Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 08.11.2022 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Streitig ist die Weitergewährung von Krankengeld über den 06.04.2021 hinaus.
Die1968 geborene Klägerin ist bei der Beklagten gesetzlich krankenversichert. Erstmals am 29.06.2015 erfolgte eine Krankschreibung durch Z1 wegen Kreuzschmerz links (M54.5, vgl. Bl. 47 Verwaltungsakte). Vom 12.02.2019 bis 06.04.2019 (54 Tage) war die Klägerin wegen der Diagnosen M25.50 (Gelenkschmerz: Mehrere Lokalisationen) sowie M54.4 (Lumboischialgie) durch ihren behandelnden K1 krankgeschrieben, eine weitere Krankschreibung erfolgte vom 20.11.2019 bis 14.02.2020 (87 Tage) wegen M54.3 (Ischialgie) und M51.1 (Lumbale und sonstige Bandscheibenschäden mit Radikulopathie), ab 04.12.2019 trat noch eine akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet, hinzu (J06.9 G).
Ab dem 15.02.2020 nahm die Klägerin eine Tätigkeit als Kellnerin und Serviererin in einer Reha-Klinik auf (vgl. Bl. 22, 45 Verwaltungsakte, Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 29.02.2020, vgl. Bl. 52 Verwaltungsakte). Wenige Tage später attestierte K1 mit Erstbescheinigung vom 27.02.2020 eine seit dem 26.02.2020 bestehende Arbeitsunfähigkeit wegen Lumboischialgie (M 54.4 G, Bl. 71 Verwaltungsakte). Bis zum 25.03.2020 verblieb es in der AU-Bescheinigung bei dieser Diagnose (Bescheinigung vom 11.03.2020), ab dem 25.03.2020 trat als weitere Diagnose M51.1G hinzu (Bescheinigung vom 25.03.2020). In der AU-Bescheinigung vom 08.05.2020 wurde zusätzlich zu den Diagnosen M54.4G und M51.1G als arbeitsunfähigkeitsbegründend die Diagnose M47.99 G (Spondylose, nicht näher bezeichnete Lokalisation) genannt. Bei diesen drei Diagnosen verblieb es zunächst bis zur AU-Bescheinigung vom 30.10.2020: Ab diesem Zeitpunkt resultierte die AU aus den Diagnosen M54.4G, M51.1G, M47.99G und - neu - F31.2G (Bipolare affektive Störung, gegenwärtig manische Episode mit psychotischen Symptomen). Ab dem 25.08.2021 fiel die Diagnose M54.4G weg (Bl. 45 SG-Akte), es verblieb bei den Diagnosen F31.2G, M51.1G und M47.99G bis zum 13.08.2022 (Bl. 40 SG-Akte).
Nachdem die Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 26.01.2021 über das voraussichtliche Ende des Krankengeldes zum 06.04.2021 wegen der Höchstbezugsdauer unter Einbeziehung der Vorerkrankungen von 54 und 87 Tagen innerhalb von drei Jahren (29.06.2018 bis 28.06.2021) informiert hatte, stellte sie mit Bescheid vom 09.02.2021 das Ende des Krankengeldes zu eben diesem Datum fest.
Hiergegen erhob die Klägerin am 02.03.2021 Widerspruch mit der Begründung, die Beklagte habe nicht berücksichtigt, dass die Klägerin nicht nur wegen einer Krankheit krankgeschrieben worden sei. Aus der Bescheinigung der und Praxis R1 vom 16.02.2021 gehe eindeutig hervor, dass die Klägerin an zwei verschiedenen Krankheitsbildern leide. Der Bescheid der Beklagten sei dementsprechend nochmals zu überprüfen. Die Klägerin legte eine Bescheinigung der und Praxisklinik in R1 vom 16.02.2021 vor (Bl. 32 Verwaltungsakte), wonach sie dort seit dem 22.04.2020 überwiegend mit einem rezidivierenden Zervikalsyndrom in Behandlung sei (Bl. 32 Verwaltungsakte). Auf den Krankschreibungen des Vorjahres fänden sich als Diagnosen die M54.4 (Lumboischialgie), die M51.1 (Radikulitis durch lumbosakrale Nukleus pulposus Hernie) und die M47.99 (Spondylose der LWS) und damit unterschiedliche Krankheitsbilder.
