L 8 BA 1054/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Betriebsprüfungen
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 18 BA 4667/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 BA 1054/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.02.2024 abgeändert und der Bescheid der Beklagten vom 08.01.2020 in der Fassung des Bescheids vom 27.08.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2021 aufgehoben, soweit Beiträge und Umlagen für die Zeit bis zum 31.12.2014 festgesetzt und insgesamt soweit Säumniszuschläge erhoben worden sind. Im Übrigen wird die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.02.2024 zurückgewiesen.

Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen zu tragen. Ausgenommen hiervon sind die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, welche diese selbst zu tragen haben.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird endgültig auf 370.023,15 € festgesetzt.



Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Nachforderung von Beiträgen, Umlagen und Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 370.023,15 €.

Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH). Der zu ihrer Gründung geschlossene Gesellschaftsvertrag in der am 18.11.1986 beurkundeten Fassung lautete:

„§ 1 Firma, Sitz
(1) Die Gesellschaft führt die Firma C1 Gesellschaft mit beschränkter Haftung.
(2) Der Sitz der Gesellschaft ist S1.

§ 2 Gegenstand der Gesellschaft
(1) Gegenstand der Gesellschaft ist: Ingenieurtätigkeit im allgemeinen Tiefbau, Erschließung, Ver- und Entsorgung, insbesondere Projektsteuerung, Planung und Bauleitung. …

§ 4 Stammkapital
(1) Das Stammkapital der Gesellschaft beträgt DM 50.000 (in Worten: fünfzigtausend Deutsche Mark)
(2) Hiervon wird von dem Gesellschafter folgende Stammeinlage übernommen:
W1 S2, S1                                DM 40.000
Dipl.-Ing. (FH) G1 S2, S1          DM 10.000

§ 6 Veräußerung und Vererbung von Geschäftsanteilen
Zur Veräußerung von Geschäftsanteilen und von Teilen ist die Einwilligung der Gesellschafterversammlung erforderlich. Dies gilt auch für die Belastung und für die Verpfändung von Geschäftsanteilen. …

§ 7 Geschäftsführung, Vertretung
1.         Die Gesellschaft hat einen oder mehrere Geschäftsführer.
2.         Ist nur ein Geschäftsführer vorhanden, so ist er alleinvertretungsberechtigt. Sind mehrere Geschäftsführer bestellt, so steht jedem ebenfalls alleinige Vertretungsmacht zu.
3.         Die Geschäftsführer sind von den Beschränkungen des § 181 BGB befreit.
4.         Die Geschäftsführungsbefugnis umfaßt alle Entscheidungen und Maßnahmen, die im Rahmen des Gegenstandes der Gesellschaft zu treffen sind, soweit sie nicht der Gesellschaftsversammlung vorbehalten sind. …

§ 8 Gesellschafterversammlung
(1) Teilnehmer, Vorsitz
1.         Die Gesellschafter sind verpflichtet, an der Gesellschafterversammlung teilzunehmen. …
2.         Die Gesellschafterversammlung wird vom Vorsitzenden geleitet, der mit einfacher Mehrheit von den Gesellschaftern gewählt wird.
 (2) Aufgaben, Rechte
Die Gesellschafterversammlung beschließt in den im Gesetz und im Gesellschaftsvertrag ausdrücklich bestimmten Fällen; es sind ihr namentlich folgende Aufgaben und Entscheidungen vorbehalten:
1.         die Genehmigung der jährlichen Unternehmensplanung, insbesondere des Investitions- und Finanzplans; …
2.         die Errichtung, Erweiterung und Aufhebung von Zweigniederlassungen und Betriebsstätten;
3.         die Aufnahme von Fremdmitteln, soweit sie nicht im Finanzplan vorgesehen sind;
4.         der Erwerb und die Veräußerung anderer Unternehmen, die Beteiligung an anderen Unternehmen sowie die Kündigung und Veräußerung von Beteiligungen und Teilbetrieben;
5.         der Abschluß von Verträgen mit Gesellschaftern;
6.         die Bestellung und Abberufung der Geschäftsführer und der Prokuristen sowie die Festsetzung der Bezüge dieser Personen;
7.         die Entlastung der Geschäftsführer;
8.         die Feststellung des Jahresabschlusses;
9.         die Gewinnverwendung;
10.       die Bestellung des Abschlußprüfers;
11.       die Einziehung von Geschäftsanteilen;
12.       die darüber hinaus in § 46 GmbH-Gesetz genannten Aufgaben.
(3) Einberufung, Tagesordnung
1.         Die Gesellschafterversammlung kann einberufen werden durch:
a)         jeden Geschäftsführer,
b)         Gesellschafter, deren Stammanteile zusammen mindestens 10 v.H. des Stammkapitals betragen. …
(4) Beschlußunfähigkeit
1.         Eine förmlich einberufene Gesellschafterversammlung ist beschlußfähig, wenn 75 vom Hundert des Stammkapitals vertreten sind. …
(5) Beschlußfassung
1.         Je DM 1.000 – in Worten: eintausend Deutsche Mark – Stammkapital gewähren eine Stimme.
2.         Gesellschafterbeschlüsse werden mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen gefaßt, soweit nicht gesetzlich höhere Mehrheiten vorgeschrieben sind.
3.         Niemand kann für sich oder einen anderen das Stimmrecht ausüben oder durch einen Vertreter ausüben lassen, wenn darüber Beschluß gefaßt wird:
a)         ob er zu entlasten ist,
b)         ob er von einer Verbindlichkeit befreit werden soll,
c)         ob die Gesellschaft gegen ihn einen Anspruch geltend machen oder erledigen soll,
d)         ob er als Geschäftsführer aus wichtigem Grund abzuberufen ist,
e)         ob sein Geschäftsanteil aus wichtigem Grund eingezogen werden soll.“


Mit weiterer notarieller Urkunde vom 18.11.1986 unterbreitete Frau W1 S2, die Ehefrau des Beigeladenen zu 1, diesem das unwiderrufliche und unbefristete Angebot auf Abtretung ihres Geschäftsanteils von 40.000 DM zum jeweiligen Buchwert. Eine Erklärung der Annahme dieses Angebots durch den Beigeladenen zu 1 ist nicht ersichtlich und wird auch von der Klägerin und vom Beigeladenen zu 1 nicht vorgetragen.
Am 18.11.1986 traten die beiden Gesellschafter – der Beigeladene zu 1 und seine Ehefrau – in eine erste Gesellschafterversammlung ein und bestellten den Beigeladenen zu 1 zum Geschäftsführer der Klägerin. Der Beigeladene zu 1 wurde im Handelsregister des Amtsgerichts S1 als alleiniger Geschäftsführer der Klägerin eingetragen.

Ebenfalls am 18.11.1986 unterzeichneten die Klägerin und der Beigeladene zu 1 einen „Anstellungsvertrag“ mit folgendem Inhalt:

„§ 1 Aufgabengebiet, Vertretungsberechtigung
(1) Herr S2 ist alleinvertretungsberechtigter und einzelgeschäftsführungsbefugter Geschäftsführer der Gesellschaft.
(2) Herr S2 führt die Geschäfte der Gesellschaft – ggf. zusammen mit etwaigen weiteren Geschäftsführern – nach Maßgabe der Gesetze, des Gesellschaftsvertrages der Gesellschaft, der Beschlüsse und Weisungen der Gesellschaftsorgane und dieses Anstellungsvertrages. …

§ 2 Bezüge
(1) Für seine Geschäftstätigkeit erhält Herr S2 ab 01.01.1987 ein Monatsgehalt von DM 6.000. Als Weihnachtsgratifikation ist ein 13. Monatsgehalt (DM 6.000) vereinbart.
(2) Herr S2 hat ferner Anspruch auf eine jährliche Tantieme in Höhe von 20 v.H. des Bilanzgewinns der Gesellschaft vor Körperschaftsteuer und Gewerbesteuer, wie er sich vor Abzug der Tantiemen für die Geschäftsführer ergibt. …
(3) Das monatliche Festgeld gemäß Absatz 1 ist zur Zahlung fällig jeweils am Ende eines Kalendermonats zuzüglich etwaiger, von der Gesellschaft von Gesetzes wegen zu leistender Zuwendungen. Die Herrn S2 nach Absatz 2 zustehende jährliche Tantieme wird endgültig festgestellt und ist zur Zahlung fällig mit Feststellung des Jahresabschlusses der Gesellschaft durch die Gesellschafterversammlung. Dies gilt auch, wenn ein wirksamer Feststellungsbeschluß nicht zustande kommt.
(4) Auf die jeweils zu zahlenden Beträge werden die darauf entfallenden und von der Gesellschaft einzubehaltenden gesetzlichen Abzüge verrechnet.

