitragserstattung schließe wegen der daraus resultierenden Verfallswirkung der im Zeitpunkt der Erstattung existierenden polnischen Abkommenszeiten regelmäßig eine Eingliederung dieser Abkommenszeiten aus. Auch im Bescheid vom 04.05.1984 sei der Kläger darauf hingewiesen worden, dass Leistungsansprüche nur aus künftig zurückgelegten Versicherungszeiten entstehen könnten. Im Fall des § 45 SGB X sei das Interesse des Versicherten gegen das öffentliche Interesse an dem Bestand oder der Rücknahme des Bescheides abzuwägen. Das öffentliche Interesse an dem Bestand des rechtswidrigen Bescheides sei höher einzuschätzen als das Interesse des Versicherten an der Rücknahme des Bescheides, weil der Versicherungsträger als Vertreter der Solidargemeinschaft durch den Bescheid von der Erfüllung späterer Rentenanwartschaften freigestellt werde (vgl. Urteile des Bundessozialgerichts [BSG] vom 09.12.1981 -1 RA 35/80 - und vom 07.09.1982 - 1 RA 53/81 -).

 

Hiergegen hat der Kläger am 25.11.2021 Klage vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben. Er hat vorgetragen, die damalige Beitragserstattung sei rechtswidrig gewesen. Daher müsse eine Rückabwicklung erfolgen. Die Beklagte hätte die streitigen in Polen zurückgelegten Beitragszeiten nach dem DPRA 1975 anerkennen müssen. Bei diesen handele es sich aufgrund der Eingliederung nach dem DPRA 1975 um deutsche Versicherungszeiten. Auch sei der damalige Beitragsbescheid nicht rechtswidrig begünstigend. Er werde benachteiligt, da er für die in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten weder eine Entschädigung durch die Beklagte noch von dem polnischen Rentenversicherungsträger erhalte, sodass sein Interesse an der Aufhebung des Bescheides überwiege. Auch die eigenen Arbeitsanweisungen der Beklagten sprächen für eine Aufhebung des damaligen Erstattungsbescheides und hätten den folgenden Wortlaut:

 

„Der Erstattungsbescheid ist rechtswidrig, wenn der Erstattungsanspruch nur wegen nicht erfüllter Wartezeit bestand und diese Wartezeit unter Berücksichtigung der nachträglich geltend gemachten Beitragszeiten erfüllt gewesen wäre. In diesen Fällen ist das Interesse des Versicherten an der Rücknahme des Bescheides höher einzuschätzen als das öffentliche Interesse an dem Bestand des rechtswidrigen Bescheides. Voraussetzung ist, dass das (verfallene) Versicherungskonto rekonstruierbar ist und der Versicherte den Erstattungsbetrag zurückzahlt.“

 

Dieser Sachverhalt liege auch hier vor. Die Beklagte habe damit gegen ihre eigene Arbeitsanweisung verstoßen, sodass ein Ermessensfehlgebrauch vorliege.

 

Der Kläger hat beantragt,

 

den Bescheid vom 23.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2021 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, den Bescheid vom 24.02.2017 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 15.06.2017, den Bescheid vom 24.03.2017 und 28.03.2017 sämtliche in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2017 zurückzunehmen und die Beklagte zu verpflichten, dem Kläger rückwirkend ab dem 01.04.2017 Altersrente unter Rücknahme des Bescheides vom 04.05.1984 und unter Anerkennung der von dem Kläger in Polen zurückgelegten Beschäftigungszeiten in der Zeit vom 18.11.1974 bis zum 30.09.1980 als Betragszeit zu gewähren.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat die angegriffenen Bescheide für rechtmäßig erachtet und vorgetragen, der Kläger habe bei der zitierten Literatur der Deutschen Rentenversicherung die Seiten „Zitat wurde entfernt“ der Verwaltungsakte übersehen, wonach, wenn Versicherte weitere ausländische Beitragszeiten geltend machten und der Erstattungsbescheid wegen der Nichtberücksichtigung dieser Beitragszeiten rechtswidrig begünstigend gewesen sei, weil das Recht zur freiwilligen Versicherung bestanden habe, das öffentliche Interesse an dem Bestand des rechtswidrigen Bescheides höher einzuschätzen sei als das Interesse des Versicherten an der Rücknahme des Bescheides, weil der Versicherungsträger als Vertreter der Solidargemeinschaft durch den Bescheid von der Erfüllung späterer Rentenanwartschaften freigestellt werde. Das Ermessen sei mithin nicht fehlerhaft ausgeübt worden. Diese Verfahrensweise entspreche dem Ergebnis der Sitzung der Arbeitsgruppe des Fachausschusses für Versicherung und Rente vom 17.07.1984, Top 4.

