Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 2. August 2023 wird zurückgewiesen.
Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt als Leistungen der Hilfe zur Pflege nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) die Übernahme weiterer Kosten für die auf die Grundpflege entfallenden Anteile im Rahmen der 24-Stunden-Intensivpflege.
Bei der 1974 geborenen Klägerin besteht eine spinale Muskelatrophie mit schlaffer Lähmung der Extremitäten. Seit 2013 war bei ihr Pflegestufe III festgestellt.
Im Februar 2014 bewilligte der Beklagte der Klägerin für ihren damaligen Pflegedienst (Intensivpflege HLC) ab Januar 2014 einen monatlichen Zuschuss von 450,00 EUR zu den ungedeckten Pflegekosten gemäß §§ 61 ff. SGB XII.
Seit 1. Januar 2017 ist die Klägerin in Pflegegrad 4 eingestuft. Sie lebt im Haushalt ihrer Schwester und wird nach einem Wechsel des Pflegedienstes seit 1. November 2017 von dem von der Beigeladenen betriebenen ambulanten Pflegedienst „Team M1“ häuslich gepflegt.
Der am 15. September 2017 zwischen der Klägerin und der Beigeladenen geschlossene Pflegevertrag enthält folgende Regelungen:
„1. Allgemeines
Der Pflegedienst ist durch Versorgungsvertrag nach § 72 SGB XI (Soziale Pflegeversicherung) zugelassen. Er hält die in diesem Vertrag beigefügten Pflegestandards gem. § 80 SGB XI, sowie die vertraglichen Regelungen des Landesrahmenvertrages gem. § 75 Abs. 1 SGB XI ein. Er ist berechtigt, die Leistungen mit der Pflegekasse abzurechnen.
Der Pflegedienst ist nach den §§ 132, 132a, 132 d SGB V (gesetzliche Krankenversicherung) zur ärztlich verordneten häuslichen Krankenpflege / Palliativpflege / Intensivpflege gem. § 37 und Familienpflege I Haushaltshilfe gem. § 38 SGB V zugelassen.
Er ist berechtigt, die Leistungen mit der Krankenkasse abzurechnen. Die jeweiligen Vereinbarungen mit der Pflegekasse bzw. der Krankenkasse sind Bestandteil dieses Vertrages, soweit Leistungen nach den jeweiligen Vorschriften erbracht werden. Die Verträge können eingesehen und kopiert werden. Der Pflegedienst hat dem Pflegebedürftigen und der Pflegekasse unverzüglich eine Ausfertigung des Pflegevertrages auszuhändigen. [...]
2. Leistungen, Leistungsvereinbarung
Art, Inhalt und Umfang der Leistungen werden entsprechend dem Rahmenvertrag gem. § 75 SGB XI und dem Vertrag gem. § 132, 132a, 132d SGB V gesondert nach gemeinsamer Absprache mit dem Pflegebedürftigen vereinbart. Die Leistungsvereinbarung über ambulante pflegerische, intensivpflegerische, palliativpflegerische und hauswirtschaftliche Versorgung folgt dem Muster der Anlage 1.
Die einzelne Leistung bzw. die einzelnen Leistungskomplexe sind dabei so zu beschreiben, dass für den Vertragspartner Art und Umfang der Hilfeleistung klar ersichtlich werden. Im Zweifel sind ergänzende Informationen auszuhändigen. Die einzelnen Hilfeleistungen sind zeitlich einschließlich der erforderlichen Zeitspanne deutlich zuzuordnen.
Den einzelnen Hilfeleistungen sind die Entgelte gegenüberzustellen und zu addieren bzw. spezielle intensivpflegerische Leistungen mit den individuell verhandelten Stundensätzen etc. zu berücksichtigen / darzustellen. Dabei sind die von der Pflegekasse übernommenen Anteile deutlich von den Kosten zu trennen, die der Pflegebedürftige selbst übernimmt. Der zu zahlende monatliche Eigenanteil ist mit nachvollziehbarer Berechnung anzugeben. Änderungen des Leistungsumfangs können jederzeit vereinbart werden. Sie sind zeitnah in die Leistungsvereinbarung aufzunehmen.
Zusatzleistungen, die über die Sachleistungen des SGB XI hinausgehen, bedürfen einer gesonderten schriftlichen Vereinbarung, Art, Inhalt und Umfang dieser Leistungen sind für den Pflegebedürftigen klar und nachvollziehbar – einschl. der jeweiligen Vergütung – darzustellen. Der Pflegebedürftige muss ausdrücklich darüber aufgeklärt werden, dass für diese Zusatzleistungen die Pflegekasse nicht eintritt.
3. Vergütungsregelung
Der Pflegedienst berechnet für die erbrachten Leistungen die mit den Kranken- und Pflegekassen bzw. Sozialhilfeträgern ausgehandelten Entgelte/Stundensätze. Die Entgeltverzeichnisse sind in der aktuell gültigen Fassung Bestandteile dieses Vertrages und als Anlage 2 beigefügt.
Die Abrechnung erfolgt auf der Grundlage eines monatlich zu erstellenden und vom Pflegebedürftigen/Vertreter gegenzuzeichnenden Leistungsnachweises.
