L 10 KR 9/24 KH

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
SG Detmold (NRW)
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Detmold (NRW)
Aktenzeichen
S 5 KR 345/19
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 KR 9/24 KH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 22.11.2023 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten auch des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 369,66 € festgesetzt.

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Notwendigkeit der Gabe von Apherese-Thrombozytenkonzentraten (ATK) anstelle von Pool-Thrombozytenkonzentraten (PTK).

 

Die Klägerin betreibt ein in den Krankenhausplan aufgenommenes Krankenhaus, in dem vom 15.08.2015 bis 21.08.2015 der bei der Beklagten krankenversicherte M. (* 00.00.0000) wegen einer infektiösen Endokarditis vollstationär behandelt wurde. Im Rahmen dieser Behandlung wurde unter anderem die Aortenklappe des Versicherten durch ein Xenotransplantat ersetzt.

 

Die Klägerin rechnete hierfür gegenüber der Beklagten insgesamt 31.298,03 € ab (Rechnung vom 25.08.2015, bei der Beklagten eingegangen noch am selben Tag). Darin enthalten war unter anderem ein Zusatzentgelt ZE147.03 (Gabe von Apherese-Thrombozytenkonzentrat: 2 Apherese-Thrombozytenkonzentrate) i.H.v. 1.120,25 €.

 

Die Beklagte kürzte die Rechnung und erteilte der Klägerin hierzu Folgendes mit (Schreiben vom 31.08.2015):

 

„Da wir keine Begründung für die Abrechnung von [ATK] erhalten haben, wurde ihre Rechnung entsprechend gekürzt. Statt des Zusatzentgeltes 147.03 (1.120,20 €) haben wir das Zusatzentgelt 146.02 (754,80 €) angewiesen. Wir verweisen in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 10.03.2015, B 1 KR 2/15 R).

Bitte schicken sie uns eine medizinische Begründung bis zum 14.09.2015.“

 

Eine Abrechnungsprüfung durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) leitete die Beklagte nicht ein.

 

Die Klägerin hat am 18.02.2019 Klage zum Sozialgericht Detmold erhoben.

 

Sie hat vorgetragen, die Gabe von ATK sei nicht unwirtschaftlich. Bislang lägen keine medizinischen Daten dafür vor, dass ATK und PTK im operativ-herzchirurgischen Bereich gleich geeignet seien.

 

Die Klägerin hat beantragt,

 

die Beklagte zu verurteilen, an sie 369,66 € nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.09.2019 zu zahlen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat vorgetragen, die Gabe von ATK sei vorliegend unwirtschaftlich gewesen. Es bestehe, was unter anderem aufgrund verschiedener Gutachten aus anderen sozialgerichtlichen Verfahren bekannt und auch in der Rechtsprechung anerkannt sei, grundsätzlich Gleichwertigkeit zwischen ATK und PTK. Die Klägerin hätte daher „wenigstens aufgrund der Nachfrage der Beklagten“ die Daten nach § 301 SGB V ergänzen und begründen müssen, weshalb die Gabe von ATK vorliegend ausnahmsweise notwendig gewesen sei.

 