 

Mit Urteil vom 18.04.2023 hat das SG die Klage abgewiesen. In den Entscheidungsgründen  ist ausgeführt, die Voraussetzungen für eine Rücknahme des Bescheides vom 23.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2021 lägen nicht vor. Die Beklagte habe weder das Recht unrichtig angewandt noch sei sie von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Auch sei im Rahmen des Bescheides vom 24.02.2017 in der Gestalt des Änderungsbescheides [vom 15.06.2017] und des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2017 zu Recht eine Rücknahme des Bescheides vom 04.05.1984 abgelehnt worden. Bei diesem Bescheid handele es sich nach der Rechtsprechung des BSG (Urteile vom 02.12.1987 – 1 RA 23/87 -, vom 23.03.1984 – 11 RA 9/83 -, vom 19.03.1983 – 1 RA 35/82 - und vom 07.09.1982 – 1 RA 53/81) um einen begünstigenden Verwaltungsakt, so dass § 45 SGB X anzuwenden sei. Der Beitragserstattungsbescheid vom 04.05.1984 erweise sich auch als rechtswidrig, da wegen der in Polen zurückgelegten Beitragszeiten die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt gewesen sei. Die Aufhebung eines begünstigenden rechtswidrigen Verwaltungsaktes sei jedoch nicht deshalb zulässig oder gar zwingend geboten, weil ein schutzwürdiges Vertrauen nicht verletzt werden könne. Es sei in einer Ermessensentscheidung eine Interessenabwägung des öffentlichen Interesses mit dem privaten Interesse vorzunehmen. Die durch die Beklagte vorgenommene Ermessensentscheidung sei nicht als fehlerhaft anzusehen, da anerkannt sei, dass auch fiskalische Interessen zu berücksichtigen seien. In diesem Sinne habe das BSG mehrfach entschieden, dass es im öffentlichen Interesse liegen könne, es bei einem rechtswidrigen Beitragserstattungsbescheid zu belassen, weil der durch die Beitragserstattung bewirkte Verfall von Leistungsansprüchen die vom Versicherungsträger vertretene Solidargemeinschaft aller Versicherten von Rentenanwartschaften freistelle und finanziell begünstige. Es läge auch kein Verstoß gegen die eigenen Arbeitsanweisungen der Beklagten vor, denen die Beklagte gefolgt sei. Weiterhin bestehe zu Gunsten des Klägers auch kein sozialrechtlicher Herstellungsanspruch, da dieser durch den formularmäßigen Antrag unmissverständlich unter Ziffer 12 auf den Ausschluss der Ansprüche aus allen bisher entrichteten Beiträgen hingewiesen worden sei. Anlass für weitere Hinweise habe für die BfA aufgrund der falschen Angaben des Klägers unter Ziffer 7 des Antragvordruckes hinsichtlich Beschäftigungen und Tätigkeiten im Ausland nicht bestanden. Auch der Vormerkungsbescheid vom 24.03.1987 sei rechtmäßig, da aufgrund der erfolgten Beitragserstattung mit Bescheid vom 04.05.1984 die bisher zurückgelegten Versicherungszeiten verfallen gewesen seien. Ausgehend hiervon sei auch die Ablehnung der Gewährung von Regelaltersrente mit Bescheid vom 28.03.2017 nicht rechtswidrig gewesen, da der Kläger die erforderliche Wartezeit von 60 Kalendermonaten nicht erfülle.

 

