L 9 KR 42/23

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 51 KR 3383/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 KR 42/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Bei der Abgrenzung einer ambulanten Notfallbehandlung von einer stationären Krankenhausbehandlung ist stets eine Einzelfallprüfung erforderlich.

Sieht der konkrete Behandlungsplan bei einem Verdacht auf einen Myokardinfarkt zunächst nur diagnostische und therapeutische Maßnahmen für die nächsten sechs Stunden vor, da sich erst im Anschluss der weitere Behandlungsweg (ambulante oder stationäre Weiterbehandlung) entscheidet, und werden ausschließlich Maßnahmen geringer Intensität in zeitlicher Abfolge durchgeführt, liegt unabhängig von dem konkreten Ort der Leistungserbringung lediglich eine der Aufnahmeentscheidung vorgelagerte Diagnostik und Behandlung und damit keine stationäre Krankenhausbehandlung vor.
 

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2022 aufgehoben.

 

Die Klage wird abgewiesen.

 

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung und hierbei vor allem um die Frage, ob überhaupt eine stationäre Krankenhausbehandlung vorlag.

 

Der im Jahr  geborene, bei der Beklagten krankenversicherte A (nachfolgend: der Versicherte) stellte sich selbst am 3. Juni 2017 um 05:09 Uhr mit Atembeschwerden und Schmerzen in der Brust beim Atmen mit Ausstrahlung in den linken Arm in der Rettungsstelle eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses vor, dessen Rechtsträgerin die Klägerin ist.

 

Um 05:21 Uhr fand der erste Kontakt zwischen dem behandelnden Arzt und dem Versicherten statt. Im Ergebnis der Erstversorgung stellte der behandelnde Arzt den Verdacht auf eine erstmalig auftretende Angina pectoris. Er gelangte – vor dem Hintergrund, dass der Versicherte sowohl rauchte als auch wöchentlich Kokain konsumierte – zu der Einschätzung, dass zur weiteren Gefährdungsbeurteilung (Ausschluss eines Myokardinfarktes) und Ermittlung der Beschwerdenursache eine kontinuierliche Überwachung der Vitalparameter, eine Evaluation möglicher Differentialdiagnosen sowie eine weitere Verlaufsbeobachtung, Diagnostik und Therapie notwendig sei und entschied, den Versicherten auf die Interdisziplinäre Kurzaufnahmestation der Rettungsstelle – INKA – aufzunehmen.

 

Die INKA grenzt unmittelbar an die Rettungsstelle an und bestand im Behandlungszeitpunkt aus drei Betten, die von einer Pflegekraft betreut werden. Die INKA ist organisatorisch an die Notaufnahme angeschlossen. Sie verfügt über keinen gesondert beplanten ärztlichen Personalstamm; die ärztliche Betreuung der Patienten erfolgt durch die Ärzte, welche auch für die Rettungsstelle zuständig sind. Die Betreuung der Patienten auf der INKA soll zum einen eine lückenlose Überwachung der Vitalparameter sowie eine engmaschige pflegerische und ärztliche Überwachung ermöglichen und zum anderen bei Notwendigkeit ein unverzügliches medizinisches Handeln unter Rückgriff auf die notfallmedizinische Infrastruktur gewährleisten. Stellt sich durch das Monitoring ein weitergehender Behandlungsbedarf heraus, werden die Patienten auf eine spezialisierte Fachabteilung verlegt, andernfalls werden sie entlassen. Den Patienten wird ein konkretes Bett zugewiesen. Sie erhalten auf der INKA auch eine Versorgung mit Mahlzeiten. Es handelt sich bei der INKA nach den Angaben der Klägerin um eine ordnungsbehördlich genehmigte Station. Im Krankenhausplan des Landes Berlin ist sie nicht gesondert ausgewiesen.

 

Der auf der Verlaufsdokumentation dokumentierte Behandlungsplan für den Versicherten sah vor: Intravenöser Zugang, Infusion, EKG, Labor Standard und Herz (Troponin), Monitoring nach Standard, HF/RR, SPO2/AF sowie darüber hinaus„Labor: Trop, CK + EKG 10:00 Uhr Kontrolle“ sowie „Procedere INKA Verdacht auf Herzinfarkt“. Angaben zu Kost und Mobilisation finden sich nicht. Um 5:30 Uhr wurde die Gabe von Heparin, ASS und Perfalgan angeordnet.

 

Folgende Maßnahmen wurden sodann tatsächlich durchgeführt:

Um 05:28 Uhr wurde ein EKG durchgeführt und ausgewertet. Dem Versicherten wurde ein peripherer Venenkatheter gelegt, über den er nach Angabe der Klägerin um 05:30 Uhr drei verschiedene Infusionen erhielt (Heparin, ASS und Perfalgan). Um 05:44 Uhr wurde ein kleines Blutbild einschließlich Troponinwert und Kreatinkinase  erhoben und um 05:53 Uhr wurde ein Thorax-Röntgen durchgeführt. Im Anschluss wurde dem Versicherten ein Bett in unmittelbarer Nähe zur Rettungsstelle zugewiesen. Gegen 6.00 Uhr lag der Röntgenbefund vor, welcher keine pathologischen Auffälligkeiten zeigte. Dasselbe galt für die Blutuntersuchung, deren Ergebnisse um 06:19 Uhr vorlagen. Um 06:20 Uhr schlief der Versicherte laut der Verlaufsdokumentation. Um 06:58 Uhr und 11:23 Uhr erfolgte eine Messung der Vitalparameter per Monitoring sowie um 08:00 Uhr und 11:00 Uhr durch das Pflegepersonal (Blutdruck, Puls, Sauerstoffsättigung). Um 08:00 Uhr lehnte der Versicherte ein Frühstück ab. Um 09:04 Uhr erfolgte eine weitere Erhebung von Blutparametern (Blutgasanalyse) mittels RapidPoint (Point of Care-Diagnostik). Um 10:03 Uhr wurden erneut Troponin und Kreatinkinase erhoben. Um 10:17 Uhr wurde ein weiteres EKG geschrieben. Der Patient stabilisierte sich. Anhand der Verlaufskontrolle und der eingeleiteten Diagnostik konnte der Verdacht auf einen Myokardinfarkt widerlegt werden. Es wurde festgestellt, dass der Patient „nur“ an einer Angina pectoris litt. Um 11:20 Uhr wurde der Venenkatheter gezogen, um 11:35 Uhr wurde der Versicherte entlassen.