Das Sozialgericht hat die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 369,66 € nebst Zinsen in beantragter Höhe zu zahlen (Urteil vom 22.11.2023). Grundsätzlich sei die Notwendigkeit der stationären Behandlung und die der jeweils eingesetzten Mittel vollumfänglich gerichtlich überprüfbar. Vorliegend sei allerdings der Maßstab für die Prüfung beschränkt, da die Beklagte es unterlassen habe, eine Prüfung nach § 275 Abs. 1 S. 1 SGB V einzuleiten. Das Versäumnis der Beklagten, den MDK einzuschalten, bewirke ein partielles Beweisverwertungsverbot. In einer solchen Situation bestehe kein grundsätzlicher Einwendungsausschluss der Krankenkasse. Auch sei das Gericht weiterhin verpflichtet, den entscheidungserheblichen Sachverhalt aufzuklären. Es dürfe dabei aber nicht die Daten erheben und auswerten, die nur im Rahmen des Prüfverfahrens vom MDK hätten erhoben werden können. Die Beklagte habe vorliegend keine Einwände vorgetragen, die dem Anspruch auf das Zusatzentgelt ohne Berücksichtigung der Patientendokumentation entgegenstünden. Insofern seien keine weiteren Ermittlungen medizinischer Art erforderlich gewesen. Das Gericht wäre vorliegend nur dann zu weiteren Ermittlungen verpflichtet gewesen, wenn die Beklagte auf konkrete Beweismittel außerhalb der Behandlungsunterlagen des Krankenhauses Bezug genommen hätte, aus denen sich Behauptungen ergeben könnten, die – deren Richtigkeit unterstellt – den Vergütungsanspruch ausschlössen. Dies sei jedoch nicht der Fall. Die Beklagte gehe fehl in ihrer Annahme, aus den übermittelten Daten nach § 301 SGB V ergebe sich zwangsläufig, dass die Gabe von PTK ausreichend gewesen sei. Dabei verkenne die Beklagte, dass bei dem Versicherten schon deshalb eine besondere medizinische Situation vorgelegen habe, weil neben der Karditis ein Tracheostoma als Nebendiagnose vorgelegen habe und nach der am 15.08.2015 durchgeführten Operation offensichtlich Nachblutungen aufgetreten seien, die die Gabe von Thrombozytenkonzentrat am 16.08.2015 und eine erneute Operation am 17. August erforderlich gemacht hätten. Dass bei dem noch jungen Versicherten keine Erkrankung des Blutgerinnungssystems kodiert worden sei, sei dabei unerheblich, da grundsätzlich eine patientenindividuelle Entscheidung notwendig sei, ob PTK hätten eingesetzt werden können oder aus Gründen der Vorsorge zur Vermeidung von Refraktärität ATK zu transfundieren gewesen seien. Soweit die Beklagte der Auffassung sei, der Krankheitsverlauf anhand der Daten nach § 301 SGB V spreche gegen die Erforderlichkeit des Einsatzes von ATK, sei dem entgegenzutreten. Es bestünden gerade wegen der Vielzahl der kodierten Erkrankungen und Prozeduren gewichtige Zweifel an der Schlüssigkeit der Ausführungen der Beklagten. Dies führe dazu, dass ohne die Behandlungsunterlagen die komplexe Prüfung der Indikation der Gabe von ATK bzw. die, ob PTK ausreichend gewesen wären, nicht möglich sei. Die Gleichwertigkeit von ATK und PTK sei in Abhängigkeit von der jeweils durchgeführten Behandlung zu betrachten. Dies berücksichtigend könne anhand der Daten nach § 301 SGB V nicht sicher ausgeschlossen werden, dass bei dem Versicherten Umstände vorgelegen hätten, die einen zwingenden Vorrang von ATK gegenüber PTK begründen könnten. Neben den bereits erwähnten Diagnosen hätten ein Nierenversagen, eine Abhängigkeitsstörung, eine temporäre Blutgerinnungsstörung und eine akute Blutungsanämie bestanden. Dieses Ergebnis gehe zulasten der Beklagten. Diese könne sich auch nicht darauf berufen, dass die Klägerin ihre Informationspflichten verletzt habe, weil sie ihrer Abrechnung keine Begründung für die Gabe von ATK beigefügt habe. Es erschließe sich schon nicht, auf welcher Grundlage die Beklagte eine solche Verpflichtung ableiten wolle.

 

Gegen das ihr am 27.12.2023 zugestellte Urteil wendet sich die Beklagte mit ihrer am 05.01.2024 eingelegten Berufung.