Eine Haftung für nicht erbrachte Leistungen durch H1 Verwaltungsgesellschaft mbH übernimmt das Unternehmen nicht.
Leistungen, die mit der Pflegekasse, der Krankenkasse und dem Sozialhilfeträger abzurechnen sind, werden vom Pflegedienst direkt mit diesen abgerechnet. Vereinbarte und erbrachte Leistungen, die nicht oder nicht vollständig von einem Sozialleistungsträger übernommen werden, sind vom Pflegebedürftigen selbst zu bezahlen.
Leistet der Sozialleistungsträger nur einen Teilbetrag, hat der Pflegebedürftige die Restkosten zu übernehmen. Für die zusätzlich abgerufenen Leistungen darf keine höhere als die nach § 89 SGB XI vereinbarte Vergütung berechnet werden. Die verbleibenden Eigenanteile (Restkosten) sind im monatlichen Leistungsnachweis gesondert auszuweisen und deutlich hervorzuheben. Der Pflegedienst erstellt dem zu Pflegenden einmalig ein Angebot zur Übernahme der Grundpflege und weist den zu leistenden Eigenanteil aus. Dieses gilt als gleichzeitig als Rechnung.
Der Rechnungsbetrag ist spätestens 7 Tage nach Rechnungsstellung fällig. [...]
4. Leistungserbringung
Der Pflegedienst sichert zu, dass ausschließlich geeignetes Personal eingesetzt wird. Mitarbeiter müssen fachlich angewiesen und überwacht werden. [...]
[...]“
Die Beigeladene hat mit der AOK B1 eine „Vergütungsvereinbarung 1:1 Versorgung“ über die Erbringung von häuslicher Krankenpflege nach § 132a Abs. 4 Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) bei intensivpflegebedürftigen Menschen ab der Vollendung des 18. Lebensjahres abgeschlossen, wonach eine Vergütung nach festen Stundensätzen vorgesehen ist. Mit Pflegekassen, insbesondere der AOK B1, bestehen Vergütungsvereinbarungen für ambulante Pflege bzw. Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 89 Elftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB XI), worin insbesondere für ambulante Pflegesachleistungen Preise für Fachkräfte und ergänzende Hilfe nach Leistungspaketen vereinbart sind.
Die Krankenkasse der Klägerin gewährt auf die ärztliche Verordnung häuslicher Krankenpflege über 24 Stunden täglich jeweils Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V (z.B. Schreiben der AOK – die Gesundheitskasse B1 vom 13. Juli 2018). Die Krankenkasse übernimmt dabei die Kosten der häuslichen Krankenpflege (Behandlungspflege) jeweils für 21,98 Stunden pro Tag zu einem festen Stundensatz (Oktober 2017 bis April 2018: 32,20 EUR; Mai 2018 bis März 2020: 35,82 EUR; April 2020 bis Dezember 2021: 38,25 EUR; ab Januar 2022: 40,72 EUR). Die bei der Versorgung zeitgleich erbrachten Pflegeleistungen (Grundpflege) im Rahmen der Pflegeversicherung rechnet sie jeweils bis zum monatlichen Höchstbetrag des Pflegegrades 4 (1.612 EUR) mit der Pflegekasse ab.
Am 29. November 2017 beantragte die Klägerin beim Beklagten die Übernahme der Kosten für die Pflege durch die Beigeladene im Rahmen der Hilfe zur Pflege. Auf Aufforderung des Beklagten legte die Klägerin Kostenvoranschläge für die Kalkulationszeiträume vom 1. Oktober 2017 bis 31. Oktober 2017 und vom 1. Januar 2018 bis 31. Januar 2018 vor, worin jeweils Kosten für einzelne Leistungsmodule (große Körperpflege, kleine Körperpflege, Transfer/An-/Auskleiden, Hilfe bei Ausscheidungen, Lagern, Mobilisation, einfache Hilfe bei der Nahrungsaufnahme, Wegepauschale, Zuschlag für Einsatz in der Nacht, Zuschlag für Einsatz an Sonn- und Feiertagen) abzüglich des von der Pflegekasse getragenen Anteils in Höhe von 1.612,00 EUR veranschlagt wurden, sodass sich für den Monat Oktober 2017 Kosten in Höhe von 7.895,30 EUR und für den Monat Januar 2018 Kosten in Höhe von 8.196,03 EUR ergeben.
Auf die Aufforderung des Beklagten, Alternativangebote für einen 24-Stunden-Intensiv-Pflegedienst vorzulegen, teilte die Klägerin mit, die Beigeladene sei der einzige Anbieter, der bereit gewesen sei, ein Angebot zur Pflege zu machen.
Beim Beklagten reicht die Beigeladene monatlich Rechnungen ein, mit denen sie die Leistungsmodule nach der Zahl der erbrachten Einsätze abrechnet.