 

In den Entlassungsbericht, der im Zeitpunkt der Entlassung von dem ab 07:00 Uhr für den Versicherten zuständigen Arzt erstellt wurde, wurde als Behandlungsplan aufgenommen:

 

„Behandlungsplan (INKA) binnen 24 Stunden:

Labor: Initial und am Folgetag BGA und Labor-Profil: ´Herz´

Troponin und CK-Verlaufskontrolle gemäß SOP

[…]

Kost:

Heute nüchtern

Morgen: leichte Kost

Mobilisation:

Heute: selbständig

Morgen: selbständig“

 

Nach dem klinikinternen „Procedere INKA-Behandlungen“ (Stand 02/2015) ist eine zur „INKA-Behandlung“ führende Entscheidung immer bei einem dringenden Verdacht oder Nachweis einer myokardialen Ischämie zu treffen. In diesem Fall soll immer zwei Mal ein EKG geschrieben und zwei Mal Troponin bestimmt werden gemäß der SOP „KHK-Patient“.

 

Ausweislich der am Behandlungstag im Krankenhaus der Klägerin gültigen SOP (Standard Operating Procedure) – Akutes Koronarsyndrom (Stand: 25. April 2017) erhalten Patienten „in der Rettungsstelle“ Troponin-Verlaufskontrollen bei Verdacht auf eine myokardiale Ischämie und dürfen auf die Station verlegt werden, wenn ein Troponinwert initial sowie vier Stunden nach Beschwerdebeginn vorliegt, dieser normwertig ist und keine ansteigende Kinetik aufweist, die EKGs bezüglich Rhythmus, Lagetyp und ST-Strecke sowie T-Welle gleich sind und wenn der Patient beschwerdefrei ist. Bei einem Anstieg des Wertes sowie Änderungen im EKG sollte der Leitende Oberarzt oder ein Kardiologe involviert werden. Eine Röntgen-Thorax-Untersuchung wird als Mindestanforderung an die Differentialdiagnostik vor Verlegung beschrieben.

 

Weiter ist aufgeführt:

 

„Patienten dürfen das Haus verlassen, wenn

- ein normwertiger Troponinwert initial sowie vier Stunden nach Beschwerdebeginn vorliegt,

- der GRACE-Score < 140 ist,

- der Patient beschwerdefrei ist und eine hinreichend belastbare Differentialdiagnose besteht, die Gesamtüberwachungszeit des Patienten mindestens sechs Stunden beträgt,

- eine Röntgen-Thorax-Untersuchung als Mindestanforderung an die Differentialdiagnostik vor Entlassung durchgeführt wurde.

Dies sind die Patienten, die in das INKA-Procedere eingegliedert werden. Alle anderen Patienten bleiben im Haus, insbesondere bei kardiovaskulären Risikofaktoren – diese sind, wenn nicht anderweitig hinreichend, mit dem Textbaustein „CVRF“ obligat zu dokumentieren.“

 

Wegen der Einzelheiten der „SOP-Akutes Koronarsyndrom“ wird auf Bl. 390 bis 402 der Gerichtsakte Bezug genommen.

 

Die Klägerin rechnete am 13. Juni 2017 die Behandlung des Versicherten als stationäre Behandlung gegenüber der Beklagten ab. Unter Zugrundelegung der DRG F74Z (Thoraxschmerz und sonstige nicht näher bezeichnete Krankheiten des Kreislaufsystems) sowie Abzug eines Kurzliegerabschlages und des Zuzahlungsbetrages des Versicherten in Höhe von 10 Euro forderte sie einen Betrag in Höhe von 702,80 Euro von der Beklagten.

 

Die Beklagte zahlte den Betrag zunächst vollständig. Sie beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Berlin-Brandenburg (MDK) mit der Prüfung, ob eine Notwendigkeit für eine stationäre Aufnahme bestanden habe oder ob die Behandlung auch im Rahmen einer Erste-Hilfe-Behandlung ausreichend gewesen wäre. Der MDK zeigte der Klägerin mit Schreiben vom 14. Juli 2017 die Prüfung des Behandlungsfalles an.

 

In ihrem Gutachten vom 28. Februar 2018 kam die Gutachterin des MDK zu dem Ergebnis, dass die Notwendigkeit einer stationären Behandlung medizinisch nicht begründbar sei. Es sei ausschließlich eine Notfallbehandlung, nicht jedoch eine klassische vollstationäre Krankenhausbehandlung dokumentiert.

 

Die Beklagte folgte der Einschätzung und verrechnete in einem Sammelavis vom 5. März 2018 unter anderem den Betrag von 702,80 Euro sowie einen weiteren Betrag in Höhe von 10,00 Euro jeweils unter Angabe des Namens des Versicherten und der Fallnummer gegen andere unstreitige Forderungen der Klägerin, die diesen Betrag überstiegen.

