L 13 R 1033/25

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
13
1. Instanz
SG Ulm (BWB)
Aktenzeichen
S 1 R 274/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 13 R 1033/25
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 05.03.2025 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Gründe

                                                                           
I.

Der zum Berufskraftfahrer umgeschulte Kläger hat auch die Ausbildung zum Kraftomnibusfahrer erworben. Seit 1992 war er als Berufskraftfahrer oder Busfahrer tätig. Der Kläger begehrt von der Beklagten Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form eines Fahrersitzes.

Dem 1971 geborene Kläger wurden bereits Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form eines orthopädischen Fahrersitzes bewilligt.

Am 21.02.2022 beantragte der Kläger die hier streitgegenständliche Gewährung einer Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben. Seit November 2021 sei er bei der A1 G1 GmbH im Bereich Seecontainer und Kiesfahrer im Werksverkehr beschäftigt. Er müsse die Container absatteln, sodass schweres Heben und Tragen entfiele. Trotzdem leide er an Rückenschmerzen. Alle 2-3 Wochen erhalte er vom behandelnden Orthopäden Spritzen bzw. werde von diesem eingerenkt.

Mit Schreiben vom 25.02.2022 forderte die Beklagte den Kläger auf, einen Befundbericht, einen Kostenvoranschlag für den geltend gemachten orthopädischen Fahrersitz sowie ausgefüllte Formulare vorzulegen.

Mit Bescheid vom 29.03.2022 lehnte die Beklagte den Antrag ab, da die Unterlagen nicht vorgelegt worden seien.

Am 11.08.2022 und 22.09.2022 wandte sich der Kläger an die Beklagte und teilte mit, dass die Firma V1 in T1 die begehrte Leistung erbringen könne und einen Kostenvoranschlag erstellen werde. Er legte sodann einen Kostenvoranschlag für einen Fahrersitz Recaro C 7000 vor, wonach die Kosten inklusive Einbau und Konsole 4.786,18 € betragen.

Mit Bescheid vom 07.11.2022 lehnte die Beklagte den Antrag vom 21.02.2022 erneut ab, da die Erwerbsfähigkeit weder erheblich gefährdet noch gemindert sei.

Am 17.11.2022 teilte der Kläger, er habe nach langem Suchen endlich einen Arbeitgeber gefunden, bei dem er nur fahren könne und keine Lasten tragen müsse. Allerdings habe er einen V1 Lkw mit dem billigsten Sitz ohne ergonomische Ausstattung, weshalb er immer starke Rückenschmerzen habe und dies so auf Dauer nicht weitermachen könne. Am 29.11.2022 erhob der Kläger per E-Mail Widerspruch. Er habe in der Vergangenheit bereits einen ergonomischen orthopädischen Fahrersitz bekommen, der eine große Wirkung gezeigt habe; dieser passe aber nicht in das neue Fahrzeug.

Mit Widerspruchsbescheid vom 01.02.2023 wies die Beklagte den Widerspruch als unbegründet zurück. Unter Berücksichtigung der gesundheitlichen Situation sei für den Kläger ein ergonomischer Fahrersitz ausreichend, der vom Arbeitgeber zu stellen sei.

Hiergegen hat der Kläger 06.02.2023 Klage zum Sozialgericht Ulm (SG) erhoben. Er habe nunmehr ein festes Fahrzeug. Er habe nach langem Suchen die Firma O1 (V1 Werkstatt) in T1 gefunden, die den Sitz bestellen und fachgerecht einbauen könne. Er hat den Kostenvoranschlag vom 30.08.2022 vorgelegt. Sein Arbeitsplatz sei wegen achtfachen Bandscheibenvorfalls und Rückenschmerzen durch häufiges Fehlen gefährdet.

Das SG hat die behandelnden Ärzte befragt. Der behandelnde H1 hat ausgesagt, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers als Berufskraftfahrer gemindert sei. Der G2 hat mangels aktueller Befunde keine Einschätzung zur Erwerbsfähigkeit zu geben vermocht. Der M1 hat unter dem Vorbehalt der Ausheilung der aktuellen Epicondylititiden beidseits die Erwerbsfähigkeit als Berufskraftfahrer als nicht gefährdet oder gemindert bewertet, falls die Arbeit nicht mit schweren körperlichen Belastungen verbunden sei, wie z.B. Be- und Entladen etc. Der K1 hat ausgesagt, dass wegen der Epicondylitis humeri ulnaris beidseits die Erwerbsfähigkeit des Klägers langfristig nicht gefährdet sei.

