Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 17.11.2022 wird als unzulässig verworfen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Gewährung von Einstiegsgeld nach dem SGB II.
Dem im Jahr 1979 geborenen Kläger, der mit seiner Partnerin und vier Kindern zusammenlebt, wurden mit Bescheid vom 23.02.2021 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II für den Zeitraum vom 01.04.2021 bis 31.03.2022 bewilligt.
Mit E-Mail vom 28.10.2021 teilte der Kläger dem Beklagten mit, er habe nun einen Arbeitsvertrag mit der Firma B1 geschlossen. Er habe den Vertrag direkt an den Beklagten geschickt und einen Antrag auf Einstiegsgeld gestellt. Nächsten Monat nehme er seine Arbeit auf. Am 09.11.2021 stellte der Kläger ausdrücklich einen Antrag auf Einstiegsgeld. Er legte einen ab 01.11.2021 laufenden befristeten Anstellungsvertrag vor.
Der Antrag auf Einstiegsgeld wurde mit Bescheid vom 08.12.2021 abgelehnt. Weder für den Kläger noch für die Bedarfsgemeinschaft werde durch die Tätigkeit der Leistungsbezug beendet. Zudem handele es sich um eine befristete Tätigkeit, eine langfristige Integration sei damit nicht gegeben.
Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Er habe einen einjährigen Vollzeitarbeitsvertrag und erhalte 1.800 € brutto. Mit den Leistungen Kinderzuschlag und Wohngeld, welche er beantragt habe, sei keine Hilfe erforderlich. Er verlange daher die Zahlung von Einstiegsgeld.
Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 24.03.2022 zurückgewiesen. Zur Überwindung von Hilfebedürftigkeit von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten könne bei Aufnahme einer sozialversicherungspflichtigen oder selbstständigen Erwerbstätigkeit Einstiegsgeld erbracht werden, wenn dies zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich sei. Die Gewährung des Einstiegsgelds müsse zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich sein. Dies sei dann der Fall, wenn zwischen der beanspruchten Förderung und der beabsichtigten Eingliederung ein kausaler Zusammenhang bestehe und das Ziel nicht mithilfe einer weniger kostenintensiven Eingliederungsleistung erreicht werden könne. Mangels kausalen Zusammenhangs liege eine Erforderlichkeit nicht vor, wenn das Arbeitsverhältnis auch ohne die Bewilligung von Einstiegsgeld aufgenommen und folglich die Eingliederung bereits ohne Förderung erreicht worden sei. Der Kläger habe den Arbeitsvertrag auch ohne Zusage des Einstiegsgelds unterschrieben und seine Tätigkeit bei B1 aufgenommen. Damit sei ein kausaler Zusammenhang zwischen Einstiegsgeld und Eingliederung nicht gegeben, weshalb die Tatbestandsvoraussetzungen von § 16b SGB II nicht erfüllt seien.
Hiergegen hat der Kläger am 26.04.2022 Klage beim Sozialgericht (SG) Mannheim erhoben. Die Entscheidung des Beklagten sei ihm nicht verständlich, er bitte das Gericht um Überprüfung. Sein Verdienst sei nicht so hoch, dass er davon leben könnte. Er sei auf das Einstiegsgeld angewiesen.
Das SG Mannheim hat die Klage nach einer am 16.11.2022 erfolgten Durchführung einer nichtöffentlichen Verhandlung mit Gerichtsbescheid vom 17.11.2022 abgewiesen. Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Gewährung von Einstiegsgeld für die Tätigkeit, die er ab 01.11.2021 aufgenommen habe. Voraussetzung für die Gewährung von Einstiegsgeld sei, dass diese zur Eingliederung in den allgemeinen Arbeitsmarkt erforderlich sei. Insoweit sei es maßgeblich, dass es erst durch die Gewährung von Einstiegsgeld zu der Eingliederung in den Arbeitsmarkt komme, also ein kausaler Zusammenhang bestehe. Im vorliegenden Fall habe der Kläger am 25.10.2021 den Arbeitsvertrag mit seinem Arbeitgeber abgeschlossen und dies dem Beklagten am 28.10.2021 mitgeteilt, also als der Arbeitsvertrag schon abgeschlossen gewesen sei. Folglich sei der Arbeitsvertrag des Klägers bereits rechtswirksam abgeschlossen gewesen, bevor ein Antrag auf Einstiegsgeld beim Beklagten gestellt worden sei. Die Eingliederung des Klägers sei also unabhängig von der Gewährung von Einstiegsgeld erfolgt. Der Gerichtsbescheid ist dem Kläger laut Postzustellungsurkunde am 21.11.2022 zugestellt worden. Er ist mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen gewesen, auf deren Inhalt verwiesen wird.
