L 9 AS 497/23

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
9
1. Instanz
SG Berlin (BRB)
Aktenzeichen
S 103 AS 5977/21
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 9 AS 497/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die dem Betrieb eines Selbständigen von der Investitionsbank Berlin gewährte Corona-Soforthilfe ist bei der Berechnung der Leistungen nach dem SGB II bei den Betriebsausgaben in Abzug zu bringen (Anschluss an LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. September 2021, L 18 AS 884/21, juris).  
 

Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. März 2023 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

          Die Revision wird nicht zugelassen.

 

 

 

 

 

Tatbestand

 

Im Streit steht eine abschließende Entscheidung über Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) für die Zeit vom 1. Januar 2020 bis 30. Juni 2020 sowie die Erstattung vorläufig gezahlter Leistungen.

 

Die Klägerin zu 1, deren Partner, der Kläger zu  2, sowie die Kläger zu 3 bis 7, deren Kinder, lebten im streitigen Zeitraum zusammen in einem gemeinsamen Haushalt. Die Klägerin zu 1 wurde am , der Kläger zu 2 am , der Kläger zu 3 am , der Kläger zu 4 am , die Klägerin zu 5 am , der Kläger zu 6 am  und die Klägerin zu 7 am geboren. Sie verfügten im Streitzeitraum über kein berücksichtigungsfähiges Vermögen. Die Kläger zu 1 bis 3 sowie 6 und 7 waren im streitigen Zeitraum erwerbsfähig, der Kläger zu 2 betrieb einen Imbiss in Berlin. Die Kosten der gemeinsam bewohnten Unterkunft betrugen in den streitigen Monaten insgesamt 915,74 Euro (818,72 Euro Bruttokaltmiete zzgl. 97,02 Euro Heizkosten). Das Warmwasser wurde dezentral erzeugt.

 

Auf Antrag bewilligte der Beklagte den Klägern mit Bescheid vom 29. Januar 2020 sowie Änderungsbescheiden vom 20. Februar 2020 und 23. April 2020 vorläufig Leistungen nach dem SGB II für die Monate Januar bis Juni 2020 in folgender Höhe (in Euro):

 

Kl. zu 1

Kl. zu 2

Kl. zu 3

Kl. zu 4

Kl. zu 5

Kl. zu 6

Kl. zu 7

Summe

01/2020

323,09

323,09

154,84

126,80

126,80

63,72

189,27

1.307,61

02/2020

323,09

323,09

154,84

126,80

126,80

63,72

189,27

1.307,61

03/2020

195,36

195,36

71,47

59,28

50,83

29,34

96,82

698,46

04/2020

325,03

325,03

155,77

140,40

127,56

98,20

190,41

1.362,40

05/2020

264,47

264,47

126,74

114,24

103,79

0

154,93

1.028,64

06/2020

264,47

264,47

126,74

114,24

103,79

0

154,93

1.028,64

 

Bei der Berechnung der vorläufigen Leistungen berücksichtigte der Beklagte unter anderem ein voraussichtliches Einkommen des Klägers zu 2 aus seiner selbständigen Tätigkeit in Höhe von monatlich 1.148,89 Euro (um Freibeträge bereinigt 854 Euro) sowie im März 2020 ein Betriebskostenguthaben für das Jahr 2018 in Höhe von 661,85 Euro. Wegen der Einzelheiten der Bescheide wird auf Blatt 39 bis 48, 55 bis 59 und 76 bis 81 der Verwaltungsakte verwiesen.

