Die Berufung wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Im Streit steht die Genehmigung der Verordnung von Cannabis-Arzneimitteln.
Die 1970 geborene Klägerin ist bei der Beklagten krankenversichert. Sie leidet an einem chronischen Schmerzsyndrom bei einem Zustand nach Spondylodese.
Sie beantragte im März 2019 bei der Beklagten unter Vorlage eines von ihrem behandelten Arzt Dr. J, Facharzt für physikalische und rehabilitative Medizin, ausgefüllten „Arztfragebogens zu Cannabinoiden nach § 31 Abs. 6 SGB V“ die Genehmigung zur Versorgung mit Cannabis. Behandelt werden solle das chronische Schmerzsyndrom durch Cannabidiol in Form von Tropfen. Ziel der Behandlung sei eine Schmerzlinderung und eine Besserung der Lebensqualität. Die bisherigen Therapieoptionen seien ausgeschöpft.
Die Beklagte holte daraufhin eine Stellungnahme des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein. Dessen Gutachten vom 12. April 2019 durch Dr. T gelangt bei den Diagnosen Postlaminektomiesyndrom (M 96.1), einer chronischen Schmerzstörung mit somatischen und psychischen Faktoren (F 45.41) und sonstigem chronischen Schmerz (R 52.2) zu dem Ergebnis, dass eine schwerwiegende Erkrankung nicht vorliege. Es stünden zudem allgemein anerkannte und dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen in Gestalt der stationären multimodalen Schmerztherapie zur Verfügung. Auch handele sich bei dem begehrten Präparat CBD nicht um ein Medikament, das den Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) unterliege.
Die Beklagte lehnte daraufhin mit Bescheid vom 15. April 2019 den Antrag der Klägerin ab.
Diese erhob Widerspruch: Sie leide an einer schwerwiegenden chronischen Erkrankung. Eine 2019 probeweise durchgeführte und ärztlich begleitete Selbsttherapie mit „CBD Adrexol 4 %“ habe für einige Stunden zur Schmerzlinderung und zu einer spürbaren Verbesserung der Lebensqualität geführt. Eine in der I Klinik R durchgeführte multimodale Schmerztherapie habe ihre Schmerzen hingegen nur für kurze Zeit lindern können. Dies gelte auch für weitere Therapien und Maßnahmen, welche sie ab August 2018 durchgeführt habe wie Akkupunktur, psychologische Verhaltenstherapie, Fango/manuelle Therapie, Bewegung im Bad, Gesundheitswandern und Schwimmen sowie eine Gewichtsreduktion um 15 kg. Die Einnahme von Schmerzmitteln, die dem Betäubungsmittelgesetz unterfielen, habe sie im Übrigen nicht vertragen.
Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 14. Oktober 2019 zurück.
Hiergegen hat die Klägerin am 13. November 2019 Klage beim Sozialgericht Frankfurt (Oder) (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie u.a. ausgeführt, sie leide unter erheblichen chronischen, kaum noch erträglichen Schmerzen. Eine Teilhabe am gesellschaftlichen und sozialen Lebens sei deshalb nahezu ausgeschlossen. Sie könne auch nicht berufstätig sein. Die bisher verordneten Schmerzmittelmedikamente habe sie nicht vertragen. Es hätten sich erhebliche Nebenwirkungen gezeigt wie Schläfrigkeit und Wortfindungsstörungen. Zudem sei sie unkonzentriert und psychisch enorm angeschlagen gewesen. Hinzugetreten seien Durchfall und Verstopfung, Erbrechen, Magen-Darmschmerzen, Kopfschmerzen und schwere Schwindelattacken. Die anderen Therapien hätten ebenfalls zu keinem dauerhaften Erfolg geführt. Der behandelnde Arzt Dr. J habe ihr nach seiner gewissenhaften fachlichen Einschätzung mangels Therapiealternativen eine Behandlung mit CBD-Tropfen empfohlen. Sie sei auch offen für die Versorgung mit sonstigen Cannabispräparaten.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass es sich bei dem von der Klägerin beantragten Präparat Adrexol um ein Nahrungsergänzungsmittel handele. Gleiches gelte für die vorgerichtlich beantragte Cannabidiol-Lösung. Das Sozialgericht hat Befund- und Behandlungsberichte aus den Klageverfahren SG Frankfurt (Oder) (Az. S 6 R 17/20) eingeführt, ebenso den Entlassungsbericht der IKlinik R vom 16. August 2018, das für den Rentenversicherungsträger nach ambulanter Untersuchung der Klägerin eingeholte medizinische Gutachten des Facharztes für Orthopädie und Unfallchirurgie Dr. R sowie das weiteren Gutachten der Fachärztin für Neurologie und Nervenheilkunde Dr. P vom 23. Oktober 2019. Die Klägerin hat ein Gutachten des Facharztes für Anästhesiologie Dr. J vom 19. Dezember 2021 eingereicht, ferner einen „Arztfragebogen zu Cannabinoiden“ ihres Hausarztes Dr. J (ohne Datum).
