L 2 R 2020/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 17 R 1058/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 R 2020/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Mai 2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu
erstatten.



Tatbestand

Streitig ist die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung für die Zeit ab 02.12.2021.

Der 1961 geborene, alleinlebende Kläger stammt gebürtig aus Griechenland und lebt seit seinem 21. Lebensjahr dauerhaft in der Bundesrepublik. Von November 1986 bis Oktober 2018 war er als Maschinenbediener/Abräumer bei der R1 GmbH versicherungspflichtig beschäftigt. Ab November 2018 bis 05.03.2020 bezog er Krankengeld und nach der Aussteuerung ab 06.03.2020 bis 04.03.2022 Arbeitslosengeld. Im Anschluss hieran bezog er keine weiteren Sozialleistungen. Seit 01.05.2023 bezieht der Kläger von der Beklagten Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Bei dem Kläger ist seit 11.07.2019 ein Grad der Behinderung von 50 anerkannt. Wegen der Einzelheiten der rentenversicherungsrechtlichen Zeiten nimmt der Senat auf den Versicherungsverlauf vom 04.07.2024 (Bl. 24 ff. Senatsakte) Bezug.

Der Kläger ist seit Mai 2011 aufgrund eines Sekundärglaukoms mit Rubeosis iridis auf dem Boden eines alten stattgehabten Netzhautgefäßverschlusses auf dem rechten Auge erblindet.

Vom 23.10.2019 bis 04.12.2019 befand sich der Kläger in einer ganztägigen, ambulanten, psychosomatischen-psychotherapeutischen Rehabilitationsmaßnahme in der L1klinik in S1. Die dort behandelnden Ärzte stellte die Diagnosen Angst und depressive Störung, gemischt; psychische und Verhaltensstörungen durch Tabak: Abhängigkeitssyndrom, Blindheit rechtes Auge mit Phtisis bulbi rechts, Glaukom linkes Auge, arterielle Hypertonie, medikamentös unzureichend eingestellt; primäre Gonarthrose, belastungsabhängige Dorsalgie, Spannungskopfschmerz, V.a. Presbyopie (vgl. Reha-Entlassungsbericht vom 05.12.2019). Nach sozialmedizinischer Leistungsbeurteilung sei der Kläger aufgrund noch nicht ausreichender Stabilisierung verbunden mit drohender Dekompensation bei sofortiger Rückkehr in das Arbeitsumfeld arbeitsunfähig aus der Rehabilitationsmaßnahme entlassen worden. Es bestehe ein eingeschränktes Leistungsvermögen für die zuletzt ausgeübte Tätigkeit (drei bis unter sechs Stunden) sowie ein vollschichtiges Leistungsvermögen (sechs Stunden und mehr) für den allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung qualitativer (näher dargelegter) Einschränkungen sowohl aufgrund der einseitigen Blindheit als auch und insbesondere aufgrund der psychischen Erkrankung. Im Vordergrund stehe derzeit noch eine psychotherapeutische Weiterbehandlung. Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben seien nicht indiziert, sollten aber bei Persistenz des Beschwerdebildes mit fortgesetzter Gefährdung der Erwerbsfähigkeit geprüft werden, da davon auszugehen sei, dass der Kläger einen geeigneten Zwischenschritt für eine erfolgsversprechende Reintegration ins Erwerbsleben benötige. Die Ärzte empfahlen eine ambulante Psychotherapie in Muttersprache sowie eine Nikotinentwöhnung. Der Kläger gab dort an, starke Zukunfts- und Existenzängste, insbesondere mit Blick auf die nachlassende Sehfähigkeit und die Möglichkeit einer (beidseitigen) Erblindung zu haben.

Am 02.12.2021 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung. Den Antrag lehnte die Beklagte nach Beiziehung ärztlicher Befundberichte, unter Berücksichtigung des Reha-Entlassungsberichtes und nach Einholung der sozialmedizinischen Stellungnahme des T1 vom 20.04.2022 mit Bescheid vom 21.04.2022 ab, da die medizinischen Voraussetzungen nicht vorlägen.

Hiergegen erhob der rechtskundig vertretene Kläger unter Vorlage eines Schreibens der E1 Widerspruch und trug zur Begründung vor, er leide an einer rezidivierenden depressiven Störung mit gegenwärtiger mittel- bis schwergradiger Episode, weshalb er seit Jahren hochdosierte schlafanstoßende Antidepressiva einnehme. Eine Besserung diesbezüglich sei durch die Rehabilitationsmaßnahme nicht eingetreten. Zudem führe die rechtsseitige Erblindung zu erheblichen Einschränkungen. Für alltägliche Verpflichtungen benötige er Unterstützung von seiner Tochter.