 

Tatsächlich verfügte der Kläger zu 2 im streitigen Zeitraum über Betriebseinnahmen in Höhe von 26.729,19 Euro. Zudem erhielt der Betrieb des Klägers am 1. April 2020 von der Investitionsbank Berlin – im Rahmen des Programms „Soforthilfe Corona“ der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe und der Bundesrepublik Deutschland – einen Zuschuss in Höhe von 13.000 Euro „zur Überwindung der existenzbedrohlichen Wirtschaftslage bzw. des Liquiditätsengpasses, der im Zusammenhang mit dem Ausbruch von COVID-19 entstanden ist“. Aus der Bescheinigung der Investitionsbank über den Zuschuss geht hervor, dass der Kläger zu 2 versichert habe, den Zuschuss zur Sicherung der „beruflichen bzw. betrieblichen Existenz“ zu benötigen und zu verwenden, und dass COVID-19 für die existenzbedrohende Wirtschaftslage bzw. für den Liquiditätsengpass unmittelbar ursächlich sei. Ferner heißt es in der Bescheinigung, dass der Kläger zu 2 erklärt habe, die Mittel zweckmäßig zu verwenden, d.h. einen Zuschussbetrag über 5.000 Euro ausschließlich zur Begleichung der fortlaufenden betrieblichen Ausgaben (für den Sach- und Finanzaufwand des Gewerbes wie gewerbliche Mieten, Pachten, Leasingaufwendungen) zu nutzen. 

Der Kläger zu 6 erhielt im streitigen Zeitraum Einkommen aus Erwerbstätigkeit, und zwar im Januar und Februar 2020 in Höhe von 320 Euro, im März 2020 in Höhe von 495,78 Euro, im April 2020 in Höhe von 465,02 Euro, im Mai 2020 in Höhe von 519,62 und im Juni 2020 in Höhe von 502,04 (jeweils brutto = netto). Darüber hinaus wurde im streitigen Zeitraum Kindergeld ausgezahlt, nämlich 210 Euro monatlich für den Kläger zu 3, jeweils 235 Euro monatlich für die Kläger zu 4 und 5 und jeweils 204 Euro monatlich für die Kläger zu 6 und 7.

 

Am 15. Januar 2021 machte der Kläger zu 2 gegenüber dem Beklagten unter Verwendung des entsprechenden Formulars abschließende Angaben zum Einkommen aus selbständiger Tätigkeit in den Monaten Januar bis Juni 2020. Er gab Betriebseinnahmen in diesem Zeitraum in Höhe von 39.729,19 Euro sowie Betriebsausgaben in Höhe von 27.514,10 Euro an. Als Betriebseinnahme war in dem Formular auch die Soforthilfe in Höhe von 13.000 Euro ausgewiesen.

 

Mit Bescheid vom 1. Juni 2021 bewilligte der Beklagte den Klägern abschließend SGB II-Leistungen für die Monate Januar bis Juni 2020 in folgender Höhe (in Euro):

 

Kl. zu 1

Kl. zu 2

Kl. zu 3

Kl. zu 4

Kl. zu 5

Kl. zu 6

Kl. zu 7

Summe

01/2020

79,49

79,49

38,09

31,20

31,20

0

46,56

306,03

02/2020

79,49

79,49

38,09

31,20

31,20

0

46,56

306,03

03/2020

0

0

0

0

0

0

0

0

04/2020

54,62

54,62

26,18

23,60

21,44

2,45

32,00

214,91

05/2020

47,49

47,49

22,76

20,51

18,64

16,53

27,82

201,24

06/2020

50,49

50,49

24,20

21,81

19,82

18,92

29,58

215,31

 

Bei der Berechnung der abschließenden Leistungen berücksichtigte der Beklagte – außer dem Einkommen des Klägers zu 6, dem Kindergeld und dem Betriebskostenguthaben im März 2020 – Betriebseinnahmen des Klägers zu 2 in Höhe von 26.729,19 Euro und Betriebsausgaben in Höhe von insgesamt 13.556,35 Euro und somit ein Einkommen des Klägers zu 2 aus seiner selbständigen Tätigkeit in Höhe von monatlich 2.195,47 Euro (26.729,19 Euro minus 13.556,35 Euro = 13.172,84 Euro, geteilt durch sechs = monatlich 2.195,47 Euro, um Freibeträge bereinigt 1.865,47 Euro). Die Soforthilfe in Höhe von 13.000 Euro berücksichtigte der Beklagte dabei, indem er diesen Betrag von den geltend gemachten Betriebsausgaben in den Monaten April bis Juni 2020 in Höhe von insgesamt 13.401,75 Euro abzog und somit in diesen Monaten nur insgesamt 401,75 Euro als Betriebsausgaben anerkannte.

