1. Zu den materiellen Anforderungen an eine Wirtschaftlichkeitsprüfung auf der Grundlage einer sog. Prävalenzprüfung.
2. Das Ergebnis der Prävalenzprüfung hat lediglich die Funktion eines Hilfsmittels zur Feststellung von Praxisbesonderheiten im Sinne eines Aufgreifkriteriums. Damit verbleibt es bei dem Grundsatz, dass der Arzt die für eine Praxisbesonderheit sprechenden Tatsachen substantiiert vortragen muss, um über die Bereinigung des Fallwertes mittels eines prozentualen Faktors hinaus eine im Ergebnis gewichtigere Anerkennung seiner Praxisbesonderheit zu erhalten.
Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 16. November 2022 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Die Kosten beider Instanzen hat der Kläger zu tragen. Kosten der Beigeladenen sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um Honorarprüfungen des Beklagten für die Quartale I/2015 bis IV/2015 wegen eines offensichtlichen Missverhältnisses im Vergleich zur Fachgruppe (nachfolgend: FG) bei der GOP 35110 (Verbale Intervention bei psychosomatischen Krankheitszuständen) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM).
Der Kläger war seit dem 2. Januar 1998 in einer Einzelpraxis in A-Stadt niedergelassen und nahm im streitgegenständlichen Zeitraum an der vertragsärztlichen Versorgung teil.
Mit Schreiben vom 11. Dezember 2017 teilte die Prüfungsstelle (PS) dem Kläger die Überprüfung der Wirtschaftlichkeit vom Amts wegen hinsichtlich seiner Leistungserbringung bezogen auf die Leistungsziffer GOP 35110 des EBM mit und bat um Mitteilung eventuell bestehender Praxisbesonderheiten.
In seiner Stellungnahme vom 5. Februar 2018 führte der Kläger aus, dass sich eine Praxisbesonderheit aus dem besonderen Patientenklientel ergebe. Der Anteil der Mitbürger in A-Stadt mit Migrationshintergrund liege bei etwa einem Drittel der Bevölkerung. Der Ausländeranteil für A-Stadt belaufe sich auf circa 20-22,9%, was annähernd dem Doppelten des hessischen Anteils von 11,9 % entspreche. Hinzu komme, dass der Stadtteil A-Stadt-Weststadt als sozialer Brennpunkt in A-Stadt gelte. Es liege auf der Hand, dass Bevölkerungsgruppen mit sozialen Problemen am ehesten anfällig für psychosomatische Erkrankungen seien. In diesem Stadtteil habe er bis 2011 seine Praxis gehabt. Daher habe er bis heute viele Patienten aus dem westlichen Teil A-Stadts. Die psychosomatischen Gesprächsziffern rechne er bereits seit seiner Niederlassung im Jahre 1998 ab. Die Versorgungssituation mit psychischen Erkrankungen verschärfe sich noch sehr deutlich dadurch, dass Patienten auf einen Therapieplatz bei einem Psychotherapeuten teilweise über sechs Monate lang warten müssten.
Die PS führte daraufhin im Bereich der psychosomatischen Versorgung Prävalenzprüfungen bei der GOP 35110 EBM gemäß den ICD-Verschlüsselungen durch. Nach § 22 Abs. 1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA) über die Durchführung der Psychotherapie (a. F.) seien die Indikationen zur Anwendung von Maßnahmen der psychosomatischen Grundversorgung die ICD-Verschlüsselungen F32, F33, F34.1, F40-F45, F50-F52, F60-F69, F90-F98. Als Ergebnis dieser Prüfung sei ein Mehransatz gegenüber der FG festgestellt und Praxisbesonderheiten zwischen +79 % und ±114% zum Fachgruppendurchschnitt für die GOP 35110 EBM anerkannt worden. Neben der Prävalenzprüfung in allen Quartalen nahm die PS im Rahmen ihrer intellektuellen Prüfung eine orientierende Durchsicht der Behandlungsscheine vor und stellte fest, dass relativ wenige Fälle (29 in I/2015) keine Diagnosen aus § 22 Abs. 1 der Psychotherapie-Richtlinie (a. F.) enthielten.
Mit Bescheid vom 28. November 2018 setzte die PS hinsichtlich der GOP 35110 EBM eine Kürzungsmaßnahme in Höhe von 12.270,80 € (brutto) vor Quotierung für die Quartale I/2015 bis IV/2015 fest. Dies entspreche einer Honorarkürzung netto von insgesamt 11.193,88 € (netto).
Zunächst stellte die PS fest, dass es sich um eine Praxis mit einer deutlich unterdurchschnittlichen Fallzahl handele bei deutlich überdurchschnittlichem Rentneranteil. Für die GOP 35110 seien in den einzelnen Quartalen bezogen auf alle Fälle der Praxis zwischen 7,80 € je Fall und 10,57 € je Fall abgerechnet worden. Dies entspreche einer Überschreitung zu den ausführenden Ärzten der FG der vollzugelassenen Allgemeinärzte/Hausärztlichen Internisten in Hessen von 500 % bis 700 %. Die verbale Intervention nach GOP 35110 werde in den vier Quartalen des Jahres 2015 insgesamt 1.340-mal angesetzt. Die 1.340 Ansätze seien bei 263 Patienten erfolgt. Insgesamt sei hierfür ein Honorar von 21.145,20 € angefordert worden. Der häufigste Ansatz sei bei der Patientin H. B. versichert bei der Knappschaft mit 33 x GOP 35110, gefolgt von M. B. versichert bei der BARMER mit 26 x GOP 35110.
Die Auswertung der Abrechnungen des Klägers sowie der Daten der Vergleichsgruppe habe folgende Einzelwerte ergeben:
Qtl. | GO-NR. | Anz.GO-NR. je 100-Fälle-Praxis | Durch. je Fall-Praxis | Anz.-GO-NR. je 100-Fälle ausf. Praxen | Durch. je Fall ausf. Praxen-PG | Abw. In % |
2015/1 | 35110 | 61 | 9,73 | 8 | 1,32 | 637,12 |
2015/2 | 35110 | 67 | 10,57 | 8 | 1,32 | 700,76 |
2015/3 | 35110 | 54 | 8,55 | 8 | 1,29 | 562,79 |
2015/4 | 35110 | 49 | 7,80 | 8 | 1,30 | 500 |
Die Auswertung der ICD-Verschlüsselungen der vier Quartale im Vergleich zur Prüfgruppe ergebe in jedem Quartal ein Mehr gegenüber der Prüfgruppe. Aus diesem Mehransatz leite die PS eine Praxisbesonderheit ab:
Indikationen für psychosomatische Grundversorgung gern |
Praxis | Prüfgruppe | Anerkennung Praxisbesonderheit in % |
ICD Prävalenz Quartal 1/2015 | 35,8458 | 20,0643 | 79 |
ICD Prävalenz Quartal 2/2015 | 42,3697 | 22,2380 | 91 |
ICD Prävalenz Quartal 3/2015 | 47,2536 | 22,0509 | 114 |
ICD Prävalenz Quartal 4/2015 | 43,0666 | 22,5120 | 91 |
Die PS stelle daher nach Anerkennung des Mehrbedarfs in der psychosomatischen Versorgung und nach Bereinigung der Fallwerte fest, dass die Überschreitungen der Gebührenordnungsposition 35110 nach wie vor oberhalb des offensichtlichen Missverhältnisses lägen, nämlich nach Abzug der PB: 1/2015: 558 %, 2/2015: 610 %, 3/2015: 449 %, 4/2015: 409%
Das Ausmaß der Unwirtschaftlichkeit werde auf die Differenz des bereinigten Fallwertes zum Fachgruppendurchschnitt plus 20 % (Streubreite) festgelegt. Das Ausmaß der Unwirtschaftlichkeit liege für die Quartale 1/2015 bis 4/2015 bei 14.693,94 €. Im Rahmen der Ermessensausübung verzichte die PS darauf, eine Kürzung bereits in Höhe des festgestellten Ausmaßes der Unwirtschaftlichkeit festzusetzen. Unter Berücksichtigung der Ausführungen zum offensichtlichen Missverhältnis belasse sie stattdessen zusätzlich zu den anerkannten Praxisbesonderheiten nicht 20 %, sondern noch einmal den Fachgruppendurchschnitt plus 100 %. Auch vordergründig nicht erkennbare und damit nicht bezifferbare Praxisbesonderheiten seien damit ausreichend gewürdigt. Insgesamt werde damit ein Mehr bei der GOP 35110 von 179 % bis 214 % belassen. Insgesamt werde eine Kürzungsmaßnahme von brutto 12.270,80 € für die Quartale 1/2015 bis 4/2015 festgesetzt (Berechnung Bl. 48 der Verwaltungsakte).
