L 4 R 108/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
4.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 3 R 1089/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 4 R 108/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 6. Dezember 2022 aufgehoben und die Klage abgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind in beiden Rechtszügen nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer großen Witwenrente streitig.

Die 1958 geborene Klägerin, die im Jahr 2006 von ihrem früheren Ehemann geschieden wurde, ist Witwe des 1961 geborenen E1 S1 (Versicherter), der seit dem 1. September 2018 eine Rente wegen voller Erwerbsminderung von der Beklagten bezog. Am 4. Januar 2019 heirateten die Klägerin und der Versicherte während eines vollstationären Aufenthalts des Versicherten im Universitätsklinikum T1. Bereits sieben Tage später, am 11. Januar 2019, verstarb der Versicherte. Die Klägerin ist derzeit unverheiratet.

Die Klägerin und der Versicherte lebten seit 2012 als eheähnliche Lebensgemeinschaft in einer gemeinsamen Wohnung. Im Jahr 2013 übernahm der Versicherte gemeinsam mit der Klägerin eine Darlehensschuld der Klägerin über 30.000,00 €, damit diese den hälftigen Miteigentumsanteil ihres geschiedenen Ehemannes am gemeinsamen Haus der geschiedenen Eheleute übernehmen konnte. Nach Angaben der Klägerin sprachen sie und der Versicherte erstmals im Jahr 2013 oder 2014 über das Thema Hochzeit und vereinbarten zu heiraten. Rund zwei Wochen nach einem Familienausflug im Jahr 2013 oder 2014 fragte die Klägerin ihre Tochter, die Zeugin S2 H1, ob diese damit einverstanden wäre, wenn der Versicherte und die Klägerin heirateten. Im Februar 2018 erteilte der Versicherte der Klägerin eine General- und Vorsorgevollmacht (notarielle Urkunde vom 27. Februar 2018, Bl. 244 der Verwaltungsakte) und setzte sie testamentarisch zur Alleinerbin ein (notarielles Testament vom 27. Februar 2018, Bl. 52 der SG-Akte).

Bei dem Versicherten wurde zuvor im Jahr 2015 eine terminale dialysepflichtige Niereninsuffizienz bei familiären Zystennieren diagnostiziert. Ab dem 31. Januar 2018 wurde eine Hämodialysebehandlung durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt bestanden Folgeerkrankungen mit sekundärem Hyperparathyreoidismus, renaler Anämie, metabolischer Azidose, arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas permagna. Im Januar 2016 wurde der Versicherte zur Nieren- und Lebetransplantation gelistet. Am 25. September 2018 wurde in der interdisziplinären Transplantationskonferenz des Universitätsklinikums T1 festgestellt, dass der Versicherte von der Warteliste gestrichen werden sollte, da bei schwer reduziertem Allgemeinzustand eine Transplantabilität nicht mehr gegeben sei. Nach wiederholten stationären Krankenhausbehandlungen im Jahr 2018 wurde der Kläger am 23. Dezember 2018 notfallmäßig durch das Universitätsklinikum T1 aufgenommen. Eine Woche vor der Einweisung waren aufgrund von Hypertonie und einer Allgemeinzustandsverschlechterung keine Dialysen mehr möglich. Bei Aufnahme war der Versicherte nicht zu befragen. Es bestand eine Gastroenteritis mit großvolumigen, wässrigen Diarrhoen und Erbrechen. Am 29. Dezember 2018 wurde eine Infektion mit dem Bakterium Enterococcus faecium mit Resistenz gegen Linezolid in der Blutkultur festgestellt. Unter einer am 1. Januar 2019 begonnen antibiotischen Therapie besserte sich der Zustand des Versicherten, es zeigte sich aber eine verminderte Lebersyntheseleistung. Es bestand eine massive Sarkopenie, die durch nutrierende Maßnahmen mit Eiweißergänzung, Vitamin- und Spurenelementgaben kompensiert werden sollte. Der Zustand konnte zögerlich stabilisiert werden. Die Dialysebehandlung war zunehmend nur unter erschwerten Bedingungen durchführbar, wurde aber aufgrund des expliziten Lebenswunsches des Versicherten und der Klägerin vorerst fortgeführt. Es wurden außerdem Maßnahmen in Bezug auf die weitere häusliche Versorgung und Pflege getroffen. Nach weiterer Befundverschlechterung konnte die Dialyse nicht mehr durchgeführt werden und der Versicherte verstarb am 11. Januar 2019.