Die Beklagte holte daraufhin das Gutachten der H1 vom 08.02.2023 (Tag der Untersuchung 01.02.2023) ein. Diese führte aus, bei dem Kläger liege eine chronifizierte, leicht- bis mittelgradige depressive Episode mit Einschränkung der Flexibilität, Motivation und Selbstfürsorge; eine Blindheit des rechten Auges mit Augapfelschrumpfung und Einschränkung des räumlichen Sehvermögens bei Z.n. akutem Infarkt eines Augengefäßes und eine Seheinschränkung links bei Alterssichtigkeit und Glaukom links vor, daneben bestehe ein krisenhaft erhöhter Blutdruck (unzureichend medikamentös behandelt), fortgesetzter Nikotinkonsum, Spannungskopfschmerzen sowie belastungsabhängige Kniebeschwerden nach Meniskus-OP links. Dem Kläger seien leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen in einem Umfang von sechs Stunden und mehr im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche zumutbar. Möglich seien leichte körperliche Tätigkeiten zeitweise im Stehen, überwiegend im Gehen oder Sitzen in Tagesschicht. Qualitative Einschränkungen bestünden bezüglich Arbeiten mit erhöhter Stressbelastung, Zeitdruck, taktgebundener Arbeiten sowie bezüglich der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit, Verantwortung für Maschinen und Personen, erhöhter Anforderungen im Bereich fachlicher Diskussionen sowie – aufgrund der Augenerkrankung – bezüglicher thermischer Belastungen, Dampf- und Rauchentwicklung und Arbeiten mit Anforderungen an das räumliche Sehvermögen. Der Kläger könne die üblichen Wegstrecken von vier Mal 500 Metern täglich zurücklegen und öffentliche Verkehrsmittel nutzen. Ein Führerschein sei nicht vorhanden.

Hierauf gestützt wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 22.03.2023 als unbegründet zurück.

Hiergegen hat der rechtskundig vertretene Kläger am 28.03.2023 Klage zum Sozialgericht (SG) Stuttgart erhoben.

Das SG hat die den Kläger behandelnden Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen befragt. Der S2 hat im Juni 2023 mitgeteilt, der Kläger leide rechtsseitig an einer Erblindung nach Gefäßverschluss und Sekundärglaukom, einer Rubeosis iridis, Amaurose und Phthisis bulbi sowie linksseitig an einem Glaucoma chronicum simplex. Seit Juni 2021 sei es zu keiner Befundänderung gekommen. Das linke Auge sei unter antiglaukomatöser Lokaltherapie stabil eingestellt. Der Kläger könne leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich im Rahmen einer Fünf-Tage-Woche ausüben. Qualitative Einschränkungen bestünden für Anforderungen an das räumliche Sehen und aufgrund einer Gesichtsfeldeinschränkung nach rechts. Seiner Auskunft hat er die Messwerte der Augen beigefügt, aus denen sich ergibt, dass der Kläger im Februar und Mai 2023 auf dem linken Auge einen Visus in der Ferne von 1,0 und in der Nähe von +2,0 hatte.
Der M1 hat im Juli 2023 mitgeteilt, dass der Schwerpunkt des klägerischen Leidens auf dem Gebiet der Psychiatrie liege. Der Kläger sei auch für wenige Stunden leichter Tätigkeit nicht mehr belastbar. Seine Fähigkeit zur sozialen Interaktion und zur situativen Anpassung sei erheblich eingeschränkt.
Die E1 hat im August 2023 mitgeteilt, der Kläger leide an einer rezidivierenden depressiven Störung mit gegenwärtig mittelgradiger Episode, einer Dysthymie und einer Panikstörung. Der Kläger sei nicht mehr in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben.

Hierzu hat die H2 im Auftrag der Beklagten die sozialmedizinische Stellungnahme vom 22.09.2023 abgegeben und ausgeführt, dass die Defizite durch entsprechende qualitative Einschränkungen (Tätigkeiten ohne besondere Anforderungen an das Anpassungs- und Umstellungsvermögen bzw. ohne Konfliktpotential und besondere Anforderungen an soziale Interaktionsfähigkeit) ausreichend berücksichtigt werden könnten.