Die Beklagte holte daraufhin beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Baden-Württemberg (MDK) ein Gutachten ein, worin W1 am 10.05.2021 ausführte, die Erkrankungen in dem Zeitraum 12.02.2019 bis 06.04.2019 (Lumboischialgie, Gelenkschmerzen (mehrere Lokalisationen)) und in dem Zeitraum 20.04.2019 bis 14.02.2020 (globaler Bandscheibenschaden, Ischialgie) stünden in Zusammenhang mit den Erkrankungen seit dem 26.02.2020. Auch wenn der die Klägerin behandelnde Orthopäde davon ausgehe, dass es sich einmal um ein HWS-Symptom und einmal um ein LWS-Symptom handele, so seien diese beiden verschiedenen Lokalisationen doch zusammenzufassend im Gesamtorgan Wirbelsäule und stünden dementsprechend in einem inneren Zusammenhang.
Mit Widerspruchsbescheid vom 27.07.2021 wies die Beklagte den von der Klägerin erhobenen Widerspruch als unbegründet zurück. Zur Begründung wurde ausgeführt, der Anspruch auf Krankengeld bestehe zwar grundsätzlich ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für längstens 78 Wochen innerhalb von drei Jahren (Blockfrist), gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Trete während einer Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit hinzu, werde die Leistungsdauer nicht verlängert (§ 48 Abs. 1 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch [SGB V]). Die Klägerin sei bereits in den Jahren 2019 und 2020 wegen Erkrankungen der Wirbelsäule arbeitsunfähig gewesen. Insoweit stehe die Arbeitsunfähigkeit ab dem 26.02.2020 in unmittelbarem Zusammenhang mit den bestehenden Vorerkrankungen, weshalb die bereits früher geleisteten Krankengeldzahlungen auf den aktuellen Krankengeldanspruch anzurechnen seien. Die zwischenzeitlich zur ersten Krankheit hinzugetretene weitere Erkrankung teile im Ergebnis das Schicksal der Ursprungserkrankung, weil die weitere Krankheit noch während des Bestehens der Arbeitsunfähigkeit infolge der ersten Krankheit aufgetreten sei. Eine Krankheit trete erst dann nicht mehr “hinzu“ (sondern sei in ihren Rechtsfolgen eigenständig zu beurteilen), wenn sie am Tage nach Beendigung der bisherigen Arbeitsunfähigkeit oder noch später auftrete, was auch das Bundessozialgericht (BSG) bereits so bestätigt habe.
Hiergegen hat die Klägerin am 11.08.2021 Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Zu Unrecht meine die Beklagte, bei den Vorerkrankungen zwischen dem 29.06.2015 und 28.06.2021 handele es sich um ein und dieselbe Krankheit wie beim Krankengeldbezug ab dem 26.02.2020. Dies sei aber falsch und die aus dem Jahr 2019 bis Februar 2020 bestehenden Krankschreibungen seien keine anrechenbaren Tage auf die Krankengeldleistungen, weshalb die Höchstanspruchsdauer auch nicht am 06.04.2021 erschöpft sei. Die Klägerin hat u.a. einen Arztbericht der Praxisklinik R1 vom 16.06.2020 vorgelegt, wonach die Klägerin seit längerer Zeit unter Beschwerden an der unteren LWS leide, des Weiteren unter Beschwerden im Bereich der HWS.
Das SG hat sowohl die behandelnden Ärzte der Praxisklinik R1 als auch den behandelnden Allgemeinarzt als sachverständige Zeugen befragt. In der Stellungnahme vom 05.10.2021 hat R2 über Behandlungen im Zeitraum vom 22.04.2020 bis Mai 2021 berichtet, AU-Bescheinigungen seien nicht ausgestellt worden. K1 hat im Schreiben vom 18.10.2021 ausgeführt, am 26.02.2020 habe die Klägerin über rezidivierenden Zervikalbrachialgien mit Schmerzen im Nackenbereich, Halswirbelbereich links und Taubheitsgefühl der linken Hand geklagt. Außerdem habe sich die Lumboischialgie verschlimmert. Die Haupterkrankung ab 26.02.2020 sei das Zervikobrachial-Syndrom gewesen.