 

Mit vier weiteren Bescheiden vom 3. Juni 2021 forderte der Beklagte von den Klägern, die aus der Abweichung zwischen der vorläufigen und der abschließenden Bewilligung monatlich sich ergebende Überzahlung zu erstatten: Mit einem an die Klägerin zu 1 gerichteten Bescheid forderte der Beklagte von dieser, Leistungen in Höhe von insgesamt 1.378,63 Euro sowie darüber hinaus – als gesetzliche Vertreterin – 634,37 Euro für den Kläger zu 3, 547,41 Euro für den Kläger zu 4 sowie 511,78 Euro für die Klägerin zu 5 zu erstatten. Mit einem an den Kläger zu 2 gerichteten Bescheid forderte der Beklagte diesen auf, Leistungen in Höhe von insgesamt 1.378,63 Euro zu erstatten. Ferner forderte der Beklagte die Kläger zu 6 und 7 mit jeweils eigenständigen Bescheiden auf, 252,53 Euro bzw. 786,49 Euro zu erstatten.

 

Wegen der Einzelheiten der Bescheide vom 1. Juni 2021 und 3. Juni 2021 wird auf Blatt 238 bis 252, 258 bis 260, 263 bis 265, 267 bis 269 und 271 bis 275 der Verwaltungsakte verwiesen.

 

Am 24. Juni 2021 erhoben die Kläger Widerspruch mit der Begründung, dass die Soforthilfe in Höhe von 13.000 Euro als zweckbestimmte Einnahme bei der Berechnung des Leistungsanspruchs nicht berücksichtigt werden dürfe.

 

Der Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 13. September 2021 zurück. Er habe die Leistungen zutreffend gemäß § 41a Abs. 3 SGB II abschließend festgesetzt. Die Soforthilfe sei zu dem Zweck erbracht worden, die Betriebsausgaben im Förderzeitraum zu decken. Sie sei gemäß § 3 Abs. 3 Sätze 4 und 5 im Bewilligungsabschnitt bei den Betriebsausgaben ab dem Zuflussmonat zu berücksichtigen gewesen. Die Erstattungsforderungen beruhten auf § 41a Abs. 6 SGB II und seien rechtmäßig.

 

Am 1. Oktober 2021 haben die Kläger Klage vor dem Sozialgericht Berlin erhoben. Sie haben geltend gemacht: Die Soforthilfe habe ausschließlich der Deckung der Betriebsausgaben des Geschäfts des Klägers zu 2 und dem Fortbestand des Betriebs gedient. Es bestehe keine Zweckidentität mit Leistungen des SGB II, die es ermöglichen sollten, ein Leben in Würde zu führen. Eine Anrechnung der Soforthilfe scheide daher aus (Verweis auf SG Leipzig, Beschluss vom 27. Mai 2020, S 24 AS 817/20 ER). Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus § 3 ALG II-VO. Die Soforthilfe rühre nicht unmittelbar aus der Ausübung einer selbständigen Tätigkeit her, sondern sei aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften gewährt worden. Damit könne sie nicht als Betriebseinnahme eingeordnet werden. Darüber hinaus missachte der Beklagte § 67 SGB II. Bestätigt werde die Rechtsauffassung der Kläger in dem Gutachten „Berücksichtigung von sogenannten Corona-Soforthilfen im Hinblick auf Leistungen der Grundsicherung nach dem SGB II“ des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags. Auch die Bundesagentur für Arbeit beantworte die FAQ „Werden Liquiditätshilfen des Bundes und der Länder als Einkommen angerechnet“ im Internet dahingehend, dass diese nicht als zweckbestimmte Einnahmen gelten würden, sondern zur Deckung der Betriebskosten eingesetzt werden müssten, und sich damit wesentlich von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts unterschieden. Jedenfalls dürfe die Corona-Soforthilfe nur im Monat des Zuflusses berücksichtigt werden und sei zu beachten, dass die vom Land Berlin gewährte Hilfe in Höhe von 5.000 Euro zur Sicherung des Lebensunterhalts gedient habe und deshalb als Einkommen zu berücksichtigen sei. Lediglich die restlichen 8.000 Euro des Bundes seien zur Sicherung der Existenz des Betriebes bestimmt gewesen. Die Hilfe des Landes Berlin in Höhe von 5.000 Euro sei als einmalige Einnahme im Zuflussmonat zu berücksichtigen. 

