1) Rechtsgrundlage für die Rücknahme eines die Feststellung eines Arbeitsunfalles ablehnenden Bescheides ist § 44 Abs. 1 SGB X. § 44 Abs. 2 SGB X passt von seinem Regelungsgehalt her nicht auf feststellende Verwaltungsakte, denen - im Gegensatz zu anderen Feststellungsverfahren, z. B. nach dem SGB IX - die mittelbare Gewährung einer Sozialleistung immanent ist, ebenso nicht in zeitlicher Hinsicht.
2) Dass der Rentenausschuss entschieden hat reicht nicht aus, um die Beklagte zur Rücknahme ihrer Entscheidung zu verpflichten. § 44 SGB X soll alleinig materiell-rechtliche Fehler beheben. Ist in der Sache richtig entschieden worden, hat sich die formelle Rechtswidrigkeit materiell-rechtlich nicht nachteilig ausgewirkt, sodass in diesem Fall das Interesse am Fortbestand des Verwaltungsakts und damit das Prinzip der Rechtssicherheit überwiegt. Der Betroffene kann nicht verlangen, dass die Behörde verpflichtet wird, einen bestandskräftigen Verwaltungsakt zurückzunehmen, den sie sogleich wieder erneut erlassen müsste (BSG vom 27. September 2023 - B 2 U 13/21 R m.w.N.).
I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 14. Dezember 2021 aufgehoben, soweit die Beklagte verurteilt wurde, den Bescheid vom 21. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016 zurückzunehmen und das Ereignis vom 2. Februar 2016 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Insoweit wird die Klage abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
II. Die Beklagte trägt 1/10 der außergerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Instanzen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Zwischen den Beteiligten steht die Anerkennung eines Arbeitsunfalles im Sinne von § 8 Sozialgesetzbuch Siebtes Buch (SGB VII) in einem Zugunstenverfahren im Streit.
Die 1966 geborene Klägerin ist seit September 2002 als kaufmännische Angestellte bei der D.bank-AG in A-Stadt im zentralen Servicebereich Information Technology Development beschäftigt. Aufgrund einer Ergänzungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag mit ihrer Arbeitgeberin vom 19. Oktober 2007 zur Regelung der Telearbeit bei Einrichtung eines außerbetrieblichen Arbeitsplatzes in der Mitarbeiterwohnung ist sie seit dem 1. Dezember 2007 berechtigt, die ihr obliegende Arbeitsverpflichtung ganz bzw. teilweise in Abstimmung mit ihrem Vorgesetzten außerhalb des betrieblichen Arbeitsplatzes zu erbringen.
Nach Nr. 3 der Vereinbarung stellte die Klägerin den Raum für die Einrichtung des außerbetrieblichen Arbeitsplatzes kostenlos zur Verfügung und richtete den Arbeitsplatz mit Büromöbeln selber ein. Alle technischen Einrichtungsgegenstände, insbesondere die DV-technischen Geräte, wurden von der Bank kostenlos zur Verfügung gestellt und in einer Inventarliste festgehalten. Die Wartung der technischen Geräte erfolgte ebenfalls durch die Bank. Nach Nr. 7 der Vereinbarung hatte die Klägerin allen Personen Zutritt zu ihrem außerbetrieblichen Arbeitsplatz zu gestatten, soweit hierfür aus gesetzlichen, tariflichen oder betrieblichen Gründen eine Notwendigkeit bestand. Außer in Notfällen oder wenn besondere Umstände es erforderten, hatte vor dem Zutritt zum außerbetrieblichen Arbeitsplatz eine Terminvereinbarung mit der Klägerin zu erfolgen. Eine Kontrolle durch die Arbeitgeberin fand allerdings zu keinem Zeitpunkt statt. Seit 2011 arbeitete die Klägerin an drei Tagen in der Woche in ihrem separaten Arbeitszimmer zu Hause. Neben den Büromöbeln befand sich in dem Arbeitszimmer noch ein Bett, welches ihre pflegebedürftige Mutter zeitweise nutzte, um nicht im Haus alleine zu sein. Etwa drei Meter von dem Arbeitszimmer entfernt den Flur entlang befindet sich die Toilette. Zwischen der Klägerin und ihrer Arbeitgeberin bestand eine Gleitzeitregelung, wonach die Klägerin zwischen 6:00 Uhr und 19:00 Uhr über einen Zeitraum von 7 Stunden und 48 Minuten arbeiten musste. Zum Beginn und Ende ihrer Arbeitszeit sowie für eine etwaige Pause musste sie sich gemäß den Vorgaben der Personalabteilung mithilfe eines Tools an- bzw. abmelden. Die Klägerin erhielt von ihrer Arbeitgeberin Arbeitsaufträge, die sie in ihrem Homeoffice abarbeitete. Die Kommunikation mit den Vorgesetzten und Kollegen erfolgte telefonisch oder per E-Mail.
