Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lüneburg vom 8. Dezember 2021 wird zurückgewiesen.
Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt im Rahmen eines Zugunstenverfahrens nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – <SGB X> die Feststellung der Berufskrankheit <BK> Nr 1317 (Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel und deren Gemische) nach der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung <BKV>, hilfsweise die Anerkennung einer Wie-BK nach § 9 Abs 2 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch – Gesetzliche Unfallversicherung – <SGB VII> mit dem Krankheitsbild einer Polyneuropathie.
Der am 27.07.1950 geborene Kläger erlernte von 1966 bis 1969 den Beruf des Gärtners und war anschließend als Gärtnergehilfe in verschiedenen Gartenbaubetrieben, als Verkaufsleiter in einem Gartencenter und Verkäufer auf Blumenmärkten mit Tätigkeit als Kraftfahrer beschäftigt. Seit 1978 war bei dem Gartenbaubetrieb I. in J. als Gärtnergehilfe tätig. Zu seinen Tätigkeiten zählten Kulturarbeiten, Vermarktung im Betrieb und auf Großmärkten, Verkauf, Kundenbetreuung sowie die Pflege von Hydrokulturpflanzen (vgl Beschäftigungsnachweis; Auskunft der Firma I. vom 26.02.2003). Von 1996 bis 2001 war er mit der Pflege von Hydrokulturpflanzen in Verwaltungsgebäuden, Firmen und Büros beschäftigt (Gießen, Pflegen, Auswechseln der Pflanzen; vgl Anzeige des Unternehmers vom 14.02.2003). Bei seiner Tätigkeit war der Kläger gegenüber verschiedenen Pflanzenschutzmitteln (zum Teil als Bystander) exponiert (zB Bayleton [Fungizid] Wirkstoff: Triadimefon, Lösemittel Xylol; Temik [Insektizid] Wirkstoff: Aldicarb; vgl Stellungnahmen der Technischen Abteilung der Beklagten <TAD> vom 16.05.2003 und 09.09.2008). Bei dem Kläger besteht eine Polyneuropathie und er erhält seit 01.07.2002 Rente wegen voller Erwerbsminderung.
Das Klageverfahren vor dem Sozialgericht <SG> Lüneburg mit dem Aktenzeichen S 2 U 104/04 endete nach Einholung eines Gutachtens des Diplom-Chemikers/Arzt für Arbeitsmedizin Dr. K. vom 14.07.2006 mit neurologisch-psychiatrischem Zusatzgutachten vom 12.05.2006 von Dr. L. und eines Gutachtens nach § 109 Sozialgerichtsgesetz <SGG> des Dr. M., Institut für Toxikologie und Pharmakologie Universitätsklinikum N. vom 17.12.2007 sowie Stellungnahmen des TAD der Rechtsvorgängerin der Beklagten (im Folgenden [nur]: Beklagte) vom 20.03.2008 und 09.09.2008 am 05.02.2009 mit einem Vergleich. Danach waren sich die Beteiligten darüber einig, dass in dem vorliegenden Rechtsstreit nur die Anerkennung einer BK nach den Nrn 1302 und 1307 der Anlage 1 zur BKV streitgegenständlich war. Die Beklagte erklärte sich bereit, unter Zugrundelegung des Antrags vom 04.10.2003 zu überprüfen, ob aufgrund der Expositionen gegenüber den nicht in der Anlage 1 zur BKV aufgeführten und in diesem Verfahren angeschuldigten Arbeitsstoffen die Polyneuropathie des Klägers gemäß § 9 Abs 2 SGB VII / § 551 Abs 2 Reichsversicherungsordnung wie eine Berufskrankheit zu entschädigen ist (insbesondere Temik).
Die Beklagte holte sodann eine Stellungnahme des Präventionsdienstes vom 22.06.2009 sowie ein Gutachten von Dr. K. vom 24.08.2009 ein und lehnte den Antrag mit Bescheid vom 10.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2010 ab. Bei dem Kläger bestehe keine Berufskrankheit nach Nr 1317 der Anlage 1 zur BKV. Sie sei auch nicht wie eine BK anzuerkennen (§ 9 Abs 2 SGB VII). Ansprüche auf Leistungen bestünden nicht. Dies gelte auch für Leistungen oder Maßnahmen, die geeignet seien, dem Entstehen einer BK entgegenzuwirken.