Mit Gerichtsbescheid vom 29.05.2024 hat das SG die Klage abgewiesen und ausgeführt, dass der Kläger keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung habe, da er leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes unter Berücksichtigung qualitativer Leistungseinschränkungen noch mindestens sechs Stunden täglich verrichten könne.
Auf psychiatrischem Gebiet bestehe bei dem Kläger eine chronifizierte leicht- bis mittelgradig depressive Episode mit Einschränkung der Flexibilität, Motivation und Selbstfürsorge. Dies ergebe sich aus dem Verwaltungsgutachten von H1. In sich schlüssig, nachvollziehbar und daher überzeugend komme sie in ihrem Gutachten zu dem Ergebnis, dass der Kläger vor dem Hintergrund der von ihr erhobenen Befunde noch regelmäßig einer Erwerbstätigkeit nachgehen könne, die er unter Beachtung der von H1 näher bestimmten qualitativen Einschränkungen in einem quantitativen Umfang von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich auszuüben in der Lage sei. So sei der Kläger noch in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten zeitweise im Stehen und überwiegend im Gehen oder Sitzen in Tagesschicht zu verrichten. Einschränkungen ergäben sich hinsichtlich Arbeiten mit erhöhter Stressbelastung, Zeitdruck, taktgebundener Arbeiten sowie bezüglich der Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit. Verantwortung für Maschinen und Personen sei zu vermeiden. Erhöhte Anforderungen im Bereich fachlicher Diskussionen seien nicht leidensgerecht. Rentenrechtlich relevante Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit seien danach nicht gegeben. Dem schließe sich das SG an. Die von H1 berichteten Ergebnisse ihrer Anamnese- und Befunderhebung ließen auch für das SG nicht die Annahme einer wesentlichen Leistungsminderung zu. Die berichteten Beeinträchtigungen bedingten jeweils für sich genommen und auch zusammengenommen zwar qualitative, nicht aber quantitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit. So sei das Verhalten des Klägers während der Untersuchung zurückhaltend, aber ausreichend auskunftsbereit und im Kontakt freundlich gewesen. Mimik und Gestik seien unauffällig gewesen. Im psychischen Befund sei der Kläger wach, bewusstseinsklar und zu allen Qualitäten orientiert gewesen. Aufmerksamkeit, Merkfähigkeit und Gedächtnis seien nicht beeinträchtigt, die Konzentrationsfähigkeit sei während der Untersuchung gut gewesen. Im formalen Denken sei der Kläger geordnet, dabei auf die körperliche Krankheitssituation, das Sehen und die Schlafstörungen eingeengt gewesen. Es hätten Grübeln und Zukunftsängste vorgelegen, aber keine Panikattacken. Inhaltlich hätten sich kein Wahn, keine Halluzinationen, keine psychotischen Ich-Störungen gefunden. Die Grundstimmung sei subdepressiv gedrückt, die affektive Schwingungsfähigkeit erhalten gewesen. Der Kläger habe einen fehlenden Antrieb und einen Interessensverlust an neuen Erfahrungen angegeben. Bekannte Beschäftigungen würden aber regelmäßig durchgeführt und genossen. Insgesamt ordne H1 den Antrieb als erhalten ein, auch Freudfähigkeit sei gegeben. Angegeben worden seien ferner innere Unruhe sowie ausgeprägte Ein- und Durchschlafstörungen. Insgesamt habe sich ein resignativ verändertes Bild gezeigt. Die Symptomatik sei insgesamt als leicht bis höchstens mittelgradig einzuordnen. Der Serumspiegel für das verordnete Medikament Mirtazapin habe unterhalb der Nachweisgrenze gelegen, so dass unklar bleibe, ob das Medikament eingenommen werde. Der neurologische Befund sei unauffällig gewesen. Auch der beschriebene Tagesablauf, die ausgeübten Tätigkeiten und die soziale Interaktion zeigten zur Überzeugung des SG, dass der Kläger noch hinreichend in der Lage sei, sich zu strukturieren und einer geregelten Tätigkeit nachzugehen. Nach dem Aufstehen trinke er Kaffee, gehe dann eine Stunde spazieren und verbringe den Tag danach zu Hause. Er schaue Fernsehen, gern Sport, vor allem Fußball und Basketball. Er lebe alleine in einer Wohnung zur Miete. Er bekomme regelmäßig Besuch von seiner Tochter und von Nichten und Neffen. Am Wochenende besuchten ihn Verwandte. Er habe einen Freund, mit dem er spazieren oder Kaffee trinken gehe. Jedes Jahr fahre er im Sommer nach Griechenland.
Die Überzeugungskraft des Gutachtens von H1 werde nicht durch die Ausführungen des sachverständigen Zeugen K1 in der schriftlichen Stellungnahme vom 12.07.2023 erschüttert. Er habe zwar ausgeführt, dass der Kläger vorrangig auf dem psychiatrischen Gebiet eingeschränkt sei, zudem Einschränkungen auf augenärztlichem Fachgebiet vorlägen und der Kläger auch für wenige Stunden leichter körperlicher Tätigkeit nicht belastbar sei. Eine weitergehende Begründung habe der Arzt jedoch nicht geliefert. Auch einen objektiven Befund, aus dem diese Einschätzung ableitbar wäre, habe er nicht angeführt. Schließlich ergebe sich für das SG, dass auch K1 von einem unveränderten Zustand ausgehe. Eine Besserung des Zustandes sei nicht eingetreten. Eine Verschlechterung habe er jedoch auch nicht mitgeteilt und sei aus den Angaben auch nicht ableitbar.
