1. Die Bestätigung über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit durch die zuständige Agentur für Arbeit kann nicht erteilt werden, wenn die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Arbeitslosengeld nicht erfüllt sind.
2. Sinn und Zweck des Anspruchs auf Überbrückungsleistungen ist es nicht, eine "Lücke" im Leistungsbezug nach dem SGB II zu überbrücken, wenn der Leistungsausschluss ausschließlich auf einem Versäumnis der grundsätzlich leistungsberechtigten Person beruht.
3. Greift ein Leistungsausschluss nur für einen (kurzen) Zeitraum der Unterbrechung einer Erwerbstätigkeit ein und ist vom EU-Ausländer ausdrücklich kommuniziert worden, dass eine Rückreise ins Heimatland nicht in Betracht komme, liegt kein "Zeitraum bis zur Abreise" vor, für den Überbrückungsleistungen zu gewähren sind, so dass ein Anspruch auf Überbrückungsleistungen schon nach dem Wortlaut der Vorschrift ausscheidet.
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten für das Berufungsverfahren sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Kläger begehren die Gewährung von Leistungen nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II), hilfsweise nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) für den Zeitraum vom 1. bis 14. Juni 2018.
Die Kläger besitzen die rumänische Staatsangehörigkeit. Die am 10. November 1982 geborene Klägerin zu 1 ist die Mutter des am 12. August 2002 geborenen Klägers zu 2, des am 6. April 2005 geborenen Klägers zu 3, der am 21. Juli 2008 geborenen Klägerin zu 4, der am 9. September 2012 geborenen Klägerin zu 5 und der am 23. September 2015 geborenen Klägerin zu 6. Ausweislich einer „Wahrheitsgemäßen Erklärung“ der Klägerin zu 1 vom 24. Mai 2017 sind die Kläger am 15. Januar 2017 in die Bundesrepublik Deutschland eingereist. Von September bis Dezember 2017 waren sie im Zuständigkeitsbereich des Jobcenters Berlin Mitte wohnhaft, bevor sie anschließend eine Zeitlang obdachlos waren. Vom 1. Juli 2017 bis 31. Mai 2018 bezogen die Kläger Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II vom Jobcenter Berlin Mitte. Mit Bescheid vom 7. Mai 2018 hob das Jobcenter Berlin Mitte die Entscheidungen über die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II ab dem 1. Juni 2018 ganz auf. Da die Kläger im Wohnheim untergebracht seien, sei nun aufgrund der Geburtsdatenregelung der Beklagte zuständig.
Am 7. September 2017 hatte die Klägerin zu 1 ein Beschäftigungsverhältnis als Reinigungskraft bei Herrn A I (nachfolgend als Arbeitgeber bezeichnet) aufgenommen. Mit Kündigungsschreiben vom 19. April 2018 hatte der Arbeitgeber ihr mit der Begründung, dass sie seit dem 1. April 2018 unentschuldigt nicht zur Arbeit erschienen wäre, fristlos gekündigt.
Am 11. Juni 2018 stellte die Klägerin zu 1 persönlich für sich und ihre Kinder einen Antrag auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beim Beklagten. Zu diesem Zeitpunkt erzielte sie kein Einkommen und waren die Kläger vermögenslos. Mit Bescheid vom 11. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2018 lehnte der Beklagte den Antrag unter Hinweis auf den Leistungsausschluss in § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II ab. Die Klägerin zu 1 habe kein Daueraufenthaltsrecht nach § 4a Abs. 1 Satz 1 des Gesetzes über die allgemeine Freizügigkeit von Unionsbürgern (Freizügigkeitsgesetz/EU – FreizügG/EU) erworben. Nach Aktenlage habe sie während eines zusammenhängenden Zeitraums von mindestens fünf Jahren nicht über ausreichende Existenzmittel verfügt, da sie vom 1. Juli 2017 bis 31. Mai 2018 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II bezogen gehabt habe. Eine Aufenthaltsdauer von fünf Jahren in Deutschland sei nach Aktenlage nicht erkennbar. Die Klägerin zu 1 übe derzeit keine abhängige Beschäftigung aus und sei somit nicht Arbeitnehmer. Die Tätigkeit als Reinigungskraft bei dem Arbeitgeber übe sie seit dem 1. April 2018 tatsächlich nicht mehr aus. Eine Bestätigung der zuständigen Agentur für Arbeit über die unfreiwillige Beendigung des Arbeitsverhältnisses liege nicht vor. Eine selbstständige Tätigkeit sei nicht nachgewiesen.
Mit Anstellungsvertrag vom 15. Juni 2018 wurde die Klägerin von dem Arbeitgeber mit Wirkung vom selben Tag erneut als Reinigungskraft angestellt.