Mit Gerichtsbescheid vom 08.11.2022 hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung auf den Widerspruchsbescheid verwiesen. Das Bundessozialgericht (BSG) gehe von einer einheitlichen Krankheit aus, wenn verschiedene Abschnitte eines Organs (hier der Wirbelsäule) betroffen seien und der Erkrankung dieselbe, nicht behobene Krankheitsursache zu Grunde liege.
Gegen den am 03.12.2022 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 30.12.2022 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingereicht, ohne diese näher zu begründen.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Reutlingen vom 08.11.2022 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 09.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2021 zu verurteilen, ihr über den 06.04.2021 hinaus bis zum Erreichen der 78-Wochen-Frist Krankengeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Im Rahmen eines Erörterungstermins am 04.05.2023 haben sich die Beteiligten mit einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten sowie des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte sowie der Gerichtsakte erster Instanz Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat keinen Erfolg.
Die Berufung der Klägerin, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung gemäß § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) entscheidet, ist gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht sowie statthaft (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 09.02.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27.07.2021, mit dem die Beklagte das Ende des Krankengeldbezugs zum 06.04.2021 verfügt und die Gewährung von Krankengeld über diesen Zeitpunkt hinaus abgelehnt hat. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und Abs. 4, 56 SGG) und begehrt Krankengeld bis zur Ausschöpfung des Krankengeldanspruchs.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen, da der angefochtene Bescheid der Beklagten rechtmäßig ist und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt. Sie hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung von Krankengeld über den 06.04.2021 hinaus.
Rechtsgrundlage des Krankengeldanspruchs sind die §§ 44 ff. SGB V. Nach § 44 Abs. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankengeld, wenn die Krankheit sie arbeitsunfähig macht oder sie auf Kosten der Krankenkasse stationär behandelt werden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichts bestimmt allein das bei Entstehen eines Krankengeldanspruchs bestehende Versicherungsverhältnis, wer in welchem Umfang als Versicherter Anspruch auf Krankengeld hat (BSG 05.05.2009, B 1 KR 20/08 R, SozR 4-2500 § 192 Nr. 4; BSG 02.11.2007, B 1 KR 38/06 R, SozR 4-2500 § 44 Nr. 14; BSG 26.03.2020, B 3 KR 9/19 R, BSGE 130, 85-92 = SozR 4-2500 § 46 Nr. 10, Rn. 14).
Bei Versicherten, die im Zeitpunkt der Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit in einem Arbeitsverhältnis stehen und einen Arbeitsplatz innehaben, liegt Arbeitsunfähigkeit vor, wenn diese Versicherten die an ihren Arbeitsplatz gestellten beruflichen Anforderungen aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr erfüllen können. Die Krankenkasse darf diese Versicherten, solange das Arbeitsverhältnis besteht, nicht auf Tätigkeiten bei einem anderen Arbeitgeber verweisen, die sie gesundheitlich noch ausüben könnten. Dem krankenversicherten Arbeitnehmer soll durch die Krankengeldgewährung gerade die Möglichkeit offengehalten werden, nach Beseitigung des Leistungshindernisses seine bisherige Arbeit wiederaufzunehmen (BSG 07.12.2004, B 1 KR 5/03 R, BSGE 94, 19 = SozR 4-2500 § 44 Nr. 3, Rn. 15 m.w.N.). Gibt der Versicherte nach Eintritt der Arbeitsunfähigkeit die zuletzt innegehabte Arbeitsstelle auf, ändert sich allerdings der rechtliche Maßstab insofern, als für die Beurteilung der Arbeitsfähigkeit nicht mehr die konkreten Verhältnisse an diesem Arbeitsplatz maßgebend sind, sondern nunmehr abstrakt auf die Art der zuletzt ausgeübten Beschäftigung abzustellen ist. Der Versicherte darf dann auf gleich oder ähnlich geartete Tätigkeiten „verwiesen“ werden, wobei aber der Kreis möglicher Verweisungstätigkeiten entsprechend der Funktion des Krankengeldes eng zu ziehen ist (BSG 08.02.2000, B 1 KR 11/99 R, BSGE 85, 271-278 = SozR 3-2500 § 49 Nr. 4 = SozR 3-2500 § 44 Nr. 7 = SozR 3-2500 § 44 Nr. 7, Rn. 13; BSG 07.12.2004, B 1 KR 5/03 R, BSGE 94, 19 = SozR 4-2500 § 44 Nr. 3, Rn. 16 m.w.N.). Die Klägerin wurde in ihrer Tätigkeit als Serviererin/Kellnerin in einer Reha-Klinik arbeitsunfähig, jedoch wurde das Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 29.02.2020 gekündigt, so dass ab diesem Zeitpunkt für die Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit zwar noch immer dieselbe Tätigkeit, nicht aber in ihrer konkreten Ausgestaltung in einer Reha-Klinik ausschlaggebend war.
Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V erhalten Versicherte Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit jedoch für längstens 78 Wochen (= 546 Tage) innerhalb von drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Bei der Feststellung der Leistungsdauer des Krankengeldes werden Zeiten, in denen der Anspruch auf Krankengeld ruht oder für die das Krankengeld versagt wird, wie Zeiten des Bezugs von Krankengeld berücksichtigt (§ 48 Abs. 3 Satz 1 SGB V). Der Anspruch auf Krankengeld ruht gemäß § 49 Abs. 1 Nr. 1, Nr. 3 und Nr. 3a SGB V beispielsweise in Zeiten des Bezugs von Arbeitseinkommen, Arbeitslosengeld und Übergangsgeld. Tritt während der Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit hinzu, wird die Leistungsdauer gemäß § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V nicht verlängert. § 48 Abs. 1 SGB V enthält damit drei unterschiedliche Regelungen für die Bestimmung der Dauer des Krankengeldanspruchs (dazu BSG 08.11.2005, B 1 KR 27/04 R, SozR 4-2500 § 48 Nr. 3; BSG, 21.06.2011, B 1 KR 15/10 R, SozR 4-2500 § 48 Nr. 4): Zunächst wird der Grundsatz der Krankengeldgewährung ohne zeitliche Begrenzung aufgestellt. Nach der schon im selben Satz geregelten ersten Ausnahme kommt es allerdings zu einer zeitlichen Begrenzung der Leistungsdauer, wenn „dieselbe Krankheit“ die Arbeitsunfähigkeit bedingt. Schließlich wird das während der Arbeitsunfähigkeit erfolgende Hinzutreten einer weiteren Krankheit bezüglich der Rechtsfolge der Leistungsbegrenzung dem Fall „derselben Krankheit“ rechtlich gleichgestellt. Das Hinzutreten einer weiteren Krankheit zu einer weiter bestehenden und fortlaufend Arbeitsunfähigkeit verursachenden Erkrankung führt somit weder zur Entstehung eines gänzlich neuen Krankengeldanspruchs noch bewirkt es die Verlängerung der schon in Ansehung der ersten Krankheit maßgeblichen (begrenzten) Leistungsdauer. Auf diese Weise will der Gesetzgeber sicherstellen, dass die gesetzliche Höchstbezugsdauer bei Arbeitsunfähigkeit sowohl bei identischen Krankheiten als auch bei bestimmten unterschiedlichen und wechselnden Krankheitsbildern nicht überschritten wird.