Am 9. April 2019 stellte die Klägerin bei der Beklagten einen Antrag auf Gewährung einer großen Witwenrente. Zur Heirat gab sie an, sie und der Versicherte seien seit sieben Jahren zusammen gewesen, ein Jahr davon habe sie ihn liebevoll gepflegt. Sie hätten schon lange vorgehabt zu heiraten. Da sie leider bislang noch nicht die Möglichkeit gehabt hätten, hätten sie dies im Krankenhaus nachgeholt. Die Entlassung sei für den 7. Januar 2019 geplant gewesen, der Zustand am 4. Januar 2019 sei gut gewesen. Der Versicherte sei plötzlich und unvermutet an akutem Leberversagen, Streptokokken und einer dadurch verursachten Sepsis verstorben. Die tödlichen Folgen einer Krankheit seien bei Eheschließung nach ärztlicher Auffassung nicht zu erwarten gewesen. Die Klägerin legte eine Bestätigung des Universitätsklinikums T1 – Sozialberatung und Entlassungsmanagement – vom 18. April 2019 vor, wonach die Entlassung des Versicherten zum 9. Januar 2019 geplant war.

Die Beklagte zog im Verfahren wegen Gewährung einer Erwerbsminderungsrente beigezogene Befundberichte bei und ließ sie sozialmedizinisch auswerten.

Mit Bescheid vom 5. Juni 2019 lehnte die Beklagte den Antrag auf Witwenrente ab, weil die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert habe. Die gesetzliche Vermutung, dass bei einer Ehedauer von unter einem Jahr Zweck der Eheschließung die Versorgung durch eine Hinterbliebenenrente sei, sei nicht widerlegt worden. Nach den vorliegenden Unterlagen sei zum Zeitpunkt der Eheschließung absehbar gewesen, dass eine vorhandene Krankheit innerhalb eines Jahres zum Tod führen würde.

Zur Begründung ihres hiergegen am 21. Juni 2019 eingelegten Widerspruchs trug die Klägerin vor, der Tod des Versicherten sei am Hochzeitstag nicht vorhersehbar gewesen. Die Beklagte zog weitere Behandlungsunterlagen des Universitätsklinikums T1, darunter den Bericht der Interdisziplinären Transplantationskonferenz vom 25. September 2018, den Bericht vom 9. Januar 2019, Berichte über konsiliarische psychiatrische Untersuchungen zur Feststellung der Geschäftsfähigkeit durch den E2 vom 28. Dezember 2018 und 4. Januar 2019 sowie die Dialyse- und Pflegeprotokolle für den Zeitraum 23. Dezember 2018 bis 11. Januar 2019 bei und veranlasste eine sozialmedizinische Stellungnahme. M1 vertrat in ihrer Stellungnahme vom 12. Januar 2021 die Auffassung, dass zum Zeitpunkt der Entscheidung zur Ehe am 28. Dezember 2018 nicht zu erwarten gewesen sei, dass der Versicherte mit der schwerwiegenden Erkrankung noch ein Jahr leben könnte. Es wäre sowohl möglich gewesen, dass der Versicherte kurzfristig versterbe als auch mit entsprechender Therapie noch länger überlebe, es habe aber nicht davon ausgegangen werden können, dass er noch ein Jahr zu leben gehabt hätte.

Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 7. April 2021 zurück. Die gesetzliche Annahme, dass eine Versorgungsehe vorliege, sei nicht widerlegt. Zum Zeitpunkt der Eheschließung habe die Dialysebehandlung nur noch unter erschwerten Bedingungen durchgeführt werden können. Am 3. Januar 2019 habe zudem eine lebensbedrohliche Infektion vorgelegen. Nach damaliger ärztlichen Aussage sei ein Ableben kurzfristig möglich gewesen. Am Tag der Eheschließung sei daher bereits absehbar gewesen, dass der Versicherte möglicherweise bald sterben werde.

Hiergegen erhob die Klägerin am 10. Mai 2021 Klage beim Sozialgericht Reutlingen (SG) und trug zur Begründung vor, zum Zeitpunkt der Eheschließung am 4. Januar 2019 sei nicht ersichtlich gewesen, dass der Versicherte kurzfristig versterben würde. Die gesetzliche Vermutungsregelung sei vorliegend widerlegt. Die Eheleute seien sieben Jahre zuvor zusammen gewesen und sie habe den Versicherten liebevoll und umfassend gepflegt.

Die Beklagte trat der Klage entgegen.

Das SG vernahm im Rahmen eines Erörterungstermins am 3. Mai 2022 die Tochter der Klägerin, Frau S2 H1, als Zeugin; auf den Inhalt des Protokolls wird Bezug genommen (Bl. 21 ff. der SG-Akte).
 