 

Mit Urteil vom 10. März 2023 hat das Sozialgericht Berlin die Klage abgewiesen. Es hat zur Begründung ausgeführt: Der Beklagte habe die Soforthilfe zutreffend bei den Betriebsausgaben berücksichtigt. Dies entspreche dem Zweck der Soforthilfe. Diese habe dazu gedient, Liquiditätsengpässe zu überwinden. Auch der Teilbetrag in Höhe von 5.000 Euro sei zur Sicherung der betrieblichen Existenz bestimmt gewesen. Auf die Frage, ob die Kläger später Rückforderungen ausgesetzt seien, komme es nicht an, da die Mittel im Leistungszeitraum zur Begleichung der Ausgaben zur Verfügung gestanden hätten. Rechnerische Fehler in den Bescheiden seien weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.

 

Gegen das ihnen am 23. April 2023 zugestellte Urteil des Sozialgerichts haben die Kläger am 23. Mai 2023 Berufung eingelegt. Sie wiederholen im Wesentlichen ihr bisheriges Vorbringen und machen geltend: Eine Anrechnung der Soforthilfe scheide aus. Die Soforthilfe dürfe insbesondere nicht ab April 2020 berücksichtigt werden, da das Zuflussprinzip nur für zu berücksichtigendes Einkommen gelte. Die Einnahmen dienten nicht zuletzt dem Unterhalt der Kinder und seien daher privilegiert.

 

Am 8. April 2025 hat der Beklagte erklärt, dass im Hinblick auf die Beschränkung der Minderjährigenhaftung (§ 1629a BGB) die Forderungen gegenüber den Klägern zu 3 und 4 aus den Erstattungsbescheiden vom 3. Juni 2021 nicht mehr geltend gemacht würden. Hinsichtlich der Kläger zu 3 und 4 ist der Rechtsstreit daraufhin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat für erledigt erklärt worden. 

 

Die Kläger zu 1, 2, 5, 6 und 7 beantragen,

 

das Urteil des Sozialgerichts Berlin vom 10. März 2023 aufzuheben sowie den Beklagten unter Abänderung des abschließenden Bewilligungsbescheides vom 1. Juni 2021 und der Erstattungsbescheide vom 3. Juni 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2021 zu verpflichten, ihnen für die Zeit von Januar 2020 bis Juni 2020 abschließend höhere Leistungen ohne Berücksichtigung eines Einkommens des Klägers zu 2 aus selbständiger Tätigkeit zu gewähren.

 

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er verweist auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und im Urteil des Sozialgerichts und trägt ergänzend vor: Würden die Liquiditätshilfen nicht bei den Betriebsausgaben berücksichtigt, komme es nach den fachlichen Weisungen zu § 67 SGB II zu einer doppelten Privilegierung einerseits durch die Nichtberücksichtigung einer zweckbestimmten Einnahme und andererseits durch die Absetzung der bereits mit den Liquiditätshilfen gedeckten Betriebsausgaben von den Betriebseinnahmen bei der Berechnung des Einkommens. Die Hilfen würden zu dem Zweck erbracht, die Betriebsausgaben im jeweiligen Förderzeitraum zu decken.

 

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf den der Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.

 

 

 

Entscheidungsgründe

 

 

Die Berufung hat keinen Erfolg.