Nach mehreren Telefonkonferenzen wollte die Klägerin am 2. Februar 2016 gegen 14:00 Uhr die Toilette aufsuchen. Ihren Angaben zufolge drehte sie sich dazu mit ihrem Stuhl vom Schreibtisch weg und erhob sich mittels der Armlehnen aus diesem. Dabei habe sie nicht sofort bemerkt, dass ihr linkes Bein aufgrund des Sitzens eingeschlafen gewesen sei. Als sie ihren linken Fuß schließlich habe belasten wollen, sei sie mit dem linken Bein umgeknickt und gegen die geöffnete Tür gestürzt. Der am gleichen Tag noch konsultierte Durchgangsarzt Dr. E. diagnostizierte nach Röntgen des linken Unterschenkels eine pilon-tibiale Fraktur (Durchgangsarztbericht vom 2. Februar 2016). Nach Ermittlungen zum näheren Unfallhergang lehnte die Beklagte mit von ihrem Rentenausschuss am 21. März 2016 erlassenen Bescheid Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung aus Anlass des Ereignisses vom 2. Februar 2016 ab. Ein Arbeitsunfall liege nicht vor. Der Unfallschilderung der Klägerin entsprechend fehle es an einem plötzlichen äußeren Ereignis. Die erlittenen Verletzungen seien auf eine innere Ursache - Einschlafen und Wegknicken des Beins - zurückzuführen. Das Bein der Klägerin sei gebrochen, noch bevor sie zu Boden gestürzt sei.
Im Widerspruchsverfahren zog die Beklagte eine beratende fachärztliche Stellungnahme des Facharztes für Chirurgie, Unfallchirurgie und Orthopädie F. vom 5. September 2016 bei. Danach sei das Sturz-/ Verrenkungsgeschehen durchaus geeignet eine Komplexfraktur des Unterschenkels hervorzurufen. Gleichwohl wies die Beklagte den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 15. September 2016 zurück. Selbst wenn das Unfallereignis nicht aufgrund einer inneren Ursache, sondern der versicherten Tätigkeit geschehen wäre, hätte trotzdem kein Versicherungsschutz bestanden. Die Klägerin sei zum Ereigniszeitpunkt gerade aufgestanden um zur Toilette zu gehen, als ihr Bein gebrochen sei. Ihre Handlungstendenz habe darin gelegen, sich zur Toilette zu begeben. Wege von und zur Toilette seien im Home-Office eigenwirtschaftliche Tätigkeiten und daher nicht versichert.
Mit Schreiben vom 3. Juli 2017 bat die Klägerin darum, ihren Fall erneut zu öffnen und ihren Unfall als Arbeitsunfall anzuerkennen. Hierzu bezog sie sich auf die Feststellungen ihres behandelnden Arztes Herrn F. Mit Bescheid vom 13. September 2017, wiederum von ihrem Rentenausschuss erlassen, lehnte die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 21. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016 nach § 44 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) ab. „Neue Erkenntnisse“ lägen nicht vor. Für die inhaltliche Begründung werde auf den Widerspruchsbescheid vom 15. September 2016 verwiesen. Der Widerspruch der Klägerin hiergegen war abermals erfolglos und wurde von der Beklagten mit Widerspruchsbescheid vom 11. Januar 2018 zurückgewiesen.
Ihren Anspruch hat die Klägerin mit Klage vor dem Sozialgericht Darmstadt vom 9. Februar 2018 weiterverfolgt. Im Rahmen der Sachermittlungen von Amts wegen hat das Sozialgericht unter anderem den Arbeitsvertrag der Klägerin vom 12. August 2002, die Ergänzungsvereinbarung vom 19. Oktober 2007 nebst Begleitschreiben dazu vom 20. September 2007 sowie den Leitfaden „Telearbeit in der D.bank“ (Version 2.5/01.07.2020) beigezogen. Im Kammertermin hat das Sozialgericht zudem den Arbeitskollegen der Klägerin G. als Zeugen vernommen.