 

Am 5. Dezember 2018 hat die Klägerin Klage auf Zahlung von 712,80 Euro nebst Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab dem 6. März 2018 erhoben. Zur Begründung hat sie im Wesentlichen vorgetragen: Die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung scheitere an einem ihr zustehenden Rückforderungsanspruch aus dem Behandlungsfall des Versicherten. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Vergütung der von ihr erbrachten Leistungen gegenüber der Beklagten, da sie den Versicherten stationär aufgenommen habe. Die stationäre Aufnahme ergebe sich aus der geplanten Behandlungsdauer auf Basis eines Behandlungsplanes. Maßgebend sei die Beurteilung der Krankenhausbehandlungs-bedürftigkeit durch den verantwortlichen Krankenhausarzt im Zeitpunkt der Aufnahmeentscheidung. Vorliegend sei die ambulante Notfallversorgung um 05:21 Uhr abgeschlossen gewesen. Eine Entlassung sei zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht in Betracht gekommen, da bei dem rauchenden und kokainkonsumierenden Versicherten der Verdacht auf ein akutes Myokardsyndrom bzw. auf einen Myokardinfarkt bestanden habe. Erst aufgrund der unter stationären Bedingungen eingeleiteten Behandlungsmaßnahmen (EKG, Röntgen- und Laborleistungen) habe das Vorliegen einer unmittelbar lebensbedrohlichen Situation ausgeschlossen werden können. Bei diesen Leistungen habe es sich nicht um Aufgaben der Rettungsstelle gehandelt. Der Patient sei medizinisch stabilisiert gewesen, der Ausschluss des Myokardinfarktes habe stationär erfolgen müssen. Aus der Zuweisung eines Bettes und des Angebots eines Frühstücks ergebe sich zudem die Eingliederung des Versicherten in die Struktur des Krankenhauses. Erst im Zeitpunkt der Entlassung um 11:30 Uhr habe festgestanden, dass kein Myokardinfarkt vorgelegen habe. Hätte sich der Verdacht bestätigt, wäre der Patient weiter auf die kardiologische Station verlegt worden.

 

Dem ist die Beklagte entgegengetreten. Sie ist der Ansicht, dass es sich bei der von der Klägerin erbrachten Leistung nicht um eine stationäre Krankenhausbehandlung im Sinne von § 39 SGB V, welche von ihr zu vergüten sei, sondern um eine ambulante Notfallversorgung gehandelt habe, welche gegenüber der Beigeladenen abzurechnen sei. Die Klägerin habe keine über die Notfallversorgung hinausgehende Behandlung bei dem Versicherten vorgenommen. Die durchgeführten diagnostischen Maßnahmen (EKG, Blutuntersuchung, Röntgen Thorax) seien noch Teil der einer stationären Behandlung vorausgehenden Aufnahmeuntersuchung gewesen und daher nicht geeignet, bereits selbst die Aufnahme in das Krankenhaus zu begründen. Es habe sich um eine ambulante Notfalldiagnostik und -überwachung bis zum Ergebnis der Kontrolldiagnostik gehandelt. Eine Einbindung in ein vollstationäres Setting sei aus der Patientendokumentation nicht ableitbar.

 