Mit Urteil vom 6. Dezember 2022 hob das SG den Bescheid der Beklagten vom 5. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2021 auf und verpflichtete die Beklagte, der Klägerin eine Witwenrente aus der Versicherung des am 11. Januar 2019 verstorbenen E1 S1 zu gewähren. Die gesetzliche Vermutung einer Versorgungsehe werde vorliegend dadurch widerlegt, dass eine langjährige eheähnliche Partnerschaft zwischen dem Versicherten und der Klägerin bestanden habe, die nicht überwiegend auf Versorgungsgesichtspunkten, sondern auf einer starken inneren Verbundenheit zueinander basiert habe und der Entschluss zur Eheschließung schon im Jahr 2013 oder 2014 gefasst und nicht aufgegeben worden sei. Hinzu komme, dass die Klägerin nach ihren glaubhaften Angaben eine sehr religiöse Person sei und die Eheschließung für sie auch eine wichtige religiöse Bedeutung gehabt habe. Auch in Anbetracht der Gefahr des baldigen Ablebens des Versicherten hätten die schon lange bestehende innere Verbundenheit der Eheleute und auch die religiösen Motive der Eheschließung wenigstens gleichwertig neben etwaigen Versorgungsgesichtspunkten gestanden.

Gegen das ihr am 14. Dezember 2023 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 11. Januar 2023 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Die Klägerin habe die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe entgegen der Auffassung des SG nicht mit dem erforderlichen Vollbeweis widerlegt. Allein das Bestehen einer (auch langjährigen) Beziehung und einer inneren Verbundenheit reiche für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung nicht aus. Die Heirat müsse sich als konsequente Verwirklichung eines bereits vor Erlangung der Kenntnis von der lebensbedrohlichen Krankheit bestehenden Entschlusses darstellen. Für die Absicht der Eheschließung seien konkrete Vorbereitungsmaßnahmen erforderlich. Im vorliegenden Fall sei über die Absicht, eine Ehe zu schließen, „im Jahr 2013 oder 2014“ gesprochen worden. Wenn die Zeugin sich nicht an das konkrete Jahr erinnern könne, sei schon zweifelhaft, ob sich die im Rahmen der persönlichen Anhörung vorgetragenen Sachverhalte wie geschildert zugetragen hätten; insbesondere wenn es sich um ein relativ bedeutendes Lebensereignis handle. Es werde auch nicht von einer Verlobung gesprochen, woraus sich regelmäßig weitere konkrete Vorbereitungen für eine Hochzeit ergäben. So hätten weder die Zeugin noch die Klägerin konkrete Vorbereitungen im weiteren zeitlichen Verlauf nennen oder diese mit entsprechenden Dokumenten nachweisen können. Auch die Aussage, dass das Thema Hochzeit später immer mal wieder aufgekommen sei, deute nicht darauf hin, dass die Klägerin und der Verstorbene konkrete Hochzeitspläne gehabt hätten. Vielmehr spreche alles für unkonkrete Planungen. Laut der Heiratsurkunde sei die Klägerin katholischer und der Verstorbene evangelischer Konfession. Um die Treue und Dauerhaftigkeit des Zusammenlebens in gegenseitiger Verantwortung umzusetzen, heirateten religiöse Personen, besonders mit christlichem Hintergrund, regelmäßig früher als – wie hier –im Rahmen einer kurzfristigen Trauung im Krankenhaus. Etwas Anderes könne in diesem Sinne nur gelten, wenn sich die Ehegatten nur kurze Zeit gekannt hätten. Damit sei dieses Argument nicht geeignet, die gesetzliche Vermutung zu widerlegen. Zur Erläuterung des christlichen Eheverständnisses legte die Beklagte das Essay „Die Ehe: evangelisch, katholisch, orthodox“ (https://konfessionskundliches-institut.de/essay/die-ehe-evangelisch-katholisch-orthodox/, abgerufen am 10. Januar 2023) vor. Nicht gegen den Versorgungszweck spreche außerdem, dass die Klägerin und der Verstorbene bereits seit etwa dem Jahr 2010 zusammenlebten. Denn einem langjährigen Zusammenleben „ohne Trauschein“ liege eine langjährige bewusste Entscheidung zu Grunde, eben nicht zu heiraten und damit nicht den vielfältigen gesetzlichen Regelungen, die für Eheleute gelten, zu unterliegen.



Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 6. Dezember 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

            die Berufung zurückzuweisen.

Sie verweist auf die Urteilsbegründung des SG und trägt ergänzend vor, es habe eine langjährige Liebesbeziehung vorgelegen, die von gegenseitiger Unterstützung geprägt gewesen sei. Ein Heiratsentschluss habe schon lange vorgelegen. Die Gründe für die Verzögerung der Eheschließung seien nachvollziehbar und plausibel. Eine Versorgung habe zu keinem Zeitpunkt im Vordergrund gestanden oder sei von den Eheleuten thematisiert worden.

