Auf die Beschwerde der Kläger wird der Beschluss des Sozialgerichts Halle vom 11. November 2024 aufgehoben und den Klägern wird für den ersten Rechtszug Prozesskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt L. bewilligt.
Gründe:
I.
Die sechs Kläger begehren Prozesskostenhilfe (PKH) für ein erstinstanzliches Klageverfahren vor dem Sozialgericht (SG) H. In der Sache wenden sie sich gegen die Rücknahme der Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für die Zeit von Januar bis Mai 2022 und darauf beruhende Erstattungsforderungen.
Die Kläger bezogen als Bedarfsgemeinschaft Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts vom Beklagten. Bei der Ermittlung der Leistungshöhe berücksichtigte dieser bis Ende 2021 u.a. Erwerbseinkommen der Klägerin zu 2. aus einer Tätigkeit beim L. M. Sachsen-Anhalt e.V. (LXXXX e.V.). Dem lag ein bis zum 31. Dezember 2021 befristetes Arbeitsverhältnis zugrunde.
Unter dem 1. Dezember 2021 beantragten die Kläger die Weiterbewilligung der Leistungen ab Januar 2022. Im Antragsformular gaben sie u.a. an, dass die Klägerin zu 2. Einkommen aus einer Erwerbstätigkeit beim LXXXX e.V. erziele.
Am 8. Dezember 2021 schloss die Klägerin zu 2. mit dem LXXXX e.V. einen neuen befristeten Arbeitsvertrag für die Zeit vom 1. Januar bis zum 30. Juni 2022 mit einem vereinbarten monatlichen Bruttoentgelt von 2.288,37 €.
Mit Bescheid vom 8. Dezember 2021, für die Zeit ab März 2022 geändert durch Bescheid vom 16. Februar 2022 (wegen der Berücksichtigung eines verlängerten Aufenthaltstitels der Klägerin zu 2.), bewilligte der Beklagte den Klägern Leistungen für das Jahr 2022 in Höhe von insgesamt 2.097,22 € pro Monat. Einkommen aus der Erwerbstätigkeit der Klägerin zu 2. berücksichtigte er dabei nicht, weil er aufgrund der ihm bekannten Befristung des Arbeitsvertrages davon ausging, die Tätigkeit habe Ende 2021 geendet.
Im Juli 2022 hörte der Beklagte die Kläger zur Überzahlung für den Leistungszeitraum von Januar bis Mai 2022 wegen des Einkommens der Klägerin zu 2. an. Diese habe die Verlängerung ihres Arbeitsverhältnisses erst am 12. Mai 2022 bei einem telefonischen Beratungsgespräch mit ihrer Integrationsfachkraft bekanntgegeben. Dazu äußerten die Kläger sich nicht.
Daraufhin erließ der Beklagte mit Datum vom 15. September 2022 zwei Rücknahme- und Erstattungsbescheide an den Kläger zu 1. und die Klägerin zu 2. (an diese zugleich als gesetzlicher Vertreterin der Kläger zu 3. bis 6.). Insgesamt forderte er die Erstattung von 6.869,87 €. Die Rücknahmeentscheidung stützte er auf § 40 Abs. 2 Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (jetzt: Bürgergeld, Grundsicherung für Arbeitsuchende; SGB II) in Verbindung mit § 330 Abs. 2 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB III) und § 45 Abs. 1, Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 und Nr. 3 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X). Die fehlerhafte Bewilligung sei erfolgt, weil die Kläger zumindest grob fahrlässig unvollständige Angaben gemacht hätten. Dem Weiterbewilligungsantrag habe nämlich keine Mitteilung über die Verlängerung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin zu 2. beigelegen. Entsprechende Nachweise seien auch im Nachgang erst nach Aufforderung erbracht worden. Zudem sei den Klägern die Fehlerhaftigkeit der Bewilligung bekannt gewesen. Sie hätten erkennen können, dass ihnen Leistungen in der bewilligten Höhe nicht zugestanden hätten.
