L 16 KR 336/21 KL

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
1. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 16 KR 336/21 KL
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Die Revision wird zugelassen.

Der Streitwert für das Klageverfahren wird auf 2.500.000,00 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der anteiligen Heranziehung von Finanzreserven der klagenden Krankenkasse zum Gesundheitsfonds nach § 272 SGB V.

Um Effizienz und Effektivität der Gesundheitsversorgung im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu erhöhen, begründete der Gesetzgeber für Versicherte Krankenkassenwahlrechte in Abkehr von dem zuvor geltenden Prinzip der festen Zuordnung Versicherter zu den einzelnen Krankenkassen. Im Interesse der Chancengleichheit bei der Gewinnung von Versicherten und um möglichst dauerhaft Anreizen zu einer Risikoselektion entgegenzuwirken, die sonst aus einer einkommensbezogenen Beitragsgestaltung ohne Anknüpfung an das Risiko „Gesundheitszustand“ entstehen, führte der Gesetzgeber 1994 einen Risikostrukturausgleich (RSA) ein. Dieser bewirkte, dass die kassenindividuell kraft Satzung der Höhe nach festgelegten und erhobenen Beitragseinnahmen den Krankenkassen nur nach Maßgabe des sich anschließenden RSA zur Verfügung standen. Der Gesetzgeber änderte dieses System mit Einführung des Gesundheitsfonds, in den alle nach einem einheitlichen, gesetzlich festgelegten Beitragssatz bemessenen Beiträge fließen. Seit 2009 erhalten die Krankenkassen als Einnahmen Zuweisungen aus diesem Gesundheitsfonds morbiditätsorientiert nach der Risikostruktur der jeweiligen Krankenkasse. Das Bundesamt für Soziale Sicherung (BAS) führt für die beklagte Bundesrepublik Deutschland die Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds durch und verwaltet diesen.

 

Die Klägerin nutzt seit 2005 ein Gebäude auf dem Grundstück mit der Adresse P.-straße in M. – Grundbuch von Ludwigsburg, Blatt N05, Flurstück Nr. G01 – (im Folgenden die Immobilie) für ihre Hauptverwaltung. Über diese Immobilie bzw. das Gebäude schlossen sie und die damalige Eigentümerin der Immobilie, die Z. Vermietungsgesellschaft mbH (im Folgenden Z-GmbH), am 30.11.2005 einen Ankaufs- und Vorkaufsrechtsvertrag (Abschnitt I der Urkunde Nr. N03 des Notars U.) sowie einen Immobilien-Leasing-Vertrag (Abschnitt II der genannten Urkunde). Das Bundesversicherungsamt (BVA) als nach § 90 Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGB IV in der im Jahr 2005 geltenden Fassung zuständige Aufsichtsbehörde (seit dem 01.01.2020 das BAS) genehmigte diese Verträge mit Bescheid vom 21.11.2005.

 

Der Leasingvertrag begann am 01.12.2005 und hatte eine Laufzeit von 15 Jahren (Ziffer II des Vertrages), also bis zum 30.11.2020. Nach Ziffer III des Vertrages gingen die Vertragsparteien von einem voraussichtlichen vertraglichen Restwert der Immobilie am Ende der Gesamtmietzeit i.H.v. 6.792.350,00 € aus. Das Leasing der Immobilie wurde mit einem Mieterdarlehen kombiniert (Ziffer III des Vertrages); aus dem Gesamtzusammenhang der Regelungen ergibt sich, dass die Klägerin als Leasingnehmerin der Z-GmbH als Leasinggeberin dieses Darlehen gewährte (eine ausdrückliche Vereinbarung über die Gewährung des Mieterdarlehens wurde in dem Vertrag nicht getroffen). Die Auszahlung des Mieterdarlehens erfolgte dergestalt, dass die Klägerin an die Z-GmbH neben den vertraglich vereinbarten Leasingraten (im Vertrag „Mieten“ genannt) zusätzlich das Mieterdarlehen in Teilbeträgen auszahlte (§ 4 Ziffer 2 Buchstabe a des Vertrages i.V.m. Anlage 1 zu dem Vertrag). Das Mieterdarlehen diente nach § 4 Ziffer 2 Buchstabe b des Vertrages der Z-GmbH zur zusätzlichen Tilgung der von ihr aufgenommenen Finanzierungsverbindlichkeiten. Nach § 4 Ziffer 2 Buchstabe c des Vertrages sollte die Rückzahlung des Mieterdarlehens entweder nach Ablauf des Vertrages oder durch „Verrechnung“ entsprechend dem Ankaufsrechtsvertrag mit dem von der Klägerin zu leistenden Kaufpreis erfolgen. Bei Nichtausübung des Ankaufsrechts durch die Klägerin hatte die Z-GmbH das Mieterdarlehen ohne weitere Abzüge in voller geleisteter Höhe entsprechend der Anlage 1 an die Klägerin auszukehren. Die Gesamtsumme des Mieterdarlehens betrug 3.992.350,00 € (Ziffer III.2.c des Vertrages sowie Anlage 1 zu dem Vertrag). Nach Ziffer III des Vertrages betrug daher der Restwert der Immobilie unter „Verrechnung“ des Rückzahlungsanspruchs aus dem Mieterdarlehen 2.800.000,00 €.

 

Das Mieterdarlehen wurde vertragsgemäß bis zum 30.11.2020 fortgeführt. Die Klägerin leistete die jeweiligen Zahlungen an die Z-GmbH. Der sich aus dem Mieterdarlehen ergebende Rückzahlungsanspruch wurde – in der jeweiligen Höhe – im Vermögen der Klägerin als Aktivposten unter dem Konto 0699 („Übrige Aktiva“) gebucht. Am 30.06.2020 betrug dieser Anspruch 3.947.990,75 €. Dieser Posten erhöhte den Wert der Betriebsmittelreserve (Konto 1901). Die restlichen Darlehensraten leistete die Klägerin in der Restlaufzeit des Leasingvertrages an die Z-GmbH.

 

Nach Abschnitt III des Ankaufs- und Vorkaufsrechtsvertrags schlossen die Z-GmbH und die Klägerin einen Ankaufsrechtsvertrag in der Form eines bedingten Kaufvertrages über die Immobilie. Hierzu vereinbarten sie Folgendes:

 

„§ 1 Ausübung der Ankaufsrechte

 

1. Ausübung des 1. ordentlichen Ankaufsrechtes

 

Der Verpflichtete [die Z-GmbH] verkauft dem Berechtigten [der Klägerin] den Kaufgegenstand mit Wirkung zum Ablauf des 10. Mietjahres des Immobilien-Leasing-Vertrages, d.h. voraussichtlich zum 30.11.2015 (Ankaufszeitpunkt), unter der Voraussetzung, dass die in § 2 genannten Bedingungen insgesamt eingetreten sind.

 

2. Ausübung des 2. ordentlichen Ankaufsrechtes

 

Sofern der Berechtigte sein unter o.g. Ziffer 1 eingeräumtes Ankaufsrecht nicht bis dato ausgeübt hat, verkauft der Verpflichtete dem Berechtigten den Kaufgegenstand mit Wirkung zum Ablauf des 15. Mietjahres des Immobilien-Leasing-Vertrages, d.h. voraussichtlich zum 30.11.2020 (Ankaufszeitpunkt), unter der Voraussetzung, dass die in § 2 genannten Bedingungen insgesamt eingetreten sind.

 

(…)

 

§ 2 Bedingungen des Kaufvertrages

 

1. Dieser Kaufvertrag steht unter folgenden aufschiebenden Bedingungen:

 

a) Der Berechtigte hat dem Verpflichteten frühestens 12 Monate, spätestens aber 6 Monate vor den in § 1 näher bezeichneten Ankaufszeitpunkten schriftlich seine Absicht, den Kaufgegenstand mit Wirkung zum jeweiligen Ankaufszeitpunkt zu kaufen, mitgeteilt (Ausübung des Ankaufsrechts), wobei zur Fristwahrung der Zugang der jeweiligen schriftlichen Erklärung beim Verpflichteten maßgeblich ist.

 

und

 

b) die nach dem in der Vorbemerkung genannten Immobilien-Leasing-Vertrag zu leistenden Zahlungsverpflichtungen sind bis zum Ankaufszeitpunkt vom Berechtigten ordnungsgemäß erfüllt worden oder eventuelle Zahlungsrückstände des Berechtigten gegenüber dem Verpflichteten bis zum Ankaufszeitpunkt vollständig ausgeglichen worden.

 

§ 3 Kaufpreis, Fälligkeit

 

1. (…)

 

2. Der Kaufpreis 2 (ggf. mit Umsatzsteuer entsprechend § 3 Ziffer 4) – nachfolgend auch „Kaufpreis 2“ genannt – entspricht bei Ausübung des Ankaufsrechtes gemäß § 1 Ziffer 2 (2. ordentliches Ankaufsrecht) dem in Ziffer III des vorerwähnten Immobilien-Leasing-Vertrages (in der im Ankaufszeitpunkt gültigen Fassung) vereinbarten vertraglichen Restwert zum Ankaufszeitpunkt, mindestens aber dem steuerlichen Restbuchwert des Grundstückes nebst Baulichkeiten und Anlagen, wie er sich beim Verpflichteten nach Abzug der auf den Ankaufszeitpunkt berechneten linearen Abschreibungen ergibt.

 

(…)

 

4. (…) In der Höhe, in der der Berechtigte zum Ankaufszeitpunkt einen Anspruch auf Rückzahlung seines Mieterdarlehens hat (d.h. geleistetes Mieterdarlehen abzüglich offener Zahlungsverpflichtungen des Berechtigten unter dem Immobilien-Leasing-Vertrag), soll dieser Darlehensrückzahlungsanspruch mit dem Kaufpreis 1 bzw. 2 verrechnet werden. Die Vertragsparteien vereinbaren aufschiebend bedingt (i) durch das Entstehen der aufzurechnenden Forderungen und (ii) die Sicherstellung der lastenfreien Eigentumsverschaffung in Abteilung III des Kaufgegenstandes auf den Berechtigten (d.h. Vorliegen aller erforderlichen Löschungsbewilligungen beim Notar oder beim Berechtigten frei von Auflagen) bereits hiermit die Aufrechnung. (…)

 

Der Kaufpreis 1 bzw. 2 (ggf. mit Umsatzsteuer entsprechend § 3 Ziffer 4) ist zum Ankaufszeitpunkt zur Zahlung fällig.“

 

Die Immobilie liegt in einem Gebiet der Stadt M. („Bahnhofsareal“), für das der Gemeinderat der Stadt am 16.12.2015 eine Satzung über die Begründung eines besonderen Vorkaufsrechts der Stadt M. zur Sicherung einer geordneten städtebaulichen Entwicklung (§ 25 Abs. 1 Nr. 2 Baugesetzbuch [BauGB]) beschloss. Die Eigentümerinnen und Eigentümer der unter das Vorkaufsrecht fallenden Grundstücke waren nach § 1 Satz 2 der Satzung verpflichtet, der Gemeinde den Abschluss eines Kaufvertrages über ihr Grundstück unverzüglich anzuzeigen. Dieser Beschluss erstreckte sich nach § 2 der Satzung u.a. auf das Flurstück Nr. G01, also die Immobilie. Zudem wies der Gemeinderat am 22.02.2017 im Innenstadtbereich ein rund 35 Hektar großes Gebiet als Sanierungsgebiet i.S.v. § 142 BauGB aus (Sanierungsgebiet „Zentrale Innenstadt-Entwicklung M.“ [„Zitat wurde entfernt“]). Die Immobilie war auch hiervon erfasst (vgl. die Darstellung auf S. 9 des Gutachtens der Rechtsanwälte und Steuerberater K. vom 17.05.2019).

 

Der Oberbürgermeister der Stadt M. erklärte gegenüber der Klägerin mit Schreiben vom 14.11.2017, dass in den nächsten Jahren das Bahnhofsareal mit Umgebung städtebaulich neu geordnet bzw. aufgewertet werden solle. Dabei spiele das „„Zitat wurde entfernt“-Hochhaus“ eine besondere Rolle, da das stadtbildprägende Gebäude zwar erhalten werden solle, aber – insbesondere aus energetischen Gründen – einer umfassenden Modernisierung bedürfe. Er freue sich sehr, dass sich die Klägerin mit dem Gedanken befasse, die Bestandsimmobilie zu erwerben, und mit hohen Investitionen den Gebrauchswert unter besonderer Berücksichtigung energetischer Aspekte nachhaltig erhöhen wolle. Er bekräftige in diesem Zusammenhang seine bereits mündlich gemachte Zusage, dass die Stadt bei dieser dargestellten Vorgehensweise weder das Vorkaufsrecht aus dem besonderen Städtebaurecht des förmlich festgelegten Sanierungsgebiets „„Zitat wurde entfernt““ noch das der Stadt zustehende Vorkaufsrecht aus der am 16.12.2015 beschlossenen Vorkaufssatzung „Bahnhofsareal“ ausüben werde.

 

Zumindest seit Mai 2018 beabsichtigte die Klägerin den Erwerb der Immobilie. Gegen ihre ursprüngliche Absicht, das Gebäude nicht langfristig, sondern nur als Interimslösung zu nutzen und die Immobilie anschließend – voraussichtlich mit Gewinn – weiter zu veräußern, hatte das BVA nach dem Ergebnisprotokoll über eine Besprechung vom 05.06.2018 aufsichtsrechtliche Bedenken. Es sei nicht zulässig, dass der Erwerb der Immobilie lediglich zu Spekulationszwecken erfolge. Der Klägerin wurde aufgegeben, zunächst mit der Stadt M. zu klären, ob diese von dem Vorkaufsrecht Gebrauch machen wolle, und hinsichtlich der Suche nach einem Gebäude für ihre Hauptverwaltung weitere Optionen zu prüfen. Mit dem Erwerb der Immobilie wäre aus Sicht des BVA die Immobiliensuche abgeschlossen. Sollte die Immobilie langfristig nicht selbst genutzt werden, wären Erwerb sowie etwaige Umbaumaßnahmen gemäß § 85 Abs. 1 SGB IV nicht genehmigungsfähig.

 

Mit Beschluss des Ausschusses für Wirtschaft, Kultur und Verwaltung der Stadt M. vom 17.07.2018 wurde die Stadtverwaltung beauftragt, auf die Ausübung des Vorkaufsrechts am Flurstück Nr. G01 bei einem Erwerb durch die Klägerin bis zum 31.12.2020 zu verzichten.

 

Im weiteren Verlauf beabsichtigte die Klägerin zunächst den Erwerb der Immobilie bereits im Jahr 2018 (um das Risiko zu vermeiden, dass die Stadt M. von ihrem Vorkaufsrecht Gebrauch machen werde), den Abriss des Gebäudes, die Anmietung einer Immobilie zur interimsweisen Nutzung sowie die Errichtung eines Neubaus auf dem Grundstück P.-straße (Beschluss des Verwaltungsrats der Klägerin vom 24.07.2018). Die Klägerin beantragte die Genehmigung dieses Vorhabens beim BV M. Wegen der Erklärungen der Stadt M., auf das Vorkaufsrecht verzichten zu wollen, und wegen drohender Zusatzkosten bei einem vorzeitigen Erwerb der Immobilie nahm der Verwaltungsrat von diesem Teil der Planung Abstand und beschloss am 16.10.2018, die Immobilie erst im Jahr 2020 zu erwerben. Es erwies sich allerdings als schwierig, für die Abriss- und Neubauphase eine passende Interims-Immobilie zu finden. Zudem wies das BVA im Genehmigungsverfahren u.a. auf bauaufsichtsrechtliche Fragestellungen hinsichtlich der Realisierbarkeit des Bauvorhabens hin (s. interner Vermerk des BVA vom 19.08.2019). Daher nahm die Klägerin den Genehmigungsantrag im Januar 2019 zurück. Der Verwaltungsrat beschloss im Februar 2019, dass die Immobilie im Jahr 2020 „ohne die Umsetzung [der] Variante 3 (Kauf, Neubau, 1 Gebäude Strategie)“ erworben werden solle.

