L 6 U 127/25

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
6.
1. Instanz
SG Freiburg (BWB)
Aktenzeichen
S 10 U 2390/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 6 U 127/25
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Dezember 2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Der Kläger begehrt die Feststellung von Unfallfolgen und die Gewährung von Heilbehandlung aufgrund eines Arbeitsunfalls vom 2. November 2017, bei dem ihm ein Kantholz ins Gesicht schlug, was jedenfalls zum Verlust des Zahnes 14 führte.

Er ist 1972 geboren und war am Unfalltag als Betonbauer tätig.

Nachdem ein Heil- und Kostenplan des H1 vom 12. Februar 2018 eingereicht wurde, leitete die Beklagte ein Verwaltungsverfahren ein und forderte eine Unfallanzeige von der Arbeitgeberin des Klägers an.

In der Unfallanzeige wurde dargelegt, dass der Kläger am 2. November 2017 ein circa vier Meter langes Kantholz alleine abgebaut habe. Dieses sei durch Nässe sehr schwer gewesen. Er habe das Holz nicht festhalten können. Das Ende des Kantholzes sei auf den Boden geschlagen, das andere Ende habe ihn im Gesicht getroffen.

Im Fragebogen „Zahnschaden“ gab die S1 an, dass der Kläger am 2. November 2017 ein Kantholz auf den Zahn 14 bekommen habe. Der Zahn 14 sei nicht mehr vital und nicht mehr erhaltungswürdig gewesen. Die Zahnwurzel sei noch im Mund. Der Kläger werde von ihr auch wegen unfallunabhängiger Zahnschäden – Füllungen und Wurzelkanalbehandlungen - seit 29. Mai 2018 behandelt.

Der R1 wies beratungsärztlich darauf hin, dass der radiologische Befund den querfrakturierten und luxierten Zahn 14 zeige, welcher die Merkmale einer Luxation aufweise. Es werde empfohlen, den Verlust des Zahnes 14 als Unfallfolge zu akzeptieren und die geplante dreigliedrige Brücke, die im Heil- und Kostenplan wohl versehentlich in Regio 11 bis 13 statt 13 bis 14 eingetragen worden sei, nach dem Gebührenverzeichnis zu übernehmen. Die voraussichtlichen Gesamtkosten lägen oberhalb des üblichen Rahmens.

Nach einem weiteren Heil- und Kostenplan erstattete R1 eine weitere beratungsärztliche Stellungnahme, in deren Höhe die Kostenübernahme zugesagt wurde.

Nachdem der Kläger Kopf- und Ohrenschmerzen infolge des Arbeitsunfalls geltend machte, zog die Beklagte den Befundbericht des Universitätsklinikums F1 – Klinik für Hals-Nasen- und Ohrenheilkunde (HNO) – über die ambulante Untersuchung vom 30. Januar 2020 bei. Danach würden sich die Beschwerden am ehesten im Rahmen einer laufenden kieferchirurgischen Therapie erklären. Es finde sich kein Anhalt für einen Fokus im HNO-Bereich.

Die Kernspintomographie (MRT) des Oberkiefers vom 14. September 2020 zeigte einen Zustand nach Zahnbehandlung des rechten Oberkiefers mit Nachweis einer Mucus Retentionszyste/Mukozele der rechts basalen Kieferhöhle. Ggf. werde eine Dental-Computertomographie (CT)/CT des Mittelgesichtes zur ossären Beurteilung sowie eine zahnärztliche Vorstellung empfohlen.

Die MRT des Unterkiefers vom 15. Oktober 2020 zeigte einen Zustand nach Zahnextraktion Regio 14, einen Zustand nach Wurzelbehandlung im rechten Oberkiefer und keinen Anhalt für knochenentzündliche Veränderungen.

Der S2 teilte mit, dass sich der Kläger am 18. März 2019 wegen seit vier Wochen bestehender Schmerzen im Bereich des rechten Ohres mit Nässegefühl des Kopfes und des Oberkiefers vorgestellt habe. Die HNO-ärztliche Untersuchung sei unauffällig gewesen. Der neurologische Befund sei regelrecht, eine CT des Kopfes habe ebenfalls einen unauffälligen Befund ergeben. Bei der Vorstellung am 27. März 2019 habe der Kläger berichtet, dass er die Schmerzen durch Druck an der hinteren oberen Zahnreihe rechts auslösen könne. Ein kieferorthopädisches Konzil sei veranlasst worden. Bei der nächsten Vorstellung am 5. Februar 2020 sei von klopfenden Schmerzen im Bereich des rechten Ohres mit Ausstrahlung zum Kopf, vor allem bei seiner Tätigkeit als Busfahrer, berichtet worden. Warme Heizungsluft in diesem Bereich sei unangenehm. Mit Ohrstöpsel sei der Schmerz erträglicher, wegen nächtlichem Zähneknirschen habe er eine Bissschiene erhalten. Bei der Untersuchung werde jetzt eine sensible Störung im Bereich des 3. Trigeminusastes angegeben. Bei den Vorstellungen sei, unter Berücksichtigung von Verständnisschwierigkeiten, kein Unfall mit Zahnverletzungen erwähnt worden.