Die Berichterstatterin hat am 13. Oktober 2023 einen Erörterungstermin durchgeführt; wegen der durch die Klägerin gemachten Angaben wird auf das Protokoll (Bl. 31 ff. der Senatsakte) Bezug genommen.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsakte und der Gerichtsakten beider Instanzen Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

1. Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 143 SGG statthafte Berufung der Beklagten, über die der Senat mit dem Einverständnis der Beteiligten gemäß § 124 Abs. 2 SGG ohne mündliche Verhandlung entschieden hat, ist auch im Übrigen zulässig. Die Berufung bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da die begehrte Witwenrente laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 5. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2021 (§ 95 SGG), mit dem die Beklagte den Antrag der Klägerin auf Gewährung einer großen Witwenrente aus der Versicherung des am 11. Januar 2019 verstorbenen Versicherten abgelehnt hat. Auf die dagegen von der Klägerin statthaft erhobene kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§§ 54 Abs. 1 und 4, 56 SGG) hat das SG die Beklagte mit Urteil vom 6. Dezember 2022 unter Aufhebung des Bescheids vom 5. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 7. April 2021 verurteilt, der Klägerin eine Witwenrente zu gewähren. Dagegen wendet sich allein die Beklagte mit ihrer Berufung.

3. Die Berufung ist begründet. Das SG hat der Klage zu Unrecht stattgegeben. Der Bescheid der Beklagten vom 5. Juni 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 7. April 2021 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Gewährung einer großen Witwenrente, weil der Anspruch nach § 46 Abs. 2a Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) ausgeschlossen ist.

a) Nach § 46 Abs. 2a SGB VI haben Witwen oder Witwer keinen Anspruch auf Witwenrente oder Witwerrente, wenn die Ehe nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, es sei denn, dass nach den besonderen Umständen des Falles die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen (zur Verfassungsmäßigkeit Bundessozialgericht <BSG>, Urteil vom 5. Mai 2009 - B 13 R 53/08 R - juris, Rn. 19 f; vgl. hierzu und auch im Folgenden LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25. April 2023 - L 11 R 235/22 - juris, Rn. 30 ff.). Wenn die Ehezeit vom Tag der standesamtlichen Trauung (hier: 4. Januar 2019) bis zum Tod des Ehegatten (hier: 11. Januar 2019) nicht mindestens ein Jahr gedauert hat, gilt die gesetzliche Vermutung, dass es alleiniger oder überwiegender Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen, es sich mithin um eine sog. Versorgungsehe gehandelt hat. Die entsprechende Rechtsfolge des Ausschlusses des Anspruchs auf Witwenrente tritt jedoch dann nicht ein, wenn „besondere Umstände“ vorliegen, aufgrund derer trotz der kurzen Ehedauer die Annahme nicht gerechtfertigt ist, dass es der alleinige oder überwiegende Zweck der Heirat war, einen Anspruch auf Hinterbliebenenversorgung zu begründen. Unter dem unbestimmten Rechtsbegriff der „besonderen Umstände“ werden alle äußeren und inneren Umstände des Einzelfalls angesehen, die auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen (BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 - B 13 R 55/08 R - juris Rn. 20 m.w.N.; BSG, Urteil vom 6. Mai 2010 - B 13 R 134/08 R - juris, Rn. 15 ff.; BSG, Beschluss vom 1. August 2019 - B 13 R 283/18 B - juris, Rn. 10). Dabei kommt es auf die (ggf. auch voneinander abweichenden) Beweggründe (Motive, Zielvorstellungen) beider Ehegatten an, es sei denn, dass der hinterbliebene Ehegatte den Versicherten bspw. durch Ausnutzung einer Notlage oder Willensschwäche zur Eheschließung veranlasst hat (BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 - B 13 R 55/08 R - juris, Rn. 20). Die Annahme des anspruchsausschließenden Vorliegens einer Versorgungsehe ist nur dann nicht gerechtfertigt, wenn die Gesamtbetrachtung und Abwägung der Beweggründe beider Ehegatten für die Heirat ergibt, dass die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe insgesamt gesehen den Versorgungszweck überwiegen oder zumindest gleichwertig sind (hierzu und zum Folgenden BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 – B 13 R 55/08 R – juris, Rn. 21 ff.). Es ist daher auch nicht zwingend, dass bei beiden Ehegatten andere Beweggründe als Versorgungsgesichtspunkte für die Eheschließung ausschlaggebend waren. Vielmehr sind die von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggründe in ihrer Gesamtbetrachtung auch dann noch als zumindest gleichwertig anzusehen, wenn nachweislich für einen der Ehegatten der Versorgungsgedanke bei der Eheschließung keine Rolle gespielt hat. Die Vorschrift des § 46 Abs. 2a SGB VI zwingt den Hinterbliebenen aber nicht, seine inneren Gründe für die Eheschließung oder die des verstorbenen Ehegatten zu offenbaren. Der hinterbliebene Ehegatte kann sich auch auf die Darlegung von äußeren (objektiv nach außen tretenden) Umständen beschränken, die seiner Ansicht nach auf einen von der Versorgungsabsicht verschiedenen Beweggrund für die Heirat schließen lassen. Ebenso bleibt es ihm unbenommen, keinerlei Auskünfte über den „Zweck der Heirat“ zu geben. Es soll nicht gegen seinen Willen zu einem Eingriff in seine Intimsphäre kommen, indem der Hinterbliebene genötigt wird, auch seine allerpersönlichsten, innersten Gedanken und Motive für die Eheschließung mit dem verstorbenen Versicherten mitzuteilen. Denn die gesetzestechnische Ausgestaltung des § 46 Abs. 2a SGB VI als Regel-/Ausnahmetatbestand verfolgt gerade den Zweck, die Träger der Rentenversicherung und die Sozialgerichte von der Ausforschung im Bereich der privaten Lebensführung zu entbinden. Maßgeblich sind jeweils die Umstände des konkreten Einzelfalls. Die vom hinterbliebenen Ehegatten behaupteten inneren Umstände für die Heirat sind zudem nicht nur für sich - isoliert - zu betrachten, sondern vor dem Hintergrund der im Zeitpunkt der jeweiligen Eheschließung bestehenden äußeren Umstände in die Gesamtwürdigung, ob die Ehe mit dem Ziel der Erlangung einer Hinterbliebenenversorgung geschlossen worden ist, mit einzubeziehen. Eine gewichtige Bedeutung kommt hierbei stets dem Gesundheits- bzw. Krankheitszustand des Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung zu. Ein gegen die gesetzliche Annahme einer Versorgungsehe sprechender besonderer (äußerer) Umstand i.S.d. § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI ist insbesondere dann anzunehmen, wenn der Tod des Versicherten, hinsichtlich dessen bisher kein gesundheitliches Risiko eines bevorstehenden Ablebens bekannt war, unvermittelt („plötzlich“ und „unerwartet“) eingetreten ist. Hingegen ist bei Heirat eines zum Zeitpunkt der Eheschließung offenkundig bereits an einer lebensbedrohlichen Krankheit leidenden Versicherten in der Regel der Ausnahmetatbestand des § 46 Abs. 2a Halbsatz 2 SGB VI nicht erfüllt. Jedoch ist auch bei einer nach objektiven Maßstäben schweren Erkrankung mit einer ungünstigen Verlaufsprognose und entsprechender Kenntnis der Ehegatten der Nachweis nicht ausgeschlossen, dass dessen ungeachtet (überwiegend oder zumindest gleichwertig) die Eheschließung aus anderen als aus Versorgungsgründen erfolgte. Allerdings müssen dann bei der abschließenden Gesamtbewertung diejenigen besonderen (inneren und äußeren) Umstände, die gegen eine Versorgungsehe sprechen, umso gewichtiger sein, je offenkundiger und je lebensbedrohlicher die Krankheit eines Versicherten zum Zeitpunkt der Eheschließung gewesen war. Dementsprechend steigt mit dem Grad der Lebensbedrohlichkeit einer Krankheit und dem Grad der Offenkundigkeit zugleich der Grad des Zweifels an dem Vorliegen solcher vom hinterbliebenen Ehegatten zu beweisenden besonderen Umstände, die von diesem für die Widerlegung der gesetzlichen Annahme („Vermutung“) einer Versorgungsehe bei einem Versterben des versicherten Ehegatten innerhalb eines Jahres nach Eheschließung angeführt werden. Die Widerlegung der Rechtsvermutung erfordert nach § 202 SGG i.V.m. § 292 Zivilprozessordnung (ZPO) den vollen Beweis des Gegenteils, wobei die objektive Beweislast der Rentenanspruchsteller trägt (BSG, Urteil vom 5. Mai 2009 - B 13 R 55/08 R - juris, Rn. 29; Bohlken in: jurisPK-SGB VI, 3. Aufl. 2021, § 46 Rn. 112).