 

Auf den (erneuten) Antrag der Klägerin mit Schreiben vom 31.05.2019 genehmigte das BVA mit Bescheid vom 05.09.2019 der Klägerin den Erwerb der Immobilie i.H.v. 2,8 Mio. €. Nach einem internen Vermerk des BVA vom 19.08.2019 wurden im Rahmen der Wirtschaftlichkeitsprüfung eine etwa erforderliche Sanierung des Gebäudes bzw. die dadurch ggf. entstehenden Kosten nicht berücksichtigt. Nach diesem Vermerk hatte die Klägerin für den Erwerb der Immobilie Rückstellungen i.H.v. 4,6 Mio. € gebildet.

 

Die Klägerin übte gegenüber der Z-GmbH das in dem Ankaufsrechtsvertrag eingeräumte Ankaufsrecht mit Schreiben vom 21.11.2019 aus.

 

Mit Schreiben vom 07.02.2020 teilte die Klägerin dem Oberbürgermeister der Stadt M. mit, dass sie das Ankaufsrecht ausgeübt habe. Damit habe sie die Immobilie mit Wirkung zum 30.11.2020 gekauft. Dies zeige sie der Stadt in Bezug auf etwaige gemeindliche Vorkaufsrechte an. Sie bat um eine Bescheinigung, dass ein Vorkaufsrecht nicht bestehe oder nicht ausgeübt werde. Zudem bat sie um Erteilung der Sanierungsgenehmigung nach § 144 BauGB, um den Vertrag im Grundbuch vollziehen zu können. Die Stadt M. bestätigte am 20.02.2020, dass Vorkaufsrechte an der Immobilie nicht bestünden bzw. nicht ausgeübt würden. Zudem stellte sie mit Bescheid vom 20.02.2020 fest, dass die Immobilie in dem förmlich festgelegten Sanierungsgebiet „„Zitat wurde entfernt““ liege. Sie genehmige nach § 144 BauGB bezüglich der Immobilie den Immobilien-Leasing-Vertrag (Urkunde Nr. N03).

 

Die Z-GmbH und die Klägerin schlossen am 20.08.2020 hinsichtlich der Immobilie einen Vertrag über die Auflassung (Urkunde Nr. N04 des Notars W.). Ausgehend von dem (Gesamt-)Kaufpreis i.H.v. 6.792.350,00 € ergaben sich Erwerbsnebenkosten i.H.v. 475.464,00 €, die die Klägerin zu tragen hatte (§ 5 Satz 1 des Auflassungsvertrages).

 

Nach § 3 Ziffer 4 Satz 5 des Ankaufsrechtsvertrags und nach § 2 Ziffer 2 Satz 3 des Auflassungsvertrages war der Restkaufpreis i.H.v. 2,8 Mio. € frühestens zum 30.11.2020 fällig. Die Klägerin zahlte diesen Betrag Ende November 2020 aus den gebildeten Rückstellungen an die Z-GmbH (s. Verfügung über eine entsprechende Überweisung vom 23.11.2020). Hieraus zahlte sie ebenso die Erwerbsnebenkosten.

 

Von September bis Dezember 2020 wurde im Bundestag und Bundesrat der Entwurf für ein Gesetz zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege (Gesundheitsversorgungs- und Pflegeverbesserungsgesetz – GPVG) beraten. Am 22.12.2020 wurde dieses Gesetz beschlossen, aufgrund dessen die Vorschrift des § 272 SGB V über einen Finanzausgleich für das Jahr 2021 mit Wirkung zum 26.11.2020 in Kraft trat (BGBl. I 2020, S. 3299).

 

Mit Schreiben vom 19.12.2020 wandte sich die Klägerin an das BAS als die für die Durchführung des Finanzausgleichs 2021 zuständige Behörde (§ 272 Abs. 2 SGB V). Die Kosten für den Erwerb und die erforderliche Sanierung der Immobilien hätten nach den Grundsätzen der Ordnungsmäßigkeit der Buchführung zum Stichtag 30.06.2020 noch nicht in den Büchern abgebildet werden können. Sie kündigte an, im Januar 2021 ausführlich darzulegen, in welchem Umfang sie durch den Erwerb und die Sanierung finanziell in Anspruch genommen werde und dass eine Berücksichtigung dieser Kosten bei der Ermittlung des festzusetzenden Betrages statthaft sei.

 

Das BAS hörte die Klägerin mit Schreiben vom 21.01.2021 zu der beabsichtigten anteiligen Heranziehung von Finanzreserven i.H.v. 36.790.618,30 € an. Aus den vorläufigen vierteljährlichen Rechnungsergebnissen für das erste Halbjahr 2020 nach der Statistik KV45 nach Abschluss des zweiten Quartals 2020 ergäben sich zum Stichtag 30.06.2020 folgende Schlüsselnummern:

Betriebsmittel (1901):                                                                                                3.659.994,16 €

Rücklagen (1902):                                                                                                 102.362.000,00 €

Geldmittel zur Anschaffung und Erneuerung

von Verwaltungsvermögen (1904):                                                                         4.600.000,00 €

Höhe der Finanzreserve:                                                                                     110.621.994,16 €

 

Höhe der durchschnittlichen Monatsausgabe:                                                 137.407.412,41 €

 

Auf dieser Grundlage ergebe sich für die Klägerin ein Zuführungsbetrag nach § 272 Abs. 1 Satz 1 SGB V Höhe von 36.790.618,30 €:

 

2/5 der durchschnittlichen Monatsausgabe (Freibetrag):                                 54.962.964,96 €

Differenz zwischen Finanzreserve und Freibetrag:                                           55.659.029,20 €

Zuführungsbetrag (Differenzbetrag x 0,661):                                                      36.790.618,30 €

 

Die Vergleichsberechnung nach § 272 Abs. 1 Satz 2 SGB V ergebe einen höheren Betrag, so dass der Betrag nach Satz 1 heranzuziehen sei. Die Klägerin erhielt Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 10.02.2021.

 

Mit Schreiben vom 03.02.2021 führte die Klägerin aus, dass es statthaft sei, die Kosten für den Erwerb der Immobilie i.H.v. 7.267.814,00 € und die voraussichtlichen Kosten für die Sanierung des Gebäudes i.H.v. 15.279.168,00 € bei der Ermittlung des Zuführungsbetrages mindernd zu berücksichtigen. Die geschätzten Sanierungskosten beruhten auf einer technischen Due Diligence der Y. vom 01.12.2020. Für die ersten fünf Jahre nach dem Erwerb der Immobilie würden geschätzt Kosten i.H.v. 14.369.532,00 € anfallen. Für den Zeitraum vom sechsten bis zum zehnten Jahr nach Erwerb kämen weitere Kosten i.H.v. 909.636,00 € hinzu. Die Erforderlichkeit zur Berücksichtigung dieser Kosten ergebe sich aus einer Auslegung des § 272 SGB V sowie der Vorschrift über die Finanzreserve in § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V i.d.F. des GPVG (a.F.). Die Regelung über die Finanzreserve beziehe sich ausdrücklich nur auf die Betriebsmittel, die nicht für die laufenden Ausgaben benötigt würden. Die laufenden Ausgaben seien also nicht erfasst. Es könne nicht Sinn und Zweck der Regelung sein, durch die Heranziehung der Betriebsmittel bereits begonnene oder beschlossene Investitionen der Krankenkasse zu behindern. Daher müssten solche Vermögensbestandteile ausgeschlossen werden, über die bereits durch eine Entscheidung des Verwaltungsrats der Krankenkasse disponiert worden sei. Diese Vermögensbestandteile seien als Bestandteil der „laufenden Ausgaben“ anzusehen. Dies betreffe die Kosten für den Erwerb und die Sanierung der Immobilie.

 

In einer internen E-Mail vom 10.02.2021 kam das BAS zu dem Ergebnis, dass die angestrebte Zuordnung der Investitionen zu den laufenden Ausgaben, nur, weil der Verwaltungsrat diese Investitionen beschlossen habe, nicht statthaft sei. Laufende Ausgaben könnten immer nur für eine bestimmte Rechnungsperiode ermittelt werden. Konkret müssten hier die investiven Ausgaben bzw. Verpflichtungen den Ausgaben des ersten Halbjahres 2020 zuzuordnen sein. In diesem Fall hätte das Finanzvermögen in der KV45 entsprechend niedriger ausgewiesen werden müssen. Dies sei aber auch nach der eigenen Darstellung der Klägerin nicht der Fall. Die von der Klägerin angesprochenen Ausgaben seien gerade nicht dem ersten Halbjahr 2020 zuzuordnen. Es möge richtig sein, dass es nicht Sinn und Zweck der Regelung des § 272 SGB V gewesen sei, bereits begonnene Investitionen von Krankenkassen zu behindern. Daraus aber zu schlussfolgern, dass es dem Ziel der gesetzlichen Regelung entspreche, die betroffenen Vermögensbestandteile von der Vermögensabführung auszunehmen, sei nicht zwingend logisch. Die besondere Situation der GKV und das Ziel des Gesetzgebers, die Sozialversicherungsbeiträge in Pandemiezeiten zu begrenzen, würden in der Gesetzesbegründung beschrieben und sprächen eher dafür, dass eine pauschale Vermögensabführung unter Inkaufnahme gewisser „Unwuchten“ gewollt gewesen sei, die dem Gesundheitsfonds die benötigten Einnahmen schnell und zuverlässig sichere, ohne dass bei jeder Krankenkasse erst ermittelt werden müsse, welche zukunftsgerichteten Dispositionen Verwaltungsräte in der Vergangenheit getroffen hätten. Unter solchen Umständen wäre völlig unsicher, inwieweit das Ziel des Gesetzes, dem Fonds die im Jahr 2021 benötigte Summe von acht Mrd. € zuzuführen, erreicht werden könnte.

 

Mit Bescheid vom 26.03.2021 stellte das BAS fest, dass die Klägerin Finanzreserven i.H.v. 36.790.618,30 € den Einnahmen des Gesundheitsfonds zuzuführen habe (Ziffer 1). Dieser Betrag werde mit den nach § 16 Abs. 5 der Risikostruktur-Ausgleichsverordnung (RSAV) auszuzahlenden Zuweisungen im Zeitraum von April bis Dezember 2021 in monatlich gleichen Teilbeträgen verrechnet. Von April bis November 2021 würden jeweils monatlich 4.087.846,48 € und im Dezember 2021 4.087.846,46 € verrechnet (Ziffer 2). Eine Berücksichtigung der Aufwendungen für den Erwerb und die Sanierung der Immobilie komme nicht in Betracht. Die maßgebenden Rechengrößen für die Berechnung des Zuführungsbetrages seien nach § 272 Abs. 1 Satz 3 SGB V den von der Klägerin für das erste Halbjahr 2020 nach Abschluss des zweiten Quartals 2020 vorgelegten vierteljährlichen Rechnungsergebnissen zu entnehmen. Hierzu verweise § 272 Abs. 1 SGB V auf § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. Der Gesetzeswortlaut sei eindeutig. Ein Abweichen von diesen Berechnungsvorgaben sei nicht zulässig. Die Aufwendungen für den Erwerb und die Sanierung der Immobilie seien nicht in den vierteljährlichen Rechnungsergebnissen für das erste Halbjahr 2020 abgebildet und gehörten damit nicht zu den laufenden Ausgaben des ersten Halbjahres 2020. Mit der Einbeziehung der zur Anschaffung und Erneuerung der Vermögensteile bereitgehaltenen Geldmittel in die zur Vermögenszuführung heranzuziehenden Finanzreserven habe sich der Gesetzgeber für die Einbeziehung von Mitteln entschieden, die für bestimmte Investitionsmaßnahmen bestimmt und insoweit nicht disponibel seien. Hierbei sei es unerheblich, ob die getroffene Vermögensdisposition Vorgänge betreffe, die der Aufsichtsbehörde bekannt gewesen oder von ihr genehmigt worden seien. Der Gesetzgeber habe zur Generierung der Finanzmittel ein Verfahren ohne eine gezielte Einzelfallprüfung gewählt, das dem Gesundheitsfonds die erforderlichen Mittel zeitnah in der erforderlichen Höhe von insgesamt acht Mrd. € zuführe. Dieses Ziel lasse sich nicht erreichen, wenn bei jeder Krankenkasse Sondersachverhalte zu prüfen und zu berücksichtigen wären, die zu einer Minderung oder zu einer Erhöhung des Zuführungsbetrages führten. Dieser Bescheid wurde den Bevollmächtigten der Klägerin am 01.04.2021 zugestellt.

 

Die Klägerin hat am 27.04.2021 beim Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (NRW) Klage erhoben und die Aufhebung des Bescheides vom 26.03.2021, soweit dieser eine anteilige Heranziehung ihrer Finanzreserven von mehr als 21.887.063,20 € festsetze, sowie die entsprechende Erstattung des übersteigenden Betrages begehrt. Sie ist der Auffassung, dass die Kosten für den Erwerb und die Sanierung der Immobilie bei der Ermittlung der Finanzreserve i.S.d. § 272 Abs. 1 Satz 1 SGB V nicht berücksichtigt werden dürften. Anderenfalls verstoße diese Regelung bzw. der angefochtene Bescheid gegen das Willkür- sowie das Rückwirkungsverbot. Daher sei § 272 Abs. 1 Satz 1 SGB V verfassungskonform auszulegen.

 