Das Landesamt für Soziales und Versorgung des Landes Brandenburg stellte mit Bescheid vom 09. März 2022 für die Klägerin einen Grad der Behinderung von 50 fest und berücksichtigte dabei eine psychosomatische Erkrankung, eine Harninkontinenz sowie eine Funktionsstörung der Wirbelsäule (Bandscheibenschaden, operierter Bandscheibenvorfall, operative Versteifung von Wirbelsäulenabschnitten).
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 09. Juni 2023 abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, soweit die Klägerin zunächst wohl ausschließlich die Versorgung mit Cannabidiol, insbesondere mit „CBD-Öl Al“ begehrt habe, fehle es an einem Anspruch, weil dieses Öl frei verkäuflich und nicht apothekenpflichtig sei (Bezugnahme auf LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 15. Januar 2021 – L 9 KR 462/20 BER juris-Rdnr. 4 f). Sollte es sich bei dem Öl um ein Medizinprodukt i. S. d. § 3 Nr. 1 oder 2 Medizinproduktegesetz (in der bis zum 25. Mai 2021 geltenden Fassung) handeln, scheide ein Anspruch auf Versorgung ebenfalls aus. Denn in der auf Grundlage der §§ 31 Abs. 1 Satz 1, 92 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 SGB V erlassenen Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) des Gemeinsamen Bundesausschusses seien die verordnungsfähigen Medizinprodukte abschließend aufgeführt. CBD-Öl sei dort nicht gelistet (§ 27 Abs. 8 AM-RL i. V. m. Anlage 5).
Auch ein Anspruch aus § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V bestehe nicht. Denn mit Cannabis seien nur solche Cannabisblüten und –extrakte gemeint, die dem Betäubungsmittelrecht unterfielen.
Soweit die Klägerin ganz allgemein einer Versorgung mit Cannabinoiden bzw. die Genehmigung einer entsprechenden erstmaligen vertragsärztlichen Verordnung begehre, fehle es an den Anspruchsvoraussetzungen des § 31 Abs. 6 SGB V, insbesondere an einer begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes. Nach den Angaben des Behandlers Dr. J solle Cannabis bei der Klägerin zur Schmerzlinderung im Zusammenhang mit dem diagnostizierten chronischen lumbalen Schmerzsyndrom bzw. Postnukleotomiesyndrom und dem Fibromyalgiesyndrom eingesetzt werden. Für die Schmerzlinderung stünden jedoch, wie sowohl Dr. J mit der Auflistung der aktuellen Medikation und den bereits von der Klägerin in Anspruch genommenen Therapien im Arztfragebogen als auch der MDK in seinem Gutachten vom 12. April 2019 festgehalten hätten, eine grundsätzlich dem medizinischen Standard entsprechende Behandlungsmethode zur Verfügung. Beide hätten auf die bei der Klägerin bereits eingesetzte multimodale Schmerztherapie hingewiesen. Die Klägerin behaupte zwar, sämtliche ihr verordneten Schmerzmittelmedikamente aufgrund von Nebenwirkungen nicht zu vertragen. Allerdings fehle es an einem objektiven Nachweis der Unverträglichkeit. Dass der Klägerin Schmerzmedikamente zur Anwendung bei Bedarf von den behandelnden Ärzten verordnet worden seien (Bezugnahme auf den Medikationsplan vom 26. November 2022, Bl. 176 der Gerichtsakte) weise eher auf das Gegenteil hin. Die Klägerin habe sich im Zeitraum vom 10. August 2022 bis zum 25. August 2022 in stationärer Behandlung zum Zwecke einer multimodalen rheumatologischen Komplextherapie befunden. Im Entlassungsbericht des I Krankenhauses vom 24. August 2022 heiße es, die Klägerin habe von den physio- und ergotherapeutischen Maßnahmen gut profitieren können. Insgesamt sei es zu einer Beschwerdelinderung gekommen. Bereits zuvor, vom 03. August 2018 bis zum 18. August 2018, habe sich die Klägerin zur Behandlung der chronischen Schmerzstörung durch eine multimodale Schmerztherapie ebenfalls in stationärer Behandlung befunden. Auch dort sei abschließend eingeschätzt worden, dass eine Reduktion der Schmerzstärke sowie eine Besserung der Beweglichkeit und des Allgemeinbefindens habe bewirkt werden können. Dies belege, dass zur Behandlung des Schmerzsyndroms grundsätzlich Standardtherapien zur Verfügung stünden, auch wenn Dr. J ausführe, diese seien ausgeschöpft. Dafür hätte es jedoch einer begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes bedurft, warum diese unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes nicht zur Anwendung kommen könne.