Unter dem 9. Juli 2018 bescheinigte die Agentur für Arbeit Berlin Süd, dass die Beschäftigungslosigkeit der Klägerin zu 1 nach der am 19. April 2018 beendeten Beschäftigung nicht unverschuldet eingetreten sei, dass keine Bereitschaft zur Beendigung der Beschäftigungslosigkeit gegeben sei, weil die Klägerin zu 1 nicht arbeitslos gemeldet sei, und dass unfreiwillige Arbeitslosigkeit i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU nicht bestätigt werde.
Am 12. Juni 2018 stellten die Kläger beim Beigeladenen einen Antrag auf Sozialhilfe nach dem SGB XII. Die Klägerin zu 1 äußerte gegenüber dem Beigeladenen, dass sie nicht aus der Bundesrepublik Deutschland ausreisen wolle und somit weder Überbrückungsleistungen noch Rückreisekosten für sich und ihre Kinder beantragen wolle. Mit Bescheid vom 16. Juli 2018 lehnte der Beigeladene den Antrag der Kläger unter Hinweis auf den Leistungsausschluss nach § 23 Abs. 3 Nr. 2 und 3 SGB XII ab. Der Bescheid enthielt den Hinweis, dass gemäß § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII für den Zeitraum bis zur Ausreise Überbrückungsleistungen für maximal einen Monat zur Verfügung gestellt werden könnten, die unter Nachweis des konkreten Ausreisetermins gesondert zu beantragen seien. Daneben bestehe gemäß § 23 Abs. 3a SGB XII auch die Möglichkeit, ein Darlehen für die angemessenen Kosten der Rückreise zu gewähren, die unter Nachweis der anfallenden Kosten ebenfalls gesondert zu beantragen seien.
Die Kläger haben am 8. August 2018 Klage zum Sozialgericht Berlin gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten erhoben und zugleich einen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung beim Sozialgericht gestellt. Sie haben die Ansicht vertreten, dass sie nicht von Leistungen ausgeschlossen seien, da die Klägerin zu 1 einen Aufenthaltsstatus als Arbeitnehmerin habe.
Während des Klageverfahrens hat der Beklagte den Klägern zunächst mit Bescheid vom 25. März 2021 Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 1. Juli 2018 bis 2. September 2018 bewilligt. Mit Bescheid vom 21. Mai 2021 hat er ihnen außerdem Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum vom 15. bis 30. Juni 2018 (Regelbedarfe für 16 Tage in Höhe von insgesamt 962,14 Euro) bewilligt und seinen Bescheid vom 11. Juni 2018 für diesen Zeitraum zurückgenommen. Die Kläger haben ihre Klage daraufhin auf den Zeitraum vom 1. bis 14. Juni 2018 beschränkt und vorgetragen, die Klägerin zu 1 könne sich bezüglich des noch streitigen Zeitraums auf die Fortwirkung des Status als Arbeitnehmerin berufen, da sie bei dem Arbeitgeber bereits im Zeitraum September 2017 bis 19. April 2018 beschäftigt gewesen wäre. Die Kündigung habe auf einem Missverständnis beruht. Der Arbeitgeber habe die Kündigung aus April 2018 unzutreffend damit begründet, dass die Klägerin zu 1 seit dem 1. April 2018 unentschuldigt nicht zur Arbeit erschienen sei. Tatsächlich sei die Klägerin zu 1 zwei Tage wegen Krankheit ihres Kindes nicht bei der Arbeit erschienen. Insoweit sei die Bescheinigung der Arbeitsagentur vom 9. Juli 2018 nicht zutreffend. Die Bestätigung der Unfreiwilligkeit des Arbeitsplatzverlustes durch die Arbeitsagentur sei auch keine Voraussetzung für die Annahme der Unfreiwilligkeit des Arbeitsplatzverlustes i.S.d. § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU (Hinweis auf Sozialgericht Berlin, Urteil vom 3. August 2018 – S 58 AL 243/18 –). Allein daraus, dass die Klägerin zu 1 nicht Klage gegen die Kündigung vom 19. April 2018 eingereicht habe, könne nicht geschlossen werden, dass die von dem Arbeitgeber benannten Kündigungsgründe zutreffend gewesen seien. Die Klägerin zu 1 sei zum 15. Juni 2018 von demselben Arbeitgeber wieder eingestellt worden. Dieser hätte sie nicht eingestellt, wenn er noch davon überzeugt gewesen wäre, dass die von ihm benannten Kündigungsgründe zutreffend gewesen seien. Zudem hätte er sie auch nicht eingestellt, wenn sie Klage gegen die Kündigung erhoben hätte. Sie sei aufgrund ihrer hilflosen Lage auf den Arbeitsplatz angewiesen gewesen.
Nach Beiladung des Sozialhilfeträgers mit Beschluss vom 21. Dezember 2021 hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 24. Januar 2022 abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, den Klägern stehe kein Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Nr. 4 i.V.m. §§ 19 ff. SGB II gegenüber dem Beklagten zu, da sie vom Leistungsausschluss des § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II erfasst seien. Die Klägerin zu 1 könne kein anderes Aufenthaltsrecht als dasjenige der Arbeitssuche vorweisen. Die Klägerin zu 1 erfülle nicht die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden Aufenthaltsrechts aus § 2 Abs. 3 Satz 2 FreizügG/EU, das sich gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 FreizügG/EU auf die Kläger zu 2 bis 6 erstrecken würde, denn die Agentur für Arbeit habe die Unfreiwilligkeit ihrer Arbeitslosigkeit mit Schreiben vom 9. Juli 2018 nicht bestätigt, weil der Klägerin zu 1 durch ihren Arbeitgeber fristlos gekündigt worden sei. Bei der Bestätigung der Agentur für Arbeit handele es sich um eine konstitutive Bedingung für das Aufenthaltsrecht. Bei der Entscheidung der Agentur für Arbeit handele es sich um einen feststellenden Verwaltungsakt, den auch das Gericht zu beachten habe. Da der Verwaltungsakt weder aufgehoben noch von der Klägerin zu 1 angegriffen worden sei, sei er bestandskräftig geworden und binde somit die Kammer. Den Klägern stehe auch kein Anspruch auf Leistungen nach dem SGB XII gegenüber dem Beigeladenen zu. Dem Anspruch auf Regelleistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 3 SGB XII stehe der mit § 7 Abs. 1 Satz 2 SGB II identische Ausschluss in § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII entgegen. Den Klägern stehe auch kein Anspruch auf Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 5 Satz 3 bis 5 SGB XII zu. § 23 Abs. 3 SGB XII finde auf die Kläger schon deswegen keine Anwendung, weil die Klägerin zu 1 offensichtlich erwerbsfähig sei. Im Übrigen greife § 23 Abs. 5 SGB XII auch tatbestandlich nicht ein. Überbrückungsleistungen sollten es dem betroffenen Ausländer ermöglichen, in sein Heimatland zurückzureisen, um dort Sozialleistungen in Anspruch zu nehmen. Die Klägerin zu 1 habe aber gerade nicht die Rückreise nach Rumänien beabsichtigt gehabt, sondern habe am 15. Juni 2018 eine neue Arbeitsstelle angetreten. Was für die Überbrückungsleistungen gelte, erstrecke sich auch auf die Härtefallleistungen in § 23 Abs. 3 Satz 6 SGB XII. Der vom Bundessozialgericht (BSG) aus der Traufe gehobene Anspruch von EU-Ausländern auf Leistungen nach dem SGB XII setze zudem voraus, dass die Kläger einen verfestigten Aufenthalt in Deutschland gehabt hätten. Die Kammer habe sich hiervon nicht überzeugen können. Gegen einen verfestigten Aufenthalt spreche, dass die Kläger im Jahr 2018 obdachlos gewesen seien.
Gegen dieses, ihrer Bevollmächtigten am 25. Januar 2022 zugestellte Urteil wenden sich die Kläger mit ihrer am 16. Februar 2022 beim Landessozialgericht eingegangenen Berufung. Sie vertreten die Ansicht, die Entscheidung der Agentur für Arbeit bezüglich der Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit der Klägerin zu 1 sei zu überprüfen. Unfreiwilligkeit des Arbeitsplatzverlustes habe im Fall der Klägerin zu 1 vorgelegen. Zudem komme auch ein Anspruch auf Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3, 5 und 6 SGB XII in Betracht (Hinweis auf Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 11. Juli 2019 – L 15 SO 181/18). Bei ihnen, den Klägern, liege ein mit einer besonderen Härte verbundener Umstand vor. Sie verfügten über eine faktische Duldung ihres Aufenthalts.
Die Kläger beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 24. Januar 2022 aufzuheben und den Beklagten unter Abänderung des Ablehnungsbescheides vom 11. Juni 2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2018 in der Fassung der Bescheide vom 25. März 2021 und vom 21. Mai 2021 zu verurteilen, ihnen Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II in gesetzlicher Höhe auch für den Zeitraum vom 1. bis 14. Juni 2028 zu gewähren,
hilfsweise, den Beigeladenen zu verurteilen, ihnen Leistungen nach dem SGB XII in gesetzlicher Höhe für den Zeitraum vom 1. bis 14. Juni 2018 zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf die Ausführungen im erstinstanzlichen Urteil und führt ergänzend aus, die Bestätigung der unfreiwilligen Arbeitslosigkeit sei keine Aufgabe der Grundsicherung für Arbeitsuchende und könne nicht durch das Jobcenter erteilt werden. Die Bescheinigung der Agentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit sei kein Verwaltungsakt. Sie bestätige einen Sachverhalt, der zu einem bestimmten Zeitpunkt vorgelegen habe, und bilde damit die Grundlage für das Eintreten der Fortwirkung des Freizügigkeitsrechts als Arbeitnehmerin bzw. als Arbeitnehmer oder Selbstständige bzw. Selbstständiger auch während tatsächlicher Arbeitslosigkeit und Arbeitssuche.
Der Beigeladene beantragt ebenfalls,
die Berufung zurückzuweisen.
Er ist der Ansicht, aus der Formulierung, dass Überbrückungsleistungen „bis zur Ausreise“ gewährt würden, und aus dem auch vom Gesetz selbst verwendeten Begriff „Überbrückungsleistungen“ komme zum Ausdruck, dass diese Ausreise vom Betroffenen auch beabsichtigt sein müsse, also ein Ausreisewille bzw. zumindest eine Ausreisebereitschaft bestehe. Hieran fehle es im Fall der Kläger aber, weswegen sie konsequenterweise auch keine Überbrückungsleistungen beantragt hätten. Das BSG habe im Urteil vom 13. Juli 2023 – B 8 SO 11/22 R – zwar entschieden, dass ein Ausreisewille keine Voraussetzung für einen Anspruch auf Überbrückungsleistungen sei. Im Tatbestand des § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII sei jedoch aufgenommen, dass der Zeitraum bis zur Ausreise – längstens ein Monat – zu überbrücken sei. Damit stehe eine Ausreise im Raum oder zumindest ein Bruch, der in irgendeinem Maße eine Ausreise möglich erscheinen lasse. Deutlich ergäben sich Sinn und Zweck des § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII aus dem Wortlaut. Ein Leistungsanspruch sei nach Satz 1 ausgeschlossen; es solle jedoch die Zeit bis zur Ausreise überbrückt werden. Die Leistung sei demnach an eine Ausreise oder zumindest an die Möglichkeit einer bevorstehenden Ausreise geknüpft. Auch die Begründung des Gesetzgebers zur Änderung des SGB XII im Dezember 2016 und Einführung der deutlichen Ausschlussformulierung des § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII und der Überbrückungsleistung nach § 23 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 SGB XII ließen auf eine solche Verknüpfung und tatbestandliche Notwendigkeit für die Leistungsgewährung nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII schließen. Der Gesetzgeber mache deutlich, dass nicht grundsätzlich ein Monat Überbrückungsleistung gewährt werden solle, sondern dies als längster Zeitraum zu verstehen sei und die Abreise die tatsächliche Zäsur darstelle. Die Überbrückungsleistungen seien damit mit einer bevorstehenden Abreise verknüpft. Es gehe nicht um den Willen zur Abreise, sondern um den Zeitpunkt bzw. die Zäsur der Abreise. In irgendeiner Form müsse damit eine Abreise oder Abreisemöglichkeit gegeben sein. Im hiesigen Verfahren werde um die Leistungsgewährung im Zeitraum zwischen Beendigung und Wiederaufnahme eines Arbeitsverhältnisses gestritten. Es gehe damit um die Unterbrechung von aufstockenden Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes einhergehend mit der Unterbrechung der Erwerbstätigkeit. § 23 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 SGB XII sei hier nicht anwendbar. Es sei nicht Aufgabe oder Sinn und Zweck des § 23 Abs. 3 Sätze 3 bis 5 SGB XII, bei Unterbrechung des Leistungsbezuges nach dem SGB II einen alternativen Leistungsträger zu stellen und eine Überbrückungsmöglichkeit bis zur Wiederaufnahme von Leistungen nach dem SGB II zu bieten.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie den der Verwaltungsakte des Beklagten.
Entscheidungsgründe
Die Berufung der Kläger ist statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz [SGG]), denn die Kläger begehren jedenfalls die Regelbedarfe gemäß § 20 SGB II, die sich für den streitigen Zeitraum vom 1. bis 14. Juni 2018 auf insgesamt 841,87 Euro belaufen würden. Die Berufung ist auch zulässig, insbesondere ist sie fristgerecht eingelegt worden (§ 151 SGG).
- Gegenstand des Berufungsverfahrens sind neben dem erstinstanzlichen Urteil der Bescheid des Beklagten vom 11. Juni 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Juli 2018 in der Gestalt der Bescheide vom 25. März 2021 und vom 21. Mai 2021, mit dem der Beklagte die Gewährung von Leistungen (zuletzt nur noch) für die Zeit vom 1. Juni 2018 bis 14. Juni 2018 abgelehnt hat. Die während des Klageverfahrens erteilten Bescheide vom 25. März 2021 und vom 21. Mai 2021 sind gemäß § 96 Abs. 1 SGG Gegenstand des Klageverfahrens geworden, weil sie den Ablehnungsbescheid vom 11. Juni 2018 geändert und teilweise ersetzt haben.
- Die Berufung der Kläger ist jedoch sowohl im (auf Leistungen nach dem SGB II gerichteten) Hauptantrag als auch im (auf Leistungen nach dem SGB XII gerichteten) Hilfsantrag unbegründet.
- Die Kläger wenden sich zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 4 SGG) gegen den genannten Bescheid des Beklagten. Der Bescheid ist jedoch rechtmäßig und verletzt die Kläger nicht im Sinne des § 54 Abs. 2 SGG in ihren Rechten. Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II waren im zuletzt nur noch streitigen Zeitraum vom 1. bis 14. Juni 2018 nicht erfüllt.
aa. Die Kläger erfüllten zwar auch im zuletzt noch streitigen Zeitraum die allgemeinen Leistungsvoraussetzungen aus § 7 Abs. 1 Satz 1 (Klägerin zu 1) bzw. Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Nr. 4 (Kläger zu 2 bis 6) SGB II (in der im streitigen Zeitraum geltenden Fassung; Geltungszeitraumprinzip, hierzu BSG, Urteil vom 8. Februar 2007 – B 14 AS 3/16 R –, Rn. 15, juris). Sie waren insbesondere auch in diesem Zeitraum hilfebedürftig i.S.d. § 9 Abs. 1 SGB II, denn sie konnten ihren Lebensunterhalt nicht ausreichend aus Einkommen oder Vermögen sichern und erhielten die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen.
bb. Die Kläger waren im Zeitraum vom 1. bis 14. Juni 2018 aber gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b) SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift sind Ausländerinnen und Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, und ihre Familienangehörigen von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen. Im genannten Zeitraum stand die Klägerin zu 1 nicht in einem Arbeitsverhältnis, sondern war auf der Suche nach Arbeit. Ein anderes Aufenthaltsrecht als zum Zweck der Arbeitssuche bestand nicht.
cc. Ein (fortwirkendes) Aufenthaltsrecht ergab sich für die Kläger auch nicht aus § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, Satz 2 FreizügG/EU. Danach bleibt das Aufenthaltsrecht für Unionsbürger und ihre Familienangehörigen bei unfreiwilliger durch die zuständige Agentur für Arbeit bestätigter Arbeitslosigkeit nach weniger als einem Jahr Beschäftigung während der Dauer von sechs Monaten unberührt.
Die ausdrückliche Benennung der Agentur für Arbeit und die von ihr verlangte Bestätigung tragen der „Besonderheit“ des deutschen Systems sozialer Sicherheit bei Arbeitslosigkeit Rechnung, in welchem – abhängig von der Dauer der Beschäftigung vor Eintritt der Arbeitslosigkeit – im Grundsatz entweder die Agentur für Arbeit oder ein Jobcenter für die Gewährung von (existenzsichernden) Leistungen bei Arbeitslosigkeit zuständig sein kann. Da Arbeitslosengeld II aber (anders als Arbeitslosengeld nach dem Sozialgesetzbuch Drittes Buch [SGB III]) ohne Rücksicht darauf gezahlt wird, warum Arbeitslosigkeit eingetreten ist (vgl. § 31 SGB II einerseits, § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III andererseits), ist die Prüfung der Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit nach Maßgabe der nationalen Systemstruktur der Agentur für Arbeit zugewiesen worden (BSG, Urteil vom 9. März 2022 – B 7/14 AS 79/20 R –, Rn. 29, juris).
Die Bestätigung der Agentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit hat nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts konstitutiven Charakter. Mit Urteil vom 13. Juli 2017 – B 4 AS 17/16 R – hat das BSG entschieden, dass die Bestätigung über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit Voraussetzung für das Fortbestehen des Freizügigkeitsrechts im Sinne einer konstitutiven Bedingung ist (BSG, a.a.O., Rn. 34, juris; sich anschließend Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Urteil vom 25. Juni 2024 – L 4 AS 1456/20 –, Rn. 38, juris); in einer Entscheidung vom 9. März 2022 hat das BSG dies wiederholt (BSG, Urteil vom 9. März 2022 – B 7/14 AS 79/20 R –, Rn. 27, juris). In der letztgenannten Entscheidung hat es hierzu ergänzend ausgeführt, dass allerdings für den Fall, dass eine Person nach dem Ende ihrer Beschäftigung zunächst Arbeitslosengeld nach dem SGB III bezogen hat, ohne dass der Eintritt einer Sperrzeit festgestellt worden ist, eine – weitere – Bestätigung der Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit entbehrlich sei. Der vorliegende Fall liegt jedoch anders. Der Klägerin zu 1 wurde kein Arbeitslosengeld bewilligt, und die Agentur für Arbeit hat sogar ausdrücklich die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit verneint.
Nach Ansicht des Sächsisches Landessozialgerichts (Urteile vom 18. April 2023 – L 4 AS 821/21 –, Rn. 98, und vom 21. November 2023 – L 4 AS 1149/19 –, Rn. 63, beide juris) handelt es sich bei der Unfreiwilligkeitsbescheinigung um einen feststellenden Verwaltungsakt i.S.d. § 31 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X), den der Beklagte und auch die Gerichte zu beachten haben. Eine materiell-rechtliche Überprüfung der Richtigkeit der Unfreiwilligkeitsbescheinigung findet danach nicht statt; der Betroffene muss nach dieser Ansicht vielmehr mit Rechtsmitteln gegen die – wie vorliegend – nicht bestätigte Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit vorgehen, wenn er diese für rechtswidrig hält (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 21. November 2023 – L 4 AS 1149/19 – Rn. 63, juris). Da die Klägerin zu 1 dies nicht getan hat, ist sie nach dieser Ansicht mit dem Einwand der Fehlentscheidung durch die Arbeitsagentur ausgeschlossen und muss sie die bindend gewordene Feststellung der fehlenden Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit gegen sich gelten lassen.
Nach anderer Ansicht soll hingegen – jedenfalls solange keine Entscheidung der Ausländerbehörde ergangen ist – im Zusammenhang mit der Prüfung eines Anspruchs auf Leistungen nach dem SGB II der Leistungsträger zur Prüfung der Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit im Sinne des unfreiwilligen Arbeitsplatzverlustes verpflichtet und diese Entscheidung gerichtlich überprüfbar sein (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Beschluss vom 7. August 2020 – L 7 AS 1376/20 ER-B –, Rn. 23, juris, m.w.N.; hierzu auch Anm. Kellner, jurisPR-SozR 22/2023, zu: Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juni 2023, L 7 AS 3328/21).
Der Senat kann im vorliegenden Fall offenlassen, welcher Ansicht zu folgen ist. Denn auch eine materiell-rechtliche Überprüfung der Bestätigung der Agentur für Arbeit vom 9. Juli 2018 ergibt kein anderes Ergebnis. Eine Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit i.S.d. § 2 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FreizügG/EU setzt voraus, dass die Arbeitslosigkeit des Arbeitnehmers auf von seinem Willen unabhängigen Gründen beruht (vgl. Europäischer Gerichtshof [EuGH], Urteil vom 20. Dezember 2017 – C-442/16 –, Rn. 31, juris). Da im nationalen Recht, insbesondere im SGB III, keine eigenständigen Kriterien für die Prüfung der Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit im Rahmen des Freizügigkeitsrechts normiert sind, hat sich die Agentur für Arbeit an den Kriterien für den Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem SGB III bzw. dem Eintritt einer Sperrzeit (vgl. §§ 137 ff. SGB III, § 159 SGB III) zu orientieren (BSG, Urteil vom 9. März 2022 – B 7/14 AS 79/20 R –, Rn. 30, juris). Das BSG verweist in diesem Zusammenhang auf die Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Freizügigkeitsgesetz/EU, in deren Ziffer 2.3.1.2 (zu § 2 Abs. 3 FreizügG/EU) u.a. ausgeführt wird: „Das unfreiwillige Eintreten von Arbeitslosigkeit liegt dann vor, wenn der Arbeitnehmer die Gründe, die zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses (Kündigung, Aufhebungsvertrag) geführt haben, nicht zu vertreten hat. Die Bestätigung der Agentur für Arbeit über die Unfreiwilligkeit der Arbeitslosigkeit ist Voraussetzung für das Fortbestehen des Freizügigkeitsrechts. Die Bestätigung erfolgt, wenn der Arbeitnehmer sich arbeitslos meldet, den Vermittlungsbemühungen der zuständigen Arbeitsagentur zur Verfügung steht und sich selbst bemüht, seine Arbeitslosigkeit zu beenden (§ 138 SGB III)".
Danach kann dahinstehen, ob die fristlose Kündigung gerechtfertigt und rechtmäßig war oder irrtümlich auf einem „Missverständnis“ beruhte, wie die Kläger vortragen. Denn selbst wenn dies der Fall gewesen sein sollte, so fehlt es jedenfalls an einer Arbeitslosmeldung der Klägerin zu 1 und an ihrer Verfügbarkeit i.S.d. § 138 Abs. 1 Nr. 3 SGB III, denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass sie sich im hier streitigen Zeitraum den Vermittlungsbemühungen der zuständigen Arbeitsagentur i.S.d. § 138 Abs. 5 SGB III zur Verfügung gestellt hat. Eine unfreiwillige Arbeitslosigkeit konnte von der Agentur für Arbeit demnach nicht bestätigt werden (so auch Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 26. Juni 2023 – L 7 AS 3328/21 –, Rn. 46, juris, in einem Fall, in dem die Agentur für Arbeit den Eintritt einer Sperrzeit festgestellt und Arbeitslosengeld daher nicht gezahlt hatte).
Mangels eines fortwirkenden Freizügigkeitsrechts als Arbeitnehmerin konnte sich die Klägerin zu 1 daher im streitigen Zeitraum lediglich auf ein Aufenthaltsrecht zum Zwecke der Arbeitssuche gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 1a FreizügG/EU berufen. Sie und auch die Kläger zu 2 bis 6 als ihre Familienangehörigen waren demnach von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II ausgeschlossen. Die Kläger zu 2 bis 6 hatten auch kein eigenes Aufenthaltsrecht (sondern nur ein als Familienangehörige der Klägerin zu 1 gemäß § 3 FreizügG/EU von dieser abgeleitetes Freizügigkeitsrecht), insbesondere nicht aus § 4 FreizügG/EU, da sie – wie auch die Klägerin zu 1 – nicht über ausreichenden Krankenversicherungsschutz und ausreichende Existenzmittel verfügten.
- Die Kläger hatten im Zeitraum vom 1. bis 14. Juni 2018 auch keinen Anspruch auf Leistungen durch den Beigeladenen nach dem SGB XII.
- Zwar kommen anstelle der Leistungen nach dem SGB II Leistungen durch den (notwendig beizuladenden und vorliegend dementsprechend auch beigeladenen) Sozialhilfeträger entsprechend dem allgemeinen Begehren auf Leistungen zur Existenzsicherung grundsätzlich in Betracht (vgl. BSG, Urteil vom 27. Januar 2021 – B 14 AS 25/20 R –, Rn. 35, juris). Mit dem Antrag der Kläger beim Beklagten ist auch von der Kenntnis des Beigeladenen i.S.d. § 18 Abs. 1 SGB XII auszugehen. Denn nach dem Meistbegünstigungsgrundsatz ist ein vorangegangener Antrag auf bedürftigkeitsabhängige, existenzsichernde Leistungen bei einem unzuständigen Leistungsträger – etwa beim SGB II-Leistungsträger – gleichzeitig als Antrag auf Sozialhilfeleistungen zu verstehen (Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 21. November 2023 – L 4 AS 1149/19 –, Rn. 70, juris).
Allerdings sind gemäß § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII Ausländer und ihre Familienangehörigen, die kein Aufenthaltsrecht haben oder bei denen sich das Aufenthaltsrecht allein aus dem Zweck der Arbeitsuche ergibt, auch von den näher bezeichneten Leistungen des SGB XII ausgeschlossen. Der Ausschlusstatbestand aus § 23 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 SGB XII entspricht demjenigen aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b) SGB II. Der Gesetzgeber hat damit klargestellt, dass für die nach § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB II von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossenen Unionsbürger auch kein Anspruch auf Sozialhilfeleistungen zum Lebensunterhalt besteht.
Der Leistungsausschluss verstößt nicht gegen das Grundgesetz und ist zudem europarechtskonform. Es ist mit dem Grundgesetz vereinbar, dass Ausländer, die über kein Aufenthaltsrecht oder nur ein Aufenthaltsrecht zum Zweck der Arbeitssuche verfügen und denen eine Ausreise aus der Bundesrepublik Deutschland möglich sowie zumutbar ist, von Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende ausgeschlossen sind. Gleiches gilt für den Bereich des SGB XII. Der Gesetzgeber hat mit dem Regelungsregime des § 7 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 SGB II und § 23 Abs. 3 und 3a SGB XII in der seit dem 29. Dezember 2016 geltenden Fassung – in Reaktion auf die Rechtsprechung des BSG – verfassungskonform die Nachrangigkeit des deutschen Sozialleistungssystems gegenüber demjenigen des Herkunftslandes ausgestaltet (BSG, Urteil vom 29. März 2022 – B 4 AS 2/21 R –, Rn. 34, juris). Den Klägern wäre eine Ausreise im streitigen Zeitraum möglich und zumutbar gewesen; etwas Anderes haben auch sie selbst nicht behauptet.
- Die Kläger haben gegen den Beigeladenen auch keinen Anspruch auf Gewährung von Überbrückungsleistungen für den streitigen Zeitraum.
Einer Verurteilung des Beigeladenen zur Gewährung von Überbrückungsleistungen steht allerdings nicht schon dessen bestandskräftig gewordener Ablehnungsbescheid vom 16. Juli 2018 entgegen, denn mit diesem hat der Beigeladene ausdrücklich nicht über Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII entschieden, weil er – insoweit unzutreffend – der Ansicht war, dass diese Leistungen gesondert zu beantragen seien.
Überbrückungsleistungen werden nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII hilfebedürftigen Ausländern, die – wie die Kläger – dem Leistungsausschluss des Satz 1 der Vorschrift unterfallen, bis zur Ausreise, längstens jedoch für einen Zeitraum von einem Monat, einmalig innerhalb von zwei Jahren als eingeschränkte Hilfen gewährt, um den Zeitraum bis zur Ausreise zu überbrücken.
Der Leistungsanspruch aus § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII setzt nur voraus, dass die betroffene Person vom Ausschluss regulärer Leistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII erfasst und hilfebedürftig ist. An beidem besteht im vorliegenden Fall kein Zweifel. Ein Ausreisewille oder eine Ausreisebereitschaft ist nach der Rechtsprechung des für das Sozialhilferecht zuständigen 8. Senats des Bundessozialgerichts nicht erforderlich (BSG, Urteil vom 13. Juli 2023 – B 8 SO 11/22 R –, Rn. 27, juris; ebenso bzw. ihm folgend u.a. Hessisches Landessozialgericht, Urteil vom 26. April 2023 – L 6 AS 600/20 –, Rn. 98 f., juris, m.w.N.; Sächsisches Landessozialgericht, Urteil vom 21. November 2023 – L 4 AS 1149/19 –, Rn. 69, juris). In der zitierten Entscheidung wird ausgeführt, dass lediglich danach zu differenzieren sei, ob im Einzelfall eine sofortige Rückkehr in das Heimatland möglich wäre oder ein (anderer) Grund für eine Härte i.S. des § 23 Abs. 3 Satz 6 Halbsatz 2 SGB XII vorliege. Ein (einschränkendes) subjektives Tatbestandsmerkmal lasse sich hingegen schon dem Wortlaut des § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII nicht entnehmen. Es sei auch Sinn und Zweck der Überbrückungsleistungen nicht immanent. Überbrückungsleistungen würden zwar mit dem Ziel gewährt, den Zeitraum bis zu einer Ausreise im Grundsatz nur einmal in zwei Jahren und nur für einen festen Maximalzeitraum von einem Monat zu überbrücken; ein der Rückkehr ins Heimatland entgegenstehender innerer Wille des Ausländers sei dabei aber unbeachtlich. Bereits mit dem abgesenkten Leistungsniveau werde das gesetzgeberische Ziel erreicht, dem Ausländer nur eine eingeschränkte Existenzsicherung bis zu einer Ausreise zu gewährleisten, die der Gesetzgeber typisierend in einem Monat für möglich und zumutbar halte. Eine dauerhafte Sicherung der existenznotwendigen Bedarfe von Ausländern im Inland, wie Leistungen nach § 23 Abs. 1 Satz 1 SGB XII es gewährleisteten, sei auf Grundlage von Überbrückungsleistungen im Ausgangspunkt nicht möglich. Eine weitere Einschränkung auf Tatbestandsseite lasse sich dem gesetzgeberischen Verständnis von Überbrückungsleistungen nicht entnehmen (BSG, Urteil vom 13. Juli 2023 – B 8 SO 11/22 R –, Rn. 28, juris).
Aber auch wenn man mit dem BSG einen Ausreisewillen für nicht erforderlich hält, so besteht vorliegend dennoch kein Anspruch auf Überbrückungsleistungen. Denn jedenfalls im vorliegenden Fall, in dem – hierauf hat der Beigeladene zu Recht hingewiesen – nur noch um Leistungen für einen Zeitraum zwischen der fristlosen Kündigung und der Wiederaufnahme des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zu 1 bei dem Arbeitgeber gestritten wird, muss § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII einschränkend ausgelegt werden. Es ist nicht Aufgabe oder Sinn und Zweck des § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII, bei Unterbrechung des Leistungsbezuges nach dem SGB II einen alternativen Leistungsträger zu stellen und eine Überbrückungsmöglichkeit bis zur Wiederaufnahme von Leistungen nach dem SGB II zu bieten, auf die letztlich lediglich deshalb kein Anspruch bestand, weil die Klägerin zu 1 sich nicht arbeitslos gemeldet hatte und nicht verfügbar i.S.d. § 138 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 5 SGB III war. Die „Lücke“ im Leistungsbezug beruht hier ausschließlich auf dem Versäumnis eines anspruchsbegründenden Verhaltens durch eine grundsätzlich (nach anderen Anspruchsnormen) leistungsberechtigte Person. Durch Überbrückungsleistungen gemäß § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII soll aber ausdrücklich (nur) ein „Zeitraum bis zur Ausreise“ überbrückt werden und nicht etwa ein Zeitraum bis zur Nachholung der Arbeitslosmeldung oder Verfügbarkeit oder bis zur (Wieder-)Aufnahme einer Erwerbstätigkeit.
Jedenfalls in Fällen wie dem vorliegenden, in dem der Leistungsausschluss aus § 7 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 Buchst. b) SGB II und § 23 Abs. 3 Satz 1 SGB XII nur für einen (kurzen) Zeitraum der (kurzen) Unterbrechung einer Erwerbstätigkeit eingreift und in dem von den vom Leistungsausschluss betroffenen EU-Ausländern ausdrücklich kommuniziert worden ist, dass eine Rückreise ins Heimatland nicht in Betracht komme, ist darüber hinaus auch kein „Zeitraum bis zur Ausreise“ ersichtlich, für den Überbrückungsleistungen zu gewähren sein könnten. Der geltend gemachte Anspruch lässt sich bei dem hier gegebenen Sachverhalt nicht mehr unter den Wortlaut der Vorschrift subsumieren; § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII kann deshalb hier keine Anwendung finden.
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis des Berufungsverfahrens.
- Die Revision wird zugelassen, weil die Frage, ob die Bescheinigung der Agentur für Arbeit, dass unfreiwillige Arbeitslosigkeit i.S.d. § 2 Abs. 3 Nr. 2 FreizügG/EU nicht bestätigt werde, Bindungswirkung entfaltet, und falls ja, wie Rechtsschutz gegen eine möglicherweise unzutreffende Bescheinigung zu gewähren ist, und die Frage, ob ein Anspruch auf Überbrückungsleistungen nach § 23 Abs. 3 Satz 3 SGB XII in Fällen wie dem vorliegenden ausgeschlossen ist, grundsätzliche Bedeutung haben (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).