Der Verstoß gegen das aus Art. 20 Abs. 3 GG resultierende Willkürverbot ergebe sich daraus, dass § 272 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB V hinsichtlich der Ermittlung der Finanzreserven der Krankenkassen auf die Vorschrift des § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. Bezug nehme. Diese Vorschrift wiederum erfasse die nicht für die laufenden Ausgaben benötigten Betriebsmittel (Betriebsmittelreserve), die Rücklage nach § 261 SGB V sowie die zur Anschaffung und Erneuerung der Vermögensteile bereitgehaltenen Geldmittel nach § 263 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V in der bis zum 31.12.2022 geltenden Fassung (a.F.; Rückstellungen). Das Verwaltungsvermögen nach § 263 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V a.F., insbesondere der vorhandene Bestand an Immobilien und Gebäuden, werde hingegen nicht berücksichtigt. Dadurch liege eine Ungleichbehandlung von Verwaltungsvermögen nach § 263 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V a.F. und denjenigen Rückstellungen vor, die zum Stichtag 30.06.2020 bereits Investitionen in das Verwaltungsvermögen nach § 263 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V a.F. gewidmet gewesen seien. Von einer solchen Widmung sei auszugehen, wenn – wie hier – am 30.06.2020 ein mit der zuständigen Aufsichtsbehörde abgestimmter Beschluss des Verwaltungsrates über eine solche Investition vorgelegen habe. Die zur Umsetzung dieses Beschlusses benötigten Finanzmittel seien nicht länger als Teil des liquiden Vermögens der Krankenkasse zu betrachten. Diese verbindlich verplanten Finanzmittel würden mit dem Finanzausgleich durch den angefochtenen Bescheid abgeschöpft. Diese Ungleichbehandlung sei evident unsachlich, da es bei der Bestimmung eines Stichtages allein vom Zufall abhänge, ob die Finanzmittel bereits in Immobilien dinglich gebunden oder zwar buchmäßig noch vorhanden, tatsächlich aber verbindlich verplant gewesen seien. Dies betreffe sowohl Investitionsvorhaben der Krankenkassen, anlässlich derer zum 30.06.2020 Rückstellungen gebildet oder verplant gewesen seien, als auch solche, die unmittelbar aus der Betriebsmittelreserve erfolgen sollten. Im Rahmen des Finanzausgleichs nach § 272 SGB V sei es generell unzulässig, Rückstellungen anders als das übrige Verwaltungsvermögen i.S.d. § 263 Abs. 1 Satz 1 SGB V a.F. zu behandeln. Es sei kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, weshalb das in § 263 SGB V a.F. definierte Verwaltungsvermögen überhaupt am Finanzausgleich teilnehmen solle. Die in § 263 Abs. 1 Satz 1 SGB V a.F. genannten Vermögensteile seien gleichwertig. Der Gesetzgeber habe sich bei Schaffung des § 272 SGB V nicht nochmals mit der Frage auseinandergesetzt, welche Mittel in § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. konkret in Bezug genommen würden. Der Passus zu den Rückstellungen in § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. sei durch das Gesetz für bessere und unabhängigere Prüfungen (MDK-Reformgesetz) vom 14.12.2019 (BGBl. I 2019, S. 2789) eingefügt worden. Ein sachlicher Grund, auch im Rahmen des § 272 SGB V hierauf zuzugreifen, ergebe sich aber nicht aus den Erwägungen aus dem Gesetzgebungsvorhaben zum MDK-Reformgesetz. Zum einen habe der Gesetzgeber damit vermeiden wollen, dass die gesetzliche Obergrenze durch Bildung von Rückstellungen umgangen werden könne. Eine solche Umgehung sei im Rahmen des Finanzausgleichs nach § 272 SGB V bereits aufgrund der Anknüpfung an einen in der Vergangenheit liegenden Stichtag ausgeschlossen. Zum anderen sei der Gesetzgeber des MDK-Reformgesetzes davon ausgegangen, dass die gesetzliche Obergrenze von einer Monatsausgabe so bemessen sei, dass die Krankenkassen auch bei Einbeziehung der Rückstellungen hinreichenden Spielraum für Investitionen hätten. Dies sei nun durch das Zusammenspiel des § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. und des § 272 SGB V nicht mehr der Fall. Die Obergrenze für die Finanzreserven der Krankenkassen in § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. von (damals noch) einer Monatsausgabe sei mittlerweile auf das 0,8-Fache einer durchschnittlichen Monatsausgabe abgesenkt worden. Zudem nehme nach § 272 Abs. 1 Satz 1 SGB V lediglich das 0,4-Fache einer durchschnittlichen Monatsausgabe nicht am Finanzausgleich teil. Gegenüber dem MDK-Reformgesetz sei damit der Spielraum der Krankenkassen für Investitionen um 60 % vermindert. Dieser Spielraum werde dadurch weiter verkleinert, dass nach § 261 Abs. 2 Satz 2 SGB V mindestens das 0,2-Fache – bei der Klägerin aufgrund der Satzung das 0,3-Fache – einer durchschnittlichen Monatsausgabe als Rücklage vorzuhalten sei (vgl. § 261 Abs. 6 Satz 1 SGB V). Aktuell schrumpfe dieser Spielraum für Investitionen sogar noch weiter, da § 260 Abs. 2, 2a und 4 SGB V durch das Gesetz zur finanziellen Stabilisierung der GKV (GKV-Finanzstabilisierungsgesetz) vom 07.11.2022 (BGBl. I 2022, S. 1990) erheblich geändert worden sei. Gleiches gelte für Investitionen, die nicht aus Rückstellungen, sondern aus der Betriebsmittelreserve erfolgen sollten (vgl. § 260 Abs. 1 Nr. 2 SGB V a.F.; sog. erfolgsunwirksame Aufwendungen). Mit dem Finanzausgleich durch den angefochtenen Bescheid werde der Erwerbsvorgang bei der Klägerin durch den Stichtag 30.06.2020 künstlich aufgespalten. Es liege ein einheitlicher Erwerbsakt vor, der in rechtlich schutzwürdiger Weise (und mit Zustimmung der Aufsichtsbehörde) vor dem Stichtag 30.06.2020 begonnen habe und erst nach dem Stichtag vollzogen worden sei. Als erfolgsunwirksame Aufwendungen in das Verwaltungsvermögen beschlossene Investitionen würden systemwidrig auf einmal erfolgswirksam, weil das Investitionskapital abgeschöpft werde. Es könne nicht das Ziel des § 272 SGB V sein, für die Wahrnehmung der gesetzlichen Aufgaben einer Krankenkasse notwendige Investitionen zu erschweren oder zu behindern. Ein Sachgrund für diese Ungleichbehandlung von Verwaltungsgebäuden und Finanzmitteln, die verbindlich für Investitionen in Verwaltungsgebäuden verplant gewesen seien, liege nicht vor. Auch der grundsätzlich weite Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers sei insofern unerheblich.

 

Die Neufassung des § 272 SGB V verstoße zudem gegen das Rückwirkungsverbot. Dieses folge aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG. Es sei zwar streitig, ob sich auch Träger der mittelbaren Staatsverwaltung wie Krankenkassen hierauf berufen könnten (dafür Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 23.01.2019 – 9 C 2/18; Sozialgericht (SG) München, Vorlagebeschluss vom 25.06.2020 – S 12 KR 1865/18 < diese Vorlage hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) mit Kammerbeschluss vom 24.01.2023 – 1 BvL 11/20 – als unzulässig verworfen >; dagegen Bundessozialgericht (BSG), Urteil vom 22.10.2014 – B 6 KA 3/14 R). Es sei aber inkonsequent, das in den Grundrechten sowie im Rechtsstaatsgebot wurzelnde Willkürverbot einerseits auf Krankenkassen anzuwenden, andererseits aber den Krankenkassen das ebenfalls aus diesen Rechtspositionen entspringende Rückwirkungsverbot als Schutzposition zu versagen. Der Finanzausgleich durch den angefochtenen Bescheid stelle eine unzulässige echte Rückwirkung dar, da der Erwerbsvorgang betreffend die Immobilie vor dem Zeitpunkt der Verkündung des GPVG vollständig abgeschlossen gewesen sei. In diesen abgeschlossenen Sachverhalt werde mit dem Finanzausgleich rückwirkend belastend eingegriffen. Jedenfalls aber sei die Wahl eines in der Vergangenheit liegenden Stichtages für den Finanzausgleich auch nach Auffassung der Beklagten als unechte Rückwirkung einzustufen, da an Handlungen und Zustände angeknüpft werde, die vor dem Zeitpunkt der Verkündung des Gesetzes gelegen hätten. Diese unechte Rückwirkung sei nicht verhältnismäßig. Es fehle bereits an einem legitimen Zweck, der mit ihr verfolgt werde. Mit der Wahl eines in der Vergangenheit liegenden Stichtages habe der Gesetzgeber das Ziel verfolgt, eine Beeinflussung der maßgeblichen Parameter des Finanzausgleichs 2021 durch die Krankenkassen zu vermeiden. Diese Sorge des Gesetzgebers sei gänzlich unbegründet gewesen. Denn aufgrund der Bindung der Sozialversicherungsträger an das Haushaltsrecht habe für diese kein Spielraum bestanden, in unsachlicher Art und Weise Einfluss auf den Finanzausgleich zu nehmen. Zudem sei der Erwerb von Grundstücken sowie die Errichtung, die Erweiterung und der Umbau von Gebäuden von der Genehmigung der Aufsichtsbehörde abhängig (§ 85 Abs. 1 SGB IV). Es sei daher fernliegend, dass Krankenkassen ohne eine rückwirkende Regelung die Möglichkeit gehabt hätten, sich dem Finanzausgleich durch die Planung von missbräuchlichen Institutionen (teilweise) zu entziehen. Ferner sei die Rückwirkung nicht verhältnismäßig, da das Veränderungsinteresse des Gesetzgebers die Bestandsinteressen der betroffenen Krankenkassen nicht überwiege. Im Rahmen des Veränderungsinteresses des Gesetzgebers sei das mit der Schaffung des § 272 SGB V an sich verfolgte Ziel, einen Anstieg der Zusatzbeiträge im Jahr 2021 zu verhindern und die finanzielle Stabilität der GKV im Jahr 2021 zu sichern, entgegen der Auffassung der Beklagten nicht zu berücksichtigen. Diese Erwägungen hätten eine Rückwirkung nicht erforderlich gemacht. Soweit die Beklagte der Auffassung sei, die rückwirkende Anknüpfung an die vorläufigen Rechnungsergebnisse des zweiten Quartals 2020 sei erforderlich gewesen, da das Zuweisungsvolumen für das Jahr 2021 schon im Oktober 2020 habe feststehen müssen, stehe dies einer verfassungskonformen Auslegung nicht entgegen. Die Generierung von Mehreinnahmen i.H.v. acht Mrd. € sei unbestreitbar das Ziel des Gesetzgebers gewesen. Diesem Ziel trage aber eine verfassungskonforme Auslegung gerade Rechnung, indem ein Verfassungsverstoß vermieden und der Finanzausgleich 2021 im Übrigen durchgeführt werden könne. Im Rahmen der Abwägung sei zwar zu beachten, dass der Gesetzgeber auch schon zuvor bestimmte Mechanismen zu Finanzausgleichen zwischen Krankenkassen und zur Abschmelzung der Finanzmittel der Krankenkassen in Kraft gesetzt habe. Dennoch habe auf der Seite der Klägerin schutzwürdiges Vertrauen in den Bestand der Rechtslage bestanden. Nach Maßgabe des § 260 Abs. 2a SGB V in der im Jahr 2020 geltenden Fassung habe sie hinsichtlich der Rückführung der Finanzmittel auf die Obergrenze des § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. ab dem 01.01.2020 Planungssicherheit für die nächsten drei Haushaltsjahre gehabt. Zudem ergebe sich aus § 260 Abs. 4 SGB V in der im Jahr 2020 geltenden Fassung, dass nach dem Dreijahreszeitraum ein die Obergrenze übersteigender Betrag aus der Betriebsmittelreserve und der Rücklage an den Gesundheitsfonds abzuführen gewesen sei, aber gerade nicht aus den Rückstellungen (geändert erst durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz mit Wirkung vom 12.11.2022). Solche (geschützten) Rückstellungen hätte die Klägerin in Bezug auf den Erwerb und die Sanierung der Immobilie also jederzeit bilden können. Dieses schutzwürdige Vertrauen, dass Rückstellungen nicht abgeschöpft würden, und die damit verbundene Planungssicherheit für Investitionen seien durch die Einführung des § 272 SGB V enttäuscht worden. Die Vertrauensbetätigung sei durch die Ausübung des Optionsrechts mit Schreiben vom 21.11.2019 und damit vor dem Bekanntwerden des Gesetzgebungsvorhabens abgeschlossen gewesen. Die hohe Schutzwürdigkeit der Klägerin zeige sich auch daran, dass der Gesetzgeber durch das GKV-Finanzstabilisierungsgesetz mit § 272b SGB V mit Wirkung vom 12.11.2022 einen weiteren Finanzausgleich (für das Jahr 2023) geschaffen habe, um so wiederum Finanzmittel der Krankenkassen abzuschöpfen und in die Einnahmen des Gesundheitsfonds im Jahr 2023 zu überführen. Bei dem hier streitigen Finanzausgleich durch § 272 SGB V habe es sich also nicht um einen einmaligen zusätzlichen Solidarausgleich gehandelt. Das Bestandsinteresse der Klägerin überwiege das Veränderungsinteresse des Gesetzgebers. Entgegen der Auffassung der Beklagten führe eine saldierende Betrachtung der Folgen des Finanzausgleichs nicht weiter. Die Beklagte verkenne, dass die Klägerin sich gerade nicht gegen den Finanzausgleich 2021 insgesamt wende, sondern im Rahmen der Umsetzung des Finanzausgleichs eine unzumutbare Belastung aufgrund eines besonderen Sachverhaltes geltend mache. Daher sei nach ihrer Auffassung der Finanzausgleich nicht außer Kraft zu setzen; vielmehr seien die durch ihre Investitionsentscheidung gebundenen Mittel bei dem Finanzausgleich außer Acht zu lassen. Werde daher der Zuführungsbetrag entsprechend gemindert, hätten sich die Zuweisungen an die Klägerin aus dem Gesundheitsfonds im Jahr 2021 nur um etwa 250.000,00 € verringert. Auch der Umstand, dass sie im Jahr 2021 insgesamt Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds i.H.v. rund 1,74 Mrd. € erhalten habe und die mit dem Klageantrag zu Ziffer 2 beantragte Rückzahlung i.H.v. knapp 15 Mio. € somit weniger als 1 % des jährlichen Zuweisungsvolumens ausmache, ändere an dem Ergebnis nichts. Die Krankenkassen könnten nicht frei über ihre Finanzmittel entscheiden, da sie mit diesen im Wesentlichen die Leistungsansprüche der Versicherten erfüllen müssten. Lediglich ein geringer Anteil ihrer Ausgaben werde für Investitionen genutzt (im Jahr 2021 3,48 Mio. €). Durch den Finanzausgleich 2021 seien diese Mittel in erheblichem Umfang abgeschöpft worden. Für die erforderliche Sanierung der Immobilie hätte sie ihren Zusatzbeitragssatz um 0,136 Prozentpunkte anheben müssen. Da sie aber bereits wegen des Finanzausgleichs 2021 und des Finanzausgleichs 2023 ihren Zusatzbeitragssatz um 0,3 Prozentpunkte habe anheben müssen, sei eine weitere Anhebung nicht möglich, da ansonsten ihr Zusatzbeitragssatz über dem durchschnittlichen Zusatzbeitragssatz läge. Dies hätte schwerwiegende Folgen für ihre Marktstellung im Wettbewerb der Krankenkassen (vgl. etwa das Sonderkündigungsrecht nach § 175 Abs. 4 Satz 6 SGB V mit der erforderlichen Information der Mitglieder nach Satz 7).

 

Um eine Verletzung des Willkür- sowie des Rückwirkungsverbotes zu vermeiden, sei die Vorschrift des § 272 SGB V verfassungskonform auszulegen. Dies sei möglich und geboten. Die einschränkende verfassungskonforme Auslegung erlaube es, Teilbereiche aus dem Anwendungsbereich einer Norm herauszunehmen, die bei unbefangener Auslegung vom Wortsinn möglicherweise mitumfasst wären. Dies gelte nach der Rechtsprechung des BVerfG und des BSG auch dann, wenn ein anderes Normverständnis des Gesetzgebers aus den Gesetzesmaterialien hervorgehe. Die Vorschrift des § 272 Abs. 1 Satz 1 SGB V beziehe sich auf „Mittel aus den Finanzreserven der Krankenkassen nach § 260 Absatz 2 Satz 1“. Über den Begriff „Finanzreserven“ bestehe eine dogmatisch einwandfreie und rechtlich gebotene Möglichkeit, den Verweis auf § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. einschränkend auszulegen. Denn von einer Reserve könne nur dort gesprochen werden, wo Mittel tatsächlich noch verfügbar seien. Die im Zusammenhang mit dem Erwerb und der Sanierung der Immobilie benötigten Mittel seien gerade nicht mehr als Reserve zu betrachten, da sie am 30.06.2020 bereits verbindlich verplant und daher nicht mehr verfügbar gewesen seien. Sie seien daher dem Verwaltungsvermögen nach § 263 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V a.F. gleichzustellen. Mit einer solchen verfassungskonformen Auslegung werde dem Gesetzeswortlaut über den bloßen Verweis auf § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. hinaus ein weiterer Bedeutungsgehalt beigemessen. Es gehe hierbei nicht um eine nachträgliche Korrektur der gemeldeten Rechnungsergebnisse i.S.d. § 272 Abs. 1 Satz 3 SGB V, sondern um die verfassungsrechtlich gebotene Ausklammerung bestimmter, bereits verbindlich verplanter Finanzmittel aus dem Finanzausgleich. Aufgrund dessen seien die Geldmittel, welche die Klägerin zur Investition in die Immobilie verbindlich geplant habe, nicht in den Finanzausgleich einzubeziehen. Dies betreffe den für den Erwerb der Immobilie aufgewendeten Kaufpreis zuzüglich der Erwerbsnebenkosten i.H.v. 7.267.814,00 € sowie die geschätzten Sanierungskosten i.H.v. 15.279.168,00 €. Mit der Ausübung des Optionsrechts (Schreiben vom 21.11.2019) sei die aufschiebende Bedingung, unter die der Kaufvertrag gestellt gewesen sei, eingetreten. Dadurch sei der Erwerb der Immobilie bereits vor dem Stichtag 30.06.2020 unumkehrbar in Gang gesetzt worden. Der Erwerbsprozess sei stets in enger Abstimmung mit der zuständigen Aufsichtsbehörde erfolgt. Lediglich die Abwicklung des Kaufvertrages habe erst zum 30.11.2020 und damit zeitlich nach dem 30.06.2020 erfolgen sollen. Diese Erwägungen gälten schließlich ebenso für die voraussichtlich anfallenden Sanierungskosten, da auch diese unmittelbar mit dem Erwerb der Immobilie verknüpft seien. Das BVA habe, wie sich aus dem Ergebnisprotokoll vom 05.06.2018 ergebe, die Genehmigungsfähigkeit an die langfristige Eigennutzung der Immobilie geknüpft. Zudem habe schon damals für alle Beteiligten festgestanden, dass die langfristige Eigennutzung zwangsläufig die Sanierung des Gebäudes voraussetzen werde. Dies ergebe sich aus den vorgelegten Unterlagen (Ergebnisprotokoll vom 05.06.2018 [„sanierungsbedürftiges Gebäude“], Vermerk vom 19.08.2019 [„58 Jahre altes Gebäude (…) bis dato noch nicht generalsaniert“], Schreiben des Oberbürgermeisters der Stadt M. vom 14.11.2017 [„umfassende Modernisierung“ (…) „mit hohen Investitionen den Gebrauchswert (…) nachhaltig erhöhen“]) sowie aus dem Wertermittlungsgutachten von O. (Stichtag 03.01.2018), auf welches das BVA in dem Vermerk vom 19.08.2019 Bezug genommen habe. Die Verpflichtung der Klägerin, das Bestandsgebäude zu sanieren, ergebe sich daher aus den Auflagen zum einen der Aufsichtsbehörde und zum anderen der Stadt M. im Rahmen ihres Verzichts auf ihr Vorkaufsrecht. Die für die Sanierung erforderlichen Finanzmittel seien somit zum Stichtag 30.06.2020 bereits verbindlich für Immobilieninvestitionen verplant gewesen.