Soweit die sachverständige Zeugin E1 unter dem 18.08.2023 mitgeteilt habe, der Kläger sei nicht mehr in der Lage, leichte körperliche Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt auszuüben, so vermöge das SG hieraus ebenfalls keine Einschränkung des Leistungsvermögens oder Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen abzuleiten. Auch die sachverständige Zeugin E1 habe ihre Schlussfolgerung nicht genauer unter Einbeziehung objektiver Befunde begründet. Vielmehr habe sie den Schwerpunkt der Beeinträchtigung auf somatischem Gebiet (Augenheilkunde sowie internistisch) gesehen, die Beschwerden auf psychiatrischem Fachgebiet habe sie als unverändert angesehen. Aus der ergänzend vorgelegten Kopie der Karteikarte sowie den Arztbriefen ergäben sich insoweit auch keine Anhaltspunkte für Verschlechterungen oder neue Beeinträchtigungen.
Auf somatischem Gebiet leide der Kläger insbesondere an Beeinträchtigungen auf augenärztlichem Gebiet. Bei ihm lägen eine Blindheit des rechten Auges mit Augapfelschrumpfung und Einschränkungen des räumlichen Sehvermögens bei Zustand nach akutem Infarkt eines Augengefäßes sowie eine Seheinschränkung links bei Alterssichtigkeit und Glaukom des linken Auges vor. Diese Beeinträchtigungen bedingten jeweils für sich genommen und auch zusammengenommen zwar qualitative, nicht aber quantitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit. Insoweit stütze das SG ihre Überzeugung zunächst auch auf das Gutachten der H1. Sie führe darin aus, dass der Kläger motorisch unauffällig das Untersuchungszimmer betreten habe. Die Mobilität sei ihm in der für ihn unbekannten Umgebung sicher und unauffällig möglich gewesen. Bei der Koordinationsprüfung seien die Gangprüfungen regelrecht, das Gangbild unauffällig gewesen. Darauf basierend habe sie geschlussfolgert, für das SG nachvollziehbar und überzeugend, dass insoweit keine quantitativen Leistungseinschränkungen vorlägen. Zu vermeiden seien thermische Belastungen sowie Dampf- und Rauchentwicklung, die zu Augenreizungen führen könnten. Auch Arbeiten mit Anforderungen an das räumliche Sehvermögen seien nicht möglich. Unter Beachtung dieser qualitativen Einschränkungen sei der Kläger in der Lage, noch regelmäßig einer Erwerbstätigkeit nachzugehen, die in einem quantitativen Umfang von mindestens sechs Stunden arbeitstäglich ausgeübt werden könne. Auch der sachverständige Zeuge S2 habe in seiner schriftlichen Stellungnahme vom 30.06.2023 ausgeführt, dass der Kläger noch in der Lage sei, leichte Tätigkeiten von mindestens sechs Stunden Dauer täglich zu verrichten. Eine Befundänderung sei seit Juni 2021 nicht eingetreten, neue Beschwerden seien nicht hinzugetreten. Es lägen eine Erblindung des rechten Auges und ein stabil eingestelltes primär chronisches Offenwinkelglaukom am linken Auge vor. Anhaltspunkte für weitere Ermittlungen von Amts wegen ergäben sich hieraus nicht.
Dafür, dass die bei dem Kläger weiterhin vorliegenden Erkrankungen Hypertonie, fortgesetzter Nikotinkonsum, Spannungskopfschmerzen, belastungsabhängige Kniebeschwerden nach Meniskusoperation links sowie belastungsabhängige Dorsalgien nicht nur qualitative, sondern auch quantitative Einschränkungen der Leistungsfähigkeit bedingen könnten, sei nichts vorgetragen und auch nicht ersichtlich. Zu vermeiden seien insoweit – überzeugend – laut H1 insbesondere Arbeiten mit Zwangshaltungen der Wirbelsäule und der Kniegelenke. Rentenrechtlich relevante Einschränkungen der Erwerbsfähigkeit seien auf somatischem Gebiet danach nicht gegeben.
Schließlich sei die Wegefähigkeit erhalten. Nachdem in der Untersuchung bei H1 keine Auffälligkeiten bezüglich der Fortbewegung bestanden hätten, seien zur Überzeugung des SG keine Anhaltspunkte gegeben, die auf eine Einschränkung hinsichtlich der geforderten Wegstrecken hindeuten könnten.
Soweit der Kläger ausgeführt habe, die Gesamtberücksichtigung der psychiatrischen Erkrankung sowie der schweren Einschränkung des Sehvermögens führe zu einer so starken Beeinträchtigung der Erwerbsfähigkeit des Klägers, dass er erwerbsgemindert sei, vermöge das SG aus der Gesamtheit auch keine Einschränkung der Erwerbsfähigkeit vor dem Hintergrund einer sog. Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen oder schweren spezifischen Leistungsbehinderung abzuleiten, die das Erfordernis der Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit begründen würde.

