L 9 BA 7/23

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 82 BA 143/18
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 BA 7/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1.Bei der Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status von Logopäden, die über keine Zulassung als Leistungserbringer nach § 124 SGB V verfügen und ihre Leistungen mithilfe eines zugelassenen Leistungserbringers gegenüber der Krankenkasse abrechnen, spricht deren Einbindung in den regulatorischen Rahmen der §§ 124 f. SGB V mit nicht unerheblichem Gewicht für eine abhängige Beschäftigung.

2.Wer als Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) eine Dienstleistung für einen Auftraggeber (hier: Logopädiepraxis) erbringt, die dieser einem Dritten (hier: einem Krankenhaus) vertraglich als Hauptleistungspflicht schuldet, ist typischerweise in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert.
 

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Januar 2023 aufgehoben.

 

Die Klage wird abgewiesen.

 

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst tragen.

 

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

Tatbestand

 

 

Die Beteiligten streiten um die Versicherungspflicht der Beigeladenen zu 1. in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung aufgrund ihrer Tätigkeit in der Logopädiepraxis der Klägerin in der Zeit vom 29. Juni 2015 bis zum 31. Dezember 2017.

 

Die Klägerin betreibt eine Logopädiepraxis in B-T und besitzt die Berechtigung, mit gesetzlichen Krankenkassen abzurechnen.

 

Die Beigeladene zu 1. ist wie die Klägerin staatlich geprüfte Logopädin. Sie ist auf die Behandlung von Patienten mit schweren neurologischen Störungen, insbesondere mit Schluckstörungen und im Nachgang zur Versorgung mit Trachealkanülen, spezialisiert. Sie verfügt über keine Kassenzulassung und über keine eigene Betriebsstätte zum Empfang von Patienten, jedoch über einen häuslichen Arbeitsplatz zur Koordination bzw. Vor- und Nachbereitung ihrer Tätigkeit. Sie war im streitigen Zeitraum nach eigenem Vorbringen über die Logopädensuchfunktion des Deutschen Berufsverbandes für Logopädie e.V. (dbl) zu finden. Sie war zumindest seit 1. Januar 2015 bei der S B im Rahmen einer freiwilligen Mitgliedschaft kranken- und pflegeversichert. Mit Bescheid vom 10. Dezember 2009 teilte die Deutsche Rentenversicherung Bund der Beigeladenen zu 1. mit, dass die von ihr ausgeübte selbständige Tätigkeit als Logopädin nicht zur Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung führe. Die Beigeladene zu 1. führt an, seit dem Jahr 2009 ununterbrochen als selbständige Logopädin gearbeitet zu haben.

 

Die Klägerin schloss am 25. Juni 2015 mit Wirkung vom 29. Juni 2015 mit der Beigeladenen zu 1. einen „Vertrag über freie Mitarbeit“, der im Wesentlichen folgende Regelungen traf:

 

„§ 1 Vertragsgegenstand / Leistungen

 

1.1 Der Auftraggeber erteilt dem freien Mitarbeiter mit Wirkung ab 29.6.15 folgenden Auftrag:

 

1.2 Der freie Mitarbeiter wird für den Auftraggeber als Logopäde tätig. Als Logopäde behandelt der freie Mitarbeiter sämtliche auf die Logopädie bezogenen Störungsbilder eigenständig.

 

1.3 Der freie Mitarbeiter haftet für Mängel seiner Leistungen und für Fristüberschreitungen nach den gesetzlichen Vorschriften. Insbesondere übernimmt der freie Mitarbeiter die volle Gewähr für eine einwandfreie, fach- und sachgerechte Ausführung der Vertragsleistungen unter Berücksichtigung der überlassenen Unterlagen und der mit dem Auftraggeber getroffenen Vereinbarungen. Die Arbeiten haben jederzeit dem aktuellen Stand der Theorie und Praxis der Logopädie zu entsprechen. Der freie Mitarbeiter haftet für alle Schäden, die er dem Kunden oder Dritten zufügt. Wird der Auftraggeber von Kunden oder Dritten für diese Schäden in Anspruch genommen, so hat der freie Mitarbeiter den Auftraggeber hiervon freizustellen. In diesem Kontext verpflichtet er sich zum Abschluss einer ausreichenden Berufshaftpflichtversicherung. Die Existenz der Haftpflichtversicherung ist er jederzeit in der Lage auf Anforderung nachzuweisen. Die eigene Berufshaftpflichtversicherung des freien Mitarbeiters geht bei einem Schadenfall vor.

 

1.4. Der Auftrag beinhaltet folgende Einzelleistungen:

 

  • Hausbesuche
  • Krankenhausbesuche
  • Seniorenresidenzbesuche, Heime, Krankenheime usw.

 

Im Rahmen seiner logopädischen Tätigkeiten verpflichtet sich der freie Mitarbeiter über die logopädische Behandlung hinaus sämtliche mit der Behandlung zusammen hängenden, auch Verwaltungstätigkeiten zu übernehmen (z.B. Berichte, Eintragungen in Karteikarten u.a.). Die Behandlungen führt der freie Mitarbeiter selbst durch.