 

Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Klageverfahren. Ergänzend trägt sie vor, dass sie nicht verpflichtet gewesen sei, den MDK mit eine Abrechnungsprüfung zu beauftragen und eine solche auch nicht notwendig gewesen sei. Ihre Beratungsärzte prüften bereits auf der ersten Stufe der Abrechnungsprüfung mit, in welchen Behandlungsfällen der MDK einzuschalten sei. Aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot folge, dass ein Krankenhaus nur Anspruch auf die Vergütung einer wirtschaftlichen Krankenhausbehandlung habe. Nach den für die Abrechnung maßgeblichen Daten nach § 301 SGB V liege es, ausgehend von der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 10.03.2015, a.a.O.), auf der Hand, dass keine Ausnahmekonstellation für eine zwingende Indikation für die Gabe von ATK bestanden habe. Besondere Umstände des Einzelfalles habe die Klägerin nicht benannt. Die Beklagte vertrete insoweit eine sehr strenge Auslegung der Übermittlungspflichten nach § 301 SGB V; danach seien Ausnahmekonstellationen, in denen ausnahmsweise die Gabe von ATK indiziert sei, im Rahmen der Daten nach § 301 SGB V mitzuteilen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Detmold vom 22.11.2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das angegriffene Urteil für rechtmäßig. Ergänzend trägt sie vor, vorliegend ergäben sich gerade aus den nach § 301 SGB V übermittelten Daten konkret kodierte Umstände, die für eine Gabe von ATK anstelle von PTK sprächen. Die Beklagte, die allenfalls aus dem Nichtvorliegen bestimmter OPS-und ICD-Ziffern Rückschlüsse ziehen könne, vermöge den Beweis gegen eine Notwendigkeit von ATK nicht zu führen. Eine Kontraindikation habe die Beklagte insoweit nicht vorgetragen.

 

Der Senat hat der Beklagten gemäß §§ 106 Abs. 2 Nr. 1, 153 Abs. 1 SGG Gelegenheit gegeben, vorzutragen, ob und gegebenenfalls aufgrund welcher tatsächlichen Umstände des streitanlässlichen Behandlungsfalls die Gabe von ATK nicht notwendig gewesen bzw. die Gabe von PTK ausreichend gewesen wäre und etwaige Beweismittel zu bezeichnen (Verfügung vom 05.12.2024, der Beklagten zugestellt gegen Empfangsbekenntnis noch am selben Tag).

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.

 

1. Die Berufung ist insbesondere statthaft, obwohl der Streitwert lediglich 369,66 € beträgt (§ 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG), denn das Sozialgericht hat die Berufung zugelassen (§ 144 Abs. 3 SGG). Dabei ist unschädlich, dass sich der Ausspruch über die Zulassung nicht im Tenor des angegriffenen Urteils findet, weil sich aus den Entscheidungsgründen zweifelsfrei ergibt, dass das Sozialgericht die Berufung bewusst wegen grundsätzlicher Bedeutung zulassen wollte (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, § 144 Rn. 39 m.w.N.). Das Sozialgericht hat hierzu in seinen Entscheidungsgründen ausgeführt, die Frage, anhand welcher Unterlagen die Prüfung der Wirtschaftlichkeit von ATK vorzunehmen sei, sei ebenso ungeklärt, wie die Frage, welche abstrakten Kriterien in die Prüfung einfließen könnten. Weitere Bedenken gegen die Zulässigkeit der Berufung bestehen nicht.

 

2. Das Sozialgericht hat die Beklagte aber zu Recht zur Zahlung des Zusatzentgelts für die Gabe von ATK verurteilt.

 

Rechtsgrundlage des von einem Krankenhaus wegen der vollstationären Behandlung gesetzlich Krankenversicherter geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V i.V.m. § 7 KHEntgG und § 17b KHG. Die auf diese Rechtsgrundlagen gestützte Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung – wie hier – in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird. Die Krankenhausbehandlung umfasst dabei im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind (§ 39 Abs. 1 S. 3 SGB V). Ein Vergütungsanspruch setzt danach voraus, dass die Krankenhausbehandlung dem maßgeblichen Qualitätsgebot entsprach, die vollstationäre Leistungserbringung erforderlich war (§ 39 Abs. 1 S. 2 SGB V) und die Leistungen insgesamt wirtschaftlich (§ 12 Abs. 1 SGB V) erbracht wurden (BSG, Urteil vom 13.12.2022 – B 1 KR 33/21 R –, Rn. 10 m.w.N. <st.Rspr.>; zur Ermittlung der abzurechnenden Vergütung vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R –, juris Rn. 15 ff.).