Der Kläger hat am 01.07.2024 gegen den, seinen Prozessbevollmächtigten am 03.06.2024 zugestellten Gerichtsbescheid Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt und im Wesentlichen vorgetragen, er sei laut seiner behandelnden Fachärztin für Psychiatrie/Psychotherapie nur noch unter drei Stunden leistungsfähig. Zudem hat er die rechtsseitige Blindheit und die Glaukomerkrankung linksseitig betont.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 29. Mai 2024 sowie den Bescheid der Beklagten vom 21. April 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22. März 2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Rente wegen voller, hilfsweise teilweiser Erwerbsminderung ab 2. Dezember 2021 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
            die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält den angefochtenen Gerichtsbescheid des SG für rechtmäßig.

Die Berichterstatterin hat die Beklagte um Stellungnahme zum fraglichen Vorliegen einer schweren spezifischen Leistungseinschränkung aufgefordert und sie rein vorsorglich zur Benennung von Verweisungstätigkeiten aufgefordert.

Die Beklagte hat hierzu mit Schreiben vom 16.09.2024 ausgeführt, dass sie nicht vom Vorliegen einer schweren spezifischen Leistungseinschränkung aufgrund der Sehbehinderung ausgehe. Dem Kläger seien nicht nur noch Tätigkeiten mit einer blindentechnischen Grundausbildung oder durch Unterstützung von technischen Zusatzgeräten möglich, sondern auch andere Tätigkeiten, so dass er noch unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein könne. Auch liege keine sog. Wegeunfähigkeit vor. Ihre Auffassung begründete die Beklagte mit den Angaben des Klägers gegenüber H1, wonach er gern fernsehe (insbesondere Sportsendungen) und mit einer Brille lesen könne und spazieren gehe. Er vermeide zwar wohl die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel; die Orientierung bei der Begutachtung in unbekannter Umgebung sei jedoch sicher und unauffällig gewesen, sodass davon ausgegangen werden müsse, dass ihm die Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel noch möglich sei. Mit dem vorhandenen Sehvermögen könne der Kläger zumindest leichte Tätigkeiten, wie sie in ungelernten Tätigkeiten gefordert würden, ohne besondere Beanspruchung des Sehvermögens oder Anforderungen an das räumliche Sehen mindestens sechs Stunden täglich verrichten (etwa Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Sortieren, Verpacken, Zusammensetzen von Teilen, Kleben etc.). Damit liege gemäß der vom Bundessozialgericht (BSG) empfohlenen Prüfung keine spezifische Leistungsbehinderung vor und die Benennung einer konkreten Verweisungstätigkeit sei nicht erforderlich. Dessen ungeachtet benenne sie auf Wunsch des Gerichts die Verweisungstätigkeit als Verpacker und Sortierer im Warenversand. Auch seien Bildschirmarbeitsplätze für Sehbehinderte geeignet, wenn handelsübliche Monitore/Software ausreichen. Dies dürfte hier der Fall sein. Somit käme auch eine leichte Tätigkeit als Büro- oder Verwaltungshilfskraft in Betracht.

Dem ist der Kläger mit Schreiben vom 15.10.2024 entgegengetreten. Sowohl der Besuch beim Arzt als auch die Erledigung von Einkäufen oder die Zubereitung von Essen, sei für ihn allein nicht mehr möglich. Jede der genannten Tätigkeiten erfordere trotz ihrer Einstufung als leicht, ein klares Sichtfeld. Er habe durch seine Sehbehinderung erhebliche Schwierigkeiten, sich zurecht zu finden.