In dem am 21.12.2022 beim SG Mannheim eingegangenen Schreiben hat der Kläger erklärt, mehrere Anträge auf Einstiegsgeld per Post an den Beklagten geschickt zu haben. Zudem habe er den Antrag persönlich an der Rezeption abgegeben und per E-Mail geschickt. Dies sei im Rahmen der gerichtlichen Verhandlung ignoriert worden. Es werde um „Einsicht in die Eingangsakte“ gebeten und darauf hingewiesen, dass während der Bewerbungsfrist mehr als ein Mitarbeiter erfolgreich gewesen sei.
Das SG Mannheim hat mit Schreiben vom 22.12.2022 darauf hingewiesen, dass das Verfahren mit der Entscheidung vom 17.11.2022 abgeschlossen sei. Wenn das Schreiben des Klägers als Einlegung einer Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg in Stuttgart gewertet werden solle (siehe hierzu Rechtsmittelbelehrung in der Entscheidung vom 17.11.2022), möge dies ausdrücklich mitgeteilt werden. Dass es sich um eine Berufung handeln solle, sei dem Schreiben nicht zu entnehmen.
Daraufhin hat der Kläger mit dem am 09.01.2023 beim SG Mannheim eingegangen undatierten Schreiben erklärt, er „widerspreche dem Bescheid und beantrage Einspruch“.
Der Kläger beantragt (sachdienlich gefasst),
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Mannheim vom 17.11.2022 aufzuheben, den Bescheid vom 08.12.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.03.2022 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, ihm Einstiegsgeld in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Der Beklagte
stellt keinen Antrag.
Inhaltlich hat er sich zum Berufungsverfahren nicht geäußert.
Der Berichterstatter hat mit Schreiben vom 12.01.2023 unter näherer Darlegung seiner Begründung darauf hingewiesen, dass die Berufung nicht zulässig sein dürfte, da sie nicht innerhalb der einmonatigen Berufungsfrist eingelegt worden sein dürfte. Die Berufung dürfte erst am 09.01.2023 beim SG Mannheim eingelegt worden sein. Das Schreiben des Klägers, welches am 21.12.2022 beim SG Mannheim eingegangen sei, dürfte keine Berufungseinlegung enthalten. Es dürfte auch kein Grund für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist vorliegen, denn es dürfte nicht glaubhaft gemacht und vom Senat auch nicht festzustellen sein, dass der Kläger ohne Verschulden gehindert gewesen sei, die Berufungsfrist einzuhalten. Die Berufung dürfte daher voraussichtlich als unzulässig zu verwerfen sein.
Eine Antwort des Klägers hierauf ist nicht erfolgt. Eine zunächst vom Berichterstatter angesetzte nichtöffentliche Verhandlung am 19.04.2023 hat nicht stattgefunden, nachdem der Kläger zum Zeitpunkt des Beginns der Verhandlung am SG Mannheim erschienen ist, statt in Stuttgart am LSG. Der Beklagte hatte zuvor im Hinblick auf den Hinweis des Berichterstatters vom 12.01.2023 darum gebeten, von der Teilnahme am Termin entbunden zu werden und hatte keinen Vertreter entsendet.
Entscheidungsgründe
Die nach § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 SGG statthafte Berufung des Klägers ist nicht fristgerecht erhoben worden.