§ 3 Reisekosten, Aufwendungsersatz, Dienstwagen, Telefon
(1) Herr S2 erhält seine ihm durch Geschäftsreisen verursachten Reisekosten nach den jeweils steuerlich höchstzulässigen Sätzen erstattet; darüber hinausgehende Aufwendungen sowie etwaige Aufwendungen für die Bewirtung von Geschäftsfreunden erhält Herr S2 auf Einzelnachweis erstattet.
(2) Herr S2 hat Anspruch auf Benutzung eines firmeneigenen Pkw, den er auch zu privaten Zwecken benutzen kann. Die von der Finanzverwaltung für die Privatnutzung des Dienstwagens angesetzten Steuern gehen zu Lasten von Herrn S2. …

§ 4 Versicherung, Altersversorgung
(1) Sofern Herr S2 nicht der gesetzlichen Sozialversicherung unterliegt, zahlt die Gesellschaft Herrn S2 für eine Angestellten- und Krankenversicherung den Betrag, den die Gesellschaft bei Vorliegen der Versicherungspflicht zu leisten verpflichtet wäre. …

§ 5 Gehaltsfortzahlung bei Krankheit oder sonstige Dienstverhinderung
(1) Ist Herr S2 durch Krankheit oder ein sonstiges, nicht durch grobe Fahrlässigkeit verschuldetes Unglück verhindert, seine Tätigkeit für die Gesellschaft auszuüben, so zahlt die Gesellschaft ihm seine Bezüge gemäß § 2 für den Kalendermonat, in den der Beginn der Verhinderung fällt, sowie für 3 weitere Kalendermonate fort. …

§ 6 Urlaub
(1) Herr S2 hat Anspruch auf einen jährlichen Erholungsurlaub von 30 Arbeitstagen.
(2) Herr S2 wird darauf Bedacht nehmen, seinen Urlaub so zu legen, daß in Abstimmung mit seinen etwaigen Mitgeschäftsführern auch unter Berücksichtigung seiner persönlichen Interessen die geschäftlichen Belange der Gesellschaft im geringstmöglichen Umfange beeinträchtigt werden.

§ 7 Dauer, Kündigung
(1) Dieser Anstellungsvertrag tritt mit Wirkung vom 01.01.1987 in Kraft. Die Laufzeit beträgt 10 Jahre. Wird das Anstellungsverhältnis nicht ein Jahr vor Ablauf des Vertrages gekündigt, so verlängert sich der Vertrag um weitere 10 Jahre. Herr S2 seinerseits ist jedoch berechtigt, das Anstellungsverhältnis jederzeit mit einer Frist von 12 Monaten auf das Ende eines Kalenderjahres zu kündigen. Das Anstellungsverhältnis endet in jedem Falle, auch ohne Kündigung, mit dem Ende des Kalenderjahres, in dem Herr S2 sein 65. Lebensjahr vollendet hat.
(2) Das Recht zur Kündigung des Anstellungsverhältnisses aus wichtigem Grund für jede der Vertragsparteien bleibt unberührt.“


Mit Schreiben vom 04.02.1987 teilte die Allgemeine Ortskrankenkasse S1 der Klägerin mit, dass der Beigeladene zu 1 in seiner seit dem 01.01.1987 verrichteten Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin aufgrund seiner Gesellschaftsanteile in Höhe von lediglich 20 Prozent des Stammkapitals in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehe und deshalb versicherungspflichtig in der Renten- und Arbeitslosenversicherung sei. Da die Bezüge des Beigeladenen zu 1 die Jahresarbeitsverdienstgrenze überschritten, sei er nicht krankenversicherungspflichtig. Die Klägerin zahlte für den Beigeladenen zu 1 bis zum 31.12.1988 Beiträge an die Einzugsstelle.

Am 15.12.1992 unterzeichneten die beiden Gesellschafter der Klägerin einen „Stimmrechtsbindungsvertrag“ mit folgendem Inhalt:

„1.        Die Gesellschaft ist eine Ingenieurgesellschaft, in welcher der Gesellschaftergeschäftsführer Dipl.-Ing. (FH) G1 S2 der einzige sach- und fachkundige Gesellschafter ist.
2.         Die Gesellschafterin W1 S2 verpflichtet sich aus diesem Grund, ihr Stimmrecht in der Gesellschafterversammlung nach Weisung des Gesellschafters G1 S2 auszuüben.
3.         Die Gesellschafter schließen sich durch diesen Vertrag zu einem Gesellschafterpool zusammen, dessen Zweck es ist, durch einheitliche Willensbildung der Partner und Stimmrechtsausübung in der Gesellschafterversammlung der C1 GmbH den Einfluss der Partner … sicherzustellen und die Rechte und Pflichten der Partner gegenüber der C1 GmbH einheitlich wahrzunehmen.
4.         Dieser Vertrag umfasst den gesamten gegenwärtigen und zukünftigen Besitz an GmbH-Anteilen, gleich auf welche Art und Weis ein Partner die Geschäftsanteile erwirbt. Die Geschäftsanteile verbleiben jedoch im Eigentum des jeweiligen Partners. An ihnen wird durch diesen Vertrag weder Gesamthands- noch Bruchteileigentum begründet.
5.         Vor jeder Gesellschafterversammlung der C1 GmbH findet eine Versammlung der Partner (Poolversammlung) statt, die darüber beschließt, wie das Antragsrecht und das Stimmrecht der Partner zu den Gegenständen der Tagesordnung der Gesellschafterversammlung ausgeübt werden soll. …
6.         In der Poolversammlung gilt das ausschließliche Bestimmungsrecht des Gesellschafters G1 S2 für alle Gesellschafterbeschlüsse. Die bedeutet, dass in der Gesellschafterversammlung der C1 GmbH W1S2 gleich wie G1 S2 abzustimmen hat.“


Die Techniker Krankenkasse teilte der Rechtsvorgängerin der Beklagten mit Schreiben vom 03.03.1994 mit, dass für den Beigeladenen zu 1 im Zeitraum vom 01.01.1989 bis 31.01.1994 irrtümlich Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung entrichtet worden seien. Die Arbeitgeberanteile seien der Firma, die Arbeitnehmeranteile dem Beigeladenen zu 1 erstattet worden. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten sei gebeten worden, die Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung in freiwillige Beiträge umzuwandeln. Die Rechtsvorgängerin der Beklagten teilte dem Beigeladenen zu 1 mit Schreiben vom 06.04.1995 mit, dass er berechtigt sei, freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten zu zahlen. Seit Februar 1994 sei der Beigeladene zu 1 antragsgemäß mit dem niedrigsten Monatsbeitrag freiwillig versichert.

Seit dem 01.01.2010 bezieht der 1944 geborene Beigeladene zu 1 von der Beklagten eine Regelaltersrente. Die Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin übte der Beigeladene zu 1 auch über den 01.01.2010 hinaus aus.

Im November 2011 führte die Beklagte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung für den Prüfzeitraum vom 01.01.2007 bis 31.12.2010 durch. Mit Bescheid vom 21.12.2011 stellte die Beklagte fest, dass die – bisher als geringfügig entlohnte Beschäftigte der Klägerin angemeldete – Ehefrau des Beigeladenen zu 1 keiner Versicherungspflicht in der Sozialversicherung unterliege, da sie über mehr als 50 Prozent des Stammkapitals verfüge. Zur Begründung des hiergegen erhobenen Widerspruchs der Klägerin wurde der Stimmrechtsbindungsvertrag vom 15.12.1992 vorgelegt und ausgeführt, dass die Ehefrau des Beigeladenen zu 1 deshalb als abhängig Beschäftigte zu behandeln sei. Mit Änderungsbescheid vom 04.05.2012 half die Beklagte dem Widerspruch der Klägerin ab und stellte fest, dass die Ehefrau des Beigeladenen zu 1 ihre Tätigkeit für die Klägerin im Rahmen eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses verrichtet habe. Aufgrund des Stimmrechtsbindungsvertrags habe die Ehefrau des Beigeladenen zu 1 faktisch kein eigenes Stimmrecht. Sie könne keinen maßgeblichen Einfluss auf die Klägerin ausüben, da sie ihr Stimmrecht nach Weisung des Beigeladenen zu 1 auszuüben habe.

Im März 2019 führte die Beklagte bei der Klägerin eine Betriebsprüfung für den Prüfzeitraum vom 01.01.2015 bis 28.02.2018 durch.

Nach Anhörung der Klägerin setzte die Beklagte mit Bescheid vom 08.01.2020 gegenüber der Klägerin Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum vom 01.01.2001 bis 28.02.2018 in Höhe von 112.471,91 €, Beiträge zur Arbeitslosenversicherung für den Zeitraum vom 01.01.2001 bis 28.02.2018 in Höhe von 29.685,42 €, die Umlage für Insolvenzgeld (UI) für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 28.02.2018 in Höhe von 360,86 €, die Umlage für Mutterschaftsaufwendungen (U2) für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 28.02.2018 in Höhe von 18,82 € sowie in den Monaten Februar 2001 bis September 2019 entstandene Säumniszuschläge in Höhe von 227.484 € fest und forderte die Klägerin zur Zahlung von insgesamt 370.021,01 € auf. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass der Beigeladene zu 1 in seiner seit dem 01.01.1987 verrichteten Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin abhängig beschäftigt sei, da er weder über mindestens 50 Prozent des Stammkapitals noch über eine gesellschaftsvertraglich begründete Sperrminorität verfüge und deshalb keine Rechtsmacht habe, ihm unliebsame Beschlüsse der Gesellschafterversammlung und insbesondere seine Abberufung als Geschäftsführer zu verhindern. Auf die Frage, ob der Beigeladene zu 1 Kopf und Seele der Klägerin sei, komme es nach den Urteilen des Bundessozialgerichts (BSG) vom 29.08.2012, 30.04.2013 und 11.11.2015 nicht (mehr) an. Auch der zwischen dem Beigeladenen zu 1 und seiner Ehefrau geschlossene Stimmrechtsbindungsvertrag sei unerheblich, da er die gesellschaftsvertraglich verankerte Rechtsmacht der – über 80 Prozent des Stammkapitals verfügenden – Ehefrau des Beigeladenen zu 1 unangetastet lasse. Vor allem im Konfliktfall zwischen den Gesellschaftern könne die Ehefrau des Beigeladenen zu 1 diesem auch entgegen der Stimmrechtsvereinbarung wirksam Weisungen erteilen.

Da der Beigeladene zu 1 seit dem 01.01.2010 eine Regelaltersrente beziehe, seien ab diesem Zeitpunkt lediglich die Arbeitgeberanteile zur Renten- und Arbeitslosenversicherung sowie die Insolvenzgeldumlage zu zahlen. Ferner seien Säumniszuschläge für den Zeitraum vom 01.04.1987 bis 30.09.2019 zu berechnen. Die Klägerin habe mit Zugang des Schreibens der AOK S1 vom 04.02.1987 Kenntnis von der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1 in der Renten- und Arbeitslosenversicherung und zugleich Kenntnis von der daraus folgenden Beitragszahlungspflicht erlangt. Die Beitragsansprüche seien auch nicht verjährt, da die Klägerin die Beiträge jedenfalls mit bedingtem Vorsatz vorenthalten habe und deshalb eine Verjährungsfrist von 30 Jahren gelte. Die Klägerin habe aufgrund des Schreibens der AOK S1 vom 04.02.1987 Kenntnis von ihrer Pflicht zur Zahlung von Beiträgen erhalten und in den Jahren 1987 und 1988 auch tatsächlich Beiträge gezahlt. Ab dem 01.01.1989 habe die Klägerin keine Pflichtbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung mehr entrichtet, obwohl keine Veränderung der Verhältnisse eingetreten sei. Die Klägerin habe somit die Nichtabführung der Beiträge billigend in Kauf genommen. Demzufolge seien für die Zeit ab 01.01.1989 Pflichtbeiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung fällig. Da jedoch erst ab dem 01.01.2001 Unterlagen über die Höhe des Arbeitsentgelts des Beigeladenen zu 1 vorlägen, würden im Rahmen der Betriebsprüfung die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung für den Zeitraum vom 01.01.2001 bis zum 28.02.2018 sowie die Insolvenzgeldumlage für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 28.02.2018 nachgefordert. Der Geltendmachung dieser Nachforderung stehe Vertrauensschutz nicht entgegen. Die Klägerin habe seit ihrer Gründung keine Entscheidung der Clearingstelle über die statusrechtliche Beurteilung der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 beantragt. Vielmehr habe die AOK S1 mit Bescheid vom 04.02.1987 verbindlich geregelt, dass der Beigeladene zu 1 aufgrund fehlender Rechtsmacht in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehe. Die Tatsache, dass die Einzugsstelle ab dem Jahr 1989 keine Sozialversicherungsbeiträge mehr eingezogen habe, sei lediglich Folge des Umstands, dass die Klägerin ab dem Jahr 1989 keine Beitragsnachweise bei der Einzugsstelle eingereicht und dieser deshalb keine Grundlage für den Beitragseinzug gegeben habe. Die in den Urteilen des BSG vom 29.08.2012, 30.04.2013 und 11.11.2015 zum Ausdruck kommende Rechtsauffassung stelle keine Änderung, sondern nur eine Verdeutlichung und Klarstellung der bisherigen Rechtsprechung dar. Der an die Klägerin gerichtete Änderungsbescheid vom 04.05.2012 begründe keinen Vertrauensschutz, da er lediglich den versicherungsrechtlichen Status der Ehefrau des Beigeladenen zu 1 betreffe und keine Aussage über den versicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 1 enthalte.

Hiergegen erhob der Prozessbevollmächtigte der Klägerin am 20.10.2020 Widerspruch und beantragte die Aussetzung des Vollzugs der Beitragsforderung. Letzteres wurde der Klägerin mit Schreiben der Beklagten vom 28.01.2020 bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens gewährt. Zur Begründung des Widerspruchs führte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin aus, dass der Beigeladene zu 1 aufgrund seiner beruflichen Qualifikation Kopf und Seele der Klägerin sei, während die Ehefrau des Beigeladenen zu 1 über keine fachliche Qualifikation verfüge. Es müsse berücksichtigt werden, dass die inzwischen vom BSG aufgegebene Kopf-und-Seele-Rechtsprechung für die Vergangenheit auf den vorliegenden Fall anzuwenden sei. Der am 15.12.1992 geschlossene Stimmrechtsbindungsvertrag sei zum damaligen Zeitpunkt geeignet gewesen, die Sozialversicherungspflicht eines Minderheitengesellschafter-Geschäftsführers auch ohne notarielle Beurkundung zu beseitigen. Außerdem seien sowohl die Techniker Krankenkasse in ihren Schreiben vom 03.03.1994 als auch die Rechtsvorgängerin der Beklagten in ihrem Schreiben vom 06.04.1995 davon ausgegangen, dass bei dem Beigeladenen zu 1 kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis vorgelegen habe. Aus dem Änderungsbescheid der Beklagten vom 04.05.2012 folge im Umkehrschluss, dass der Beigeladene zu 1 die Klägerin fachlich und faktisch beherrsche und deshalb nach damaliger Rechtslage keiner Sozialversicherungspflicht unterliege. Schließlich habe der Beigeladene zu 1 seit Gründung der Klägerin die Möglichkeit gehabt, das notariell beurkundete, unwiderrufliche und unbefristete Angebot seiner Ehefrau auf Abtretung ihrer Geschäftsanteile anzunehmen. Auf dieser Grundlage könne der Klägerin zu keinem Zeitpunkt bedingter Vorsatz unterstellt werden. Es sei daher Verjährung eingetreten und die Klägerin könne sich auf Vertrauensschutz berufen.

Die Techniker Krankenkasse teilte der Beklagten mit Schreiben vom 15.07.2020 mit, dass nicht die AOK, sondern sie zuständige Einzugsstelle sei, da der Beigeladene zu 1 seit dem 01.04.1967 durchgehend Mitglied bei ihr gewesen sei.

Mit Bescheid vom 27.08.2020 nahm die Beklagte den Bescheid vom 08.01.2020 hinsichtlich der Zuordnung der nachberechneten Beiträge zur AOK B1 zurück und machte eine um 2,14 € höhere Nachforderung von 370.023,15 € geltend. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Umlage U2 für das Kalenderjahr 2018 nicht 18,82 €, wie durch Bescheid vom 08.01.2020 festgesetzt, sondern 20,96 € betrage. Die teilweise Rücknahme des Bescheides vom 08.01.2020 nach § 45 SGB X sei zulässig, da sich die Klägerin auf schutzwürdiges Vertrauen nicht berufen könne. Die falsche Kassenzugehörigkeit sei für die Klägerin ohne weiteres erkennbar gewesen, da ihr Geschäftsführer, der Beigeladene zu 1, seit dem 01.04.1967 Mitglied der Techniker Krankenkasse sei. In Ausübung des Ermessens sei die teilweise Rücknahme gerechtfertigt, weil die damit verbundenen wirtschaftlichen Auswirkungen nur geringfügig seien und das öffentliche Interesse an einer rechtmäßigen Beitragserhebung überwiege. Wegen der geringfügigen Erhöhung des Nachforderungsbetrags um 2,14 € sei gemäß § 24 Abs. 2 Nr. 7 SGB X von einer vorherigen Anhörung abgesehen worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 29.11.2021 wies die Widerspruchsstelle der Beklagten den Widerspruch der Klägerin gegen den Bescheid vom 08.01.2020 in der Fassung des Bescheids vom 27.08.2020 zurück. Zur Begründung wiederholte die Beklagte ihre Ausführungen im Bescheid vom 08.01.2020. Nach früherer Praxis hätten zwar mitarbeitende Angehörige einer Familien-GmbH sogar ohne Kapitalbeteiligung oder sonstigen gesellschaftsrechtlichen Einfluss allein aufgrund der bloßen Familienzugehörigkeit als selbständig beurteilt werden können. Dieser Auffassung sei jedoch das BSG durch seine Urteile vom 29.08.2012 entgegengetreten. Ungeachtet der familiären Verbundenheit, spezieller Branchenkenntnisse sowie persönlicher oder wirtschaftlicher Dominanz im Unternehmen komme es entscheidend nur auf die Rechtsmacht des Geschäftsführers an. Selbständig tätige Gesellschafter-Geschäftsführer müssten über eine Mindestkapitalbeteiligung von 50 Prozent oder eine echte Sperrminorität verfügen. Dies sei beim Beigeladenen zu 1 nicht der Fall. Der außerhalb des Gesellschaftsvertrags geschlossene Stimmrechtsbindungsvertrag verleihe dem Beigeladenen zu 1 keine gesellschaftsvertragliche Rechtsmacht. Auf die notarielle Beglaubigung des Stimmrechtsbindungsvertrags komme es nicht an. Die bloße Möglichkeit des Beigeladenen zu 1 zur Übernahme der Geschäftsanteile seiner Ehefrau sei für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung seiner Tätigkeit als Gesellschafter-Geschäftsführer unerheblich. Die Beiträge seien auch nicht verjährt. Die Verjährungsfrist betrage 30 Jahre, da die Klägerin die Beiträge mit zumindest bedingtem Vorsatz vorenthalten, d.h. die Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen habe. Mit Bekanntgabe des Bescheids der AOK S1 vom 04.02.1987 habe die Klägerin Kenntnis von ihrer Beitragszahlungspflicht erhalten. Das Schreiben der Techniker Krankenkasse vom 03.03.1994 begründe keinen Vertrauensschutz, weil die Techniker Krankenkasse darin keine sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 vorgenommen habe und ihr Schreiben auch nichts Gegenteiliges impliziere. Eine Klärung des sozialversicherungsrechtlichen Status mit der Techniker Krankenkasse unter Vorlage des Bescheides der AOK S1 vom 04.02.1987 habe die Klägerin nicht herbeigeführt. Da die Klägerin jedenfalls bedingt vorsätzlich keine Beiträge abgeführt habe, seien auch die Säumniszuschläge zu Recht erhoben worden.

Am 15.12.2021 hat die Klägerin beim Sozialgericht Stuttgart (SG) Klage erhoben und beantragt, den Bescheid vom 08.01.2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27.08.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2021 aufzuheben. Die Klagebegründung entspricht der Widerspruchsbegründung.

Mit Schreiben vom 21.07.2023 hat die Kammervorsitzende den Beteiligten vorgeschlagen, zur Erledigung des Rechtsstreits im Wege eines Vergleichs zu vereinbaren, dass keine Beiträge für die Zeit vor dem Jahr 2016 und keine Säumniszuschläge erhoben werden. Während die Klägerin sowie die Beigeladenen zu 2 und 3 dem Vergleichsvorschlag zugestimmt haben, hat die Beklagte den Vergleichsvorschlag abgelehnt, da keine Zweifel am Vorliegen des für die 30-jährige Verjährungsfrist und Festsetzung von Säumniszuschlägen erforderlichen bedingten Vorsatzes der Klägerin bestünden.

Durch Urteil vom 27.02.2024 hat das SG die Klage abgewiesen. Der Beigeladene zu 1 sei in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin abhängig beschäftigt und damit versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung gewesen. Ob der Geschäftsführer einer GmbH selbstständig tätig oder abhängig beschäftigt sei, richte sich danach, ob der Geschäftsführer nach der ihm zukommenden, sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmacht ihm nicht genehme Weisungen verhindern oder Beschlüsse beeinflussen könne, die sein Anstellungsverhältnis betreffen. Bei einem Fremdgeschäftsführer scheide eine selbständige Tätigkeit generell aus. Sei ein GmbH-Geschäftsführer zugleich als Gesellschafter am Kapital der Gesellschaft beteiligt, komme es für die Abgrenzung der abhängigen Beschäftigung von einer selbständigen Tätigkeit wesentlich auf den Umfang der Kapitalbeteiligung und das Ausmaß des sich daraus für ihn ergebenden Einflusses auf die Gesellschaft an. Ein Gesellschafter-Geschäftsführer sei nicht per se kraft seiner Kapitalbeteiligung selbständig tätig, sondern müsse über seine Gesellschafterstellung hinaus die Rechtsmacht besitzen, durch Einflussnahme auf die Gesellschafterversammlung die Geschicke der Gesellschaft bestimmen zu können. Eine solche Rechtsmacht sei bei einem Gesellschafter gegeben, der mehr als 50 vom Hundert der Anteile am Stammkapital hält. Ein Geschäftsführer, der nicht über diese Kapitalbeteiligung verfügt, sei dagegen grundsätzlich abhängig beschäftigt. Er sei ausnahmsweise nur dann als Selbständiger anzusehen, wenn ihm trotz einer geringeren Kapitalbeteiligung nach dem Gesellschaftsvertrag eine umfassende („echte“ oder „qualifizierte“), die gesamte Unternehmenstätigkeit erfassende Sperrminorität eingeräumt sei und er deshalb alle ihm nicht genehmen Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern könne. Demgegenüber sei eine „unechte“, auf bestimmte Gegenstände begrenzte Sperrminorität nicht geeignet, die erforderliche Rechtsmacht zu vermitteln. Ein rein faktisches, nicht rechtlich gebundenes und daher jederzeit änderbares Verhalten der Beteiligten sei hingegen nicht maßgeblich. Dies wäre mit dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit sozialversicherungs- und beitragsrechtlicher Tatbestände nicht zu vereinbaren. Eine „Schönwetter-Selbstständigkeit“ lediglich in harmonischen Zeiten, während im Fall eines Zerwürfnisses die rechtlich bestehende Weisungsgebundenheit zum Tragen käme, sei nicht anzuerkennen (BSG, Urteil vom 19.09.2019 – B 12 KR 21/19 R – juris Rn. 16 f. m.w.N.).

Gemessen daran sei der Beigeladene zu 1 in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin abhängig beschäftigt, weil er seit Gründung der Gesellschaft nur über 20 Prozent der Geschäftsanteile verfüge, während der Gesellschaftsvertrag eine Beschlussfassung mit einfacher Mehrheit der Geschäftsanteile vorsehe. Zudem enthalte der zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1 geschlossene Anstellungsvertrag typische Regelungen eines Arbeitsvertrages wie beispielsweise einen unabhängig vom wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens bestehenden Anspruch auf eine feste monatliche Vergütung und eine Weihnachtsgratifikation, Ansprüche auf Reisekostenerstattung und einen PKW sowie Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall und Urlaub. Die Gewährung einer gewinnabhängigen Tantieme als solche genüge nach der Rechtsprechung des BSG nicht, um eine abhängige Beschäftigung auszuschließen (BSG, Urteil vom 29.08.2012 – B 12 KR 25/10 R – juris Rn. 28 m.w.N.). Zwar stelle die Gewährung einer Tantieme einen Anknüpfungspunkt für ein mögliches wirtschaftliches Eigeninteresse des für ein Unternehmen Tätigen dar. Da jedoch die Gewährung einer Tantieme auch an Arbeitnehmer nicht ungewöhnlich sei, sei deren Gewicht für die Abgrenzung zwischen abhängiger Beschäftigung und selbständiger Tätigkeit eher gering (BSG, a.a.O.). Die Alleinvertretungsbefugnis des Beigeladenen zu 1 und seine Befreiung von den Beschränkungen des § 181 BGB veranlassten ebenfalls keine andere Bewertung, weil allein weitreichende Entscheidungsbefugnisse eines leitenden Angestellten, der in funktionsgerecht dienender Teilhabe am Arbeitsprozess einem verfeinerten Weisungsrecht unterliegt, diesen nicht schon zu einem Selbständigen machten (BSG, Urteil vom 11.11.2015 – B 12 R 2/14 R – juris Rn. 24 m.w.N.). Das am 18.11.1986 notariell beurkundete, unwiderrufliche und unbefristete Angebot der Ehefrau des Beigeladenen zu 1 auf Abtretung ihres Geschäftsanteils von 40.000 DM zum jeweiligen Buchwert sei vom Beigeladenen zu 1 nicht angenommen worden, zumal eine Veräußerung von Geschäftsanteilen gemäß § 6 des Gesellschaftsvertrages der Einwilligung der Gesellschafterversammlung bedurft hätte. Auch der zwischen der Klägerin und dem Beigeladenen zu 1 geschlossene Stimmrechtsbindungsvertrag vom 15.12.1992 sei unbeachtlich. Die für die Annahme einer selbständigen Tätigkeit notwendige Rechtsmacht, die den Gesellschafter-Geschäftsführer in die Lage versetzt, die Geschicke der Gesellschaft bestimmen oder ihm nicht genehme Weisungen der Gesellschafterversammlung verhindern zu können, müsse gesellschaftsrechtlich eingeräumt sein. Stimmbindungsabreden oder Veto-Rechte, die – wie hier – außerhalb des Gesellschaftsvertrages nur schuldrechtlich eingeräumt und damit zumindest außerordentlich kündbar sind, seien unabhängig von ihrer gesellschaftsrechtlichen Zulässigkeit nicht zu berücksichtigen. Sie seien nicht geeignet, die sich aus dem Gesellschaftsvertrag ergebenden Rechtsmachtverhältnisse mit sozialversicherungsrechtlicher Wirkung zu verschieben (BSG, Urteil vom 19.09.2019 – B 12 KR 21/19 R –, juris Rn. 18 m.w.N.).

Die Klägerin könne auch keinen Vertrauensschutz nach Art. 20 Abs. 3 GG aufgrund einer Änderung der Rechtsprechung beanspruchen. Eine verfassungsrechtlich relevante „Abkehr“ von früheren Rechtsprechungsmaßstäben zur Versicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern in Familiengesellschaften gebe es nicht (BSG, a.a.O., Rn. 21). In Bezug auf das Mitgliedschafts- und Beitragsrecht der Sozialversicherung habe keine gefestigte und langjährige Rechtsprechung bestanden, nach der die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 als Geschäftsführer selbständig zu beurteilen gewesen wäre. Die Kopf-und-Seele-Rechtsprechung sei stets eine Erscheinungsform der höchstrichterlichen einzelfallbezogenen Auslegung und Anwendung des Typusbegriffs der Beschäftigung gewesen (BSG, a.a.O., Rn. 25). Das BSG habe zur Konkretisierung des Begriffs der abhängigen Beschäftigung im Laufe der Zeit zahlreiche Indizien entwickelt, die für oder gegen eine abhängige Beschäftigung sprechen. Hierzu zähle auch die mögliche Bedeutung familienhafter Rücksichtnahme, wobei die Kopf-und-Seele-Rechtsprechung sich aus einer Reihe von Einzelaspekten zusammengesetzt habe, die in die Gesamtabwägung einbezogen worden seien. Erforderlich seien über das Vorliegen familiärer Verbindungen hinaus stets weitere tatsächliche Kriterien gewesen. Einen Leit- oder Obersatz, nach dem bei familiären Bindungen regelmäßig keine Beschäftigung des Geschäftsführers vorgelegen hätte, habe das BSG nie gebildet (BSG, Urteil vom 19.09.2019 – B 12 KR 21/19 R – juris Rn. 25). Die für das Leistungsrecht der Arbeitsförderung und das Recht der Unfallversicherung von den dafür zuständigen Senaten des BSG entwickelte Kopf-und-Seele-Rechtsprechung sei für die Beurteilung des sozialversicherungsrechtlichen Status nach § 7 Abs. 1 SGB IV nicht heranzuziehen (BSG, Urteil vom 29.07.2015 – B 12 KR 23/13 R – juris Rn. 29). Soweit der für das Versicherungs- und Beitragsrecht zuständige Senat des BSG in der Vergangenheit vereinzelt hierauf zurückgegriffen habe, halte er daran nicht mehr fest (BSG, a.a.O.; BSG, Urteil vom 11.11.2015 – B 12 R 2/14 R – juris Rn. 42). Maßgeblich sei eine am Vorliegen gesellschaftsvertraglicher Rechtsmacht des Gesellschafter-Geschäftsführers orientierte Rechtsanwendung.

Die Klägerin könne sich ferner nicht mit Erfolg auf das Ergebnis der vorangegangenen Betriebsprüfung durch die Beklagte berufen. Der Bescheid vom 21.12.2011 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 04.05.2012 betreffe lediglich die von der Ehefrau des Beigeladenen zu 1 verrichtete Tätigkeit für die Klägerin. Eine materielle Bindungswirkung komme Betriebsprüfungsbescheiden nur insoweit zu, als Versicherungs- und/oder Beitragspflicht (und Beitragshöhe) im Rahmen der Prüfung personenbezogen für bestimmte Zeiträume durch gesonderten Verwaltungsakt festgestellt wurden (BSG, Urteil vom 29.07.2003 – B 12 AL 1/02 R – juris Rn. 27). Bei Erlass eines personenbezogenen Bescheids werde nicht zugleich (spiegelbildlich bzw. mittelbar) eine Regelung darüber getroffen, dass „im Übrigen“, d.h. insbesondere hinsichtlich aller sonstigen Beschäftigten, die von der personenbezogenen Beitragsfestsetzung nicht betroffen sind, im Prüfungszeitraum „alles in Ordnung“ sei, dass also hinsichtlich dieser z.B. keine Versicherungspflicht bzw. kein Beitragsanspruch besteht (BSG, Urteil vom 18.10.2022 – B 12 R 7/20 R – juris Rn. 16 m.w.N.). Im Übrigen hätte die Klägerin die Möglichkeit gehabt, die Frage der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1 in einem Statusfeststellungsverfahren nach §§ 7a, 28h SGB IV zu klären und damit diesbezüglich frühzeitig eine verbindliche Entscheidung und Sicherheit zu erhalten. Von dieser Möglichkeit habe die Klägerin jedoch keinen Gebrauch gemacht. Es sei widersprüchlich, von den gesetzlichen Möglichkeiten nicht Gebrauch zu machen und sich nachträglich auf Vertrauensschutz berufen zu wollen (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.02.2019 – L 4 BA 313/18 – juris Rn. 88; LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 27.06.2018 – L 8 R 884/17 – juris Rn. 195).

Die von der Beklagten festgesetzte Beitragsforderung sei nicht verjährt. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjährten in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind (§ 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Ein solch vorsätzliches Verhalten liege nach ständiger Rechtsprechung des BSG vor, wenn der Schuldner die Beiträge mit zumindest bedingtem Vorsatz vorenthalten habe, er also seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen habe (BSG, Urteil vom 18.10.2022 – B 12 R 7/20 R – juris Rn. 25 m.w.N.). Dazu müsse das Vorliegen des inneren (subjektiven) Tatbestandes festgestellt, d.h. anhand der konkreten Umstände des Einzelfalles und bezogen auf den betreffenden Beitragsschuldner individuell ermittelt werden (BSG, Urteil vom 30.03.2000 – B 12 KR 14/99 – juris Rn. 24). Zwar seien allgemein geltende Aussagen zum Vorliegen des subjektiven Tatbestandes ausgeschlossen. Jedoch werde Vorsatz regelmäßig vorliegen, wenn für das gesamte typische Arbeitsentgelt überhaupt keine Beiträge entrichtet werden (BSG, a.a.O., Rn. 25). Weiter sei zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber bei Unklarheiten hinsichtlich der versicherungs- und beitragsrechtlichen Beurteilung einer Erwerbstätigkeit die Möglichkeit habe, darüber im Einzugsstellenverfahren (§ 28h SGB IV) oder Anfrageverfahren (§ 7a SGB IV) Gewissheit durch Herbeiführung der Entscheidung einer fachkundigen Stelle zu erlangen; der Verzicht auf einen entsprechenden Antrag könne auf bedingten Vorsatz schließen lassen (BSG, Urteil vom 09.11.2011 – B 12 R 18/09 R – juris Rn. 33).

Nach diesen Maßstäben sei davon auszugehen, dass die Klägerin ihre Beitragspflicht mindestens für möglich gehalten und die Nichtabführung von Beiträgen zumindest billigend in Kauf genommen habe. Der Beigeladene zu 1 habe bereits aufgrund des Bescheides der AOK S1 vom 04.02.1987 von der Möglichkeit der Versicherungspflicht von Gesellschafter-Geschäftsführern Kenntnis erlangt. Angesichts dessen stelle der Verzicht auf die vom Gesetzgeber zur Verfügung gestellte Möglichkeit, eine Klärung des Status nach §§ 7a, 28h Abs. 2 SGB IV herbeizuführen, ein gewichtiges Indiz für das Vorliegen von bedingtem Vorsatz dar. Es sei nicht mehr aufklärbar, warum es im Jahr 1989 zu einer Umdeutung der Beiträge gekommen sei. Es müsse daher davon ausgegangen werden, dass der Bescheid der AOK S1 weiterhin Geltung beanspruchte und die Klägerin entgegen der Feststellung in diesem Bescheid seit dem hier streitigen Zeitpunkt des 01.01.2001 trotz Kenntnis von der Möglichkeit der Beitragspflicht keine Beiträge abgeführt habe.

Schließlich habe die Beklagte zu Recht Säumniszuschläge festgesetzt. Werde eine Beitragsforderung – wie hier – durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, sei ein darauf entfallender Säumniszuschlag (nur dann) nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft mache, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte (§ 24 Abs. 2 SGB IV). Diese Ausnahmeregelung setze ebenfalls voraus, dass dem Arbeitgeber nicht wenigstens bedingter Vorsatz vorzuwerfen sei, wobei im Falle einer juristischen Person des Privatrechts wiederum die Kenntnis zumindest eines Mitglieds des vertretungsberechtigten Organs von der Zahlungspflicht ausreiche (BSG, Urteil vom 18.10.2022 – B 12 R 7/20 R – juris Rn. 28). Da hier die Klägerin Beiträge mit zumindest bedingtem Vorsatz vorenthalten habe, komme eine unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht nicht in Betracht. Die Höhe der Säumniszuschläge sei von der Klägerin nicht angegriffen worden und auch nicht zu beanstanden. Das Urteil des SG ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 06.03.2024 zugestellt worden.

Am 04.04.2024 hat der Prozessbevollmächtigte der Klägerin beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg Berufung eingelegt und beantragt, das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.02.2024 sowie der Bescheid vom 08.01.2020 in der Fassung des Bescheids vom 27.08.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2021 aufzuheben. Zur Begründung wird ausgeführt, dass die von der Beklagten geltend gemachten Beitragsansprüche nicht nach Ablauf von 30 Jahren, sondern nach Ablauf von 4 Jahren verjährt seien. Die von der Beklagten getroffenen Feststellungen in den streitgegenständlichen Bescheiden seien unzureichend, um von bedingtem Vorsatz auszugehen. Der Bescheid der AOK S1 vom 04.02.1987 lasse nicht ohne Weiteres auf eine positive Kenntnis des Geschäftsführers von der Beitragspflicht schließen. Zur Beurteilung der Frage, ob ein Minderheitsgesellschafter-Geschäftsführer selbständig tätig oder abhängig beschäftigt sei, habe das BSG unmissverständlich erst durch Urteile vom 15.11.2015 auf das Bestehen von Rechtsmacht abgestellt und erst durch Urteil vom 14.03.2018 – nach Ablauf des streitigen Zeitraums – deutlich gemacht, dass sich eine Sperrminorität auf die gesamte Unternehmenstätigkeit beziehen müsse, nicht auf einzelne Bereiche beschränkt sein dürfe, und dass diese Sperrminorität im Gesellschaftsvertrag enthalten sein müsse. Zudem sei zu berücksichtigen, dass 1989 die bis dahin für den Beigeladenen zu 1 gezahlten Arbeitgeberanteile an die Klägerin zurückerstattet und die vom Beigeladenen zu 1 gezahlten Arbeitnehmeranteile in freiwillige Beträge umgewandelt worden seien. Auch wenn sich die Klägerin nicht auf das Ergebnis der vorangegangenen Betriebsprüfung berufen könne, müsse in der Gesamtschau berücksichtigt werden, dass sich die Klägerin unter anderem auf die Auskünfte der Krankenkassen, vor allem der Techniker Krankenkasse, habe verlassen können. Es fehlten Anhaltspunkte dafür, dass der Geschäftsführer die Verletzung einer möglichen Beitragspflicht billigend und damit willentlich in Kauf genommen habe. Der Beigeladene zu 1 sei rechtswidrig davon überzeugt gewesen, sozialversicherungsfrei zu sein. Da kein bedingter Vorsatz vorliege, sei auch die Festsetzung von Säumniszuschlägen rechtswidrig.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Stuttgart vom 27.02.2024 sowie den Bescheid der Beklagten vom 08.01.2020 in der Fassung des Änderungsbescheids vom 27.08.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2021 aufzuheben, soweit Beiträge und Umlagen für die Zeit vor dem 01.03.2018 und insgesamt soweit Säumniszuschläge geltend gemacht werden.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend. Die Klägerin habe Beiträge bedingt vorsätzlich vorenthalten. Mit Zugang des Bescheids der AOK S1 vom 04.02.1987 hätten der Beigeladene zu 1 und damit auch die Klägerin von der Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1 Kenntnis erlangt. Auf die Kenntnis der Rechtsprechung des BSG komme es deshalb nicht an. Es liege kein Verwaltungsakt vor, mit dem die Versicherungsfreiheit des Beigeladenen zu 1 festgestellt worden sei. Die Klägerin und der Beigeladene zu 1 hätten jederzeit Rechtssicherheit durch ein Statusverfahren bei der Beklagten oder der Einzugsstelle herbeiführen können.

Der Beigeladene zu 1 und die Beigeladene zu 2 haben erklärt, keinen Antrag zu stellen. Die Beigeladene zu 3 hat keinen Antrag gestellt.

Der Berichterstatter hat den Rechtsstreit mit den Beteiligten am 24.01.2025 nichtöffentlich erörtert. Die von ihm vorgeschlagene vergleichsweise Einigung mit Blick auf die Annahme bedingten Vorsatzes erst ab Bekanntwerden der Urteile des BSG vom 29.08.2012 hat die Beklagte abgelehnt.
In der mündlichen Verhandlung am 16.05.2025 hat der Kläger mitgeteilt, dass er die Abwicklung des Schriftverkehrs dem Steuerberater gegeben habe. Er sei davon ausgegangen, dass alles in Ordnung sei. Einen Rechtsanwalt habe er erst hinzugezogen, nachdem die Forderung geltend gemacht wurde.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe


Die nach §§ 143, 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist gemäß § 143 SGG statthaft und zulässig.

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist das Begehren der Klägerin nach Aufhebung der Verwaltungsakte, mit denen sie zur Zahlung von Sozialversicherungsbeiträgen, Umlagen und Säumniszuschlägen in Höhe von insgesamt 370.023,15 € verpflichtet worden ist. Streitbefangen ist der Bescheid der Beklagten vom 08.01.2020, soweit damit die Höhe der Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung für den Zeitraum vom 01.01.2001 bis 28.02.2018, die Höhe der Umlage UI für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 28.02.2018, die Höhe der Umlage U2 für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 28.02.2018 und die im Zeitraum vom 01.02.2001 bis 30.09.2019 entstandenen Säumniszuschläge festgesetzt worden sind. Streitbefangen sind ferner gemäß § 86 SGG der Bescheid vom 27.08.2020, mit dem die Beklagte ihren Bescheid vom 08.01.2020 teilweise zurückgenommen und die für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 28.02.2018 festgesetzte Umlage U2 um 2,14 € erhöht hat, sowie der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 29.11.2021 (§ 95 SGG). Soweit die Beklagte mit Bescheid vom 08.01.2020 zudem gemäß § 28p Abs. 1 Satz 5 SGB IV die Versicherungspflicht des Beigeladenen zu 1 in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung festgestellt hat, ist die Klägerin hiergegen zuletzt nicht mehr vorgegangen. Das Begehren der Klägerin nach Kassation des Bescheids der Beklagten vom 08.01.2020 in der Fassung des Bescheids vom 27.08.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2021, soweit damit Beiträge und Umlagen für die Zeit bis zum 28.02.2018 festgesetzt und soweit Säumniszuschläge erhoben worden sind, kann mit der Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 SGG) erreicht werden. Maßgebender Zeitpunkt zur Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist hier der Zeitpunkt des Erlasses des Widerspruchsbescheids (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG, Beschluss vom 04.04.2018 – B 12 R 38/17 B – juris Rn. 38 m.w.N.), hier also der 29.11.2021.

Der Geschäftsführer der Klägerin und die Bundesagentur für Arbeit sind durch Beschluss des SG vom 27.12.2022, die Einzugsstelle durch Beschluss des SG vom 20.07.2023 beigeladen worden. Der für den Beigeladenen zu 1 zuständige Träger der gesetzlichen Rentenversicherung ist die Beklagte selbst.

Die Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Der Bescheid vom 08.01.2020 in der Fassung des Bescheids vom 27.08.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 29.11.2021 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten, soweit Beiträge und Umlagen für die Zeit vom 01.01.2001 bis zum 31.12.2014 und soweit Säumniszuschläge festgesetzt worden sind. Im Übrigen ist die Berufung der Klägerin gegen das klageabweisende Urteil des SG vom 27.02.2024 unbegründet.

Die Festsetzung der Höhe von Beiträgen und Umlagen sowie die Erhebung von Säumniszuschlägen ist formell rechtmäßig.

Die Beklagte ist nach § 28p Abs. 1 SGB IV in der seit dem 01.01.2013 geltenden Normfassung des LSV-Neuordnungsgesetzes vom 12.04.2012 (BGBl. I, S. 579, 595) für die Nachforderung von Gesamtsozialversicherungsbeiträgen zuständig. Danach prüfen die Träger der Rentenversicherung bei den Arbeitgebern, ob diese ihre Meldepflichten und ihre sonstigen Pflichten im Zusammenhang mit dem Gesamtsozialversicherungsbeitrag ordnungsgemäß erfüllen; sie prüfen insbesondere die Richtigkeit der Beitragszahlungen und der Meldungen alle vier Jahre (§ 28p Abs. 1 Satz 1 SGB IV). Die Prüfung umfasst auch die Lohnunterlagen der Beschäftigten, für die Beiträge nicht gezahlt wurden (§ 28p Abs. 1 Satz 4 SGB IV). Gemäß § 28p Abs. 1 Satz 5 Halbsatz SGB IV erlassen die Träger der Rentenversicherung im Rahmen der Prüfung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern. Die Beklagte war als Rentenversicherungsträgerin auch für die Überwachung des Umlageverfahrens nach dem Aufwendungsausgleichsgesetz (AAG) und zum Erlass eines entsprechenden Verwaltungsakts zur Festsetzung der Umlage zuständig, weil § 10 AAG die Beiträge zum Ausgleichsverfahren insoweit den Beiträgen zur gesetzlichen Krankenversicherung gleichstellt (BSG, Urteil vom 27.04.2021 – B 12 R 18/19 R – juris Rn. 12). Gleiches gilt für die Umlage für das Insolvenzgeld, weil § 359 Abs. 1 Satz 2 SGB III die entsprechende Anwendung der für den Gesamtsozialversicherungsbeitrag geltenden Vorschriften des SGB IV auf die Umlage für das Insolvenzgeld anordnet (vgl. BSG, Urteil vom 13.12.2022 – B 12 R 3/21 R – juris Rn. 11).

Die Klägerin ist vor Erlass des Bescheids vom 08.01.2020 angehört worden. Die Beklagte hat der Klägerin mit Anhörungsschreiben vom 09.10.2019 die nach ihrer Rechtsauffassung entscheidungserheblichen Umstände mitgeteilt und der Klägerin Gelegenheit gegeben, hierzu und insbesondere zur beabsichtigten Nachforderung von insgesamt 370.021,01 € innerhalb angemessener Frist Stellung zu nehmen. Der Bescheid vom 27.08.2020, mit dem die Beklagte eine um 2,14 € höhere Umlage U2 für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 28.02.2018 festgesetzt hat, ist nicht nach § 42 Satz 2 SGB X mangels der gemäß § 24 Abs. 1 SGB X gebotenen Anhörung aufzuheben. Zwar hat die Beklagte der Klägerin vor Erlass des Bescheids vom 27.08.2020 keine Gelegenheit gegeben, sich zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern. Dieser Verfahrensfehler ist hier aber nach § 41 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 SGB X durch Nachholung der unterbliebenen Anhörung im Widerspruchsverfahren geheilt worden (vgl. BSG, Urteil vom 19.10.2011 – B 13 R 9/11 R – juris Rn. 14). Der Bescheid vom 27.08.2020 ist hinreichend begründet worden (§ 35 Abs. 1 Satz 2 SGB X), da die Klägerin darin alle entscheidungserheblichen Tatsachen für die teilweise Rücknahme des Bescheids vom 08.01.2020 und die Festsetzung der um 2,14 € höheren Umlage U2 für den Zeitraum vom 01.01.2018 bis 28.02.2018 als solche erkennen und sich zu ihnen sachgerecht äußern konnte (vgl. BSG, Urteil vom 03.12.2024 – B 2 U 13/22 R – juris Rn. 23). Dem Bescheid vom 27.08.2020 war zu entnehmen, dass die für den Beigeladenen zu 1 zuständige Einzugsstelle nicht, wie im Bescheid vom 08.01.2020 angenommen, die AOK B1, sondern bereits seit dem 01.04.1967 die Techniker Krankenkasse ist und deshalb der zur Bemessung der Umlage U2 im Jahr 2018 maßgebliche kassenindividuelle Umlagesatz (vgl. § 9 Abs. 1 Nr. 1 AAG) nicht 0,44%, sondern 0,49% beträgt. Die Klägerin hatte somit im Rahmen des Widerspruchsverfahrens Gelegenheit, sich zu den entscheidungserheblichen Tatsachen zu äußern. Davon hat sie mit Schreiben ihres Prozessbevollmächtigten vom 08.09.2020 auch Gebrauch gemacht.

Die Festsetzung der Höhe von Beiträgen und Umlagen für die Zeit bis zum 31.12.2014 ist materiell rechtswidrig und nur für den Zeitraum vom 01.01.2015 bis 28.02.2018 materiell rechtmäßig. Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist insgesamt materiell rechtswidrig.

Das SG hat in seinem Urteil vom 27.02.2024 die rechtlichen Maßstäbe zur Beurteilung der Versicherungspflicht von GmbH-Geschäftsführern, die zugleich Gesellschafter dieser GmbH sind, zutreffend und umfassend dargestellt sowie ausführlich und überzeugend begründet, dass in Anwendung dieser Maßstäbe der Beigeladene zu 1 in seiner Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin bis 28.02.2018 abhängig beschäftigt und deshalb versicherungspflichtig in der gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung gewesen ist. Der Senat schließt sich deshalb insoweit nach eigener Prüfung dem zutreffenden, umfassend und ausführlich begründeten sowie überzeugenden Urteil des SG an und sieht gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab.

Zu Unrecht hat die Beklagte Beiträge für den Zeitraum vom 01.01.2001 bis 31.12.2014 und die Umlage UI für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 31.12.2014 festgesetzt. Denn die Klägerin ist berechtigt, die Leistung von Beiträgen zur gesetzlichen Rentenversicherung und nach dem Recht der Arbeitsförderung für den Zeitraum vom 01.01.2001 bis 31.12.2014 sowie die Leistung der Umlage UI für den Zeitraum vom 01.01.2009 bis 31.12.2014 gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 SGB IV i.V.m. § 214 Abs. 1 BGB zu verweigern, weil die Ansprüche auf Beiträge und Umlagen für die Zeit bis 31.12.2014 verjährt sind und die Klägerin mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 23.04.2020 (Widerspruchsbegründung) die Einrede der Verjährung erhoben hat.

Gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren gemäß § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahrs, in dem sie fällig geworden sind. Dies gilt gemäß § 359 Abs. 1 Satz 2 SGB III auch für die Umlage UI (s.o.).

Die hier maßgebliche Verjährungsfrist beträgt 4 Jahre. Die Voraussetzungen der 30-jährigen Verjährungsfrist liegen nicht vor, weil der Senat nicht davon überzeugt ist, dass die Klägerin die Beiträge und Umlagen vorsätzlich vorenthalten hat.

Für Vorsatz reicht es aus, wenn der Schuldner die Beiträge mit bedingtem Vorsatz vorenthalten hat, er also seine Beitragspflicht für möglich gehalten, die Nichtabführung der Beiträge aber billigend in Kauf genommen hat (BSG, Urteil vom 30.03.2000 – B 12 KR 14/99 R – juris Rn. 23). Fahrlässigkeit, auch in den Erscheinungsformen der bewussten oder der groben Fahrlässigkeit, genügt dagegen nicht (BSG, a.a.O.). Die Feststellungslast (objektive Beweislast) für das Vorliegen von Vorsatz trägt der Versicherungsträger, der sich auf die für ihn günstige lange Verjährungsfrist beruft (BSG, a.a.O., Rn. 24).

In Anwendung dieser Maßstäbe ist der Senat nicht davon überzeugt, dass die Klägerin die Nichtabführung der seit dem 01.01.2001 entstandenen Beiträge billigend in Kauf genommen hat. Zwar hat die AOK S1 der Klägerin mit Schreiben vom 04.02.1987 mitgeteilt, dass der Beigeladene zu 1 in seiner seit dem 01.01.1987 verrichteten Tätigkeit als Geschäftsführer der Klägerin aufgrund seiner Gesellschaftsanteile in Höhe von lediglich 20 Prozent des Stammkapitals in einem abhängigen Beschäftigungsverhältnis stehe und deshalb versicherungspflichtig in der Renten- und Arbeitslosenversicherung sei. Das an die Klägerin zu Händen ihrer Geschäftsführung adressierte Schreiben der AOK S1 vom 04.02.1987 ist der Klägerin auch zugegangen, zumal es im hier interessierenden Betriebsprüfungsverfahren aus der Sphäre der Klägerin heraus der Beklagten vorgelegt worden ist. Der Klägerin ist gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 GmbHG i.V.m. § 166 Abs. 1 BGB die Kenntnis ihres Geschäftsführers, des Beigeladenen zu 1, zuzurechnen.

Allerdings sind die Klägerin und der Beigeladene zu 1 im Zeitraum seit Zugang des Schreibens der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 06.04.1995 bis zum Zugang des Anhörungsschreibens der Beklagten vom 09.10.2019 davon ausgegangen, dass keine Pflicht zur Zahlung von Beiträgen für eine versicherungspflichtige Tätigkeit des Beigeladenen zur 1 mehr bestand. Dies stellt der Senat mit den überzeugenden und glaubhaften Angaben des Beigeladenen zu 1 in der mündlichen Verhandlung des Senats am 16.05.2025 sowie mit den Schreiben der Techniker Krankenkasse vom 03.03.1994 und der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 06.04.1995 fest. Mit Schreiben vom 06.04.1995 hat die Rechtsvorgängerin der Beklagten dem Beigeladenen zu 1 mitgeteilt, dass dieser berechtigt sei, freiwillige Beiträge zur Rentenversicherung der Angestellten zu zahlen. Unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB VI, wonach sich Personen, die nicht versicherungspflichtig sind, freiwillig versichern können, sind der Beigeladene zu 1 und die Klägerin aufgrund des Schreibens vom 06.04.1995 nachvollziehbar davon ausgegangen, dass nach Auffassung des Trägers der gesetzlichen Rentenversicherung keine Versicherungspflicht für die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 mehr besteht. Bereits zuvor hat die für den Beigeladenen zu 1 zuständige Einzugsstelle der Techniker Krankenkasse diesem mit Schreiben vom 03.03.1994 mitgeteilt, dass für den Zeitraum vom 01.01.1989 bis 31.01.1994 „irrtümlich Pflichtbeiträge zur Rentenversicherung“ gezahlt worden sind und deshalb die Arbeitgeberanteile an die Klägerin und die Arbeitnehmeranteile auf das Konto des Beigeladenen zu 1 zurückerstattet werden. Anders als die Beklagte meint, implizieren diese Schreiben der zuständigen Einzugsstelle, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 als Geschäftsführer der Klägerin keine Versicherungspflicht (in der gesetzlichen Rentenversicherung) begründet. Die objektiven, äußerlich erkenn- und nachweisbaren Umstände in den Schreiben der Techniker Krankenkasse vom 03.03.1994 und der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 06.04.1995 rechtfertigen zur Überzeugung des Senats den Rückschluss der Klägerin darauf, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 als Geschäftsführer seit dem 01.01.1989 keine Versicherungspflicht und deshalb auch keine Beitragspflicht auslöst. Die Beklagte hat keine Umstände vorgetragen, die geeignet sind, die vom Beigeladenen zu 1 anhand der objektiven Umstände im April 1995 gewonnene – und damit auch der Klägerin zuzurechnende (s.o.) – Überzeugung, sozialversicherungsfrei zu sein, zu entkräften. Der an die Klägerin gerichtete Bescheid vom 04.05.2012 enthält auch nach dem eigenen Vortrag der Beklagten keine Aussage über den versicherungsrechtlichen Status des Beigeladenen zu 1.

Die Festsetzung von Beiträgen und Umlagen für die Zeit bis zum 31.12.2014 ist aufzuheben, da die Ansprüche hierauf verjährt sind. Die Beiträge und Umlagen für das im Dezember 2014 erzielte Arbeitsentgelt des Beigeladenen zu 1 sind gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB IV spätestens am drittletzten Bankarbeitstag des Monats Dezember 2014 fällig geworden, sodass die 4-jährige Regelverjährungsfrist für alle im Jahr 2014 fällig gewordenen Ansprüche auf Beiträge und Umlagen gemäß § 25 Abs. 1 Satz 1 SGB IV mit Ablauf des 31.12.2014 beginnt und gemäß § 26 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 31.12.2018 endet. Demgegenüber beginnt die 4-jährige Verjährungsfrist für die im Januar 2015 fällig gewordenen Ansprüche auf Beiträge und Umlagen erst mit Ablauf des 31.12.2015, ist aber nicht am 31.12.2019 (24 Uhr) abgelaufen, da gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 SGB IV i.V.m. § 209 BGB der Zeitraum, während dessen die Verjährung gehemmt ist, in die Verjährungsfrist nicht eingerechnet wird. Im vorliegenden Fall ist die Verjährung zunächst gemäß § 25 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 1, Satz 4 SGB IV für die Dauer der Betriebsprüfung vom 28.03.2019 (Beginn der Betriebsprüfung) bis zur Bekanntgabe des Bescheids vom 08.01.2020 und unmittelbar danach gemäß § 52 Abs. 1 SGB X vom Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheids vom 08.01.2020 bis zum Eintritt seiner Unanfechtbarkeit mit rechtskräftigem Abschluss dieses Berufungsverfahrens gehemmt.

Die Erhebung von Säumniszuschlägen ist insgesamt aufzuheben.

Gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 SGB IV ist für Beiträge und Beitragsvorschüsse, die der Zahlungspflichtige nicht bis zum Ablauf des Fälligkeitstages gezahlt hat, für jeden angefangenen Monat der Säumnis ein Säumniszuschlag von 1 Prozent des rückständigen, auf 50 € nach unten abgerundeten Betrages zu zahlen. Wird eine Beitragsforderung – wie hier – durch Bescheid mit Wirkung für die Vergangenheit festgestellt, ist ein darauf entfallender Säumniszuschlag gemäß § 24 Abs. 2 SGB IV (nur dann) nicht zu erheben, soweit der Beitragsschuldner glaubhaft macht, dass er unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Auch diese Ausnahmeregelung des § 24 Abs. 2 SGB IV setzt ebenso wie § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV voraus, dass dem Arbeitgeber nicht wenigstens bedingter Vorsatz vorzuwerfen ist, wobei im Falle einer juristischen Person des Privatrechts wiederum die Kenntnis zumindest eines Mitglieds des vertretungsberechtigten Organs von der Zahlungspflicht ausreicht (BSG, Urteil vom 18.10.2022 – B 12 R 7/20 R – juris Rn. 28; BSG, Urteil vom 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R – juris Rn. 13 ff.). Für die unverschuldete Unkenntnis von der Zahlungspflicht trägt die Klägerin die objektive Beweislast. § 24 Abs. 2 SGB IV ist als Ausnahme von der Erhebung von Säumniszuschlägen ausgestaltet, so dass derjenige beweispflichtig ist, der sich auf die rechtsbegründenden Tatsachen der Ausnahme beruft (BSG, Urteil vom 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R – juris Rn. 25; BSG, Urteil vom 02.12.2008 – B 2 U 26/06 R – juris Rn. 30 f). Dabei genügt der abgesenkte Beweisgrad der Glaubhaftmachung (BSG, Urteil vom 12.12.2018 – B 12 R 15/18 R – juris Rn. 25). Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 SGB X ist eine Tatsache dann als glaubhaft anzusehen, wenn ihr Vorliegen nach dem Ergebnis der Ermittlungen, die sich auf sämtliche erreichbaren Beweismittel erstrecken sollen, überwiegend wahrscheinlich ist.

In Anwendung dieser Maßstäbe hat die Klägerin glaubhaft gemacht, dass sie unverschuldet keine Kenntnis von der Zahlungspflicht hatte. Es erscheint dem Senat überwiegend wahrscheinlich, dass der Beigeladene zu 1 und damit auch die Klägerin aufgrund der Schreiben der Techniker Krankenkasse vom 03.03.1994 und der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 06.04.1995 davon überzeugt gewesen ist, dass die Tätigkeit des Beigeladenen zu 1 als Geschäftsführer seit dem 01.01.1989 keine Versicherungspflicht und deshalb auch keine Pflicht zur Zahlung von Beiträgen begründet, und deshalb keinen Anlass gesehen hat, eine Klärung des Status des Beigeladenen zu 1 nach §§ 7a, 28h Abs. 2 SGB IV herbeizuführen. Dies stellt der Senat mit den überzeugenden und glaubhaften Angaben des Beigeladenen zu 1 in der mündlichen Verhandlung des Senats am 16.05.2025 sowie mit den Schreiben der Techniker Krankenkasse vom 03.03.1994 und der Rechtsvorgängerin der Beklagten vom 06.04.1995 fest. Es liegt auch sonst kein Anhaltspunkt dafür vor, dass die Klägerin vor Erhalt des Anhörungsschreibens vom 09.10.2019 Kenntnis von der Rechtsprechung des BSG erlangt hat, das durch Urteile vom 11.11.2015 (Az.: B 12 KR 10/14 R, juris Rn. 32; B 12 KR 13/14 R, juris Rn. 25) die Maßgeblichkeit gesellschaftsvertraglich begründeter Rechtsmachtverhältnisse für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung des Gesamtbildes der Tätigkeit konturiert und durch Urteil vom 14.03.2018 (Az. B 12 KR 13/17 R, juris Rn. 22) bestätigt hat. Eine etwaige grob fahrlässige Unkenntnis der Klägerin schließt die Glaubhaftmachung fehlenden bedingten Vorsatzes nicht aus.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Beklagten werden die Kosten des Verfahrens ganz auferlegt, da die Klägerin mit Rücksicht auf die streitgegenständliche Nachforderung von 370.023,15 € nur zu einem geringen Teil – in Höhe von 8.976,18 €, d.h. der Summe der für den Zeitraum vom 01.01.2015 bis 28.02.2018 festgesetzten Beiträge und Umlagen – unterlegen ist. Die Beigeladenen haben im Berufungsverfahren keine Anträge gestellt; es entspricht daher der Billigkeit, ihre Kosten nicht der Klägerin aufzulegen (§ 162 Abs. 3 i.V.m. § 154 Abs. 3 VwGO).

Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf nach § 197a Abs. 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG i.V.m. § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 3 Satz 1 GKG, entspricht der streitbefangenen Nachforderung von 370.023,15 € und kann gemäß § 177 SGG nicht mit der Beschwerde an das Bundessozialgericht angefochten werden (zum Beschlusscharakter einer Streitwertfestsetzung im Urteil vgl. LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 10.11.2020 – L 4 BA 1107/20 B – juris Rn. 2; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 19.03.2009 – L 3 SF 162/06 – juris Rn. 2 m.w.N.; Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 197a Rn. 5 m.w.N.).  




 

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