Die S1 übersandte ihre Behandlungsunterlagen und wies darauf hin, dass die Behandlungen teilweise nicht mit dem Arbeitsunfall zu tun hätten, bei dem der Zahn 14 zerstört worden sei und habe entfernt werden müssen. Ein großes „Schmerzproblem“ des Klägers sei sein Knirschen, Pressen bzw. seine verspannte Muskulatur und im Besonderen die Kiefer- und Kaumuskulatur. Nachdem der Kläger Schwierigkeiten mit der Brücke angegeben habe, sei diese als Kulanzleistung am 10. Oktober 2019 ersetzt worden. Am 17. Oktober 2019 habe der Kläger Schmerzen auf der rechten Seite geklagt, er meine, dass es unter der Brücke brenne. Die Kaumuskeln seien stark verspannt gewesen, eine Schiene angeraten worden. Am 7. November 2019 sei der Kläger mit starken Ohrenschmerzen vorstellig geworden. Die Zähne seien nicht klopf- oder aufbissempfindlich gewesen, der Vitalitätstest sei ebenso wie das Orthopantomogramm (OPG – zweidimensionale Röntgenaufnahme des Ober- und Unterkiefers) unauffällig. Aber alle Kaumuskeln hätten sich druckdolent gezeigt, sodass manuelle Therapie verordnet worden sei. Im Folgenden sei die Brücke soweit eingeschliffen worden, dass sie fast keinen Kontakt mehr habe. Am 21. Januar 2020 sei der Kläger mit Schmerzen an Zahn 12 vorstellig geworden und eine Wurzelbehandlung erfolgt. Am 10. Februar 2020 sei die Brücke auf Wunsch des Klägers entfernt und er darüber aufgeklärt worden, dass keine neue Brücke eingesetzt werde. Am 18. Februar 2020 sei die Wurzelfüllung an Zahn 12 erfolgt, am 9. März 2020 Wurzelspitzenresektionen an den Zähnen 15, 13 und 12.

Telefonisch führte S1 aus (vgl. Telefonvermerk vom 22. Oktober 2020), dass der Kläger sehr schmerzfokussiert sei und nun alles auf den Unfall beziehe. Er habe sich oft bei ihr vorgestellt, auf seinen Wunsch sei die Schiene entfernt worden, wobei sie einwandfrei gepasst habe. Wurzelbehandlungen seien erfolgt, anhand der Röntgenbefunde und der klinischen Untersuchungsergebnisse seien die Beschwerden nicht zu objektivieren. Unfallfolgen seien derzeit keine zu behandeln. Mittlerweile seien auch weitere Zähne betroffen.

Nach Beiziehung radiologischer Aufnahmen führte der R2 beratungsärztlich aus, dass es nach einer Brückenversorgung – hier nach Verlust des Zahnes 14 – durchaus zu Beschwerden kommen könne, Hinweise darauf seien der Aktenlage aber nicht zu entnehmen. Im Bericht vom 14. September 2020 werde eine Retentionszyste/Mukozele der rechten Kieferhöhle angegeben. Da ein räumlicher Zusammenhang zum entfernten Zahn 14 bestehe, könne eine unfallbedingt entstandene Ursache nicht ausgeschlossen werden. Deshalb seien weitere radiologische Aufnahmen beizuziehen. Dem Bericht vom 15. Oktober 2020 könnten Wurzelkanalbehandlungen an den Zähnen 15, 13 und 12 entnommen werden, die vorbestehend seien. Weshalb der Zahn 15 zwischenzeitlich entfernt worden sei, bleibe unklar. Die Zähne 48 bis 45 fehlten wohl schon seit längerer Zeit. Die Schienentherapie sei unfallfremd notwendig.

In seiner weiteren Stellungnahme – unter Berücksichtigung weiterer radiologischen Aufnahmen – führte R2 aus, dass im CT vom 15. Oktober 2020 die Mukozele (im Befund als Schleimhautpolyp bezeichnet) größer als in der MRT erscheine und oberhalb der Wurzeln der Zähne 17 und 16 liege. Die Zähne 15, 13 und 12 zeigten Wurzelfüllungen und Wurzelspitzenresektionen. Nach Auswertung sämtlicher Unterlagen könne von einer unfallbedingt entstandenen Fraktur der klinischen Krone des bereits vor dem Unfall wurzelgefüllten Zahnes 14 ausgegangen werden. Die Zähne 15 und 13 seien vor dem Unfall ebenfalls mit Wurzelfüllungen versehen gewesen. Die Wurzelfüllung des Zahnes 14 erscheine unvollständig und der Zahn 15 zeige eine periapikale Ostitis. Es sei zu diesem Zeitpunkt bereits von einer erheblichen Vorschädigung auszugehen.

Die Therapie des in Verlust geratenen Zahnes 14 sei mittels Brückenversorgung erfolgt, die am 4. Juli 2019 wieder entfernt und durch ein Provisorium ersetzt worden sei. Am 19. September 2019 sei eine neue Brücke eingegliedert worden. Die Schmerzen hätten sich nicht lindern lassen. Es seien Wurzelspitzenresektionen der Zähne 15, 13 und 12 am 9. März 2020 und Revisionen am 28. April 2020 erfolgt. Am 14. September 2020 sei auf einer MRT eine Mukozele erkannt und auf dem CT vom 15. Oktober 2020 bestätigt worden. Mittlerweile fehlten die Zähne 15 bis 12.

Nach entsprechender Literaturrecherche habe festgestellt werden können, dass die Entstehung einer Mukozele in erster Linie auf eine Minderbelüftung einer Nebenhöhle, als Folge einer Sinusitis, eines Tumors oder eines Traumas zurückzuführen sei. Die Entwicklung einer Mukozele werde mit 10 bis 20 Jahren angegeben. Die unfallbedingte Schädigung des Zahnes 14 habe sich zeitgleich mit der Einwicklung einer vor dem Unfall schon vorhandenen Mukozele ereignet. Insofern könne der Verlust der Zähne 15 bis 12 nicht als Folge des Unfalls aus 2017 angesehen werden.

Mit Bescheid vom 24. Februar 2022 lehnte die Beklagte die Anerkennung der „bestehenden Zahnbeschwerden und die über den 21. März 2019 hinaus notwendigen Zahnbehandlungen“ als Unfallfolge ab. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung in Form von Heilbehandlungsmaßnahmen seien nicht zu erbringen. Zur Begründung führte sie aus, dass von einer unfallbedingt entstandenen Fraktur der klinischen Krone des bereits vor dem Unfall wurzelgefüllten Zahnes 14 ausgegangen werden könne. Die Zähne 15 und 13 seien vor dem Unfall ebenfalls mit Wurzelfüllungen versehen gewesen. Die Wurzelfüllung des Zahnes 14 sei unvollständig gewesen und der Zahn 15 habe eine Wurzelspitzenentzündung gezeigt. Es sei bereits zum Unfallzeitpunkt von einer erheblichen Vorschädigung auszugehen.