b) Der Senat stellt nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung fest (§ 128 Abs. 1 SGG), dass von der Versorgungsabsicht abweichende Beweggründe für die Eheschließung am 4. Januar 2019 nicht nachgewiesen sind.

Vorliegend litt der Versicherte zum Zeitpunkt der Heirat am 4. Januar 2019 an einer offenkundig lebensbedrohlichen Erkrankung. Dies entnimmt der Senat insbesondere dem Bericht des Universitätsklinikums T1 vom 9. Januar 2019, den Notizen und Vermerken in den „Meona“-Dialyse- und Pflegeprotokollen des Universitätsklinikums T1 vom 23. Dezember 2018 bis 11. Januar 2019 und der Stellungnahme der M1 für den sozialmedizinischen Dienst der Beklagten vom 21. Januar 2021, welche im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden konnten (vgl. etwa BSG, Urteil vom 1. Juli 2014 - B 1 KR 29/13 R - juris, Rn. 19; BSG, Beschluss vom 14. November 2013 - B 9 SB 10/13 B - juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 - B 2 U 8/07 R - juris, Rn. 51; zur Heranziehbarkeit als gerichtliche Entscheidungsgrundlage: BSG, Beschluss vom 22. Dezember 2021 - B 5 R 175/21 B - juris, Rn. 7; Urteil vom 12. Dezember 2000 - B 3 P 5/00 R - juris, Rn. 13).