Mit seinem Widerspruch vom 21. Dezember 2018 beanstandete der Kläger die statistische Vergleichsgrundlage. Im Bescheid stehe, dass der Vergleich mit der Prüfgruppe 101-33 erfolgt sei. Es handele sich dabei um vollzugelassene Allgemeinärzte / hausärztliche Internisten in Hessen, nicht nur um diejenigen, die auch die GOP 35110 EBM abrechnen dürften. Der Kläger wandte sich zudem gegen die unzureichende Anerkennung bzw. die quantitative Feststellung von Praxisbesonderheiten. Nach der Rechtsprechung des Sozialgerichts Marburg sei zu berücksichtigen, dass die Prävalenzprüfung fallbezogen durchgeführt werde, während sich die Überschreitung bei der Einzelziffer nach deren Ansatzhäufigkeit — die gerade keinen Fallbezug aufweise — richte. Dies führe unter der Prämisse, dass die GOP 35100 und 35110 EBM jeweils mehrfach im Quartal abrechnungsfähig seien, dazu, dass der aufgrund der Prävalenzprüfung festgestellte Mehrversorgungsgrad keinen unmittelbaren Rückschluss auf die im Rahmen der Prüfung einer Praxisbesonderheit zuzubilligenden Ansatzhäufigkeit der streitgegenständlichen GOP ermögliche. Vielmehr sei für einen derartigen Rückschluss zusätzlich zu ermitteln, inwiefern in jedem Quartal Vielfachansetzungen der streitgegenständlichen GOP erfolgt seien. Diese könnten prozentual den durch die Prävalenzprüfung bereits ermittelten Überschreitungsbetrag noch erhöhen. Die Mehrfachabrechnungen seien im fallbezogenen Mehrversorgungsgrad nach der Prävalenzprüfung aber nicht erfasst.
Mit dem am 3. August 2021 ausgefertigten Beschluss vom 17. März 2021, (versandt unter dem Datum vom 5. August 2021) wies der Beklagte den Widerspruch zurück und wies darauf hin, dass vorliegend der Vergleich der GOP 35110 EBM mit den Praxen der Vergleichsgruppe des Klägers (vollzugelassene Allgemeinärzte/Hausärztlichen Internisten) erfolgt sei. Die ICD-Codierungen würden in der Prävalenzprüfung nicht fallbezogen ausgewertet, sondern es werde ihre Häufigkeit pro Quartal erfasst. Somit könnten sich mehrere F-Diagnosen, die bei einem Patienten codiert seien, in der Auswertung auch mehrfach niederschlagen. Damit werde, genau wie bei der Auswertung der GOP, die Ansatzhäufigkeit insgesamt erfasst. Damit trage das Argument der fallbezogenen Prävalenzprüfung nicht. Mehrfachansätze der GOP 35110 EBM bei einem Patienten in einem Quartal rechtfertigten keine höhere Prävalenz. Zum einen würde es damit zu der Situation kommen, dass für den Kläger die mehrfache Abrechnung der GOP 35110 EBM bei einem Patienten vorteilhafter wäre, als die einzelne Abrechnung bei mehreren Patienten. Zum anderen werde in die Prävalenzprüfung jeder Patient mit einer anerkannten F-Diagnose nach § 22 der Psychotherapie-Richtlinie (a. F.) einbezogen, somit auch Patienten, bei denen die GOP 35110 EBM überhaupt nicht angesetzt worden sei. Dies erhöhe die Prävalenz. Nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 10. Mai 2000 – B 6 KA 25/99) stelle ein hoher Anteil von Patienten mit Migrationshintergrund keine Praxisbesonderheit dar, weil hieraus kein spezieller Versorgungsbedarf abgeleitet werden könne. Es gebe keinen Erfahrungssatz, dass bei Migranten generell ein erhöhter Behandlungsbedarf bestehe. Zahlreiche Migranten, die schon lange in Deutschland lebten, seien integriert und unterschieden sich im Krankheitsverhalten deshalb nicht von anderen Patienten.
Gegen diesen Beschluss hat sich die am 6. September 2021 zum Sozialgericht Marburg erhobene Klage gerichtet.
Der Kläger hat sich erstinstanzlich insbesondere dagegen gewandt, dass der Beklagte als Vergleichsmaßstab die fallbezogene Ansatzhäufigkeit ohne fallbezogene Prävalenzprüfung gewählt habe. Das sei, wie gerichtlich mehrfach festgestellt, rechtswidrig. Die Auffassung des Beklagten, Mehrfachansätze der GOP 35110 EBM bei einem Patienten rechtfertigten keine höhere Prävalenz, sei unzutreffend. Denn eine patientenfallbezogene Betrachtung werde verfälscht, wenn die Mehrfachansetzung einer GOP bei einem Patienten so gewertet werde, als sei diese bei einer höheren Patientenanzahl angesetzt worden.
Der Beklagte hat auf die Gründe seines Beschlusses Bezug genommen und ergänzend vorgetragen, dass der Mehrfachansatz der GOP 35110 EBM bei einem Patienten in der Prävalenzberechnung nicht berücksichtigt werde, da dieser keine höhere Prävalenz begründen könne. Die Prävalenzprüfung habe im Quartal I/2015 den Ansatz von 214 F-Diagnosen bei 147 Patienten mit Ansatz der GOP 35110 EBM ergeben. Somit seien durchschnittlich 1,45 F-Diagnosen pro Patient codiert und auch anerkannt worden. Im Quartal II/2015 seien es 236 F-Diagnosen bei 156 Patienten, somit 1,51 Diagnosen pro Patient gewesen. In den Quartalen III/2015 und IV/2015 hätten die Werte bei 2,01 (258 Diagnosen bei 128 Patienten) und 2,4 (264 Diagnosen bei 110 Patienten) gelegen. Würde eine Vielfachansetzung der GOP 35110 EBM in der Prävalenzberechnung berücksichtigt und die Prävalenzen dadurch erhöht, würden zwei Bewertungssysteme miteinander vermischt werden. Die Prävalenzprüfung hinsichtlich der ICD-Codierungen würde fallübergreifend und die Prüfung der Ansätze der GOP 35110 EBM fallbezogen erfolgen. Der Kläger bringe die patientenfallbezogene Prüfung der GOP 35110 EBM ein, da er durch diese Auswertung auf geringere Überschreitungswerte bzw. höhere Prävalenzen hoffe. Die Prävalenzprüfung würde bei einer Berücksichtigung der Mehrfachansätze der GOP 35110 EBM nur auf Faktoren abstellen, die sich zugunsten des Klägers auswirkten. Als Ausgleich müsste die Prävalenzprüfung insgesamt fallbezogen durchgeführt werden, sodass ICD-Codierungen ebenfalls nur einmal pro Patient und Quartal gewertet werden könnten. Dadurch würden die Prävalenzen im Bereich der F-Diagnosen deutlich sinken. Im Ergebnis glichen sich diese Faktoren wohl aus. Die Ansatzhäufigkeit der GOP müsse bei der Berechnung der Überschreitungswerte zugrunde gelegt werden, da es dem Vertragsarzt sonst möglich wäre, die GOP bei Patienten beliebig häufig anzusetzen, ohne Konsequenzen in der Wirtschaftlichkeitsprüfung befürchten zu müssen. Die Darlegungs- und Nachweislast hinsichtlich einer wirtschaftlichen Behandlungsweise liege beim Arzt. Dass ein hoher Migrationsanteil im Patientenklientel keine Praxisbesonderheit zu begründen vermöge, sei vom Sozialgericht Marburg bereits entschieden worden.
Mit Urteil vom 16. November 2022 hat das Sozialgericht den „Beschluss des Beklagten vom 5. August 2021“ aufgehoben und den Beklagte verpflichtet, den Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden. Das Sozialgericht hat das Urteil mit Beschluss vom 24. Februar 2023 in Bezug auf zwei unvollständige Sätze berichtigt.
Die Klage sei überwiegend begründet. Der Beschluss des Beklagten vom 5. August 2021 sei rechtswidrig und verletze den Kläger in seinen Rechten. Er habe einen Anspruch auf Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts und obsiege insoweit. Im Übrigen – im Hinblick auf den auf Aufhebung gerichteten Hauptantrag – sei die Klage abzuweisen gewesen. Grundsätzlich halte die Kammer die Vorgehensweise des Beklagten, Prävalenzen zu ermitteln und daraus Rückschlüsse auf die Quantität der Praxisbesonderheit zu ziehen für sehr geeignet, um Praxisbesonderheiten festzustellen. Dies sei jedoch – worauf der Kläger völlig zu Recht hinweise – nicht 1:1 möglich. Soweit der Beklagte die Praxisbesonderheit ausschließlich in Bezug auf eine im Rahmen der Prävalenzprüfung ermittelte Diagnosehäufung bei der GOP 35110 EBM stütze, sei dies zu beanstanden. Die Kammer habe bereits mehrfach entschieden, dass bei der Bemessung der Höhe der Praxisbesonderheit zu berücksichtigen sei, dass die Prävalenzprüfung fallbezogen durchgeführt werde, während sich die Überschreitung bei der Einzelziffer nach deren Ansatzhäufigkeit – die gerade keinen Fallbezug aufweise, richte. Die Prävalenzen würden nach der Häufigkeit der Diagnoseerfassung ermittelt. Da alle Diagnosen erfasst würden, flössen Patienten mehrfach in die Bewertung ein, bei denen mehrere der relevanten Diagnosen parallel kodiert worden seien. Nicht berücksichtigt werde hingegen die Anzahl der pro Diagnose abgerechneten GOP. Dies führe dazu, dass die Prävalenzwerte in zwei Richtungen eine Unschärfe aufwiesen. Einerseits würden Patienten mit einer Diagnosehäufung (von zwei und mehr F-Diagnosen) mehrfach erfasst. Andererseits würden Mehrfachabrechnungen der Ziffer – bei nur einer Diagnose – nicht erfasst. Es sei davon auszugehen, dass diese Streubreite grundsätzlich in der gesamten Vergleichsgruppe vertreten sei, wobei jedoch nicht ausgeschlossen werden könne, dass – gerade in Praxen mit psychosomatischem Schwerpunkt – aufgrund der Schwere der dort behandelten Erkrankungen eine überdurchschnittliche Häufung der Abrechnungsziffern auftrete, die bei der Prävalenzermittlung nicht berücksichtigt sei. Insofern halte die Kammer an der Auffassung fest, dass der Wert der Prävalenzen ein bedeutender Orientierungswert für das Ausmaß einer Praxisbesonderheit sei, keinesfalls aber für die betroffenen Vertragsärztinnen und Vertragsärzte der Weg verschlossen sei, darüberhinausgehend eine überdurchschnittliche Abrechnungshäufigkeit zu belegen. Dass die Betrachtung des Beklagten unscharf sei, belege gerade die klägerische Praxis exemplarisch. Die Prüfgremien hätten selber festgestellt, dass nahezu jeder Patient/jede Patientin mit einer F-Diagnose kodiert worden sei. Unter den von dem Beklagten getroffenen Prämissen der Prävalenzprüfung, dass das Vorliegen einer F-Diagnose die Abrechnung der GOP 35110 EBM rechtfertige, sei eine Regressierung des Klägers in diesem Zusammenhang denklogisch ausgeschlossen. Darüber hinaus hätten die Prüfgremien ermittelt, dass der Kläger bei einzelnen Patientinnen und Patienten in einem Quartal exemplarisch 33x bzw. 26x die GOP 35110 EBM zum Ansatz gebracht hätte. Diese Extremwerte verzerrten einen Vergleich. Eine Vergleichbarkeit mit der Fachgruppe könne nur dann hergestellt werden, wenn sowohl bei der Ermittlung der F-Diagnosen als auch bei der Abrechnungshäufigkeit der GOP 35110 patientenbezogen vorgegangen werde. So ließen sich die Unschärfen, die sowohl durch eine Häufung von F-Diagnosen bei einzelnen Patientinnen und Patienten auftreten als auch durch eine Mehrfachabrechnung auftreten, vollständig vermeiden. Dass sich diese Faktoren im Ergebnis „wohl“ ausglichen – wie der Beklagte vortrage – erscheine der Kammer zwar möglich, sei jedoch eine nicht belegte Hypothese, die insofern für eine hinreichende Ermessensausübung nicht genüge.
Das Urteil ist dem Beklagten am 23. Dezember 2022 zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Berufung ist am 12. Januar 2023 bei dem Hessischen Landessozialgericht eingegangen.
Der Beklagte trägt vor, er habe durch die Prävalenzprüfung eine statistische Methode gewählt, durch die Praxisbesonderheiten nachvollziehbar ermittelt und anerkannt werden könnten. Auch nach intellektueller Prüfung – in Form einer orientierenden Durchsicht der Behandlungsscheine – habe der Beklagte keinen Anlass gesehen, weitere Besonderheiten der Praxis anzuerkennen. Er habe sein Ermessen hinsichtlich der Höhe der anzuerkennenden Praxisbesonderheit hinreichend präzise ausgeübt. Daher sei die Honorarkürzung in Höhe der verbleibenden Überschreitung berechnet und festgesetzt worden. Es sei nicht nur eine statistische Prävalenzprüfung durchgeführt, sondern auch einzelne medizinische Gesichtspunkte beziehungsweise der Ansatz der GOP 35110 EBM bei einzelnen Patienten in der intellektuellen Prüfung begutachtet worden. Das Sozialgericht mache nicht umsetzbare Vorgaben für die Prävalenzprüfung. Dies sei insbesondere unter dem Aspekt zu betrachten, dass der Beklagte nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 6. Mai 2009 – B 6 KA 17/08 R) berechtigt sei, den verursachten Mehraufwand zu schätzen. Die Veränderung der Prävalenzprüfung im Sinne der Vorgaben des Sozialgerichts würde eine Einzelfallprüfung auslösen; in dieser spielten Praxisbesonderheiten aber keine Rolle.
Aus der Prävalenzprüfung hätten sich für die Praxis des Klägers zunächst Mehransätze im Bereich der Indikationen für die psychosomatische Grundversorgung gemäß § 22 Abs. 1 Psychotherapie-Richtlinie (a. F.) ergeben (F-Diagnosen). Diese Mehransätze seien rechnerisch ermittelt worden, indem der prozentuale Anteil der ICD-Fälle in der Praxis des Klägers mit dem prozentualen Anteil der ICD-Fälle in der Prüfgruppe verglichen worden sei. Der Wert der Praxis des Klägers sei mit dem Wert der Prüfgruppe ins Verhältnis gesetzt und aus der Überschreitung ein Mehransatz errechnet worden. Dieser bilde somit genau ab, in welchem Ausmaß die F-Diagnosen vermehrt angesetzt worden seien. Für die Quartale I/2015 bis IV/2015 seien daher Praxisbesonderheiten in Höhe von +79 %, +91 %, +114 % und +91 % anerkannt worden. Es würden auch Patienten einbezogen, bei denen eine F-Diagnose, aber keine Abrechnung der GOP 35110 EBM erfolgt. Dies wirke sich zugunsten des Klägers aus. Zudem erhöhten Patienten mit mehrfachem Ansatz von F-Diagnosen die Prävalenz ebenfalls zugunsten des Klägers. Das Sozialgericht Marburg gehe fälschlicherweise davon aus, dass nur Patienten in die Prävalenzprüfung einbezogen würden, bei denen ein Ansatz der GOP 35110 EBM vorgelegen habe. Es würden vielmehr alle Patienten mit Ansatz von F-Diagnosen ermittelt und anerkannt, unabhängig davon, ob bei diesen eine Abrechnung der GOP 35110 EBM erfolgt sei. Somit würden Praxisbesonderheiten für alle Patienten mit F-Diagnosen gewährt, ohne dabei die Durchführung der psychosomatischen Grundversorgung als Bedingung vorauszusetzen. Die Ermittlung einer Praxisbesonderheit beziehe sich auf die Gesamtheit der Praxis und nicht auf einzelne Ansätze von GOP oder Diagnosen. Nur durch die Berücksichtigung aller Patienten und aller Ansätze von Diagnosen sei es möglich, ein umfassendes Bild von dem Schwerpunkt der Praxis zu erlangen. Der Beklagte könne sich der Argumentation der Kammer, dass bei der Bemessung der Höhe der Praxisbesonderheit zu berücksichtigen sei, dass die Prävalenzprüfung fallbezogen durchgeführt werde, während sich die Überschreitung bei der Einzelziffer nach deren Ansatzhäufigkeit richte, die gerade keinen Fallbezug aufweise, nicht anschließen. Die Prävalenzprüfung stelle eine statistische Methode dar, um in einer Prüfung nach Durchschnittswerten gemäß § 10 Abs. 2 der Prüfvereinbarung Praxisbesonderheiten ermitteln zu können. Der Umstand, dass hier zunächst ein statistischer Vergleich gewählt werde, finde seine Begründung in der zugrundeliegenden Prüfart. Hier komme es gerade nicht auf die Prüfung von Einzelfällen an. Grundlage der hier durchgeführten Durchschnittswertprüfung seien die Überschreitungswerte des Klägers bei der GOP 35110 EBM in den Quartalen I/2015 bis IV/2015 im Vergleich zur Fachgruppe der vollzugelassenen Allgemeinärzte/hausärztlichen Internisten in Hessen, die die GOP 35110 EBM in den streitgegenständlichen Quartalen hätten abrechnen dürfen und auch abgerechnet hätten.
Eine überdurchschnittliche Häufung der Abrechnungsziffern in Praxen mit psychosomatischem Schwerpunkt könne in der Prävalenzermittlung nicht berücksichtigt werden und in dem vorliegenden Verfahren keine Praxisbesonderheit begründen. Ein Schwerpunkt bei der Abrechnung der GOP 35110 EBM bzw. eine Häufung der Ziffer stellte keine Abweichung bei der Zusammensetzung der Patienten oder der schwerpunktmäßig zu behandelnden Gesundheitsstörungen dar. Er bilde lediglich eine vermehrt erbrachte Leistung ab, ohne auf besondere Patienten oder Erkrankungen hinzuweisen. Eine über den Wert der Prävalenzen hinausgehende überdurchschnittliche Abrechnungs-häufigkeit könne der Kläger durchaus durch Praxisbesonderheiten belegen. Hierzu müsste er weitere Besonderheiten der Praxis vorbringen, die einen vermehrten Ansatz der GOP 35110 EBM begründen könnten. Dies sei im vorliegenden Verfahren nicht geschehen.
Neben der Prävalenzprüfung sei im Rahmen der intellektuellen Prüfung sowohl von der PS, als auch vom Beklagten eine orientierende Durchsicht der Behandlungsscheine aus allen Quartalen vorgenommen worden. Eine weitere Auswertung habe ergeben, dass im Quartal I/2015 von 149 Patienten mit Ansatz der GOP 35110 EBM 20 keine F-Diagnose aufgewiesen hätten. Im Quartal II/2015 seien es 14 von insgesamt 159 Patienten gewesen, im Quartal II/2015 zehn von 130 Patienten, im Quartal IV/2015 acht von 112 Patienten. Es seien somit bei durchschnittlich 9,5 % der Patienten mit Ansatz der GOP 35110 EBM überhaupt keine F-Diagnosen codiert worden. Ebenso hätten sich Patienten mit Ansatz von Diagnosen wie F48.0 – Neurasthenie – gefunden, die keine Indikation für die psychosomatische Grundversorgung nach § 22 Abs. 1 Psychotherapie-Richtlinie (a. F.) darstelle. Hierzu seien ebenfalls Beispiele in der Sitzung des Beklagten gesichtet und ausgewertet worden (Bl. 74 und 79 der Verwaltungsakte). Zudem seien auffällig häufig somatoforme Störungen codiert worden. Diese Ergebnisse der orientierenden Durchsicht seien in den Bescheiden der PS und des Beklagten erläutert worden.
Insbesondere eine untypische Praxisausrichtung habe sich in der intellektuellen Prüfung nicht eruieren lassen. Im Ermessen seien dem Kläger weitere +100 % zum Fachgruppendurchschnitt belassen worden. Damit seien auch eventuell nicht erkennbare Besonderheiten der Praxis vom Beklagten gewürdigt worden.
Zur Auffassung, es fehle an einer Vorschrift, die die Angabe einer F-Diagnose in der Abrechnung als Voraussetzung für die Erbringung der GOP 35110 EBM vorsehe, weise der Beklagte darauf hin, dass ab dem Quartal I/2017 eine Vergütung der Leistungen nach GOP 35110 EBM durch die Beigeladene zu 1. nur noch erfolge, wenn eine indikationsbegründende Diagnose im Sinne der Psychotherapie-Richtlinie angegeben worden sei. Bei Fehlen einer F-Diagnose in der Abrechnung werde die GOP 35110 EBM abgesetzt. Im EBM heiße es unter I. Allgemeine Bestimmungen, 2.1 Vollständigkeit der Leistungserbringung: „Die Vollständigkeit der Leistungserbringung ist gegeben, wenn die obligaten Leistungsinhalte erbracht worden sind und die in den Präambeln, Leistungslegenden und Anmerkungen aufgeführten Dokumentationspflichten - auch die der Patienten- bzw. Prozedurenklassifikation (z. B. OPS, ICD 10 GM) - erfüllt, sowie die erbrachten Leistungen dokumentiert sind. Die in der Überschrift zu einer Gebührenordnungsposition aufgeführten Leistungsinhalte sind Bestandteil der obligaten Leistungsinhalte.“ Die Bezeichnung des Kapitels 35 enthalte den Verweis zur Psychotherapie-Richtlinie. In § 12 der Psychotherapie-Richtlinie (a. F.) habe es geheißen: „Psychotherapie und psychosomatische Grundversorgung erfordern eine schriftliche Dokumentation der diagnostischen Erhebungen und der wesentlichen Inhalte der psychotherapeutischen Interventionen.“ Diese Vorgabe umfasse auch die festgestellten Diagnosen, somit auch die F-Diagnosen im Sinne des § 22 Abs. 1 Psychotherapie-Richtlinie (a. F.). Diese seien vom Vertragsarzt zwingend zu codieren, um die psychosomatische Grundversorgung und den Ansatz der GOP 35110 EBM nachvollziehbar zu machen.
Die Überschreitungen des Klägers von +637 %, +700 %, +562 % und +500 % in den Quartalen 1/2015 bis 4/2015 hätten im Bereich eines offensichtlichen Missverhältnisses gelegen. Hieraus sei zunächst die Vermutung einer unwirtschaftlichen Leistungserbringung abgeleitet worden. Die fehlenden Codierungen im Bereich der F-Diagnosen nach § 22 Abs. 1 der Psychotherapie-Richtlinie (a. F.) seien hingegen im Rahmen der intellektuellen Prüfung festgestellt worden. Hierbei solle anhand einzelner Fälle belegt werden, dass der Ansatz der GOP 35110 EBM nicht bei allen Patienten gerechtfertigt gewesen sei. Dabei kommt es nicht allein auf das Vorliegen von F-Diagnosen an, es wurden auch Ansätze der Diagnose F48.0 – Neurasthenie oder die Häufigkeit somatoformer Störungen als auffällig angeführt. Eine Honorarkürzung sei somit nicht durch das Vorliegen von F-Diagnosen ausgeschlossen.
Der Beklagte beantragt,
das Urteil vom 16. November 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.
Der Kläger trägt vor, bei der Durchschnittswertprüfung gemäß § 10 Abs. 2 der Prüfvereinbarung sei zu ermitteln, ob die durchschnittliche Honoraranforderung eines Arztes je Behandlungsfall in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den Durchschnittswerten seiner Vergleichsgruppe stehe. In § 21 Abs. 1 BMV-Ä sei ein Behandlungsfall definiert als Behandlung desselben Versicherten durch dieselbe Arztpraxis in einem Kalendervierteljahr zu Lasten derselben Krankenkasse. Der Behandlungsfall sei also patientenbezogen zu ermitteln. Zu Recht habe das Sozialgericht darauf hingewiesen, dass die Prävalenzprüfung deshalb fallbezogen durchzuführen sei, während sich die von dem Beklagten vorgenommene Vergleichsprüfung nach der Ansatzhäufigkeit der Einzelziffer richtet, die gerade keinen Fallbezug aufweise. Mit einer Einzelfallprüfung, die hier angeblich gefordert würde, habe das nichts zu tun, weil es immer noch um einen statistischen Vergleich gehe, der eben patientenbezogen sein müsse. Die Prävalenzwerte des Beklagten wiesen daher in zwei Richtungen eine Unschärfe auf: Einerseits würden Patienten mit einer Diagnosehäufung (von zwei oder mehr F-Diagnosen) mehrfach erfasst und die geforderte Patientenbezogenheit nach dieser Seite hin aufgelöst. Andererseits würden Mehrabrechnungen der Ziffer – bei nur einer Diagnose - nicht erfasst.
Die Auffassung des Beklagten sei unrichtig, dass die in den PT-RL genannten Indikationen zur Psychosomatischen Grundversorgung nur dann gegeben seien, wenn diese Diagnosen auch bei der Abrechnung der jeweiligen Leistung nach GOP 35110 benannt seien. Dass die Beigeladene zu 1) mit Wirkung ab einem späteren Quartal die Abrechenbarkeit der genannten GOP ablehne, wenn die F-Diagnose in der Abrechnung nicht genannt werde, ändere daran nichts. Der Beklagte räume damit ein, dass es eine solche Vorschrift in den streitbefangenen Quartalen des Jahres 2016 nicht gegeben habe. Da der Beklagte die Prävalenzprüfung aber nach eigenem Vorbringen davon abhängig gemacht habe, bilde dies einen weiteren Fehler in dem angegriffenen Regressbescheid. Dass die Voraussetzungen der Abrechenbarkeit der GOP 35110 dokumentiert sein müssten, sei nicht zu bestreiten. Wiederum zu Recht weise der Beklagte darauf hin, dass § 12 der Psychotherapie-Richtlinie (a.F.) keine konkrete Vorgabe für den Ort der Dokumentation mache.
Hinsichtlich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll vom 26. Februar 2025 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung des Beklagten begründet. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist der Bescheid des Beklagten vom 3. August 2021 (Beschluss vom 17. März 2021) rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.
Die Klage ist zulässig.
Der Bescheid des Beklagten vom 3. August 2021 (Beschluss vom 17. März 2021) ist alleiniger Gegenstand der statthaften Anfechtungsklage.
Das Verfahren vor dem Beschwerdeausschuss ist ein eigenständiges Verwaltungsverfahren mit der Folge, dass der vom Beschwerdeausschuss erlassene Verwaltungsakt selbstständig ist. Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (st.Rspr. seit BSG, Urteil vom 21. April 1993 – 14a RKa 11/92 – SozR 3-1300 § 35 Nr. 5), der der Senat folgt, ist nur dieser Verwaltungsakt der alleinige Gegenstand der Anfechtungsklage, da das sogenannte Widerspruchsverfahren gegen den Bescheid der PS nur als Vorverfahren i.S.d. § 78 Sozialgerichtsgesetz (SGG) „gilt“.
Hieraus folgt, dass im Falle der Aufhebung grundsätzlich nur eine Neubescheidung begehrt werden kann und auch nur ein Anfechtungsantrag in Bezug auf den vom Beschwerdeausschuss erlassenen Verwaltungsakt, verbunden mit dem Antrag auf Neubescheidung statthaft ist. Eine Ausnahme ist nur dann gegeben, wenn ein „irreparabler Gesamtmangel“ vorliegt, der zugleich und dauerhaft sowohl dem Bescheid der PS als auch dem des Beschwerdeausschusses anhaftet; dann könnten alleinige Anfechtungsanträge statthaft sein, auch gegen den Bescheid der PS (dies ausdrücklich erwägend BSG, Urteil vom 9. März 1994 – 6 RKa 5/92 –, BSGE 74, 59, juris Rn. 16; vgl. auch Clemens, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 2. Aufl, § 106 SGB V <Stand: 20.01.2015>, Rn. 370). In Anbetracht der erstinstanzlichen Antragstellung und der alleinigen Berufung durch den Beklagten gegen die Stattgabe bezüglich des Hilfsantrages kann dahinstehen, ob die Grundsatzkritik von Clemens a.a.O., Rn. 371 ff., hiergegen durchgreift.
Die Klage ist jedoch unbegründet.
Im maßgeblichen Zeitraum der Rechtslage, grundsätzlich dem Prüfzeitraum (vgl. ausf. BSG, Urteil vom 22. Oktober 2014 – B 6 KA 8/14 R –, juris Rn. 28 bis 32; BSG, Urteil vom 28. Oktober 2015 – B 6 KA 45/14 R –, juris Rn. 23; Rademacker, GuP 2020, 49 <54 f.>), war Rechtsgrundlage des streitgegenständlichen Beschlusses bzw. Bescheides für Honorarkürzungen wegen unwirtschaftlicher Behandlungsweise § 106 Abs. 2 SGB V in der Fassung des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes (GKV-WSG vom 26. März 2007, BGBl. I, 378, m. W. v. 1. Januar 2008 – a.F.) i.V.m. der Prüfvereinbarung gemäß § 106 Abs. 3 SGB V a.F., gültig ab 1. Januar 2008 (PV). Über die bundesgesetzlich ausdrücklich geregelten Prüfungsarten hinaus können die Landesverbände der Krankenkassen mit den K(Z)ÄVen Prüfungen ärztlicher und ärztlich verordneter Leistungen nach Durchschnittswerten oder andere arztbezogene Prüfungsarten vereinbaren (§ 106 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 4 SGB V a.F.). Von dieser Ermächtigung haben die Vertragspartner in §§ 7 Nr. 2, 10 PV Gebrauch gemacht und die Prüfung der Behandlungsweise nach Durchschnittswerten als Auffälligkeitsprüfung vereinbart.
Die Vorgaben des § 10 PV für die Prüfung der Behandlungsweise nach Durchschnittswerten als Auffälligkeitsprüfung lauten wie folgt:
(1) Die Prüfungsstelle entscheidet darüber, ob die Honorarabrechnung des Arztes dem Gebot einer nach den Regeln der ärztlichen Kunst und dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse wirtschaftlichen Behandlungsweise entspricht, medizinisch notwendig ist (Indikation), geeignet ist, das therapeutische oder diagnostische Ziel zu erreichen (Effektivität) und im Hinblick auf die Qualität den Vorgaben der Richtlinien des Gemeinsamen Bundesausschusses entspricht (Qualität). Er hat hierbei die nachstehenden Maßstäbe und Grundsätze zu beachten.
(2) Steht die durchschnittliche Honorarforderung eines Arztes je Behandlungsfall in einem offensichtlichen Missverhältnis zu den Durchschnittswerten seiner Vergleichsgruppe, kann die Prüfungsstelle eine auf einer Schätzung beruhende pauschale Honorarkürzung ohne Angaben von Beispielen vornehmen.
(3) Die Prüfungsstelle kann eine auf einer Schätzung beruhende Kürzung der Honorarforderung vornehmen, wenn die durchschnittliche Honorarforderung eines Arztes je Behandlungsfall den Durchschnittswert seiner Vergleichsgruppe in einem Umfang überschreitet, der eine unwirtschaftliche Behandlungsweise vermuten lässt, ohne dass bereits ein offensichtliches Missverhältnis vorliegt und die Unwirtschaftlichkeit sich durch eine Prüfung anhand einer die Behandlungsweise des Arztes genügend beleuchtenden Zahl von Beispielen aus der Abrechnung des Arztes nachweisen lässt. Das sich hieraus ergebende Ausmaß der Unwirtschaftlichkeit bildet die Grundlage der Schätzung für eine Honorarkürzung.
(4) Kürzungen gemäß den Absätzen 2 bis 3 sind auch dann zulässig, wenn die durchschnittliche Honorarforderung eines Arztes je Behandlungsfall nur in einzelnen Leistungsgruppen oder die Abrechnungshäufigkeit einzelner in der Vergleichsgruppe üblicher Leistungen die Durchschnittswerte der Vergleichsgruppe übersteigen.
(5) Kürzungen nach den Absätzen 2 bis 4 sind insoweit nicht zulässig, als ein Mehraufwand durch Einsparungen bei anderen Leistungen im ursächlichen Zusammenhang ausgeglichen wird. Entsprechendes gilt, soweit ein Mehraufwand gegenüber den Durchschnittswerten der Vergleichsgruppe des Arztes durch Besonderheiten seiner Praxis gerechtfertigt ist. Einsparungen und Praxisbesonderheiten sind nur insoweit zu berücksichtigen, als sie aus der Abrechnung des Arztes erkennbar oder in anderer Weise nachgewiesen sind.
(6) Die Prüfungsstelle setzt die Kürzungen unter Würdigung aller ihr bekannten Umstände fest. Die Kürzungen können sich sowohl auf das Gesamthonorar, einzelne Leistungsgruppen als auch auf einzelne Leistungen beziehen. Eine Honorarkürzung soll in der Regel nur dann festgesetzt werden, wenn der Gegenstandswert den Betrag von € 500,- insgesamt oder 1,- je Fall übersteigt, wobei in Fällen von grundsätzlicher Bedeutung auch bei einer Unterschreitung dieses Wertes eine Kürzung festgesetzt werden kann.
Den hieraus folgenden allgemeinen und besonderen Anforderungen (siehe dazu insbesondere Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 106a SGB V <Stand: 15.12.2021>, Rn. 761 ff.; vgl. auch BSG, Urteil vom 28. Januar 1998 – B 6 KA 69/96 R –, juris Rn. 13 ff.) an die Rechtmäßigkeit der Prüfung und auf ihr beruhenden Kürzungen hat der Beklagte entsprochen.
(1) Die Wahl der Prüfmethode nach Durchschnittswerten (Auffälligkeitsprüfung) bezogen auf die GOP 35110 auf der Basis der sog. Prävalenzprüfung begegnet im Ausgangspunkt bezüglich des „Ob“ keinen Bedenken. Sie hat dabei auch tatsächlich eine entsprechende Wirtschaftlichkeitsprüfung vorgenommen und sie auch nicht in unzulässiger Weise mit einer sachlich-rechnerischen Prüfung vermengt. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen in der angefochtenen Entscheidung (S. 9 bis 11) verwiesen.
(2) Der Beklagte hat eine hinreichend enge Vergleichsgruppe gebildet, indem er die Fachgruppe der Prüfgruppe 101-33 (voll zugelassene Allgemeinärzte/ hausärztliche Internisten in Hessen) herangezogen hat, soweit die zugehörigen Ärzte und Ärztinnen die GOP 35110 EBM auch tatsächlich abrechnen durften und abgerechnet haben. Der Senat versteht dabei die angefochtenen Bescheide so, dass nur die Ärzte der Fachgruppe in den Vergleich eingestellt wurden, die im betroffenen Quartal die GOP auch tatsächlich mindestens einmal abgerechnet haben. Dies geht auch hinreichend deutlich aus der Tabelle im Bescheid der PS und der Bezugnahme im streitgegenständlichen Bescheid mit den Überschriften „Anz.-GO-NR. je 100-Fälle ausf. Praxen“ und „Durch. je Fall ausf. Praxen-PG“ in Zusammenschau mit der Frequenzstatistik sowie den bezugnehmenden Erläuterungen auf Seite 6-8 des angefochtenen Bescheids hervor.
(3) Auch die Auswahl der Vergleichsmethode in Breite und Tiefe ist im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden. Die arztbezogene Vergleichsprüfung nach Durchschnittswerten ist unter der Voraussetzung einer hinreichenden Vergleichbarkeit auch zur Überprüfung der Wirtschaftlichkeit des Ansatzes einzelner Leistungspositionen bzw. mehrerer zu Leistungssparten zusammengefasster Leistungspositionen der Bewertungsmaßstäbe heranzuziehen; ein statistischer Einzelleistungsvergleich setzt voraus, dass davon Leistungen betroffen sind, die für die gebildete Vergleichsgruppe typisch sind und zumindest von einem größeren Teil der Fachgruppenmitglieder regelmäßig in nennenswerter Zahl erbracht werden (BSG, Urteil vom 16. Juli 2003 – B 6 KA 44/02 R –, juris Rn. 17).
Hierunter fällt nach Auffassung des Senats der Vergleich des Durchschnittsfallwerts der Praxis bezüglich einer Leistung mit dem Durchschnittsfallwert der Vergleichsgruppe. Es ist weder vorgetragen noch erkennbar, dass bezüglich der GOP 35110 die Fallzahlen zu klein sind oder von vorneherein aus anderen Atypiken keine Vergleichbarkeit besteht.
(4) § 10 Abs. 4 PV bindet die Prüfgremien im Sinne einer gestuften Prüfung und damit auch einer gestuften Ausübung der entsprechenden Beurteilungsspielräume und Schätzungsermessensermächtigungen. Demnach geht der Feststellung eines offensichtlichen Missverhältnisses der durchschnittlichen Honorarforderung eines Arztes je Behandlungsfall im Vergleich zu den Durchschnittswerten seiner Vergleichsgruppe (§ 10 Abs. 2), die sich auch einzelnen Leistungsgruppen oder die Abrechnungshäufigkeit einzelner in der Vergleichsgruppe üblicher Leistungen beziehen kann (§ 10 Abs. 4), notwendig die Feststellung von Praxisbesonderheiten nach § 10 Abs. 5 voraus.
Praxisbesonderheiten sind aus der Zusammensetzung der Patienten herrührende Umstände, die sich auf das Behandlungsverhalten des Arztes auswirken und in den Praxen der Vergleichsgruppe nicht in entsprechender Weise anzutreffen sind; die betroffene Praxis muss sich nach der Zusammensetzung der Patienten und hinsichtlich der schwerpunktmäßig zu behandelnden Gesundheitsstörungen vom typischen Zuschnitt einer Praxis der Vergleichsgruppe unterscheiden, und diese Abweichung muss sich gerade auf die überdurchschnittlich häufig erbrachten Leistungen auswirken (BSG, Urteil vom 23. Februar 2005 – B 6 KA 79/03 R –, Rn. 20, juris m.w.N.). Für die Anerkennung einer Praxisbesonderheit ist allerdings nicht ausreichend, dass bestimmte Leistungen in der Praxis eines Arztes überdurchschnittlich erbracht werden. Denn es handelt es sich in der Regel um Umstände, die außerhalb der unmittelbaren Beeinflussbarkeit durch den Arzt liegen (Steinhäuser, in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, 3.Aufl. 2017, § 18 Rn. 69). Vielmehr muss substantiiert dargetan werden, inwiefern sich die Praxis gerade in Bezug auf diese Umstände von den anderen Praxen der Fachgruppe unterscheidet (BSG, Urteil vom 21. Juni 1995 – 6 RKa 35/94).
Dabei obliegt die Darlegungs- und Feststellungslast für besondere, einen höheren Behandlungsaufwand rechtfertigende atypische Umstände wie Praxisbesonderheiten dem Arzt (st.Rspr.: BSG Urteil vom 5. Juni 2013 – B 6 KA 40/12 R –, juris Rn. 18; BSG Urteil vom 28. Oktober 2015 - B 6 KA 45/14 R -, juris Rn. 33, jeweils m.w.N.). Dass der Arzt seiner Darlegungs- und Beweislast nur nach einer – u. U. aufwendigen - Auswertung der gespeicherten Daten gerecht werden kann, steht dem nicht entgegen (BSG Urteile vom 28. September 2016 – B 6 KA 44/15 R –und – B 6 KA 43/15 R –, juris Rn. 35). Die Prüfgremien sind zu Ermittlungen von Amts wegen nur hinsichtlich solcher Umstände verpflichtet, die typischerweise innerhalb der Fachgruppe unterschiedlich und daher augenfällig sind. Gemessen an diesem Maßstab hält der Senat – ebenso wie das Sozialgericht – die Vorgehensweise des Beklagten, Prävalenzen zu ermitteln und daraus Rückschlüsse auf die Quantität der Praxisbesonderheit zu ziehen, im Ausgangspunkt für gut geeignet, um Praxisbesonderheiten festzustellen.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts ist für den Senat zunächst nicht zu beanstanden, dass der Beklagte die Anzahl der F-Diagnosen zum alleinigen Maßstab der statistischen Auswertung zur Feststellung einer Praxisbesonderheit wählt. Denn für eine Praxisbesonderheit kann sich eine vom Fachgruppendurchschnitt abweichende Patientenklientel durchaus aus der Häufigkeit bestimmter Diagnosen ergeben. In welcher Häufigkeit demgegenüber bestimmte Leistungen in der Arztpraxis erbracht werden, begründet für sich keine Praxisbesonderheit; in welcher Häufigkeit Leistungen erbracht werden, ist im Übrigen gegebenenfalls bei der Bildung der Vergleichsgruppe und der Übereinstimmung der Leistungsbedingungen zwischen Arzt und Vergleichsgruppe bei der hinreichenden Vergleichbarkeit im Sinne einer statistischen Tragfähigkeit des Vergleichs zu berücksichtigen (vgl. Steinhäuser, in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl. 2017, § 18 Rn. 69). Abgrenzungsschwierigkeiten treten dort auf, wo der Arzt eine abweichende Patientenklientel aufweist, diese aber möglicherweise über das Maß des Notwendigen hinaus behandelt (dazu unten).
Nach dem Vortrag des Beklagten, dessen Richtigkeit der Senat nicht in Zweifel zieht, werde die Gesamtheit aller Codierungen im Bereich der F-Diagnosen im Sinne des § 22 Abs. 1 Psychotherapie-Richtlinie (a. F.) ausgewertet. Ein Ansatz der GOP 35110 EBM sei keine Voraussetzung, um F-Diagnosen in der Prävalenzprüfung anzuerkennen. Dadurch würden auch Patienten einbezogen, bei denen eine F-Diagnose, aber keine Abrechnung der GOP 35110 EBM erfolgt. Dies wirke sich zugunsten des Klägers aus. Zudem erhöhten Patienten mit mehrfachem Ansatz von F-Diagnosen die Prävalenz ebenfalls zugunsten des Klägers. Diese „Unschärfe“, die die Abhängigkeit der Patientenklientel von der Diagnose betrifft, wirken sich mithin zugunsten des Klägers aus.
Mit dem Sozialgericht ist der Senat der Auffassung, dass dem Vertragsarzt Gelegenheit gegeben werden muss, im Rahmen der Feststellung einer Praxisbesonderheit fehlende Angaben zu seinen F-Diagnosen nachzubessern. Die Abrechenbarkeit der GOP 35110 EBM erforderte jedenfalls in den streitgegenständlichen Quartalen nicht die Verschlüsselung einer F-Diagnose. Zudem hat der Beklagte angegeben, bei der Praxisbesonderheit auch Fälle berücksichtigt zu haben, in denen nicht die GOP 35110 EBM abgerechnet worden sei. Eine hinreichende statistische Grundlage bildet das Vorgehen des Beklagten mithin nur dann, wenn dem Arzt die Gelegenheit gegeben wird, die Anzahl der F-Diagnosen im Quartal über die mit den Abrechnungsdaten erfolgte Verschlüsselung hinaus zu vervollständigen. Der Prozessbevollmächtigte beanstandete mit der Widerspruchsbegründung vom 27. Februar 2019 (Bl. 68 der Verwaltungsakte) ausdrücklich, dass lediglich eine „ICD-Prävalenz“ berücksichtigt worden sei. Damit war der Kläger hinreichend problembewusst, dass er mit dem Widerspruch hätte vortragen können, bei welchen Behandlungsfällen die Nennung einer gestellten F-Diagnose im Rahmen der Honorarabrechnung fehlte. Dies ist unterblieben.
Sind Praxisbesonderheiten dem Grunde nach anzuerkennen, bleibt die Frage, in welchem Ausmaß sie einen Mehraufwand des Arztes im Verhältnis zur Vergleichsgruppe rechtfertigen (zum Folgenden: Ulrich in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 106a SGB V <Stand: 15.12.2021>, Rn. 75). Wenn sie diesen in vollem Umfang plausibel machen, ist kein Raum für eine Prüfmaßnahme – sei es Beratung oder Honorarkürzung. Decken die Praxisbesonderheiten indessen nur einen Teil des Mehraufwandes ab, so bedarf es ihrer Quantifizierung. Die Prüfgremien haben die Aufgabe, zu schätzen, wie viel Mehraufwand gegenüber dem durchschnittlichen Aufwand in der Vergleichsgruppe durch die Praxisbesonderheiten gerechtfertigt ist. Sie dürfen sich einer Schätzung bedienen, müssen dabei jedoch die Grundlagen für die Schätzung und die aus ihnen gezogenen Schlussfolgerungen in nachvollziehbarer Weise in der Begründung des Bescheides angeben.
Insoweit hat der Beklagte ausgeführt, dass relativ wenige Fälle (29 in 1/2015} keine Diagnosen aus § 22 Abs. 1 der Psychotherapie-Richtlinie (a. F.) enthielten (auch wenn an anderer Stelle darauf hingewiesen wurde, dass im Rahmen der Abrechnung der GOP 35110 ICD-10-Codierungen aus dem Bereich des § 22 Abs. 1 der Richtlinie des G-BA (a. F.) „häufig“ gefehlt hätten und beispielhaft im Bescheid Diagnosen genannt wurden, die den Ansatz der GOP 35110 EBM nicht begründen ließen – Bl. 93, 94 der Verwaltungsakte, S. 9 und 10 des streitgegenständlichen Bescheides) und im Übrigen tragfähig begründet, dass keine anderen Praxisbesonderheiten über die im Rahmen der Prävalenzprüfung hinaus ermittelte anzuerkennen ist. Insbesondere wegen des fehlenden Vortrags zur nachträglichen Mitteilung von F-Diagnosen und den „relativ wenigen Fällen“ ohne Diagnose aus § 22 Abs. 1 der Psychotherapie-Richtlinie (a. F.) begegnet die Anerkennung der Praxisbesonderheiten auch ihrem Umfang nach keinen Bedenken.
Ohne weitere substantiierte Darlegung der Praxisstruktur auch unter Zuhilfenahme einer statistischen Aufarbeitung durch den Arzt sprechen die „Unschärfen“, die aus der rechnerischen Ermittlung der Prävalenz aus der Anzahl der F-Diagnosen und einer Ermittlung des einzelleistungsbezogenen Fallwertes bei einer beliebig oft im Quartal ansetzbaren GOP herrühren, nicht generell gegen die Vorgehensweise des Beklagten bei der Ermittlung der Praxisbesonderheit. Das Ergebnis der Prävalenzprüfung hat lediglich eine Funktion als Hilfsmittel zur Feststellung von Praxisbesonderheiten im Sinne eines „Aufgreifkriteriums“ (vgl. auch Senatsurteil vom 26. Februar 2025 – L 4 KA 27/23). Damit verbleibt es im Übrigen bei dem Grundsatz, dass der Arzt die für eine Praxisbesonderheit sprechenden Tatsachen substantiiert vortragen muss, um über die Bereinigung des Fallwertes mittels eines prozentualen Faktors hinaus eine im Ergebnis gewichtigere Anerkennung seiner Praxisbesonderheit zu erhalten.
Im streitgegenständlichen Bescheid wurde die Praxisbesonderheit bei der Fallwertberechnung in der Weise berücksichtigt, dass der Fallwert der Vergleichsgruppe mit der anhand der F-Diagnosen der geprüften Praxis ermittelten Quote des höheren Anteils an F-Diagnosen multipliziert wurde. Mit dem aus der Quote der F-Diagnosen im Vergleich zur Fachgruppe gebildeten Faktor kann zwar in der Folge nicht stets die Praxisbesonderheit zutreffend rechnerisch bestimmt werden. Der Mehrfachansatz im Behandlungsfall kann zu einer überproportionalen Steigerung der Abrechnungshäufigkeit führen, die im Rahmen der Prävalenzprüfung nicht abgebildet wird. Dies ist – ausgehend von der o. g. Funktion der Prävalenzprüfung – jedoch nicht zu beanstanden, da die bloß gehäufte Abrechnung der GOP 35110 EBM in einem Behandlungsfall noch keine Aussage über die medizinische Notwendigkeit und Wirtschaftlichkeit der vermehrten Leistungserbringung trifft. Sollte sich bei einer gewissen Anzahl von Patientinnen und Patienten mit F-Diagnosen zugleich ein überproportional häufiger Ansatz der GOP 35110 zeigen, also eine im Vergleich zur Fachgruppe größere Streubreite oder aber auch bestimmte „Cluster“ von Patienten mit höherer Behandlungsfrequenz, so muss es sich nicht um eine besondere Patientenstruktur der Praxis handeln. Vielmehr könnte es auch auf ein unwirtschaftliches Abrechnungsschema hindeuten, bei denen der Arzt die abweichende Klientel ohne Not über das Maß des Notwendigen hinaus behandelt (vgl. zur Problematik allgemein bei Praxisbesonderheiten: Steinhäuser, in: Schnapp/Wigge, Handbuch des Vertragsarztrechts, 3. Aufl. 2017, § 18 Rn. 69). Der Vortrag des Klägers hat den Senat nicht in die Lage versetzt, dies zu überprüfen.
(5) Bei der Festlegung der Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis haben die Prüfgremien einen Beurteilungsspielraum. Sie können dabei Besonderheiten des konkreten Einzelfalles berücksichtigen. Eine Unwirtschaftlichkeit ist dann anzunehmen, wenn der Fallwert des geprüften Arztes so erheblich über dem Vergleichsgruppendurchschnitt liegt, dass sich die Mehrkosten nicht mehr durch Unterschiede in der Praxisstruktur und den Behandlungsnotwendigkeiten erklären lassen und deshalb zuverlässig auf eine unwirtschaftliche Behandlungsweise als Ursache der erhöhten Aufwendungen geschlossen werden kann. Wann dieser mit dem Begriff des offensichtlichen Missverhältnisses gekennzeichnete Überschreitungsgrad erreicht ist, hängt von den Besonderheiten des jeweiligen Prüfungsgegenstandes und den Umständen des konkreten Falles ab und entzieht sich einer allgemein verbindlichen Prüfung (BSG, Urteil vom 15. März 1995 – 6 RKa 37/93, NJW 1996, 2448 (2449), beck-online). Soweit Prüfgremien die Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis „typisierend“ beim Einzelleistungsvergleich bei 100 % festlegen, bedarf es keiner vertieften Begründung (BSG, Urteil vom 21. Mai 2003 – B 6 KA 32/02 R –, SozR 4-2500 § 106 Nr. 1 Rn. 23 juris). Die Prüfgremien sind auch bei einer Einzelleistungsprüfung grundsätzlich berechtigt, Grenzwerte festzulegen, die das Doppelte des Vergleichsgruppendurchschnitts unterschreiten (zum Folgenden: BSG, Urteil vom 30. November 2016 – B 6 KA 29/15 R –, SozR 4-2500 § 106 Nr. 56, Rn. 24). Dabei liegt es bei einem Einzelleistungsvergleich grundsätzlich nahe, bei der Festlegung der Grenze zum offensichtlichen Missverhältnis höhere Grenzwerte als bei einem Gesamtvergleich in Betracht zu ziehen, weil die Aussagekraft des Vergleichs tendenziell geringer und die Gefahr von Fehlinterpretationen größer ist, da sich unterschiedliche Diagnose- und Behandlungsmethoden der Ärzte hier naturgemäß stärker auswirken. Allerdings kann bei einer Einzelleistungsprüfung ein „offensichtliches Missverhältnis“ – typisierend – jedenfalls dann angenommen werden kann, wenn der entsprechende Wert der Vergleichsgruppe um mehr als 100 % überschritten wird, um die verbleibenden Unwägbarkeiten einer statistischen Vergleichsprüfung zu erfassen.
Insoweit begegnet die nachfolgend entsprechend dem Bescheid der PS dargestellte rechnerische Herleitung des Vergleichs der Fallwerte im Ausgangspunkt keinen Bedenken.
GOP 35110 | Quelle bzw. Rechenweg | 1/2015 | 2/2015 | 3/2015 | 4/2015 |
Fallwert (FW) Prüfgruppe (PG) | Abrechnung (ausf. Praxen) | 1,32 € | 1,32 € | 1,32 € | 1,32 € |
Fallwert Praxis | Abrechnung | 9,73 € | 10,57 € | 8,53 € | 7,80 € |
Praxisbesonderheit (PB) pro Fall | FW PG x % PB | 1,04 € | 1,20 € | 1,47 € | 1,18 € |
Bereinigter Fallwert Praxis | FW Praxis - PB | 8,69 € | 9,37 € | 7,06 € | 6,62 € |
Bereinigte Überschreitung | nach Abzug PB | 558% | 610% | 447% | 409% |
Fallzahl (FZ) Praxis | Abrechnung | 597 | 557 | 546 | 613 |
Ermessensausübung der PS | FW PG + 100% | 2,64 € | 2,64 € | 2,58 € | 2,60 € |
Verbleibende Überschreitung pro Fall | FW Praxis - PB - (FW PG + 100%) | 6,05 € | 6,73 € | 4,48 € | 4,02 € |
Kürzungsbetrag | Verbl. Übersch. x FZ Praxis | 3.611,85 € | 3.748,61 € | 2.446,08 € | 2.464,26 € |
Nach Bereinigung des Fallwertes sowohl um die Praxisbesonderheit über einen Prozentfaktor als auch durch den Abzug des verdoppelten Fallwerts der Vergleichsgruppe gab es keinen Anlass, weitere Umstände anzuerkennen oder eine vertiefte Begründung der angestellten Ermessenserwägungen vorzunehmen.
(6) Fehler des Beklagten bei der Ausübung seines Kürzungsermessens zur Festlegung der Höhe der Honorarminderung (zum Ermessen: st.Rspr. seit BSG, Urteil vom 26. April 1978 – 6 RKa 10/77 –, BSGE 46, 136; vgl. weitere Nachweise bei Engelhard, in: Hauck/Noftz, SGB, 02/20, § 106c SGB V, Rn. 137) sind nicht erkennbar.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), bezüglich der Beigeladenen auf § 197a SGG i.V.m. § 163 Abs. 3 VwGO.
Revisionszulassungsgründe sind nicht ersichtlich.