Der Senat entscheidet trotz § 158 Abs. 2 Satz 2 SGG, wonach eine Entscheidung über die Unzulässigkeit einer Berufung durch Beschluss ergehen kann, durch Urteil. Die Berufung kann auch durch Urteil als unzulässig verworfen werden (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Aufl. 2020, § 158 Rn. 5) und ein Beschluss nach § 158 Abs. 2 Satz 2 SGG darf in der Regel nicht ergehen, wenn sich die Berufung (wie hier) gegen einen Gerichtsbescheid richtet (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, aaO. § 158 Rn. 6).
Der „Einspruch“ bzw. „Widerspruch“ (vgl. das am 09.01.2023 beim SG Mannheim eingegangene undatierte Schreiben des Klägers) gegen den Gerichtsbescheid des SG Mannheim vom 17.11.2022 ist als Berufung auszulegen. Zwar ist der Kläger im angefochtenen Gerichtsbescheid zutreffend über das statthafte Rechtsmittel der Berufung belehrt worden. Allerdings ist vorliegend zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass dieser juristischer Laie ist. Nach § 123 SGG entscheidet das Gericht über die vom Kläger erhobenen Ansprüche, ohne an die Fassung der Anträge gebunden zu sein. Dazu ist der hinter dem Wortlaut liegende wahre Wille des Klägers zu erforschen (Rechtsgedanke des § 133 BGB, vgl. Bundessozialgericht [BSG], Beschluss vom 15.06.2016 – B 4 AS 651/15 B, juris Rn. 7 m.w.N.), wofür das gesamte klägerische Vorbringen und alle Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen sind und davon auszugehen ist, dass der Kläger eine möglichst weitgehende Verwirklichung seines Begehrens anstrebt, vgl. BSG, Urteil vom 06.04.2011 – B 4 AS 119/10 R, juris Rn. 29; Urteil vom 30.01.2019 – B 14 AS 12/18 R, juris Rn. 11; Urteil vom 08.05.2019 – B 14 AS 15/18 R, juris Rn. 11). Ausgehend vom Vorbringen des Klägers im Berufungsverfahren geht es ihm darum, eine Änderung des Gerichtsbescheides zu erreichen, was die Einlegung der Berufung erfordert, woraus folgt, dass er diese statt eines hier nicht einschlägigen Einspruchs oder Widerspruchs einlegen wollte.
Das Schreiben des Klägers, welches am 21.12.2022 beim SG Mannheim eingegangen ist und auf welches das SG Mannheim mit Schreiben vom 22.12.2022 geantwortet hat, stellt dagegen keine Berufungseinlegung dar. Ob Berufung eingelegt werden soll oder ein anderer Rechtsbehelf bzw. gar kein Rechtsmittel, sondern nur eine Stellungnahme abgegeben werden soll, ist durch Auslegung der Erklärung zu bestimmen (Wehrhahn in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Auflage, Stand: 15.06.2022, § 143 SGG, Rn. 19). Ausreichend für die Annahme eines Rechtsmittels ist bei dieser Auslegung, wenn der Kläger seine Unzufriedenheit mit einem Urteil äußert, wobei der Wille des Klägers, das erstinstanzliche Urteil durch eine höhere Instanz nochmals überprüfen zu lassen, ausreichend deutlich zum Ausdruck kommen muss (BSG, Beschluss vom 08.12.2005 – B 13 RJ 289/04 B, juris Rn. 7). Vorliegend spricht folgendes gegen eine Auslegung als Berufung: Das am 21.12.2022 beim SG Mannheim eingegangene Schreiben des Klägers ist nicht als Berufung (oder als anderweitiger Rechtsbehelf) bezeichnet. Inhaltlich hat der Kläger in diesem Schreiben Akteneinsicht beantragt und Angaben zum Ablauf bei der Stellung von Anträgen auf Einstiegsgeld und zu weiteren Abläufen gemacht. Dass er sich inhaltlich gegen den Gerichtsbescheid wenden wollte, ergibt sich aus dem Schreiben nicht, obwohl der Gerichtsbescheid mit einer zutreffenden Rechtsbehelfsbelehrung versehen war („Dieser Gerichtsbescheid kann mit der Berufung angefochten werden. Die Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids beim Landessozialgericht Baden-Württemberg, Hauffstr. 