 

Zu der dem Krankenhaus danach zustehenden Vergütung gehören vorliegend auch die – allein streitgegenständlichen – Zusatzentgelte für die Gabe von ATK (ZE 147; §§ 7 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 9 Abs. 1 Nr. 2 KHEntgG, § 5 Abs. 1 S. 1 i.V.m. Anl. 5 zur Fallpauschalenvereinbarung <FPV>).

 

Mit ihren hiergegen gerichteten Einwendungen (dazu a) vermag die Beklagte nicht durchzudringen. Zwar ist ihr die Geltendmachung entsprechender Einwendungen nicht schon deshalb abgeschnitten, weil sie keine Abrechnungsprüfung durch den MDK eingeleitet hat (dazu b), die Prüfung des Senats beschränkt sich allerdings auf substantiierte Einwendungen der Beklagten (dazu c). Nach diesen Maßstäben kann die Beklagte aber nicht damit gehört werden, dass die Klägerin eine Begründung für die Gabe von ATK insbesondere im Rahmen der Datenübermittlung nach § 301 SGB V hätte mitteilen müssen (dazu d). Der Hinweis der Beklagten, dass sich bereits aus der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ergebe, dass die Gabe von ATK nur in bestimmten Ausnahmefällen wirtschaftlich sei, verfängt ebenfalls nicht (dazu e).

 

a) Die Beklagte wendet sich vorliegend nicht gegen die Fälligkeit des streitbefangenen Anspruchs, sondern bestreitet dessen Bestehen als solches. Dies hat die Beklagte in der mündlichen Verhandlung des Senats auf Nachfrage ausdrücklich bestätigt. Von diesem Verständnis der Einwendungen der Beklagten geht der Senat daher in seiner Beurteilung aus.

 

Bloß der Vollständigkeit halber weist der Senat indes darauf hin, dass auch ein anderes Verständnis der Einwendungen der Beklagten – nämlich als solche gegen die Fälligkeit des streitbefangenen Anspruchs – jedenfalls nicht fernliegend erscheint. Für ein solches Verständnis könnte vielmehr sprechen, dass die Rechtsauffassung der Beklagten, was diese ebenfalls in der mündlichen Verhandlung des Senats eingeräumt hat, auf einer „sehr strengen“ Auslegung des § 301 SGB V basiert. Die dortigen Anforderungen an die Abrechnung betreffen aber nicht das Bestehen des Vergütungsanspruchs als solchem, sondern dessen Fälligkeit (zu einer formal ordnungsgemäßen Abrechnung als Grundvoraussetzung der Fälligkeit vgl. BSG, Urteil vom 21.04.2015 – B 1 KR 10/15 R –, Rn. 10; Urteil des Senats vom 16.08.2023 – L 10 KR 941/21 KH –, juris Rn. 28). Weiter könnte für ein abweichendes Verständnis auch das Schreiben der Beklagten vom 31.08.2015 sprechen, konkret dessen letzter Satz („Bitte schicken Sie und eine medizinische Begründung bis zum 14.09.2015“), der nach dem maßgeblichen objektiven Empfängerhorizont (zur Auslegung rechtsgeschäftsähnlicher Erklärungen vgl. BSG, Beschluss vom 31.07.2023 – B 1 KR 19/22 B –, juris Rn. 6; ähnlich auch BSG, Urteil vom 28.03.2017 – B 1 KR 15/16 R –, Rn. 14) ohne Weiteres so verstanden werden könnte, dass die Beklagte sich vorbehalten wollte, über den Anspruch auf das Zusatzentgelt gegebenenfalls erst nach Eingang einer medizinischen Begründung abschließend zu befinden. Selbst wenn man ein solch fälligkeitsbezogenes Verständnis zugrunde legte, folgte aus den nachfolgend (unter d/aa) ausgeführten Gründen aber keine im Ergebnis andere Beurteilung.