Mit Bescheid vom 24. Juni 2020 bewilligte der Beklagte der Klägerin Leistungen der Hilfe zur Pflege in Form der Übernahme der ungedeckten Kosten für die Versorgung durch den ambulanten Pflegedienst vom 1. November 2017 bis 30. April 2018 in Höhe von monatlich 372,78 EUR und ab dem 1. Mai 2018 in Höhe von monatlich 589,08 EUR. Es würden die ungedeckten Kosten in dem Umfang bewilligt, in dem ungedeckte Kosten für die stundenweise Betreuung und Pflege durch eine Fachkraft anfielen. Bei einer 24-Stunden-Versorgung durch den Pflegedienst entstünden vom 1. November 2017 bis 30. April 2018 ungedeckte Kosten in Höhe von 372,78 EUR monatlich. Dies errechne sich wie folgt: 24 Stunden x 30,42 Tage x 32,30 EUR/Stunde = 23.581,58 EUR monatlich. Davon übernehme die Krankenkasse derzeit die Kosten im Umfang von 21,98 Stunden pro Tag, also 21.535,80 EUR monatlich. Nach Abzug der Pflegesachleistung in Höhe von 1.612,00 EUR verblieben Kosten in Höhe von 372,78 EUR (2,02 Stunden pro Tag x 30,42 x 32,30 EUR). Der Bedarf sei damit vollständig gedeckt. Ab dem 1. Mai 2018 habe sich der Stundensatz des Pflegedienstes Team M1 GmbH auf 35,82 EUR pro Stunde erhöht. Daher stiegen die monatlichen Gesamtkosten auf 26.151,47 EUR, die Kostenübernahme der Krankenkasse auf 23.950,38 EUR und die verbleibenden ungedeckten Kosten auf 589,08 EUR. Einen Kostenbeitrag aus ihrem Einkommen habe die Klägerin derzeit nicht zu erbringen.
Gegen den Bescheid legte die Klägerin am 30. Juni 2020 Widerspruch ein. Der ungedeckte Bedarf sei tatsächlich ungleich höher als die vom Beklagten übernommenen Beträge.
Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2020 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Die beantragte ambulante Krankenversorgung zu Hause setze sich zusammen aus häuslicher Krankenpflege (Behandlungspflege einschließlich verrichtungsbezogener Behandlungspflegemaßnahmen) nach § 37 Abs. 2 Satz 1 SGB V und Grundpflege in Form eines Sachleistungsanspruchs nach § 36 SGB XI. Beide Ansprüche eines Pflegeberechtigten einerseits gegen die Kranken- und andererseits gegen die Pflegeversicherung stünden indes gleichberechtigt nebeneinander. Auf das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 17. Juni 2010 (B 3 KR 7/09 R) werde insofern verwiesen. Da die Durchführung der rund um die Uhr erforderlichen häuslichen Krankenpflege nach dem SGB V (Behandlungspflege einschließlich verrichtungsbezogener krankheitsspezifischer Pflegemaßnahmen) während der Durchführung von Grundpflegeleistungen von letzteren nicht (vollständig) verdrängt werde, sondern weiterhin, z.B. in Form von Krankenbeobachtung, stattfinde, sei entsprechend des genannten BSG-Urteils der zeitliche „Rund-um-die-Uhr-Anspruch“ auf Behandlungspflege (nur) um die Hälfte des auf die reine Grundpflege entfallenden Anteils zu kürzen. Demgegenüber trage die Pflegekasse die Kosten der Hälfte des Zeitaufwands der (reinen) Grundpflege, gedeckelt auf den Höchstbetrag der Sachleistungen der jeweiligen Pflegestufe. Der zwischen dem Leistungsanbieter und der Krankenkasse vereinbarte Pflegesatz sei auch für den Beklagten relevant und verbindlich, da entsprechende Rahmenverträge nach §§ 132 ff. SGB V sowie Preisvereinbarungen für den Sozialhilfeträger im Rahmen der Hilfe zur Pflege maßgeblich seien. Entsprechend seien die nicht von der Krankenkasse gedeckten Kosten der Intensivpflege für 2,02 Std./Tag zu 32,30 EUR/Std. bzw. zu 35,82 EUR/Std. unter Anrechnung des Höchstbetrags der Pflegesachleistung von 1.612,00 EUR monatlich mit insgesamt 372,78 EUR monatlich bzw. 589,08 EUR monatlich bewilligt worden.
Am 15. Juli 2020 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben und die vollständige Übernahme der von der Beigeladenen gestellten Rechnungen geltend gemacht. Im Zeitraum von November 2017 bis einschließlich April 2023 habe die Beigeladene insgesamt 489.767,10 EUR in Rechnung gestellt, wobei die von der Pflegeversicherung erbrachten Beträge in Höhe von monatlich 1.612 EUR bzw. zuletzt 1.693 EUR und die vom Beklagten im Rahmen der Hilfe zur Pflege bewilligten Leistungen bereits berücksichtigt seien.
Mit Urteil vom 18. Juli 2023 hat das SG den Bescheid vom 24. Juni 2020 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 13. Juli 2020 abgeändert und den Beklagten verpflichtet, die Kosten, welche der Klägerin durch die ambulante Intensivpflege durch die Beigeladene seit 1. November 2017 entstehen, in der Form zu übernehmen, dass basierend auf dem Stundensatz, der durch die Krankenkasse der Klägerin abgerechnet wird, täglich 2,35 Stunden, gemindert um die der Klägerin gewährten Pflegesachleistungen der Pflegekasse, gewährt werden.