 

Gegenstand des Berufungsverfahrens sind das erstinstanzliche Urteil vom 10. März 2023 und die Bescheide des Beklagten vom 1. Juni 2021 und 3. Juni 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. September 2021, soweit die Kläger zu 1, 2, 5, 6 und 7 betroffen sind. Hinsichtlich der Kläger zu 3 und 4 hat sich der Rechtsstreit durch Prozesserklärung in der mündlichen Verhandlung erledigt (vgl. § 102 Abs. 1 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz – SGG). 

 

Die gemäß § 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG statthafte sowie nach § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte zulässige Berufung der Kläger 1, 2, 5, 6 und 7 ist unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage hinsichtlich der Kläger 1, 2, 5, 6 und 7 zu Recht abgewiesen.

 

Die Klage ist zulässig. Sie ist gerichtet auf die Abänderung des abschließenden Bescheides vom 1. Juni 2021, die Aufhebung der Erstattungsbescheide vom 3. Juni 2021 und – dem Grunde nach – auf die Zahlung endgültiger Leistungen, die über die vorläufig bewilligten hinausgehen. Statthafte Klageart ist daher die kombinierte Anfechtungs-, Verpflichtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 i.V.m § 56 SGG; vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2021, B 14 AS 41/20 R, zitiert nach juris, Rn. 11).

 

Die Klage kann auch in dieser Konstellation zulässigerweise auf den Erlass eines Grundurteils (§ 130 Abs. 1 Satz 1 SGG) im Höhenstreit gerichtet sein (vgl. BSG, Urteil vom 11. November 2021, B 14 AS 41/20 R, zitiert nach juris, Rn. 12). Voraussetzung für die Zulässigkeit eines Grundurteils im Höhenstreit ist eine so umfassende Aufklärung zu Grund und Höhe des Anspruchs, dass mit Wahrscheinlichkeit von einer höheren Leistung ausgegangen werden kann, wenn der Begründung der Klage gefolgt wird. Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Ausgehend vom Vortrag der Kläger zu 1, 2, 5, 6 und 7, die Corona-Soforthilfe in Höhe von 13.000 Euro sei nicht zu berücksichtigen und daher kein Einkommen des Klägers zu 2 aus selbständiger Tätigkeit anzurechnen, kommen in jedem streitbefangenen Monat höhere Leistungen als abschließend festgestellt in Betracht. Soweit sich die Kläger zu 1, 2, 5, 6 und 7 gegen die Erstattungsbescheide vom 3. Juni 2021 wenden, bilden diese mit dem Bescheid über die abschließende Feststellung ihrer Leistungsansprüche vom 1. Juni 2021 eine rechtliche Einheit.

 

Die Klage ist unbegründet. Der geltend gemachte Anspruch auf abschließende Festsetzung höherer SGB II-Leistungen besteht nicht (1.). Ausgehend davon sind auch die Erstattungsbescheide nicht zu beanstanden (2.).

 

1. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf abschließende Festsetzung höherer – da ohne Anrechnung von Mitteln der gewährten Corona-Soforthilfe zu erbringenden – Leistungen im Zeitraum Januar bis Juni 2020 ist § 41a Abs. 3 Satz 1 SGB II in der bis zum 31. März 2021 geltenden Fassung (vgl. zum zeitlichen Anwendungsbereich Hengelhaupt, in: Hauck/Noftz, SGB II, § 41a, Stand Juli 2023, Rn. 20 m.w.N.) i.V.m. § 19 Abs. 1 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2022 geltenden Fassung und § 7 SGB II in der bis zum 31. Dezember 2020 geltenden Fassung.

 

a.  Die Voraussetzungen für eine abschließende Leistungsfestsetzung liegen vor. Die Kläger zu 1, 2, 5, 6 und 7 können jedoch keine höheren Leistungen als die abschließend festgesetzten (ohne Anrechnung von Mitteln der Corona-Soforthilfe) verlangen. Der Beklagte hat die Corona-Soforthilfe zutreffend in voller Höhe bei den Betriebsausgaben in den Monaten April 2020 bis Juni 2020 in Abzug gebracht und den dementsprechend höheren Gewinn des Klägers zu 2 bedarfsmindernd als Einkommen angerechnet.

 

b.  Nach § 9 Abs. 1 Nr. 2 SGB II ist hilfebedürftig, wer seinen Lebensunterhalt, seine Eingliederung in Arbeit und den Lebensunterhalt der mit ihm in einer Bedarfsgemeinschaft lebenden Personen nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Kräften und Mitteln, vor allem nicht aus dem zu berücksichtigenden Einkommen oder Vermögen sichern kann und die erforderliche Hilfe nicht von anderen, insbesondere von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält. Leistungen, die aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zu einem ausdrücklich genannten Zweck erbracht werden, sind gemäß § 11b Abs. 3 Satz 1 SGB II nur so weit als Einkommen zu berücksichtigen, als die Leistungen nach dem SGB II im Einzelfall demselben Zweck dienen. Bei der Berechnung des Einkommens aus selbständiger Tätigkeit ist gemäß § 3 Alg II-VO von den Betriebseinnahmen auszugehen.  Betriebseinnahmen sind alle aus selbständiger Arbeit, Gewerbebetrieb oder Land- und Forstwirtschaft erzielten Einnahmen, die im Bewilligungszeitraum tatsächlich zufließen. Zur Berechnung des Einkommens sind von den Betriebseinnahmen die im Bewilligungszeitraum tatsächlich geleisteten notwendigen Ausgaben mit Ausnahme der nach § 11b SGB II abzusetzenden Beträge ohne Rücksicht auf steuerrechtliche Vorschriften abzusetzen. Tatsächliche Ausgaben sollen nicht abgesetzt werden, soweit diese ganz oder teilweise vermeidbar sind oder offensichtlich nicht den Lebensumständen während des Bezuges der Leistungen zur Grundsicherung für Arbeitsuchende entsprechen. Ausgaben können bei der Berechnung nicht abgesetzt werden, soweit das Verhältnis der Ausgaben zu den jeweiligen Erträgen in einem auffälligen Missverhältnis steht. Ausgaben sind ferner nicht abzusetzen, soweit für sie Darlehen oder Zuschüsse nach dem SGB II erbracht oder betriebliche Darlehen aufgenommen worden sind.

 

c.  Bei der Corona-Soforthilfe handelt es sich gemäß § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II nicht um anrechenbares Einkommen. Sie wurde ausweislich der Bescheinigung der Investitionsbank Berlin über den Erhalt der Hilfe vom 5. Mai 2020 im Rahmen des Programms Soforthilfe Corona der Senatsverwaltung für Wirtschaft, Energie und Betriebe des Landes Berlin und der Bundesrepublik Deutschland und damit aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften ausgezahlt (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. September 2021, L 18 AS 884/21, zitiert nach juris, Rn. 19). Die Hilfe diente auch nicht demselben Zweck wie die – den privaten Lebensunterhalt sichernden – Leistungen nach dem SGB II, sondern, ausweislich der Bescheinigung vom 5. Mai 2020, der Sicherung der „beruflichen bzw. betrieblichen Existenz“ (vgl. auch LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Februar 2024, L 12 AS 1422/22, zitiert nach juris, Rn. 77).

 