Hiergegen erhob der Kläger Klage vor dem SG Lüneburg (Aktenzeichen S 3 U 51/10) und trug vor, dass seine unstreitig vorliegende Polyneuropathie beruflich verursacht worden sei. Er habe jahrelang inhalativen und dermalen Kontakt mit dem Präparat „Bayleton 100“ bzw. „Bayleton flüssig“ sowie dem Stoff Temik gehabt. Er sei in seiner beruflichen Tätigkeit in erheblich höherem Maße als die übrige Bevölkerung der Einwirkung schädlicher Stoffe ausgesetzt gewesen. In seinem Betrieb sei er die einzige Person gewesen, die für die Hydrokulturpflege zuständig gewesen sei. Er sei jeden Arbeitstag mit belastetem Hydrowasser in Kontakt gekommen. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb die Anerkennung der BK nach Nr 1317 der Anlage 1 zur BKV nicht erfolgt sei, der TAD habe die arbeitstechnischen Voraussetzungen in seiner Stellungnahme vom 22.06.2009 bejaht.
Das SG Lüneburg zog ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. O. vom 17.08.2007 für die Deutsche Rentenversicherung <DRV> P. bei und holte ein Gutachten des Facharztes für Neurologie Prof. Dr. Q. vom 12.09.2011 mit ergänzenden Stellungnahmen vom 30.01.2012 und 11.08.2014 ein. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass es sich bei der Polyneuropathie des Klägers nicht mit Wahrscheinlichkeit um eine BK nach der BKV handele. Auf Antrag des Klägers holte das SG Lüneburg ein Gutachten der Fachärztin für Neurologie, Neurophysiologie und Umweltmedizin Dr. R. vom 09.02.2014 ein, wonach die bei dem Kläger vorliegende periphere Polyneuropathie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlich toxisch bedingt sei. Daraufhin legte die Beklagte Stellungnahmen von Dr. K. vom 18.05.2014 und 10.02.2015 vor.
Das SG Lüneburg wies sodann die Klage mit Urteil vom 14.04.2015 zurück. Die Voraussetzungen für die Feststellung des Vorliegens der BK nach Nr 1317 der Anlage 1 zur BKV lägen nicht vor. Auch die Voraussetzungen für die Anerkennung eines Versicherungsfalls wie eine Berufskrankheit nach § 9 Abs 2 SGB VII seien nicht erfüllt, weil im Falle des Klägers ein ursächlicher Zusammenhang mit der gefährdenden Arbeit und der Entstehung der Polyneuropathie nicht mit Wahrscheinlichkeit angenommen werden könne.
Gegen das Urteil des SG Lüneburg legte der Kläger Berufung zum Landessozialgericht <LSG> Niedersachsen-Bremen ein (Aktenzeichen L 16/3 U 61/15) ein und trug vor, dass das Gutachten von Prof. Dr. Q. nicht schlüssig sei. So habe dieser eine besondere Exposition im Jahre 2001 nicht angenommen, weil er 2001 arbeitsunfähig gewesen sei. Er habe jedoch von März 2001 bis Dezember 2001 in seiner bisherigen Tätigkeit gearbeitet und sei somit auch in 2001 Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt gewesen. Wenn der Sachverständige Prof. Dr. Q. annehme, dass vielleicht schon seit 1996 eine bis heute fortschreitende Polyneuropathie vorläge, bejahe er eindeutig die Entstehung dieser Erkrankung in Zeiten, in denen er, der Kläger, seiner belastenden Tätigkeit ausgesetzt gewesen sei. Er sei auch dem Lösungsmittel Xylol in erheblichem Maße ausgesetzt gewesen, das ausdrücklich in der Auflistung der wissenschaftlichen Begründung der BK 1317 benannt werde. Unzutreffend sei auch die Annahme, dass er seine Belastung nur als sogenannter Bystander erlitten habe. Er habe von 1978 bis zur Beendung seiner Tätigkeit täglich für eine Dauer von 1 bis 1,5 Stunden für die Hydrokulturen pflanzenverträgliche Verdünnungen hergestellt und angewandt. Nach dem Merkblatt zur BK 1317 schließe eine Persistenz oder eine Verschlechterung der Erkrankung nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit eine Verursachung durch Lösungsmittel gerade nicht aus. Er sei im Rahmen seiner Tätigkeit als Gärtner Pflanzenschutzmitteln ausgesetzt gewesen, die das Potential besäßen, eine Polyneuropathie im Sinne der streitbefangenen BK 1317 auszulösen. Zu diesen Pflanzenschutzmitteln gehöre das Präparat Bayleton, welches in erheblichem Umfang das Lösungsmittel Xylol enthalte. Er sei auch in der Zeit, in der er noch als Gärtner tätig gewesen sei, an einer Polyneuropathie erkrankt. Eine alkoholtoxische oder diabetische Polyneuropathie läge nicht vor. Gleiches gelte für asymmetrische, multifokale, rein motorische oder autonome Neuropathien. Mithin läge eine Polyneuropathie als Folge der BK 1317 vor.
Das LSG Niedersachsen-Bremen gab zur weiteren Aufklärung des medizinischen Sachverhaltes ein Gutachten des Facharztes für Neurologie und Sozialmedizin S. vom 29.11.2016 in Auftrag. Danach besteht bei dem Kläger eine überwiegend sensible, distal betonte, sensomotorische Polyneuropathie. Diese sei nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit auf die berufliche Tätigkeit des Klägers im Sinne einer Verursachung oder richtunggebenden Verschlimmerung zurückzuführen.