Gegen diese am 21. Juni 2023 zugestellte Entscheidung richtet sich die Berufung der Klägerin vom 14. Juli 2023.
Zu deren Begründung führt die Klägerin aus, sie begehre weiterhin die Versorgung mit Cannabioniden i. S. d. § 31 Abs. 6 SGB V. Die ihr in den vergangenen Jahren von den Ärzten aufgezeigten Methoden könnten bei ihr größtenteils nicht zur Anwendung kommen, weil sie entweder erhebliche Nebenwirkungen hervorriefen oder schlichtweg keine Linderung bewirkten. Sie habe zum Teil sehr schmerzhafte Prozeduren über sich ergehen lassen. Ergänzend hat sie eine Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin, Betriebsmedizin und Chirotherapie Dr. S vom 14. August 2023 eingereicht, wonach sie Tapentadol, Hydromorphon, Oxycodon und Buprenorphin nicht vertragen habe, ferner Ibuprofen wegen Magenschmerzen. Tilidin habe nicht geholfen. Sie hat eine Auflistung ihrer Therapien seit 2014 eingereicht. Ob eine schwerwiegende Erkrankung vorliege, hätten die behandelnden Ärzte zu entscheiden. Ihnen stünde auch insoweit eine Einschätzungsprärogative zu. Sie habe sich auf die Einschätzung ihres Behandlers verlassen. Eine ergänzende Einschätzung des Dr. J solle angefordert werden.
Ihr Gesundheitszustand der Klägerin verschlechtere sich. Sie leide mittlerweile an Schlafstörungen, Migräneattacken und den daraus resultierenden kognitiven Einschränkungen. Sie mache sich Sorge um ihre in der Ukraine lebende Familie.
Die Klägerin beantragt,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Frankfurt (Oder) vom 09. Juni 2023 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, die Kosten für eine medizinische Versorgung mit Cannabinoiden i. S. d. § 31 Abs. 6 SGB V zu übernehmen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die Ausführungen des SG im Gerichtsbescheid für zutreffen.
Auf die erwähnten ärztlichen Befundberichte, Gutachten und Stellungnahmen wird ergänzend verwiesen.
Entscheidungsgründe
Es konnte im schriftlichen Verfahren und durch den Berichterstatter alleine entschieden werden, §§ 155 Abs. 3, 4, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG). Beide Beteiligten haben sich mit einer solchen Vorgehensweise schriftsätzlich einverstanden erklärt. Gründe, von der Ermächtigung kein Gebrauch zu machen, sind nicht ersichtlich.
Der Berufung muss Erfolg versagt bleiben.
Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Ablehnungsbescheid vom 15. April 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14. Oktober 2019 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Zur Vermeidung bloßer Wiederholungen wird zunächst auf die zutreffenden Ausführungen im Gerichtsbescheid nach § 153 Abs. 2 SGG verwiesen.
Nach § 31 Abs. 6 SGB V haben Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standardisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon (nachfolgend zusammengefasst Cannabis), wenn sie an einer schwerwiegenden Erkrankung leiden (S. 1), eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht oder im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann (S. 1 Nr. 1) und eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht (S. 1 Nr. 2). Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der KK, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist (S. 2).
Der Anspruch auf Versorgung mit Cannabis besteht also nur zur Behandlung einer schwerwiegenden Erkrankung. Eine Erkrankung ist schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist oder die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt (vgl. BSG, Urteil vom 10. November 2022 – B 1 KR 28/21 R –, BSGE 135, 89-105, Rn. 11 unter Bezugnahme u. a. auf Urteil vom 19. März 2002 - B 1 KR 37/00 R - BSGE 89, 184, 191 f).
Ist –wie hier- die Erkrankung nicht lebensbedrohlich, besteht ein Anspruch auf Versorgung mit Cannabis nur, wenn die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt ist. Davon ist bei der Klägerin auszugehen.