Zur Therapie des unfallbedingt in Verlust geratenen Zahnes 14 sei am 21. März 2019 zu Lasten der Beklagten einer Brückenversorgung Zahn 15 bis 13 erfolgt. Diese sei am 4. Juli 2019 nach langanhaltenden Schmerzen entfernt und durch ein Provisorium ersetzt worden. Am 19. September 2019 sei eine neue Brücke eingegliedert worden. Die Schmerzen hätten sich nicht lindern lassen. Am 9. März 2020 seien Wurzelspitzenresektionen der Zähne 15, 13 und 12 sowie Revisionen am 28. April 2020 erfolgt.

Nach entsprechender Literaturrecherche habe festgestellt werden können, dass die Entstehung einer Mukozele in erster Linie auf eine Minderbelüftung einer Nebenhöhle, als Folge einer Nasennebenhöhlenentzündung, eines Tumors oder eines Traumas zurückzuführen sei. Die Entwicklung einer Mukozele werde mit 10 bis 20 Jahren angegeben. Die unfallbedingte Schädigung des Zahnes 14 habe sich damit zeitgleich mit der Entwicklung einer vor dem Unfall schon vorhandenen Mukozele ereignet. Die jetzt vorliegenden Beschwerden seien darauf zurückzuführen.

Den Widerspruch wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juli 2022 zurück. Nach nochmaliger Prüfung seien die Ausführungen und Feststellungen im Bescheid vom 24. Februar 2022 nicht zu beanstanden.

Am 22. August 2022 hat der Kläger Klage beim Sozialgericht Freiburg (SG) erhoben, welches zur weiteren Sachaufklärung – nach mehreren erfolglosen Gutachtenaufträgen – das zahnmedizinische Sachverständigengutachten des W1 nach Aktenlage vom 29. Juli 2024 eingeholt hat. Dieser hat ausgeführt, dass bei dem Arbeitsunfall des Klägers der Zahn 14 besonders schwer verletzt worden sei. Die bukkale Wand des Zahnes sei tief subgingival frakturiert, der Zahn nicht mehr erhaltungswürdig gewesen und habe entfernt werden müssen.

Im OPG vom 2. November 2017 zeigten sich die wurzelkanalgefüllten Zähne 15, 14 und 13. Zahn 15 habe eine apikale Aufhellung und Zahn 14 eine unvollständige Wurzelkanalfüllung. Die natürliche Krone sei auf Gingivaniveau frakturiert. Das OPG vom 16. Mai 2019 ergebe eine Brücke von Zahn 15 auf Zahn 13 sowie Wurzelkanalfüllungen an den Zähnen 15 und 13. Im OPG vom 7. November 2019 sei eine neue Brücke von Zahn 15 bis 13 zu sehen. Die MRT vom 14. September 2020 lasse erkennen, dass in Regio 15 und 16 am Boden der rechten Kieferhöhle eine circa 2 cm große Retentionszyste/Mukozele vorhanden sei. Die CT vom 15. Oktober 2020 zeige eine Mukozele, die Zähne 15, 13 und 12 wiesen Wurzelkanalfüllungen und Wurzelspitzenresektionen auf. Auf dem OPG vom 3. Februar 2021 sei zu erkennen, dass an den Zähnen 15 und 12 Wurzelspitzenresektionen durchgeführt worden seien, solche ergäben sich ebenso an den Zähnen 15, 13 und 12 aus dem Zahnfilm vom 3. Februar 2021. Das OPG vom 4. März 2021 zeige das Fehlen der Zähne 15, 14, 13 und 12.

Tatsache sei damit, dass die Zähne 15, 14 und 13 multiple, teilweise mangelhafte Vorbehandlungen gehabt hätten (Wurzelkanalbehandlungen als meist letzte Möglichkeit, die Zähne zu erhalten) sowie erhebliche Vorschädigungen (Verlust von Zahnhartsubstanz iatrogen und durch frühere Behandlungsmaßnahmen).

Der Zahn 12 sei aufgrund von Schmerzen am 21. Januar 2020 wurzelkanalbehandelt worden. Die exakte Schmerzursache/Diagnose sei der Akte nicht zu entnehmen. Sehr wahrscheinlich habe Zahn 12 eine schmerzhafte akute irreversible Pulpitis/irreversible Entzündung des Zahnnervs gehabt. Diese Erkrankung habe zwingend eine Wurzelkanalbehandlung erfordert. Die Zähne 13 und 15 zeigten auf dem OPG vom 2. November 2017 Wurzelkanalfüllungen. An der Wurzelspitze von Zahn 15 bestehe eine periapikale Aufhellung, sodass die Diagnose einer chronischen apikalen Perodontitis zu stellen sei. Eine solche entwickele sich normalerweise über einen längeren Zeitraum aufgrund eines massiv infizierten Wurzelkanals. Am 9. März 2020 seien primäre Wurzelresektionen an den Zähnen 15, 13 und 12 sowie am 28. April 2020 die Revisionen der Wurzelspitzenresektionen erfolgt. Wurzelspitzenresektionen hätten einige Indikationen, die aus der Akte nicht eindeutig nachvollzogen werden könnten. Eindeutige traumabedingte Befunde wie Kronenfraktur, Kronen-Wurzel-Fraktur etc. ergäben sich aus der Akte nicht. Solche Verletzungen würden normalerweise vom einem erstversorgenden Zahnarzt diagnostiziert, dokumentiert und behandelt. Sie ließen Spätfolgen erwarten.

Bei den Zähnen 15, 13 und 12 habe es sich um wurzelkanalbehandelte Zähne gehandelt. Diese Maßnahme sei der Versuch, nicht die Garantie, den Zahn zu erhalten. Trotz hoher Erfolgsquoten könne es dazu kommen, dass der Zahn entfernt werden müsse. Es gebe viele Gründe für einen Misserfolg der Therapie, die selbst bei absolut korrekter Behandlung nicht eliminiert werden könnten. Die Zähne 15, 13 und 12 seien teilweise insuffizient, unvollständig wurzelkanalbehandelt gewesen. An Zahn 15 habe sich zusätzlich im OPG eine periapikale Aufhellung gezeigt, die normalerweise infolge einer Infektion des Wurzelkanalsystems auftrete. Diese Befunde seien ungünstig und förderten in aller Regel den Misserfolg der Vorbehandlung.

Es fänden sich in der Akte keine konkreten Hinweise, Befunde oder Diagnosen der Nachbarzähne 15 und 13 vom Unfalltag bzw. in den Tagen danach. Initiale Schäden an der Zahnhartsubstanz könnten somit übersehen oder nicht dokumentiert worden sein. Das beschriebene abgerutschte Kantholz könne die knöchernen und dentalen Strukturen in den Zahnregionen 15 bis 13 stumpf und indirekt traumatisiert haben. Dies hätte allerdings mindestens zu Hämatomen und vielleicht auch Brüchen des Alveolarknochens führen müssen, die einem Behandler normalerweise aufgefallen wären.

Das zeitnahe Auftreten der Beschwerden an den Zähnen 15 und 13 verleite zu der Annahme, dass ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Unfall und den Beschwerden an den Nachbarzähnen bestehe. Diese Vermutung sei äußerst vage und könne nach Aktenlage nicht untermauert werden. Es fehlten die typischen Befunde und Diagnosen, die nach Traumata an den betroffenen Zähnen aufträten. Zahntraumata führten häufig zu Alterationen auf der Wurzeloberfläche. Daraus resultierten externe Wurzelresorptionen oder die Zähne könnten ankylosieren. Diese Phänomene hätten an den Zähnen 15, 13 und 12 nicht festgestellt werden können. Insofern sei auch die Auswirkung des Kantholztraumas in Bezug auf die Kausalität der zusätzlichen Zahnverluste fragwürdig.

Aus der Akte sei ersichtlich, dass sich im Verlauf der Schmerzanamnese und den anschließenden klinischen Befunden Widersprüche zwischen den erhobenen Befunden und der vom Kläger geschilderten Symptomatik ergäben. Dabei müsse berücksichtigt werden, dass einige Krankheitsbilder nicht-odontogenen Ursprungs eine ähnliche und unter Umständen nur schwer zu differenzierende Symptomatik aufwiesen wie odontogene Erkrankungen. In diese Kategorie fielen z.B. Beschwerden, die nicht exakt durch zahnärztliche Diagnostik provoziert werden könnten oder Fehlen eines plausiblen Grundes. Weitere Indizien für eine solche Problematik könnten bilaterale Schmerzen sein oder dass der Schmerz mit Ohr- und Gesichtsschmerz kombiniert sei. Es ließen sich durchweg Hinweise und Argumente ableiten, die für eine nicht-odontogene Schmerzursache an den Nachbargeweben von Zahn 14 sprächen.

Der Schaden an Zahn 14 beruhe sicher auf dem Unfallgeschehen. Die weiteren Zahnverluste 15, 13 und 12 stünden zwar in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall und den Folgebehandlungen, könnten aber nicht in unmittelbaren Bezug zum Unfall gebracht werden.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 13. Dezember 2024 abgewiesen. Der Verlust der Zähne 15, 13 und 12 sei nicht Folge des Arbeitsunfalls vom 2. November 2017, durch diesen habe der Kläger lediglich den Zahn 14 verloren. Dies ergebe sich aus dem Sachverständigengutachten des W1, durch das die beratungsärztliche Stellungnahme des R2 bestätigt worden sei.

Am 13. Januar 2025 hat der Kläger Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Der Zahn 14 sei nach dem Unfall nicht erhaltungswürdig gewesen und entfernt worden. Es sei eine dreigliedrige Brücke eingesetzt worden. Danach habe er massive Schwierigkeiten gehabt, nämlich starke Kopf- und Ohrenschmerzen. Die Zähne seien entzündet gewesen. S1 habe ihm am 22. Oktober 2020 mitgeteilt, dass weitere Zähne betroffen seien. Der radiologische Bericht attestiere eine chronische Entzündung des Oberkieferbereichs. Die Ausführungen des W1 bedeuteten nichts anderes, als dass er keine medizinische Erklärung für die Wurzelspitzenresektionen habe, die Jahre nach dem Unfallgeschehen im Jahre 2017 vonnöten gewesen seien. Insoweit sei aber nicht nachvollziehbar, dass zwischen den Beschwerden und dem Verlust der Zähne 13 bis 15 lediglich ein zeitlicher Zusammenhang bestehen solle. Immerhin habe der Zahn 14 unfallbedingt entfernt werden müssen. Diese Entfernungsoperation könne Entzündungen am Kieferknochen sowie am Zahnfleisch hervorrufen und Nachbarzähne schädigen. Der Einsatz einer Brücke könne zu Entzündungen führen. Der Sachverständige lege selbst dar, dass keine Erkenntnisse vorlägen, dass vor dem Unfallgeschehen im Jahre 2017 chronische Entzündungen oder andere Vorschäden an den Zähnen 12, 13 und 15 vorhanden gewesen seien. Dies werde vom Sachverständigen nicht in Betracht gezogen, eine Vernehmung von S1 und dem anschließend behandelnden L1 habe Klarheit schaffen können. Insbesondere der Hinweis der S1, dass durch das Kantholz möglicherweise Nachbarzähne mitbeschädigt worden seien, wenn auch nur leicht, z.B. durch eine schmale Fraktur, sei bei der Frage zu berücksichtigen, ob durch das Eindringen von Bakterien in der Folge Entzündungen entstanden sein könnten. Es müsse davon ausgegangen werden, dass der Verlust der Zähne 12, 13 und 15 ebenfalls unfallbedingt gewesen sei, mindestens als Folge der Behandlung des Zahnes 14, sodass die Beklagte auch für deren Behandlung die Kosten zu tragen habe. Da nicht absehbar sei, welche Folgebehandlungen zukünftig erforderlich seien, sei auch der Feststellungsantrag begründet.