Mit Urteil vom 21.02.2017 wies das LSG Niedersachsen-Bremen die Berufung zurück und führt hierzu aus:
„Bei der Polyneuropathie handelt es sich um eine generalisierte Erkrankung des peripheren Nervensystems. Zum peripheren Nervensystem gehören alle außerhalb des zentralen Nervensystems (ZNS) gelegenen Teile der motorischen, sensiblen und autonomen Nerven mit ihren verschiedenen Zelltypen. Die Nervenstrukturen können in unterschiedlichem Ausmaß betroffen sein. Differenziert wird in der Bezeichnung nach dem Schädigungstyp, dem Verteilungsmuster, klinischen und elektrophysiologischen Befunden (sensibel, sensomotorisch oder motorisch) sowie anhand von elektrophysiologischen Befunden nach dem Schweregrad.
Toxische Polyneuropathien oder Enzephalopathien können durch die Einwirkung neurotoxischer organischer Lösungsmittel entstehen. Gesichert neurotoxische Lösungsmittel sind nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand: Aliphatische Kohlenwasserstoffe, Ketone, Alkohole, aromatische Kohlenwasserstoffe (Benzol, Toluol, Xylol, Styrol), chlorierte aliphatische Kohlenwasserstoffe. Solche neurotoxischen Lösungsmittel können in zahlreichen Produkten einzeln oder in Gemischen mit anderen Lösungsmitteln zur Anwendung kommen. Sie werden vorwiegend über die Lungen eingeatmet oder auch durch die Haut resorbiert. Typisch für eine neurotoxische Polyneuropathie sind symmetrisch-distale, arm- und beinbetonte, sensible, motorische oder sensomotorische Ausfälle mit strumpf- bzw. handschuhförmiger Verteilung. Die Sensibilitätsstörungen steigen häufig von körperfernen Abschnitten an den Zehen und Füßen bzw. Fingern und Händen (distal) zu körpernahen Abschnitten (proximal) auf. Objektiv lassen sich distal-symmetrische Gefühlsstörungen für das Vibrationsempfinden, das Lageempfinden, Berührungsempfinden und Schmerz- und Temperaturempfinden erkennen. Ferner können im Verlauf Reflexabschwächungen oder Ausfall von Muskeleigenreflexen sowie Störungen der autonomen Nervenversorgung beobachtet werden. In der elektrophysiologischen Untersuchung findet sich eine Verminderung der sensiblen und motorischen Nervenleitgeschwindigkeit sowie eine Verlängerung der Überleitungszeiten bei elektrischer Reizung der Nerven und ggf. eine Abnahme der Amplitude der abgeleiteten Muskelpotentiale. Die lösungsmittelbedingte Polyneuropathie entwickelt sich in der Regel im engen zeitlichen Zusammenhang mit der beruflichen Lösungsmittelexposition. Lösungsmittelbedingte Polyneuropathien verbessern sich nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeit häufig, nicht selten bleibt die lösungsmittelbedingte Polyneuropathie jedoch klinisch nach Unterlassung der gefährdenden Tätigkeiten konstant oder verschlechtert sich (vgl. Mehrtens/Brandenburg, BKV M 1317 III Seiten 3, 4). Eine toxische Polyneuropathie kann nach Expositionsende zeitlich begrenzt über wenige Monate eine Verschlechterung der Symptomatik zeigen. Langfristig kommt es dabei aber nicht zu einer weiteren Verschlechterung, sondern zu einer weitest gehenden Rückbildung der klinischen oder neurophysiologischen Symptomatik, wobei im Einzelfall Reststörungen insbesondere bei Anfangs schwer Erkrankten auch dauerhaft persistieren können (Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 9. Auflage, 2017, S. 265 mwN; Bayrisches LSG, Urteil vom 18. September 2015 - L 2 U 174/10).
Bei dem Kläger besteht eine -elektrophysiologisch nachgewiesen- ausgeprägte distal-symmetrische, sensomotorische, überwiegend axonale, geringer ausgeprägt demyelisierende Polyneuropathie, gering-mäßiggradig ausgeprägt, ohne Lähmungen, Schwäche der Großzehenhebung, mit geringer Verschmächtigung der kleinen Fußmuskulatur. Eine Kausalität zwischen der nachgewiesenen Polyneuropathie und der Exposition gegenüber den hier streitigen Lösungsmitteln ist nicht hinreichend wahrscheinlich, da kein Nachweis erbracht werden kann, dass die Konzentration und Exposition ausreichend war, um das Krankheitsbild hervorzurufen. Nach dem aktenkundigen Sachverhalt ergeben sich keine Hinweise für die Ursache der Polyneuropathie. Allein aufgrund der beruflichen Exposition gegenüber bestimmten potentiell toxischen Substanzen und Lösungsmitteln kann nicht automatisch auf das Vorliegen einer toxischen Polyneuropathie geschlossen werden.
Der Arbeitsmediziner Dr. K. hat in seinem Gutachten vom 24. August 2008 [gemeint wohl: 2009] sowie seinen ergänzenden Stellungnahmen vom 18. Mai 2014 und 10. Februar 2015 zu den Expositionsdaten und der Toxität schlüssig und nachvollziehbar dargelegt, dass die Konzentration des Xylol und die Expositionsdauer nicht geeignet waren, um die Verursachung einer Polyneuropathie zu klären. Die Flüssigkeit („Gebrauchsspritzbrühe“) werde so stark verdünnt, dass allenfalls eine geringe Exposition gegenüber organischen Lösungsmitteln (Xylol) erfolgen könne. Für das Auslösen einer BK 1317 bedürfe es demgegenüber einer mehrjährigen übergrenzwertigen Lösemittelexposition. Das Präparat Bayleton enthalte benzolhomologes Xylol, das seine neurotoxische Wirkung im Wesentlichen auf das zentrale und nicht - wie hier - auf das periphere Nervensystem entfalte. Der technische Aufsichtsdienst habe gegenüber Phosphosäureestern und Carbamaten (Temik) zudem nur eine Bystanderexposition festgestellt. Eine dauerhafte grenzwertüberschreitende Lösungsmittelexposition sei sicher auszuschließen. Es sei auch nicht bekannt, dass etwa Ammoniumverbindungen oder Triazolderivate oder Carbamate in der Lage seien, Polyneuropathien zu verursachen.
Prof. Dr. Q. hat in seinem neurologischen Gutachten vom 12. September 2011 nebst ergänzenden Stellungnahmen vom 30. Januar 2012 und 11. August 2014 ebenfalls ausgeführt, dass eine toxische Genese der bei dem Kläger bestehenden Polyneuropathie nicht wahrscheinlich ist. Dagegen sprechen der Erkrankungsbeginn, der weitere Verlauf der Erkrankung sowie das Fehlen sonstiger toxischer Schädigungen des Nervensystems. Die Entwicklung des Leidens, die Verschlechterung mehrere Jahre nach Aufgabe der belastenden Tätigkeit, das Fehlen klinischer Zeichen einer akuten Vergiftung sowie mangelnde Hinweise auf eine Schädigung anderer nervaler Strukturen sprechen gegen eine hinreichende Wahrscheinlichkeit. So werden bezüglich der Toxizität der in Frage stehenden krankheitsverursachenden Substanzen fast ausschließlich akute Intoxikationen beschrieben. Das Auftreten der Polyneuropathie (allerfrühestens und nicht gesichert ab 1996) steht in keinem Zusammenhang mit den akuten Expositionen in den ersten Berufsjahren. Noch 1998 ergaben die Tibialis-SEP (somato-sensible Potenziale) und der neurologische Untersuchungsbefund einen Normalbefund (Bericht des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie Dr. T. vom 3. November 1998). Auch neurologische Befunde von 10. April 2000 und 27. April 2001 (Arzt für Neurologie Dr. U.) zeigten noch neurologische Normalbefunde. Zu diesem Zeitpunkt bestanden keine relevanten funktionellen Einschränkungen (keine Paresen, keine sensiblen Ausfälle). Im Januar 2002 wurde eine demyelisierende Polyneuropathie klinisch und neurophysiologisch bestätigt (abgeschwächtes Vibrationsempfinden distal). Die neurophysiologischen Befunde haben sich ausweislich der Gutachten von Dr L., Prof Dr. Q. und Dr. S. auch Jahre nach der Gefahrstoffexposition eindeutig verschlechtert. So ist auch zwischen 2006 und 2011 bei klinisch nicht wesentlich voranschreitenden Befunden elektrophysiologisch eine leichte Progredienz nachzuweisen. Dieser Verlauf mit anhand der neurophysiologischen Messparameter objektiv nachweisbaren Verschlechterung noch in den Jahren seit 2006 schließt nach der Auffassung von Prof Dr. Q. einen kausalen Zusammenhang mit den angeschuldigten Gefahrstoffen weitgehend aus. Es gibt überdies keine Hinweise für eine zentrale nervale Schädigung (Encephalopathie, Parkinsonsyndrom, Schädigung der Strukturen des Gehirns oder des Rückenmarks), die im Falle einer chronischen Intoxikation zu erwarten gewesen wären. Anhand der wissenschaftlichen Literatur finden sich keine Hinweise darauf, dass eine chronische niedrigdosierte Exposition mit den in Rede stehenden Substanzen zu einer peripheren, überwiegend sensiblen längenabhängigen Polyneuropathie geführt haben, insbesondere wenn sonstige Merkmale einer toxischen Schädigung, insbesondere Schädigungszeichen der langen spinalen Bahnen und des zentralen Nervensystems fehlen. Prof. Dr. Q. hat in seinem Gutachten mit ergänzender Stellungnahmen zudem dargelegt, dass insbesondere der beim Kläger diagnostizierte Typ der Polyneuropathie häufig in dessen Altersgruppe auftrete, auch bei Personen, die niemals eine vergleichbare Berufstätigkeit ausgeübt haben. Das häufige Krankheitsbild kann in 1/4 bis 1/3 der Fälle nicht erklärt werden.
Dr. S. hat in seinem Gutachten vom 29. November 2016 die Einschätzung von Prof Dr. Q. im Wesentlichen bestätigt. Nach einer Zusammenschau der vorliegenden ambulanten und stationären neurologischen Befunde von 1996 bis 2002 sind 1998 Beschwerden aufgetreten, die eventuell einer Polyneuropathie zugeordnet werden könnten. Erst im Jahre 2002 lasse sich eine solche Erkrankung aber dann sichern (Bericht des Neurologen und Psychiaters Dr. V., Januar 2002, neurologisches Gutachten von Frau Dr. W. vom 22. Juni 2002). Auf der Basis des aktenkundigen Sachverhalts ergäben sich keine Hinweise für die Ursache der Polyneuropathie. Unter Berücksichtigung der arbeitsmedizinischen Bewertungen durch Dr. K. sei die Konzentration des Xylol und die Expositionsdauer nicht geeignet, die Kausalität sei nicht hinreichend wahrscheinlich.
Demgegenüber vermag das Gutachten der Sachverständigen Dr. R. nach den ausführlichen Stellungnahmen von Prof Dr. Q. vom 11. August 2014, Dr. K. vom 18. Mai 2014 und Dr. S. vom 29. November 2016 nicht zu überzeugen. Das Gutachten ist zum Teil widersprüchlich, nicht stimmig und unschlüssig. Die von Dr. R. angenommene langjährige intensive Exposition bzw Niedrigdosisintoxikation ist in den Unterlagen nicht dokumentiert. Auch dass die Polyneuropathie bereits vor 2000 begonnen hat, kann zwar nicht vollständig ausgeschlossen werden, sie ist aber erst seit 2002 klinisch diagnostiziert und dokumentiert worden. Eine zeitliche Korrelation zu lange zurückliegende intensiveren Expositionen lässt sich damit nicht belegen. Dr. R. nimmt zwar eine Neurotoxizität an, differenziert aber nicht weiter zwischen einer akuten Wirkung und einer langfristigen Auswirkung auf die Struktur von Nervenzellen. Sie bemisst zudem den Schweregrad der Polyneuropathie anhand des Beschwerdeerlebens und der Arztkontakte und nicht nach der Messung der elektrophysiologischen Parameter. Soweit Frau Dr. R. sich insbesondere darauf stützt, dass, wenn ein potenzieller Auslöser nicht mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, er mit hoher Wahrscheinlichkeit als potenzieller Auslöser anzunehmen ist und bis zum Beweis einer idiopathischen Polyneuropathie von einer toxischen auszugehen ist, verkennt sie die Maßstäbe im Unfallversicherungsrecht, wonach der Ursachenzusammenhang hinreichend wahrscheinlich sein muss. Dies liegt nur dann vor, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernstliche Zweifel ausscheiden, die bloße Möglichkeit reicht nicht (vgl. BSG SozR 4-2700 § 9 Nr. 17).
Auch die Voraussetzungen einer Wie-BK liegen nicht vor. Nach § 9 Abs. 2 iVm Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB VII setzt die Feststellung einer Wie-BK voraus, dass eine bestimmte Personengruppe durch die Art der versicherten Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist. Die Einwirkungen, denen die Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit ausgesetzt ist, müssen abstrakt generell nach dem Stand der Wissenschaft die wesentliche Ursache einer Erkrankung der geltend gemachten Art sein. Auch diese Voraussetzungen liegen nach den Gutachten von Dr. K., Prof. Dr. Q. und Dr. S. nicht vor.“
Die hiergegen erhobene Nichtzulassungsbeschwerde wies das Bundessozialgericht <BSG> mit Beschluss vom 23.06.2017 (Aktenzeichen B 2 U 65/17 B) als unzulässig zurück.
Mit Schriftsatz vom 25.06.2018 stellte der Kläger einen Antrag nach § 44 SGB X hinsichtlich der BK nach Nr 1317 der Anlage 1 zur BKV und trug vor, dass die Höhe der Exposition und die Kausalität nicht ausreichend berücksichtigt worden sei. Den negativen Gutachten sei nicht zu folgen. Die Wie-BK sei nicht hinreichend geklärt (Schriftsatz vom 25.06.2018 mit Schriftsatz vom 25.04.2017 in der Anlage). In dem Unternehmen Rieche habe man Temik 10 G eingesetzt, die Sachverständigen würden ihrer Bewertung jedoch lediglich Temik 5 G zugrunde legen (Schriftsatz vom 08.03.2019).
Mit Bescheid vom 14.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2020 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Rücknahme des Bescheides vom 10.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2010 ab. Die dem Überprüfungsantrag beigefügten Unterlagen enthielten keine neuen Anhaltspunkte, die Anlass dazu böten, die bereits gerichtlich überprüfte Entscheidung in Frage zu stellen.
Der Kläger erhob dagegen mit Schriftsatz vom 07.04.2020, beim SG Lüneburg am 09.04.2020 eingegangen, Klage. Zu klären sei, ob Temik zu den organischen Lösungsmitteln gehöre. Die Sachverständige Dr. R. habe in ihrem Gutachten zutreffend festgestellt, dass die bei ihm vorliegende Polyneuropathie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit toxisch bedingt sei (Schriftsatz vom 04.03.2021).
Das SG Lüneburg wies die Klage nach Anhörung der Beteiligten mit Gerichtsbescheid vom 08.12.2021, dem Kläger am 21.12.2021 zugestellt, ab. Die Voraussetzungen des § 44 SGB X seien nicht erfüllt; die Ausführungen des Klägers seien kein Nachweis, dass bei Erlass des angegriffenen Bescheides von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen oder das Recht unrichtig angewandt worden sei.
Der Kläger hat am 11.01.2022 Berufung zum LSG Niedersachsen-Bremen eingelegt, verfolgt sein Begehren weiter und setzt sich mit den vorliegenden Gutachten der in den gerichtlichen Verfahren gehörten Sachverständigen auseinander.
Auf Antrag des Klägers hat der Sachverständige Facharzt für Neurologie und Psychiatrie Dr. X. am 02.01.2023 nach § 109 SGG ein nervenärztliches Gutachten nach Aktenlage erstattet. Dieser kommt zu dem Ergebnis, dass bei dem Kläger eine leichte Polyneuropathie bestünde, diese aber mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht durch organische Lösungsmitte oder deren Gemische verursacht worden sei.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftsätzlichen Vorbringen sinngemäß,
- den Gerichtsbescheid des SG Lüneburg vom 08.12.2021 aufzuheben,
- den Bescheid der Beklagten vom 14.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2020 aufzuheben und
- die Beklagte zu verpflichten,
- ihren Bescheid vom 10.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2010 zurückzunehmen sowie
- eine BK nach Nr 1317 der Anlage 1 zur BKV, hilfsweise eine Wie-BK nach § 9 Abs 2 SGB VII mit dem Krankheitsbild einer Polyneuropathie festzustellen.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftsätzlichen Vorbringen,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält an ihrer Entscheidung fest.
Mit Schriftsatz vom 05.11.2024 bzw 12.11.2024 haben sich die Beklagte bzw der Kläger mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Nach Anhörung der Beteiligten ist mit Beschluss vom 18.11.2024 die Berufung dem Berichterstatter übertragen worden.
Die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten (Blatt 1 bis 1095), die Gerichtsakte zu dem Verfahren L 3 U 11/22 (Blatt 1 bis 154) und die beigezogene Gerichtsakte zu dem Verfahren L 16/3 U 61/15 (Blatt 1 bis 449) sind Gegenstand der Beratung und Entscheidung gewesen. Hinsichtlich des weiteren Sachverhalts wird ergänzend hierauf Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Gemäß § 153 Abs 5 SGG konnte die Entscheidung durch den Berichterstatter zusammen mit den ehrenamtlichen Richtern ergehen, weil der Senat ihm das Berufungsverfahren nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss vom 25.11.2024 übertragen hat.
Der Senat hat ohne mündliche Verhandlung entschieden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 124 Abs 2 SGG).
Die zulässige Berufung ist unbegründet.
Die zulässige kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 SGG) ist unbegründet. Das SG Lüneburg hat die Klage zu Recht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 14.02.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 19.03.2020 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Verpflichtung der Beklagten, ihren Bescheid vom 10.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2010 zurückzunehmen und eine BK nach Nr 1317 der Anlage 1 zur BKV, hilfsweise eine Wie-BK nach § 9 Abs 2 SGB VII mit dem Krankheitsbild einer Polyneuropathie festzustellen.