Bei dem Versicherten wurde im Jahr 2015 eine terminale dialysepflichtige Niereninsuffizienz bei familiären Zystennieren diagnostiziert. Ab dem 31. Januar 2018 wurde eine Hämodialysebehandlung durchgeführt. Zu diesem Zeitpunkt bestanden Folgeerkrankungen mit sekundärem Hyperparathyreoidismus, renaler Anämie, metabolischer Azidose, arterieller Hypertonie, Diabetes mellitus Typ 2 und Adipositas permagna. Im Januar 2016 wurde der Versicherte zur Nieren- und Lebetransplantation gelistet. Am 25. September 2018 wurde in der interdisziplinären Transplantationskonferenz des Universitätsklinikums T1 festgestellt, dass der Versicherte von der Warteliste gestrichen werden sollte, da bei schwer reduziertem Allgemeinzustand eine Transplantabilität nicht mehr gegeben sei. Nach wiederholten stationären Krankenhausbehandlungen im Jahr 2018 wurde der Kläger am 23. Dezember 2018 notfallmäßig durch das Universitätsklinikum T1 aufgenommen. Eine Woche vor der Einweisung waren aufgrund von Hypertonie und Allgemeinzustandsverschlechterung keine Dialysen mehr möglich. Bei Aufnahme war der Versicherte nicht zu befragen. Es bestand eine Gastroenteritis mit großvolumigen, wässrigen Diarrhoen und Erbrechen. Am 29. Dezember 2018 wurde eine Infektion mit Enterococcus faecium mit Resistenz gegen Linezolid in der Blutkultur festgestellt. Unter einer am 1. Januar 2019 begonnen antibiotischen Therapie besserte sich der Zustand des Versicherten, es zeigte sich aber eine verminderte Lebersyntheseleistung. Es bestand eine massive Sarkopenie, die durch nutrierende Maßnahmen mit Eiweißergänzung, Vitamin- und Spurenelementgaben kompensiert werden sollte. Zwar konnte der Zustand des Versicherten zögerlich stabilisiert werden, die Dialysebehandlung war aber zunehmend nur unter erschwerten Bedingungen durchführbar und wurde allein aufgrund des expliziten Lebenswunsches des Versicherten und der Klägerin vorerst fortgeführt. Die Klägerin und der Versicherte wurden bereits bei Aufnahme über die prinzipiell palliative Situation aufgeklärt und auf die „medizinischen Grenzen hingewiesen“. Dies entnimmt der Senat den Notizen in der „Meona-Kurve“ vom 23. Dezember 2018. Über die Visite am 25. Dezember 2018 ist vermerkt: „Patient komatös, insg. palliative Situation, RR tendenziell besser, CRP leicht fallend, MIbi bislang ohne Keimnachweis, keine Dialyse möglich, Patient nicht leidend“. Dass nach Einschätzung der behandelnden Ärzte eine lebensbedrohliche Infektion vorlag, ergibt sich auch aus dem Vermerk über ein Telefonat mit der Klägerin am 3. Januar 2019. Zwar ist diesem Vermerk auch zu entnehmen, dass ein Ableben möglich, eine Besserung und damit ein Weiterleben jedoch auch möglich wäre; dies ändert jedoch nichts daran, dass zum Zeitpunkt der Eheschließung eine konkret lebensbedrohliche Situation bestand. Nicht gegen die Annahme einer lebensbedrohlichen Erkrankung spricht, dass der Kläger zum Zeitpunkt der Heirat geschäftsfähig war. Die Geschäftsfähigkeit wurde durch E2 nach konsiliarischen psychiatrischen Untersuchungen am 28. Dezember 2018 und 3. Januar 2019 bestätigt. Der Umstand, dass eine ärztliche Bescheinigung der Geschäftsfähigkeit durch das Standesamt „zur Vorbereitung einer Nottrauung“ (so die Angaben des Universitätsklinikums T1 bei Übermittlung der Bescheinigung am 28. Dezember 2018, Bl. 504 der Verwaltungsakte) angefordert wurde, lässt Rückschlüsse darauf zu, dass die Situation des Versicherten zu diesem Zeitpunkt lebensbedrohlich war.

Dass zum Zeitpunkt der Heirat eine lebensbedrohliche Erkrankung vorlag, musste der Klägerin auch bewusst sein. Zwar wurden, wie durch das Universitätsklinikums T1 - Sozialberatung und Entlassungsmanagement - unter dem 18. April 2019 (Bl. 415 der Verwaltungsakte) auch bestätigt wurde, Vorbereitungen für eine Entlassung des Versicherten getroffen. Ausweislich der Notizen über die Erstuntersuchung am 23. Dezember 2018 wurden der Klägerin und dem Versicherten die palliative Situation und die medizinischen Grenzen erläutert. Es wurde zugleich vermerkt, dass zwar die Klägerin den Lebenswillen bekräftigt habe, aber der Patientenwille nicht eindeutig sei, da in der notariellen Vollmacht (Patientenverfügung) keine lebenserhaltenden Maßnahmen gewünscht worden seien. Unter dem 3. Januar 2019 ist im „Meona-Dialyseprotokoll“ vermerkt: „Anruf von Frau H1 bzgl. gewünschter Trauung; laut Angaben gibt es Probleme mit dem Standesamt. Ausführliches Gespräch über Rolle und Limitationen der ärztlichen Einschätzung. Aktuell lebensbedrohliche Infektion, ein Ableben ist möglich, eine Besserung und somit Weiterleben ist jedoch auch möglich. Daher dann der unmittelbare Zustand nicht klar eingeschätzt werden.“ Allein aus diesem Gespräch musste der Klägerin die konkret lebensbedrohliche Situation bewusst sein. Unabhängig davon, kommt es auf die subjektive Einschätzung des Krankheitsverlaufs und der tatsächlichen Lebenserwartung ohnehin nicht an (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Dezember 2017 - L 11 R 402/17 - juris, Rn. 32, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2016 - L 11 R 2064/15 - juris, Rn. 24).

c) Nach den oben dargestellten Grundsätzen müssen aufgrund der konkret lebensbedrohlichen Situation bei Eheschließung daher besonders gewichtige innere und äußere Umstände vorliegen, die im Rahmen der Gesamtabwägung gegen eine Versorgungsehe sprechen. Derartige, hinreichend gewichtige gegen eine Versorgungsehe sprechende Umstände sind zur Überzeugung des Senats nicht nachgewiesen. Das Bestehen einer langjährigen Partnerschaft stellt einen solchen Umstand nicht dar (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Dezember 2017 - L 11 R 402/17 - juris, Rn. 33 m.w.N.). Gerade die Tatsache, dass die Klägerin und der Versicherte bereits seit sieben Jahren in einer eheähnlichen Lebensgemeinschaft zusammenlebten und zuvor keine Heirat erfolgte, spricht dafür, dass eine Partnerschaft ohne Trauschein von der Klägerin und dem Versicherten zunächst für ausreichend und zufriedenstellend angesehen wurde. Einem langjährigen Zusammenleben ohne Trauschein liegt die Grundentscheidung zugrunde, eben nicht zu heiraten und damit nicht den vielfältigen gesetzlichen Regelungen, die für Eheleute gelten, zu unterliegen. Auch der Wunsch, der beiderseitigen Liebesbeziehung nach langjährigem eheähnlichen Zusammenleben mit dem Versicherten den „offiziellen Segen“ zu geben und sie damit auch formal und rechtlich zu manifestieren, ist zwar nicht von vornherein - losgelöst von den Umständen des konkreten Einzelfalls - ungeeignet, einen besonderen Umstand zu begründen (BSG, Urteil vom 6. Mai 2010 - B 13 R 134/08 R - juris, Rn. 16). Eine solche Absicht hat die Klägerin aber zu keinem Zeitpunkt angegeben. Sie hat glaubhaft dargelegt, den Versicherten geliebt zu haben. Der Versicherte selbst hatte bei der konsiliarischen Untersuchung angegeben, seine Partnerin zu lieben und sich auf die Trauung zu freuen. Die durch das SG festgestellte tiefe emotionale Verbundenheit bestand daher auch zur Überzeugung des Senats. Allein das Bestehen einer innigen Liebesbeziehung reicht für die Widerlegung der gesetzlichen Vermutung aber nicht aus (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Dezember 2017 – L 11 R 402/17 – juris, Rn. 33 m.w.N). Eine emotionale Verbundenheit stellt keinen besonders gewichtigen Grund dar; sie ist vielmehr bei jeder Eheschließung als Grundvoraussetzung zu unterstellen. Von den durch das SG als gewichtigen Umstand herangezogenen starken religiösen Motiven der Klägerin für die Eheschließung vermochte sich der Senat nicht zu überzeugen. Die Klägerin konnte im Rahmen des Erörterungstermins auf Nachfrage der Berichterstatterin nicht beschreiben, welche Bedeutung ihr Glaube bei der Eheschließung zukam. Soweit sie angegeben hat, der Glaube habe eine „sehr große“ Rolle bei der Heirat gespielt, ist dies zu unkonkret, um hieraus einen gewichtig gegen einen Versorgungsgedanken sprechenden Umstand ableiten zu können. Die Klägerin hat zwar glaubhaft dargelegt, mit dem Versicherten trotz unterschiedlicher Konfession gemeinsam gebetet und Gottesdienste besucht zu haben. Inwieweit die Eheschließung aber konkret aufgrund der Religiosität (erst) zum Zeitpunkt 4. Januar 2019 erfolgt ist, vermochte sie nicht darzulegen. Sollte gerade „der kirchliche Segen“ für die Klägerin von besonderer Bedeutung gewesen sein, ist umso weniger nachvollziehbar, warum die Eheschließung nicht zu einem früheren Zeitpunkt der langjährigen Beziehung erfolgt ist. Der Versicherte selbst hatte gegenüber E2 betont, die Klägerin zu lieben und sie deswegen heiraten zu wollen. Einen anderen Grund gebe es nicht. Andererseits spricht der Umstand, dass der Versicherte in seinem – ebenfalls während eines Krankenhausaufenthalts im Februar 2018 – errichteten notariellen Testament die Klägerin als Alleinerbin eingesetzt hat, dafür, dass ihm die Versorgung der Klägerin besonders wichtig war. An dieser grundsätzlichen Motivation des Versicherten ändert sich nichts dadurch, dass die Klägerin wegen vorhandener Schulden das Erbe ausgeschlagen hat.

Die Heirat war auch nicht die konsequente Verwirklichung eines bereits vor Kenntnis der lebensbedrohlichen gesundheitlichen Situation gefassten Entschlusses. Bei Vorliegen eines lebensbedrohlichen Gesundheitszustandes muss die Heirat – wie dargestellt – eine konsequente Verwirklichung eines bereits vor Erlangung der Kenntnis von der lebensbedrohlichen Krankheit bestehenden Entschlusses darstellen (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Dezember 2017 - L 11 R 402/17 - juris Rn. 33, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 19. April 2016 - L 11 R 2064/15 - juris, Rn. 26, LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 16. Oktober 2012 - L 11 R 4929/11 - juris, Rn. 31 m.w.N.). Lediglich abstrakte Pläne zur Heirat, noch ohne entsprechende Vorbereitungen und ohne definitiv ins Auge gefassten Termin, sowie Äußerungen der Ehepartner gegenüber der Familie über eine geplante Hochzeit genügen nicht (vgl. LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 5. Dezember 2017 - L 11 R 402/17 - juris, Rn. 33).

Solche hinreichend konkreten Heiratspläne lagen vor Erlangung der Kenntnis von der lebensbedrohlichen Krankheit bzw. der konkret lebensbedrohlichen Infektion im Dezember 2018 zur Überzeugung des Senats nicht vor. Die Klägerin macht insofern geltend, dass sie und der Versicherte erstmals im Jahr 2013/2014 über das Thema Hochzeit gesprochen hätten und heiraten wollten. Ihre Tochter habe sie kurz nach einem gemeinsamen Ausflug um ihr Einverständnis gebeten, was diese auch erteilt habe. Dieser Vortrag wurde durch die Tochter der Klägerin im Rahmen ihrer Zeugenaussage gegenüber dem SG bestätigt und steht für den Senat letztlich auch nicht in Zweifel. Dass die Klägerin und der Versicherte bereits 2013/2014 über das Thema Heirat gesprochen hatten und irgendwann heiraten wollten, steht für den Senat mithin fest. Für den Senat steht aufgrund der Angaben der Klägerin aber auch fest, dass vor Dezember 2018 die Heiratsabsichten zu keinem Zeitpunkt über abstrakte Überlegungen hinausgingen. Es wurde weder ein konkreter Tag bestimmt, eine Verlobung vorgenommen, noch konkrete Vorbereitungen getroffen oder Gäste eingeladen. Eine Anmeldung der beabsichtigten Eheschließung beim Standesamt erfolgte erst nach stationärer Aufnahme am 23. Dezember 2018 und damit unmittelbar vor der Eheschließung am 4. Januar 2019 und damit nach Kenntnis von der lebensbedrohlichen Situation. Soweit die Klägerin vorträgt, während des stationären Aufenthalts ab dem 23. Dezember 2018 habe man erstmals Zeit gehabt, zu heiraten, was vorher nicht der Fall gewesen sei, vermag dies nicht zu überzeugen und ist gänzlich unglaubwürdig. Die Klägerin hat zwar nachvollziehbar die persönlichen Belastungen durch die Erkrankung des Versicherten, die finanziellen Schwierigkeiten und die erforderlichen Renovierungsarbeiten berichtet. Ausgehend von ersten Überlegungen im Jahr 2013 wären aber fünf Jahre Zeit gewesen, etwaige Heiratspläne auch umzusetzen. Die Heiratspläne blieben aber bis zum Jahresende 2018 unverbindlich. Die standesamtliche Anmeldung erfolgte vielmehr erst zu einem Zeitpunkt als eine konkret lebensbedrohliche Infektion vorlag. Dies spricht dafür, dass gerade die konkret lebensbedrohliche Situation Auslöser war, die Hochzeit nunmehr konkret zu planen und in die Tat umzusetzen. 

In der Gesamtschau der zu beurteilenden objektiven und subjektiven Umstände des Falles gelangt der Senat daher zu der Einschätzung, dass die gesetzliche Vermutung der Versorgungsehe nicht widerlegt ist.

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 und Abs. 4 SGG.

5. Die Revision war nicht zugelassen, da Gründe hierfür (§ 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen.


 

Rechtskraft
Aus
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