 

Sollte der Senat keinen Ansatz für eine verfassungskonforme Auslegung sehen, sei er aber von der Verfassungswidrigkeit des § 272 SGB V überzeugt, sei er nach Art. 100 Abs. 1 GG verpflichtet, die Sache im Wege der Richtervorlage dem BVerfG zur Entscheidung vorzulegen. Es wäre verfassungsrechtlich geboten und möglich gewesen, in § 272 SGB V Ausnahmetatbestände vorzusehen, um besonders schutzwürdiges Vermögen der Krankenkassen zu schonen. Unter Ausschöpfung aller möglichen Erkenntnisquellen wäre eine belastbare Schätzung des erwartbaren Finanzvolumens des Finanzausgleichs 2021 im Oktober 2020 möglich gewesen.

 

Die Klägerin beantragt,

 

  1. den Bescheid vom 26.03.2021 aufzuheben, soweit dieser unter Ziffer 1 einen 21.887.063,20 € übersteigenden Betrag sowie unter Ziffer 2 einen 2.431.895,91 € übersteigenden Betrag festsetzt,

 

  1. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag i.H.v. 14.903.555,10 € nebst Zinsen hieraus i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

 

  1. hilfsweise,

 

  1. das Verfahren auszusetzen und die Frage der Vereinbarkeit des § 272 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege vom 22.12.2020 – GPVG – (BGBl. I 2020, S. 3299) mit der Verfassung im Wege der konkreten Normenkontrolle gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, § 13 Nr. 11, §§ 80-82 Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) dem BVerfG vorzulegen und

 

  1. den Bescheid vom 26.03.2021 aufzuheben, nachdem das BVerfG § 272 SGB V in der Fassung des Gesetzes zur Verbesserung der Gesundheitsversorgung und Pflege vom 22.12.2020 – GPVG – (BGBl. I 2020, S. 3299) für nichtig erklärt hat.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie ist der Auffassung, dass der angefochtene Bescheid rechtmäßig sei. Sie habe die maßgeblichen Rechtsvorschriften (§ 272 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F.) zutreffend angewandt.

 

Eine verfassungskonforme Auslegung des § 272 Abs. 1 Satz 1 SGB V sei nicht zulässig. Die Grenze einer solchen Auslegung ergebe sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und dem verfolgten Regelungszweck. Sowohl der Wortlaut als auch die diesbezügliche Gesetzesbegründung seien unmissverständlich und ließen keinen Spielraum für die von der Klägerin geforderte Auslegung des Begriffs „Finanzreserven“. Die Vorschrift des § 272 Abs. 1 Satz 1 SGB V enthalte keine unbestimmten Rechtsbegriffe, sondern lege durch den Verweis auf § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. eindeutig fest, was von dem Begriff der zugrunde zulegenden Finanzreserven umfasst sein solle. Das Verwaltungsvermögen nach § 263 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V a.F. (buchhalterisch auf dem Konto 1903 zu erfassen) sei nach dem eindeutigen Wortlaut der genannten Vorschriften nicht Teil des Finanzausgleichs. Der Gesetzgeber habe ausdrücklich eine Unterscheidung zwischen den Finanzreserven (§ 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F.) und dem nicht von § 272 Abs. 1 Satz 1 SGB V umfassten Verwaltungsvermögen nach § 263 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V a.F. getroffen. Der ausdrückliche Verweis in § 272 Abs. 1 Satz 3 SGB V auf die am 14.08.2020 vom Spitzenverband Bund der Krankenkassen an das Bundesministerium für Gesundheit übermittelte Statistik KV45 des ersten Halbjahres 2020 sei im Gesetzgebungsverfahren ergänzt worden. In der Begründung sei dargelegt worden, dass spätere Korrekturen durch einzelne Krankenkassen nicht zu berücksichtigen seien (BT-Drs. 19/24727, S. 60). Diese Klarstellung sei auch vor dem gesetzgeberischen Ziel zu sehen, durch die Vermögenszuführung Mehreinnahmen für den Gesundheitsfonds i.H.v. acht Mrd. € zu generieren, die dann wiederum in Form von höheren Zuweisungen an die Krankenkassen ausgezahlt worden seien. Der Auflassungsvertrag zum Erwerb der Immobilie sei am 20.08.2020 und damit nach dem maßgeblichen Stichtag geschlossen worden. Von diesen vom Gesetzgeber ausdrücklich festgelegten Berechnungsvorgaben habe die Beklagte nicht abweichen dürfen. Ferner müsse berücksichtigt werden, dass die Sichtweise der Klägerin dazu geführt hätte, dass dem Gesundheitsfonds Mindereinnahmen i.H.v. rund 15 Mio. € entstanden wären. Diese hätten zu einer Reduzierung der Höhe der Liquiditätsreserve des Gesundheitsfonds und damit zu einer Reduzierung des Erhöhungsbetrages nach § 272a SGB V geführt. Damit hätten die Krankenkassen im Jahr 2022 geringere Zuweisungen in einer Größenordnung von rund 15 Mio. € erhalten.

 

Die Neufassung des § 272 SGB V verstoße nicht gegen das Willkürverbot. Dieses sei nur dann verletzt, wenn sich ein sachgerechter Grund für die gesetzliche Bestimmung nicht finden lasse. Im Bereich des Sozialversicherungs-, insbesondere des Krankenversicherungsrechts habe das BVerfG stets die weitgehende sozialpolitische Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers betont. Dies gelte auch für Entscheidungen über einen kassenübergreifenden Solidarausgleich. Hintergrund des § 272 SGB V sei die vom Gesetzgeber erkannte Gefährdung der finanziellen Stabilität der GKV und der Stabilität der Beiträge im Jahr 2021 aufgrund konjunkturbedingter Mindereinnahmen und erheblicher Mehrausgaben infolge der COVID-19-Pandemie. Gleichzeitig hätten die Krankenkassen Mitte des Jahres 2020 über Finanzreserven i.H.v. rund 20,6 Mrd. € und damit etwa in Höhe des Fünffachen der gesetzlichen Mindestrücklage verfügt. Auf dieser Grundlage habe er sich entschlossen, einen „kassenübergreifenden Solidarausgleich“ einzuführen. Durch § 272 SGB V habe vermieden werden sollen, dass Beitragszahler einzelner Kassen im Jahr 2021 über höhere Zusatzbeiträge in erheblichem Maße hätten belastet werden müssen, solange andere Krankenkassen über hohe Finanzreserven verfügt hätten. Ziel der Regelung sei eine gerechte Verteilung der Beitragsbelastung der Mitglieder verschiedener Krankenkassen. Hierzu sei ein weiterer, allerdings einmaliger bundesweiter kassenübergreifender Solidarausgleich begründet worden. Soweit der Gesetzgeber hierbei zwischen den zugrunde zu legenden Finanzreserven nach § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. und dem nicht erfassten Verwaltungsvermögen nach § 263 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V a.F. unterschieden habe, sei eine solche Differenzierung nicht evident unsachlich, sondern liege als Mittel zur Garantie der finanziellen Stabilität der GKV im Rahmen der weiten sozialpolitischen gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit. Auch die Wahl des Stichtages 30.06.2020 verstoße nicht gegen das Willkürverbot. Ohne eine solche rückwirkende Stichtagsregelung wäre die angestrebte Erhöhung des Zuweisungsvolumens 2021 um acht Mrd. € nicht möglich gewesen. Das BAS habe das Zuweisungsvolumen für das Jahr 2021 nach § 17 Abs. 4 RSAV bis zum 15.11.2020 bekanntgeben müssen. Das Zuweisungsvolumen ergebe sich nach § 17 Abs. 2 RSAV aus der Höhe der voraussichtlichen jährlichen Einnahmen des Gesundheitsfonds auf Grundlage der für die Festlegung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags nach § 242a SGB V maßgeblichen Werte. Diese habe das Bundesministerium für Gesundheit nach Auswertung der Ergebnisse des GKV-Schätzerkreises bis zum 01.11.2020 bekanntgeben müssen. Der GKV-Schätzerkreis habe nach § 220 Abs. 2 SGB V bis zum 15.10.2020 u.a. die Höhe der voraussichtlichen Einnahmen des Gesundheitsfonds schätzen müssen. Folglich hätten die beteiligten Institutionen bis Mitte Oktober 2020 belastbare Informationen zur Höhe der Mehreinnahmen aus der Regelung des § 272 SGB V benötigt, um die gesetzgeberische Intention der Erhöhung des Zuweisungsvolumens umsetzen zu können. Hierzu habe es zwingend einer gut kalkulierbaren und zugleich belastbaren Datengrundlage bedurft. Die in § 272 Abs. 1 Satz 3 SGB V genannten vierteljährlichen Rechnungsergebnisse des ersten Halbjahrs erfüllten diese Anforderungen. Hierbei handele es sich um eine Statistik nach § 10 Abs. 1 der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift über die Statistik in der GKV. Die Krankenkassen hätten die maßgeblichen Rechengrößen nach einheitlichen Kriterien zu ermitteln. Diese Ergebnisse hätten zum Zeitpunkt des Gesetzgebungsverfahrens bereits vorgelegen, so dass die Finanzwirkungen der gesetzlichen Neuregelung gut abschätzbar gewesen seien. Dies zeige sich auch daran, dass der GKV-Schätzerkreis bei der Prognose der Höhe der voraussichtlichen Einnahmen des Gesundheitsfonds für das Jahr 2021 schon in seiner Sitzung am 12. und 13.10.2020 einen Betrag i.H.v. acht Mrd. € als zusätzliche Einnahme des Gesundheitsfonds veranschlagt habe (vgl. Bericht des Schätzerkreises vom 23.10.2020). Dies verdeutliche, dass dem Schätzerkreis in diesem Zeitpunkt bereits die exakte Höhe der Vermögensabgabe bekannt gewesen sei, die dem Gesundheitsfonds habe zugeführt werden sollen. Dieser Betrag sei dann auch bereits ab Januar 2021 im Zuweisungsvolumen berücksichtigt und den Kassen bereits ab diesem Monat der jeweilige Betrag aus der Vermögensabgabe ausgezahlt worden. Auf diese Weise sei das Bundesministerium für Gesundheit Ende Oktober 2020 in der Lage gewesen, die Mehreinnahmen bei der Berechnung der Höhe des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes zu berücksichtigen. Auch die verwaltungspraktische Umsetzung sei eng getaktet gewesen, damit spätestens im April 2021 mit der Verrechnung der monatlichen Teilbeträge habe begonnen werden können. Dafür sei dem BAS aufgegeben worden, die Bescheide über die Zuführungsbeträge spätestens bis zum 31.03.2021 zu erlassen (§ 272 Abs. 1 Satz 5 SGB V). Das gesetzgeberische Ziel hätte hingegen nicht erreicht werden können, wenn umfangreiche Einzeltatbestände bei 104 Krankenkassen hätten überprüft werden müssen. Vor diesem Hintergrund sei es für den Gesetzgeber unumgänglich gewesen, auf die Werte der KV45 des zweiten Quartals 2020 zurückzugreifen. Dieser Stichtag habe zudem zur Folge gehabt, dass in jedem Fall ein Ankündigungseffekt vermieden worden sei und Finanzreserven hätten „umgebucht“ werden können. Entgegen der Behauptung der Klägerin bestünden seitens der Krankenkassen durchaus Möglichkeiten und Spielräume, auf die Höhe der Finanzreserven und damit auch auf die maßgeblichen Rechengrößen einzuwirken. Diese Berechnungsgrundlage, die der Gesetzgeber gewählt habe, habe tatsächlich zur Generierung von Einnahmen des Gesundheitsfonds i.H.v. acht Mrd. € geführt. Hätte er auf zukünftige Berechnungsgrundlagen, beispielsweise die Rechnungsergebnisse 2021, abgestellt, seien die voraussichtlichen Einnahmen nicht abschätzbar gewesen. Daher sei die Bestimmung des Stichtages nicht vom Zufall abhängig gewesen, sondern sachlich begründet. Es sei unvermeidlich, dass eine Stichtagsregelung für einzelne Betroffene gewisse Härten mit sich bringen könne. Dem Gesetzgeber sei es jedoch grundsätzlich nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtage einzuführen, wenn sich die Wahl des Zeitpunkts am gegebenen Sachverhalt orientiere. Dies sei hier der Fall. Der Gesetzgeber habe mit der amtlichen Statistik KV45 des zweiten Quartals 2020 unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung somit eine Berechnungsgrundlage gewählt, die die finanzielle Leistungsfähigkeit der Krankenkassen möglichst aktuell berücksichtige.

 

Die Neufassung des § 272 SGB V verstoße schließlich nicht gegen das Rückwirkungsverbot. Eine unzulässige Rückbewirkung von Rechtsfolgen im Sinne eines nachträglichen Eingreifens in bereits abgewickelte, in der Vergangenheit liegende Tatbestände liege nicht vor. Zeitlicher Anknüpfungspunkt des § 272 SGB V seien entgegen der Auffassung der Klägerin nicht etwaige Erwerbsvorgänge der Klägerin, sondern die von den Krankenkassen für das erste Halbjahr 2020 vorgelegten vierteljährlichen Rechnungsergebnisse hinsichtlich ihrer zugrunde liegenden Finanzreserven nach § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. Diese Rechnungsergebnisse stellten keinen abgeschlossenen Sachverhalt dar. Durch die streitgegenständliche Regelung erfolge hingegen eine sogenannte unechte Rückwirkung (tatbestandliche Rückanknüpfung). Diese liege vor, wenn eine Norm auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte für die Zukunft einwirke und die damit betroffene Rechtsposition nachträglich entwerte. Dies sei hier hinsichtlich der Rechnungsergebnisse der Krankenkassen für das erste Halbjahr 2020 der Fall. Diese tatbestandliche Rückanknüpfung sei zulässig, da das Bestandsinteresse der Klägerin die gesetzlich verfolgten Gemeinwohlinteressen nicht überwiege. Wie dargestellt, diene § 272 SGB V und auch die dabei getroffene Stichtagsregelung dem Ziel einer gerechten Verteilung der Beitragsbelastung der Mitglieder verschiedener Krankenkassen und damit der Wahrung der finanziellen Stabilität der GKV. Die Beiträge der Mitglieder finanzierten nicht ausschließlich die Aufgaben der eigenen Kasse, sondern bei gesetzlichen Ausgleichsverpflichtungen – wie dem RSA – auch die Aufgaben anderer Krankenkassen. Damit setze die Regelung auch einen hohen Anreiz für Krankenkassen, auf übermäßige Finanzreserven zugunsten von stabilen Zusatzbeitragssätzen zu verzichten. Die Finanzreserven dienten dem Ziel, die finanzielle Leistungsfähigkeit der Krankenkassen unterjährig sicherzustellen. Die Stichtagsregelung diene dem Zweck, die aktuelle finanzielle Leistungsfähigkeit der Krankenkasse zu berücksichtigen, ohne dass die Krankenkassen die maßgeblichen Parameter noch beeinflussen könnten. Daher sollte – wie im Rahmen der Ausführungen zum Willkürverbot dargelegt – auch durch die Stichtagsregelung der gesetzgeberische Zweck der Vorschrift des § 272 SGB V erreicht werden. Dieses Gemeinwohlinteresse werde nicht von dem schutzwürdigen Bestandsinteresse der Klägerin überwogen, insbesondere, weil die Klägerin im Ergebnis sogar vom Solidarausgleich nach § 272 SGB V profitiere. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz gehe nicht so weit, den Regelungsadressaten vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzuträten, genieße die bloße allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz. Zudem lasse die Klägerin außer Acht, dass die nach § 272 Abs. 1 SGB V herangezogenen Mittel systemimmanent den Einnahmen des Gesundheitsfonds nach § 271 Abs. 1 Satz 1 SGB V zugeführt worden seien. Diese Mittel seien somit im Jahr 2021 zur Finanzierung höherer Zuweisungen an die Krankenkassen und damit auch an die Klägerin verwendet worden. Der Gesetzgeber habe im Rahmen des § 272 Abs. 1 SGB V die Finanzreserven jeder Krankenkasse in das Verhältnis zu den Monatsausgaben gesetzt. Hiervon sei wiederum nur ein prozentualer Anteil dem Gesundheitsfonds zugeführt worden. Entsprechend der Höhe der Finanzreserven im Verhältnis zu den Monatsausgaben hätten die Krankenkassen daher einen unterschiedlich hohen solidarischen Finanzbeitrag leisten müssen. Der mit dem angefochtenen Bescheid geltend gemachte Zuführungsbetrag habe 0,27 Monatsausgaben der Klägerin entsprochen. Im Rahmen des RSA habe sie jedoch im Rahmen der durch den Finanzausgleich nach § 272 SGB V erhöhten Zuweisungen nach § 271 Abs. 1 SGB V Mittel in Höhe von fast 58 Mio. € erhalten und damit im Ergebnis mehr als 21 Mio. € zusätzlich. Die von der Klägerin geltend gemachte besondere Belastung durch die Vorschrift des § 272 SGB V liege damit nicht vor.

 

Hinsichtlich der von der Klägerin geltend gemachten Sanierungskosten sei eine etwaige Sanierungsbedürftigkeit der Immobilie im Rahmen des Genehmigungsverfahrens nicht geprüft worden. Die Begriffe „Umbaumaßnahme“ und „Sanierungsbedürftigkeit einer Immobilie“ seien baufachlich und aufsichtsrechtlich i.S.d. § 85 Abs. 1 SGB IV nicht gleichzusetzen. Insoweit werde zwischen einer Umbau- und einer Sanierungsmaßnahme unterschieden. Bei einem Umbau von Gebäuden handele es sich um bauliche Maßnahmen, die die Substanz eines Gebäudes mit wesentlichen Eingriffen in Konstruktion oder Bestand veränderten. Zu Sanierungen und Instandsetzungen, die nicht als Umbau i.S.v. § 85 Abs. 1 SGB IV anzusehen und damit nicht genehmigungspflichtig seien, gehöre die Erneuerung vorhandener Gebäudeteile in gleicher oder gleichartiger Form und Ausführung. Das Zitat aus dem Ergebnisprotokoll vom 05.06.2018 habe sich explizit auf gemäß § 85 Abs. 1 SGB IV genehmigungspflichtige Umbaumaßnahmen bezogen. Hintergrund sei die Überlegung der Klägerin gewesen, vorhandene Arbeitsplätze einer Zweigstelle in L. in die Immobilie zu verlegen. Hierzu sei die Möglichkeit einer Aufstockung des Gebäudes in Betracht gezogen worden. Es liege generell im alleinigen Ermessen eines Sozialversicherungsträgers, Modernisierungs- und Instandhaltungsmaßnahmen an den Immobilien vorzunehmen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der Verwaltungsakte des BAS Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Klage ist zulässig (dazu unter 1), aber unbegründet. Die Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid vom 26.03.2021 den Zuführungsbetrag der Klägerin im Rahmen des Finanzausgleichs 2021 formell (dazu unter 2) und materiell rechtmäßig festgesetzt (dazu unter 3). Die gesetzlichen Regelungen in § 272 Abs. 1 SGB V verstoßen nicht gegen Verfassungsrecht (dazu unter 4).

 

1. Die Klage ist ohne Vorverfahren (§ 78 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGG) als Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Variante 2 SGG) zulässig.

 

Streitgegenstand der Anfechtungsklage ist in erster Linie das Begehren, den in Ziffer 1 des angefochtenen Bescheides festgesetzten Zuführungsbetrag i.H.v. 36.790.618,30 € abzuändern und stattdessen einen Betrag i.H.v. 21.887.063,20 € festzusetzen. Darüber hinaus begehrt die Klägerin mit der Anfechtungsklage, die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides bestimmten monatlichen Beträge, in deren Höhe die Beklagte mit ihrem Anspruch auf Zahlung des Zuführungsbetrags gegen die Ansprüche der Klägerin auf Zahlung der Zuweisungen im Zeitraum von April bis Dezember 2021 aufgerechnet hat, abzuändern und stattdessen neun monatliche Beträge i.H.v. 2.431.895,91 € festzusetzen. Die in Ziffer 2 des angefochtenen Bescheides bestimmte Aufrechnung (in § 272 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB V als „Verrechnung“ bezeichnet) mit neun monatlichen Beträgen stellt eine eigenständige Regelung (§ 31 Satz 1 SGB X) dar, gegen die die Anfechtungsklage statthaft ist.

 

Diese Anfechtungsklage verbindet die Klägerin zulässig mit dem Antrag auf Erstattung des Differenzbetrages zwischen dem von der Beklagten festgesetzten Zuführungsbetrag und dem nach Auffassung der Klägerin rechtmäßigen Zuführungsbetrag i.H.v. 14.903.555,10 € (vgl. dazu § 131 Abs. 1 Satz 1 SGG).

 

Einer echten notwendigen Beiladung anderer Krankenkassen nach § 75 Abs. 2 SGG bedurfte es nicht (vgl. dazu BSG, Urteil vom 20.05.2014 – B 1 KR 5/14 R –, Rn. 23, juris).

 

Das LSG NRW ist für die Klage erstinstanzlich zuständig (§ 29 Abs. 3 Nr. 1 SGG).

 

2. Die Entscheidung über den Finanzausgleich 2021 ist verfahrensfehlerfrei zustande gekommen. Der Untersuchungsgrundsatz und die Begründungspflicht (§ 20 Abs. 1, § 35 Abs. 1 SGB X) sind unter Berücksichtigung des § 272 SGB V nicht verletzt (vgl. zum RSA und zur RSAV: BSG, Urteil vom 20.05.2014 – B 1 KR 3/14 R – Rn. 17 ff., juris).

 

3. Die Entscheidung der Beklagten über den Finanzausgleich 2021 ist auch materiell rechtmäßig. Das BAS als die nach § 272 Abs. 2 SGB V zuständige Behörde berechnete die Höhe des Zuführungsbetrages nach Maßgabe des § 272 Abs. 1 SGB V korrekt, was zwischen den Beteiligten unstreitig ist. Auch die erklärte Aufrechnung mit dem Anspruch auf Zahlung des Zuführungsbetrags gegen die Ansprüche der Klägerin auf Zahlung der Zuweisungen im Zeitraum von April bis Dezember 2021 entspricht den Regelungen in § 272 Abs. 2 Sätze 2 und 3 SGB V.

 

Nach § 272 Abs. 1 Satz 1 SGB V werden den Einnahmen des Gesundheitsfonds nach § 271 Abs. 1 Satz 1 SGB V im Jahr 2021 Mittel aus den Finanzreserven der Krankenkassen nach § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. zugeführt, indem 66,1 Prozent der Finanzreserven nach § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. jeder Krankenkasse, die zwei Fünftel des durchschnittlich auf einen Monat entfallenden Betrags der Ausgaben für die in § 260 Abs. 1 Nr. 1 SGB V a.F. genannten Zwecke überschreiten, herangezogen werden. Abweichend von Satz 1 werden 66,1 Prozent der Finanzreserven nach § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. einer Krankenkasse, die ein Fünftel des durchschnittlich auf einen Monat entfallenden Betrags der Ausgaben für die in § 260 Abs. 1 Nr. 1 SGB V a.F. genannten Zwecke zuzüglich von 3 Millionen Euro überschreiten, herangezogen, wenn dieser Betrag geringer als der sich nach Satz 1 für die Krankenkasse ergebende Betrag ist (Satz 2). Nach Satz 3 sind maßgebend für die Rechengrößen nach den Sätzen 1 und 2 die von den Krankenkassen für das erste Halbjahr 2020 nach Abschluss des zweiten Quartals 2020 vorgelegten vierteljährlichen Rechnungsergebnisse, die der Spitzenverband Bund der Krankenkassen dem Bundesministerium für Gesundheit am 14.08.2020 übermittelt hat.

 

Nach § 272 Abs. 2 Satz 1 SGB V berechnet das BAS den Betrag nach Abs. 1, der sich für jede betroffene Krankenkasse ergibt, und macht ihn durch Bescheid gegenüber der Krankenkasse geltend. Es verrechnet den festgesetzten Betrag mit den nach § 16 Abs. 5 RSAV für das Ausgleichsjahr 2021 an die Krankenkasse auszuzahlenden Zuweisungen in der Höhe, in der sich die Forderungen decken (Satz 2). Das BAS verteilt die Verrechnung nach Satz 2 in monatlich gleichen Teilbeträgen auf alle Ausgleichsmonate des Jahres 2021, die auf den Monat, in dem der Bescheid nach Satz 1 erlassen wird, folgen (Satz 3). Klagen gegen die Geltendmachung der Beträge haben keine aufschiebende Wirkung (Satz 4). Das BAS soll die Bescheide nach Satz 1 bis zum 31.03.2021 erlassen (Satz 5).

 

Damit beträgt der Zuführungsbetrag nach § 272 Abs. 1 Satz 1 SGB V 66,1 % der Differenz zwischen den Finanzreserven nach § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. und einem Betrag i.H.v. zwei Fünfteln der durchschnittlichen Monatsausgabe.

 

Die Vorschrift des § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. bestimmt, dass die nicht für die laufenden Ausgaben benötigten Betriebsmittel zuzüglich der Rücklage nach § 261 SGB V sowie der zur Anschaffung und Erneuerung der Vermögensteile bereitgehaltenen Geldmittel nach § 263 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. im Durchschnitt des Haushaltsjahres das 0,8-Fache des nach dem Haushaltsplan der Krankenkasse auf einen Monat entfallenden Betrages der Ausgaben für die in Abs. 1 Nr. 1 genannten Zwecke nicht übersteigen dürfen.

 

Nach § 263 Abs. 1 Satz 1 SGB V a.F. umfasst das Verwaltungsvermögen der Krankenkasse 1. Vermögensanlagen, die der Verwaltung der Krankenkasse sowie der Führung ihrer betrieblichen Einrichtungen (Eigenbetriebe) zu dienen bestimmt sind, 2. die zur Anschaffung und Erneuerung dieser Vermögensteile und für künftig zu zahlende Versorgungsbezüge der Bediensteten und ihrer Hinterbliebenen bereitgehaltenen Geldmittel, soweit sie für die Erfüllung der Aufgaben der Krankenkasse erforderlich sind.

 

Auf dieser Grundlage hat die Beklagte nach den maßgeblichen Daten i.S.d. § 272 Abs. 1 Satz 3 SGB V (Statistik KV45 für das erste Halbjahr 2020 nach Abschluss des zweiten Quartals) den Zuführungsbetrag für die Klägerin zutreffend berechnet, ihn durch den angefochtenen Bescheid geltend gemacht und im Wege einer Aufrechnung durchgesetzt. Die alternative Berechnung des Betrages nach § 272 Abs. 1 Satz 2 SGB V kommt im Falle der Klägerin nicht zum Tragen, da sich hiernach ein Betrag i.H.v. 52.972.878,22 € und damit ein höherer Betrag als nach Satz 1 ergibt. Fehler bei der Berechnung des Zuführungsbetrages macht die Klägerin nicht geltend und sind auch nicht ersichtlich. Daher nimmt der Senat insofern auf die entsprechenden Ausführungen in dem Anhörungsschreiben vom 21.01.2021 und dem angefochtenen Bescheid Bezug (§ 136 Abs. 3 SGG).

 

4. Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin gegen die Regelung des Finanzausgleichs 2021 in § 272 Abs. 1 SGB V und ihre Umsetzung durch den angefochtenen Bescheid greifen nicht durch. Diese Regelung sowie der angefochtene Bescheid verstoßen weder gegen das Willkürverbot (dazu unter a) noch gegen das Rückwirkungsverbot (dazu unter b). Auch aus Art. 87 Abs. 2 GG ergibt sich nicht die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift über den Finanzausgleich 2021 in § 272 SGB V (dazu unter c).

 

a) Die Rechtsgrundlagen für den Finanzausgleich 2021 in § 272 Abs. 1 Satz 1 SGB V i.V.m. § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V sind willkürfrei.

 

Das Willkürverbot dient als objektives Rechtsprinzip auch dann als Prüfungsmaßstab für eine Norm, wenn Grundrechtsträger nicht betroffen sind. Es erlangt damit auch Geltung gegenüber öffentlich-rechtlichen Körperschaften, soweit diese nicht grundrechtsfähig sind (BVerfG, Beschluss vom 18.07.2005 – 2 BvF 2/01 –, Rn. 254, juris). Es ist verletzt, wenn sich ein vernünftiger, sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst wie sachlich einleuchtender Grund für eine gesetzliche Differenzierung oder Gleichbehandlung nicht finden lässt. Was hierbei sachlich vertretbar oder sachfremd ist, lässt sich nicht abstrakt und allgemein feststellen, sondern stets nur in Bezug auf die Eigenart des konkreten Sachverhalts, der geregelt werden soll. Ein Verstoß gegen das Willkürverbot liegt erst vor, wenn die Unsachlichkeit der Differenzierung evident ist (BVerfG, Beschluss vom 05.10.1993 – 1 BvL 34/81 –, Rn. 39 m.w.N., juris). Bei der Beurteilung künftiger Sachverhalte und Entwicklungen steht dem Gesetzgeber grundsätzlich eine Einschätzungsprärogative zu (BVerfG, Kammerbeschluss vom 20.12.1990 – 1 BvR 1418/90 –, Rn. 17, juris; BSG, Urteil vom 20.05.2014 – B 1 KR 5/14 R –, Rn. 43, juris). Diesen Prognose- und Beurteilungsspielraum überschritt der Gesetzgeber mit der streitgegenständlichen Norm nicht.

 

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist es nicht evident unsachlich, im Rahmen der Ermittlung der Finanzreserven der Krankenkassen i.S.d. § 272 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. Rückstellungen nach § 263 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. zu berücksichtigen, das Verwaltungsvermögen nach Nr. 1 hingegen nicht. Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, sämtliches Verwaltungsvermögen i.S.d. § 263 Abs. 1 Satz 1 SGB V a.F. von der Ermittlung der Finanzreserven auszunehmen. Allein dadurch, dass der Gesetzgeber in § 272 Abs. 1 Satz 1 SGB V den Begriff „Finanzreserven“ verwendet, wird der Bezug zu der Vorschrift des § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. deutlich. Denn diese Vorschrift regelt die zulässige Obergrenze der Finanzreserven der Krankenkassen (vgl. etwa Huck in: Hauck/Noftz SGB V, 1. Ergänzungslieferung 2025, § 260 Überschrift zu Rn. 9). Indem der Gesetzgeber diesen Begriff verwendet und zudem ausdrücklich auf die Vorschrift des § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. Bezug nimmt (so auch in der Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 19/23483, S. 37), sind sämtliche dort erfassten Finanzmittel der Krankenkassen ohne Ausnahme zu berücksichtigen: Dies betrifft somit die Betriebsmittelreserve, die Rücklage und die Rückstellungen. Daher ist davon auszugehen, dass es der Absicht des Gesetzgebers des § 272 SGB V entspricht, insofern auch die Rückstellungen zu berücksichtigen.

 

Entgegen der Auffassung der Klägerin kann sich diese Entscheidung des Gesetzgebers des GPVG auf sachliche Gründe stützen. Die Einbeziehung der Rückstellungen in die Obergrenze für zulässige Finanzreserven der Krankenkassen nach § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. mit dem MDK-Reformgesetz begründete der Gesetzgeber damit, es solle vermieden werden, dass Krankenkassen durch das Ansparen von liquiden Mitteln als Teil ihres Verwaltungsvermögens die gesetzlichen Folgen umgehen, die mit einer Überschreitung der gesetzlichen Obergrenze einhergehen (vgl. dazu auch Baierl/Deprins in jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 260 (Stand: 19.06.2024), Rn. 38). Stattdessen sollen sie Finanzreserven oberhalb der Obergrenze durch Stabilisierung oder Absenkung der Zusatzbeiträge vollständig und effizient abbauen (BT-Drs. 19/13397, S. 60 zu Nr. 19). Zwar können diese Erwägungen des Gesetzgebers nicht unmittelbar für die Einbeziehung der Rückstellungen in den Finanzausgleich 2021 nach § 272 Abs. 1 SGB V herangezogen werden, da – insofern ist der Klägerin zuzustimmen – eine Umgehung des Finanzausgleichs 2021 bereits durch die Wahl des in der Vergangenheit liegenden Stichtages vermieden werden sollte. Allerdings spricht der grundsätzliche Zweck des Finanzausgleichs 2021 für eine vollständige Berücksichtigung der Finanzreserven i.S.d. § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. Dieser sollte – neben dem ergänzenden Bundeszuschuss i.H.v. fünf Mrd. € (§ 221a SGB V i.d.F. ab dem 26.11.2020) – der Stabilisierung des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes nach § 242a SGB V im Jahr 2021 dienen. Der Gesetzgeber beabsichtigte mit der Einführung des § 272 SGB V auf der Grundlage der ihm vorhandenen Daten nach den vierteljährlichen Rechnungsergebnissen des ersten Halbjahres 2020 (Statistik KV 45) eine Zuführung von Mitteln i.H.v rund acht Mrd. € an den Gesundheitsfonds (BT-Drs. 19/23483, S. 37). Insgesamt sollten damit im Jahr 2021 13 Mrd. € zur Stabilisierung des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes zur Verfügung stehen (BT-Drs. 19/23483, S. 5). Dieses Ziel des Gesetzgebers ist auch nachvollziehbar. Zwischen dem Bundesministerium für Gesundheit/BAS einerseits und dem GKV-Spitzenverband andererseits war unumstritten, dass die finanzielle Situation der GKV im Jahr 2021 von erheblichen Beitragsmindereinnahmen bei gleichzeitig deutlichen Ausgabensteigerungen geprägt sein würde. So hatte eine entsprechende Expertenkommission bereits im Spätsommer 2020 einen zusätzlichen Finanzbedarf für die GKV im Jahr 2021 i.H.v. rund 16,6 Mrd. € festgestellt (Minn, DB Beilage 2020, Nr. 4, 1, 16). Das Bundesministerium für Gesundheit hatte anscheinend zunächst die Absicht, den voraussichtlichen Finanzbedarf von 16,6 Mrd. € allein durch einen zusätzlichen Bundeszuschuss für die GKV für 2021 in der Höhe des Bedarfs zu decken. Allerdings war diese Absicht offenkundig nicht von Erfolg gekrönt, da das Bundesministerium der Finanzen unter Hinweis auf ein Gutachten des Bundesrechnungshofs die hierfür erforderliche zusätzliche Schuldenaufnahme des Bundes abgelehnt hatte mit der Forderung, dass zunächst vorhandene Finanzreserven abgebaut werden müssten (Minn, DB Beilage 2020, Nr. 4, 1, 16). Vor diesem Hintergrund stellt sich die grundsätzliche Entscheidung des Gesetzgebers, neben einem ergänzenden Bundeszuschuss einen einmaligen Finanzausgleich für 2021 vorzusehen, nicht als sachfremd dar. Wenn dabei die Rückstellungen – anders als bei der Obergrenze für zulässige Finanzreserven – nicht in den Finanzausgleich einbezogen worden wären, hätten diese vorhandenen Finanzmittel der Krankenkassen nicht zur Verfügung gestanden, um das Ziel der Stabilisierung des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes zu erreichen. Die Geldmittel, die von Seiten der Krankenkassen an den Gesundheitsfonds zugeführt worden wären, hätten den beabsichtigten und angesichts des prognostizierten Finanzbedarfs von rund 16,6 Mrd. € auch (mindestens) erforderlichen Umfang einer Zuführung an den Gesundheitsfonds von rund acht Mrd. € nicht erreicht. Daher war es erforderlich, auch die Rückstellungen nach § 263 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. in die Ermittlung der Finanzreserven der Krankenkassen im Rahmen des Finanzausgleichs 2021 einzubeziehen.

 

Der Senat ist zudem davon überzeugt, dass die Einbeziehung von Rückstellungen in die Ermittlung der Finanzreserven der Krankenkassen im Rahmen des Finanzausgleichs 2021 nicht zu einem fehlenden (oder zu geringen) Spielraum der Krankenkassen für Investitionen führt. Die Annahme des Gesetzgebers, dass die finanzielle Leistungsfähigkeit der Krankenkassen trotz des Finanzausgleichs 2021 und der ebenfalls durch das GVPG erfolgten Absenkung der Obergrenze für zulässige Finanzreserven auf das 0,8-Fache einer Monatsausgabe in § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. sichergestellt sei, ist nicht evident fehlerhaft, sondern bewegt sich im Rahmen seines Prognose- und Beurteilungsspielraums. Der Gesetzgeber hat hinsichtlich des Finanzausgleichs 2021 in der Entwurfsbegründung ausgeführt, dass die Grenze von zwei Fünfteln der durchschnittlichen Monatsausgabe einer Krankenkasse, ab der Finanzreserven der Krankenkassen überhaupt erst herangezogen würden, angemessen sei. Zum einen handele es sich um das Doppelte der Mindestrücklage nach § 261 Abs. 2 Satz 2 SGB V. Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass die Mindestrücklage bereits die finanzielle Leistungsfähigkeit einer Krankenkasse sicherstelle. Zum anderen werde ein prozentualer Anteil der das Doppelte der Mindestreserve überschreitenden Finanzreserven herangezogen. Dadurch werde sichergestellt, dass der an den Gesundheitsfonds zu zahlende Betrag von der jeweiligen Höhe der Finanzreserven der einzelnen Krankenkasse und damit von ihrer jeweiligen finanziellen Leistungsfähigkeit abhänge. Gleichzeitig werde das Verhältnis zwischen der Höhe der Finanzreserven und der Höhe der durchschnittlichen Monatsausgaben für die Krankenkassen mit hohen Vermögen nicht verändert. Alternativ könnten die Finanzreserven oberhalb einer – höher anzusetzenden Obergrenze – vollständig herangezogen werden. Dies würde eine wesentlich stärkere Belastung der betroffenen Krankenkassen nach sich ziehen und gleichzeitig die Rangfolge der vorgehaltenen Finanzreserven verändern. Der hier gewählte Weg greife daher weniger stark in den Wettbewerb der Krankenkassen ein und sei vorzuziehen (BT-Drs. 19/23483, S. 37). Die Absenkung der Obergrenze hielt er für angemessen, da der Betrag der verbleibenden Finanzreserven dem Vierfachen der gesetzlichen Mindestrücklage von 0,2 Monatsausgaben nach § 261 Abs. 2 Satz 2 SGB V entspreche (BT-Drs. 19/23483, S. 35). Dass diese Erwägungen des Gesetzgebers auf fehlerhaften Grundlagen beruhen, ist nicht ersichtlich und wird auch von der Klägerin nicht behauptet. Zudem ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, dass beide Maßnahmen dazu dienten, die Zusatzbeiträge stabil zu halten bzw. diese abzusenken (BT-Drs. 19/23483, S. 5 sowie S. 35 zu Nr. 9). Diese Entscheidung des Gesetzgebers, der Stabilisierung der Zusatzbeiträge den Vorzug vor hohen Finanzreserven der Krankenkassen zu geben, ist nicht evident sachfremd. Dies gilt erst recht, wenn die konkrete finanzielle Situation der Klägerin im ersten Halbjahr 2020 betrachtet wird: Sie verfügte damals über Finanzreserven i.H.v. 110.621.994,16 €. Die Höhe der durchschnittlichen Monatsausgabe der Klägerin betrug 137.407.412,41 €. Auf dieser Grundlage erfüllte sie bereits annähernd die Vorgabe des § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F., da ihre Finanzreserven 80,51 Prozent der durchschnittlichen Monatsausgabe ausmachten. Von diesen Finanzreserven hatte sie im Rahmen des Finanzausgleichs 2021 einen Betrag i.H.v. 36.790.618,30 € abzuführen, so dass ihr noch Finanzreserven i.H.v. 73.831.375,86 € verblieben (bei einer Mindestreserve nach § 261 Abs. 2 Satz 2 SGB V i.H.v. 27.481.482,48 € bzw. nach ihrer Satzung i.S.d. § 261 Abs. 2 Satz 1 SGB V i.H.v. 41.222.223,72 €). Dass ihr bei dieser finanziellen Situation sämtliche Investitionen versagt bzw. unmöglich gewesen wären, ist nicht ersichtlich. Auch der weitere Vollzug des Kaufvertrages über den Erwerb der Immobilie durch die Überweisung des restlichen Kaufpreises i.H.v. 2,8 Mio. € war nicht gefährdet.

 

Schließlich liegt auch bei der Berücksichtigung solcher Rückstellungen, die am 30.06.2020 bereits verbindlich für Investitionen in (geschütztes) Verwaltungsvermögen nach § 263 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB V a.F. verplant waren, kein Verstoß gegen das Willkürverbot vor. Mittel i.S.d. § 259 SGB V sind sämtliche wirtschaftlich einsetzbaren Güter der Krankenkassen (Baierl in jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 259 (Stand: 23.06.2023) Rn. 47). Bereits aus dem Gesetzeswortlaut des § 263 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. wird deutlich, dass Rückstellungen diejenigen Geldmittel sind, die zur Anschaffung und Erneuerung der Vermögensteile nach Nr. 1 und für künftig zu zahlende Versorgungsbezüge der Bediensteten und ihrer Hinterbliebenen bereitgehalten werden. Rückstellungen i.S.d. Alt. 1 haben somit von vornherein den Zweck, in Vermögensteile nach Nr. 1 investiert zu werden. Auch durch den Begriff „Rückstellungen“ wird verständlich zum Ausdruck gebracht, dass die Krankenkassen Mittel aus den laufenden Einnahmen für zukünftige Ausgaben ansammeln bzw. zurückstellen (Baierl/Deprins in jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 263 (Stand: 20.06.2024) Rn. 24). Es kommt hierbei nicht darauf an, ob ein entsprechender (konkreter) Investitionsbedarf erkennbar ist (vgl. Baierl/Deprins in jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 263 (Stand: 20.06.2024) Rn. 25). Selbst wenn ein konkreter Investitionsbedarf besteht und bestimmte Rückstellungen verbindlich für diese Investition verplant sind, so dass bereits eine entsprechende Zahlungsverpflichtung der Krankenkasse vorliegt, handelt es sich bei den Rückstellungen weiterhin um Verwaltungsvermögen nach § 263 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V a.F. Diese Zuordnung gilt ebenso im Rahmen des Finanzausgleichs 2021 für die Ermittlung der Finanzreserven nach § 272 Abs. 1 Satz 1 SGB V i.V.m. § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. Soweit die Klägerin der Auffassung ist, es sei bei der Bestimmung eines Stichtages allein vom Zufall abhängig, ob die Finanzmittel bereits in Immobilien dinglich gebunden oder zwar buchmäßig noch vorhanden, tatsächlich aber verbindlich verplant gewesen seien, ergibt sich hieraus kein anderes Ergebnis. Dem Gesetzgeber ist es nicht verwehrt, zur Regelung bestimmter Lebenssachverhalte Stichtagsregelungen einzuführen, obwohl jeder Stichtag unvermeidbar gewisse Härten mit sich bringt (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 20.04.2011 – 1 BvR 1811/08 –, Rn. 7 m.w.N, juris). Die verfassungsrechtliche Prüfung von Stichtagsregelungen muss sich darauf beschränken, ob der Gesetzgeber den ihm zustehenden Spielraum in sachgerechter Weise genutzt hat, insbesondere ob die Einführung des Stichtags überhaupt und die Wahl des Zeitpunkts am gegebenen Sachverhalt orientiert und damit sachlich vertretbar war. In besonderen Lagen können Übergangsregelungen geboten sein (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 24.02.2017 – 2 BvR 2524/16 –, Rn. 60 m.w.N., juris). Diesen verfassungsrechtlichen Vorgaben wird die Stichtagsregelung in § 272 Abs. 1 Satz 3 SGB V gerecht. Der Gesetzgeber hat danach in sachlich vertretbarer Weise auf die von den Krankenkassen für das erste Halbjahr 2020 nach Abschluss des zweiten Quartals 2020 – und damit zum Stichtag 30.06.2020 – vorgelegten vierteljährlichen Rechnungsergebnisse abgestellt, die der Spitzenverband Bund der Krankenkassen dem Bundesministerium für Gesundheit am 14.08.2020 übermittelt hat. Bei der Ermittlung einer bestimmten Höhe von Finanzmitteln ist die Anknüpfung an einen konkreten Stichtag zwingend notwendig. Auch die Wahl des Zeitpunkts (30.06.2020) ist sachgerecht. Der Gesetzgeber hat diesen Zeitpunkt bestimmt, um die – unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung (s.o.) – möglichst aktuelle finanzielle Leistungsfähigkeit der Krankenkassen zu berücksichtigen, ohne dass die maßgeblichen Parameter durch die einzelnen Krankenkassen vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens noch beeinflusst werden könnten (BT-Drs. 19/23483, S. 37). Diese Gründe für die Wahl des Stichtages orientieren sich an dem Sachverhalt, der mit § 272 SGB V geregelt wurde.

 

b) Auch ein Verstoß gegen das Rückwirkungsverbot liegt nicht vor. Der Senat lässt die Frage im Ergebnis offen, inwieweit sich die klagende Körperschaft des öffentlichen Rechts hierauf berufen oder das Rückwirkungsverbot zumindest als objektiver Teil der Rechtsordnung, des Rechtsstaatsprinzips, für den Rechtsstreit Geltung beanspruchen kann (siehe zum Meinungsstand: BSG, Urteil vom 12.12.2023 – B 1 KR 32/22 R –, Rn. 32, juris, m.w.N. sowie unter Verweis auf BVerwG, Urteil vom 14.07.2021 – 3 C 2/20 –, Rn. 22, juris, das die Frage ebenfalls im Ergebnis offengelassen hat, aber nach dem viel dafür spricht, dass das Rückwirkungsverbot auch für Kläger ohne Grundrechtsberechtigung gilt; vgl. auch BSG, Urteil vom 25.10.2016 – B 1 KR 11/16 R –, Rn. 26 m.w.N., juris, sowie BSG, Urteil vom 20.05.2014 – B 1 KR 2/14 R –, Rn. 22 ff., juris). Denn es liegt ein Fall der unechten Rückwirkung vor. Dessen verfassungsrechtliche Grenzen sind beachtet. Die Regelungen des § 272 Abs. 1 SGB V und ihre Anwendung in Form des Erlasses entsprechender Festlegungen für den Finanzausgleich 2021 verstoßen nicht gegen das rechtsstaatliche Rückwirkungsverbot (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG).

 

aa) Eine mit der Verfassung nicht vereinbare echte Rückwirkung ist entgegen der Ansicht der Klägerin nicht gegeben. Das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze beruht auf den im Rechtsstaatsprinzip und in den Grundrechten verankerten Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes (Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG). Es schützt das Vertrauen in die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter der Geltung des GG geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte (BVerfG <Kammer>, Nichtannahmebeschluss vom 07.10.2015 – 2 BvR 568/15 –, Rn. 14, juris; BVerfG <Kammer>, Nichtannahmebeschluss vom 11.08.2020 – 1 BvR 2654/17 –, Rn. 15, juris; BVerfG, Beschluss vom 10.02.2021 – 2 BvL 8/19 –, Rn. 140 m.w.N., juris). Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon für vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll, also eine „Rückbewirkung von Rechtsfolgen“ vorliegt. Eine solche echte Rückwirkung ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Demgegenüber ist von einer unechten Rückwirkung in Form einer „tatbestandlichen Rückanknüpfung“ auszugehen, wenn die belastenden Rechtsfolgen einer Norm erst nach ihrer Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits vor Verkündung „ins Werk gesetzten“ Sachverhalt ausgelöst werden (BVerfG, Beschluss vom 10.02.2021 – 2 BvL 8/19 –, Rn. 134 m.w.N., juris; BVerfG, Beschluss vom 25.03.2021 – 2 BvL 1/11 –, Rn. 53, juris). Im Falle der unechten Rückwirkung wirkt das Gesetz auf gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die Zukunft ein und entwertet damit zugleich Rechtspositionen nachträglich (BSG, Urteil vom 26.05.2021 – B 6 KA 8/20 R –, Rn. 26 m.w.N., juris; BSG, Urteil vom 20.05.2014 – B 1 KR 2/14 R –, Rn. 23, juris). Bei dieser Abgrenzung ist auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe (Verkündung) der Norm abzustellen (BSG, Urteil vom 26.05.2021 – B 6 KA 8/20 R –, Rn. 26 m.w.N., juris).

 

Die Regelung des § 272 Abs. 1 Satz 3 SGB V greift nicht nachträglich ändernd in einen abgeschlossenen, der Vergangenheit angehörenden Sachverhalt ein. Nicht das Zustandekommen des Kaufvertrages über die Immobilie durch Ausübung des Ankaufsrechts, wie die Klägerin meint, sondern die von den Krankenkassen für das erste Halbjahr 2020 vorgelegten vierteljährlichen vorläufigen Rechnungsergebnisse hinsichtlich ihrer Finanzreserven nach § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. stellen den maßgeblichen Anknüpfungspunkt für die Beurteilung der Rückwirkung dar. Zudem sollte die durch § 272 Abs. 1 und 2 SGB V geschaffene Rechtsfolge nicht bereits vor dem Zeitpunkt der Verkündung des GPVG (29.12.2020) gelten. Vielmehr sollten bestimmte Mittel aus den Finanzreserven der Krankenkassen erst im Jahr 2021 an den Gesundheitsfonds abgeführt werden. Damit regelt § 272 SGB V lediglich Rechtsverhältnisse für Zeiträume nach seiner Verkündung.

 

bb) Die Regelung des § 272 Abs. 1 Satz 3 SGB V bewirkt hingegen eine unechte Rückwirkung. Diese ist verfassungsrechtlich zulässig.

 

Die Vorschrift des § 272 SGB V wurde am 29.12.2020 verkündet und trat mit Wirkung zum 26.11.2020 in Kraft; hinsichtlich der im Rahmen des Tatbestandes (§ 272 Abs. 1 Sätze 1 und 2 SGB V) maßgeblichen Rechengrößen (Höhe der Finanzreserven und der durchschnittlichen Monatsausgaben der Krankenkassen) knüpft § 272 Abs. 1 Satz 3 SGB V an die zum Stichtag 30.06.2020, also vor der Verkündung des Gesetzes, gemeldeten vorläufigen Rechnungsergebnisse an. Auf die nach diesen vorläufigen Rechnungsergebnissen des laufenden Haushaltsjahres 2020 bestehenden Finanzreserven der Krankenkassen und damit auf einen nicht abgeschlossenen Sachverhalt wirkt der Finanzausgleich 2021 ein.

 

Eine solche unechte Rückwirkung ist nicht grundsätzlich unzulässig (st.Rspr.; vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.03.2021 – 2 BvL 1/11 –, Rn. 53, juris). Denn die Gewährung vollständigen Schutzes zugunsten des Fortbestehens der bisherigen Rechtslage würde den dem Gemeinwohl verpflichteten Gesetzgeber in wichtigen Bereichen lähmen und den Konflikt zwischen der Verlässlichkeit der Rechtsordnung und der Notwendigkeit ihrer Änderung im Hinblick auf einen Wandel der Lebensverhältnisse in nicht mehr vertretbarer Weise zulasten der Anpassungsfähigkeit der Rechtsordnung lösen. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht insbesondere nicht so weit, den Staatsbürger vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Soweit nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (BVerfG, Beschluss vom 25.03.2021 – 2 BvL 1/11 –, Rn. 53 m.w.N., juris). Der Gesetzgeber muss aber, soweit er für künftige Rechtsfolgen an bereits ins Werk gesetzte Sachverhalte anknüpft, dem verfassungsrechtlich gebotenen Vertrauensschutz in hinreichendem Maß Rechnung tragen. Die Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage sind abzuwägen. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt sein. Eine unechte Rückwirkung ist mit den Grundsätzen grundrechtlichen und rechtsstaatlichen Vertrauensschutzes daher nur vereinbar, wenn sie zur Förderung des Gesetzeszwecks geeignet und erforderlich ist und wenn bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens und dem Gewicht und der Dringlichkeit der die Rechtsänderung rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt (BVerfG, Beschluss vom 25.03.2021 – 2 BvL 1/11 –, Rn. 54, juris; BSG, Urteil vom 20.05.2014 – B 1 KR 2/14 R –, Rn. 23 m.w.N., juris). Ausgehend davon begegnen die Regelungen in § 272 Abs. 1 SGB V keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Entgegen der Auffassung der Klägerin liegt ein legitimer Zweck für die Rückwirkung vor. Allgemeines Ziel der Vorschrift des § 272 SGB V war die Stabilisierung des durchschnittlichen Zusatzbeitragssatzes nach § 242a SGB V im Jahr 2021 und damit eine gerechte Verteilung der Beitragsbelastung der Mitglieder verschiedener Krankenkassen, auch aufgrund der finanziellen Folgen der COVID-19-Pandemie für die GKV. Dazu sollten den Einnahmen des Gesundheitsfonds im Jahr 2021 einmalig rund acht Mrd. € zugeführt werden. Hierzu setzte die Regelung an die vierteljährlichen Rechnungsergebnisse der Krankenkassen für das erste Halbjahr des Jahres 2020 nach Abschluss des zweiten Quartals 2020 auf Basis der Statistik KV 45 an. Dadurch werde die – unter Berücksichtigung des Zwecks der Regelung – möglichst aktuelle finanzielle Leistungsfähigkeit der Krankenkassen berücksichtigt, ohne dass die maßgeblichen Parameter durch die einzelnen Krankenkassen vor Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens noch beeinflusst werden könnten (BT-Drs. 19/23483, S. 37). Zweck der Rückwirkung war somit zum einen die Gewährleistung, auf möglichst aktuelle Daten zu der Finanzlage der Krankenkassen zurückzugreifen. Zum anderen sollte eine eventuelle Beeinflussung der maßgeblichen Daten durch die Krankenkassen im laufenden Gesetzgebungsverfahren vermieden werden. Dies stellen sachlich begründete Zwecke dar.

 

Die mit § 272 Abs. 1 Satz 3 SGB V verbundene unechte Rückwirkung war zur Förderung dieser Zwecke geeignet und erforderlich. Mit der Regelung des § 272 SGB V sollte erreicht werden, dass Krankenkassen einen bestimmten Betrag an den Gesundheitsfonds abführen, der von der jeweiligen Höhe der Finanzreserven der einzelnen Krankenkasse und damit von ihrer jeweiligen finanziellen Leistungsfähigkeit abhängt (BT-Drs. 19/23483, S. 37). Daher war es nicht nur gerechtfertigt, sondern auch erforderlich, an konkrete und möglichst aktuelle Daten über die finanzielle Leistungsfähigkeit der Krankenkassen anzuknüpfen. Soweit die Klägerin anführt, der zweite genannte Zweck (Vermeidung einer Beeinflussung durch die Krankenkassen) habe eine Rückwirkung nicht erfordert, da eine solche Beeinflussung durch Krankenkassen fernliegend gewesen sei, ist ihr zwar zuzugestehen, dass die rechtlichen Regelungen zum Haushaltsrecht und zur Aufsicht durch das BAS eine solche Beeinflussung erschwert hätten. Es erscheint dennoch nicht ausgeschlossen, dass ein solches Risiko bestanden hätte, wenn spätere Daten, etwa die endgültigen Jahresrechnungsergebnisse 2020, herangezogen worden wären. Dieses Risiko, mag es auch gering gewesen sein, musste auf jeden Fall ausgeschlossen werden, um die allgemeinen Ziele des Finanzausgleichs 2021 zu erreichen. Zudem wäre bei einer Berücksichtigung der endgültigen Jahresrechnungsergebnisse 2020, die erst ab Januar 2021 vorgelegen hätten, das konkrete Zuweisungsvolumen zu dem Gesundheitsfonds für das Jahr 2021 nicht zu den erforderlichen Zeitpunkten bekannt gewesen. Die Beklagte hat zutreffend darauf hingewiesen, dass nach dem Zusammenspiel der Vorschriften in § 220 Abs. 2 SGB V und § 17 Abs. 2 und 4 RSAV u.a. die Höhe der voraussichtlichen Einnahmen des Gesundheitsfonds für das Jahr 2021 bis Mitte Oktober 2020 bekannt sein musste, um das mit der Einführung des § 272 SGB V allgemein beabsichtigte Ziel, die Generierung von Mehreinnahmen des Gesundheitsfonds i.H.v. acht Mrd. € zur (teilweisen) Deckung des zusätzlichen Finanzbedarfs im Jahr 2021 von 16,6 Mrd. €, zu erreichen. Um über diese Daten bereits Mitte Oktober 2020 verfügen zu können, war es nicht sachfremd, auf die vierteljährlichen Rechnungsergebnisse des ersten Halbjahrs nach der Statistik KV45 zurückzugreifen. Auch die Klägerin hat diesen Ausführungen der Beklagten in der Sache nicht widersprochen; sie ist lediglich der Auffassung, diese Erfordernisse stünden einer verfassungskonformen Auslegung nicht im Wege. Dies ist jedoch nicht der zutreffende verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkt, da es zunächst um die Frage geht, ob die mit § 272 SGB V verbundene unechte Rückwirkung für die Erreichung eines legitimen Gesetzeszwecks erforderlich ist. Die Frage, ob eine verfassungskonforme Auslegung geboten ist, stellt sich in diesem Zusammenhang (noch) nicht; sie würde erst dann relevant werden, wenn die Verfassungswidrigkeit der Vorschrift des § 272 SGB V bejaht würde. Gerade hieran fehlt es aber.

 

Bei einer Gesamtabwägung zwischen dem Gewicht des enttäuschten Vertrauens der Klägerin und dem Gewicht sowie der Dringlichkeit der die Einführung des § 272 SGB V rechtfertigenden Gründe gelangt der Senat zu der Überzeugung, dass die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt bleibt. Es ist der Klägerin zwar zuzugestehen, dass sie nach der vor der Verkündung des GPVG bestehenden Rechtslage nach § 260 Abs. 2a und 4 SGB V in der im Jahr 2020 geltenden Fassung zunächst darauf vertrauen durfte, ihre Finanzreserven erst ab dem Jahr 2023 auf die Obergrenze des § 260 Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. zurückführen zu müssen und dass dabei die Betriebsmittelreserve und die Rücklage, nicht aber die Rückstellungen berücksichtigt worden wären. Der verfassungsrechtliche Vertrauensschutz geht aber nicht so weit, den Einzelnen vor jeder Enttäuschung zu bewahren. Sofern nicht besondere Momente der Schutzwürdigkeit hinzutreten, genießt die bloß allgemeine Erwartung, das geltende Recht werde zukünftig unverändert fortbestehen, keinen besonderen verfassungsrechtlichen Schutz (st.Rspr.; vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 25.03.2021 – 2 BvL 1/11 –, Rn. 53, juris). Solche besonderen Momente der Schutzwürdigkeit der Klägerin in den unveränderten Bestand der Rechtslage sind hier nicht ersichtlich. Sie weist selbst darauf hin, dass der Gesetzgeber auch schon vor der Einführung des Finanzausgleichs 2021 bestimmte Mechanismen zu Finanzausgleichen zwischen Krankenkassen und zur Abschmelzung der Finanzmittel der Krankenkassen in Kraft gesetzt hat. Im Rahmen einer Berücksichtigung der Gemeinwohlbelange, die der Gesetzgeber mit der Einführung des § 272 SGB V verfolgte, müssen die Vertrauensschutzgesichtspunkte der Klägerin zurücktreten. Hierbei ist insbesondere die im damaligen Zeitpunkt – dem ersten Winter in der COVID-19-Pandemie – bestehende Finanzlage der GKV zu berücksichtigen, die nach den mit der COVID-19-Pandemie zusammenhängenden Mindereinnahmen und Mehrausgaben im Jahr 2021 einen Finanzbedarf i.H.v. 16,6 Mrd. € aufwies. Mit der hier streitigen Regelung des § 272 SGB V wollte der Gesetzgeber den daraus drohenden Folgen für die finanzielle Stabilität der GKV im Allgemeinen und die Stabilität der Zusatzbeiträge im Besonderen entgegenwirken. Von den Zusatzbeitragssätzen der Krankenkassen waren die ca. 70 Mio. gesetzlich Krankenversicherten und die Arbeitgeber unmittelbar betroffen (Minn, DB Beilage 2020, Nr. 4, 1, 16). In deren Interesse wurde mit § 272 SGB V ein kassenübergreifender Solidarausgleich geschaffen, um die Beitragsbelastung der Mitglieder verschiedener Krankenkassen gerecht zu verteilen. Wie dargelegt, war die mit § 272 Abs. 1 Satz 3 SGB V verbundene unechte Rückwirkung erforderlich, um diese Gesetzesziele zu erreichen, so dass die unechte Rückwirkung auch unter Berücksichtigung des verfassungsrechtlichen Grundsatzes des Vertrauensschutzes nicht zu beanstanden ist.

 

c) Schließlich verstößt die Vorschrift über den Finanzausgleich 2021 in § 272 SGB V nicht gegen Art. 87 Abs. 2 GG. Insbesondere ergibt sich aus Art. 87 Abs. 2 GG kein an den Gesetzgeber gerichtetes und diesen begrenzendes Gebot der selbstständigkeitssichernden Ausgestaltung der Sozialversicherungsträger.

 

aa) Nach Art 87 Abs. 2 GG werden als bundesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes diejenigen sozialen Versicherungsträger geführt, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes hinaus erstreckt (Satz 1). Davon abweichend werden soziale Versicherungsträger, deren Zuständigkeitsbereich sich über das Gebiet eines Landes, aber nicht über mehr als drei Länder hinaus erstreckt, als landesunmittelbare Körperschaften des öffentlichen Rechtes geführt, wenn das aufsichtsführende Land durch die beteiligten Länder bestimmt ist (Satz 2).

 

Regelungsgegenstand des Art. 87 Abs. 2 GG ist die föderale Organisation der Sozialversicherungen (Saurer in Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, 227. Lieferung, 10/2024, Art. 87 Rn. 124). Sofern sich der Bund für die Errichtung einer Sozialversicherung entscheidet, muss dies hinsichtlich der Organisationsstruktur zwingend nach den Maßgaben des Art. 87 Abs. 2 GG erfolgen. Art. 87 Abs. 2 GG ordnet die Sozialversicherungen der Organisationsform der bundes- bzw. landesunmittelbaren Körperschaften und damit der mittelbaren Staatsverwaltung zu. Charakteristisch für Organisationsformen der mittelbaren Staatsverwaltung ist dabei in Abgrenzung zur unmittelbaren Staatsverwaltung ihre rechtliche Verselbstständigung als eigenständige juristische Personen des öffentlichen Rechts (Saurer, a.a.O., Rn. 129).

 

Als reine Organisations- und Kompetenznorm enthält Art. 87 Abs. 2 GG zwar keine der kommunalen Selbstverwaltungsgarantie des Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG vergleichbare Garantie der sozialen Selbstverwaltung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 09.04.1975 – 2 BvR 879/73 –, Rn. 71, juris; BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 01.09.2000 – 1 BvR 178/00 –, Rn. 11, juris) und auch keine Bestandsgarantie für einzelne Sozialversicherungsträger und für das bestehende gegliederte System der GKV (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.07.2005 – 2 BvF 2/01 –, Rn. 147, juris). Allerdings bildet Art. 87 Abs. 2 GG gemeinsam mit Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 und Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG ein in sich geschlossenes verfassungsrechtliches Regelungssystem für die Organisation der Sozialversicherung und deren Finanzierung (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.07.2005 – 2 BvF 2/01 –, Rn 93, juris). Diesem liegt eine Systementscheidung für die Sozialversicherung mittels verselbstständigter Verwaltungseinheiten zugrunde (vgl. Axer, NZS 2017, 601, 606; BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 A 2/20 R –, Rn. 51, juris).

 

Art. 87 Abs. 2 GG schreibt für den Bereich der Sozialversicherung eine mittelbare Verwaltung vor; eine unmittelbare Verwaltung durch Bundesbehörden ist nicht zulässig (BVerfG, Beschluss vom 12.01.1983 – 2 BvL 23/81 –, Rn. 117 f., juris). Dies folgt aus der inhaltlichen Bestimmung des „Trägers“ der Sozialversicherung und der Beschränkung auf „Körperschaften“. Der Bund darf sich nicht selbst zum sozialen Versicherungsträger machen und er darf seinen eigenen (bundesunmittelbaren) Behörden auch über Art. 87 Abs. 3 GG keine Aufgaben der Sozialversicherung übertragen (BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 A 2/20 R –, Rn. 52 m.w.N., juris). Erforderlich ist zudem eine organisatorische und finanzielle Selbstständigkeit der Träger der Sozialversicherung im Sinne einer Verwaltungs- und Ertragskompetenz (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.07.2005 – 2 BvF 2/01 –, Rn. 94; BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 A 2/20 R –, Rn. 52 m.w.N., juris).

 

Die verfassungsrechtlich vorgegebene organisatorische Selbstständigkeit der Sozialversicherung setzt auch der Verwendung und dem Transfer von Mitteln der Sozialversicherung Grenzen. Die Legitimation der Beitragsbelastung beschränkt sich auf die Finanzierung im Binnensystem der Sozialversicherung. Sie erstreckt sich grundsätzlich nicht auf die Finanzierung von Leistungen an Dritte außerhalb der Sozialversicherung (BVerfG, Beschluss vom 22.05.2018 – 1 BvR 1728/12 –, Rn. 77, juris). Auch ein Transfer von Mitteln der Sozialversicherung setzt voraus, dass sie für Zwecke im Binnensystem der Sozialversicherung verwendet werden. Die erhobenen Geldmittel (Beiträge) dürfen allein zur Finanzierung der Aufgaben der Sozialversicherung eingesetzt werden; zur Befriedigung des allgemeinen Finanzbedarfs des Staats und seiner sonstigen Glieder stehen sie nicht zur Verfügung (BVerfG, a.a.O., Rn. 78 m.w.N., juris; Saurer in Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, 227. Lieferung, 10/2024, Art. 87 Rn. 135). Die Finanzmasse der Sozialversicherung ist tatsächlich und rechtlich von den allgemeinen Staatsfinanzen getrennt (BVerfG, Beschluss vom 08.04.1987 – 2 BvR 909/82 u.a. –, Rn. 99, juris; BVerfG Beschluss vom 18.07.2005 – 2 BvF 2/01 –, Rn. 101, juris). Die Sozialversicherungsbeiträge sollen wegen ihrer strengen Zweckbindung weder den Bund oder die Länder noch sonstige staatliche Aufgabenträger zu eigenverantwortlichen finanziellen Entscheidungen befähigen. Sie eröffnen keine haushaltspolitischen Entscheidungsspielräume. Es handelt sich für Bund und Länder vielmehr um Fremdgelder, die der eigenen Haushaltsgewalt entzogen sind. Ein Transfer von Sozialversicherungsbeiträgen zwischen einer Krankenkasse und der unmittelbaren Staatsverwaltung kommt nicht in Betracht (vgl. BVerfG, Beschluss vom 18.07.2005, a.a.O.; BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 A 2/20 R –, Rn. 53, juris).

 

Bei dem Begriff der Sozialversicherung, wie ihn Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 und Art. 120 Abs. 1 Satz 4 GG verwenden und er auch Art. 87 Abs. 2 GG zugrunde liegt, handelt es sich um einen weit gefassten „verfassungsrechtlichen Gattungsbegriff“, der alles umfasst, was sich der Sache nach als Sozialversicherung darstellt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.04.1987 – 2 BvR 909/82 u.a. –, Rn. 95, juris; BVerfG, Urteil vom 28.05.1993 – 2 BvF 2/90 –, Rn. 316, juris; BVerfG, Beschluss vom 22.05.2018 – 1 BvR 1728/12 –, Rn. 79, juris). Andererseits genügt es nicht, dass eine Regelung in irgendeiner Weise allgemein der „sozialen Sicherheit“ zugeordnet werden kann; vielmehr muss geprüft werden, ob dieses Ziel gerade auf dem spezifischen Weg der Sozialversicherung erreicht werden soll. Kennzeichnend sind insbesondere die gemeinsame Deckung eines möglichen, in seiner Gesamtheit schätzbaren Bedarfs durch Verteilung auf eine organisierte Vielheit, die organisatorische Durchführung durch selbstständige Anstalten oder Körperschaften des öffentlichen Rechts, die abzudeckenden Risiken und die Mittelaufbringung durch Beiträge der Beteiligten (st.Rspr., vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 22.05.2018, a.a.O., m.w.N.; BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 A 2/20 R –, Rn. 54, juris).

 

Bei der konkreten Ausgestaltung der Sozialversicherung kommt dem Gesetzgeber ein weitgehender Gestaltungsspielraum zu (vgl. etwa nur Saurer in Kahl/Waldhoff/Walter, Bonner Kommentar zum GG, 227. Lieferung, 10/2024, Art. 87 Rn. 140). Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 GG sind keine definitiven Aussagen über die materiellen Grenzen einer legislatorischen Erstreckung des Solidarprinzips zu entnehmen. Halten sich also gesetzgeberische Regelungen sachlich-gegenständlich im Kompetenzbereich Sozialversicherung, was beim SGB V und den zu überprüfenden Änderungsgesetzen der Fall ist, dann sind kompetenzrechtlich auch die zur Finanzierung getroffenen Regelungen des Beitrags- und des Finanzausgleichsrechts unbedenklich. Weitergehende Begrenzungen sind aus Kompetenzgründen weder erforderlich noch angezeigt (BVerfG, Beschluss vom 18.07.2005 – 2 BvF 2/01 –, Rn. 86, juris). Vom körperschaftlichen Status der Sozialversicherungsträger abgesehen (vgl. Art. 87 Abs. 2 GG) macht das GG dem Bundesgesetzgeber keine inhaltlichen Vorgaben zur organisatorischen Ausgestaltung der Sozialversicherung. Der Verfassung ist eine Garantie des bestehenden Systems der Sozialversicherung oder seiner tragenden Organisationsprinzipien nicht zu entnehmen. Es besteht weder ein Änderungsverbot noch ein Gestaltungsgebot. Danach wäre es mit dem GG grundsätzlich zu vereinbaren, wenn der Bundesgesetzgeber sämtliche Träger der GKV zusammenfasste und den nunmehr einzigen Träger nach Art. 87 Abs. 2 GG als bundesunmittelbare Körperschaft des öffentlichen Rechts organisierte. Damit aber vollzöge sich ein zeitlich unbegrenzter, vollständiger Lastenausgleich von selbst. Wenn eine solche Regelung verfassungsrechtlich unbedenklich wäre, dann dürfen jedenfalls auch die Lasten einzelner Sozialversicherungsträger in gewissem Umfang auf andere Sozialversicherungsträger und deren Mitglieder verlagert werden (BVerfG, Beschluss vom 18.07.2005 – 2 BvF 2/01 –, Rn. 95, juris). Ein (finanz-)verfassungsrechtlicher Bestandsschutz für das überkommene gegliederte System der GKV ergibt sich aus den Vorschriften des Art. 74 Abs. 1 Nr. 12 und Art. 87 Abs. 2 GG nicht (BVerfG, Beschluss vom 18.07.2005 – 2 BvF 2/01 –, Rn. 96, juris).

 

bb) Die Vorschrift über den Finanzausgleich 2021 in § 272 SGB V bewegt sich in diesem Kompetenzrahmen.

 

Die Vorschrift des § 272 SGB V greift nicht in die Organisationsstruktur der GKV ein. Mit dieser Vorschrift werden keine Aufgaben der GKV auf bundesunmittelbare Behörden übertragen. Die Erfüllung der Aufgaben der GKV als Teil der Sozialversicherungen verbleibt bei den gesetzlichen Krankenkassen.

 

§ 272 SGB V ist Teil der Regelung der Finanzierung der GKV. Der Finanzausgleich 2021 dient – ebenso wie der RSA – nicht zuletzt der Verteilung des primären Beitragsaufkommens der Krankenkassen. Mitglieder einer bestimmten Krankenkasse haben mit ihren Beiträgen nicht nur die Aufgaben der eigenen Kasse, sondern, wenn Ausgleichspflichten im Sinne des § 272 SGB V bestehen, auch Aufgaben anderer Kassen mit zu finanzieren. Eines der vom Finanzausgleich verfolgten Hauptziele, nämlich die Stabilisierung des Zusatzbeitragssatzes und damit die Herstellung einer gerechteren Beitragsbelastung der Versicherten (vgl. Begründung des Gesetzentwurfs BT-Drs. 19/23483, S. 37), stellt ebenfalls den unmittelbaren Bezug zur Finanzierung der GKV her (vgl. ebenso zum RSA BVerfG, Beschluss vom 18.07.2005 – 2 BvF 2/01 –, Rn. 84, juris). Die Vorschrift des § 272 SGB V bewirkt lediglich – wenn auch in finanziell erheblichem Maß – einen internen Finanztransfer zwischen den gesetzlichen Krankenkassen. Ein Finanztransfer von Beitragsmitteln in den Staatshaushalt zur Finanzierung der allgemeinen Staatsaufgaben (vgl. dazu BSG, Urteil vom 18.05.2021 – B 1 A 2/20 R –, Rn. 63, juris) erfolgt gerade nicht. Die aus Art. 87 Abs. 2 GG folgende Trennung der Sozialversicherungsträger von der sonstigen Finanzverfassung bleibt somit aufrechterhalten.

 

Mit der Einführung des Finanzausgleichs für das Jahr 2021 hat der Gesetzgeber seinen weiten sozialpolitischen Gestaltungsspielraum, der ihm für die Organisation der Sozialversicherungen zukommt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.05.2018 – 1 BvR 1728/12 –, Rn. 87, juris), nicht überschritten. Wie ausgeführt, kann er sich sowohl für die Einführung des Finanzausgleichs 2021 als auch für die Wahl des Stichtags (30.06.2020) auf sachliche Gründe stützen. Sofern die Einführung des Finanzausgleichs 2021 bzw. die Begründung für den Gesetzentwurf inhaltlich kritisiert und zumeist – da der Anstieg der GKV-Ausgaben im Rahmen der COVD-19-Pandemie insbesondere durch versicherungsfremde Leistungen verursacht worden sei – anstelle des Finanzausgleichs ein höherer Bundeszuschuss verlangt wurde (vgl. etwa Becker in jurisPK-SGB V, 4. Aufl. 2020, § 272 1. Überarbeitung (Stand: 01.02.2021), Rn. 3; Minn, DB Beilage 2020, Nr. 4, 1, 16; Platzer, Welt der Krankenversicherung 2021, 4, 5, 7 f.), handelt es sich um eine politische Auseinandersetzung, mit der Entscheidungen des Gesetzgebers in der Gesundheitspolitik im Allgemeinen sowie im Umgang mit der Pandemie im Besonderen kritisiert und gesetzgeberische Maßnahmen sowie Strukturreformen gefordert werden (vgl. dazu Storm/Störtefalke, Welt der Krankenversicherung 2021, 268, 270 ff.; Hermann, GSP 2021, 37, 40: „finanzpolitisches Desaster“ und „struktureller Absentismus“). Diese kritischen Stimmen setzen ihre Überzeugung, wie die aktuellen Probleme in der GKV gelöst werden sollten und insbesondere die Finanzierung langfristig stabilisiert werden sollte, an die Stelle des Gesetzgebers. Dem entgegen steht der dem Gesetzgeber durch das BVerfG eingeräumte weite Gestaltungspielraum in der sozialpolitischen Gesetzgebung. Diesem Gestaltungsspielraum ist es immanent, dass dem Gesetzgeber regelmäßig verschiedene Lösungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen werden. Für den gewählten Lösungsweg ist der Gesetzgeber gehalten, sich im verfassungsrechtlichen Rahmen zu bewegen und sachliche Gründe anzugeben, die diesen Lösungsweg tragen. Das ist hier für die Gründe, die der Gesetzgeber für den Finanzausgleich 2021 angeführt hat, gegeben.

 

cc) Art. 87 Abs. 2 GG enthält kein an den Gesetzgeber gerichtetes und diesen begrenzendes Gebot der selbstständigkeitssichernden Ausgestaltung der Sozialversicherungsträger.

 

Soweit vereinzelt die Auffassung vertreten wird, dass sich aus Art. 87 Abs. 2 GG ein Gebot der selbstständigkeitssichernden Ausgestaltung der Sozialversicherungsträger ergebe, das durch § 272 SGB V verletzt worden sei (vgl. dazu Rixen, SGB 2022, 581 ff.), ist dieser Argumentation nicht zu folgen.

 

Es ist zwar zutreffend, dass aus Art. 87 Abs. 2 GG eine organisatorische und finanzielle Selbstständigkeit der Träger der Sozialversicherung folgt. Nach st.Rspr. des BVerfG und des BSG lässt sich aus dieser Feststellung aber keine Aussage über den Grad und Inhalt sowie die Schutzrichtung dieser Selbstständigkeit treffen. Die Fragen betreffend Maß, Umfang und Inhalt der Sozialversicherung und deren Selbstverwaltung werden nicht auf der verfassungsrechtlichen Ebene behandelt, sondern durch den einfachen Gesetzgeber ausgestaltet. Die Selbstständigkeit der gesetzlichen Krankenkassen basiert auf einfach-rechtlicher Ebene (BVerfG, Beschluss vom 18.07.2005 – 2 BvF 2/01 –, Rn. 147, juris). Zu der Ausgestaltung und Organisation der gesetzlichen Krankenkassen hat der einfache Gesetzgeber einen weitreichenden sozialpolitischen Gestaltungsspielraum (vgl. etwa BVerfG, Beschluss vom 08.02.1994 – 1 BvR 1237/85 –, Rn. 40 f., juris; BVerfG, Beschluss vom 18.07.2005 – 2 BvF 2/01 –, Rn. 148, juris). Sozialpolitische Entscheidungen des Gesetzgebers sind hinzunehmen, solange seine Erwägungen weder offensichtlich fehlsam noch mit der Wertordnung des GG unvereinbar sind (BVerfG, Beschluss vom 09.06.2004 – 2 BvR 1248/03 –, Rn. 32, juris). Diese verfassungsrechtlichen Grenzen sind jedoch – wie ausgeführt – betreffend die Einführung des Finanzausgleichs 2021 eingehalten worden.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 1 VwGO.

 

Der Senat misst dem Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung bei und hat daher die Revision zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).

 

Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 197a Abs. 1 Satz 1 Halbsatz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 1, 3 und 4 Nr. 2 GKG.

Rechtskraft
Aus
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