Auf die Beschwerde der Klägerin wird der Beschluss des Sozialgerichts Dortmund vom 24.01.2025 geändert.
Der Klägerin wird für das Klageverfahren Prozesskostenhilfe ab Antragsstellung (08.04.2024) bewilligt und Rechtsanwalt X., Q., beigeordnet.
Gründe
I.
Die Klägerin begehrt Prozesskostenhilfe (PKH) bereits für den Zeitpunkt ab Antragstellung bei dem Sozialgericht.
In dem Klageverfahren streiten die Beteiligten um die Frage, ob die Beklagte die Bestattungskosten für den verstorbenen Ehemann der Klägerin nach § 74 SGB XII zu leisten hat.
Der Bevollmächtigte der Klägerin hat am 08.04.2024 Klage erhoben und zugleich die Bewilligung von PKH unter seiner Beiordnung beantragt. Die von der Klägerin ausgefüllte Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat der Bevollmächtigte am 03.05.2024 nachgereicht. Nachweise in Form eines Rentenbescheides, Kontoauszüge und einen Nachweis über die Wohnungsmiete hat die Klägerin am 11.05.2024 vorgelegt. In der Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat die Klägerin angegeben, eine weitere Rente zu beziehen. Aus den übersandten Kontoauszügen sind weitere Gutschriften ersichtlich. Mit Schreiben vom 06.09.2024 hat die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle daher weitere Nachweise angefordert. An diese Verfügung hat sie am 10.10.2024 erinnert. Mit Schriftsatz vom 22.10.2024 hat der Bevollmächtigte einen weiteren Rentenbescheid vorgelegt. Mit Schreiben vom 30.10.2024 hat die Urkundsbeamtin angefragt, wie hoch die aktuellen Rentenzahlungen der Klägerin seien. Daraufhin hat der Bevollmächtigte mit Schriftsatz vom 12.12.2024 einen weiteren Kontoauszug für den Monat November 2024 übersandt.
Mit Beschluss vom 24.01.2024 hat das Sozialgericht PKH für die Zeit ab dem 22.10.2024 bewilligt und den Bevollmächtigten der Klägerin beigeordnet. Die Bewilligung erfolge ab dem Zeitpunkt, zu dem der Antrag samt den erforderlichen Unterlagen vorgelegen habe.
Gegen den Beschluss hat die Klägerin am 28.01.2025 Beschwerde eingelegt. Sie begehrt die Bewilligung der PKH ab Antragstellung, hilfeweise ab dem 11.05.2024. Bewilligungsreife sei spätestens durch die Vorlage der Belege in Gestalt der Kontoauszüge am 11.05.2024 eingetreten. Aus diesen seien alle Einnahmen und Ausgaben ersichtlich.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte Beschwerde der Klägerin ist gemäß § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 3 ZPO zulässig.
Die Beschwerde ist statthaft. Sie ist nicht nach § 172 Abs. 3 Nr. 2a SGG ausgeschlossen. Die Festlegung des Bewilligungszeitpunkts stellt keine Verneinung der persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH dar (abweichend LSG Mecklenburg-Vorpommern Beschluss vom 22.10.2020 – L 14 AS 300/20 B, in diesem Sinne auch Schmidt in Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. § 172 Rn. 6g; offengelassen bei LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 22.01.2018 – L 20 AL 224/17 B). Die Festlegung eines abweichenden Bewilligungszeitpunkts iSd § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG ist nicht gleichzusetzen mit einer Verneinung der persönlichen oder wirtschaftlichen Voraussetzungen. Die Beschränkung der PKH auf den Zeitraum nach einem Bewilligungsdatum berührt den Anspruch auf PKH für die Rechtsverfolgung dem Grunde nach nicht. Auch eine so beschränkte PKH setzt voraus, dass das Gericht die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen für die PKH geprüft und bejaht hat. Ein Beschwerdeausschluss wäre daher mit dem Wortlaut von § 172 Abs. 3 Nr. 2a SGG nicht zu vereinbaren. Da ein gesetzlicher Rechtsmittelausschluss eng ausgelegt werden muss (dazu eingehend BVerfG Plenarbeschluss vom 30.04.2003 – 1 PBvU 1/02), ist eine erweiternde Interpretation von § 172 Abs. 3 Nr. 2a SGG auf einen vom Wortlaut nicht erfassten Bereich nicht zulässig (zum abschließenden Charakter der Regelungen zum Beschwerdeausschluss siehe auch BT-Drs. 17/12297 S. 40).
Die Beschwerde ist auch im Übrigen zulässig. Namentlich besteht ein Rechtsschutzbedürfnis für die Beschwerde. Soweit in der Rechtsprechung vertreten wird, eine zeitliche Beschränkung der PKH-Bewilligung sei im sozialgerichtlichen Regelfall, in dem Betragsrahmengebühren (wie hier) anfallen, regelmäßig für die Höhe der Vergütung ohne wirtschaftliche Auswirkung und daher zumeist entbehrlich (so LSG Mecklenburg-Vorpommern Beschluss vom 22.10.2020 – L 14 AS 300/20 B PKH), trifft dies nicht zu. Eine zeitliche Begrenzung kann vielmehr eine Reduzierung des PKH-Vergütungsanspruches des Bevollmächtigten gegen die Staatkasse nach sich ziehen, was wiederum den Beteiligten beschwert.
Gem. § 48 Abs. 1 RVG bestimmt sich der Umfang des PKH-Vergütungsanspruchs nach dem Bewilligungs- und Beiordnungsbeschluss, der damit nach Grund und Höhe vom Umfang der Beiordnung abhängig und für das gesamte Festsetzungsverfahren vorgreiflich und bindend ist (vgl. LSG Thüringen Beschluss vom 05.05.2020 – L 1 SF 1398/19; Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 119 Rn. 4). Eine inhaltliche Überprüfung und Korrektur dieser Entscheidung durch den für die Kostenfestsetzung zuständigen Spruchkörper ist nicht mehr möglich (Bayerisches LSG Beschluss vom 11.08.2023 – L 12 SF 140/20; Hessisches LSG Beschluss vom 10.07.2015 - L 2 SF 11/15 E). Zwar darf der beigeordnete Rechtsanwalt keine Ansprüche auf Vergütung gegen die Partei geltend machen, weil er seine Vergütung nur aus der Staatskasse erhält, vgl. § 73a Abs. 1 SGG iVm § 122 Abs. 1 Nr. 3 ZPO. Diese Forderungssperre gilt jedoch nur für die nach der Beiordnung verwirklichten Gebührentatbestände (BGH Beschluss vom 21.02.2008 – I ZR 142/06). Gebühren, die nur vor der Beiordnung entstanden sind, erhält der Rechtsanwalt nicht aus der Staatskasse (Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl., § 122 Rn. 11, § 121 Rn. 42, Smid/Hartmann in Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl. § 122 Rn. 13).
Die Beschwerde ist begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Bewilligung von PKH ab der Antragstellung.
Der Zeitpunkt der Beiordnung eines Rechtsanwalts ist Regelungsgegenstand von § 48 Abs. 4 RVG. Nach Satz 1 dieser Vorschrift erstreckt sich die Beiordnung in Angelegenheiten, in denen – wie hier - nach § 3 Abs. 1 RVG Betragsrahmengebühren entstehen, auf Tätigkeiten ab dem Zeitpunkt der Beantragung der PKH, wenn vom Gericht nichts anderes bestimmt ist. Nach Satz 2 der Vorschrift erstreckt sich die Beiordnung ferner auf die gesamte Tätigkeit im Verfahren über die PKH einschließlich der vorbereitenden Tätigkeit. Zwischen dem Regelungsgehalt beider Sätze ist zu unterscheiden. Satz 1 bezieht sich auf die anwaltliche Tätigkeit im Verfahren selbst, während Satz 2 sich nur auf das Verfahren über die PKH bezieht. Eine abweichende Bestimmung nach § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG wirkt sich daher nicht auf die nach § 48 Abs. 4 Satz 2 RVG zu berücksichtigenden PKH-Tätigkeiten aus (Beschluss des Senats vom 28.11.2023 – L 9 SO 47/23 B mwN). Damit ist insbesondere der Aufwand für die Erstellung der Klagebegründung zu berücksichtigen, da diese regelmäßig zugleich der Begründung des Antrags auf PKH dient (BT-Drucks. 17/11471 S. 270).
Der Aufwand für weitere Tätigkeiten ab der Klagebegründung unterfällt indessen nicht § 48 Abs. 4 Satz 2 RVG. Ob der Rechtsanwalt für diese Tätigkeiten Vergütung aus der Staatskasse beanspruchen kann, richtet sich nach dem Bewilligungszeitpunkt iSd § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG. Die Bewilligung von PKH und Beiordnung eines Rechtsanwalts ist in Verfahren vor den Gerichten der Sozialgerichtsbarkeit, in denen wie im zu beurteilenden Fall nach § 3 Abs. 1 RVG Betragsrahmengebühren entstehen, gem. § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG regelmäßig nicht auf einen Zeitpunkt nach der Antragstellung zu begrenzen (vgl. Ebert in Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. 2021 § 48 Rn. 102 f.).