Mit Urteil vom 14. Dezember 2021 hat das Sozialgericht der Klage stattgegeben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 13. September 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2018 verurteilt, den Bescheid vom 21. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016 zurückzunehmen und das Ereignis vom 2. Februar 2016 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Der Bescheid vom 21. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016 sei rechtswidrig, da die Beklagte darin das Recht unrichtig angewandt habe. Er sei daher zurückzunehmen. Die Klägerin habe einen Anspruch auf Anerkennung des Ereignisses vom 2. Februar 2016 als Arbeitsunfall. Die Klägerin sei als Beschäftigte kraft Gesetzes nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versichert. Ihre Verrichtung zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Ereignisses - namentlich das Aufstehen aus dem Bürostuhl zum Zwecke des Toilettenganges - habe auch in einem sachlichen Zusammenhang zu der versicherten Tätigkeit gestanden. Dies ergebe sich jedoch nicht schon aus dem zum 18. Juni 2021 in Kraft getretenen § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII, weil dieser nach herrschender Auffassung mangels explizit angeordneter Rückwirkung nur auf Versicherungsfälle nach seinem Inkrafttreten anwendbar sei. Allerdings habe sich die Klägerin zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Ereignisses auf einem versicherten Betriebsweg im Sinne des § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII befunden. In Rechtsprechung und Literatur sei streitig, ob und gegebenenfalls unter welchen Umständen ein Toilettenbesuch innerhalb einer Homeoffice-Tätigkeit unter den Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung falle. Das Bundessozialgericht (BSG) habe ausdrücklich offengelassen, ob ein versicherter Betriebsweg vorliegen könne, wenn, wie im vorliegenden Verfahren - auf einem Weg zur Verrichtung der Notdurft - das Unfallereignis innerhalb des Arbeitszimmers selbst stattgefunden habe und die Arbeitgeberin die Möglichkeit gehabt hätte, Präventionsmaßnahmen durchzuführen (BSG vom 5. Juli 2016 - B 2 U 5/15 R). Gestützt auf das Urteil des Sozialgerichts München vom 4. Juli 2019 (Az.: S 40 U 227/18) und der dort angelegten Maßstäbe sei die Kammer davon überzeugt, dass zum Unfallzeitpunkt ein versicherter Betriebsweg vorgelegen habe. Die Klägerin habe sich zum Zeitpunkt des Unfallereignisses in ihrem Arbeitszimmer aufgehalten, welches sie kraft ausdrücklicher Vereinbarung mit ihrer Arbeitgeberin an drei Tagen in der Woche zu betrieblichen Zwecken habe nutzen sollen. Sie habe zudem gerade eine betriebliche Tätigkeit, namentlich die Teilnahme an einer betrieblichen Telefonkonferenz mit ihrem Vorgesetzten und weiteren Teilnehmern, abgeschlossen gehabt. Zwar habe die Klägerin nach Nr. 3 der Vereinbarung den Raum für die Einrichtung des außerbetrieblichen Arbeitsplatzes kostenlos zur Verfügung gestellt und diesen auch selbst mit Büromöbeln eingerichtet. Alle technischen Einrichtungsgegenstände, insbesondere die DV-technischen Geräte, seien jedoch von der Bank kostenlos zur Verfügung gestellt worden. Zudem hätte die Arbeitgeberin zwar keinen Schlüssel zu dem Haus der Klägerin gehabt, ihr habe jedoch nach Nr. 7 der Ergänzungsvereinbarung zum Arbeitsvertrag in Notfällen oder wenn besondere Umstände es erforderten, auch ohne Terminvereinbarung, ein Zutrittsrecht zugestanden. Ferner sei auch die Wartung der technischen Geräte durch die Bank erfolgt. Die Klägerin sei zudem nach Nr. 3 der Ergänzungsvereinbarung verpflichtet gewesen, die Broschüre über die Sicherheitsregeln für Büroarbeitsplätze und die Bildschirmarbeitsplätze im Bürobereich zu beachten. Damit sei zwischen der Klägerin und ihrer Arbeitgeberin das private Arbeitszimmer als Arbeitsstätte festgelegt worden. Die Einordnung des häuslichen Arbeitszimmers erfahre auch keine Änderung durch das dort aufgestellte Bett für die pflegebedürftige Mutter. Einerseits sei dabei zu berücksichtigen, dass dieses Bett nur gelegentlich genutzt werde, andererseits diene es