Am 17. Oktober 2022 erhoben die Kläger Widerspruch gegen die beiden Bescheide. Diesen begründeten sie damit, dass für sie nicht ersichtlich gewesen sei, dass das Einkommen fehlerhaft in Ansatz gebracht worden sei. Die Klägerin zu 2. habe ihre Beschäftigung beim LXXXX e.V. mit dem Weiterbewilligungsantrag vom 1. Dezember 2021 dargelegt. Sie habe auch sämtliche Lohnabrechnungen zur Akte gereicht. Der Beklagte habe also Kenntnis von diesem Umstand gehabt. Insofern erschließe sich nicht, wie dies trotz der mit Änderungsbescheid vom 16. Februar 2022 erfolgten Neubescheidung habe übersehen werden können. Sie seien davon ausgegangen, dass die Berechnung der Leistungen nicht zu beanstanden sei. Die gelte insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Klägerin zu 2. für eine gemeinnützige Einrichtung arbeite.
Mit zwei Korrekturbescheiden vom 16. Juni 2023 reduzierte der Beklagte den Umfang der Rücknahme und der Erstattungsforderungen aufgrund geänderter Berechnungsmodalitäten, nunmehr aber zusätzlich unter Berücksichtigung des Bezuges von Kinderkrankengeld geringfügig (nunmehr insgesamt 6.769,33 €). Mit Widerspruchsbescheid vom 21. Juni 2023 wies er den Widerspruch im Übrigen zurück. Dabei ging er ausführlich auf die von den Klägern geltend gemachten Vertrauensschutzerwägungen ein und führte u.a. aus, das von den Klägern vorgebrachte Argument, dass er selbst seinen Fehler im Rahmen eines anderen Widerspruchsverfahrens (das zum Bescheid vom 16. Februar 2022 geführt hat) nicht bemerkt habe, könne nicht zu ihren Gunsten zählen. Im Rahmen einer Massenverwaltung passierten eben auch manchmal Fehler. § 45 SGB X diene gerade dazu, diese zu korrigieren. Auch seien die maßgeblichen Einkommensunterlagen erst im Juni 2022 eingereicht worden. Selbst wenn diese früher vorgelegen hätten, wäre doch fragwürdig, weshalb bis Ende 2021 Einkommen berücksichtigt worden sei, danach aber nicht mehr. Dann hätten die Kläger nachfragen müssen.
Am 17. Juli 2023 haben die Kläger beim SG unter Vorlage des Widerspruchsbescheids Klage erhoben. Für das Verfahren haben sie PKH beantragt. Das SG hat die Verwaltungsakten des Beklagten beigezogen.
Während des Klageverfahrens hörte der Beklagte die Kläger wegen einer weiteren Überzahlung im streitigen Zeitraum an, weil der Kläger zu 1. Kindergeld für ein weiteres Kind bezogen habe. Entsprechende Rücknahmeentscheidungen und Erstattungsforderungen ergingen mit Bescheiden vom 13. Mai 2024 (Rechtsmittelbelehrung: „Gegenstand des Klageverfahrens [§ 96 Sozialgerichtsgesetz – SGG]“), wurden aber mit Bescheiden vom 30. Oktober 2024 wieder zurückgenommen.
Mit Beschluss vom 11. November 2024 hat das SG den PKH-Antrag der Kläger abgelehnt, weil diese ihre Klage trotz mehrmaliger Erinnerung nicht begründet hätten. Ohne die Angabe konkreter Anhaltspunkte sei das Gericht nicht verpflichtet, ins Blaue hinein zu ermitteln und zu erraten, ob und warum sich ein Anspruch dem Grunde oder der Höhe nach anders darstellen könnte. Der Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten der Kläger am 12. November 2024 zugestellt worden.
Mit ihrer am 29. November 2024 eingelegten Beschwerde verfolgen die Kläger ihr Begehren weiter. Sie berufen sich auf Vertrauensschutz und machen geltend, sie hätten dem Beklagten sämtliche Einkommensbeträge gemeldet. Die Beschäftigung der Klägerin zu 2. sei bereits im Weiterbewilligungsantrag vom 1. Dezember 2021 angeführt worden. Die weiteren Nachweise und Mails befänden sich nicht in dem von ihrem Prozessbevollmächtigten eingesehen Band der Verwaltungsakte, würden aber noch eruiert. Außerdem habe ihre Klage bereits erheblichen Erfolg gehabt, weil der Beklagte die Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 13. Mai 2024 wieder zurückgenommen habe.