Der Dreijahreszeitraum wird nach dem Grundsatz der starren Rahmenfrist (Blockfrist) bestimmt. Der erstmalige Eintritt einer Arbeitsunfähigkeit wegen derselben Krankheit setzt eine Kette unmittelbar aufeinander folgender Dreijahreszeiträume in Gang, innerhalb derer - bei Vorliegen der der weiteren Voraussetzungen - jeweils bis zu 78 Wochen Krankengeld gewährt werden kann (z.B. BSG 21.06.2011, B 1 KR 15/10 R, SozR 4-2500 § 48 Nr. 4). Die Blockfrist beginnt mit dem Tage des erstmaligen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit wegen der ihr zu Grunde liegenden Krankheit, unabhängig davon, ob ein Anspruch auf Zahlung von Krankengeld bestand oder nicht. Voraussetzung ist allerdings, dass zum Zeitpunkt des erstmaligen Eintritts der Arbeitsunfähigkeit ein Anspruch auf Krankengeld dem Grunde nach bestand. Mit dem Eintritt der Arbeitsunfähigkeit wird daher auch dann eine Blockfrist in Lauf gesetzt, wenn der Zahlungsanspruch in Folge des Zusammentreffens mit einer anderen Leistung ruhte. Nach Ablauf des ersten und jedes weiteren Dreijahreszeitraumes schließt unmittelbar die nächste Blockfrist an.
Bei im Zeitablauf nacheinander auftretenden Erkrankungen handelt es sich im Rechtssinne um dieselbe Krankheit, wenn der regelwidrige Körper- oder Geisteszustand, der die Krankheitsursache bildet, auf ein medizinisch nicht ausgeheiltes Grundleiden zurückzuführen ist (vgl. dazu und zum Folgenden z.B. BSG 21.06.2011, B 1 KR 15/10 R, SozR 4-2500 § 48 Nr. 4; BSGE 83, 7). Dies kann z.B. bei wiederholt in unterschiedlicher Ausprägung auftretenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Fall sein. Hierbei ist eine stark verfeinernde, eng fachmedizinisch-diagnostische Sichtweise zu vermeiden, die die Gefahr begründet, dass dem Merkmal im Kontext des § 48 Abs. 1 SGB V letztlich gar keine eigenständige rechtliche Bedeutung mehr zukommt, obwohl das Gesetz damit gerade eine Einengung des zeitlichen Umfangs der Krankengeldgewährung bezweckt. Gleiches gilt bei Versicherten, bei denen wegen des Nebeneinanders verschiedener gravierender akuter oder chronischer Leiden von Anfang an eine Multi- oder Polymorbidität bzw. Polypathie besteht. Denn in Bezug auf die Anspruchsdauer des Krankengeldes behandelt das Gesetz den Versicherten, der von vornherein an mehreren Krankheiten leidet und der deshalb arbeitsunfähig ist, nicht anders als denjenigen, bei dem „nur“ ein einziges Leiden die Arbeitsunfähigkeit auslöst. Die dargestellte Begrenzung der Leistungsdauer des Krankengeldes beruht maßgeblich auf der Erwägung, dass es in erster Linie der gesetzlichen Rentenversicherung obliegt, bei dauerhaft eingetretener Erwerbsminderung des Versicherten Entgeltersatzleistungen zur Verfügung zu stellen, während die gesetzliche Krankenversicherung typischerweise nur für den Ausgleich des entfallenden laufenden Arbeitsentgelts bei vorübergehenden, d.h. behandlungsfähigen Gesundheitsstörungen eintritt. Krankengeld hat auch beim Fehlen von Rentenansprüchen und -anwartschaften nicht die Funktion, dauerhafte Leistungsdefizite bzw. eine Erwerbsminderung finanziell abzusichern.