Gegen das ihm am 31.05.2023 zugestellte Urteil hat der Kläger am 15.06.2023 Berufung eingelegt. Er trägt vor, das SG habe zu Recht festgestellt, dass es sich bei dem Beitragserstattungsbescheid vom 04.05.1984 um einen rechtswidrigen begünstigenden Verwaltungsakt handele. Bei der Interessenabwägung hätte jedoch berücksichtigt werden müssen, dass er ein großes Interesse an der Aufhebung der angefochtenen Bescheide habe, da er für die polnischen Zeiten weder eine Erstattung erhalte noch eine Leistung aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder vom polnischen Versicherungsträger. Der polnische Rentenversicherungsträger (ZUS) habe die Zahlung einer Rente abgelehnt, weil die Beklagte für die Entschädigung der in Polen zurückgelegten Versicherungszeiten zuständig sei. Gegen diese Ablehnung habe er in Polen in zwei Instanzen ohne Erfolg geklagt. Auch nach den Arbeitsanweisungen der Beklagten sei das Interesse des Versicherten höher anzusetzen als das Interesse der Allgemeinheit. Entgegen der Auffassung des SG handele es sich bei in Polen zurückgelegten Zeiten auch nicht um „ausländische“ Zeiten im Sinne der Arbeitsanweisungen. Aus der Broschüre der BfA „Das deutsch-polnische Sozialversicherungsabkommen vom 09.10.1975" ergebe sich, dass aus polnischen Zeiten deutsche Zeiten würden. Es könne keinesfalls sein, dass die Zeit weder in Polen noch in Deutschland zu einem Rentenanspruch führe. Dies wäre in jedem Fall unrechtmäßig und mit dieser Rechtsfolge nicht von den gesetzlichen Regelungen gewollt. Auch die Tatsache, dass in dem damaligen Antrag auf Beitragserstattung versehentlich eine falsche Angabe gemacht worden sei, könne nicht ausreichend als Grund herangezogen werden, dass dadurch keine Ansprüche aus den entsprechenden Zeiten mehr abgeleitet werden könnten. Aus Gründen mangelnder Deutschkenntnisse sei das Ausfüllen des Antragsformulares und der Schriftverkehr mit der Beklagten nur unter Zuhilfenahme eines nativ-deutschen (…)kollegen erfolgt. Dass dabei eine umfangreichere Sorgfalt hätte ausgeübt werden müssen, werde nicht bestritten, lasse jedoch nachvollziehen, wie es zu diesem versehentlichen Fehler bei der Beantwortung des Fragebogens gekommen sei. Er überreicht die Schrift „BfA-Information Nr. 11 - Beitragserstattung in der Angestelltenversicherung“ aus Januar 1981.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Düsseldorf vom 18.04.2023 abzuändern und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 23.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2021 zu verurteilen, den Bescheid vom 04.05.1984 und den Bescheid vom 24.02.2017 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 15.06.2017 sowie die Bescheide vom 24.03.2017 und 28.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2017 zurückzunehmen und dem Kläger ab dem 01.04.2017 Altersrente unter Berücksichtigung der durch den Kläger in Polen zurückgelegten Beitragszeiten in der Zeit vom 18.11.1974 bis zum 30.09.1980 zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und trägt vor, die Angaben des Klägers im Antrag vom 09.12.1982 seien eindeutig gewesen. Er habe unter Ziffer 7 des Antrags bestätigt, dass er nur Zeiten in Deutschland zurückgelegt habe, obwohl er explizit auch nach allen Zeiten im Ausland (und zwar lückenlos) befragt worden sei. Die Kenntnis des DPRA 1975 sei hierfür völlig irrelevant. Der Kläger hätte auch ohne Kenntnis des Abkommens angeben müssen, dass er Zeiten im Ausland zurückgelegt habe, was er jedoch nicht getan habe. Ebenso seien mangelnde Deutschkenntnisse nicht zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, da die Frage nach Zeiten im Ausland nicht in „Behördensprache“ formuliert gewesen sei und sehr leicht mittels des angegebenen unterstützenden deutschen (…)kollegen hätte verstanden werden müssen und können. Hierfür sei keinerlei Sonderwissen nötig gewesen. Die Formulierung [in den Arbeitsanweisungen] „ausländische Beitragszeiten“ sei nicht im Lichte des DPRA1975 zu verstehen, sondern beziehe sich nur auf die Tatsache, ob diese Zeiten ursprünglich im Ausland zurückgelegt worden seien.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die zulässige Berufung des Klägers ist unbegründet.

 

Das SG hat die Klage mit Urteil vom 18.04.2023 zu Recht abgewiesen. Der Kläger ist durch den Bescheid vom 23.12.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 09.11.2021 nicht im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) beschwert, da dieser rechtmäßig ist. Er hat keinen Anspruch auf Rücknahme der Bescheide vom 04.05.1984, 24.02.2017 und 15.06.2017 sowie der Bescheide vom 24.03.2017 und 28.03.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2017 nach § 44 SGB X und auf Gewährung von Altersrente ab dem 01.04.2017 unter Berücksichtigung der durch ihn in Polen zurückgelegten Beitragszeiten in der Zeit vom 18.11.1974 bis zum 30.09.1980.

 

Nach § 44 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist ein Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass des Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind.

 

Diese Voraussetzungen liegen nicht vor, da die Beklagte weder das Recht unrichtig angewandt hat noch von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist.

 

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 15.06.2017, mit dem die Rücknahme des Bescheides vom 04.05.1984 abgelehnt worden ist.

 

Wie das SG zutreffend entschieden hat, richtet sich die Rücknahme des Bescheides vom 04.05.1984 nach § 45 SGB X. Denn es handelt sich hierbei um einen rechtswidrig begünstigenden Verwaltungsakt. Maßgeblich ist insoweit, dass das Recht des Klägers auf Erstattung von Beiträgen anerkannt worden ist, so dass ein begünstigender Verwaltungsakt vorliegt (vgl. BSG, Urteile vom 09.12.1981 – 1 RA 35/80 -, Rn. 23; vom 02.12.1987 - 1 RA 23/ 87 -; vom 23.03.1984 - 11 RA 9/83 -; vom 19.03.1983 - 1 RA 35/82 - und vom 07.09.1982 - 1 RA 53/81 -; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 21.03.1997 – L 13 An 156/96 –; siehe auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.01.2017 - L 3 R 705/15 -).

 

Zwar hatte die Beklagte zunächst mit Bescheid vom 24.02.2017 eine Rücknahme nach § 44 SGB X abgelehnt, im Widerspruchsverfahren jedoch mit weiterem Bescheid vom 15.06.2017 die Ablehnung der Rücknahme richtigerweise auf § 45 SGB X gestützt, wodurch der Bescheid vom 24.02.2017 i.S.d. § 86 SGG abgeändert worden ist.

 

Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf, soweit ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), rechtswidrig ist, dieser auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit der Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden.

 

Diese Tatbestandsvoraussetzungen liegen in Bezug auf den Beitragserstattungsbescheid vom 04.05.1984 vor. Dieser Bescheid ist, wie bereits dargelegt, begünstigend. Er ist auch rechtswidrig, da die Voraussetzungen des damaligen § 82 Abs. 1, 7 AVG nicht vorgelegen haben. Hiernach waren u.a. einem Versicherten auf Antrag die Hälfte der entrichteten Beiträge zu erstatten, wenn die Versicherungspflicht in allen Zweigen der gesetzlichen Rentenversicherung entfiel, ohne dass das Recht zur freiwilligen Versicherung bestand. Die Erstattung schloss weitere Ansprüche aus den bisher zurückgelegten Versicherungszeiten und das Recht zur freiwilligen Weiterversicherung aus.

 

Diese Voraussetzungen für eine Beitragserstattung lagen zum damaligen Zeitpunkt nicht vor. Zwar war die Versicherungspflicht in der Rentenversicherung aufgrund des Bescheides vom 24.02.1982 wegen der Mitgliedschaft des Klägers in der Ärzteversorgung Niedersachsen entfallen, er war jedoch zur freiwilligen Versicherung (§ 10 Abs. 1a AVG) berechtigt, da er unter Berücksichtigung der in Polen zurückgelegten Beitragszeit vom 18.11.1974 bis zum 30.09.1980 die allgemeine Wartezeit von fünf Jahren erfüllt hatte.

 

Der Kläger hat allerdings auf der Rechtsfolgenseite keinen Anspruch auf Rücknahme des Bescheides vom 04.05.1984. Gem. § 45 Abs. 1 Satz 1 SGB X steht die Rücknahme nach § 45 SGB X im Ermessen der Behörde („darf“), so dass dem Adressaten des rechtswidrigen Verwaltungsakts kein Anspruch auf Rücknahme eingeräumt wird, sondern grundsätzlich nur ein formelles subjektives Recht auf fehlerfreie Ermessensausübung hinsichtlich der Entscheidung über die Ausübung der Rücknahmebefugnis (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.1981 – 1 RA 35/80 – Rn. 26; Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 21.03.1997 – L 13 An 156/96 –, Rn. 42; siehe auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.01.2017 - L 3 R 705/15 – Rn. 48). Der Versicherungsträger hat danach im Rahmen der ihm obliegenden Ermessensbetätigung jeweils im Einzelfall zu prüfen, ob unter Berücksichtigung des öffentlichen Interesses einerseits und des (privaten) Interesses des Betroffenen andererseits mehr Gründe für eine Durchbrechung der Wirksamkeit bzw. Bestandskraft des rechtswidrigen Verwaltungsakts sprechen oder dagegen. Eine Verpflichtung der Beklagten zur Aufhebung des Beitragserstattungsbescheides besteht danach nicht, da ihr Ermessen nicht auf Null reduziert ist. Vielmehr ist, wie das SG auch zutreffend entschieden hat, die im Bescheid der Beklagten vom 15.06.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.10.2017 dokumentierte Ermessensbetätigung nicht als fehlerhaft anzusehen.

Dabei ist insbesondere auch – wie von der Beklagten im Widerspruchsbescheid vom 06.10.2017 dargelegt – zu berücksichtigen, dass die von dieser vertretene Solidargemeinschaft aller Rentenversicherten durch die Beitragserstattung von Rentenanwartschaften freigestellt wird, so dass ein anzuerkennendes rechtliches Interesse daran besteht, an der Bindung des Erstattungsbescheides festzuhalten. Insoweit ist nicht zu beanstanden, dass die Beklagte das öffentliche Interesse an dem Bestand des Bescheides höher bewertet als das private Interesse des Klägers an der Rücknahme. Mithin kann der Erstattungsbescheid trotz der Zustimmung des Klägers jedenfalls solange nicht aufgehoben werden, als sich die Beklagte auf die Bindung dieses Bescheides beruft (vgl. BSG, Urteil vom 09.12.1981 – 1 RA 35/80 – Rn. 26).

Dagegen ist im Rahmen der Ermessensentscheidung ein Mitverschulden der Beklagten vorliegend nicht zu berücksichtigen (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 19.01.2017 - L 3 R 705/15 – Rn. 50). Dabei ist die Beklagte zurecht davon ausgegangen, dass aufgrund der falschen Angaben des Klägers im Erstattungsantrag vom 09.12.1982 sich kein Anhalt für das Vorliegen ausländischer Beitragszeiten ergeben hat und der Kläger auch über die Verfallswirkung der im Ausland zurückgelegten Versicherungszeiten zutreffend informiert worden ist. Dagegen sprechen weder das Alter des zu diesem Zeitpunkt bereits „Zitat wurde entfernt“ Jahre alten Klägers noch dessen mangelnde Deutschkenntnisse (vgl. BSG, Urteil vom 01.07.2010 – B 13 R 77/09 R –, Rn. 33 m.w.N.) für einen Beratungsfehler der Beklagten, die aufgrund der falschen Angaben des Klägers davon ausgehen musste, dass keine weiteren Zeiten als die in Deutschland zurückgelegten bestanden haben. Aus der im Termin zur mündlichen Verhandlung vorgelegten Schrift „BfA-Information Nr. 11 - Beitragserstattung in der Angestelltenversicherung“ aus Januar 1981 folgt nichts anderes. Insoweit ist bereits nicht dargelegt, dass dem Kläger bei seinen Anträgen auf Beitragserstattung aus Dezember 1982 und April 1984 diese Schrift bekannt gewesen sein könnte. Zudem ist die dort unter der Überschrift „Welche Rechtsfolgen hat die Beitragserstattung?“ getätigte Aussage, dass Beiträge zu ausländischen Rentenversicherungen erhalten blieben, zutreffend, da durch deutsches Recht keine Regelung zu ausländischem Recht getroffen werden kann. Eine Aussage, dass nach deutschem Recht (infolge des DPRA 1975) bestehende Beitragszeiten nach einer Beitragserstattung erhalten blieben, lässt sich demgegenüber aus der gewählten Formulierung nicht ableiten.

Soweit der Kläger im Berufungsverfahren vorträgt, auch in Polen keine Rente zu erhalten und dort erfolglos in zwei Instanzen geklagt zu haben, liegt diese Angabe zeitlich nach der Ermessensentscheidung der Beklagten und ist nicht zu berücksichtigen, da diese nur die ihr bekannten Argumente abwägen muss (vgl. Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 45 Rn. 89).

Auch der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 Abs. 1 GG spricht nicht für eine Ermessensreduktion. Hiernach dürfen gleiche Sachverhalte nicht unterschiedlich, unterschiedliche nicht gleich behandelt werden, es sei denn, ein abweichendes Vorgehen wäre sachlich gerechtfertigt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 07.10.1980 – 1 BvL 50/79 –, Rn. 35 und BVerfG, Urteil vom 16.03.2004 – 1 BvR 1778/01 –, Rn. 92). Soweit der Kläger anders behandelt wird als ggf. andere Aussiedler aus Polen, liegt ein anderer Sachverhalt vor bzw. ein sachlicher Grund, der darin besteht, dass der Kläger eine Beitragserstattung hatte und sein Versicherungsverhältnis aufgelöst ist. Insoweit wird er nicht anders behandelt als andere deutsche oder polnische Versicherte, die ebenfalls eine Beitragserstattung hatten.

Weiterhin ist auch nicht von einer entgegenstehenden Selbstbindung der Verwaltung nach Art. 3 Abs. 1 GG aufgrund ihrer Arbeitsanweisungen auszugehen (vgl. BSG, Urteil vom 18.12.2013 – B 12 R 2/11 R –, Rn. 6). In den Gemeinsamen Rechtlichen Anweisungen (GRA) der Beklagten zu § 210 SGB VI, Nr. 11 (Rechtswidrig erteilte Erstattungsbescheide) heißt es hierzu ausdrücklich:

 

„Macht ein Versicherter weitere ausländische Beitragszeiten geltend und war der Erstattungsbescheid wegen der Nichtberücksichtigung dieser Beitragszeiten rechtswidrig begünstigend, weil das Recht zur freiwilligen Versicherung bestand, ist das öffentliche Interesse an dem Bestand des rechtswidrigen Bescheides höher einzuschätzen als das Interesse des Versicherten an der Rücknahme des Bescheides, weil der Versicherungsträger als Vertreter der Solidargemeinschaft durch den Bescheid von der Erfüllung späterer Rentenanwartschaften freigestellt wird (FAVR AG 2/84, TOP 4).“

 

Diese Regelung ist anzuwenden, da sie aufgrund des Bezuges zu ausländischen Beitragszeiten spezieller ist als die durch den Kläger zitierte allgemeine Regelung. Vorliegend folgt die Beklagte ihrer Arbeitsanweisung zu § 210 SGB VI, Nr. 11 bei der Ausübung des Ermessens, indem sie das öffentliche Interesse höher einschätzt als das Interesse des Klägers. Soweit der Kläger die Meinung vertritt, die in Polen zurückgelegten Zeiten seien keine „ausländischen“ Zeiten i.S.d. GRA vermag dies nicht zu überzeugen. Insoweit ergibt die Auslegung, dass in Polen zurückgelegte Zeiten zunächst einmal nach dem Wortsinn „ausländische“ Zeiten sind, die dann erst – vorliegend aufgrund des DPRA 1975 – in deutsche Zeiten umgewandelt werden. Im Übrigen wäre ein anders zu verstehender Sinn dieser Formulierung in den GRA auch nicht erkennbar, wie das SG bereits zutreffend ausgeführt hat.

 

Schließlich sind auch der Vormerkungsbescheid vom 24.03.2017 und der Bescheid vom 28.03.2017 über die Ablehnung der Regelaltersrente rechtmäßig. Die Verfallswirkung der Beitragserstattung (hier nach § 81 Abs. 7 AVG) erfasst dabei auch die vor der Beitragserstattung außerhalb des Geltungsbereichs der deutschen Rentenversicherungsgesetze zurückgelegten ausländischen Beitragszeiten, und zwar ungeachtet der Tatsache, dass die während dieser Zeiten entrichteten Beiträge selbst nicht erstattungsfähig und dementsprechend auch nicht erstattet worden sind (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2000 – B 5 RJ 42/99 -, Rn. 13 m.w.N.). In dieser Verfallswirkung liegt nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung, der sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt, weder eine Verletzung des Gleichheitsgrundsatzes (Artikel 3 Abs. 1 GG) noch ein entschädigungsloser Eingriff in verfassungsrechtlich geschützte eigentumsähnliche (Artikel 14 GG) Rentenanwartschaften (vgl. BSG, Urteile vom 04.10.1979 – 1 RA 83/78 –, Rn. 25 und vom 18.02.1981 – 1 RJ 134/79 –, Rn. 24 jeweils m.w.N.).

 

Da somit sämtliche Versicherungszeiten des Klägers durch die Beitragserstattung verfallen sind und er auch danach keine weiteren berücksichtigungsfähigen rentenrechtlichen Zeiten mehr zur Deutschen Rentenversicherung zurückgelegt hat, besteht kein Anspruch auf die Gewährung von Regelaltersrente unter Berücksichtigung der in Polen zurückgelegten Beitragszeiten in der Zeit vom 18.11.1974 bis zum 30.09.1980, da der Kläger die Wartezeit nach §§ 35 Satz 1 Nr. 2, 50 Abs. 1 SGB VI nicht erfüllt.

 

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.

 

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG. Der Senat schließt sich der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG, Urteil vom 09.12.1981 – 1 RA 35/80 – Rn. 26) an.

Rechtskraft
Aus
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