Anspruchsgrundlage für das Begehen des Klägers ist § 44 SGB X. Nach § 44 Abs 1 S 1 SGB X ist, soweit sich im Einzelfall ergibt, dass bei Erlass eines Verwaltungsaktes das Recht unrichtig angewandt oder von einem Sachverhalt ausgegangen worden ist, der sich als unrichtig erweist, und soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht worden sind, der Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen. Voraussetzung für die Aufhebung des ursprünglichen Bescheides ist „einfache Rechtswidrigkeit“. Nach der Rechtsprechung des BSG, der der erkennende Senat folgt, darf sich die Verwaltung ohne jede Sachprüfung auf die Bindungswirkung berufen, wenn sich im Einzelfall nichts ergibt, was für die Unrichtigkeit der Vorentscheidung sprechen könnte. Werden zwar neue Tatsachen oder Erkenntnisse vorgetragen und neue Beweismittel benannt, ergibt aber die Prüfung, dass diese tatsächlich nicht vorliegen oder für die frühere Entscheidung nicht erheblich waren, darf sich die Behörde ebenfalls auf die Bindungswirkung stützen. Nur wenn die Prüfung zu dem Ergebnis führt, dass ursprünglich nicht beachtete Tatsachen oder Erkenntnisse vorliegen, die für die Entscheidung wesentlich sind, ist ohne Rücksicht auf die Bindungswirkung erneut zu entscheiden (vgl. BSG, Urteil vom 03.04.2001 – B 4 RA 22/00 R –, juris Rn 39; siehe auch Mehrtens/Bereiter-Hahn, Gesetzliche Unfallversicherung, Loseblattsammlung Stand 2024, § 44 SGB X, Anmerkung 3.1). Das bedeutet allerdings nicht, dass die Prüfung auf die vom Antragsteller vorgebrachten Einwände beschränkt ist (vgl BSG, Urteil vom 12.12.1996 – 11 Rar 57/96 –, juris Rn 16). Denn anders als das allgemeine Verwaltungsverfahrensrecht räumt das SGB X bei Ansprüchen auf Sozialleistungen der materiellen Gerechtigkeit Vorrang vor der Rechtsbeständigkeit behördlicher und gerichtlicher Entscheidungen und damit vor der Rechtssicherheit ein. Es kennt keine dem § 51 Verwaltungsverfahrensgesetz vergleichbare Regelung, die es der Behörde erlaubt, ein Wiederaufgreifen des abgeschlossenen Verwaltungsverfahrens unter Berufung auf die Bindungswirkung früherer Bescheide abzulehnen, wenn sich die Sach- und Rechtslage nicht geändert hat und der Antragsteller keine neuen Beweismittel vorlegen kann (vgl BSG, Urteil vom 11.11.2003 – B 2 U 32/02 R –, juris Rn 19). Wenn die Rechtswidrigkeit des bindenden Bescheides erkannt wird, spielen fehlende neue tatsächliche Argumente keine Rolle. Ergeben sich aber im Einzelfall keine Anhaltspunkte für die sachliche Unrichtigkeit des bindenden Verwaltungsakts, so beschränkt sich die Entscheidung auf die vom Antragsteller vorgebrachten Einwände und lässt die Bindungswirkung im Übrigen unberührt (vgl BSG, Urteil vom 12.12.1996 – 11 Rar 57/96 –, aaO).
Unter Beachtung dieser Maßgaben ergeben sich vorliegend keine Anhaltspunkte für die sachliche Unrichtigkeit des Bescheides der Beklagten vom 10.11.2009 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.04.2010. Die Beklagte ist weder verpflichtet, eine BK nach Nr 1317 der Anlage 1 zur BKV (hierzu unter I.), noch hilfsweise eine Wie-BK nach § 9 Abs 2 SGB VII (hierzu unter II.) mit dem Krankheitsbild einer Polyneuropathie festzustellen.
I.
Die Voraussetzungen der BK nach Nr 1317 der Anlage 1 zur BKV sind nicht erfüllt.
Wie das LSG Niedersachsen-Bremen in dem oben benannten Urteil vom 21.02.2017 zu dem Verfahren L 16/3 U 61/15 mit weiteren Nachweisen ausgeführt hat, ist Rechtsgrundlage für die Anerkennung der streitigen BK § 9 Abs 1 SGB VII iVm Nr 1317 der Anlage 1 zur BKV. Diese lautet: Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische. Nach ständiger Rechtsprechung des BSG ist für die Feststellung einer Listen-BK erforderlich, dass die Verrichtung einer grundsätzlich versicherten Tätigkeit zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen oder ähnlichem auf den Körper geführt hat und diese Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben. Fehlt eine dieser Voraussetzungen ist die BK nicht anzuerkennen. Die "versicherte Tätigkeit", die "Verrichtung", die "Einwirkungen" und die "Krankheit" müssen im Sinne des Vollbeweises – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, allerdings nicht die bloße Möglichkeit. Für das Vorliegen der Voraussetzungen des Vollbeweises trägt der Versicherte die materielle Beweislast. Der volle Beweis für eine Tatsache ist dann erbracht, wenn sie für das erkennende Gericht mit Gewissheit feststeht. Für die haftungsbegründende Kausalität im Sinne der Einwirkungskausalität und zur Beurteilung des Ursachenzusammenhangs zwischen der äußeren Einwirkung und dem Gesundheitsschaden ist eine hinreichende Wahrscheinlichkeit ausreichend. Diese hinreichende Wahrscheinlichkeit erlaubt ein größeres Maß an Zweifeln, so lange das deutliche Übergewicht für die zu beweisende Tatsache spricht: Ein Ursachenzusammenhang ist dann wahrscheinlich, wenn nach Feststellung, Prüfung und Abwägung aller bedeutsamen Umstände des Einzelfalles – im sozialmedizinischen Bereich auch unter Berücksichtigung (nur) der gesicherten medizinischen-wissenschaftlichen Erkenntnisse – insgesamt deutlich mehr für als gegen das Bestehen des Ursachenzusammenhangs spricht. Die bloße Möglichkeit einer Tatsache einschließlich des Ursachenzusammenhangs reicht jedoch nicht aus. Welche Ursache für den Eintritt des Schadens als wesentlich angesehen werden müsse, ist nach der Theorie der wesentlichen Bedingung eine wertende Gesamtbetrachtung aller in Frage kommender Umstände zu ermitteln.