Mit Bescheid vom 9. August 2023 hat der Beklagte in Umsetzung des Urteils des SG vom 18. Juli 2023 den Bescheid vom 24. Juni 2020 aufgehoben und rückwirkend zum 1. November 2017 einen Stundenumfang von täglich 2,35 Stunden anstatt der bisher anerkannten 2,02 Stunden bewilligt. Für den Zeitraum vom 1. November 2017 bis 30. April 2018 hat der Beklagte dabei unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 32,30 EUR ungedeckte Restkosten in Höhe von 697,03 EUR pro Monat und eine monatliche Nachzahlung von 324,85 EUR ermittelt. Für den Zeitraum vom 1. Mai 2018 bis 31. März 2020 hat er unter Berücksichtigung von 35,82 EUR pro Stunde ungedeckte Restkosten i. H. v. 948,66 EUR pro Monat und eine monatliche Nachzahlung i. H. v. 359,58 EUR errechnet. Für den Zeitraum vom 1. April 2020 bis 31. Dezember 2021 haben sich unter Berücksichtigung von 38,25 EUR pro Stunde ungedeckte Restkosten i. H. v. 1.122,38 EUR pro Monat und eine monatliche Nachzahlung von 533,30 EUR ergeben. Für die Zeit vom 1. Januar 2022 bis 31. August 2023 hat der Beklagte unter Ansatz von 40,72 EUR pro Stunde ungedeckte Restkosten i. H. v. 1.217,95 EUR pro Monat ermittelt und 628,87 EUR pro Monat nachgezahlt. Die Bewilligung und Zahlung des monatlich anteiligen Pflegegeldes i. H. v. 242,64 EUR bleibe unberührt und diene zur Aufrechterhaltung der pflegerischen Unterstützung innerhalb der Familie.
Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 4. August 2023 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10. August 2023 Berufung zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie benötige unstreitig eine pflegerische Rundumversorgung, 24 Stunden am Tag. Sie werde von der Beigeladenen zu Hause gepflegt. Ihre Krankenkasse übernehme die Kosten für täglich 21,98 Stunden. Von den darüberhinausgehenden Kosten, soweit diese nicht von der Pflegeversicherung übernommen würden, habe der Beklagte der Klägerin im Zeitraum vom 1. November 2017 bis 30. April 2018 372,78 EUR monatlich und ab dem 1. Mai 2018 589,08 EUR monatlich bezahlt. Entsprechend dem zwischen ihr und der Beigeladenen geschlossenen Vertrag rechne diese die Pflegesachleistungen nach Modulen ab. Die entsprechenden monatlichen Rechnungen beliefen sich auf Beträge zwischen 6.000,00 EUR und 9.000,00 EUR, teilweise auch darüber. Der Beklagte sei verpflichtet, ihr auf der Grundlage der Rechnungen der Beigeladenen die von dieser erbrachten pflegerischen Leistungen zu erstatten, nach Abzug der Pflegesachleistungen der Pflegekasse. Dass die Rechnungen der Beigeladenen überhöht und unverhältnismäßig seien, sei vom Beklagten nicht vorgetragen worden. Tatsächlich habe sich die Klägerin auf Betreiben des Beklagten auch um mögliche kostengünstigere Alternativen bemüht. Diese Bemühungen, welche dem Beklagten nachgewiesen worden seien, seien allerdings nicht von Erfolg gekrönt gewesen. Der Beklagte habe auch nicht vorgetragen, dass die Klägerin aus anderen Gründen nicht verpflichtet sei, die Rechnungen der Beigeladenen zu bezahlen. Diese beruhten insbesondere auf dem zwischen der Klägerin und der Beigeladenen geschlossenen Pflegevertrag. Der Beklagte habe auch nicht vorgetragen, dass dieser Pflegevertrag aus welchen Gründen auch immer unwirksam sei.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichtes Reutlingen vom 28. Juli 2023 abzuändern und den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 24. Juni 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2022 in der Fassung des Bescheides vom 9. August 2023 zu verurteilen, an die Klägerin 660.067,68 EUR zu bezahlen und ab Mai 2025 die ihr durch die ambulante Intensivpflege durch das Pflegeunternehmen Team M1 seit Mai 2025 entstehenden Kosten zu bezahlen, soweit diese Kosten nicht durch die Krankenkasse bzw. Pflegekasse der Klägerin übernommen werden.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.
Mit Beschluss vom 22. Januar 2025 hat der Senat die Trägerin des Pflegedienstes zum Verfahren beigeladen.
Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts sowie des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie die Verwaltungsakten des Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und gemäß § 151 Abs. 1 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Klägerin ist auch im Übrigen zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung nach § 144 Abs. 1 SGG, da die Klägerin einen Anspruch von mehr als 750,00 EUR geltend macht (§ 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG).
Gegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 24. Juni 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2022 in der Fassung des Bescheides vom 9. August 2023, mit dem der Beklagte Leistungen der Hilfe zur Pflege in Form der Übernahme der ungedeckten Kosten für die Versorgung durch den ambulanten Pflegedienst ab dem 1. November 2017 in Höhe des zwischen der Beigeladenen und der Krankenkasse vereinbarten Stundensatzes für 2,02 Stunden bzw. zuletzt 2,35 Stunden pro Tag abzüglich der Leistungen der Pflegekasse bewilligt, eine weitere Kostenübernahme jedoch abgelehnt hat. Dagegen richtet sich die Klägerin zutreffend mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1, 4, § 56 SGG) und macht die vollständige Übernahme der von der Beigeladenen in Rechnung gestellten Kosten geltend.