Ein Anspruch auf Versorgung mit Cannabis setzt jedoch ferner voraus, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht (§ 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 Buchst. a SGB V). Daran fehlt es hier.
Wie bereits das SG dargestellt hat, steht zur Behandlung der Schmerzzustände jedenfalls grundsätzlich die stationäre multimodale Schmerztherapie zur Verfügung.
Stehen für die Behandlung der Erkrankungen Methoden zur Verfügung, die dem medizinischen Standard entsprechen, bedarf es der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes, warum diese Methoden unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes nicht zur Anwendung kommen können (§ 31 Abs. 6 S. 1 Nr. 1 Buchst. b SGB V). Das Gesetz gesteht dem behandelnden Vertragsarzt zwar eine Einschätzungsprärogative zu, an die begründete Einschätzung sind indes hohe Anforderungen zu stellen (BSG, Urteil vom 29. August 2023 – B 1 KR 26/22 R –, Rn. 14, mit Bezugnahme auf Urteil vom 10. November 2022 - B 1 KR 28/21 R – Rn. 24 ff).
Diese muss enthalten:
-die Dokumentation des Krankheitszustandes mit bestehenden Funktions- und Fähigkeitseinschränkungen aufgrund eigener Untersuchung des Patienten und ggf. Hinzuziehung von Befunden anderer behandelnder Ärzte;
-die Darstellung der mit Cannabis zu behandelnden Erkrankungen, ihrer Symptome und des angestrebten Behandlungsziels;
-bereits angewendete Standardtherapien, deren Erfolg im Hinblick auf das Behandlungsziel und dabei aufgetretene Nebenwirkungen; die noch verfügbaren Standardtherapien, deren zu erwartender Erfolg im Hinblick auf das Behandlungsziel und dabei auftretende Nebenwirkungen;
-die Abwägung der Nebenwirkungen einer Standardtherapie mit dem beschriebenen Krankheitszustand und den möglichen schädlichen Auswirkungen einer Therapie mit Cannabis; in die Abwägung einfließen dürfen dabei nur Nebenwirkungen, die das Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Erkrankung erreichen.
Ob eine den Anforderungen entsprechende begründete Einschätzung des Vertragsarztes vorliegt, bestimmt sich nach den vorliegenden Stellungnahmen des behandelnden Vertragsarztes zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung der Tatsacheninstanz. Die Versicherte hat die begründete Einschätzung als Voraussetzung des Versorgungs- und Genehmigungsanspruchs beizubringen. Es besteht keine Verpflichtung des Gerichts, beim behandelnden Vertragsarzt eine begründete Einschätzung oder ihre Ergänzung um bisher nicht berücksichtigte Umstände anzufordern. Die begründete Einschätzung dokumentiert die Abwägung des Vertragsarztes, die als Ergebnis seines Entscheidungsprozesses keine Tatsache darstellt, die durch das Gericht mit den zur Verfügung stehenden prozessualen Mitteln erforscht werden könnte (BSG, Urteil vom 10. November 2022, Rdnr. 39).
Wie das SG ebenfalls bereits ausgeführt hat, genügen die Stellungnahmen des behandelnden Allgemeinarztes Dr. J diesen Anforderungen nicht einmal im Ansatz.
Dieser hat nicht begründet, warum die verfügbaren Standardbehandlungsmethoden bei der Klägerin nicht mehr zur Anwendung kommen können. Es fehlt an der genügenden Darstellung der in die Abwägung einzustellenden Tatsachen, etwa wann und für welchen Zeitraum und mit welchem Erfolg medikamentöse und nichtmedikamentöse Standardtherapien ggf. mit welchen Nebenwirkungen eingesetzt wurden. Es fehlen weiter zu den von der Klägerin behaupteten Nebenwirkungen der bisher eingesetzten Schmerzmittel, die Dr. J gänzlich unerwähnt gelassen hat, ärztliche Angaben zu deren Häufigkeit und Schwere. Es ist offen, ob diese Nebenwirkungen das Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Krankheit erreicht haben. Eine eingehende Beschreibung des Krankheitszustandes aufgrund eigene Untersuchung hat Dr. J nicht vorgenommen.
Diese formale Voraussetzung ist für die Genehmigung vorab vor Verordnung von Cannabis unabdingbar. Dass angesichts der erheblichen Beeinträchtigungen, denen sich die Klägerin ausgesetzt sieht, eine begründete ärztliche Einschätzung im vorgenannten Sinne denkbar erscheint, vermag deren Fehlen nicht zu ersetzen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und entspricht dem Ergebnis in der Sache.
Gründe für die Zulassung der Revision nach § 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.