Eine Zweckidentität im Sinne des § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II liegt auch nicht insoweit vor, als vom Landeszuschuss in Höhe von 5.000 Euro neben den laufenden betrieblichen Sach- und Finanzaufwendungen auch ungedeckte Kosten der privaten Lebensführung in Folge von entgangenen Unternehmerlöhnen ausgeglichen werden konnten (vgl. die Angaben der Investitionsbank Berlin bei der FAQ „Wofür kann ich den Corona Zuschuss verwenden“, abgerufen am 4. April 2025 unter:  https://www.ibb.de/de/wirtschaftsfoerderung/coronahilfen/faq/faq- soforthilfe-corona.html). Nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts ist es für die Privilegierung von Einkommen nach § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II maßgeblich, ob mit der betreffenden Leistung ein Zweck verfolgt wird, der über die vom SGB II verfolgte Sicherung des Lebensunterhalts hinausgeht (vgl. BSG, Urteil vom 12. September 2018, B 14 AS 36/17 R, zitiert nach juris, Rn. 22). Hier wurde mit der Corona-Hilfe ein über die Sicherung des Lebensunterhalts hinausgehender Zweck verfolgt, nämlich die Sicherung der betrieblichen Existenz. Die Möglichkeit (hinsichtlich des Landeszuschusses), die Corona-Soforthilfe auch für Kosten der privaten Lebensführung aufzuwenden, um entgangene Unternehmerlöhne auszugleichen, stellte lediglich ein Mittel zur Erreichung des eigentlichen Zwecks der Hilfe dar, die betriebliche Existenz zu gewährleisten. Abgesehen davon konnte die Corona-Soforthilfe zur Deckung der Kosten der privaten Lebensführung nur eingesetzt werden, soweit keine ALG II-Leistungen in Anspruch genommen wurden (vgl. die Angaben der Investitionsbank Berlin bei der FAQ „Wofür kann ich den Corona Zuschuss verwenden“, a.a.O.). Dies spricht ebenfalls dagegen, dass die Corona-Soforthilfe i.S.d. § 11a Abs. 3 Satz 1 SGB II dazu bestimmt war, die der Sicherung des Lebensunterhalts dienenden Leistungen nach dem SGB II zu ersetzen. Im Übrigen ist zu berücksichtigen, dass die Corona-Soforthilfe im vorliegenden Fall, da die Betriebsausgaben in den Anrechnungsmonaten April bis Juni 2020 bei über 13.000 Euro lagen, in voller Höhe für betriebliche Aufwendungen und damit entsprechend dem Zweck, den Betrieb zu sichern, verwendet werden konnte. Sie wurde auch nicht dem Kläger zu 2 gewährt, sondern ausweislich der Bescheinigung vom 5. Mai 2020 seinem Betrieb. Dies verdeutlicht ebenfalls den betriebsbezogenen, über den Zweck der Lebensunterhaltssicherung hinausgehenden Zweck der Corona-Soforthilfe. 

 

d. Der Beklagte hat die Corona-Soforthilfe – ausgehend von ihrem Zweck, die betriebliche Existenz zu sichern und insbesondere die fortlaufenden betrieblichen Ausgaben zu decken – zutreffend von den nach § 3 Abs. 2 und 3 ALG II-VO berücksichtigungsfähigen Betriebsausgaben in Abzug gebracht (vgl. LSG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 21. Februar 2024, L 12 AS 1422/22, zitiert nach juris, Rn. 79; nachgehend: BSG, Beschluss vom 6. September 2024, B 7 AS 45/24 B, zitiert nach juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. September 2021, L 18 AS 884/21, zitiert nach juris, Rn. 21; LSG Sachsen, Beschluss vom 26. Januar 2021, L 8 AS 748/20 B ER, zitiert nach juris, Rn. 32; SG Dresden, Urteil vom 15. Januar 2024, S 20 AS 1478/20, zitiert nach juris, Rn. 24; SG Berlin, Urteil vom 4. Juli 2022, S 123 AS 8864/20, zitiert nach juris, Rn. 25; Hengelhaupt in: Hauck/Noftz, SGB II, Stand 1. EL 2025, § 13, Rn. 416a). Diese Vorgehensweise ist sachgerecht, weil bei wertender Betrachtung insoweit, als die Aufwendungen für den Betrieb durch die Corona-Soforthilfe gedeckt waren, keine belastenden Ausgaben anfielen. Darüber hinaus ist diese Vorgehensweise nach dem Grundsatz, dass bereite Mittel bedarfsbezogen einzusetzen sind, geboten. In dem Umfang, in dem der Kläger zu 2 Betriebsausgaben aus der Corona-Soforthilfe finanzieren konnte, musste er seine Betriebseinnahmen hierfür nicht aufwenden. Entsprechend standen diese zusätzlichen Betriebseinnahmen als Einkommen bereit zur Abwendung der Hilfebedürftigkeit (vgl. SG Dresden, Urteil vom 15. Januar 2024, S 20 AS 1478/20, zitiert nach juris, Rn. 24).