 

§ 2 Weisungsfreiheit / Auftragserfüllung / Status

 

2.1. Die Parteien sind sich darüber einig, dass durch diese Vereinbarung zwischen ihnen kein Arbeitsverhältnis entsteht. Insbesondere unterliegt der freie Mitarbeiter bei der Durchführung der übertragenen Tätigkeiten keinen Weisungen des Auftraggebers. Gegenüber Angestellten der Praxis hat der freie Mitarbeiter keine Weisungsbefugnis.

 

2.2. Der freie Mitarbeiter ist in der Wahl der Zeit seiner Tätigkeit frei. Er bestimmt den Arbeitsort außerhalb der Praxis selbst. Er verpflichtet sich jedoch, den Auftraggeber rechtzeitig in Kenntnis zu setzen, falls er an der Auftragserfüllung verhindert ist.

 

2.3. Für die steuerlichen und sozialversicherungsrechtlichen Belange hat der freie Mitarbeiter selbst Sorge zu tragen. Dies ist in der vertraglichen Vergütung einkalkuliert. Er ist für seine Anmeldung bei der Berufsgenossenschaft zuständig und für den Abschluss einer Haftpflichtversicherung.

 

§ 3 Arbeitsaufwand / Betriebliche Anwesenheit

 

Art und Umfang der dem freien Mitarbeiter übertragenen Behandlungen sind unregelmäßig und hängen von der jeweiligen Auftragslage ab. Eine betriebliche Anwesenheit ist nicht erforderlich. Im Übrigen unterliegt der freie Mitarbeiter in der Ausgestaltung seiner Arbeitszeit keinen Einschränkungen.

 

§ 4 Vergütung

 

4.1. Der freie Mitarbeiter erhält für seine Tätigkeit ein Honorar von 80 % des Krankenkassensatzes bei Hausbesuchen bei Einzelpersonen.

Bei der Tätigkeit in Institutionen wie z.B. Krankenhäusern, -heimen wird zwischen dem freien Mitarbeiter und dem Auftraggeber ein Prozentsatz- bzw. Festsatz vereinbart.

 

4.2. Die Auftraggeberin übernimmt die Abrechnung mit den Institutionen.

 

4.3. Mit der Zahlung der vorstehenden Vergütung sind alle Kosten des freien Mitarbeiters gegen den Auftraggeber (Steuern, Beiträge zur Berufsgenossenschaft, An- und Abfahrt, einschließlich aller Risiken wie Unfall, Krankheit, Tod) aus diesem Vertrag erfüllt. Ein Anspruch auf gesonderten Aufwendungsersatz besteht nicht.

 

§ 5 Abrechnung/ Fälligkeit

 

Nach Erhalt des Abrechnungsbetrages von den Sozialversicherungsträgern oder Privatpatienten oder Institutionen für durch den freien Mitarbeiter erbrachte Behandlungen berechnet der Auftraggeber die Leistungen. Der errechnete Bruttobetrag wird am darauf folgenden Monatsende an den freien Mitarbeiter auf ein von ihm noch zu benennendes Konto ausgezahlt.

Die Abrechnung erfolgt auf der Grundlage der jeweils gültigen Gebührenordnung der Krankenkassenverbände für logopädische Leistungen bzw. des im Einzelfall mit einem Patienten vereinbarten Privathonorars oder des in § 4 vereinbarten Satzes bzgl. der Institutionen. Eventuelle Korrekturen oder Stornierungen durch Krankenkassen, andere Versicherungsträger, Privatpatienten oder Institutionen werden sofort oder jeweils in der darauf folgenden Abrechnung des nächsten Monats berücksichtigt. Sollte der freie Mitarbeiter zum Zeitpunkt der Rückforderung nicht mehr für den Auftraggeber tätig sein, ist er verpflichtet, den Rückforderungsbetrag dem Auftraggeber zu überweisen.

 

§ 6 Konkurrenz / Schadenersatz

 

6.1 Der freie Mitarbeiter darf auch für andere Auftraggeber tätig sein, soweit diese nicht in unmittelbarem Wettbewerb zum Auftraggeber stehen.

Während der Dauer dieses Vertrages ist es dem freien Mitarbeiter vollumfänglich untersagt, unmittelbar oder mittelbar Kontakt mit den Kunden bzw. Patienten des Auftraggebers aufzunehmen oder aufrecht zu halten, um für diese in selbstständiger, unselbstständiger oder in anderer Weise im Wettbewerb zum Auftraggeber tätig zu werden. (…)

 

§ 7 Verschwiegenheit/ Datengeheimnis/ Herausgabe

 

Der freie Mitarbeiter verpflichtet sich, über die ihm im Rahmen seiner Tätigkeit bekannt gewordene betriebliche Interna, Praxisvorgänge und sämtliche Vorgänge im Zusammenhang mit der Ausübung seiner Tätigkeit als Logopäde, auch nach Vertragsende Stillschweigen gegenüber Dritten zu bewahren. Das gilt in besonderem Maße für Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse sowie hinsichtlich der Person der Patienten sowie deren Krankheiten.