Mit Urteil vom 15. Dezember 2022 hat das Sozialgericht Berlin der Klage stattgegeben und die Berufung gegen das Urteil zugelassen. Die Klage sei als (echte) Leistungsklage im Gleichordnungsverhältnis zulässig und begründet. Der Klägerin stehe der geltend gemachte Zahlungsanspruch einschließlich Zinsen zu. Der ursprünglich entstandene Anspruch der Klägerin gegen die Beklagte auf Vergütung von (unstreitigen) Krankenhausbehandlungsleistungen für andere Versicherte sei nicht dadurch erloschen, dass die Beklagte wirksam mit einem Erstattungsanspruch wegen Zahlung der Vergütung für die Krankenhausbehandlung des Versicherten aufgerechnet habe, weil ein solcher Erstattungsanspruch nicht bestanden habe. Die Kammer sei bei einer Gesamtbetrachtung davon überzeugt, dass die Klägerin eine stationäre Behandlung erbracht habe, die nach § 109 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) durch die Beklagte zu vergüten sei. In der vorliegenden Konstellation sei von dem Erfordernis einer Aufnahme für mindestens einen Tag und eine Nacht abzusehen. Zwar habe der mit der Aufnahmeentscheidung aufgestellte Behandlungsplan eine Aufnahme und Überwachung von mehr als einer Nacht und einem Tag vorgesehen. Dies ergebe sich aus der Planung von Behandlungen am Aufnahme- und am Folgetag und Angaben zu Kost und Mobilisierung. Zu berücksichtigen sei jedoch auch, dass der beabsichtigte Behandlungsplan tatsächlich nicht durchgeführt worden sei, ohne dass dies auf einer Selbstentlassung des Versicherten beruht habe. Es habe sich bei dem tatsächlichen Geschehensablauf auch nicht um eine völlig überraschende medizinische Entwicklung gehandelt, sondern ein von vorneherein mögliches Geschehen realisiert. Daher sei die Aufnahmeentscheidung allein nicht geeignet, das Vorliegen einer stationären Behandlung zu stützen. Jedoch stelle die Behandlung/Überwachung in der Form und dem zeitlichen Umfang, in der sie tatsächlich erfolgt sei, eine stationäre Krankenhausbehandlung dar. Der Versicherte sei aufgrund einer Aufnahmeentscheidung in eine organisatorische Struktur aufgenommen worden, welche hinreichend die Merkmale einer stationären Krankenhausbehandlung aufgewiesen habe. Es habe sich um eine Station mit eigenen Betten und eigenem Pflegepersonal gehandelt, das ausschließlich für diese Betten zuständig und nicht zugleich der Rettungsstelle zugewiesen gewesen sei. Die INKA-Station habe unter ständiger ärztlicher Leitung gestanden und sei in ein System zur Versorgung der Patienten mit Mahlzeiten (am Bett) einbezogen gewesen. Durch die durchgeführten Behandlungen sei die personelle, apparative und räumliche Ausstattung des Krankenhauses in Anspruch genommen worden und der Versicherte physisch und organisatorisch hinreichend in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses der Klägerin eingegliedert gewesen. Für die Beurteilung sei auch ausschlaggebend gewesen, dass eine Überwachung eines Patienten in der Form und Dauer, wie sie beim Versicherten stattgefunden habe, nicht in angemessener Form auf einer reinen Notaufnahmestation möglich gewesen wäre. Echte Betten für einen mehrstündigen Aufenthalt stünden dort gar nicht zur Verfügung. Hätte es eine der INKA vergleichbare Station nicht gegeben, wäre wohl nur eine Aufnahme des Versicherten in eine „reguläre“ (wohl kardiologische) Station sachgerecht gewesen. Es habe sich auch nicht (mehr) um eine Notfallbehandlung im Sinne einer Erstversorgung mit dem Ziel, Gefahren für Leib und Leben und unzumutbaren Schmerzen der Patienten zu begegnen, gehandelt. Akutmaßnahmen zur Lebensrettung seien nicht erforderlich gewesen. Die Behandlung und Beobachtung habe vielmehr der Stabilisierung des Versicherten und dem Zweck gedient, die Notwendigkeit einer (weiteren) stationären Behandlung abzuklären. Sie habe dabei aber selbst bereits in hinreichendem Umfang die Kriterien einer stationären Behandlung erfüllt. Keine direkte rechtliche Relevanz habe die Kammer vorliegend den Regelungen des G-BA zu einem „gestuften System von Notfallstrukturen in Krankenhäusern“ (Beschluss vom 19. April 2018) beigemessen, da diese Regelungen zeitlich nach dem hier vorliegenden Behandlungsfall getroffen worden seien. Doch die Tatsache, dass Behandlungen auf den dort benannten Beobachtungsstationen nach Angaben der Beigeladenen nicht über diese abgerechnet werden, bestätige die Einordung der Kammer, dass es sich bei der Behandlung/Beobachtung auf Beobachtungsstationen über einen längeren Zeitraum in der Regel nicht mehr um Notfallbehandlungen handele. Nicht ausschlaggebend sei, dass es sich bei der INKA um keine fachspezifische Abteilung handele, wie die Krankenhauspläne sie vorsehen.

Gegen das ihr am 11. Januar 2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 30. Januar 2023 Berufung eingelegt. Sie ist weiterhin der Ansicht, dass ein Zahlungsanspruch der Klägerin aus § 109 SGB V mangels stationärer Behandlung nicht bestehe. Allein die Zuweisung des Versicherten zu den INKA-Betten genüge nicht zur Annahme einer organisatorischen Eingliederung in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses im Sinne einer stationären Krankenhausaufnahme. Es sei bei Notfallaufnahmen die Funktion der jeweiligen Einheit zu prüfen. Dienten die organisatorischen Strukturen neben der Notfallbehandlung auch der Abklärung stationärer Behandlungsbedürftigkeit (welche das Krankenhaus selbst anbiete) begründe die Zuweisung von Betten noch keine stationäre Aufnahme. Die INKA- Betten sollten neben der Notfallbehandlung gerade der Entscheidung über die weitere Behandlung dienen. Die Behandlung bzw. Überwachung dort sei mithin der Aufnahmeentscheidung vorgeschaltet und sei nicht bereits selbst als Eingliederung im stationären Sinne zu verstehen. Die Entscheidung zur Aufnahme des Versicherten auf die INKA sei auf die Besonderheit der INKA als Beobachtungs- und Abklärungsstation bezogen gewesen und könne daher für sich genommen nicht bereits die stationäre Aufnahme begründen. Die für die Aufnahmeentscheidung erforderliche Diagnostik nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V sei Teil der Prüfung der Aufnahme und begründe ebenfalls keine Eingliederung in das System „Krankenhaus“. Der Umfang des Mitteleinsatzes führe auch zu keiner anderen Einschätzung, da dieser nicht den Umfang des Mitteleinsatzes einer ambulanten Behandlung sprenge. Die durchgeführten diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen hätten keinen intensiven Einsatz von personellen und sächlichen Ressourcen erfordert. Das Vorliegen eines Behandlungsplanes sei unbeachtlich, da den Betten auf der INKA-Station von vornherein die Funktion einer stationären Versorgung fehle. Es handele sich bei der INKA um eine Zwischenstation, die der Abklärung einer notwendigen stationären Aufnahme diene und daher – weil die Aufnahmeuntersuchung gerade noch nicht beendet sei – noch der Notfallbehandlung zuzurechnen sei. Im Übrigen sei medizinisch fraglich, ob der dokumentierte Behandlungsplan aus der ex-ante-Sicht medizinisch erforderlich gewesen sei. Dem Sozialgericht könne nicht darin gefolgt werden, dass die durchgeführte Beobachtung auf einer normalen Notaufnahme nicht habe erfolgen können, da dort keine Betten zur Verfügung gestanden hätten. Zum einen sei dies nicht für eine generelle Abgrenzung geeignet. Zum anderen sei eine unzureichende ambulante Versorgungsmöglichkeit nicht in der Lage, die Erforderlichkeit einer stationären Versorgung zu begründen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