 

Unerheblich ist wegen der maßgeblichen zweckbezogenen Betrachtungsweise, ob und inwieweit der Kläger zu 2 die Corona-Soforthilfe tatsächlich für die Deckung seiner Betriebskosten aufgewendet hat (vgl. in Bezug auf betriebliche Darlehen LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 12. April 2022, L 9 AS 2370/20, zitiert nach juris, Rn. 38).

 

Aus dem von den Klägern zitierten Beschluss des Sozialgerichts Leipzig vom 27. Mai 2020 (S 24 AS 817/20 ER) folgt nichts anderes. Daraus ergibt sich vielmehr ebenfalls, dass die Soforthilfe bei den Betriebsausgaben in Abzug zu bringen ist (juris, Rn. 35).

 

Vor diesem Hintergrund kann dahinstehen, ob die Corona-Soforthilfe auch nach Maßgabe des § 3 Abs. 3 Satz 4 Alg II-VO, weil sie einem Darlehen nach Sinn und Zweck zumindest gleichzusetzen ist, auf Betriebsausgabenseite abzusetzen ist (vgl. LSG NRW, Urteil vom 21. Februar 2024, L 12 AS 1422/22, zitiert nach juris, Rn. 80).

 

Der Beklagte hat die Corona-Soforthilfe schließlich zutreffend in den Monaten April bis Juni 2020 in Abzug gebracht. Die Hilfe wurde im April 2020 gewährt und diente dazu, einen Beitrag zu den laufenden betrieblichen Sach- und Finanzaufwendungen bezogen auf drei Monate zu leisten (vgl. die Angaben der Investitionsbank Berlin bei der FAQ „Wofür kann ich den Corona Zuschuss verwenden“, a.a.O.; vgl. SG Berlin, Urteil vom 4. Juli 2022, S 123 AS 8864/20, zitiert nach juris, Rn. 27).

 

2.  Die – auf § 41a Abs. 6 Satz 3 SGB II aF beruhenden – Erstattungsbescheide sind ebenso rechtmäßig. Soweit die Erstattungsforderungen – aufgrund von Abweichungen hinsichtlich der Monate Mai und Juni 2020 – geringfügig niedriger sind als die Differenz zwischen den vorläufig und abschließend bewilligten Leistungen (hinsichtlich der Kläger zu 1 und 2: 1.378,63 Euro statt 1.383,93 Euro, hinsichtlich der Klägerin zu 5: 511,78 Euro statt 517,27 Euro, hinsichtlich der Klägerin zu 7: 786,49 Euro statt 793,11 Euro) belastet dies die Kläger nicht.

 

Die Berufung war daher zurückzuweisen.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG. Sie folgt dem Ausgang des Rechtsstreits. Hinsichtlich der Kläger zu 3 und 4 besteht ebenfalls kein Grund zur Kostenerstattung durch den Beklagten. Die Beschränkung der Haftung der Kläger zu 3 und 4 gemäß § 1629a BGB wurde von den Klägern selbst nicht geltend gemacht. Sie ist vom Beklagten kurz vor der mündlichen Verhandlung vor dem Senat nach gerichtlichem Hinweis und auf der Grundlage der für die Prüfung der Haftungsbeschränkung erforderlichen Erklärungen der Kläger zu 3 und 4 über deren Vermögenslosigkeit anerkannt worden. Der Beklagte hat die Haftungsbeschränkung nach Eingang der Erklärungen sofort anerkannt. Es entspricht daher billigem Ermessen, von einer Kostentragung durch den Beklagten abzusehen.

 

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 160 Abs. 2 SGG.

Rechtskraft
Aus
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