Der Senat hat die Prozessakte des SG samt PKH-Beiheft und die Verwaltungsakte des Beklagten beigezogen.
II.
Die statthafte und auch im Übrigen zulässige Beschwerde ist begründet. Das SG hat die Gewährung von PKH zu Unrecht abgelehnt.
Nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 Zivilprozessordnung (ZPO) ist auf Antrag PKH zu bewilligen, soweit der Antragsteller nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht, nur zum Teil oder nur in Raten aufbringen kann, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung oder verteidigung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Als hinreichend sind die Erfolgsaussichten eines Rechtsmittels einzuschätzen, wenn der Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gewiss, die Erfolgschance jedoch nicht nur eine entfernte ist (vgl. Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 13. März 1990 – 2 BvR 94/88 – juris Rn. 26). PKH kommt hingegen nicht in Betracht, wenn ein Erfolg in der Hauptsache zwar nicht gänzlich ausgeschlossen, die Erfolgschance aber nur eine entfernte ist (vgl. BVerfG, Beschluss vom 1. April 2015 – 2 BvR 3058/14 – juris Rn. 20; Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 17. Februar 1998 – B 13 RJ 83/97 R – juris Rn. 26). Hängen die Erfolgsaussichten der Rechtsverfolgung von einer Beweisaufnahme ab, ist die Gewährung von PKH in der Regel geboten, wenn nicht konkrete und nachvollziehbare Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie mit großer Wahrscheinlichkeit zum Nachteil des Antragstellers ausgehen würde (vgl. BVerfG, Beschluss vom 28. Oktober 2019 – 2 BvR 1813/18 – juris Rn. 27).
Bei der Prüfung der Erfolgsaussichten ist zu berücksichtigen, dass es nach § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO dem Antragsteller obliegt, das Streitverhältnis unter Angabe der Beweismittel darzustellen. Daraus folgt, dass die Bewilligung von Prozesskostenhilfe auch im sozialgerichtlichen Verfahren grds. eine substantiierte Darstellung des Streitverhältnisses voraussetzt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 14. April 2010 – 1 BvR 362/10 – juris Rn. 15). Erfolgsaussichten können sich allerdings im Einzelfall auch schon aus den mit dem PKH-Antrag bzw. der Klage vorgelegten angegriffenen Bescheiden ergeben (vgl. Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. Mai 2014 – L 13 AS 491/14 B – juris Rn. 13; zur Berücksichtigung des aus der vorliegenden Verwaltungsakte bekannten Widerspruchsvorbringens siehe LSG B.-B., Beschluss vom 8. Mai 2020 – L 14 AS 530/20 B PKH – juris Rn. 7).
Nach diesen Maßgaben hat die Klage hinreichende Aussicht auf Erfolg. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Prüfung der Erfolgsaussicht ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Bewilligungsreife, also der Zeitpunkt, zu dem der Antragsteller das Sach- und Streitverhältnis dargestellt (§ 117 Abs. 1 Satz 2 ZPO) und eine Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse vorgelegt und die entsprechenden Belege beigefügt hat (§ 117 Abs. 2 ZPO) und der Gegner die Gelegenheit zur Stellungnahme hatte (§ 118 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Im Beschwerdeverfahren ist allerdings der Sach- und Streitstand zur Zeit der Beschwerdeentscheidung maßgeblich, so dass neuer Sachvortrag noch berücksichtigt werden kann (vgl. Schultzky in: Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 127 Rn. 35, 39). Deshalb kann auch eine sich zwischen dem Zeitpunkt der Bewilligungsreife und dem Zeitpunkt der Entscheidung zugunsten des Antragstellers geänderte Sachlage berücksichtigt werden (vgl. Thüringer LSG, Beschluss vom 24. November 2005 – L 6 B 27/05 RJ – juris Rn. 21). Dem liegt der Gedanke der Prozessökonomie zugrunde. Denn dem antragstellenden Beteiligten stünde die Möglichkeit offen, einen weiteren Antrag auf PKH zu stellen und mit dem neuen Sachvortrag oder den neuen Tatsachen zu begründen. Vorliegend waren hinreichende Erfolgsaussichten allerdings schon zum Zeitpunkt der Klageerhebung zu erkennen. Das Vorbringen der Kläger im Beschwerdeverfahren bestätigt diese Erfolgsaussichten lediglich.