Die bei dem Kläger vorliegende Polyneuropathie ist unter Beachtung dieser Vorgaben nicht mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit auf seine berufliche Tätigkeit zurückzuführen.
Der Senat verweist zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zuvor zitierten umfänglichen Entscheidungsgründe in dem Urteil des LSG Niedersachsen-Bremen vom 21.02.2017 zu dem Verfahren L 16/3 U 61/15 und macht sich diese zu Eigen.
Soweit sich der Kläger im Rahmen des Zugunstenverfahrens nach § 44 SGB X erneut auf das Gutachten der Sachverständigen Dr. R. beruft, vermag dieses auch den erkennenden Senat aus den bereits in dem Urteil vom 21.02.2017 zu dem Verfahren L 16/3 U 61/15 gemachten Ausführungen aufgrund der ausführlichen Stellungnahmen von Prof Dr. Q. vom 11.08.2014, Dr. K. vom 18.05.2014 und Dr. S. vom 29.11.2016 nicht zu überzeugen.
Auch der im vorliegenden Berufungsverfahren nach § 109 SGG gehörte Sachverständige Dr. X. kommt für den Senat nachvollziehbar unter Auswertung und kritischer Auseinandersetzung mit den vorliegenden zahlreichen medizinischen Befunden in seinem nervenärztlichen Gutachten vom 02.01.2023 zu dem Ergebnis, dass die bei dem Kläger vorliegende leichte Polyneuropathie nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische verursacht worden ist.
Danach kann es dahinstehen, dass nach der 3. Auflage des BK-Report 1/2018 zur „Polyneuropathie oder Enzephalopathie durch organische Lösungsmittel oder deren Gemische“ <BK-Report 1/2018> – auf der Basis der derzeit verfügbaren wissenschaftlichen Erkenntnisse zur Neurotoxizität – nur die Listenstoffe n-Hexan und 2-Hexanon in der Lage sind, eine Polyneuropathie zu verursachen (BK-Report 1/2018 S 90; vgl hierzu auch die Stellungnahme des TAD der Beklagten vom 06.09.2019). Schon nach den eigenen Angaben des Klägers (vgl das Schreiben vom 14.10.2019) sind diese Stoffe bei seiner Beschäftigung aber nicht zum Einsatz gekommen.
II.
Auch die Voraussetzungen einer Wie-BK liegen nicht vor.
Nach § 9 Abs 2 iVm Abs 1 S 2 HS 1 SGB VII setzt die Feststellung einer Wie-BK voraus, dass eine bestimmte Personengruppe durch die Art der versicherten Tätigkeit in erheblich höherem Grade als die übrige Bevölkerung besonderen Einwirkungen ausgesetzt ist. Die Einwirkungen, denen die Personengruppe durch die versicherte Tätigkeit ausgesetzt ist, müssen abstrakt generell nach dem Stand der Wissenschaft die wesentliche Ursache einer Erkrankung der geltend gemachten Art sein.
Wie das LSG Niedersachsen-Bremen in seinem Urteil vom 21.02.2017 zu dem Verfahren L 16/3 U 61/15 ausgeführt hat und die sich der erkennende Senat ebenfalls zu Eigen macht, sind diese Voraussetzungen nach den Gutachten von Prof Dr. Q. vom 11.08.2014, Dr. K. vom 18.05.2014 und Dr. S. vom 29.11.2016 weiterhin nicht erfüllt.
Aus dem Vortrag des Klägers in dem vorliegenden Berufungsverfahren ergibt sich keine andere Bewertung der Sach- und Rechtslage.
III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Es liegt kein gesetzlicher Grund vor, die Revision zuzulassen (§ 160 Abs 2 SGG).