gerade dazu, dass die Klägerin ihrer betrieblichen Tätigkeit nachgehen und diese nicht ständig unterbrechen müsse, um nach ihrer Mutter zu sehen. Ferner habe eine umfangreiche Kontrollmöglichkeit der Arbeitgeberin, welche ihr die Durchführung von Präventionsmaßnahmen und damit eine Einflussnahme auf die Unfallverhütung ermöglicht habe, bestanden. Die haftungsersetzende Funktion der gesetzlichen Unfallversicherung beruhe auch bei an sich privaten Verrichtungen wie dem Gang zur Toilette auf dem Gedanken der Haftung des Arbeitgebers für die Mängel seiner Arbeitsgeräte und der Ausstattung des Arbeitsplatzes. Indem die Arbeitgeberin durch die in der Ergänzungsvereinbarung getroffenen Vorgaben und Kontrollrechte letztlich auch die Verantwortung für die Ausstattung des Arbeitsplatzes der Klägerin im Homeoffice übernommen gehabt habe, sei dieser Bereich in die betriebliche Risikosphäre übergegangen. Dabei komme es - ebenso wie in einem Betrieb - nicht darauf an, ob die Arbeitgeberin diese Rechte auch tatsächlich genutzt habe. Die Klägerin sei auch offenkundig während ihrer Homeoffice-Tätigkeit in die betriebliche Sphäre der Arbeitgeberin eingebunden. Es sei ihr gerade nicht möglich, vollkommen frei über die Verwendung ihrer Arbeitskraft und die Organisation ihrer Arbeitstätigkeit zu verfügen, da sie im Rahmen der betrieblichen Gleitzeitregelung eine Kernarbeitszeit einzuhalten und einen bestimmten Stundenumfang ableisten müsse. Ferner habe sie fortlaufend Arbeitsaufträge erhalten, die sie habe abarbeiten müssen, und sie habe an betrieblichen Telefonkonferenzen teilnehmen müssen. Zu Beginn und Ende eines Arbeitstages sowie in den Pausen habe eine Registrierung über ein von der Personalabteilung zur Verfügung gestelltes Tool stattgefunden. Damit habe nicht nur eine Einbindung in die betrieblichen Arbeitsabläufe, sondern zusätzlich eine Kontrolle der Arbeitszeit und der Pausen stattgefunden. In dem die Klägerin in ihrem Arbeitszimmer im zeitlichen Zusammenhang mit ihrer beruflichen Tätigkeit gestürzt sei, habe sich somit gerade kein vom häuslichen und damit persönlichen Lebensbereich ausgehendes Unfallrisiko verwirklicht, sondern eine typische Betriebsgefahr (vgl. Bayerisches LSG vom 12. Mai 2021 - L 3 U 373/18). Der Gang zur Toilette diene offenkundig der Erhaltung der Arbeitskraft und es handele sich um einen Weg, der in seinem Ausgangs- und Zielpunkt durch die Notwendigkeit geprägt sei, persönlich an der Arbeitsstätte im Homeoffice anwesend zu sein, um dort betriebliche Tätigkeiten zu verrichten. Aufgrund des Zusammentreffens dieser beiden betriebsbezogenen Merkmale, des Handlungsziels und der Betriebsbedingtheit des Weges, sei ein innerer Zusammenhang zwischen dem Weg zur Toilette und der versicherten Tätigkeit anzunehmen. Auch die Grundsätze zur inneren Ursache schlössen das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nicht aus. Nach der Stellungnahme des Beratungsarztes der Beklagten F. sei der Eintritt der von der Klägerin erlittenen Komplexfraktur des Unterschenkels durchaus durch einen solchen Sturz, wie ihn die Klägerin erlitten gehabt habe, möglich. Unfallfremde Faktoren wie eine Osteoporose seien nach seiner Einschätzung aufgrund der festgestellten regelrechten Spongiosastruktur auszuschließen. Auch die Beklagte gehe nach ihrem eigenen Vortrag davon aus, dass die Ursache für den Sturz und die Verletzung das eingeschlafene Bein der Klägerin gewesen sei. Selbst wenn man davon ausginge, dass das eingeschlafene Bein als körpereigene Ursache anzusehen sei, fehle es diesbezüglich jedoch nicht an einer für den Ursachenzusammenhang mit der versicherten Bürotätigkeit erforderlichen betrieblichen Einwirkung. Vielmehr spräche vorliegend viel dafür, dass das Bein der Klägerin eingeschlafen gewesen sei, weil sie über einen längeren Zeitraum an der betrieblichen Telefonkonferenz teilgenommen gehabt habe und es ihr damit unmöglich gewesen sei, aufzustehen oder einen relevanten Positionswechsel durchzuführen. Damit sei die versicherte Tätigkeit in diesem Fall als rechtlich wesentliche Ursache für das Unfallereignis anzusehen.