Das SG sodann das Gutachten des Orthopäden D1 vom 31.07.2024 mit ergänzender gutachtlicher Stellungnahme vom 11.12.2024 eingeholt. Beim Kläger liege eine chronische lumbosakrale und cervikothorakale myofasciale Schmerzstörung mit Funktions- und Bewegungsstörungen der gesamten Wirbelsäule bei mehrsegmentalen Degenerationen der HWS/BWS sowie mittleren und unteren LWS ohne Hinweis einer neurologischen Defizitsymptomatik beider unterer und oberer Extremitäten, chronisches rezidivierendes Impingement-Syndrom beider Schultern mit Funktions- und Bewegungsstörungen bei Verdacht auf RM-Läsion rechts, Funktions- und Bewegungsstörungen Ellenbogen beidseits bei Verdacht auf chronischer Epicondylitis humeri radialis beidseits, Schwellung beider Hände mit eingeschränktem Faustschluss beidseits sowie beidseitiger Minderung der Feingriffe und der allgemeinen Handkraft, chronisch rezidivierende Coxalgie beidseits bei Verdacht auf myofasciale Schmerzstörung der Beckenregion und muskulärer Dysbalance, chronisch rezidivierende Gonalgie beidseits rechtsbetont bei Verdacht auf medial betonte initiale Gonarthrose, Knick-Senk-Spreizfüße beidseits, Adipositas per magna und chronischer Bronchitis mit bronchialer Hyperreagibilität. Der Kläger sei in seiner Erwerbsfähigkeit als Berufskraftfahrer gemindert. Die Tätigkeit als Kiesfahrer (Kipper-Hängerzug) mit nur wenig körperlich belastbaren Tätigkeiten liege im obersten Grenzbereich des Leistungsbildes und könne nur mit Einbau eines orthopädischen Fahrersitzes langfristig ermöglicht werden.  Darüber hinaus sei eine deutliche Gewichtsreduktion mit regelmäßiger Durchführung einer aktiven Bewegungstherapie ergänzt durch unterstützende physiotherapeutische Behandlung zwingend indiziert.

Die Beklagte hat die beratungsärztliche Stellungnahme der B1 vom 27.09.2024 vorgelegt.

Mit Urteil vom 05.03.2025 hat das SG die Klage abgewiesen. Die Erwerbsfähigkeit des Klägers als Berufskraftfahrer im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI sei durch Krankheit aufgehoben und könne durch die begehrten Leistungen nicht wieder hergestellt werden. Entscheidend sei, ob der Versicherte unabhängig von den Besonderheiten des gerade innegehabten Arbeitsplatzes den typischen Anforderungen des ausgeübten Berufes noch nachkommen könne (BSG, Urteil vom 20.10.2009, B 5 R 44/08 R, juris). Der Kläger sei jedoch nicht mehr in der Lage, den zuletzt ausgeübten Beruf des Berufskraftfahrers (hierzu berufenet der Bundesagentur für Arbeit) vollumfänglich auszuüben. Der Kläger habe selbst angegeben, dass er nicht mehr in der Lage sei, sämtliche Aspekte des Berufs eines Berufskraftfahrers auszuüben, was durch das Gutachten des D1 bestätigt werde, wonach schweres Heben und Tragen zu vermeiden sei.