Die Erfolgsaussichten der Klage ergeben sich allerdings noch nicht daraus, dass der Beklagte seine zwischenzeitlich ergangenen Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 13. Mai 2024 wieder zurückgenommen hat, denn diese waren – entgegen ihrer Rechtsmittelbelehrungen – nicht Gegenstand des Verfahrens. Nach Klageerhebung wird ein neuer Verwaltungsakt gemäß § 96 Abs. 1 SGG nur dann Gegenstand des Klageverfahrens, wenn er nach Erlass des Widerspruchsbescheides ergangen ist und den angefochtenen Verwaltungsakt abändert oder ersetzt. Die neuen Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 13. Mai 2024 haben aber die streitgegenständlichen Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 15. September 2022 (in der Fassung der Korrekturbescheide vom 16. Juni 2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 21. Juni 2023) weder geändert noch ersetzt. Geändert im Sinne der Vorschrift wird ein Verwaltungsakt, wenn er teilweise aufgehoben und durch eine Neuregelung ersetzt wird; ersetzt wird ein Verwaltungsakt, wenn der neue Verwaltungsakt vollständig an seine Stelle tritt (vgl. BSG, Urteil vom 15. September 2016 – B 12 R 2/15 R – juris Rn. 15). Die Rücknahme- und Erstattungsbescheide vom 13. Mai 2024 sind aber lediglich neben die streitgegenständlichen vom 15. September 2022 getreten, ohne deren Verfügungssätze in irgendeiner Weise zu berühren.
Hinreichende Erfolgsaussichten ergeben sich aber daraus, dass hier ernsthaft in Betracht kommt, dass zugunsten der Kläger die vertrauensschützenden Regelungen des § 45 Abs. 2 SGB X greifen. Das ergibt sich nicht erst aus dem klägerischen Vorbringen im Beschwerdeverfahren, sondern war bereits bei Klageeingang ohne Weiteres zu erkennen. Dem mit der Klageschrift eingereichten Widerspruchsbescheid ist nicht nur eine ausführliche Darstellung des Sachverhalts zu entnehmen (einschließlich des Umstandes, dass die Kläger eine Tätigkeit der Klägerin zu 2. beim LXXXXA e.V. bereits in ihrem Weiterbewilligungsantrag angegeben haben). Dort wird auch referiert, dass die Kläger ihren Widerspruch darauf gestützt haben, sie hätten sämtliche Lohnabrechnungen regelmäßig zur Akte gereicht und sie hätten auf die Richtigkeit der Bewilligung vertraut. Der Beklagte setzt sich auf mehr als einer Seite ausführlich mit der Frage des Vertrauensschutzes auseinander. Damit lag bereits bei Klageerhebung auf der Hand, dass dieser Gesichtspunkt auch im Klageverfahren zu prüfen sein wird. Hier stellt sich zwar u.a. die Frage, ob die Kläger nicht zumindest deshalb als bösgläubig anzusehen sind, weil ihnen hätte auffallen müssen, dass sie trotz fortbestehenden Erwerbseinkommens nunmehr deutlich höhere Leistungen erhielten. Da aber sowohl § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X als auch Nr. 3 der Vorschrift von einem subjektiven Sorgfaltsmaßstab ausgehen, der auf die persönliche Einsichtsfähigkeit des Begünstigten abstellt (vgl. Schütze in: ders., SGB X, 9. Auflage 2020, § 45 Rn. 60; Padé in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB X, 3. Auflage, § 45 Rn. 91 [Stand: 23.04.2025]), wird voraussichtlich eine persönliche Anhörung jedenfalls der Klägerin zu 2. erforderlich sein. Es erscheint nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand zumindest nicht von vornherein völlig fernliegend, dass diese zu dem Ergebnis führen könnte, dass von einem schutzwürdigen Vertrauen der Kläger in die Leistungsbewilligung auszugehen ist.
Auch die persönlichen und wirtschaftlichen Voraussetzungen ratenfreier PKH liegen vor.
Die Beiordnung des Prozessbevollmächtigten der Kläger beruht auf § 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 121 Abs. 2 ZPO.
Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten (§ 73a Abs. 1 Satz 1 SGG in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO).