Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 07.05.2024 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten um die Feststellung von Unfallfolgen sowie die Gewährung einer Verletztenrente.
Der 1975 in der Türkei geborene Kläger war bei der D1 AG, Werk M1, als Maschinenbediener beschäftigt. Am 06.04.2017 fiel ihm ein etwa 6 kg wiegender Zylinderkopf auf den linken Fuß. Der Kläger trug dabei Sicherheitsschuhe. Der Durchgangsarztbericht des Klinikums E1 vom 06.04.2027 diagnostizierte eine Grundgliedfraktur der Großzehe links, welche am 24.04.2017 in der M2 Klinik K1, Klinik für Unfallchirurgie und Orthopädische Chirurgie, operativ mittels Reposition und Osteosynthese versorgt wurde.
Postoperativ entwickelte sich ein Wundinfekt, weshalb sich der Kläger vom 09.05.2017 bis zum 19.05.2017 nochmals in stationärer Behandlung in der M2 Klinik in K1 befand. Am 30.05.2017 erfolgte eine Arthrodese des Interphalangealgelenkes der linken Großzehe mit Mini-Fixateur in der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik T1, Abteilung für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie, im Rahmen einer stationären Behandlung vom 19.05.2017 bis zum 06.06.2017. Der Kläger befand sich vom 08.06.2017 bis zum 09.06.2017 in stationärer Behandlung in der Abteilung für Neurologie der BG-Klinik T1 wegen einer CT-morphologischen Läsion des Schädels rechtshemisphärisch sowie paroxysmaler Ereignisse seit mehreren Jahren mit Übelkeit über Minuten und nachfolgender ungerichteter Angst, Panikattacken, DD Panikstörung, DD epileptisch. Der weitere intra- und postoperative Verlauf gestaltete sich komplikationslos. Der Kläger erhielt in der Folgezeit Verletztengeld über seine Krankenkasse ausgezahlt.
Eine Untersuchung des Klägers bei F1, Abteilung für Septische Chirurgie, BG-Klinik T1 vom 25.10.2017 ergab noch Schmerzen im Bereich des Vorfußes, woraufhin eine Einlagenversorgungoptimierung und eine Schuhversorgung rezeptiert wurden. Auf Grund eines noch bestehenden ausgeprägten Belastungsdefizites, der Schmerzhaftigkeit sowie der Schwellneigung des linken Fußes empfahl F1 in seinem Bericht vom 16.04.2018 die Durchführung einer komplex stationären Rehabilitation (KSR), die in der BG-Klinik T1 vom 17.05.2018 bis zum 14.06.2018 durchgeführt wurde und zu keiner Verbesserung des Gangbildes führte.
Ein Verlaufsbericht vom 15.10.2018 von S1 und W1 von der BG-Klinik T1 führte ein noch anhaltendes Belastungs- und Ausdauerdefizit mit rückläufigen Beschwerden an der Großzehe bei nicht anatomisch verheilter Großzehengrundgliedfraktur auf.
Der H1 übersandte am 06.11.2018 Befundberichte vom 12.07.2018 und vom 09.10.2018 (Diagnosen u.a.: mittelgradige depressive Episode, V. a. posttraumatische Belastungsstörung, Panikstörung). R1 teilte am 22.11.2018 als vorläufige Diagnose eine Anpassungsstörung mit depressiver und ängstlicher Symptomatik gemischt mit.
W1 teilte in einer Sondersprechstunde in der BG-Klinik T1 am 24.01.2019 mit, dass die Unfallfolgen gut und belastungsstabil verheilt seien. Die orthopädischen Arbeitsschuhe seien gut gearbeitet und mit einer guten Abrollhilfe versehen, sodass der Verletzte den linken Fuß physiologisch abrollen könne. Eine Arbeitsaufnahme im Rahmen einer Arbeits- und Belastungserprobung sei angezeigt. Der Kläger begegnete dieser mit Vorbehalten und trat diese zunächst infolge einer Arbeitsunfähigkeit vom 28.01.2019 bis zum 15.02.2019 nicht an. Nach Genesung des Klägers wurde die Belastungserprobung ab 18.02.2019 erfolgreich durchgeführt. Im Anschluss daran war der Kläger wieder vollschichtig auf seinem alten Arbeitsplatz tätig.
Nach Anhörung des Klägers mit Schreiben vom 29.01.2019 stellte die Beklagte daher die Zahlung von Verletztengeld mit Bescheid vom 22.02.2019 mit Ablauf des 01.03.2019 ein. Diese Entscheidung wurde bestandskräftig.
Ab 17.07.2019 war der Kläger wieder infolge der Diagnosen Gelenkschmerz im Unterschenkel (Fibula, Tibia, Kniegelenk), posttraumatische Belastungsstörung sowie depressive Episode arbeitsunfähig.
Bei einer Untersuchung in der BG-Klinik T1 am 20.12.2019 diagnostizierten B1 und L1 anhaltende chronische Schmerzen sowie eine Gangbildstörung mit vermehrter Abrollung über den Fußaußenrand. Unfallunabhängig bestehe der Verdacht auf eine Depression. Es liege ein medizinischer Endzustand vor.
Am 01.02.2020 knickte der Kläger im privaten Bereich beim Laufen mit dem linken OSG um und zog sich dabei eine partielle Außenbandläsion mit Teilruptur des Ligamentum fibulotalare anterius und des Ligamentum fibulocalcaneare zu.
Mit Bescheid vom 13.02.2020 anerkannte die Beklagte das Ereignis vom 06.04.2017 als Arbeitsunfall und als Unfallfolge eine Belastungseinschränkung des linken Fußes nach operativ versorgter, nicht anatomisch verheilter Großzehengrundgliedfraktur mit Versteifung des Großzehenendgelenkes. Die Anerkennung der lschämie (Durchblutungsstörung) und der psychoreaktiven Störung im Sinne einer mittelgradigen depressiven Episode als Unfallfolgen wurde ebenso wie die Gewährung einer Verletztenrente abgelehnt.
Hiergegen legte der durch seinen damaligen Prozessbevollmächtigten vertretene Kläger mit Schreiben vom 26.02.2020 Widerspruch ein.
Mit Bescheid vom 03.03.2020 lehnte die Beklagte die Anerkennung der Arbeitsunfähigkeit seit dem 01.10.2019 als Folge des Arbeitsunfalles vom 06.04.2017 und des Umknicktraumas vom 01.02.2020 als Folge des Arbeitsunfalles vom 06.04.2017 ab (vgl. Bl. 516 eVA). Der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers legte auch hiergegen mit Schreiben vom 23.03.2020 Widerspruch ein.
Der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers trug zur Begründung des Widerspruchs gegen den Bescheid vom 13.02.2020 mit Schreiben vom 23.03.2020 vor, dass sich der Widerspruch gegen die Nichtanerkennung der psychoreaktiven Störung als Unfallfolge (Ziff. 3 des Bescheides) sowie gegen die Nichtanerkennung des Ausmaßes der verbliebenen körperlichen Unfallfolgen und die Verwehrung einer Rente nach einer MdE von mind. 20 v.H. (Ziff. 4) richte. Die streitige Unfallfolge sei tatsächlich erst im Zusammenhang mit dem Heilungsprozess aufgetreten. Damit aber sei sie als mittelbare Unfallfolge anzuerkennen. Selbst eine wesentliche Verschlimmerung eines bereits bestehenden Vorschadens, der ohne den Arbeitsunfall nicht in diesem Umfang oder nicht annähernd zur selben Zeit eingetreten wäre, wäre anzuerkennen. Die Angaben im Bescheid zu den Verletzungsfolgen seien unrichtig, da die Angabe eines regelrechten Gangbildes bei der Abschlussuntersuchung vom 28.02.2019 überholt sei. Beim Gehen sei dem Kläger der übliche Bewegungsablauf in Gestalt des Abrollens über die Großzehe nicht mehr möglich. Er bewege den Fuß daher in einer Ausweichbewegung über den Außenrand. Diese Ausweichbewegung/Schonhaltung wirke sich auch auf die Wadenmuskulatur und das Knie aus und verursache eine Muskelverschmächtigung, Bewegungsschmerzen sowie nächtliche Ruheschmerzen, die sich in letzter Zeit deutlich verstärkt hätten. Diese Beeinträchtigungen in der Statik hätten mittlerweile auch zu Hüft-, Schulter- und Nackenschmerzen geführt. Das Gehen falle dem Kläger so schwer, dass er am 01.02.2020 mit dem Sprunggelenk umgeknickt sei und sich eine Außenbandläsion mit Teilruptur zweier Bänder zugezogen habe. Zusammen mit der anhaltenden psychoreaktiven Störung ergebe sich eine MdE von mind. 20 v.H..
Die Beklagte veranlasste eine Untersuchung des Klägers durch den L2 mit testpsychologischer Zusatzuntersuchung durch die V1. L2 teilte in seinem neurologisch-psychiatrischen Befundbericht zur Heilverfahrenskontrolle vom 19.06.2020 erhebliche diagnostische Unsicherheiten mit. Zwar würden die beklagten Beschwerden und die erhobenen Befunde eine depressive Störung oder auch eine Angststörung möglich erscheinen lassen. Eine hinreichende sichere Zuordnung bei unzureichender Offenheit (fehlende Medikamenteneinnahme, fehlende Anstrengungsbereitschaft bei der testpsychologischen Untersuchung) sei jedoch nicht möglich.
Mit Widerspruchsbescheiden vom 07.10.2020 wies die Beklagte die Widersprüche des Klägers gegen die Bescheide vom 13.02.2020 und 03.03.2020 als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der jetzige Prozessbevollmächtigte des Klägers jeweils am 03.11.2020 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Die Klage gegen den Bescheid vom 03.03.2020 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2020 wird unter dem Az. S 9 U 2757/20 geführt.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat zur Klagebegründung unter Bezugnahme auf die Ausführungen im Widerspruchsverfahren als weitere Folgen des Arbeitsunfalls vom 06.04.2017 eine psychoreaktive Störung und Kniegelenksschmerzen geltend gemacht. Der Arbeitsunfall könne nicht hinweggedacht werden, ohne dass die streitgegenständlichen Beeinträchtigungen entfielen. Aufgrund der infolge des Arbeitsunfalles versteiften Großzehe komme es zu einer starken Bewegungseinschränkung im linken Vorfuß mit gestörter Abrollfähigkeit und dadurch zu Distorsionen am linken Sprunggelenk mit Außenbandruptur, Bone bruise am Talus und Os naviculare. Ohne die durch den Unfall bestehenden Gangbeeinträchtigungen wäre es nicht zu dem Umknicktrauma am 01.02.2020 gekommen. Er hat zudem einen Bericht von H1 vom 30.06.2021 eingereicht.
Zur Sachaufklärung hat das SG zunächst ein Gutachten bei dem F2 eingeholt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 30.06.2021 im Bereich der unteren Extremitäten eine chronische Instabilität im linken USG, einen Z.n. Teil-Versteifung im Großzehengrundgelenk und eine Muskelminderung des linken Beines diagnostiziert. Den Z.n. Teil-Versteifung im Großzehengrundgelenk und die Muskelminderung des linken Beines hat er als Unfallfolgen eingestuft und mit einer MdE um 10 v.H. bewertet. Unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit habe bis zum 01.03.2019 vorgelegen. Die in den AU-Bescheinigungen ab 01.10.2019 angeführten Diagnosen würden keinen Zusammenhang mit den unfallbedingten Gesundheitsstörungen erkennen lassen. Das Supinationstrauma vom 01.02.2020 hat er als schicksalhaftes Ereignis und nicht als Folge der verbliebenen Gesundheitsstörungen des Unfallereignisses vom 06.04.2017 bewertet.
Nachfolgend hat das SG ein Gutachten bei dem W2 eingeholt. Der Sachverständige hat in seinem Gutachten vom 19.11.2021 zwar eine Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik für möglich erachtet, bei Hinweisen auf verminderte Anstrengungsbereitschaft bzw. negative Antwortverzerrung jedoch Zweifel an der vom Kläger demonstrierten depressiven Symptomatik und dem Vorliegen einer Anpassungsstörung geäußert. Das Vorliegen einer PTBS und einer Panikstörung hat er verneint, ebenso wie eine messbare MdE und eine unfallbedingte Arbeitsunfähigkeit.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in der Folge ärztliche Befundberichte des B2 vom 10.03.2022 und vom 11.05.2023, der H2 vom 01.06.2022 und des A1 vom 11.05.2022 sowie vom 10.11.2023 und von O1 vom 27.11.2023 vorgelegt.
Das SG hat hierzu eine ergänzende Stellungnahme des Sachverständigen F2 eingeholt, der mit Schreiben vom 29.09.2023 an seiner Einschätzung festgehalten hat.
Das SG hat die Klage mit Urteil vom 07.05.2024 abgewiesen. Es stehe auf Grund der (insoweit) bestandskräftigen Entscheidung der Beklagten fest, dass der Kläger am 06.04.2017 einen Arbeitsunfall erlitten habe, als ihm ein etwa 6 kg wiegender Zylinderkopf auf den linken Fuß gefallen sei, und dass als Folge dieses Arbeitsunfalls eine Belastungseinschränkung des linken Fußes nach operativ versorgter, nicht anatomisch verheilter Großzehengrundgliedfraktur mit Versteifung des Großzehenendgelenkes bestehe. Damit sei aber nicht zugleich die Annahme gerechtfertigt, dass sämtliche weitere nach dem Arbeitsunfall festgestellten Gesundheitsschäden - hier konkret die vom Kläger als weitere Folge des Arbeitsunfalles vom 06.04.2017 geltend gemachte psychoreaktive Störung im Sinne einer mittelgradigen depressiven Episode - ursächlich auf diesen Arbeitsunfall zurückzuführen seien. Das SG vermöge bereits eine Erkrankung des Klägers auf psychiatrischem Fachgebiet in Gefolge des in Rede stehenden Arbeitsunfalls nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis festzustellen. Mit L2 gehe auch das SG davon aus, dass sowohl eine Angststörung als auch eine depressive Störung möglich erscheine, bei diagnostisch erheblicher Unsicherheit aufgrund erheblich unzureichender Offenheit (fehlende Anstrengungsbereitschaft, negative Antwortverzerrung, fehlende Medikamenteneinnahme) jedoch eine psychische Störung nicht mit der notwendigen Sicherheit (Vollbeweis) festgestellt werden könne.
In Übereinstimmung dazu habe auch der Sachverständige W2 Zeichen einer depressiven Symptomatik mit depressiver Stimmungslage, Antriebsminderung, verminderter Schwingungsfähigkeit gesehen, allerdings auch Hinweise für eine nichtauthentische Beschwerdeschilderung des Klägers dargelegt. Er habe im Ergebnis in Übereinstimmung mit L2 Zweifel daran geäußert, ob die demonstrierte depressive Symptomatik tatsächlich im geklagten Umfang bestehe. Im Hinblick auf die vom Kläger berichteten möglichen Panikattacken habe der Sachverständige W2 ausgeführt, dass diese lediglich plakativ beschrieben worden seien und auch auf gezielte Nachfrage keine konkrete Schilderung der Attacken möglich gewesen sei. Im Übrigen habe W2 zu Recht darauf hingewiesen, dass der Kläger im Mai 2017 gegenüber den behandelnden Ärzten in der Neurologischen Klinik in T1 angegeben habe, solche Attacken auch schon im Vorfeld des Arbeitsunfalls gehabt zu haben, sodass hier von einer unfallunabhängigen Störung auszugehen sei. Das Vorliegen einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) habe der Sachverständige W2 überzeugend verneint. Weder sei das nach ICD-10 für eine PTBS erforderliche A-Kriterium (das belastende Ereignis stelle eine außergewöhnliche Bedrohung dar oder sei katastrophenartigen Ausmaßes, die bei fast jedem eine tiefgreifende Störung hervorrufen würde; nach DSM-5 z.B. Kriegserfahrungen als Soldat oder Zivilist, ein drohender oder tatsächlicher körperlicher Übergriff, eine Entführung, Geiselnahme, ein terroristischer Anschlag, Kriegsgefangenschaft, Naturkatastrophen etc), noch das C-Kriterium (Umstände, die der Belastung ähneln oder mit ihr im Zusammenhang stünden, würden tatsächlich oder möglichst vermieden) mit der erforderlichen Sicherheit (Vollbeweis) nachweisbar. Auch aus den Berichten bzw. Stellungnahmen der den Kläger behandelnden Ärzte ergebe sich kein anderes Ergebnis. Insoweit sei zunächst im Allgemeinen zu beachten, dass bei der Beweiswürdigung der therapeutische Ansatz zu berücksichtigen sei. Abgesehen davon stützten sich die behandelnden Ärzte bzw. bei den von ihnen angegebenen Diagnosen vorliegend maßgeblich bzw. mitunter in wesentlichen Punkten ausschließlich auf die Angaben des Klägers. Dass sie diese kritisch hinterfragt hätten, sei nicht ersichtlich. Dies sei jedoch - in Anbetracht der von L2, V1 und dem gerichtlichen Sachverständigen W2 beschriebenen Hinweisen für eine nicht-authentische Beschwerdeschilderung des Klägers - im Rahmen des hier geforderten Vollbeweises unabdingbar.
Bei dem Kläger seien ab dem Ende des Verletztengeldanspruchs seit dem 01.03.2019 keine unfallbedingten funktionellen Beeinträchtigungen in einem Ausmaß festzustellen, die eine MdE um mindestens 20 v.H. rechtfertigen. Unter Berücksichtigung der erhobenen Befunde sei es für das SG nachvollziehbar, wenn F2 die Belastungseinschränkung des linken Fußes nach operativ versorgter, nicht anatomisch verheilter Großzehengrundgliedfraktur mit Versteifung des Großzehenendgelenkes mit einer MdE um 10 v.H. bewerte. Dies korrespondiere insbesondere auch mit der gängigen unfallmedizinischen Literatur, wonach bei Versteifung des Großzehengrundgelenkes in Neutralstellung oder leichter Beugestellung die MdE mit 10 v.H. zu bewerten sei (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, S. 714). Einwände habe im Übrigen auch der Kläger insoweit nicht geltend gemacht. Soweit der Kläger psychische Unfallfolgen geltend mache, seien solche nicht im Vollbeweis nachgewiesen und daher auch im Rahmen der MdE-Beurteilung nicht zu berücksichtigen. Soweit der Kläger auf das Umknicktrauma am 01.02.2020 mit partieller Außenbandläsion und Teilruptur des Ligamentum fibulotalare anterius und des Ligamentum fibulocalcaneare verweise, ergebe sich daraus kein für ihn günstiges Ergebnis. Denn dabei handele es sich nicht um eine Folge des in Rede stehenden Arbeitsunfalls vom 06.04.2017. Auch soweit der Kläger Kniegelenksschmerzen geltend gemacht habe, ergebe sich daraus kein für ihn günstiges Ergebnis. Selbst bei - zu Gunsten des Klägers - unterstellten unfallbedingten Kniebeschwerden seien keine MdE-relevanten Funktionsbeeinträchtigungen der Kniegelenke nachgewiesen.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat gegen das ihm am 16.05.2024 zugestellte Urteil am 10.06.2024 Berufung beim Landessozialgericht Baden-Württemberg (LSG) eingelegt. Entgegen der Auffassung des SG sei die psychoreaktive Störung im Sinne einer mittelgradigen depressiven Episode als weitere Folge des Arbeitsunfalles anzuerkennen. W2 zweifle das Vorliegen einer depressiven Symptomatik nicht an, er melde lediglich Bedenken bzgl. des Umfangs an. In seiner ärztlichen Bescheinigung vom 10.11.2023 habe A1 ausdrücklich festgehalten, dass der Kläger „[...]mittlerweile auch an den psychischen Folgen dieser chronischen Schmerzstörung, die ihren Ursprung eindeutig in der durch den Arbeitsunfall 05/2017 erlittenen komplizierten mehrfragmentären Großzehengrundgelenksfraktur links mit den dadurch bedingten Folgekomplikationen[...]" leide. Es liege daher eine unterschiedliche Bewertung der Beeinträchtigung vor. So prüfe das SG das Vorliegen einer mittelgradigen depressiven Episode als direkte Folge des Unfalls. Hierzu passe auch die ablehnende Meinung des W2, wenn er schreibe, dass die mögliche Anpassungsstörung nicht direkt auf das Unfallereignis zurückzuführen sei, sondern zum einen auf die unklare berufliche und finanzielle Perspektive des Klägers, aber auch auf völlig unfallfremde Faktoren, die er im familiären Bereich verorte. A1 führe hingegen aus, dass die psychische Problematik Folge der chronischen Schmerzstörung sei. Diesbezüglich führe W2 aus, dass das chronische Schmerzsyndrom ohne Zweifel auf das genannte Unfallereignis zurückzuführen sei. Die psychische Beeinträchtigung habe sich auf Grundlage des chronischen Schmerzsyndroms entwickelt. Auch hätten die Folgen des Arbeitsunfalls vom 06.04.2017 zum Zustandekommen des am 01.02.2020 erlittenen Umknicktraumas mit partieller Außenbandläsion und Teilruptur des Ligamentum fibulotalare anterius und des Ligamentum fibulocalcaneare wesentlich beigetragen haben. Sofern die Beklagte auf H2 verweise, habe diese einen Zusammenhang zwischen den Beschwerden am Fuß und dem oberen Sprunggelenk lediglich aus organisatorischen Gründen nicht herzustellen vermögen („[...]im Rahmen der regelhaften Sprechstunde nicht möglich[...]") - eine medizinische Aussage werde gerade nicht getroffen. Das SG habe auch die Stellungnahmen von A1 unzutreffend bewertet. Insbesondere in seiner Stellungnahme vom 10.11.2023 lege A1 dar, dass die geltend gemachten Beeinträchtigungen Folge des Arbeitsunfalls seien. Er führe gerade nicht aus, dass der Ursachenzusammenhang nicht auszuschließen oder nur möglich sei. Er lege sich in seiner Stellungnahme nach eindeutigem Dafürhalten fest. B2 führe in seinem Bericht vom 11.05.2023 aus, dass die Kniebeschwerden sowie Sprunggelenksbeschwerden am ehesten durch eine Fehlbelastung durch die Versteifung der linken Zehe kämen. Reserveursachen würden gerade nicht angeführt. Vor diesem Hintergrund werde eine erneute Begutachtung des Klägers angeregt.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Ulm vom 07.05.2024 aufzuheben sowie den Bescheid der Beklagten vom 13.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2020 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, als weitere Folge des Arbeitsunfalles vom 06.04.2017 eine psychoreaktive Strömung im Sinne einer mittelgradigen depressiven Episode sowie ein chronisches Schmerzsyndrom anzuerkennen, und dem Kläger wegen der Folgen des Arbeitsunfalles vom 06.04.2017 Verletztenrente nach einer MdE von mindestens 20 v.H. zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte hat zur Berufungserwiderung auf den Inhalt der Akte und das erstinstanzliche Urteil verwiesen, in dem schlüssig und nachvollziehbar begründet dargelegt werde, aus welchen Gründen das Umknicktrauma vom 01.02.2020 nicht als mittelbare Unfallfolge des anerkannten Arbeitsunfalls des Klägers vom 06.04.2017 zu werten sei. Des Weiteren werde in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Urteils ebenfalls schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass aufgrund des Verhaltens des Klägers – insbesondere fehlende Anstrengungsbereitschaft und Beschwerdeschilderung mit erkennbaren Verdeutlichungstendenzen – auf psychiatrischem Fachgebiet keine valide Diagnose gestellt werden könne. Somit könnten beim Kläger keine Gesundheitsstörungen auf psychiatrischem Fachgebiet festgestellt werden.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schreiben vom 07.11.2024 einen Befundbericht der Sportklinik S2 von F3 vom 08.08.2024 mit der Diagnose persistierende Gonalgie rechts bei beginnender patellofemoraler Chondromalazie II° sowie einen Bericht der G1 vom 27.06.2024 über ein MRT des rechten Kniegelenks eingereicht.
Die Berichterstatterin hat mit Schreiben vom 03.12.2024 den Beteiligten mitgeteilt, dass weitere Ermittlungen von Amts wegen nicht beabsichtigt sind und das Verfahren zur Verhandlung und Entscheidung vorgesehen ist.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schreiben vom 17.12.2024 mitgeteilt, dass der Kläger derzeit eine Antragstellung nach § 109 SGG prüfe. Ein möglicher Antrag hänge von einer Kostenübernahme der rechtsschutzgewährenden Gewerkschaft ab. Aufgrund der dortigen Schließzeiten zu Weihnachten/Neujahr, sei eine Abklärung allerdings erst bis voraussichtlich Ende Januar 2025 möglich. Es werde daher mit einer Entscheidung gebeten noch zuzuwarten; eine Sachstandsmeldung werde spätestens zum 31.01.2025 erfolgen.
Mit Schreiben vom 31.01.2025 hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers angegeben, dass die Frage der Kostenübernahme hinsichtlich eines Antrags nach § 109 SGG leider erst nächste Woche geklärt werden könne, weshalb um kurzfristiges Zuwarten gebeten werde.
Mit Schreiben vom 17.02.2025 hat die Berichterstatterin dem Kläger den Hinweis erteilt, dass ein Antrag nach § 109 SGG bis zum 10.03.2025 zu stellen und innerhalb dieser Frist ein Kostenvorschuss i.H.v. 2.500 € einzuzahlen sei, der Arzt, dessen gutachterliche Äußerung beantragt werde, mit genauer Anschrift zu benennen sowie die beiliegenden Kostenverpflichtungserklärung ausgefüllt und unterschrieben vorzulegen sei. Ein verspätet gestellter Antrag könne nach § 109 Abs. 2 SGG abgelehnt werden. Das Verfahren sei - vorbehaltlich der fristgerechten Stellung des bereits angekündigten Antrages nach § 109 SGG - zur Verhandlung und Entscheidung am 16.05.2025 vorgesehen. Daher werde bereits vorab darauf hingewiesen, dass die bis zum 10.03.2025 gesetzte Frist zur Stellung eines formgerechten Antrages nach § 109 SGG nicht verlängert werden könne. Der Hinweis ist dem Klägerbevollmächtigten mit elektronischem Empfangsbekenntnis am 17.02.2025 zugestellt worden.
Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat mit Schreiben vom 10.03.2025 um weiteres Zuwarten gebeten, da noch nicht habe geklärt werden können, ob aus den Mitteln des Klägers ein Gutachten finanziert werden könne.
Mit Schreiben vom 11.03.2025 hat die Berichterstatterin die beantragte Fristverlängerung abgelehnt. Das Verfahren sei zur Verhandlung und Entscheidung am 16.05.2025 vorgesehen.
Der Senatsvorsitzende hat das Verfahren mit Terminsbestimmung vom 04.04.2025 zur mündlichen Verhandlung am 16.05.2025 geladen.
Bezüglich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die vorgelegte Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143 SGG statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist auch im Übrigen zulässig, aber unbegründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen.
Streitgegenständlich ist im Berufungsverfahren der Bescheid vom 13.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2020, soweit darin die Anerkennung einer psychoreaktiven Störung im Sinne einer mittelgradigen depressiven Episode als weitere Unfallfolgen des Arbeitsunfalls vom 06.04.2017 sowie eine Gewährung einer Verletztenrente wegen der Folgen des Unfalls abgelehnt wurden. Auch soweit der Kläger erstmals im Berufungsverfahren mit Schreiben vom 27.09.2024 die Anerkennung eines chronischen Schmerzsyndroms als Unfallfolge beantragt hat, ist der Klageantrag zulässig. Die Beklagte hat hierüber zwar nicht ausdrücklich im angefochtenen Bescheid entschieden, jedoch die Anerkennung einer psychoreaktiven Störung als Unfallfolge abgelehnt. Hat der Unfallversicherungsträger die Feststellung einer bestimmten Gesundheitsstörung als Folge des Versicherungsfalls abgelehnt, ist der angegriffene Bescheid regelmäßig so auszulegen, dass diese Ablehnung das gesamte Funktionssystem, dem dieser Gesundheitsschaden zugehört, betrifft, weshalb es regelmäßig zulässig ist, im Klageverfahren die Feststellung einer anderen oder vom Versicherten anders benannten Gesundheitsstörung im Bereich desselben Funktionssystems zu beantragen. Anders ist es dagegen bei einer Gesundheitsstörung in einem anderen Funktionssystem, über die der Unfallversicherungsträger im Bescheid keine Entscheidung getroffen hatte (vgl. Senatsurteil vom 20.05.2022 – L 8 U 1273/21 –, juris Rn. 77 ff.; LSG Saarland, Urteil vom 23.06.2021 – L 7 U 25/20 –, juris Rn. 59; BSG, Urteil vom 22.06.2004 – B 2 U 36/03 R –, juris Rn. 17 ff. sowie LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 29.04.2024 – L 10 U 2057/22 –, juris Rn. 40 ff.; siehe auch Keller in: Hauck/Noftz SGB VII, 1. Ergänzungslieferung 2025, § 7 SGB 7 Rn. 6 ff.). Die Ablehnung der psychoreaktiven Störung als Unfallfolge erfasst somit auch die im gleichen Funktionssystem zu verortende Schmerzstörung, so dass der diesbezügliche Klageantrag als Klageerweiterung im Berufungsverfahren nach § 153 Abs. 1 i.V.m. § 99 Abs. 3 Nr. 2 SGG zulässig ist (vgl. Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Auflage 2023, § 99 Rn. 4a sowie Rn. 12; Susnjar/Spellbrink SGb 2021, 129, 130).
Soweit der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Anerkennung weiterer Unfallfolgen begehrt, ist richtige Klageart die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage nach § 54 Abs. 1 SGG oder nach Wahl des Versicherten die Anfechtungsklage kombiniert mit der Feststellungsklage nach § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG (vgl. BSG, Urteil vom 05.07.2011 – B 2 U 17/10 R –; BSG, Urteil vom 27.04.2010 – B 2 U 23/09 R –, juris). Bei dem Klageantrag in der durch den Bevollmächtigten formulierten Fassung handelt es sich nach sachdienlicher Auslegung des Klagebegehrens demnach um eine nach § 54 Abs. 1 SGG zulässige Anfechtungs- und Verpflichtungsklage mit dem Ziel der Feststellung weiterer Unfallfolgen, welche mit den angefochtenen Bescheiden als weitere Unfallfolgen abgelehnt wurden. Hiermit verbunden kann der Kläger auch die Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG im Hinblick auf die Gewährung einer Verletztenrente verfolgen (vgl. auch Senatsurteil vom 20.05.2022 – L 8 U 1273/21 –, juris Rn. 65 ff.).
Die Berufung ist unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 13.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Dieser hat weder Anspruch auf Anerkennung der psychoreaktiven Störung im Sinne einer mittelgradigen depressiven Episode sowie eines chronischen Schmerzsyndroms als Unfallfolgen noch auf die Gewährung einer Verletztenrente.
Die Feststellung einer Gesundheitsstörung als Unfallfolge setzt voraus, dass sie Folge eines Versicherungsfalles, d.h. eines Arbeitsunfalls ist (§§ 7, 8 SGB VII). Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3, 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (§ 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII). Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls i.S. des § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII ist danach in der Regel erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), dass diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis – dem Unfallereignis – geführt hat und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht (haftungsbegründende Kausalität) hat. Die Entstehung länger andauernder Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist nicht Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls (ständige Rechtsprechung, vgl. stellvertretend BSG, Urteile vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R = SozR 4-2700 § 8 Nr. 17, B 2 U 40/05 R = UV-Recht Aktuell 2006, 419-422 und B 2 U 26/04 R = UV-Recht Aktuell 2006, 497-509, alle auch in juris).
Nach der im Sozialrecht anzuwendenden Theorie der wesentlichen Bedingung werden als kausal und rechtserheblich nur solche Ursachen angesehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben (st. Rspr. vgl. stellvertretend BSG vom 12.04.2005 – B 2 U 27/04 R – BSGE 94, 269 = SozR 4-2700 § 8 Nr. 15, jeweils RdNr. 11). Welche Ursache wesentlich ist und welche nicht, muss aus der Auffassung des praktischen Lebens über die besondere Beziehung der Ursache zum Eintritt des Erfolgs bzw. Gesundheitsschadens abgeleitet werden (BSGE 1, 72, 76).
Die Theorie der wesentlichen Bedingung beruht ebenso wie die im Zivilrecht geltende Adäquanztheorie (vgl. BSG, Urteil vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R –, BSGE 96, 196-209, SozR 4-2700 § 8 Nr. 17 sowie zu den Unterschieden BSGE 63, 277, 280 = SozR 2200 § 548 Nr. 91) auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie als Ausgangsbasis. Nach dieser ist jedes Ereignis Ursache eines Erfolges, das nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass der Erfolg entfiele (conditio sine qua non). Aufgrund der Unbegrenztheit der naturwissenschaftlich-philosophischen Ursachen für einen Erfolg ist für die praktische Rechtsanwendung in einer zweiten Prüfungsstufe die Unterscheidung zwischen solchen Ursachen notwendig, die rechtlich für den Erfolg verantwortlich gemacht werden bzw. denen der Erfolg zugerechnet wird, und den anderen, für den Erfolg rechtlich unerheblichen Ursachen.
Bei mehreren Ursachen ist sozialrechtlich allein relevant, ob das Unfallereignis wesentlich war. Ob eine konkurrierende (Mit-)Ursache auch wesentlich war, ist unerheblich. Ist jedoch eine Ursache oder sind mehrere Ursachen gemeinsam gegenüber einer anderen von überragender Bedeutung, so ist oder sind nur die erstgenannte(n) Ursache(n) "wesentlich" und damit Ursache(n) im Sinne des Sozialrechts. Die andere Ursache, die zwar naturwissenschaftlich ursächlich ist, aber (im zweiten Prüfungsschritt) nicht als "wesentlich" anzusehen ist und damit als Ursache nach der Theorie der wesentlichen Bedingung und im Sinne des Sozialrechts ausscheidet, kann in bestimmten Fallgestaltungen als "Gelegenheitsursache" oder Auslöser bezeichnet werden. Für den Fall, dass die kausale Bedeutung einer äußeren Einwirkung mit derjenigen einer bereits vorhandenen krankhaften Anlage zu vergleichen und abzuwägen ist, ist darauf abzustellen, ob die Krankheitsanlage so stark oder so leicht ansprechbar war, dass die "Auslösung" akuter Erscheinungen aus ihr nicht besonderer, in ihrer Art unersetzlicher äußerer Einwirkungen bedurfte, sondern dass jedes andere alltäglich vorkommende Ereignis zu derselben Zeit die Erscheinung ausgelöst hätte. Bei der Abwägung kann der Schwere des Unfallereignisses Bedeutung zukommen (ständige Rechtsprechung; vgl. stellvertretend zum Vorstehenden insgesamt BSG, Urteile vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R, SozR 4 2700 § 8 Nr. 17; B 2 U 40/05 R, UV Recht Aktuell 2006, 419; B 2 U 26/04R, UV Recht Aktuell 2006, 497; alle auch veröffentlicht in juris).
Beweisrechtlich ist zu beachten, dass der je nach Fallgestaltung ggf. aus einem oder mehreren Schritten bestehende Ursachenzusammenhang zwischen dem Unfallereignis und den Unfallfolgen als anspruchsbegründende Voraussetzung positiv festgestellt werden muss. Für die Feststellung des Ursachenzusammenhangs – der haftungsbegründenden und der haftungsausfüllenden Kausalität – genügt hinreichende Wahrscheinlichkeit (st. Rspr. BSGE 19, 52 = SozR Nr. 62 zu § 542 a.F. RVO; BSGE 32, 203, 209 = SozR Nr. 15 zu § 1263 a. F. RVO; BSGE 45, 285, 287 = SozR 2200 § 548 Nr. 38, BSGE 58, 80, 83 = SozR 2200 § 555a Nr. 1). Diese liegt vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden; die reine Möglichkeit genügt nicht (BSG, Urteile vom 09.05.2006 – B 2 U 1/05 R und B 2 U 26/04 R – a.a.O. m.w.H.). Dagegen müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i.S. des Vollbeweises, also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen werden (BSG SozR 3-5670 Anl. 1 Nr. 2108 Nr. 2 m.w.N.).
In Anwendung dieser Maßgaben stellt der Senat im Ausgangspunkt fest, dass der Kläger am 06.04.2017 einen Arbeitsunfall erlitten hat, als ihm bei seiner beruflichen Tätigkeit ein Zylinderkopf auf den linken Fuß fiel. Die Beklagte hat in den angegriffenen Bescheiden – insofern bestandskräftig und damit bindend – das Ereignis vom 06.04.2017 als Arbeitsunfall anerkannt.
Entgegen der Auffassung der Klägerseite sind jedoch keine weiteren Unfallfolgen festzustellen. Die Beklagte hat zu Recht im Bescheid vom 13.02.2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.10.2020 die Anerkennung der psychoreaktiven Störung im Sinne einer mittelgradigen depressiven Episode als Unfallfolge abgelehnt. Auch das im Berufungsverfahren als Unfallfolge geltend gemachte chronische Schmerzsyndrom ist nicht hinreichend wahrscheinlich auf den Unfall vom 06.04.2017 zurückzuführen. Der Senat stellt dies mit den überzeugenden und schlüssigen Ausführungen von L2 im Befundbericht vom 19.06.2020, welchen der Senat im Wege des Urkundsbeweises verwertet, von F2 im Gutachten vom 30.06.2021 sowie von W2 im Gutachten vom 06.07.2023 fest.
W2 hat in seinem neurologisch-psychiatrischen Gutachten vom 19.11.2021 ausgeführt, dass keine Gesundheitsstörung auf psychiatrischem oder neurologischem Fachgebiet vorliege, welche unmittelbar auf den Unfall zurückzuführen sei. Eine Anpassungsstörung mit emotionaler Symptomatik und ein chronisches Schmerzsyndrom seien möglich, jedoch angesichts der Tendenz des Klägers zur negativen Antwortverzerrung nicht mit hinreichender Sicherheit feststellbar. Eine unfallbedingte MdE liege auf seinem Fachgebiet nicht vor. Die Ausführungen von W2 sind für den Senat schlüssig und werden durch die von ihm erhobenen Befunde gestützt. So zeigten sich während der Begutachtung erhebliche Diskrepanzen zwischen den objektiven Befunden und dem Beschwerdevortrag des Klägers. Das Gewicht des Zylinderkopfs wurde trotz Vorhalt des Gutachters vom Kläger mit 25 bis 30 kg angegeben. Der Kläger bewegte sich zunächst in der Praxis flüssig ohne erkennbares Schonhinken, nach der Untersuchung mit angedeutetem Schonhinken links. Die Beschwerdeschilderung war durch erkennbare Verdeutlichungstendenzen mit Ausweichen bei gezielter Nachfrage des Gutachters bezüglich Widersprüchen zur Aktenlage gekennzeichnet. Eine besondere affektive Anspannung bei der Schilderung des Unfalls zeigte sich nicht. Die kognitiven Leistungstests zeigten Hinweise für eine leichte Demenz, was jedoch in dieser Ausprägung dem psychopathologischen Befund mit lebhafter Beschwerdeschilderung ohne Hinweise auf Einschränkungen des Durchhaltevermögens, der Konzentration oder der Auffassungsgabe widersprach, so dass der Gutachter auch hier eine verminderte Anstrengungsbereitschaft als ursächlich ansieht. Hinzu kommt, dass eine depressive Symptomatik im ersten Jahr nach dem Unfall nicht dokumentiert ist. Der erste psychiatrische Befundbericht datiert vom April 2018. Zudem bestehen durch die unklare berufliche und finanzielle Perspektive des Klägers sowie die Belastung durch die Erkrankung seiner Tochter auch unfallunabhängige Faktoren. Auch die im Mai 2017 aufgetretene Attacke ist angesichts der Angabe des Klägers gegenüber den Ärzten in der neurologischen BG-Klinik T1 im Befundbericht vom 09.06.2017, wonach er solche Zustände schon vor dem Unfall erlebt habe, nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf den Unfall zurückzuführen.
W2 führt des Weiteren schlüssig aus, dass die diagnostischen Voraussetzungen für eine posttraumatische Belastungsstörung nach den erhobenen Befunden nicht erfüllt sind (vgl. hierzu auch Senatsurteil vom 21.07.2023 – L 8 U 3422/20 –, juris Rn. 44 ff.). Auch die Angaben des Klägers zur Medikamenteneinnahme sind nach den Ergebnissen der Labordiagnostik mit Werten für Mirtazapin und Sertralin unterhalb der therapeutischen Bereichs nicht nachvollziehbar. Eine Schmerztherapie führt der Kläger nach seinen Angaben erst seit dem Monat vor der Begutachtung durch W2 durch. Auch diesbezüglich besteht somit eine weite zeitliche Latenz zum Unfallgeschehen, welche einer hinreichenden Kausalität des Unfalls entgegensteht. Die Einschätzung von W2 wird bestätigt durch die Untersuchung des Klägers durch L2 am 19.06.2020. Dieser konnte ebenfalls keine auffälligen psychischen oder vegetativen Reaktionen bei der Schilderung des Unfallherganges erkennen. Es lagen keine Hinweise für eine krankhafte Unfallfehlverarbeitung oder ein gedankliches Vermeidungsverhalten als Anzeichen für eine posttraumatische Belastungsstörung vor. Die vom Kläger angegebene Medikation mit Mirtazapin und Sertralin war in der laborchemischen Blutuntersuchung nicht nachweisbar. Bei der testpsychologischen Untersuchung waren die vom Kläger erreichten Ergebnisse bei durch Kontrollverfahren festgestellter fehlender Leistungsmotivation nicht im Krankheitssinne zu interpretieren. Dabei wären nach Angabe von L2 durchaus Auffälligkeiten in Anbetracht des aktenkundigen Schlaganfalles, möglicherweise auch im Rahmen einer depressiven Störung. nachzuvollziehen gewesen, hätten aber aufgrund des Arbeitsverhaltens des Klägers nicht gesichert werden können. Auch in der standardisierten Befindlichkeitserhebung ergaben sich nach wissenschaftlichen Kriterien negative Antwortverzerrungen, sodass die berichteten Beschwerden nur sehr eingeschränkt im diagnostischen Sinne verwertbar blieben. L2 kommt zum Ergebnis, dass die berichteten Angstattacken nach dem Bericht aus der neurologischen BG-Klinik vom 09.06.2017 unfallvorbestehend seien. Auch ergäben sich zahlreiche weitere Hinweise dafür, dass die psychischen Auffälligkeiten und geltend gemachten Beschwerden - nachdem anfänglich aus den vorgelegten Akten noch eine vorübergehende Anpassungsstörung auf den Unfall nachvollzogen werden könne - unfallfremden Faktoren geschuldet seien wie einer Enttäuschung und Kränkung über die Behandlungen sowohl medizinisch als auch von Verwaltungsseite und Sorgen um den Arbeitsplatz. Ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang zwischen der depressiven Episode sowie der Schmerzstörung mit dem Unfallereignis vom 06.04.2017 kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden.
Ein wesentlicher ursächlicher Zusammenhang folgt auch nicht aus den vom Kläger eingereichten Befundberichten im erstinstanzlichen Verfahren sowie im Berufungsverfahren. F2 hat auf Veranlassung des SG zu den im erstinstanzlichen Verfahren eingereichten Befundberichten von B2, H2 und A1 mit Schreiben vom 29.09.2023 ergänzend Stellung genommen. F2 weist schlüssig darauf hin, dass sich aus den Befundberichten von B2 und H2 keine anderweitige Bewertung ergebe. Auch sei eine Verbesserung durch die von B2 vorgeschlagene Ganganalyse möglich.
Soweit B2 in seinem Bericht vom 11.05.2023 die Kniebeschwerden am linken Knie auf eine mögliche Überlastungsreaktion des linken Fußes zurückführt, folgt hieraus ebenfalls keine anderweitige Bewertung des Sachverhalts. So handelt es sich lediglich um eine Vermutung bei im Befundbericht von B2 unauffälligem Untersuchungsbefund des rechten Kniegelenks. Zudem ist die Anerkennung der Kniebeschwerden als Unfallfolgen kein zulässiger Streitgegenstand im vorliegenden Verfahren. Es handelt sich um eine Gesundheitsstörung in einem bislang von der Beklagten nicht geprüften Funktionssystem, so dass eine Einbeziehung ins laufende Verfahren nicht möglich ist. Aus diesem Grund ändert sich auch durch den im Berufungsverfahren eingereichten Befundbericht der Sportklinik, Klinikum S2, vom 08.08.2024 mit MRT-Befund des rechten Knies vom 27.06.2024 und der Diagnose einer persistierenden Gonalgie rechts bei beginnender patellofemoraler Chondromalazie Grad II, möglicherweise in Folge einer Fehlbelastung des rechten Beines wegen Fehlbelastung linken Beines nichts an der Bewertung des Sachverhaltes, da die Kniebeschwerden keinen zulässigen Streitgegenstand darstellen.
Auch der geltend gemachte Anspruch auf die Gewährung einer Verletztenrente besteht nach dem Gesamtergebnis der Beweisaufnahme nicht, da keine Unfallfolgen vorliegen, welche mit einer MdE von wenigstens 20 v.H. zu bewerten sind.
Versicherte, deren Erwerbsfähigkeit infolge eines Versicherungsfalls über die 26. Woche nach dem Versicherungsfall hinaus um wenigstens 20 vom Hundert gemindert ist, haben Anspruch auf eine Rente. Ist die Erwerbsfähigkeit infolge mehrerer Versicherungsfälle gemindert und erreichen die Vomhundertsätze zusammen wenigstens die Zahl 20, besteht für jeden, auch für einen früheren Versicherungsfall, Anspruch auf Rente. Die Folgen eines Versicherungsfalls sind nur zu berücksichtigen, wenn sie die Erwerbsfähigkeit um wenigstens 10 v.H. mindern (§ 56 Abs. 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch Gesetzliche Unfallversicherung SGB VII). Während der ersten drei Jahre nach dem Versicherungsfall soll der Unfallversicherungsträger die Rente als vorläufige Entschädigung festsetzen, wenn der Umfang der MdE noch nicht abschließend festgestellt werden kann (§ 62 Abs. 1 Satz 1 SGB VII). Spätestens mit Ablauf von drei Jahren nach dem Versicherungsfall wird die vorläufige Entschädigung als Rente auf unbestimmte Zeit geleistet. Bei der erstmaligen Feststellung der Rente nach der vorläufigen Entschädigung kann der Vomhundertsatz der MdE abweichend von der vorläufigen Entschädigung festgestellt werden, auch wenn sich die Verhältnisse nicht geändert haben (§ 62 Abs. 2 SGB VII).
Die Bemessung der MdE wird vom BSG in ständiger Rechtsprechung als Tatsachenfeststellung gewertet, die das Gericht gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG nach seiner freien aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung trifft. Dies gilt für die Feststellung der Beeinträchtigung des Leistungsvermögens des Versicherten ebenso wie für die auf der Grundlage medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen zu treffende Feststellung der ihm verbliebenen Erwerbsmöglichkeiten (BSG, Urteile vom 05.09.2006 – B 2 U 25/05 R – und vom 02.05.2001 – B 2 U 24/00 R –; juris). Ärztliche Meinungsäußerungen darüber, inwieweit derartige Beeinträchtigungen sich auf die Erwerbsfähigkeit auswirken, sind eine wichtige und vielfach unentbehrliche Grundlage für die richterliche Schätzung der MdE, vor allem soweit sie sich darauf beziehen, in welchem Umfang die körperlichen und geistigen Fähigkeiten des Verletzten durch die Unfallfolgen beeinträchtigt sind (BSG, Urteile vom 14.11.1984 – 9b RU 38/84 – und vom 30.06.1998 – B 2 U 41/97 R –, juris). Erst aus der Anwendung medizinischer und sonstiger Erfahrungssätze über die Auswirkungen bestimmter körperlicher oder seelischer Beeinträchtigungen auf die verbliebenen Arbeitsmöglichkeiten des Betroffenen auf dem Gesamtgebiet des Erwerbslebens und unter Berücksichtigung der gesamten Umstände des Einzelfalles kann die Höhe der MdE geschätzt werden (BSG, Urteil vom 02.05.2001 – B 2 U 24/00 R –, juris).
Die zumeist in jahrzehntelanger Entwicklung von der Rechtsprechung sowie dem versicherungs-rechtlichen und versicherungsmedizinischen Schrifttum herausgearbeiteten Erfahrungssätze sind deshalb bei der Beurteilung der MdE zu beachten; sie sind zwar nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend, bilden aber die Grundlage für eine gleiche, gerechte Bewertung der MdE in zahlreichen Parallelfällen der täglichen Praxis und unterliegen einem ständigen Wandel (BSG a.a.O; BSG, Urteil vom 22.06.2004 - B 2 U 14/03 R -, juris). Die Erfahrungswerte bilden in der Regel die Basis für einen Vorschlag, den der medizinische Sachverständige zur Höhe der MdE unterbreitet, sie sind aber nicht für die Entscheidung im Einzelfall bindend (BSG, Urteile vom 26.06.1985 – 2 RU 60/84 –, vom 30.06.1998 – B 2 U 41/97 R –, vom 18.03.2003 - B 2 U 31/02 R –; juris). Die Feststellung der Höhe der MdE als tatsächliche Feststellung erfordert stets die Würdigung der hierfür notwendigen Beweismittel im Rahmen freier richterlicher Beweiswürdigung gemäß § 128 Abs. 1 Satz 1 SGG (BSG, Urteil vom 13.09.2005 - B 2 U 4/04 R -, juris mit Hinweis auf BSG, Urteil vom 02.05.2001 – B 2 U 24/00 R –, juris).
Neben diesen auf tatsächlichem Gebiet liegenden Umständen für die Bemessung der MdE sind aus der gesetzlichen Definition der MdE sowie den Grundsätzen der gesetzlichen Unfallversicherung fließende rechtliche Vorgaben zu beachten (BSG, Urteil vom 05.09.2006 – B 2 U 25/05 R –, juris). Bestanden bei dem Versicherten vor dem Versicherungsfall bereits gesundheitliche, auch altersbedingte Beeinträchtigungen der Erwerbsfähigkeit (sog. Vorschäden), werden diese nach der ständigen Rechtsprechung des BSG und der einhelligen Auffassung in der Literatur für die Bemessung der MdE berücksichtigt, wenn die Folgen des Versicherungsfalles durch die Vor-schäden beeinflusst werden. Denn Versicherte unterliegen mit ihrem individuellen Gesundheitszustand vor Eintritt des Versicherungsfalls dem Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung (BSG, Urteil vom 30.05.1988 – 2 RU 54/87 –, 211, 212; Bereiter-Hahn/Mehrtens, SGB VII, Ergänzungslieferung 1/20, § 56 Rn. 10.1 ff. Dies verlangt § 56 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 SGB VII, wonach die „infolge“ des Versicherungsfalls eingetretene Beeinträchtigung des Leistungsvermögens und die dadurch verminderten Arbeitsmöglichkeiten auf dem gesamten Gebiet des Erwerbslebens maßgeblich sind.
Der Senat stellt mit dem Gutachten von F2 vom 30.06.2021 fest, dass eine Belastungseinschränkung durch einen um ein Drittel Zirkumferenz umfassenden Defektverhalt bei Arthrodese des Interphalangealgelenkes D1 links besteht. Dieser entspricht in Übereinstimmung mit der herrschenden Fachliteratur (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage 2024, S. 716) einer Versteifung des Großzehengrundgelenkes in Neutralstellung oder leichter Beugestellung und rechtfertigt eine MdE von 10 v.H.. Eine Gleichstellung mit einem Kahnbeinbruch mit erheblicher Verformung und Sekundärarthrose, welcher eine MdE von 20 v.H. rechtfertigen würde, kann nach den von F2 erhobenen Befunden nicht erfolgen. Es sind daher nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme keine Folgen des Unfalls vom 06.04.2017 mehr verblieben, welche eine MdE von wenigstens 20 v.H. rechtfertigen könnten. Die Beklagte hat die Gewährung einer Verletztenrente daher zu Recht abgelehnt.
Der Sachverhalt ist vollständig aufgeklärt. Die vorliegenden ärztlichen Unterlagen und insbesondere die im erstinstanzlichen Verfahren eingeholte Gutachten von F2 vom 30.06.2021 sowie von W2 vom 19.11.20201 haben dem Senat die für die richterliche Überzeugungsbildung notwendigen sachlichen Grundlagen vermittelt (§ 128 Abs. 1 Satz 1 SGG). Eine wesentliche Befundverschlechterung wurde im Berufungsverfahren nicht dargelegt. Soweit der Kläger Befundberichte zu Gesundheitsstörungen des rechten Kniegelenks eingereicht hat, liegen keine Anhaltspunkte, dass es sich hierbei um eine Unfallfolge handelt, vor.
Der Senat war auch nicht gehalten, dem am 17.12.2024 angekündigten Antrag des Prozessbevollmächtigten des Klägers auf „Prüfung einer Antragstellung gemäß § 109 SGG“ zu folgen.
Es liegt bereits kein ordnungsgemäßer Antrag nach § 109 SGG vor. Ein ordnungsgemäßer Antrag nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG setzt insbesondere voraus, dass der Antragsteller die gutachtliche Anhörung eines namentlich bestimmten oder mindestens bestimmbaren Arztes beantragt und dass das Beweisthema für die Entscheidung rechtserheblich ist (BSG, Urteil vom 04.07.1959 – 9 RV 862/56 – juris, Rn. 13; Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 109 Rn. 4; Pitz, in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGG, 2. Aufl. 2022, § 109 Rn. 10; Roller, in: Berchtold, SGG, 6. Aufl. 2021, § 109 Rn. 9). Im vorliegenden Fall hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers keinen bestimmten oder bestimmbaren Arzt bezeichnet, der gutachtlich gehört werden soll, sondern ohne weitere Erläuterung nur „die Prüfung einer Antragstellung gemäß § 109 SGG“ angekündigt. Es handelt sich mithin um eine bloße Anregung zur Beweisermittlung, welcher der Senat im Rahmen seiner Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen, hier nicht zu folgen braucht
Selbst wenn ein ordnungsgemäßer Antrag nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG vorläge, wäre dieser hier gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 109 Abs. 2 SGG abzulehnen.
Gemäß § 109 Abs. 2 SGG kann das Gericht einen Antrag nach § 109 Abs. 1 Satz 1 SGG ablehnen, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist.
Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 109 Abs. 2 SGG wären hier erfüllt. Durch die Zulassung des Antrags würde die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden, da der bereits am 16.05.2025 anberaumte Termin zur mündlichen Verhandlung verlegt werden müsste, was zu einer Verzögerung der Entscheidung des Rechtsstreits führen würde. Zudem hat der Prozessbevollmächtigte des Klägers den Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht. Die Berichterstatterin hat dem Prozessbevollmächtigten des Klägers mit Schreiben vom 17.02.2025 einen Frist gesetzt, um einen Antrag nach § 109 Abs. 1 SGG zu stellen, und den Kläger darauf hingewiesen, dass ein nach Ablauf dieser Frist gestellter Antrag abgelehnt werden kann, wenn durch die Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits verzögert werden würde und der Antrag nach der freien Überzeugung des Gerichts in der Absicht, das Verfahren zu verschleppen, oder aus grober Nachlässigkeit nicht früher vorgebracht worden ist. Da zugleich auch der Hinweis erfolgte, dass eine weitere Fristverlängerung nicht gewährt werden wird, da das Verfahren zur Entscheidung am 16.05.2025 vorgesehen ist, musste der fachkundig vertretene Kläger spätestens mit Zustellung des Schreibens vom 17.02.2025 erkennen, dass das Gericht keine weiteren Ermittlungen von Amts wegen durchführen wird, zumal bereits mit Schreiben vom 03.12.2024 hierauf hingewiesen worden war und der Kläger bereits zwei Mal mit Schreiben vom 17.12.2024 und mit Schreiben vom 31.01.2025 um Fristverlängerung gebeten hatte. Die verspätete Antragstellung würde daher auf grober Nachlässigkeit beruhen (ebenso Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 109, Rn. 11).
Die Berufung war daher zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 Abs. 1 Satz 1 SGG.
Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 9 U 2756/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 8 U 1777/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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