Diese Regelung begrenzt die Möglichkeit, die PKH erst ab dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife des PKH-Gesuchs zu gewähren. Eine abweichende Bestimmung iSv § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG setzt einen besonderen rechtfertigenden Grund voraus. Das folgt aus der Gesetzesbegründung (BT-Drucks. 17/11471, S. 270). Mit der Einführung des § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG mWv 01.08.2013 durch das 2. KostRModG v. 23.07.2013 (BGBl I, 2586) hat der Gesetzgeber bezweckt, dass sämtliche Tätigkeiten, die in dem Klageverfahren nach Stellung des PKH-Antrags bis zur Bewilligung durch den beigeordneten Rechtsanwalt erbracht werden, bei der Gebührenbemessung im Einzelnen berücksichtigt werden. Die Gesetzesbegründung führt ausdrücklich aus: „Auch die Tätigkeit in dem Klageverfahren nach Stellung des Antrags auf Bewilligung von PKH bis zur Bewilligung soll grundsätzlich in die Bemessung der Gebühr einbezogen werden“ (BT-Drucks. 17/11471, S. 270). Nur bei Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes bleibt für das Gericht die Möglichkeit, den zeitlichen Umfang des Bewilligungsbeschlusses zu begrenzen (BT-Drucks. 17/11471 S. 270). Ein solcher Fall wird angenommen, wenn der Antragsteller durch sein Verhalten Anlass gegeben hat (BT-Drs. 17/11471 S. 270; Ebert in Mayer/Kroiß, RVG, 8. Aufl. § 48 Rn. 103) oder ein erster Antrag auf PKH wegen Nichtvorlage der erforderlichen Erklärung über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse bereits abgelehnt worden war (LSG Thüringen Beschluss vom 05.05.2020 – L 1 SF 1398/19 B).
Ein besonderer, rechtfertigender Grund für eine zeitliche Beschränkung der Beiordnung und Bewilligung nicht auf den Zeitpunkt der PKH-Antragstellung, die hier am 08.04.2024 erfolgte, sondern auf den 22.10.2024, ist in dem zur Beurteilung stehenden Fall nicht gegeben. Weder hat die Klägerin für eine spätere Bewilligung durch ihr Verhalten Anlass gegeben, noch liegt eine vorherige Ablehnung der PKH vor.
Die von dem Sozialgericht vorgenommenen weiteren Ermittlungen zur Glaubhaftmachung der persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen führen nicht zu einem Absehen vom gesetzlichen Regelfall des § 48 Abs. 4 Satz 1 RVG. Zwar verlangt § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO zur Glaubhaftmachung entsprechende Belege. Hierfür kann das Gericht nach § 118 ZPO weitere Erhebungen anstellen. Hat der Antragsteller innerhalb einer von dem Gericht gesetzten Frist Angaben über seine persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht glaubhaft gemacht oder bestimmte Fragen nicht oder ungenügend beantwortet, so lehnt das Gericht die Bewilligung von PKH insoweit ab (§ 118 Abs. 2 Satz 4 ZPO). Die Anforderungen dieser Norm dürfen nicht durch einen Rückgriff auf § 48 Abs. 4 RVG unterlaufen werden.
Die PKH ist damit bereits ab Antragstellung, die hier am 08.04.2024 zeitgleich mit der Klageschrift und der –begründung erfolgte, zu bewilligen. Soweit dem Beschluss des BSG vom 07.04.2022 - B 5 R 210/21 B entnommen werden kann, PKH werde im zeitlichen Umfang erst ab dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife gewährt, folgt der Senat diesem Ansatz nicht. Die Bewilligungsreife ist maßgeblich für die Frage, ob die Voraussetzungen für die Gewährung von PKH dem Grunde nach vorliegen. Auf die Frage, ab wann PKH zu bewilligen und der Rechtsanwalt beizuordnen ist, hat die Bewilligungsreife keinen Einfluss.
Kosten im Beschwerdeverfahren gegen die (Teil-)Ablehnung von PKH sind nicht erstattungsfähig (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG iVm § 127 Abs. 4 ZPO).
Dieser Beschluss ist mit der Beschwerde nicht anfechtbar, § 177 SGG.