Der Kläger beantragt, sachdienlich gefasst,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Freiburg vom 13. Dezember 2024 aufzuheben und unter Abänderung des Bescheides vom 24. Februar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2022 festzustellen, dass der Verlust der Zähne 12, 13 und 15 Folge des Arbeitsunfalls vom 2. November 2017 ist und die Beklagte zu verpflichten, die Kosten für die Behandlung der weiteren Unfallfolgen zu übernehmen.

Die Beklagte beantragt,

            die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Sie verweist auf die angefochtene Entscheidung. Sämtliche Ärzte hätten den Verlust des Zahnes 14 als unfallbedingt gewertet, die Einbußen der Zähne 12, 13 und 15 sowie die fortbestehenden Schmerzen aber als unfallunabhängig beurteilt. Die Verluste der Zähne 12, 13 und 15 hätten zwar in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Unfall und dessen Folgebehandlungen gestanden, könnten aber unter Berücksichtigung der für die gesetzliche Unfallversicherung geltenden Kausalitätsgrundsätzen nicht ursächlich auf den Unfall zurückgeführt werden, zumal an den Zähnen 12, 13 und 15 keine traumatisch bedingten Befunde und Diagnosen hätten festgestellt werden können. Vielmehr hätten sich Vorschäden in Form von insuffizienten Wurzelkanalbehandlungen mit zusätzlichen Entzündungsreaktion an der Zahnwurzelspitze von Zahn 15 bereist am Unfalltag bildtechnisch nachweisen lassen.

Die Beteiligten haben einer Entscheidung des Senats ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Gerichtsakte Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

Die form- und fristgerecht (§ 151 Sozialgerichtsgesetz [SGG]) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat ohne mündliche Verhandlung (§ 124 Abs. 2 SGG) entscheidet, ist statthaft (§§ 143, 144 SGG) und auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet.

Streitgegenstand des Berufungsverfahrens ist der Gerichtsbescheid des SG vom 13. Dezember 2024, mit dem die kombinierte Anfechtungs-, Feststellungs- und Verpflichtungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG) auf Feststellung weiterer Unfallfolgen und der Verpflichtung auf Gewährung von Heilbehandlung unter Abänderung des Bescheides vom 24. Februar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) vom 21. Juli 2022 abgewiesen worden ist.
Maßgebender Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist bei dieser Klageart grundsätzlich der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in den Tatsacheninstanzen (vgl. BSG, Urteil vom 2. September 2009 – B 6 KA 34/08 –, juris, Rz. 26; Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl. 2023, § 54 Rz. 34), ohne eine solche derjenige der Entscheidung.

Die Unbegründetheit der Berufung folgt aus der Unzulässigkeit der Klage, soweit der Kläger pauschal die Gewährung weiterer Heilbehandlung beansprucht hat. Leistungen der Heilbehandlung nach §§ 26 ff. Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) sind als Sach- und Dienstleistungen zur Verfügung zu stellen (vgl. § 26 Abs. 4 Satz 2 SGB VII) und damit grundsätzlich als Naturalleistung zu gewähren (vgl. BSG, Urteil vom 20. März 2007 – B 2 U 38/05 R –, juris, Rz. 13). Solche Sachleistungen sind einem Grundurteil nach § 130 SGG nicht zugänglich (vgl. Senatsurteil vom 14. September 2023 – L 6 VG 1744/23 –, juris, Rz. 50). Insoweit käme nur eine konkret bezifferte (kombinierte Anfechtungs- und) Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und 4 SGG) in Betracht, aber weder eine Feststellungs- noch eine Verpflichtungsklage.

Im Übrigen ergibt sich die Unbegründetheit der Berufung aus der Unbegründetheit der Klage. Der Bescheid vom 24. Februar 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 21. Juli 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 54 Abs. 1 Satz 2 SGG). Auch zur Überzeugung des Senats kann dieser die Feststellung weiterer Unfallfolgen nicht beanspruchen. Das Berufungsvorbringen führt zu keiner anderen Beurteilung, da dessen eigenen medizinischen Schlussfolgerungen – für die ihm die Sachkunde fehlt – nicht mit der Aktenlage vereinbar sind und daneben die Beweisgrundsätze der gesetzlichen Unfallversicherung verkennen. Das SG hat die Klage daher zu Recht abgewiesen.


Rechtsgrundlage ist § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Arbeitsunfälle sind danach Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Ein Arbeitsunfall setzt mithin voraus, dass die Verrichtung zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer oder sachlicher Zusammenhang), sie zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis geführt (Unfallkausalität) und dadurch einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten objektiv und rechtlich wesentlich verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität; stRspr; vgl. z.B. BSG Urteile vom 30. März 2023 - B 2 U 1/21 R - SozR 4-2700 § 2 Nr. 62 Rz. 15, vom 8. Dezember 2022 - B 2 U 14/20 R - BSGE 135, 155 = SozR 4-2700 § 2 Nr 60, Rz. 10 und vom 28. Juni 2022 - B 2 U 16/20 R - BSGE 134, 203 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 82, Rz. 11, jeweils m.w.N.).

Durch den Versicherungsfall wird ein Gesundheitserstschaden (eine Gesundheitsbeeinträchtigung) einer bestimmten versicherten Tätigkeit und dadurch zum einen dem Versicherten zugerechnet, der (nur) unfallversichert ist, wenn und solange er eine versicherte Tätigkeit verrichtet. Zum anderen wird der Gesundheitserstschaden einem bestimmten Unfallversicherungsträger zugerechnet, dessen Verbandszuständigkeit für diesen Versicherungsfall und alle gegenwärtig und zukünftig aus ihm entstehenden Rechte dadurch begründet wird. Es entsteht also mit der Erfüllung des Tatbestandes eines Versicherungsfalls ein als Rechtsverhältnis feststellbares Leistungsrechtsverhältnis zwischen dem Versicherten und dem Träger als Inbegriff aller aus dem Versicherungsfall entstandenen und möglicherweise noch entstehenden Ansprüche. Zweitens gehören zu den abstrakt feststellbaren Anspruchselementen die (sog. unmittelbaren) Unfallfolgen im engeren Sinn, also die Gesundheitsschäden, die wesentlich (und deshalb zurechenbar) spezifisch durch den Gesundheitserstschaden des Versicherungsfalls verursacht wurden. Drittens zählen hierzu auch die (sog. mittelbaren) Unfallfolgen im weiteren Sinn, also die Gesundheitsschäden, die nicht wesentlich durch den Gesundheitserstschaden des Versicherungsfalls verursacht wurden, aber diesem oder einem (behaupteten) Unfallereignis aufgrund einer besonderen gesetzlichen Zurechnungsnorm zuzurechnen sind (BSG, Urteil vom 5. Juli 2011 – B 2 U 17/10 R –, juris, Rz. 15 ff.).