Vorliegend wurde die Klägerin wegen Kreuzschmerz links (M54.5) erstmalig am 29.06.2015 krankgeschrieben, so dass die hierdurch ausgelöste Blockfrist am 29.06.2015 begann und am 28.06.2018 endete. In der darauffolgenden Blockfrist ab dem 29.06.2018 war die Klägerin vom 12.02.2019 bis 06.04.2019 (54 Tage) wegen M25.50 (Gelenkschmerz: Mehrere Lokalisationen) sowie M54.4 (Lumboischialgie) durch ihren behandelnden K1 krankgeschrieben, eine weitere Krankschreibung erfolgte vom 20.11.2019 bis 14.02.2020 (87 Tage) wegen M54.3 (Ischialgie) und M51.1 (Lumbale und sonstige Bandscheibenschäden mit Radikulopathie), ab 04.12.2019 trat noch eine akute Infektion der oberen Atemwege, nicht näher bezeichnet, hinzu (J06.9 G). Damit waren in der am 29.06.2018 beginnenden Blockfrist bereits 141 Tage Krankengeld verbraucht. Da die Arbeitsunfähigkeit ab dem 26.02.2020 auf derselben Erkrankung beruhte wie die Arbeitsunfähigkeit ab 12.02.2019 bzw. ab 20.11.2019, war der Anspruch mit Ablauf des 06.04.2021 wegen Erreichens der 78-Wochen-Höchstdauer erschöpft. Eine Weitergewährung von Krankengeld innerhalb der bis zum 28.06.2021 fortlaufenden Blockfrist kam hier ebenso wenig in Betracht wie ein Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs ab Beginn der neuen Blockfrist am 29.06.2021.
Dem liegt Folgendes zugrunde: Die Arbeitsunfähigkeiten ab 12.02.2019 und ab dem 20.11.2019 resultierten ausweislich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und auch nach dem Vortrag der Klägerin aus Beschwerden der LWS. Nichts anderes gilt aber für die Arbeitsunfähigkeit ab 26.02.2020. Mit Erstbescheinigung vom 27.02.2020 attestierte K1 der Klägerin eine seit dem 26.02.2020 bestehende Arbeitsunfähigkeit wegen Lumboischialgie (M 54.4 G, Bl. 71 Verwaltungsakte). Bis zum 25.03.2020 verblieb es in der AU-Bescheinigung bei dieser Diagnose (Bescheinigung vom 11.03.2020), ab dem 25.03.2020 trat als weitere Diagnose M51.1G hinzu (Lumbale und sonstige Bandscheibenschäden mit Radikulopathie, Bescheinigung vom 25.03.2020). In der AU-Bescheinigung vom 08.05.2020 wurde zusätzlich zu den Diagnosen M54.4G und M51.1G als arbeitsunfähigkeitsbegründend die Diagnose M47.99 G (Spondylose, nicht näher bezeichnete Lokalisation) genannt. Bei diesen drei Diagnosen verblieb es zunächst bis zur AU-Bescheinigung vom 30.10.2020: Ab diesem Zeitpunkt attestierte K1 Arbeitsunfähigkeit aufgrund der Diagnosen M54.4G, M51.1G, M47.99G und - neu - F31.2G (Bipolare affektive Störung, gegenwärtig manische Episode mit psychotischen Symptomen). Ab dem 25.08.2021 fiel die Diagnose M54.4G weg (Bl. 45 Senatsakte), es verblieb bei den Diagnosen F31.2G, M51.1G und M47.99G bis zum 13.08.2022 (Bl. 40 Senatsakte).
Zwar kommt einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung lediglich die Bedeutung einer ärztlich-gutachtlichen Stellungnahme zu, welche die Grundlage für den über den Krankengeldanspruch zu erteilenden Verwaltungsakt der Krankenkasse bildet (vgl. BSG 08.11.2005, B 1 KR 18/04 R, SozR 4-2500 § 44 Nr. 7, SozR 4-2500 § 275 Nr. 1, Rn. 20 m.w.N.), so dass weder die Verwaltung noch die Gerichte an die von einem Arzt getroffene Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit gebunden sind und damit ebenso wenig an die von ihm gestellten Diagnosen. Jedoch hat der Senat vorliegend keinen Zweifel, dass die Arbeitsunfähigkeit ab dem 26.02.2020 - jedenfalls zu Anfang, und allein hierauf kommt es an - wie von K1 bestätigt jedenfalls auch durch Rückenbeschwerden im Bereich der LWS verursacht wurden. Zum einen erschließt sich dem Senat nicht, warum K1 ausdrücklich eine Lumboischialgie bescheinigen sollte, wenn doch tatsächlich (allein) eine Erkrankung der HWS arbeitsunfähigkeitsbegründend war. So hat K1 in seiner Stellungnahme vom 18.10.2021 gegenüber dem SG zwar dargelegt, die Klägerin habe ab dem 26.02.2020 über rezidivierende Zervikalbrachialgien geklagt, gleichzeitig aber auch angegeben, die Lumboischialgie habe sich verschlimmert. Vor dem Hintergrund, dass die Klägerin ab Februar 2020 die körperlich schwere Tätigkeit einer Serviererin/Kellnerin in einem Pflegeheim aufgenommen hatte, die mit der Tragung von Lasten bis zu 15 kg verbunden war und 80% des Tages eine gehende Tätigkeit erforderte, geht der Senat davon aus, dass die lumbalen Beschwerden, die sich laut K1 verschlechtert hatten, der Ausübung dieser Tätigkeit entgegenstanden, begleitet von HWS-Beschwerden, die ebenfalls zu Arbeitsunfähigkeit geführt haben und deren Behandlung ab diesem Zeitpunkt im Vordergrund gestanden haben mag.
Etwas Gegenteiliges folgt auch nicht aus der Stellungnahme der behandelnden Ärzte der Praxisklinik R1. Zum einen war die Klägerin hier erst ab dem 22.04.2020 (vgl. Auflistung der Behandlungstermine Bl. 43 SG-Akte) in Behandlung, so dass eine Beurteilung der Arbeitsunfähigkeit ab 26.02.2020 durch die in der Praxisklinik tätigen Ärzte schwerlich erfolgen kann. Zum anderen wird im Arztbericht vom 22.04.2020 (Bl. 38) berichtet, die Klägerin klage über Beschwerden im Bereich der HWS, aber eben auch über seit über vier Monaten bestehende Beschwerden im Bereich der LWS mit Ausstrahlungen in das linke Bein.
Letztendlich hat sich gezeigt, dass die Klägerin aufgrund ihrer Rückenbeschwerden körperlich nicht in der Lage war, die neu aufgenommene Tätigkeit in der Reha-Klinik über einen längeren Zeitraum durchzuhalten. Die Beschwerden an der HWS und LWS wechselten sich in ihrer Intensität ausweislich des Berichtes vom 05.10.2021 der Praxisklinik R1 (Bl. 43) ab und standen nach Auffassung des Senats abwechselnd, wenn nicht gar durchgängig nebeneinander der Ausübung entgegen. Für Letzteres spricht der Reha-Entlassbericht aus Juni 2021 (vgl. Bl 17 Verwaltungsakte), in dem sowohl rezidivierende Zervikobrachialgien als auch rezidivierende Lumboischialgien genannt werden, verbunden mit Kribbelparästhesien an der Hand und an den Oberschenkeln und mit reduzierter Greiffunktion sowie reduzierter Gehstrecke (vgl. Bl. 19 Verwaltungsakte), die dazu führten, dass die zuletzt ausgeübte Tätigkeit nur noch unter 3 Stunden ausgeübt werden könne (vgl. Bl 24 Verwaltungsakte).
Im Ergebnis stellt der Senat fest, dass die Arbeitsunfähigkeit ab dem 26.02.2020 jedenfalls auch auf LWS-Beschwerden beruhte mit der Folge, dass es sich um dieselbe Krankheit handelte und vorangegangene Krankengeldzahlungen anzurechnen waren. Auf die vom SG zitierte Rechtsprechung des BSG, wonach im Bereich der Wirbelsäule von einer einheitlichen Krankheit auszugehen sei, wenn verschiedene Abschnitte des Organs betroffen seien und der Erkrankung dieselbe, nicht behobene Krankheitsursache zu Grunde liege, kommt es daher nicht an.
Ein Wiederaufleben des Krankengeldanspruchs nach Ablauf der Blockfrist am 29.06.2021 schied aus, da die Klägerin nach Ablauf der 78 Wochen nicht mindestens sechs Monate erwerbstätig war bzw. der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stand.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision wird nicht zugelassen, da ein Grund hierfür (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG) nicht vorliegt.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
11.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 10 KR 1845/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 11 KR 4/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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