Die Berichterstatterin hat am 26.02.2025 mit den Beteiligten einen Termin zur Erörterung der Sach- und Rechtslage durchgeführt. Der Kläger hat erklärt, dass er öffentliche Verkehrsmittel (S- Bahn, seltener den Bus) nutze. Außerdem sei er weiterhin in Behandlung bei seiner Psychiaterin, die er alle drei Monate sehe und die ihm weiterhin Medikamente verordne. Ergänzend wird auf das Protokoll Bezug genommen (Bl. 97 ff. Senatsakte).

Die Beteiligten haben einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Beteiligtenvorbringens wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz und die vorgelegten Verwaltungsakten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat auf Grund des Einverständnisses der Beteiligten nach §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entscheidet, ist zulässig, jedoch unbegründet.

Das SG hat die statthafte kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG) zu Recht abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung. Der Bescheid vom 21.04.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 22.03.2023 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten, weil er im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen nicht erwerbsgemindert ist.

Ob dem Grunde nach Anspruch auf eine Rente wegen verminderter Erwerbsfähigkeit besteht, richtet sich nach § 43 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI; in der Normfassung des RV-Altersgrenzenanpassungsgesetzes vom 20.04.2007, BGBl. I S. 554, 555). Versicherte haben bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze Anspruch auf Rente wegen teilweiser oder voller Erwerbsminderung, wenn sie teilweise oder voll erwerbsgemindert sind, in den letzten fünf Jahren vor Eintritt der Erwerbsminderung drei Jahre Pflichtbeiträge für eine versicherte Beschäftigung oder Tätigkeit haben und vor Eintritt der Erwerbsminderung die allgemeine Wartezeit erfüllt haben (§ 43 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1 SGB VI). Erwerbsgemindert ist nicht, wer unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig sein kann; dabei ist die jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Teilweise erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens sechs Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 1 Satz 2 SGB VI). Voll erwerbsgemindert sind Versicherte, die wegen Krankheit oder Behinderung auf nicht absehbare Zeit außerstande sind, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes mindestens drei Stunden täglich erwerbstätig zu sein (§ 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Über den Wortlaut des § 43 Abs. 2 Satz 2 SGB VI hinaus ist voll erwerbsgemindert, wer zwar noch drei bis unter sechs Stunden unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes tätig sein kann, aber nicht über einen entsprechenden leidensgerechten Arbeitsplatz verfügt (zur sog. Arbeitsmarktrente wegen Verschlossenheit des Teilzeitarbeitsmarkts vgl. BSG, Beschluss des Großen Senats vom 10.12.1976 - GS 2/75, GS 3/75, GS 4/75, GS 3/76 - juris, Rn. 72 f., 79; BSG, Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R - juris, Rn. 22).

Das SG hat in den Gründen angefochtenen Entscheidung zutreffend die rechtlichen Grundlagen und die vom BSG aufgestellten Grundsätze für die hier begehrte Rente wegen Erwerbsminderung dargelegt und gestützt auf das im Verwaltungsverfahren eingeholte und als Urkundsbeweis verwertbare Gutachten von H1 sowie der schriftlichen Auskunft des behandelnden S2 ebenso zutreffend ausgeführt und begründet, dass der Kläger diese Voraussetzungen nicht erfüllt, weil sein Leistungsvermögen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter Berücksichtigung der von H1 beschriebenen qualitativen Einschränkungen nicht weniger als sechs Stunden beträgt. Es hat weiter zutreffend dargelegt, dass bei dem Kläger keine schwere spezifische Leistungseinschränkung und keine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vorliegt.

Der Senat schließt sich daher der Begründung des SG nach eigener Prüfung uneingeschränkt an, sieht deshalb insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung gemäß § 153 Abs. 2 SGG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend ist Folgendes auszuführen:

Das SG hat zutreffend dargelegt und ausgeführt, dass der Eintritt eines Versicherungsfalls der Erwerbsminderung nicht nachgewiesen ist.

Der Senat stellt (klarstellend) fest, dass bei dem Kläger folgende qualitative Leistungseinschränkungen für folgende Tätigkeiten bestehen (in dem Sinne, dass sie dem Kläger nicht mehr zumutbar sind):
aufgrund der orthopädischen und psychischen Erkrankung: mittelschwere bis schwere körperliche Tätigkeiten, überwiegend im Stehen, Nachtschichtarbeit, Arbeiten mit erhöhter Stressbelastung und Zeitdruck, taktgebundene Arbeiten; Arbeiten mit besonderen Anforderungen an die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit bzw. ohne Konfliktpotential und ohne besonderen Anforderungen an die soziale Interaktionsfähigkeit, Arbeiten mit Verantwortung für Maschinen und Personen, Arbeiten mit erhöhten Anforderungen im Bereich fachlicher Diskussionen;
aufgrund der rechtsseitigen Erblindung mit Gesichtsfeldeinschränkung nach rechts bei gleichzeitigem vollständigen Visus des linken Auges für die Ferne (1,0) und einem in der Nähe durch Brille korrigierten Visus (+ 2,0): Arbeiten mit thermischen Belastungen sowie Dampf- und Rauchentwicklung, Arbeiten mit Anforderungen an das räumliche Sehvermögen und an ein uneingeschränktes Gesichtsfeld; Arbeiten auf Leitern und Gerüsten, Arbeiten, die mit Unfallgefahren verbunden sind; Arbeiten an laufenden Maschinen.

Diese Feststellungen stützt der Senat auf das auch für ihn nachvollziehbare Gutachten der H1, der Auskunft des S2 und der sozialmedizinischen Stellungnahme der H2
Diese qualitativen Leistungseinschränkungen stellen unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des hier vorliegenden Einzelfalles zur Überzeugung des Senats weder eine schwere spezifische Leistungseinschränkung noch eine Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen im Sinne der ständigen Rechtsprechung des BSG dar.

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG kann für den Regelfall davon ausgegangen werden, dass ein Versicherter, der nach seinem verbliebenen Restleistungsvermögen noch körperlich leichte (wenn auch mit qualitativen Einschränkungen) täglich mindestens sechs Stunden verrichten kann, auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt unter dessen üblichen Bedingungen erwerbstätig sein kann. Denn dem Versicherten ist es mit diesem Leistungsvermögen in der Regel noch möglich, diejenigen Verrichtungen auszuführen, die in ungelernten Tätigkeiten in der Regel gefordert werden, wie z.B. das Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Bedienen von Maschinen, Kleben, Sortieren, verpacken, Zusammensetzen von Teilen usw. (BSG, Urteile 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -, juris Rn. 28 ff., vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R -, juris Rn. 17 ff. und vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R -, juris Rn. 31 ff.). Nach der Rechtsprechung des BSG liegt eine volle Erwerbsminderung jedoch ausnahmsweise selbst bei einer mindestens sechsstündigen Erwerbsfähigkeit vor, wenn der Arbeitsmarkt wegen besonderer spezifischer Leistungseinschränkungen als verschlossen anzusehen ist. Dem liegt zugrunde, dass eine Verweisung auf die verbliebene Erwerbsfähigkeit nur dann möglich ist, wenn nicht nur die theoretische Möglichkeit besteht, einen entsprechenden Arbeitsplatz zu erhalten (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -, juris Rn. 28 ff., Urteil vom 30.11.1983 - 5a RKn 28/82 -, juris Rn. 27 ff.). Erwerbsfähigkeit im Sinne des § 43 SGB VI setzt mithin nicht nur voraus, dass der Versicherte in der Lage ist, unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes eine Tätigkeit zur verrichten, sondern darüber hinaus, dass er damit in der Lage ist, „erwerbstätig“ zu sein, d.h. unter den üblichen Bedingungen des allgemeinen Arbeitsmarktes ein Erwerbseinkommen zu erzielen. Während der „allgemeine Arbeitsmarkt“ in diesem Sinne jede nur denkbare Tätigkeit, die es auf dem Arbeitsmarkt gibt, umfasst und das Merkmal „allgemein“ lediglich den Arbeitsmarkt von Sonderbereichen, wie beispielsweise Werkstätten für Behinderte und anderen geschützten Einrichtungen abgrenzt, ist unter den „üblichen Bedingungen“ im Sinne des § 43 SGB VI das tatsächliche Geschehen auf dem Arbeitsmarkt und in den Betrieben zu verstehen, d.h. unter welchen Bedingungen auf dem Arbeitsmarkt die Entgelterzielung üblicherweise tatsächlich erfolgt. Üblich sind dabei Bedingungen dann, wenn sie nicht nur in Einzel- oder Ausnahmefällen anzutreffen sind, sondern in nennenswertem Umfang und in beachtlicher Zahl (BSG, Urteil vom 19.10.2011 - B 13 R 78/09 R -, juris Rn. 27 ff.).

Das verbliebene Restleistungsvermögen des Klägers lässt im vorliegenden Einzelfall eine im Sinne dieser Rechtsprechung (BSG Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -, juris Rn. 32, Urteil vom 09.05.2012 - B 5 R 68/11 R -, juris Rn. 25) relativ „schnelle“ Zuordnung von Arbeitsfeldern bzw. typischen Verrichtungen zu, die nur mit körperlich leichten Belastungen einhergehen, wie z.B. Boten- und Bürodienste bzw. Zureichen, Abnehmen, Transportieren, Reinigen, Kleben, Sortieren, Verpacken (BSG Urteile vom 11.12.2019 und 09.05.2012, a.a.O.). Solche abstrakten Handlungsfelder lassen sich für den Kläger trotz der vom Senat festgestellten qualitativen Einschränkungen beschreiben. Dies gilt zum einen hinsichtlich der durch die Augenerkrankung (einseitige Erblindung rechts mit Gesichtsfeldeinschränkung nach rechts bei vollständigem Visus auf dem linken Auge) und den dadurch bedingten Einschränkungen. Denn die durch die Augenerkrankung bedingten Einschränkungen bestehen beim Kläger bereit seit Mai 2011. Dass er trotz dieser Einschränkungen weiterhin unter den arbeitsmarktüblichen Bedingungen tätig sein konnte und dies einer Tätigkeit im hier streitgegenständlichen Zeitraum nicht entgegensteht, zeigt die Tatsache, dass der Kläger bis Oktober 2018 – also weitere sieben Jahre – in versicherungspflichtigem Umfang in seinem Beruf als Maschinenbediener tätig war. Zu einer Befundverschlechterung ist es seitdem ausweislich der Auskunft des behandelnden S2 nicht gekommen. Zwar kann der Kläger nach den übereinstimmenden Einschätzungen aller Ärzte in diesem Beruf wegen der psychischen Erkrankung nicht mehr in einem Umfang von sechs Stunden tätig sein. Dies steht indes nicht allen anderen leichten körperlichen Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes entgegen. Angesichts der Tatsache der tatsächlichen Berufsausübung ohne blindentechnische Ausstattung und einer Befundstabilität geht der Senat davon aus, dass auch weiterhin keine blindentechnische Ausstattung an einem Arbeitsplatz des Klägers notwendig ist.

Darüber hinaus schränken auch die durch die psychische Erkrankung bedingten qualitativen Leistungseinschränkungen den Kreis der noch möglichen Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt nicht zusätzlich ein. Ausgeschlossen sind nur Tätigkeiten mit erhöhten oder besonderen Anforderungen an die genannten Fähigkeiten (Arbeiten mit erhöhter Stressbelastung und Zeitdruck, Arbeiten mit besonderen Anforderungen an die Anpassungs- und Umstellungsfähigkeit bzw. ohne Konfliktpotential und ohne besondere Anforderungen an die soziale Interaktionsfähigkeit, Arbeiten mit erhöhten Anforderungen im Bereich fachlicher Diskussionen).

Damit liegt weder ein Fall einer schweren spezifischen Leistungseinschränkung noch einer Summierung ungewöhnlicher Leistungseinschränkungen vor, weshalb der Rentenversicherungsträger eine geeignete Verweisungstätigkeit nicht konkret zu benennen brauchte (BSG Urteil vom 11.12.2019 - B 13 R 7/18 R -, juris Rn. 40) und daher die gerichtliche Überprüfung der von der Beklagten rein vorsorglich benannten Verweisungstätigkeiten obsolet ist.

Der Kläger ist auch in der Lage, vier Mal am Tag Wegstrecken von mehr als 500 Meter mit zumutbarem Zeitaufwand, d.h. jeweils innerhalb von 20 Minuten, zu Fuß bewältigen und zwei Mal täglich während der Hauptverkehrszeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren. Das SG hat die zur sog. Wegefähigkeit maßgeblichen Grundsätze unter Nennung der Rechtsprechung des BSG zutreffend benannt und begründet, dass die Wegefähigkeit des Klägers gegeben war. Dies gilt umso mehr, als sich aus den Angaben des Klägers gegenüber H1 ergibt, dass er bis zu einstündige Spaziergänge unternimmt und gegenüber der Berichterstatterin im Erörterungstermin erklärt hat, dass er öffentliche Verkehrsmittel benutzt.

Nach alledem bestand im streitgegenständliche Zeitraum kein Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, weshalb die Berufung des Klägers zurückzuweisen war.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 SGG) liegen nicht vor.  



 

Rechtskraft
Aus
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