Die unfallversicherungsrechtliche Zurechnung setzt erstens voraus, dass die Verrichtung der versicherten Tätigkeit den Schaden, gegebenenfalls neben anderen konkret festgestellten unversicherten (Wirk-)Ursachen, objektiv (mit-)verursacht hat. Für Einbußen der Verletzten, für welche die versicherte Tätigkeit keine (Wirk-)Ursache war, besteht schlechthin kein Versicherungsschutz und haben die Trägerinnen der gesetzlichen Unfallversicherung nicht einzustehen. (Wirk-)Ursachen sind nur solche Bedingungen, die erfahrungsgemäß die in Frage stehende Wirkung ihrer Art nach notwendig oder hinreichend herbeiführen. Insoweit ist Ausgangspunkt der Zurechnung die naturwissenschaftlich-philosophische Bedingungstheorie, nach der schon jeder beliebige Umstand als notwendige Bedingung eines Erfolges gilt, der nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele („conditio sine qua non“). Im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung muss eine versicherte Verrichtung, die im Sinne der „Conditio-Formel“ eine erforderliche Bedingung des Erfolges war, darüber hinaus in seiner besonderen tatsächlichen und rechtlichen Beziehung zu diesem Erfolg stehen. Sie muss (Wirk-)Ursache des Erfolges gewesen sein, muss ihn tatsächlich mitbewirkt haben und darf nicht nur eine im Einzelfall nicht wegdenkbare zufällige Randbedingung gewesen sein.

Ob die versicherte Verrichtung eine (Wirk-)Ursache für die festgestellte Einwirkung und die Einwirkung eine (Wirk-)Ursache für den Gesundheitserstschaden (oder den Tod) war, ist eine rein tatsächliche Frage. Sie muss aus der nachträglichen Sicht („ex post“) nach dem jeweils neuesten anerkannten Stand des Fach- und Erfahrungswissens über Kausalbeziehungen, gegebenenfalls unter Einholung von Sachverständigengutachten, beantwortet werden (vgl. dazu BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 - B 2 U 9/11 R -, SozR 4-2700 § 8 Nr. 44, Rz. 61 ff.).

Eine Verrichtung ist jedes konkrete Handeln von Verletzten, das objektiv seiner Art nach von Dritten beobachtbar und subjektiv, also jedenfalls in laienhafter Sicht, zumindest auch auf die Erfüllung des Tatbestandes der jeweiligen versicherten Tätigkeit ausgerichtet ist. Als objektives Handeln der Verletzten kann es erste Ursache einer objektiven Verursachungskette sein. Diese kann über die Einwirkung auf den Körper, über Gesundheitserstschäden oder den Tod hinaus bis zu unmittelbaren oder im Sinne von § 11 SGB VII, der für die zweite Prüfungsstufe andere Zurechnungsgründe als die Wesentlichkeit regelt, mittelbaren Unfallfolgen sowie auch zur MdE reichen, derentwegen das SGB VII mit der Rente ein Leistungsrecht vorsieht (vgl. BSG, a. a. O., Rz. 31).

Erst wenn die Verrichtung, die möglicherweise dadurch verursachte Einwirkung und der möglicherweise dadurch verursachte Erstschaden festgestellt sind, kann und darf auf der ersten Prüfungsstufe der Zurechnung, also der objektiven Verursachung, über die tatsächliche Kausalitätsbeziehung zwischen der Verrichtung und der Einwirkung mit dem richterlichen Überzeugungsgrad mindestens der Wahrscheinlichkeit entschieden werden. Es geht hierbei ausschließlich um die rein tatsächliche Frage, ob und gegebenenfalls mit welchem Mitwirkungsanteil die versicherte Verrichtung, gegebenenfalls neben anderen konkret festgestellten unversicherten (Wirk-)Ursachen, eine (Wirk-)Ursache der von außen kommenden, zeitlich begrenzten Einwirkung auf den Körper von Versicherten war (vgl. BSG, a. a. O., Rz. 32).

Zweitens muss der letztlich durch die versicherte Verrichtung mitbewirkte Schaden rechtlich auch unter Würdigung unversicherter Mitursachen als Realisierung einer in den Schutzbereich der begründeten Versicherung fallenden Gefahr, eines dort versicherten Risikos, zu bewerten sein. Denn der Versicherungsschutz greift nur ein, wenn sich ein Risiko verwirklicht hat, gegen das die jeweils begründete Versicherung Schutz gewähren soll (vgl. BSG, a. a. O., Rz. 33).