          die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Behauptung des Beklagten, dass die INKA-Betten neben der Notfallbehandlung auch der Entscheidung über die weitere Behandlung dienten, sei falsch. Bei den in der INKA aufgenommenen Versicherten sei die Notfallbehandlung abgeschlossen und eine stationäre Behandlung aufgenommen worden. Im Rahmen des stationären Settings sei dann der weitere Behandlungsweg medizinisch und organisatorisch zu klären. Das Grundverständnis der Beklagten zur INKA sei unrichtig. Die im Behandlungszeitpunkt noch nicht gültige G-BA-Regelung zum gestuften System von Notfallstrukturen zeige in § 17 die Notwendigkeit einer Beobachtungsstation auf. Leistungen, die dort erbracht würden, seien der stationären Versorgung zuzurechnen. Daher würden die stationäre Notfallversorgung und die damit verbundenen Vorhaltekosten über Zuschläge zu den Krankenhausentgelten durch die Krankenkassen finanziert und nicht durch die Kassenärztlichen Vereinigungen. Im zu beurteilenden Fall sei ein stationärer Behandlungsplan für die nächsten 24 Stunden aufgestellt worden, um weitere diagnostische Maßnahmen durchzuführen, die dann den weiteren stationären Behandlungsplan festlegten. Es sei zu berücksichtigen, dass eine ambulante Notfallbehandlung nicht uferlos sei. Sie sei auf die Erstversorgung ausgerichtet und müsse sich darauf konzentrieren, Gefahren für Leib und Leben und unzumutbaren Schmerzen zu begegnen und die Notwendigkeit einer stationären Behandlung abzuklären. Im Rahmen des Aufenthaltes des Versicherten auf der INKA sei dieser aufgrund des kontinuierlichen Monitorings und der regelmäßigen pflegerischen und ärztlichen Evaluation besonders intensiv behandelt worden.

Die Beigeladene hat keinen Antrag gestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichts- und der Patientenakte verwiesen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der mündlichen Verhandlung war.

 

 

Entscheidungsgründe

 

Der Senat konnte trotz Ausbleibens der Beigeladenen im Termin zur mündlichen Verhandlung verhandeln und entscheiden, weil diese zum Termin ordnungsgemäß geladen wurde und in der Ladung auf diese Möglichkeit hingewiesen worden ist (§§ 110 Abs. 1 Satz 2, 126 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

 

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte Berufung (§§ 143, 144, 151, 65a und d SGG) der Beklagten gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 15. Dezember 2022 ist zulässig und begründet.

 

Zu Unrecht hat das Sozialgericht Berlin die im hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zulässige Leistungsklage (vgl. nur BSG, Urteil vom 12. Dezember 2023, B 1 KR 1/23 R, zitiert nach juris, Rn. 12) der Klägerin gemäß § 54 Abs. 4 SGG als begründet angesehen und den Beklagten zur Zahlung in Höhe von 712,80 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 6. März 2018 verurteilt.

 

Die Klage ist unbegründet.

 

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Zahlungsanspruch in Höhe von 712,80 Euro aus der Vergütung weiterer Behandlungsfälle, welche bezüglich der Höhe nicht streitig und daher keiner näheren Prüfung zu unterziehen sind (BSG, Urteil vom 21. April 2015, B 1 KR 8/15 R, zitiert nach juris, Rn. 8), denn der Anspruch der Klägerin ist dadurch erloschen, dass die Beklagte rechtswirksam gemäß § 10 PrüfVV in Verbindung mit § 388 BGB (vgl. zur Aufrechnung mittels Sammelavis zuletzt BSG, Urteil vom 28. August 2024, B 1 KR 33/23 R, zitiert nach juris, Rn. 34) mit einem ihr gegen die Klägerin zustehenden öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch in dieser Höhe aus dem Behandlungsfall des Versicherten aufgerechnet hat.

 

Der Beklagten stand ein öffentlich-rechtlicher Erstattungsanspruch gegen die Klägerin in Höhe von 712,80 Euro zu, da sie in dieser Höhe Leistungen im Rahmen eines öffentlich-rechtlichen Rechtsverhältnisses ohne sachlichen Grund erbracht hat (vgl. grundlegend zum öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch im Rahmen der Vergütung von stationären Leistungen BSG, Urteil vom 8. November 2011, B 1 KR 8/11 R, zitiert nach juris, Rn. 9 ff.), denn der Klägerin stand kein Anspruch auf Vergütung der von ihr für den Versicherten am 3. Juni 2017 erbrachten Leistungen als stationäre Krankenhausbehandlung gemäß § 109 Abs. 4 Satz 3 SGB V, § 17b Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG), §§ 7 und 9 Abs. 1 Krankenhaus-entgeltgesetz (KHEntgG) und dem Berliner Vertrag über Allgemeine Bedingungen der Krankenhausbehandlung (§ 112 Abs. 2 Nr. 1 SGB V) vom 1. November 1994 in der Fassung vom 22. Dezember 1997 zu. Die Voraussetzungen dieser Anspruchsgrundlage sind nicht erfüllt.

 

Nach diesen Regelungen entsteht die Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit der Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten, wenn die Versorgung in einem zugelassenen Krankenhaus im Rahmen seines Versorgungsauftrags durchgeführt wird, i.S. von § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V erforderlich ist und die Leistungen insgesamt wirtschaftlich (§ 12 Abs. 1 SGB V) erbracht werden (vgl. nur BSG, Urteile vom 25. Juni 2024, B 1 KR 20/23 R, zitiert nach juris, Rn. 11, und vom 25. März 2021, B 1 KR 25/20 R, zitiert nach juris, Rn. 8).

 

Zur Überzeugung des Senates wurde die gegenüber dem Versicherten am 3. Juni 2017 erbrachte Leistung nicht als stationäre Krankenhausleistung nach § 109 SGB V im Rahmen des Versorgungsauftrages des Krankenhauses, sondern als ambulante Notfallbehandlung nebst Aufnahmediagnostik einer an einem Krankenhaus angesiedelten Notaufnahme erbracht.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG ergibt sich aus dem Wortlaut des § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V sowie den Gesetzesmaterialien zu dieser Norm, dass eine vollstationäre Behandlung Versicherter deren vorherige Aufnahme in das Krankenhaus voraussetzt (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2023, B 1 KR 15/22 R, zitiert nach juris, Rn. 14 m.w.N.). Dabei wird unter Aufnahme die organisatorische Eingliederung des Patienten in das spezifische Versorgungssystem des Krankenhauses verstanden. Von einer vollstationären Krankenhausbehandlung ist jedenfalls dann auszugehen, wenn der Patient nach der Entscheidung des Krankenhausarztes mindestens einen Tag und eine Nacht ununterbrochen im Krankenhaus versorgt werden soll. Maßgeblich ist hierbei nicht die tatsächliche Behandlungsdauer im Krankenhaus, sondern die zur Zeit der Aufnahmeentscheidung auf Grundlage des hierbei getroffenen Behandlungsplans prognostizierte. Eine einmal auf Grundlage der Aufnahmeentscheidung des Krankenhausarztes erfolgte physische und organisatorische Eingliederung des Patienten in das spezifische Krankenhausversorgungssystem kann grundsätzlich nicht rückwirkend entfallen (vgl. BSG, a.a.O., Rn. 14).

 

Die Aufnahmeentscheidung des Krankenhausarztes auf der Basis eines entsprechenden Behandlungsplans wird nach außen regelmäßig durch die Einweisung auf eine bestimmte Station, die Zuweisung eines Bettes oder das Erstellen entsprechender Aufnahmeunterlagen und Ähnliches dokumentiert (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2023, B 1 KR 15/22 R, zitiert nach juris, Rn. 15; BSG, Urteil vom 18. Mai 2021, B 1 KR 11/20 R, zitiert nach juris, Rn. 12). Die Entscheidung zum Verbleib des Patienten über Nacht wird in der Regel zu Beginn der Behandlung im Krankenhaus getroffen, kann im Einzelfall bei medizinischer Notwendigkeit aber auch noch später erfolgen (BSG, Urteil vom 19. September 2013, B 3 KR 34/12 R, zitiert nach juris, Rn. 15). Die Aufnahmeentscheidung muss dabei weder ausdrücklich erklärt noch förmlich festgehalten werden. Dies gilt insbesondere bei Notfallbehandlungen (BSG, Urteil vom 29. August 2023, B 1 KR 15/22 R, zitiert nach juris, Rn. 16). Dabei behandelt ein Krankenhaus nicht bereits deshalb zwingend stationär, weil es den Patienten parallel zur Aufnahmeuntersuchung notfallmäßig mitbehandeln muss (BSG, Urteil vom 18. Mai 2021, B 1 KR 11/20 R, zitiert nach juris, Rn. 14). Dies gilt auch dann, wenn von Beginn an kein ernsthafter Zweifel daran bestehen kann, dass der Notfallpatient überhaupt einer stationären Behandlung bedarf. Die einer Aufnahme in die stationäre Behandlung vorausgehende Aufnahmeuntersuchung dient der Klärung, ob eine Aufnahme des Versicherten gerade in dieses Krankenhaus erforderlich ist. Die hierzu vorgenommenen Untersuchungen begründen nicht zwingend bereits selbst die Aufnahme in das Krankenhaus. Dies folgt aus § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V, der anordnet, dass der Versicherte „nach Prüfung durch das Krankenhaus" aufzunehmen ist. Die Diagnostik ist nach § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V im Regelfall zunächst nur Teil der Prüfung der Aufnahme. Ergibt sich nach der Aufnahmeuntersuchung, dass eine Verweisung des Versicherten an ein anderes Krankenhaus oder die ambulante Weiterbehandlung medizinisch erforderlich und ausreichend sind, liegt keine stationäre Behandlung vor. Das Krankenhaus muss den Versicherten vielmehr umgehend einem anderen geeigneten Krankenhaus zur stationären Behandlung zuweisen, wenn sein eigener Versorgungsauftrag die erforderliche Behandlung des Versicherten nicht umfasst oder es trotz Versorgungsauftrags tatsächlich nicht dazu in der Lage und ein geeignetes Krankenhaus in zumutbarer Zeit erreichbar ist.

 