 

Der freie Mitarbeiter verpflichtet sich, alle ihm zur Verfügung gestellten Geschäfts- und Betriebsunterlagen sowie Patientenkarteien ordnungsgemäß zu führen und aufzubewahren, insbesondere dafür zu sorgen, dass Dritte nicht Einsicht nehmen können. Die zur Verfügung gestellten Unterlagen sind während der Dauer des Vertragsverhältnisses auf Anforderung, nach Beendigung des Vertragsverhältnisses unverzüglich unaufgefordert der Auftraggeberin zurück zu geben. Dieselbe Aufbewahrungs- und Herausgabepflicht gilt für sämtliche Schriftstücke (eigene Aufzeichnungen, Schriftstücke etc.), die Angelegenheiten der Auftraggeberin betreffen und sich im Besitz des freien Mitarbeiters befinden. Der freie Mitarbeiter ist nicht berechtigt, an solchen Unterlagen ein Zurückbehaltungsrecht auszuüben.

 

§ 7 Vertragslaufzeit/Kündigung

 

Die Vereinbarung wird auf unbestimmte Zeit geschlossen und kann von beiden Seiten mit einer Frist von 6 Wochen zum Ende eines Monats gekündigt werden. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung bleibt unberührt. Die Kündigung bedarf der Schriftform.“

 

 

Auf dieser Grundlage war die Beigeladene zu 1. bis Ende 2017 bei der Klägerin tätig; ihr Entgelt pro Stunde belief sich nach Abzug des auf die Klägerin entfallenden Anteils auf etwa 40,00 Euro. Daneben war sie für drei weitere Logopädiepraxen als Selbständige tätig. Seit 1. Januar 2018 ist die Beigeladene zu 1. bei der Klägerin zu einem Stundenlohn von 22,50 Euro als Arbeitnehmerin angestellt.

 

Die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. für die Klägerin gestaltete sich im streitigen Zeitraum wie folgt:

 

Zu etwa 80 Prozent ihrer Arbeitszeit war die Beigeladene zu 1. in drei Krankenhäusern tätig (V K N, Vi A-V-K und V W-K). Mit diesen Krankenhäusern besaß die Klägerin Kooperationsvereinbarungen; in den Krankenhäusern bestand Bedarf an logopädischer Tätigkeit, dieses Tätigkeitsfeld unterlag aber dem Outsourcing und wurde u.a. auf die Klägerin übertragen. Mit dem V W-K bestand keine schriftliche Vereinbarung. Mit den beiden anderen Kliniken bestanden schriftliche Verträge über die logopädische Mitversorgung durch die Logopädiepraxis der Klägerin. Danach hatte die Klägerin in den Kliniken im Bedarfsfall logopädische Leistungen zu erbringen. Die Auswahl der logopädisch zu behandelnden Patienten oblag den Kliniken. Die tätig werdenden Logopäden der Praxis hatten die Leistungen höchstpersönlich und in eigener Verantwortung zu erbringen. Die Kliniken stellten die Standardausrüstung an Einrichtungsgegenständen zur Verfügung. Die Praxis war nicht berechtigt, ohne vorherige Zustimmung Dritte mit der Durchführung der Leistungen zu beauftragen. Die Klägerin erhielt für die Leistungen ihrer Praxis pro Therapieeinheit ein festgelegtes Honorar sowie einmalige Fahrkosten pro Auftrag. Wegen der Einzelheiten der beiden schriftlichen Verträge wird auf Bl. 393 bis 400 der Gerichtsakte Bezug genommen.

 

Auf dieser Grundlage war die Beigeladene zu 1. an etwa zwei Tagen pro Woche in den Krankenhäusern tätig und behandelte als „Externe“ drei bis fünf Patienten täglich. Mit den weiteren Mitarbeitenden der klägerischen Praxis arbeitete sie dabei nicht im Team, sondern versorgte ihre Patienten eigenständig. Die Anforderung logopädischer Behandlung einzelner Patienten seitens der Krankenhäuser erfolgte entweder direkt bei der Beigeladenen zu 1. in Form von papierenen Konsiliarbögen nach ärztlicher Anordnung, teilweise auch per E-Mail über die klägerische Praxis. In der Praxis der Klägerin wurde keine Dokumentation über die in Krankenhäusern behandelten Patienten geführt; dort wurden zum Zwecke der Abrechnung nur Durchschriften der Konsiliarbögen hinterlassen, anhand derer die Klägerin mit den Krankenhäusern monatlich abrechnete und der Beigeladenen zu 1., die zudem entsprechende Rechnungen erstellte, ihren Honoraranteil auszahlte. Für das Krankenhaus dokumentierte die Beigeladene zu 1. ihre Behandlungstätigkeit auf den „Papierkonsilen“.

 

Zu etwa 20 Prozent ihrer Arbeitszeit behandelte die Beigeladene zu 1. einzelne Hausbesuchspatienten. Die Akquise dieser Patienten erfolgte überwiegend über die klägerische Praxis. Es stand der Beigeladenen zu 1. frei, diese Patienten zu übernehmen, was sie u.a. von der Länge der Wege abhängig machte. Teilweise wurde sie auch von Patienten direkt angefragt; auch solche Patienten rechnete sie über die Praxis der Klägerin ab. Die inhaltliche und terminliche Durchführung der Behandlung erfolgte durch die Beigeladene zu 1. nach eigenständiger Kontaktaufnahme mit den Patienten. Die Dokumentationen für sämtliche Hausbesuchspatienten befanden sich in Händen der Beigeladenen zu 1. und nicht in der klägerischen Praxis. Praxisräume der Klägerin nutzte die Beigeladene zu 1. nicht, sondern war am jeweiligen Aufenthaltsort der Patienten tätig. Eine Zusammenarbeit mit den weiteren Mitarbeitenden der Klägerin erfolgte nicht. Es bestand auch keine Verpflichtung zur Übernahme von Krankheits- oder Urlaubsvertretungen. Im Falle eigener Verhinderung gab die Beigeladene zu 1. der Klägerin den Auftrag zurück. Arbeitsmaterial (Diagnostik-, Therapie- und Schluckmaterial) stellte die Klägerin der Beigeladenen zu 1. nicht. Die Abrechnung der Hausbesuchspatienten erfolgte durch die klägerische Praxis gegenüber gesetzlichen Kostenträgern nach Ablauf der ärztlichen Verordnung. Abrechnungen mit Privatpatienten erfolgten überwiegend über die Praxis der Klägerin auf der Grundlage der auf den ärztlichen Verordnungen jeweils dokumentierten Behandlungen; teilweise rechnete die Beigeladene zu 1. auch direkt mit Privatpatienten ab und überwies der Klägerin dann 20 Prozent des Entgelts. Eventuell erforderliche Eigenanteile kassierte die Beigeladene zu 1. bei den Patienten und kürzte ihre Honorarabrechnung gegenüber der Klägerin entsprechend.

 

In den Monaten Dezember 2015, Januar 2016 und Mai 2016 lag das Einkommen der Beigeladenen zu 1. aus ihrer Tätigkeit für die Klägerin jeweils unter 450 Euro, in allen anderen Monaten lag das Einkommen darüber.

 

Am 3. Februar 2016 stellten die Klägerin und die Beigeladene zu 1. bei der Beklagten einen Antrag auf Feststellung des sozialversicherungsrechtlichen Status der Beigeladenen zu 1. in ihrer Tätigkeit für die Klägerin seit dem 29. Juni 2015. Die Beigeladene zu 1. gab an, für drei weitere Logopädiepraxen tätig zu sein und ihre Tätigkeit für die Klägerin als selbständig anzusehen. Ihre Auftragsausführung werde von der Klägerin nicht kontrolliert und diese mache ihr insoweit keinerlei Vorgaben. Regelmäßige Arbeits- oder Anwesenheitszeiten gebe es nicht. Ihre Tätigkeit übe sie an unterschiedlichen Orten aus. In die Arbeitsorganisation der Klägerin sei sie nicht eingegliedert. Sie verfüge über eigene Visitenkarten und einen eigenen Kontaktdatenstempel. Sie arbeite mit eigenem Therapie- und Büromaterial und nutze ein eigenes Fahrzeug, um die Einsatzorte zu erreichen. Bei Krankheit oder Urlaub erleide sie vollen Verdienstausfall.

 

Mit Bescheid vom 15. Juni 2016 stellte die Beklagte fest, dass die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. als Logopädin für die klägerische Praxis seit 29. Juni 2015 im Rahmen einer abhängigen Beschäftigung ausgeübt werde; es bestehe Versicherungspflicht in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung.

 

Hiergegen legten die Klägerin und die Beigeladene zu 1. Widerspruch ein. Zur Begründung führte die Beigeladene zu 1. im Wesentlichen an: Sie arbeite in jeder Hinsicht eigenverantwortlich und weisungsfrei, hafte gegenüber den Patienten in eigener Person und besitze eine Berufshaftpflichtversicherung. Die klägerische Praxis habe für sie die Funktion einer Inkassostelle gehabt, da sie nicht mit den Krankenkassen habe abrechnen können. Eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation der Praxis habe nicht vorgelegen.

 

Mit Bescheid vom 5. September 2016 nahm die Beklagte den Bescheid vom 15. Juni 2016 hinsichtlich der Feststellung der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Kranken- und Rentenversicherung, in der sozialen Pflegeversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung zurück, weil die Beschäftigung nur in geringfügigem Umfang ausgeübt werde, denn das Arbeitsentgelt übersteige 450 Euro im Monat regelmäßig nicht. Dieser Entscheidung lag zugrunde, dass die Beigeladene zu 1. im Statusfeststellungsantrag angegeben hatte, ihre Tätigkeit für die Klägerin sei geringfügig.

 

Nachdem die Beigeladene zu 1. im November 2016 ungeschwärzte Rechnungen aus ihrer Tätigkeit für die Klägerin eingereicht hatte, trat die Beklagte ein in Ermittlungen zur Frage einer hauptberuflichen Selbständigkeit der Beigeladenen zu 1.  Diese überreichte im Dezember 2016 eine Gegenüberstellung ihrer Einkünfte aus Tätigkeiten für die Praxis der Klägerin einerseits und für „übrige selbständige Tätigkeiten“ andererseits. Die Gegenüberstellung zeigte, dass die Beigeladene zu 1. im Zeitraum Juli 2015 bis November 2016 nur etwa ein Drittel ihres Gesamteinkommens aus der Tätigkeit für die Klägerin erzielte.

 

Mit Bescheid vom 9. Februar 2017 nahm die Beklagte den Bescheid vom 5. September 2016 hinsichtlich der Feststellungen zur Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung mit Wirkung ab 29. Juni 2015 nach § 45 SGB X zurück. In dem zu beurteilenden Beschäftigungsverhältnis bestehe Versicherungspflicht nach dem Recht der Arbeitsförderung. Versicherungspflicht in der Kranken- und Pflegeversicherung bestehe aufgrund hauptberuflicher Selbständigkeit nicht. Hinsichtlich der gesetzlichen Rentenversicherung verbleibe es bei der Regelung im Bescheid vom 15. Juni 2016. Damit war nunmehr geregelt, dass Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung bestehe.  

Hiergegen legte die Klägerin Widerspruch ein.

 

Den Widerspruch wies die Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 28. Februar 2018 zurück. Die Feststellung, dass die Beigeladene zu 1. in ihrer Tätigkeit für die Klägerin seit dem 29. Juni 2015 der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliege, bleibe bestehen.

 

Hiergegen hat die Klägerin am 20. März 2018 Klage erhoben. Sie hat darauf hingewiesen, dass sie selbst für zwei weitere, unter den gleichen Umständen arbeitende freie Logopädinnen von der Beklagten die Mitteilung erhalten habe, diese Tätigkeiten stellten keine abhängigen Beschäftigung dar. In den Krankenhäusern sei die Beigeladene zu 1. wie eine selbständige Logopädin aufgetreten und nicht wie eine Mitarbeiterin der Klägerin.

 

Mit Urteil vom 10. Januar 2023 hat das Sozialgericht Berlin die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass die Beigeladene zu 1. in ihrer Tätigkeit für die Logopädiepraxis der Klägerin in der Zeit vom 29. Juni 2015 bis zum 31. Dezember 2017 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliege. Die Beigeladene zu 1. sei im fraglichen Zeitraum als Selbständige für die Klägerin tätig gewesen. Der abgeschlossene Dienstvertrag und die gelebten tatsächlichen Verhältnisse rechtfertigten keine andere Beurteilung. Für eine selbständige Tätigkeit sprächen folgende Gesichtspunkte: Das Fehlen fester Arbeitszeiten, das Fehlen einer Anwesenheitspflicht in den Räumen der klägerischen Praxis, das Fehlen einer festen Vergütung nach Stundensatz oder monatlichen Einkünften sowie die Nichtvornahme von Urlaubs- oder Krankheitsvertretungen. Weder habe die Beigeladene zu 1. einem vertraglichen Weisungsrecht unterlegen, noch sei ein solches ausgeübt worden. Patienten seien ihr nicht zugewiesen worden. Unerheblich seien die Regelungen des Leistungserbringerrechts, also der Umstand, dass nur die Klägerin als zugelassene Leistungserbringerin gegenüber gesetzlichen Kostenträgern habe abrechnen dürfen, denn das schließe eine Heilmittelabgabe durch freie Mitarbeiter nicht aus. Ins Gewicht falle auch, dass die Beigeladene zu 1. im streitigen Zeitraum eine deutlich höhere Vergütung erhalten habe als im Rahmen ihres ab 1. Januar 2018 bestehenden Beschäftigungsverhältnisses. Während sie nämlich in den streitigen Jahren, abhängig von den jeweiligen Kassensätzen, etwa 40 Euro pro Stunde erhalten habe, belaufe sich ihr Entgelt ab Januar 2018 auf nur 22,50 Euro. Zudem sei die Beigeladene zu 1., anders als im bestehenden Arbeitsverhältnis, im streitigen Zeitraum für ihre Fortbildungen selbst aufgekommen. Nicht entscheidend ins Gewicht falle demgegenüber, dass die Beigeladene zu 1. im Wesentlichen nur ihre Arbeitskraft eingesetzt und keinem hohen Verlustrisiko unterlegen habe. Ebenso wenig sei ausschlaggebend, dass die Beigeladene zu 1. die Patientenunterlagen nach Abschluss der Behandlung in der Praxis der Klägerin habe archivieren müssen. Größeres Gewicht habe nämlich der Umstand, dass die Beigeladene zu 1. während der gesamten Behandlung eine eigene Patientenkartei geführt habe, die nur für sie selbst zugänglich gewesen sei.   

 

Gegen das ihr am 18. Januar 2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 23. Januar 2023 Berufung eingelegt. Die Beigeladene zu 1. sei weisungsgebunden im Sinne einer dienenden Teilhabe im Betrieb der Klägerin tätig gewesen. Sofern eine Patientenakquise allein durch die Klägerin erfolgt sei, spreche dies gerade für eine abhängige Beschäftigung. Die Honorarhöhe allein könne nicht entscheidend sein. Ein nennenswertes Unternehmerrisiko sei bei der Beigeladenen zu 1. nicht erkennbar. Die zwischen der Klägerin und den Krankenhäusern bestehenden Kooperationsverträge belegten eine abhängige Beschäftigung der Beigeladenen zu 1., denn diese sei von der Klägerin als Erfüllungsgehilfin eingesetzt worden.

 

Die Beklagte beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. Januar 2023 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

          die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Von einer Weisungsunterworfenheit der Beigeladenen zu 1. könne nicht die Rede sein. Im Gegensatz zur abhängigen Beschäftigung ab Januar 2018 habe die Beigeladene zu 1. zuvor in ihrer Tätigkeit frei schalten und walten können. Es stehe auch fest, dass nicht nur die Klägerin die von der Beigeladenen zu 1. behandelten Patienten akquiriert habe. Für das Berufsbild der Beigeladenen zu 1. sei maßgeblich, dass sie im streitigen Zeitraum für drei weitere logopädische Praxen selbständig tätig gewesen sei. Dass die Klägerin als Abrechnungsstelle fungiert habe, könne nicht allein entscheidend sein. Ihr wirtschaftliches Risiko habe die Beigeladene zu 1. alleine getragen, wie auch die Kosten sämtlicher berufsbegleitend entstehender Kosten wie etwa für Weiterbildungen oder Versicherungen. Der Stundensatz für ihre Tätigkeit sei in der Phase der Selbständigkeit wesentlich höher gewesen als ab Januar 2018.

 

Die Beigeladenen haben keine Anträge gestellt.

 

Alle Beteiligten haben ihr Einverständnis zu einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung erklärt.

 

Wegen des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte und des Verwaltungsvorgangs der Beklagten Bezug genommen, der, soweit wesentlich, Gegenstand der Entscheidungsfindung war.

 

Entscheidungsgründe

 

 

Im Einverständnis aller Beteiligten durfte der Senat über die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Urteil entscheiden (§ 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

 

Die Berufung der Beklagten ist zulässig und begründet.

 

Zu Unrecht hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide aufgehoben und festgestellt, dass die Beigeladene zu 1. in ihrer Tätigkeit für die Logopädiepraxis der Klägerin in der Zeit vom 29. Juni 2015 bis zum 31. Dezember 2017 nicht der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung unterlag. Die streitigen Bescheide sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten, denn im Zeitraum 29. Juni 2015 bis zum 31. Dezember 2017 ist die Tätigkeit der Beigeladenen zu 1. für die Klägerin als abhängige Beschäftigung zu werten. Daher ist die zulässige Klage der Klägerin unbegründet und unterliegt der Abweisung.

 

Rechtsgrundlage für den Erlass des angefochtenen Statusfeststellungsbescheides ist § 7a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV, in der bis zum 31. März 2022 geltenden Fassung). Danach entscheidet die Beklagte auf Antrag über die Versicherungspflicht aufgrund von Beschäftigung.

 

Der Versicherungspflicht (hier: nur) in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung unterliegen Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind (§ 2 Abs. 2 Nr. 1 SGB IV, § 1 Satz 1 Nr. 1 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V], § 25 Abs. 1 Satz 1 Drittes Buch Sozialgesetzbuch [SGB III]). Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis, § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV sind Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.

 

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (vgl. etwa BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021, B 12 KR 29/19 R, zitiert nach juris, Rn. 12) setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und einem Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt. Diese Weisungsgebundenheit kann – vornehmlich bei Diensten höherer Art – eingeschränkt und zur „funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“ verfeinert sein. Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand beschäftigt oder selbständig tätig ist, richtet sich danach, welche Umstände das Gesamtbild der Arbeitsleistung prägen und hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen. Die Zuordnung einer Tätigkeit nach deren Gesamtbild zum rechtlichen Typus der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit setzt voraus, dass alle nach Lage des Einzelfalls als Indizien in Betracht kommenden Umstände festgestellt, in ihrer Tragweite zutreffend erkannt und gewichtet, in die Gesamtschau mit diesem Gewicht eingestellt und nachvollziehbar, d.h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abgewogen werden (vgl. Urteil des Senats vom 4. Juli 2024, L 9 BA 8/22, zitiert nach juris, Rn. 174).

 

Die sich an diesen Maßstäben orientierende Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbständigkeit ist nicht abstrakt für bestimmte Berufs- und Tätigkeitsbilder vorzunehmen. Es ist daher möglich, dass ein und derselbe Beruf – je nach konkreter Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen und der gelebten Praxis – entweder in Form der Beschäftigung oder als selbständige Tätigkeit ausgeübt wird. Abstrakte, einzelfallüberschreitende Aussagen im Hinblick auf bestimmte Berufs- oder Tätigkeitsbilder sind daher grundsätzlich nicht – auch nicht im Sinne einer „Regel-Ausnahme-Aussage“ – möglich (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2024, B 12 BA 9/22 R, zitiert nach juris, Rn. 14, m.w.N.; Urteil des Senats vom 10. Oktober 2024, L 9 BA 22/22, zitiert nach juris, Rn. 33). Maßgebend sind stets die konkreten Umstände des individuellen Sachverhalts (vgl. BSG, Urteil vom 12. Juni 2024, B 12 BA 8/22 R, zitiert nach juris, Rn. 13).

 

Bei der Statusbeurteilung ist regelmäßig vom Inhalt der zwischen den Beteiligten getroffenen Vereinbarungen auszugehen. Erst auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen über den (wahren) Inhalt der Vereinbarungen ist eine wertende Zuordnung des Rechtsverhältnisses zum Typus der Beschäftigung oder selbständigen Tätigkeit vorzunehmen. Diese wertende Zuordnung kann nicht mit bindender Wirkung für die Sozialversicherung durch die Vertragsparteien vorgegeben werden, indem sie z.B. vereinbaren, eine selbständige Tätigkeit zu wollen. Denn der besondere Schutzzweck der Sozialversicherung schließt es aus, dass über die rechtliche Einordnung einer Person – als selbständig oder beschäftigt – allein die Vertragsschließenden entscheiden. Über zwingende Normen kann nicht im Wege der Privatautonomie verfügt werden. Vielmehr kommt es entscheidend auf die tatsächliche Ausgestaltung und Durchführung der Vertragsverhältnisse an (vgl. BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021, B 12 R 17/19 R, zitiert nach juris, Rn. 18).

 

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe überwiegen zur Überzeugung des Senats nach dem Gesamtbild der Tätigkeit die Indizien für eine abhängige Beschäftigung der Beigeladenen zu 1.

 

Der Senat stellt dabei zunächst in Rechnung, dass die Beigeladene zu 1. hoher Eigenständigkeit und Eigenverantwortlichkeit unterlag, Praxisräumlichkeiten der Klägerin nicht nutzte, nicht im Team arbeitete, nicht in den Praxiskalender aufgenommen war und kein Arbeitsmaterial der Praxis nutzte. Auch stellt das eher geringe unternehmerische Risiko der Beigeladenen zu 1., die für ihre Tätigkeit so gut wie kein eigenes Wagniskapital aufbringen musste, kein gewichtiges Indiz für eine abhängige Beschäftigung dar. Das Tätigwerden bei im Wesentlichen reinen Dienstleistungen ist nicht mit größeren Investitionen in Werkzeuge, Arbeitsgeräte oder Arbeitsmaterialien verbunden. Das auch bei einer Tätigkeit als Logopädin typische Fehlen solcher Investitionen ist damit kein ins Gewicht fallendes Indiz für eine (abhängige) Beschäftigung (vgl. Urteil des Senats vom 4. Juli 2024, L 9 BA 8/22, zitiert nach juris, Rn. 180; BSG, Urteil vom 14. März 2018, B 12 KR 3/17 R, zitiert nach juris, Rn. 18).

 

Für eine abhängige Beschäftigung der Beigeladenen zu 1. spricht im Zuge der vom Senat anzustellenden Gesamtbetrachtung allerdings zweierlei.

 

Zum einen ist schon mit nicht unerheblichem Gewicht in die Gesamtabwägung einzustellen, dass die Beigeladene zu 1. ihre Behandlungsleistungen im Rahmen des für die Klägerin als Leistungserbringerin geltenden regulatorischen Rahmens erbracht hat und insoweit auf sie angewiesen war. Die Regelungen des Leistungserbringungsrechts, hier die §§ 124 f. Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) und das diese Vorschriften konkretisierende Vertragsrecht (vgl. LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 17. März 2023, L 2 BA 39/22, zitiert nach juris, Rn. 71 ff.; LSG Hessen, Urteil vom 25. Juli 2024, L 1 BA 31/23, zitiert nach juris, Rn. 55; LSG Bayern, Urteil vom 14. Oktober 2020, L 6 BA 113/19, zitiert nach juris, Rn. 27), sind bei der Beurteilung der Tätigkeiten der Beigeladenen zu 1. mit in den Blick zu nehmen (vgl. BSG, Urteil vom 24. März 2016, B 12 KR 20/14 R, zitiert nach juris, Rn. 27). Unstreitig war nur die Klägerin berechtigt, die für einzelne Versicherte erbrachten Leistungen unter Einhaltung organisatorischer und personeller Voraussetzungen gegenüber den Leistungsträgern abzurechnen. Innerhalb dieses Rahmens hat die Beigeladene zu 1. ihre Leistungen für die Klägerin erbracht. Insoweit hat sie die Praxisstruktur der Klägerin genutzt und war in die betriebliche Organisation der Klägerin „funktionsgerecht dienend“ eingegliedert (vgl. LSG Hessen, Urteil vom 25. Juli 2024, L 1 BA 31/23, zitiert nach juris, Rn. 55 sowie LSG Bayern, Urteil vom 14. Oktober 2020, L 6 BA 113/19, zitiert nach juris, Rn. 27).

 

Auch wenn dieser Gesichtspunkt nicht schon automatisch zur Annahme von Beschäftigung führt, so besitzt er doch nicht unerhebliches Gewicht.

 

Entscheidend tritt ein weiteres hinzu: Die Beigeladene zu 1. war maßgeblich in die Arbeitsorganisation der Klägerin eingebunden, indem sie – immerhin zu etwa 80 Prozent ihrer gesamten Arbeitszeit – vertragliche Verpflichtungen erfüllte, die der Klägerin gegenüber drei Berliner Krankenhäusern oblagen. Der rechtliche und der organisatorische Rahmen, innerhalb dessen die Beigeladene zu 1. bei ihrer Aufgabenerfüllung in den Krankenhäusern tätig wurde, lag in den Händen der Klägerin.

 

Die vertraglichen Beziehungen der Klägerin zu ihren Vertragspartnern – den Krankenhäusern – dürfen bei der hier vorzunehmenden Statusbeurteilung nicht außer Acht gelassen werden. Wird eine vermeintlich selbständige Tätigkeit im Rahmen weiterer Vertragsbeziehungen zwischen dem Auftraggeber und Dritten erbracht – wie im vorliegenden Fall –, sind im Rahmen eines Statusfeststellungsverfahrens auch diese weiteren Vertragsbeziehungen zu berücksichtigen; werden Erwerbstätige im Wege drittbezogenen Personaleinsatzes von ihren Auftraggebern zur Dienstleistung bei deren Kunden entsandt, bleibt die Dienstleistung fremdbestimmt (BSG, Urteil vom 4. Juni 2019, B 12 R 12/18 R, zitiert nach juris, dort Rn. 14f.). Daher ist, wer als Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) eine Dienstleistung für einen Auftraggeber erbringt, die dieser einem Dritten vertraglich als Hauptleistungspflicht schuldet, typischerweise in die Arbeitsorganisation des Auftraggebers eingegliedert (vgl. Urteil des Senats vom 28. Oktober 2020, L 9 KR 352/17zitiert nach juris, dort Rn. 36 ff.; vgl. auch BSG, Urteil vom 14. März 2018, B 12 KR 12/17 RRn. 33).

 

Weisungen und Vorgaben dieser Kunden wirken dann gegenüber dem Erwerbstätigen, als ob sein Auftraggeber sie geäußert hätte. Dementsprechend war auch in den Kooperationsverträgen der Klägerin mit den V-K A-V und Neukölln zu § 2 („Stellung der Praxis“) jeweils geregelt: „Die Praxis hat auf Regelwidrigkeiten und Risikofaktoren zu achten. Treten solche auf, so hat sie dafür zu sorgen, dass ein Arzt oder eine Ärztin zugezogen wird. In diesem Falle wird die Logopädin zur Assistentin des Arztes; sie ist ihm gegenüber weisungsgebunden.“

 

Die Beigeladene zu 1. war somit in die betrieblichen Strukturen der Klägerin eingebunden, weil sie höhere Dienstleistungen (logopädische Behandlung) erbrachte, zu denen die Klägerin sich als logopädische Praxis den Krankenhäusern gegenüber verpflichtet hatte. Aus den beiden dem Senat vorliegenden schriftlichen Verträgen ergibt sich insoweit, dass die Klägerin die Leistungspflicht mit ihrer Praxis bzw. ihrem Mitarbeiterstamm zu erfüllen hatte; Dritte durfte sie gerade nicht ohne Zustimmung mit der Durchführung der Leistungen beauftragen.

 

Ohne entscheidende Bedeutung für die Statusabgrenzung bleibt, dass die Beigeladene zu 1. weiteren Tätigkeiten für andere Logopädiepraxen nachging, die ggf. als selbständige Tätigkeiten einzuordnen sind. Der Gesetzgeber hält, wie § 8 Abs. 2 und 3 SGB IV belegt, ein Nebeneinander von Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit für denkbar und zulässig.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a Abs. 1 SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 VwGO. Ein Grund für die Zulassung der Revision besteht nicht, § 160 Abs. 2 SGG.

Rechtskraft
Aus
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