Wird auf der ersten Stufe die objektive (Mit-)Verursachung bejaht, indiziert dies in keiner Weise die auf der zweiten Stufe der Zurechnung rechtlich zu gebende Antwort auf die Rechtsfrage, ob die Mitverursachung der Einwirkung durch die versicherte Verrichtung unfall-versicherungsrechtlich rechtserheblich, also wesentlich, war. Denn die unfallversicherungs-rechtliche Wesentlichkeit der (Wirk-)Ursächlichkeit der versicherten Verrichtung für die Einwirkung muss eigenständig rechtlich nach Maßgabe des Schutzzweckes der jeweils begründeten Versicherung beurteilt werden (vgl. BSG, a. a. O., Rz. 34). Sie setzt rechtlich voraus, dass der Schutzbereich und der Schutzzweck der jeweiligen durch die versicherte Verrichtung begründeten Versicherung durch juristische Auslegung des Versicherungstat-bestandes nach den anerkannten Auslegungsmethoden erkannt werden. Insbesondere ist festzuhalten, ob und wie weit der Versicherungstatbestand gegen Gefahren aus von ihm versicherten Tätigkeiten schützen soll (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 15. Mai 2012 – B 2 U 16/11 R –, SozR 4-2700 § 2 Nr. 21, Rz. 21 ff.). Nur wenn beide Zurechnungskriterien bejaht sind, erweist sich die versicherte Verrichtung als wesentliche Ursache (vgl. BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 – B 2 U 9/11 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr. 44, Rz. 37).

Hinsichtlich des Beweismaßstabes gilt für die Beweiswürdigung bei der Tatsachenfeststellung, dass die Tatsachen, die solche Gesundheitsschäden erfüllen, im Grad des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, für das Gericht feststehen müssen. Demgegenüber genügt für den Nachweis der naturphilosophischen Ursachenzusammenhänge zwischen der versicherten Einwirkung und einem Gesundheitserstschaden sowie zwischen einem Gesundheitserst- und einem Gesundheitsfolgeschaden der Grad der (hinreichenden) Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die Glaubhaftmachung und erst Recht nicht die bloße Möglichkeit (vgl. BSG, Urteile vom 2. April 2009 – B 2 U 9/07 R –, juris, Rz. 16 und vom 31. Januar 2012 – B 2 U 2/11 R –, SozR 4-2700 § 8 Nr 43, Rz. 17).

Das Bestehen einer Beeinträchtigung des körperlichen und geistigen Leistungsvermögens muss ausgehend von konkreten Funktionseinbußen beurteilt werden. Soweit die MdE sich nicht ausnahmsweise unmittelbar aus den Unfallfolgen erschließt, bilden festgestellte und eindeutig nach gängigen Diagnosesystemen (z. B. ICD-10, DSM-IV) konkret zu bezeichnende Krankheiten (vgl. BSG, Urteile vom 9. Mai 2006 – B 2 U 1/05 R –, BSGE 96, 196 <203> und vom 15. Mai 2012 – B 2 U 31/11 R –, juris, Rz. 18; Urteile des Senats vom 26. November 2015 – L 6 U 50/15 –, juris, Rz. 48 m. w. N. und vom 17. März 2016 – L 6 U 4796/13 –, juris, Rz. 37), wobei von einem normativ-funktionalen Krankheitsbegriff auszugehen ist (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 2017 – B 2 U 17/15 R –, juris, Rz. 22 m. w. N.), die Tatsachengrundlage, von der ausgehend die Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Leistungsvermögens auf dem Gebiet des gesamten Erwerbslebens zu beurteilen ist (BSG, Urteil vom 18. Januar 2011 – B 2 U 5/10 R –, SozR 4-2700 § 200 Nr 3, Rz. 17 m. w. N.).

Nach diesen Maßstäben hat die Beklagte mit dem angefochtenen Bescheid vom 24. Februar 2022 – sinngemäß – das Ereignis vom 2. November 2017 – den Schlag mit dem Kantholz in das Gesicht des Klägers – als Arbeitsunfall und den Verlust des Zahnes 14 als Unfallfolge anerkannt. Darüber hinaus hat sie jedenfalls die Anerkennung des Verlustes der Zähne 15 und 13 als Unfallfolge abgelehnt.

Die Feststellung weiteren unfallbedingten Zahnverlustes kann der Kläger nicht beanspruchen, sodass dahinstehen kann, ob die Beklagte hinsichtlich des Zahnes 12 überhaupt eine Verwaltungsentscheidung getroffen hat. Weder anhand der aktenkundigen Unterlagen, die der Senat im Wege des Urkundbeweises verwertet (§ 118 Abs. 1 SGG i. V. m. §§ 415 ff. Zivilprozessordnung [ZPO]), noch aufgrund des Sachverständigengutachtens des
W1 lässt sich ein Unfallzusammenhang des weiteren Zahnverlustes ableiten.

Für den Senat überzeugend hat
W1 nämlich herausgearbeitet, dass an den Nachbarzähnen 13 und 15 weder am Unfalltag noch in den Tagen danach pathologische Befunde beschrieben sind, also schon gar kein Gesundheitserstschaden dokumentiert worden ist. Dass es der Sachverständige, ebenso wie der R2, für möglich hält, dass durch das abgerutschte Kantholz knöcherne und dentale Strukturen stumpf und indirekt hätten traumatisiert werden können, führt schon deshalb nicht weiter, da es sich nur um eine Mutmaßung handelt, die nicht durch entsprechende Befunde belegt oder gar ärztlich gesichert ist. Im Übrigen legt der Sachverständige selbst dar, dass dann jedenfalls Hämatome oder Brüche des Alveolarknochens zu erwarten stünden, die dem Behandler hätten auffallen müssen, was vorliegend aber gerade nicht der Fall ist.

Daneben hat er aus medizinischer Sicht herausgestellt, dass aus dem rein zeitlichen Zusammenhang nicht auf eine Ursächlichkeit des Unfalls geschlossen werden kann, da es an typischen Befunden und Diagnosen, die nach Traumata an den betroffenen Zähnen auftreten, fehlt. So führen, wie
W1 darlegt, Zahntraumata häufig zu Alterationen an der Wurzeloberfläche, woraus externe Wurzelresorptionen folgen oder ein Ankylosieren der Zähne, was bei dem Kläger alles nicht der Fall gewesen ist.

Anders als der Kläger glauben machen will, bedarf es der Feststellung von Alternativursachen für den Zahnverlust nicht, aus dem Fehlen von solchen kann allein nicht auf einen Unfallzusammenhang geschlossen werden. Unabhängig davon hat
W1 aber aufgezeigt, dass sich unmittelbar nach dem Unfall im OPG an Zahn 15 bereits eine periapikale Aufhellung gezeigt hat, die er auf eine Infektion des Wurzelkanalsystems und damit eine bereits schon zum Unfallzeitpunkt bestehende Entzündung zurückführt. Weiter hat er dargelegt, dass die Zähne 12, 13 und 15 schon zuvor teilweise insuffizient und unvollständig wurzelkanalbehandelt gewesen sind, wobei Wurzelkanalbehandlungen den Versuch einer Zahnerhaltung darstellen, deren Erfolg auch bei korrekter Behandlung nicht garantiert ist. Damit sind Vorschäden belegt, worauf schon R2 beratungsärztlich hingewiesen hat.

Soweit
R2 auf eine in der MRT und CT sichtbare Mukozele verweist, hat er – unter Bezugnahme auf die einschlägige Literatur – herausgestellt, dass sich eine solche über einen Zeitraum vom 10 bis 20 Jahren entwickelt, daher vorbestehend gewesen sein muss und damit nur in zeitlichem Zusammenhang zum Unfallereignis sichtbar geworden ist. Hinsichtlich des Zahnes 12 hat W1 ergänzend ausgeführt, dass der Grund für die im Januar 2020 durchgeführte Wurzelbehandlung – über zwei Jahre nach dem Unfall – aus der Akte nicht eindeutig hervorgeht, aber von einer Entzündung des Zahnnervs ausgegangen werden muss. Hinsichtlich der Wurzelspitzenresektionen hat er dargelegt, dass solche einige Indikationen haben, traumabedingte Befunde – die von einem erstbehandelnden Zahnarzt gesehen werden müssten – aber nicht objektiviert sind, sodass auch insoweit kein Unfallzusammenhang erwiesen ist.

Der Kläger übersieht bei seinem Berufungsvorbringen weiter, dass die
S1 von der Beklagten befragt worden ist und ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass behandlungsbedürftige Unfallfolgen bei dem Kläger nicht bestehen. Sie hat aufgezeigt, dass die Brücke auf Wunsch des Klägers soweit eingeschliffen worden war, dass sie keinen Kontakt mehr hatte, der Kläger aber auf die Entfernung bestanden hat, obwohl sie einwandfrei gepasst hat. Betont hat sie weiter, dass anhand der Röntgenbefunde und der klinischen Befunde die Beschwerden des Klägers schon nicht zu objektivieren, also keine pathologischen Befunde nach dem Einsetzen der Brücken zu sichern waren. Entgegen dem Vorbringen des Klägers hat S1 nämlich dargelegt, dass nach dem Einsetzen der zweiten Brücke die Zähne nicht klopf- oder aufbissempfindlich waren und der Vitalitätstest wie das OPG unauffällig, sodass mittelbare Schäden ebenfalls nicht objektiviert sind. Das Betroffensein weiterer Zähne hat sie gerade nicht in einem Unfallzusammenhang gesehen.

Weiter hat sie dargelegt, dass das große „Schmerzproblem“ des Klägers das Knirschen, Pressen bzw. die verspannte Muskulatur und im Besonderen der Kiefer- und Kaumuskulatur ist und sich alle Kaumuskeln bei der Untersuchung druckdolent zeigten. Somit hat
S1 eine – auch von ihr als unfallunabhängig gesehene – Ursache der Beschwerden beschrieben, die durch den Befundbericht der Universitätsklinikums F1 bestätigt wird, in dem ebenfalls ausgeführt ist, dass die Beschwerden im Rahmen der kieferorthopädischen Therapie zu sehen sind und kein Anhalt für einen Fokus im HNO-Bereich besteht. Passend hierzu ist gegenüber dem S2 ein Unfall mit Zahnverletzungen schon gar nicht beschrieben worden, dieser hat vielmehr nur auf das nächtliche Zähneknirschen verwiesen, weshalb eine Bissschiene verordnet worden ist. Daneben hat W1 darauf hingewiesen, dass sich Widersprüche in Schmerzanamnese und klinischen Befunden zeigen und dass Krankheitsbilder nicht-ontogenen Ursprungs eine unter Umständen nur schwer zu differenzierende Symptomatik aufweisen, sich vorliegend aber jedenfalls keine Anhaltspunkte für eine odontogene Schmerzursache ergeben.

Nachdem der Kläger somit keine weitergehenden Unfallfolgen zur Feststellung beanspruchen kann, kommt auch materiell-rechtlich kein weiterergehender Anspruch auf Heilbehandlung nach §§ 26 ff. SGB VII in Betracht.

Weiterer Ermittlungsbedarf hat nicht bestanden. Die aktenkundigen medizinischen Unterlagen haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen Grundlagen vermittelt. Die Würdigung der eingeholten Sachverständigengutachten ist ureigene tatrichterliche Aufgabe (vgl. BSG, Beschluss vom 11. März 2016 – B 9 V 3/16 B –, juris, Rz. 6) und die Würdigung unterschiedlicher Gutachten gehört wie die anderer widersprechender Beweisergebnisse zur Beweiswürdigung selbst (vgl. BSG, Beschluss vom 12. Dezember 2003 – B 13 RJ 179/03 B). Die initial behandelnde Ärzte
S1 ist von der Beklagten bereits gehört worden, eine wiederholte Beweisaufnahme schon deshalb nicht geboten. Im Übrigen sind deren Befunde durch den Sachverständigen W1 – wie zuvor schon durch den R2 – ausgewertet worden, wobei der Sachverständige keine objektivierten Gesundheitserstschäden feststellen konnte. Dass der wohl zwischenzeitlich behandelnde L1 solche erhoben hätte, hat der Kläger schon gar nicht behauptet. Nachdem dieser die Behandlung des Klägers aber wohl erst deutlich später aufgenommen hat, wäre ein solches Vorbringen auch schon unplausibel und würde deshalb keinen weiteren Ermittlungsbedarf begründen.

Die Berufung konnte daher keinen Erfolg haben und war zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe, die Revision zuzulassen, sind nicht gegeben, da die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen.


 

Rechtskraft
Aus
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