Die Berufung der Klägerin ist unbegründet.
Der Bescheid vom 24. Juni 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2022 in der Fassung des Bescheides vom 9. August 2023 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Die Klägerin hat jedenfalls keinen Anspruch auf die Übernahme weitergehender Kosten als vom SG im angefochtenen Urteil zugesprochen und vom Beklagten mit Bescheid vom 9. August 2023 zuletzt zuerkannt.
Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch auf Hilfe zur Pflege ist § 61 Satz 1 SGB XII in der ab dem 1. Januar 2017 geltenden Fassung des Dritten Pflegestärkungsgesetzes. Danach haben Personen, die pflegebedürftig im Sinne des § 61a sind, Anspruch auf Hilfe zur Pflege, soweit ihnen und ihren nicht getrennt lebenden Ehegatten oder Lebenspartnern nicht zuzumuten ist, dass sie die für die Hilfe zur Pflege benötigten Mittel aus dem Einkommen und Vermögen nach den Vorschriften des Elften Kapitels aufbringen. Pflegebedürftig sind nach § 61a Abs. 1 Satz 1 SGB XII in der ab dem 1. Januar 2017 geltenden Fassung Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Pflegebedürftige Personen im Sinne des Satzes 1 können körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbständig kompensieren oder bewältigen.
Die Hilfe zur Pflege umfasst nach § 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1b SGB XII bei Pflegebedürftigen der Pflegegrade 2, 3, 4 oder 5 u.a. häusliche Pflegehilfe nach § 64 b SGB XII. Nach § 64b Abs. 1 SGB XII umfasst die häusliche Pflegehilfe körperbezogene Pflegemaßnahmen und pflegerische Betreuungsmaßnahmen sowie Hilfen bei der Haushaltsführung als Pflegesachleistung, soweit die häusliche Pflege nach § 64 SGB XII nicht sichergestellt werden kann. Soweit häusliche Pflege ausreicht, soll der Träger der Sozialhilfe gem. § 64 SGB XII darauf hinwirken, dass die häusliche Pflege durch Personen, die dem Pflegebedürftigen nahestehen, oder als Nachbarschaftshilfe übernommen wird.
Die Klägerin leidet an einer spinalen Muskelatrophie mit schlaffer Lähmung der Extremitäten. Bei ihr ist Pflegegrad 4 festgestellt bzw. die festgestellte Pflegestufe III gemäß § 140 Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1 c) SGB XI in den Pflegegrad 4 übergeleitet worden. Sie bedarf aufgrund der bei ihr vorliegenden Erkrankungen und Behinderungen der häuslichen Pflege in einem Umfang von 24 Stunden täglich, die nicht durch Personen, die ihr nahestehen, oder in Nachbarschaftshilfe übernommen werden. Dementsprechend sind ihr durch ihre Krankenkasse Leistungen der häuslichen Krankenpflege in einem Umfang von 24 Stunden pro Tag bewilligt worden.
Bei einer 24-Stunden-Betreuung sind während der gesamten Zeit auch Leistungen der Behandlungspflege zu erbringen, so dass die Aufteilung in einen Teil der Grundpflege und einen Teil der Behandlungspflege nur dem Umstand geschuldet ist, dass insoweit eine „Doppelzuständigkeit“ von Krankenkasse und Pflegekasse vorliegt und eine Parallelität und Gleichrangigkeit der Ansprüche gegen die Krankenkasse und die Pflegekasse gegeben ist, die auch in der Vorschrift des § 13 Abs. 2 SGB XI zum Ausdruck kommt, wonach die Leistungen der häuslichen Krankenpflege nach § 37 SGB V unberührt bleiben (BSG, Urteil vom 17. Juni 2010 – B 3 KR 7/09 R – juris Rdnr. 24). Das BSG hat hierzu in der angeführten Entscheidung nach Maßgabe der damaligen Rechtslage folgende Kostenverteilungsregelung vorgegeben: Es ist zunächst von dem im MDK-Gutachten festgestellten Gesamtumfang aller Hilfeleistungen bei der Grundpflege die von der Pflegekasse geschuldete „reine“ Grundpflege zu trennen und zeitlich zu erfassen; die hauswirtschaftliche Versorgung spielt in der Regel – und auch im vorliegenden Fall – keine Rolle, weil sie nicht von der Pflegefachkraft, sondern von einem Dritten erbracht wird. Der so ermittelte Zeitwert ist aber nicht vollständig, sondern nur zur Hälfte vom Anspruch auf die ärztlich verordnete, rund um die Uhr erforderliche Behandlungspflege (einschließlich der verrichtungsbezogenen krankheitsspezifischen Pflegemaßnahmen) abzuziehen, weil während der Durchführung der Grundpflege weiterhin Behandlungspflege – auch als Krankenbeobachtung – stattfindet und beide Leistungsbereiche gleichrangig nebeneinander stehen. Aus der Differenz zwischen dem verordneten zeitlichen Umfang der häuslichen Krankenpflege und der Hälfte des zeitlichen Umfangs der „reinen“ Grundpflege ergibt sich der zeitliche Umfang der häuslichen Krankenpflege, für den die Krankenkasse einzutreten hat. Die Pflegekasse hat die Kosten der Hälfte des Zeitaufwands der „reinen“ Grundpflege zu tragen, jedoch begrenzt auf den Höchstbetrag für die Sachleistungen der dem Versicherten zuerkannten Pflegestufe. Reicht der Höchstbetrag zur Abdeckung dieser Kosten nicht aus, hat der Versicherte den verbleibenden Rest aus eigenen Mitteln aufzubringen; notfalls ist die Sozialhilfe eintrittspflichtig (BSG, a.a.O. juris Rdnr. 28).
Bis zum Jahresende 2016 wurde die Kostenabgrenzung auf Grundlage des Zeitaufwands für die „reine Grundpflege“ vorgenommen, der vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) im Rahmen einer Begutachtung im Einzelfall ermittelt wurde. Der gemessene Zeitaufwand der „reinen Grundpflege“ wurde zur Berechnung der Kostenabgrenzung hälftig zwischen Krankenkasse und Pflegekasse aufgeteilt. Sofern die hauswirtschaftliche Versorgung von derselben Pflegekraft erbracht wurde, wurden diese Zeitanteile ebenfalls hälftig berücksichtigt. Mit Einführung des neuen Begutachtungsinstruments in der Sozialen Pflegeversicherung (§ 15 SGB XI) werden keine Zeitaufwände für pflegerische Verrichtungen mehr ermittelt und auch der Begriff der „Grundpflege“ wurde im SGB XI aufgegeben. Daher musste für die Kostenabgrenzung ein neuer Verfahrensansatz entwickelt werden. Der neue Ansatz muss den Vorgaben aus dem oben genannten BSG-Urteil gerecht werden und mit dem neuen Pflegebedürftigkeitsbegriff (§ 14 SGB XI) sowie dem neuen Verfahren zur Begutachtung der Pflegebedürftigkeit (§ 15 SGB XI) in Einklang stehen (vgl. Evaluation der Kostenabgrenzungs-Richtlinien nach § 17 Abs. 1b SGB XI, Abschlussbericht des IGES Institut GmbH für den GKV‑Spitzenverband, 20. Dezember 2018, S. 10).
Nachdem aufgrund der Neuregelung der Ermittlung des Pflegebedarfs ab dem 1. Januar 2017 zum Rahmen der Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit ein Zeitaufwand für die Pflege nicht mehr festzustellen ist, kann seither auch das Gutachten nicht mehr für eine zeitbezogene Aufteilung der Kosten herangezogen werden. Der Gesetzgeber wollte aber bei der Neuregelung an der bisherigen Rechtsprechung des BSG mit der hälftigen Aufteilung des Zeitaufwandes der „reinen“ Grundpflege zwischen Krankenkasse und Pflegekasse festhalten. Deshalb sieht § 17 Abs. 1b Satz 1 SGB XI vor, dass der Medizinische Dienst B2 mit dem Spitzenverband P1 Richtlinien zur Feststellung des Zeitanteils, für den die Pflegeversicherung bei ambulant versorgten Pflegebedürftigen, die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben und die Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 und der häuslichen Krankenpflege nach § 37 Abs. 2 des Fünften Buches oder die Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 und der außerklinischen Intensivpflege nach § 37c des Fünften Buches beziehen, die hälftigen Kosten zu tragen hat. Hierbei sind von den Leistungen der häuslichen Pflegehilfe nach § 36 dabei nur Maßnahmen der körperbezogenen Pflege zu berücksichtigen (§ 17 Abs. 1b Satz 2 SGB XI). Aufgrund dieser Ermächtigung sind die Richtlinien zur Kostenabgrenzung zwischen Kranken- und Pflegeversicherung bei Pflegebedürftigen, die einen besonders hohen Bedarf an behandlungspflegerischen Leistungen haben (Kostenabgrenzungs-Richtlinien) vom 16. Dezember 2016 erlassen worden. Nach Nr. 6 der Kostenabgrenzungs-Richtlinie ist bei Pflegegrad 4 ein pauschaler Minutenwert von 104 Minuten täglich zugrunde zu legen.
Allerdings bleibt es gemäß Nr. 7 der Kostenabgrenzungs-Richtlinien in den Fällen, in denen bereits vor dem 1. Januar 2017 eine Kostenabgrenzung auf Grundlage der bis dahin durch den MDK erhobenen Zeitwerte für die „reine“ Grundpflege vorgenommen wurde, auch nach dem 1. Januar 2017 bei der Berücksichtigung der dort festgestellten Minutenwerte. Das im Rahmen dieser Richtlinien unter 5. und 6. beschriebene Pauschalmodell findet daher nur bei Versicherten, die ab dem 1. Januar 2017 erstmals Sachleistungen der Pflegeversicherung beantragen, oder bei Versicherten, die am 31. Dezember 2016 bereits entsprechende Leistungen erhalten haben und bei denen ab dem 1. Januar 2017 eine erneute Begutachtung erfolgt (z. B. Änderungsbegutachtung, Wiederholungsbegutachtung), Anwendung.
Bei der Klägerin ist bereits vor dem 1. Januar 2017 eine Kostenabgrenzung auf Grundlage der bis dahin durch den MDK erhobenen Zeitwerte für die reine Grundpflege vorgenommen worden. Im Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit gemäß SGB XI vom 13. Oktober 2011 gelangte die Pflegefachkraft S1 zu der Beurteilung, bei der Klägerin liege seit Oktober 2011 Pflegebedürftigkeit der Pflegestufe III vor. Es bestehe ein Zeitaufwand pro Tag für Körperpflege von 76 Minuten, für Ernährung von 92 Minuten und für Mobilität von 74 Minuten, insgesamt betrage der Zeitaufwand für die Grundpflege 242 Minuten/Tag und für die Hauswirtschaft 60 Minuten/Tag. Eine pflegestufenrelevante Reduzierung des Hilfebedarfs sei nicht zu erwarten. Aus heutiger Sicht sei eine Wiederholungsbegutachtung nach Ablauf von acht Jahren begründet. Eine erneute Begutachtung der Klägerin hinsichtlich der Pflegebedürftigkeit ist nicht erfolgt. Es sind deshalb die dort ermittelten Zeiten für die Grundpflege maßgeblich, wonach zutreffend ein Zeitaufwand von täglich 2,02 Stunden zugrunde zu legen ist.
Den Kostenabgrenzungs-Richtlinien kann jedoch nicht entnommen werden, wie zu verfahren ist, wenn – wie vorliegend – die Pflegeleistungen nach Leistungskomplexen und nicht nach einem Stundensatz abgerechnet werden. Hierfür sind drei Lösungsmöglichkeiten in den Blick zu nehmen:
a) Man halbiert die den nicht verrichtungsbezogenen Behandlungspflegemaßnahmen entsprechenden Leistungskomplexen zugeordneten Beträge und multipliziert diese mit dem dem jeweiligen Pflegegrad zugeordneten Zeitanteil aus den Kostenabgrenzungs-Richtlinien bzw. dem nach Nr. 7 Kostenabgrenzungs-Richtlinien ermittelten Zeitanteil. Für die hauswirtschaftliche Versorgung wären die vollen dem jeweiligen Leistungskomplex zugeordneten Beträge zu berücksichtigen.
b) Man verfährt wie vom GKV-Spitzenverband im Prinzip vorgeschlagen, d.h. man multipliziert den in der Kostenabgrenzungs-Richtlinie vorgegebenen Zeitaufwand von 1,73 Stunden – bzw. den sich nach Nr. 7 der Kostenabgrenzungs-Richtlinien ergebenden Zeitaufwand – mit einem (gegriffenen) Kostensatz. Hinzu kämen die Kosten für die hauswirtschaftliche Versorgung entsprechend den den Leistungskomplexen zugeordneten Preisen.
c) Man berücksichtigt die Kostenabgrenzungs-Richtlinien lediglich zur Berechnung der von der Krankenkasse für die Behandlungspflege zu tragenden Kosten, d.h. man zieht von den verordneten 24 Stunden Behandlungspflege die in der Richtlinie festgesetzten 104 Minuten = 1,73 Stunden ab und legt für die Berechnung der Kosten der Pflege, auch der Grundpflege, den vollen für die Berechnung der Leistungskomplexe vereinbarten Preis zugrunde (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 16. Dezember 2021 – L 15 SO 211/21 B ER – juris Rdnr. 41 ff.; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 10. Januar 2024 – L 9 SO 30/23 B ER – juris Rdnr. 76 ff.).
Der Senat teilt in Übereinstimmung mit dem LSG Berlin-Brandenburg und dem LSG Mecklenburg-Vorpommern in den genannten Entscheidungen die Auffassung, dass zur Bestimmung der Kosten der Grundpflege der nach den Kostenabgrenzungs-Richtlinien ermittelte Zeitwert mit einem Stundensatz zu multiplizieren ist, der entweder aus einer Vereinbarung des (Pflege-)Leistungserbringers oder, wenn eine solche nur für Leistungskomplexe geschlossen wurde, aus der Vergütungsvereinbarung zwischen dem Erbringer der häuslichen Krankenpflege zu entnehmen ist.
Hierfür spricht zunächst, dass dieser Lösungsansatz am weitesten der Rechtsprechung des BSG zur hälftigen Kostentragung entspricht. Gegen den Lösungsansatz c) spricht, dass dadurch die vom BSG im Urteil vom 17. Juni 2010 vorgegebene Halbierung des zeitlichen Umfangs der reinen Grundpflege im Verhältnis zu dem Pflegebedürftigen bzw. der dem Sozialhilfeträger entfallen würde und diese die vollen Kosten der Grundpflege – abzüglich des Beitrags der Pflegekasse – zu tragen hätten. Dadurch würde auch eine doppelte Vergütung entstehen, denn es ist nicht ersichtlich, dass die Grundpflegeleistungen in dem nicht von der Krankenkasse vergüteten Zeitfenster erbracht werden können.
Für die Zugrundelegung des mit der Krankenkasse vereinbarten Stundensatzes spricht auch, dass das BSG diesen in der Entscheidung vom 17. Juni 2010 – B 3 KR 7/09 R – zugrunde gelegt bzw. die gesonderte Vereinbarung eines Stundensatzes mit der Pflegekasse nicht für erforderlich gehalten, vielmehr von einem einheitlichen Stundensatz ausgegangen ist. Gerade, um die Anforderungen des BSG ab 1. Januar 2017 weiter umzusetzen, hat der Gesetzgeber in § 17 Abs. 1b SGB XI Vorgaben für Richtlinien gesetzt, mit denen eine pauschale und/oder einzelfallbezogene Feststellung des Zeit- und damit des Kostenanteils der Pflegeversicherung weiter möglich ist (Roller in Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 4. Aufl., § 17 SGB XI [Stand: 26. Februar 2025] Rdnr. 29 unter Verweis auf BT-Drs. 18/9083, S. 33).
Hierfür spricht zudem, dass in aller Regel – so auch bei der Klägerin – die Grundpflege und die Behandlungspflege nicht von unterschiedlichen Pflegepersonen erbracht werden. Die jeweils anwesende Pflegeperson erbringt vielmehr die jeweils erforderlichen Pflegehandlungen. Dementsprechend erfolgt – in aller Regel – auch keine Vergütung der Pflegepersonen nach den jeweils erbrachten Pflegeleistungen. Der Umstand, dass somit immer eine Pflegeperson anwesend sein muss (bzw.: ist), welche auch die (qualifizierten) Leistungen der Behandlungspflege erbringt, und die auch während der Durchführung der Grundpflege weiterhin Leistungen der Behandlungspflege – auch als Krankenbeobachtung – erbringt, und die deshalb auch entsprechend ihrer Qualifikation zu entlohnen ist, spricht dafür, auch einen einheitlichen Stundensatz zu berücksichtigen.
Eine Berechnung der Kosten der Grundpflege nach Modulen käme allenfalls dann in Betracht, wenn diese gesondert und in anderer personeller Besetzung als die Behandlungspflege erbracht würde. Dies ist hier jedoch nicht der Fall. Unbeachtlich ist, dass die Beigeladene mit der Pflegekasse eine Leistungsvereinbarung geschlossen hat, in der nach Leistungsmodulen abzurechnen ist, und dass eine entsprechende Regelung im Pflegevertrag der Klägerin enthalten ist. Denn eine Bindung des Beklagten an die Vereinbarungen im Pflegevertrag besteht nicht. Zudem ist im Pflegevertrag vereinbart, dass Leistungen, die nicht oder nicht vollständig von einem Sozialleistungsträger übernommen werden, vom Pflegebedürftigen selbst zu bezahlen sind.
Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Umstand, dass die Beigeladene mit dem Beklagten keine entsprechende Leistungsvereinbarung abgeschlossen hat. Denn im Falle einer fehlenden Vergütungsvereinbarung kann sich der Sozialhilfeträger, ohne sich dem Vorwurf der Treuwidrigkeit (§ 242 BGB) auszusetzen, nicht auf eine fehlende Vereinbarung mit der Beigeladenen berufen und die zu zahlende Vergütung nach freiem Belieben festsetzen (BSG, Urteil vom 8. März 2018 – B 8 SO 20/15 R – juris Rdnr. 22). Vielmehr ist in diesem Fall die zu zahlende Vergütung unter Orientierung an § 75 Abs. 5 SGB XII zu bestimmen. Nach § 75 Abs. 5 Satz 1 Nr. 1 SGB XII darf der Träger der Sozialhilfe die Leistungen durch Leistungserbringer, mit denen keine schriftliche Vereinbarung getroffen wurde, nur erbringen, soweit dies nach der Besonderheit des Einzelfalls geboten ist. Der Höhe nach wird der Vergütungsanspruch eines nicht vereinbarungsgebundenen Leistungserbringers normativ auf die Vergütung beschränkt, die der Sozialhilfeträger für vergleichbare Leistungen vereinbarungsgebundener Leistungserbringer am Ort der Hilfeleistung oder in seiner näheren Umgebung zu übernehmen hat (§ 75 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 SGB XII).
Dementsprechend war ein Stundensatz von 32,30 EUR ab Oktober 2017, von 35,82 EUR ab Mai 2018, von 38,25 EUR ab April 2020 sowie von 40,72 EUR ab 1. Januar 2022 sowie ein Zeitumfang von täglich 2,02 (bzw. nicht mehr als 2,35) Stunden bzw. 61,45 Stunden bei 30,42 Tagen pro Monat und dementsprechend ein Anspruch von 1.984,78 EUR bzw. 2.201,08 EUR bzw. 2.350,40 EUR bzw. 2.502,18 EUR für die Grundpflege zugrunde zu legen. Davon abzusetzen waren die Leistung der Pflegeversicherung in Höhe von 1.612,00 EUR, so dass kein höherer Anspruch der Klägerin gegen den Beklagten besteht als von diesem bereits übernommen worden ist.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Die Revision war aufgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zuzulassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG).
Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
7.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 5 SO 1521/21
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 7 SO 2315/23
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 8 SO 6/25 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Rechtskraft
Aus
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