Vorliegend ist entgegen der Ansicht der Klägerin eine Aufnahme des Versicherten in die Strukturen des Krankenhauses nicht bereits deshalb erfolgt, weil diesem ein Bett auf der an die Notfallaufnahme angeschlossenen INKA zugewiesen wurde. Bereits aus dem handschriftlichen Behandlungsplan des den Versicherten im Rahmen des Nachtdienstes behandelnden Arztes ergibt sich, dass mit der um 05:21 Uhr erfolgten Entscheidung zur Aufnahme des Versicherten auf die INKA nicht bereits die Entscheidung über die Aufnahme in das Krankenhaus für einen Tag und eine Nacht verbunden war. Vielmehr war es bei dem nach der Erstuntersuchung festgestellten Verdacht auf das Vorliegen einer instabilen Angina pectoris im Rahmen des Differentialdiagnostik notwendig, das Vorliegen eines Myokardinfarktes aufgrund der Vorliegens einer Hochrisikosituation bei Nikotinabusus und Kokainkonsum auszuschließen. Hierfür war entsprechend der SOP des Krankenhauses die intitiale EKG-Ableitung und die Bestimmung des Troponinwertes sowie die Wiederholung nach vier Stunden ebenso vorgesehen wie ein Röntgen-Thorax. Entsprechend hat der behandelnde Arzt gegen 05:21 Uhr auf dem Behandlungsplan die sofortige EKG- Ableitung, die Bestimmung des Troponin-Wertes, die intravenöse Gabe von Heparin und ASS sowie ein Röntgen-Thorax sowie die nochmalige EKG-Ableitung und Bestimmung des Troponinwertes um 10:00 Uhr angeordnet. Der Behandlungsplan war mithin auf die Prüfung des dringenden Verdachts eines Myokardinfarktes gerichtet, welcher nach den klinikinternen „SOP – Akutes Koronarsyndrom“ regelhaft nach zweimaliger EKG-Ableitung und Troponinwertbestimmung im Abstand von vier Stunden zuzüglich Röntgen-Thorax nach sechs Stunden entweder zur Entlassung des Patienten bei einem nichtbestätigten Verdacht oder zum Verbleib in der Klinik mit einer Verlegung auf die Station führt. Vor diesem Hintergrund lag mit der Entscheidung zur Aufnahme des Versicherten auf die INKA zur Durchführung der Differentialdiagnostik zum Ausschluss eines Myokardinfarktes um 05:21 Uhr gerade noch keine endgültige Entscheidung zur Aufnahme des Versicherten in die Strukturen des Krankenhauses der Klägerin für einen Tag und eine Nacht vor.

 

Eine solche wurde von dem erstbehandelnden Arzt auch nicht dokumentiert. Dies ergibt sich aus den fehlenden Angaben zur Kost und Mobilisation in der handschriftlichen Behandlungsdokumentation sowie vor allem aus dem Fehlen eines über das vierstündige Prüfungsintervall (gemäß SOP) hinausgehenden Behandlungsplans. Vielmehr hat der Erstbehandler entsprechend der krankenhausinternen SOP – Akutes Koronarsyndrom, auf welche das INKA-Procedere Bezug nimmt, gerade erst ermittelt, ob unter Berücksichtigung der Auswertungen des EKG und der Troponinwerte ein begründeter Verdacht eines Myokardinfarktes vorliegt, der sodann zwingend zur Aufnahme des Patienten in das Krankenhaus der Klägerin führen müsste.

 

Der im Entlassungsbericht aufgeführte Behandlungsplan kann zur Überzeugung des Senats nicht zur Beurteilung herangezogen werden, da er in wesentlichen Punkten nicht mit dem nachweislich vom erstbehandelnden Arzt handschriftlich dokumentierten Behandlungsplan (z. Bsp. dort dokumentierte vorgesehene BGA initial und am Folgetag, Angabe zur Kost und Mobilisation „heute und morgen“) übereinstimmt und der Entlassungsbericht zudem nicht von dem Arzt erstellt wurde, der die Erstentscheidung zur Durchführung der diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen auf der INKA getroffen hat.

 

Mangels dokumentierter ärztlicher Einzelfallentscheidung über die Aufnahme in das Krankenhaus für mindestens einen Tag und eine Nacht ist für die Beurteilung des vorliegenden Falles auch nicht allein maßgeblich, an welchem Ort die unstreitig medizinisch notwendigen diagnostischen und therapeutischen Maßnahmen durchgeführt wurden. Entgegen der Ansicht der Klägerin ergibt sich nicht bereits per se aus der „Aufnahme“ auf die INKA eine stationäre Aufnahme. Denn, wie aufgezeigt, sieht bereits das klinikinterne INKA-Procedere in Verbindung mit den SOP – Akutes Koronarsyndrom bei einem Patienten mit einem Verdacht auf einen Myokardinfarkt vor, dass nach Durchführung der Diagnostik zum Ausschluss eines Herzinfarktes nach sechs Stunden eine Entscheidung zur Entlassung des Patienten oder zur Aufnahme in eine reguläre Station des Krankenhauses getroffen wird. Ein Patient mit einem Verdacht auf einen Myokardinfarkt verbleibt daher in der Regel nicht mehr als sechs Stunden auf der INKA. Die INKA ist damit lediglich der Ort, an dem die der Entscheidung über das weitere Vorgehen vorgelagerte Diagnostik durchgeführt wird, ohne dass diesem selbst determinierende Wirkung für die zu beurteilende Frage des Vorliegens einer stationären Krankenhausbehandlung zukommt. Die Tatsache, dass dem Versicherten ein Bett mit Mahlzeitenversorgung zugewiesen wurde, kann für sich genommen ebenfalls keine Eingliederung in das spezifische System des Krankenhauses begründen.

 

Zur Überzeugung des Senats ergibt sich aus der Dokumentation sowie dem tatsächlichen Geschehensablauf im Zusammenspiel mit dem klinikinternen Standardprocedere, dass die um 05:21 Uhr geplanten und eingeleiteten diagnostischen Maßnahmen zunächst der gemäß § 39 Abs. 1 Satz 2 SGB V notwendigen „Prüfung“ der stationären Behandlungsbedürftigkeit „durch das Krankenhaus“ dienten und diese damit der Aufnahmeentscheidung vorgelagert waren.

 

Etwas anderes ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der mit der Gabe von Heparin und ASS eingeleiteten Notfallbehandlung, da diese die personellen und sächlichen Ressourcen des Krankenhauses nicht in nennenswertem Maße beanspruchte bzw. nicht die für eine stationäre Behandlung entscheidende „hohe Intensität“ aufwies.