5, 70190 Stuttgart ‑ Postfach 10 29 44, 70025 Stuttgart -, schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Eine Einlegung per E-Mail ist nicht zulässig. Wie Sie bei Gericht elektronisch einreichen können, wird auf www.ejustice-bw.de beschrieben. Die Berufungsfrist ist auch gewahrt, wenn die Berufung innerhalb der Monatsfrist bei dem Sozialgericht Mannheim, P 6, 20-21, 68161 Mannheim, schriftlich, als elektronisches Dokument oder zu Protokoll des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle eingelegt wird. […]“). Der Kläger hat auch keine Unzufriedenheit mit dem Gerichtsbescheid geäußert und nicht zum Ausdruck gebracht, eine Überprüfung der Entscheidung zu begehren. Für eine Auslegung als Berufung sprechende Gesichtspunkte finden sich dagegen nicht. Damit ist das am 21.12.2022 beim SG Mannheim eingegangene Schreiben nicht als Berufung auszulegen.
Nach § 151 Abs. 1 SGG ist die Berufung beim LSG innerhalb eines Monats nach Zustellung des Urteils schriftlich oder zur Niederschrift des Urkundsbeamten der Geschäftsstelle einzulegen. Der Gerichtsbescheid wirkt als Urteil, § 105 Abs. 3 erster Halbsatz SGG. Die Beteiligten können innerhalb eines Monats nach Zustellung des Gerichtsbescheids das Rechtsmittel einlegen, das zulässig wäre, wenn das Gericht durch Urteil entschieden hätte, § 105 Abs. 2 Satz 1 SGG.
Im vorliegenden Fall ist gegen den Gerichtsbescheid des SG Mannheim vom 17.11.2022 die Berufung gemäß § 143 SGG das statthafte Rechtsmittel, so dass entsprechend der zutreffenden Rechtsmittelbelehrung des SG Mannheim die gesetzliche Monatsfrist gilt. Der Gerichtsbescheid des SG Mannheim ist dem Kläger ausweislich der Postzustellungsurkunde am 21.11.2022 wirksam zugestellt worden. Damit begann die einmonatige Berufungsfrist gemäß § 64 Abs. 1 SGG am 22.11.2022 und lief gemäß § 64 Abs. 2 Satz 1 SGG am Mittwoch dem 21.12.2022 ab. Die Berufung ist erst am 09.01.2023 beim SG Mannheim eingelegt worden und damit verspätet, weshalb sie nach § 158 Satz 1 SGG als unzulässig zu verwerfen war.
Es liegt auch kein Grund für eine Wiedereinsetzung in die versäumte Frist gemäß § 67 SGG vor. Nach § 67 Abs. 1 SGG ist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Verfahrensfrist einzuhalten. Der Antrag ist gemäß § 67 Abs. 2 SGG binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen, wobei die Tatsachen zur Begründung des Antrages glaubhaft gemacht werden sollen. Innerhalb der Antragsfrist ist die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ist dies geschehen, so kann die Wiedereinsetzung auch ohne Antrag gewährt werden.
Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt, da kein Grund für die verspätete Berufungseinlegung mitgeteilt worden oder anderweitig ersichtlich ist und es dem Kläger innerhalb der Frist möglich war, ein Schreiben an das SG Mannheim zu versenden. Es ist daher nicht glaubhaft gemacht und vom Senat auch nicht festzustellen, dass der Kläger ohne Verschulden gehindert war, die Berufungsfrist einzuhalten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
3.
1. Instanz
SG Mannheim (BWB)
Aktenzeichen
S 4 AS 821/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 3 AS 93/23
Datum
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
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Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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