 

b) Die Beklagten ist mit ihren Einwendungen gegen den Anspruch auf das streitbefangene Zusatzentgelt allerdings nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil sie – unstreitig – kein Abrechnungsprüfverfahren durch dem MDK einleitete. Der Beklagten ist insoweit auch zuzugeben, dass nach den allgemeinen Regeln über die Beweislast grundsätzlich das Krankenhaus die (materielle) Beweislast für das Vorliegen derjenigen Tatsachen trägt, die den mit der Klage geltend gemachten Vergütungsanspruch begründen (vgl. statt vieler: BSG, Urteil vom 14.10.2014 – B 1 KR 27/13 R –, juris Rn. 18; Urteil vom 19.12.2017 – B 1 KR 19/17 R –, Rn. 26). Auch war die Beklagte nicht verpflichtet, ein Prüfverfahren durch den MDK einzuleiten (BSG, Urteil vom 22.06.2022 – B 1 KR 19/21 R –, Rn. 22 ff.; zur Einholung eines Kurzberichts vgl. auch BSG, Urteil vom 07.03.2023 – B 1 KR 11/22 R –, Rn. 23 ff.). Die Beklagte war auch nicht aufgrund der Nichteinleitung des Prüfverfahrens daran gehindert, das Vorliegen der Anspruchsvoraussetzungen des streitbefangenen Zusatzentgelts wirksam zu bestreiten und ihre Einwendungen gerichtlich überprüfen zu lassen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 22.06.2022, a.a.O. Rn. 25, 31). Aus Sicht der Krankenkasse ist die Eröffnung eines Prüfverfahrens nach § 275c SGB V nur erforderlich, wenn sie Fragen nach der sachlich-rechnerischen Richtigkeit der Abrechnung oder der Beachtung des Wirtschaftlichkeitsgebotes – gegebenenfalls auch nach Beratung durch den MDK im Sinne der zweiten Prüfstufe – nicht abschließend beantworten kann. Der Krankenkasse steht es frei, den Vergütungsanspruch des Krankenhauses aus jeglichem Grund zu bestreiten und mit anderen Beweismitteln als den Behandlungsunterlagen des Krankenhauses zu widerlegen (BSG, a.a.O. Rn. 28 m.w.N.).

 

c) Zutreffend hat allerdings bereits das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass die Amtsermittlungspflicht der Sozialgerichte in Fällen wie dem vorliegenden beschränkt ist. Hat die Krankenkasse von einem Prüfverfahren i.S.d. § 275 Abs. 1c SGB V abgesehen, besteht eine auf die Einwände der Krankenkasse beschränkte Ermittlungspflicht des Gerichts. Daran muss das Krankenhaus nicht mitwirken. Die Erhebung und Verwertung derjenigen Daten, die nur im Rahmen des Prüfverfahrens durch den MDK beim Krankenhaus hätten erhoben werden können, ist dem Gericht verwehrt. Da bei Nichtdurchführung des Prüfverfahrens der Krankenkasse ihre Einwände nicht abgeschnitten sind, ist das Gericht zur Ermittlung des entscheidungserheblichen Sachverhalts verpflichtet (§ 103 SGG). Zur Ermittlung besteht nur Anlass, wenn von den Beteiligten ein dem Gericht nicht bekannter Sachverhalt so vorgetragen wird, dass seine Entscheidungserheblichkeit erkennbar wird und sich daraus Anlass zu Ermittlungen ableiten lässt. Dies erfordert, dass die Krankenkasse auf konkrete Beweismittel außerhalb der Behandlungsunterlagen des Krankenhauses Bezug nimmt, aus denen Tatsachenbehauptungen abgeleitet werden können, die, wenn sie zutreffen, geeignet sind, den Vergütungsanspruch des Krankenhauses zu reduzieren oder gar auszuschließen (BSG, Urteil vom 22.06.2022, a.a.O. Rn. 32 f.). Insoweit bestehen für die Krankenkasse gesteigerte Darlegungsanforderungen. Diese muss im Vergütungsstreit ihre Einwände gegen den Vergütungsanspruch des Krankenhauses auch ohne die Notwendigkeit der Datenerhebung beim Krankenhaus schlüssig vortragen (BSG, a.a.O. Rn. 39).

 

d) Nach diesen Maßstäben kann sich die Beklagte gegen den Anspruch auf das streitbefangene Zusatzentgelt nicht mit dem Hinweis verteidigen, dass die Klägerin mit den sog. 301er-Daten keine Begründung mitgeteilt habe, unter denen die Gabe nach Meinung der Beklagten allein in Betracht kommen könne. Eine Verpflichtung zur Übermittlung entsprechender Ausnahmeindikation lässt sich insbesondere § 301 Abs. 1 SGB V bereits nicht entnehmen (dazu aa), ebenso wenig dem maßgeblichen Landesvertrag (dazu bb). Ungeachtet dessen steht die Rechtsauffassung der Beklagten im Widerspruch zur gerade genannten Darlegungslastverteilung (dazu cc) wie auch zum dreistufigen Aufbau der Abrechnungsprüfung (dazu dd).

 

aa) Die Klägerin war nicht verpflichtet, der Beklagten mit den Daten nach § 301 SGB V zugleich eine Begründung für die Gabe von ATK anstelle von PTK mitzuteilen. Der – abschließende (Michels in Becker/Kingreen, SGB V, 9. Aufl. 2024, § 301 Rn. 2; Köbler in BeckOK KHR <Stand: 01.12.2024>, § 301 SGB V Rn. 2; von Dewitz in Spickhoff, MedR, 4. Aufl. 2022, § 301 SGB V Rn. 3; vgl. auch BT-Drs. 12/3608, S. 124 <zu Art. 1 Nr. 141>; ebenso BSG, Urteil vom 23.07.2002 – B 3 KR 64/01 R –, juris Rn. 19 ff., dort auch zu weitergehenden Übermittlungspflichten i.R.d. vgl. § 275c SGB V; dazu auch Luthe in Hauck/Noftz, SGB V <Stand: III/2020>, § 301 Rn. 7 ff.) – Katalog der zu übermittelnden Angaben nach § 301 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 bis 10 SGB V enthält keine derartige Vorgabe. Danach sind u.a. die Einweisungs- und Aufnahmediagnosen sowie bei einer Änderung der Aufnahmediagnose auch die nachfolgenden Diagnosen (§ 301 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB V) wie auch Datum und Art der im oder vom jeweiligen Krankenhaus durchgeführten Operationen und sonstigen Prozeduren (§ 301 Abs. 1 S. 1 Nr. 6 SGB V) zu übermitteln. Dass die Klägerin diese Übermittlungspflichten für sich betrachtet vorliegend erfüllt hat, bestreitet auch die Beklagte nicht. Bedenken bestehen insoweit auch nach Durchsicht des Verwaltungsvorgangs der Beklagten nicht.

 

Ebenso war die Beklagte bundesrechtlich nicht verpflichtet, eine medizinische Begründung abzugeben. Zwar hat das Krankenhaus nach § 301 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB V auf Verlangen der Krankenkasse eine medizinische Begründung vorzulegen, dies aber allein in Fällen, in denen die voraussichtliche Dauer der Krankenhausbehandlung überschritten wird (vgl. dazu BSG, Urteil vom 07.03.2023 – B 1 KR 11/22 R –, Rn. 16 f.). Eine medizinische Begründung dazu, weshalb die Krankenhausärztinnen und -ärzte bestimmte Behandlungsentscheidungen so und nicht anders getroffen haben, sieht § 301 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB V dagegen nicht vor. Im Übrigen mag dahinstehen, ob die Mitteilung der Beklagten vom 09.12.2015 überhaupt ein Verlangen nach einer medizinischen Begründung i.S.d. § 301 SGB V enthält, denn letztlich teilt die Beklagte darin nicht etwa mit, dass sie die Abrechnung gegebenenfalls erst nach Vorlage einer medizinischen Begründung begleichen werde, sondern vielmehr, dass sie die Krankenhausrechnung der Klägerin bereits gekürzt habe. Gerade der Umstand, dass die Beklagte der Klägerin insoweit eine "Hintertür" offenließ, die Gabe nachträglich noch medizinisch zu begründen, lässt erkennen, dass offenbar auch die Beklagte selbst nicht davon ausging, dass die Notwendigkeit der Gabe von ATK anhand nur der Daten nach § 301 SGB V abschließend ausgeschlossen werden könnte.

 

bb) Aus § 2 Abs. 1 S. 2 des nordrhein-westfälischen Vertrages gemäß § 112 Abs. 2 Nr. 2 SGB V – Überprüfung der Notwendigkeit und Dauer der Krankenhausbehandlung – ergibt sich nichts anderes, weil es vorliegend nicht im die Notwendigkeit und Dauer der stationären Behandlung geht – sprich: eine primäre oder sekundäre Fehlbelegung –, sondern bloß die Notwendigkeit eines bestimmten Teils der Behandlung. Dass der Versicherte vorliegend dem Grunde nach stationärer Krankenhausbehandlung und dieser auch in der stattgehabten Dauer bedurfte, steht dagegen außer Streit.

 

cc) Darüber hinaus verstieße es gegen die Regeln über die Darlegungslast, wenn die Beklagte in Fällen wie dem vorliegenden allein auf Grundlage der Daten nach § 301 SGB V die Begleichung der Krankenhausabrechnung verweigern dürfte, wenn bzw. solange die Klägerin nicht ihrerseits darlegt, dass in dem streitanlässlichen Behandlungsfall bestimmte Ausnahmeindikationen vorlagen, in denen die Gabe von ATK nach Meinung der Beklagten allein in Betracht kommen könnte. Wie ausgeführt treffen vielmehr die Beklagte gesteigerte Darlegungsanforderungen; diese muss gegen den Klageanspruch ohne die Notwendigkeit der Datenerhebung beim Krankenhaus schlüssig vortragen (dazu bereits oben c). Diese Verteilung der Darlegungslast würde in ihr Gegenteil verkehrt, wenn die Beklagte die von ihr darzulegenden Einwendungen darauf beschränken könnte, dass die Gabe von ATK nur in bestimmten Ausnahmekonstellationen indiziert sei, deren Vorliegen anhand der Angaben des Krankenhauses i.R.d. § 301 SGB V aber nicht erkennbar seien. Denn damit träfe die Darlegungslast im Ergebnis doch das Krankenhaus.

 

dd) Weiter würden mit der Rechtsauffassung der Beklagten Prüfungsschritte der zweiten und dritten Stufe der Abrechnungsprüfung systemwidrig auf deren erste Stufe vorverlagert.

 

Auf der ersten Stufe der Abrechnungsprüfung hat das Krankenhaus nach ständiger Rechtsprechung alle Angaben nach § 301 Abs. 1 SGB V zu machen, und zwar zutreffend und vollständig. Erschließen sich die Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung oder weitere Abrechnungsvoraussetzungen den – medizinisch in der Regel nicht besonders ausgebildeten – Mitarbeitern der Krankenkasse aufgrund der gebotenen Angaben nach § 301 SGB V oder eines etwaigen Kurzberichts nicht selbst, ist erst auf der zweiten Stufe ein Prüfverfahren nach § 275 Abs. 1 Nr. 1 SGB V einzuleiten. Danach ist beim MD eine gutachtliche Stellungnahme einzuholen, wenn die vom Krankenhaus erteilten und ansonsten zur Verfügung stehenden Informationen zur Prüfung insbesondere von Voraussetzung, Art und Umfang der Krankenhausbehandlung nicht ausreichen. Dazu hat die Krankenkasse dem MD gemäß § 276 Abs. 1 S. 1 SGB V alle in ihrem Verfügungsbereich befindlichen und zur Begutachtung erforderlichen Unterlagen vorzulegen. Im Rahmen einer nach diesen Voraussetzungen ordnungsgemäß eingeleiteten Prüfung hat das Krankenhaus schließlich auf der dritten Stufe der Sachverhaltserhebung, wenn sich also unter Auswertung der auf der ersten und zweiten Stufe verfügbaren Sozialdaten kein abschließendes Ergebnis finden lässt, nach § 276 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 SGB V dem MD auch über die Daten nach § 301 SGB V und einen etwaigen Kurzbericht hinaus alle weiteren Angaben zu erteilen und Unterlagen vorzulegen, die im Einzelfall zur Beantwortung der Prüfanfrage der Krankenkasse benötigt werden (dazu bereits BSG, Urteil vom 27.11.2014 – B 3 KR 7/13 R –, Rn. 16; Urteil vom 16.05.2013 – B 3 KR 32/12 R –, Rn. 21 ff.; Urteil vom 13.11.2012 – B 1 KR 14/12 R –, Rn. 29; Urteil des Senats vom 16.08.2023, a.a.O. Rn. 36).

 

Hat – wie vorliegend (dazu bereits oben aa und bb) – das Krankenhaus aber seine Informationspflichten nach § 301 SGB V erfüllt und ist auch kein Raum für die Einholung eines Kurzberichts, ist danach kein Raum dafür, die Informationsobliegenheiten der Klägerin auf erster Stufe über die Grenzen des § 301 SGB V sowie des einschlägigen Landesertrages hinaus auszudehnen. Die Beklagte ist, sofern sie meint, für eine abschließende Entscheidung über den Vergütungsanspruch des Krankenhauses weitere Daten zu benötigen, auf die Einschaltung des MD und die dritte Stufe der Abrechnungsprüfung verwiesen. Dass, worauf die Beklagte im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem Senat hingewiesen hat, in ihrem Hause bereits an der Prüfung auf erster Stufe Ärzte beteiligt seien, um insbesondere auszuwählen, welche Behandlungsfälle sich für eine Einschaltung des MD eignen, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Denn weitere Erhebungen zum Sachverhalt, die über die nach § 301 SGB V mitzuteilenden Daten sowie einen etwaigen Kurzbericht hinausgehen, haben nicht auf erster, sondern auf dritter Stufe der Abrechnungsprüfung stattzufinden.

 

e) Aus der von der Beklagten in Bezug genommenen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Urteil vom 10.03.2015 – B 1 KR 2/15 R –) ergibt sich ebenfalls keine andere Beurteilung. Zwar ist der Beklagten zuzugeben, dass das Bundessozialgericht dort entschieden hat, dass die Gabe von ATK nur dann medizinisch notwendig sei, wenn bestimmte Besonderheiten in der Person des Patienten vorliegen, wie eine Autoimmunisierung gegen HLA-Klasse-I-Antigene und HPA-Antigene sowie bei Refraktärität gegenüber Thrombozytentransfusionen (BSG, a.a.O. Rn. 24). Unabhängig davon, dass das sozialgerichtliche Verfahren eine "Tatsachenrevision" nicht kennt (anders dagegen § 78 Abs. 8 AsylG; zur auch dort bestehenden Pflicht der Gerichte, den jeweils aktuellen Sachverhalt festzustellen, zudem BVerfG, Beschluss vom 12.12.2024 – 2 BvR 1341/24 –, Rn. 16, 20), sondern das Bundessozialgericht grundsätzlich an die Feststellungen der Tatsachengerichte gebunden ist (§ 163 SGG; zu dieser Bindung gerade in der von der Beklagten herangezogenen Entscheidung des BSG ebd., Rn. 24), lassen sich dieser Rechtsprechung an keiner Stelle irgendwelche gesteigerten Begründungs- oder Darlegungsanforderungen des Krankenhauses i.R.d. § 301 SGB V entnehmen. Mithin gelten auch in Fällen, in denen die Notwendigkeit der Gabe von ATK anstelle von PTK im Streit steht, für die Beurteilung der Notwendigkeit und insbesondere Wirtschaftlichkeit der Krankenhausbehandlung die allgemeinen Maßstäbe. Danach obliegt es den Sozialgerichten, die Notwendigkeit der Gabe von ATK jeweils im Einzelfall festzustellen (vgl. diesem Sinne auch: BSG, Beschluss vom 05.12.2022 – B 1 KR 15/21 B –, juris Rn. 11 f.; Beschluss vom 19.08.2021 – B 1 KR 12/21 B –, juris Rn. 7).

 

3. Der Zinsanspruch folgt aus § 15 Abs. 1 S. 4 des nordrhein-westfälischen Vertrages nach § 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V – Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung –.

 

4. Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung folgen aus § 197 Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO bzw. §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 3 S. 1, 47 Abs. 1 S. 1 GKG.

 

5. Anlass, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.

 

Rechtskraft
Aus
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