Gegen das dem Kläger am 11.03.2025 zugestellte Urteil hat er am 27.03.2025 Berufung eingelegt. Die vom SG zitierte Auflistung umfasse unterschiedliche Berufsbilder eines Berufskraftfahrers, z.B. als Busfahrer. Er entspreche dem typischen Berufsbild eines Berufskraftfahrers (Arbeiten mit technischen Geräten, Handarbeit, Arbeit bei Kälte sowie Arbeit mit Schmierstoffen). Er arbeite in Schicht und habe unregelmäßige Arbeitszeiten, müsse Unfallverhütungsvorschriften beachten und auch schwer heben und tragen. Die Öffnung der Plane oder Sicherung der Waren mit Spanngurte sei körperlich weitaus anstrengender und sei mit schwerem Heben und Tragen verbunden. Das alleinige Abstellen auf das Be- und Entladen sei unzulässig.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Ulm vom 05.03.2025 und den Bescheid der Beklagten vom 29.03.2022 in der Gestalt des Bescheids vom 07.11.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 01.02.2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihm Leistung zur Teilhabe am Arbeitsplatz den Fahrersitz Recaro C 7000, hilfsweise einen vergleichbaren Fahrersitz, höchst hilfsweise einen orthopädischen, höchst hilfsweise einen ergonomischen Fahrersitz zu bewilligen.


Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.



Sie hält die angefochtene Entscheidung des SG für zutreffend.


Das Gericht hat mit Verfügung vom 30.04.2025 die Beteiligten darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung nach § 153 Abs. 4 SGG zurückzuweisen.

Der Kläger hat eine mündliche Verhandlung beantragt. Es sei sinnvoll, wenn er seine Tätigkeit als LKW-Fahrer erläutere. Mit Verfügung vom 07.05.2025 hat das Gericht darauf hingewiesen, dass es bei der Absicht, durch Beschluss zu entscheiden, verbleibe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf die Verwaltungsakten der Beklagten sowie die Gerichtsakten beider Rechtszüge ergänzend verwiesen.


                                                                           II.


Der Senat entscheidet über die nach den §§ 143, 144 und 151 SGG zulässige Berufung des Klägers gemäß § 153 Abs. 4 SGG durch Beschluss, weil er die Berufung einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, nachdem die Beteiligten Gelegenheit hatten, sich hierzu zu äußern. Eine mündliche Verhandlung hält der Senat nicht für erforderlich. Dem Senat sind keine Gesichtspunkte ersichtlich, die einer solchen Entscheidung entgegenstehen. Es bestehen weder besondere Schwierigkeiten noch hatte der Rechtsstreit außergewöhnliche Bedeutung. Hiernach hält der Senat eine Entscheidung durch Beschluss im Rahmen seines Ermessens für angebracht.

Das SG hat zu Recht die Klage abgewiesen. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben (s. auch § 49 Abs. 8 Nr. 4 und 5 SGB IX), da die Erwerbsfähigkeit des Klägers als Berufskraftfahrer gemindert ist und nicht durch einen Fahrersitz Recaro C7 1000 oder einen vergleichbaren Fahrersitz oder einen orthopädischen oder ergonomischen Fahrersitz wesentlich gebessert oder wiederhergestellt oder hierdurch deren wesentliche Verschlechterung abgewendet werden kann.

Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 29.03.2022 sowie der wiederholende Bescheid vom 07.11.2022, die den Antrag auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben vom 21.02.2021 abgelehnt haben, in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 01.02.2021. Zwar ist der Widerspruch vom 29.11.2022 nur per einfacher E-Mail-erfolgt; die Beklagte hat aber über den Widerspruch sachlich entschieden, weshalb die Formverletzung nicht mehr geprüft werden kann (s. Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Aufl., § 84 SGG Rn. 7 m.w.N.). 

Das SG hat zutreffend ausgeführt, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers als Berufskraftfahrer gemindert ist. Der Senat verweist zutreffenden Ausführungen des SG im angefochtenen Urteil und sieht von einer wiederholenden Darlegung der Entscheidungsgründe gemäß § 153 Abs. 2 SGG ab.
Lediglich bestätigend bleibt auszuführen, dass die Erwerbsfähigkeit die Fähigkeit zur möglichst dauernden Ausübung der bisherigen beruflichen Tätigkeit im normalen Umfang ist. Maßgebend ist, ob der Versicherte den typischen Anforderungen des ausgeübten Berufes noch nachkommen kann, wie das SG zutreffend ausgeführt hat (vgl. das vom SG zitierte Urteil des BSG vom 20.10.2009, B 5 R 44/08 R, juris, aber auch Kasseler Kommentar, § 10 SGB VI Rdnr.14 ff.)  Wie das SG unter Bezugnahme auf berufenet der Bundesagentur für Arbeit zutreffend ausgeführt hat, gehört schweres Heben und Tragen z.B. bei der Fahrzeugbe- und –entladung zum Berufsbild des Berufskraftfahrers. Bestätigt wird dies auch dadurch, dass der Kläger selber vorgebracht hat, dass er lange nach einem geeigneten Arbeitsplatz ohne schweres Heben und Tragen von Lasten habe suchen müssen.  
Zur Überzeugung des Senates ist aber auch der derzeitige Arbeitsplatz selbst mit dem erstrebten Fahrersitz nicht leidensgerecht. Wie M1 in seinem Bericht vom 21.03.2022 überzeugend ausgeführt hat, ist längeres Sitzen und schweres Tragen auszuschließen, was angesichts der Bandscheibenprotrusionen der HWS (s. Bericht der Neurochirurgie B2 vom 05.09.2022) und der von D1 erhobenen weiteren Befunde und gestellten Diagnosen überzeugt. Auch in seiner Zeugenaussage hat M1 schwere Hebe- und Tragebelastungen, wie Be- und Entladen, ausgeschlossen. Beim gerichtlichen Sachverständigen hat der Kläger aber angegeben, dass er mehrmals täglich das Aufplanen der Ladungssicherung zu verrichten hat sowie einzelne Steine/Stücke händisch vom LKW entladen muss. Das Durchführen der Ladungssicherung und das Be- und Entladen hat bereits G3 in ihrem Gutachten vom 22.01.2018 schlüssig und nachvollziehbar für nicht zumutbar erachtet. Auch in seiner Berufung beschreibt der Kläger schwere körperliche Tätigkeiten und schweres Heben und Tragen, was durch den begehrten Fahrersitz nicht verhindert werden und dem Kläger nicht zugemutet werden kann. Die Gewährung von Teilhabeleistungen darf nicht dazu führen, dass der Versicherte an einem unzumutbaren Arbeitsplatz verweilt. Der behandelnde K1 hat lediglich wegen der Epicondylitis humeri ulnaris beidseits die Erwerbsfähigkeit des Klägers langfristig nicht als gefährdet angesehen, so dass er keine Gesamtbeurteilung abgegeben hat. 

Ergänzend bleibt anzumerken, dass auch eine wesentliche Verschlechterung im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 2b SGB VI nicht abgewendet werden kann. So kann damit z.B. der Eintritt einer Erwerbsminderung im Sinne des § 43 nicht abgewendet werden. Für leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarktes ist der Kläger vollschichtig leistungsfähig, weshalb auch § 10 Abs. 1 Nr. 2c SGB VI ausscheidet.

Daraus, dass dem Kläger früher Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben in Form eines Fahrersitzes gewährt worden ist, kann der Kläger keine weiteren Rechte ableiten.
 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Im Rahmen des den Gerichten danach eingeräumten Ermessens sind alle Umstände des Einzelfalles zu berücksichtigen, insbesondere die Sach- und Rechtslage bzw. der Ausgang des Verfahrens (s. Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Auflage, § 193 SGG Rdnr. 12 ff.). Hiernach war für den Senat maßgeblich, dass der Kläger mit der Rechtsverfolgung ohne Erfolg geblieben ist und die Beklagte keinen Anlass zur Klageerhebung gegeben hat. Der Senat hält es im Falle einer Zurückweisung des Rechtsmittels nach dem Grundsatz der Einheitlichkeit der Kostenentscheidung für erforderlich, nicht nur über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zu entscheiden, sondern auch über die Kosten der vorausgehenden Instanz (so Lüdtke/Berchtold, Kommentar zum SGG, 5. Aufl., § 193 Rdnr. 8; ausführlich erkennender Senat, Urteil vom 19. November 2013, L 13 R 1662/12, juris; a.A. Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, a. a. O., § 193 Rdnr. 2a; Hintz/Lowe, Kommentar zum SGG, § 193 Rdnr. 11; Jansen, Kommentar zum SGG, 4. Auflage, § 193 Rdnr. 4).

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor. Es handelt sich um eine Einzelfallentscheidung auf gesicherter Rechtsgrundlage, ohne dass der Senat von einer Entscheidung der in § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichte abweicht.


 

Rechtskraft
Aus
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