 

Nach der Rechtsprechung des BSG kann auch bei einer unter 24 Stunden liegenden kurzzeitigen Notfallbehandlung eine stationäre Aufnahme eines Versicherten und damit eine Eingliederung in das spezifische System des Krankenhaues vorliegen, wenn der Einsatz der krankenhausspezifischen personellen und sächlichen Ressourcen eine hohe Intensität aufweist bzw. damit zu rechnen ist (vgl. BSG, Urteil vom 29. August 2023, B 1 KR 15/22 R, zitiert nach juris, Rn. 20). Für die rechtliche Qualifizierung eines kurzzeitigen, aber intensiven Mitteleinsatzes als vollstationäre Behandlung ist es unerheblich, dass die Diagnostik auch der Feststellung dient, ob das Krankenhaus in der Lage ist, selbst die kurative Behandlung einzuleiten oder fortzusetzen. Unerheblich ist auch, ob einzelne Untersuchungs- und Behandlungsmaßnahmen im EBM-Ä abbildbar sind (BSG, a.a.O., Rn. 18). Die Unterscheidung von ambulanter und kurzzeitiger stationärer Notfallbehandlung folgt nach der Rechtsprechung des BSG aus Regelungssystematik und -zweck des § 39 Abs. 1 i.V.m. § 107 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB V. Ein Versicherter hat immer schon dann Anspruch auf eine stationäre Behandlung durch das ihn zuerst aufnehmende Krankenhaus (und dieses dann auch einen entsprechenden Vergütungsanspruch), wenn sein gesundheitlicher Zustand die sofortige Erbringung stationärer Leistungen gebietet. Dieser Anspruch hängt nicht von der ernsthaften Möglichkeit ab, dass das Krankenhaus die begonnene stationäre Behandlung alsbald abbrechen und den Versicherten verlegen muss (BSG, a.a.O., Rn. 19). Die Krankenhausbehandlung als ressourcenintensivste Form der Krankenbehandlung setzt einerseits das Vorhalten dieser Ressourcen voraus, wie § 107 Abs. 1 Nr. 2 und 3 SGB V belegt. Andererseits müssen diese Ressourcen auch zum Einsatz gelangen oder ihr Einsatz muss sich zumindest aus einem Behandlungsplan ergeben, damit eine Krankenhausbehandlung vorliegt. Dies ist bei generalisierender Betrachtung dann der Fall, wenn der Versicherte mindestens einen Tag und eine Nacht ununterbrochen im Krankenhaus versorgt werden soll. Ist jedoch die im Rahmen der Aufnahme zu erwartende Verweildauer deutlich kürzer, muss sich der in dieser kurzen Zeit tatsächlich durchgeführte oder zumindest geplante Mitteleinsatz entsprechend verdichten (BSG, a.a.O., Rn. 20). Die hohe Intensität kann sich auch aus dem Einsatz verschiedener und in ihrem engen zeitlichen und örtlichen Verbund nur stationär verfügbarer diagnostischer Maßnahmen ergeben. Dies setzt personelle und sächliche Ressourcen voraus, die ambulant nicht in gleicher Weise regelhaft verfügbar sind, wie sie insbesondere bei der Behandlung in einem Schockraum zum Einsatz kommen können. Dies setzt aber voraus, dass ein multidisziplinäres Team tatsächlich zusammenkommt und die dort vorhandenen besonderen apparativen Mittel auch in erheblichem Umfang einsetzt (BSG, a.a.O., Rn. 21). Der Ort der Hand in Hand mit der Diagnostik durchgeführten Behandlung (z.B. Schockraum, sonstiger Behandlungsraum, Stationszimmer, Decision Unit) allein beinhaltet noch nicht zwingend eine konkludente Aufnahmeentscheidung des Krankenhauses. Er kann aber ein Indiz dafür sein. Entscheidendes Kriterium für eine konkludente stationäre Aufnahme bleibt die Intensität des Einsatzes der spezifischen Mittel des Krankenhauses (BSG, a.a.O., Rn. 22).

 

Entscheidend ist dabei stets die Prüfung des konkreten Einzelfalls. Die im vorliegenden Fall auf der INKA durchgeführten Maßnahmen (zweimaliges EKG, zweimalige Troponinwertbestimmung, Monitoring, Röngten-Thorax) weisen zur Überzeugung des Senates keine die Schwelle zur stationären Behandlung erreichende hohe Intensität auf. Weder bei der Ableitung des EKG noch bei der Blutwertbestimmung wurden besondere Mittel des Krankenhauses spezifisch genutzt. Allein die Auswertung des Blutes durch das Krankenhauslabor reicht für die Annahme des Einsatzes der besonderen Mittel des Krankenhauses nicht aus. Auch das andauernde Monitoring sowie das Thorax-Röntgen erscheinen nicht als spezifische Nutzung der Mittel des Krankenhauses, da nach dem Krankenhausplan des Landes Berlin sowohl das einfache Röntgen als auch das Vorhalten von Überwachungsplätzen mit zentralem Monitoring zwingende Strukturbestandteile einer Notaufnahme sind (vgl. Krankenhausplan 2016 des Landes Berlin, S. 62 f.), so dass die durchgeführten Maßnahmen auch im Rahmen der ambulanten Notfallversorgung erfolgen können und ihre Erbringung allein daher nicht bereits zur Annahme des Vorliegens einer stationären Behandlung führt. Schließlich ist im vorliegenden Behandlungsfall auch durch die in enger zeitlicher Abfolge erfolgte Auswertung des Blutes im Labor, die Nutzung der radiologischen Diagnostik und die Überwachung der Vitalparameter durch die Pflegekräfte kein multidisziplinäres Team tatsächlich zur Behandlung zusammengekommen.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO.

 

Gründe für die Zulassung der Revision bestehen nicht, § 160 Abs. 2 SGG.

Rechtskraft
Aus
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