Gegen die ihr am 14. Februar 2022 zugestellte Entscheidung hat die Beklagte am 7. März 2022 Berufung bei dem Hessischen Landessozialgericht angebracht. Das Urteil widerspreche der Entscheidung des BSG vom 5. Juli 2016 (B 2 U 5/15 R). Bei der Prüfung des Betriebsinteresses des Weges im häuslichen Bereich komme es nicht auf den Umfang der betrieblichen oder privaten Nutzung des konkreten Unfallortes an, sondern auf die konkrete Richtung und das Ziel (Handlungstendenz) im Moment des Unfalls. Das Sozialgericht interpretiere die Entscheidung des BSG fehlerhaft. Die Lesart des Sozialgerichts würde zu dem Ergebnis führen, dass es in einem Arbeitszimmer so etwas wie einen Betriebsbann gäbe, der jedoch außerhalb der Schifffahrt unstreitig nicht normiert sei. Des mit Wirkung vom 18. Juni 2021 eingeführten Satzes 3 im § 8 Abs. 1 SGB VII hätte es nicht bedurft, wenn auch im Homeoffice die Wege zur Toilette oder Nahrungsaufnahme versichert seien. Die Entscheidung des BSG vom 21. März 2024 (Az.: B 2 U 14/21) betreffe nicht den Sachverhalt einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit, bei der es um die zusätzliche Verknüpfung mit einer „fremden Betriebsstätte“ gehe.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 14. Dezember 2021 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und zu dem Vorbringen der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten und auch der Gerichtsakte verwiesen, die sämtlichst Gegenstand der Beratung und Entscheidungsfindung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben, §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid vom 13. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2018, mit dem die Beklagte die Rücknahme des Bescheides vom 21. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016 und die Anerkennung eines Arbeitsunfalles vom 2. Februar 2016 abgelehnt hat.
Die Klägerin begehrt damit im Wege der Kombination (§ 56 SGG) einer Anfechtungs- und zweier Verpflichtungsklagen (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 und 3 SGG), die Ablehnungsentscheidung im Bescheid vom 13. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2018 (§ 95 SGG) gerichtlich aufzuheben sowie die Beklagte zu verpflichten, ihren bestandskräftigen (§ 77 SGG) Ausgangsbescheid vom 21. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016 zurückzunehmen und das Ereignis vom 2. Februar 2016 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht erhobene (§§ 143, 151 SGG) Berufung ist teilweise begründet. Das Sozialgericht hat der Klage zu Unrecht stattgegeben, soweit die Beklagte verpflichtet wurde, das Ereignis vom 2. Februar 2016 unter Aufhebung des Bescheides vom 21. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016 als Arbeitsunfall anzuerkennen. Im Ergebnis zutreffend hat das Sozialgericht demgegenüber den Bescheid der Beklagten 13. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2018 aufgehoben, da dieser (formell) rechtswidrig ist und die Klägerin in ihren Rechten verletzt.
Dazu im Einzelnen:
Die kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage ist zulässig und teilweise begründet.
Bei der Entscheidung des Rentenausschusses vom 13. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2018 über die Nichtrücknahme des Bescheides vom 21. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016 handelt es sich um einen belastenden Verwaltungsakt im Sinne von § 31 Satz 1 SGB X. Diese zu treffen, war der Rentenausschuss nicht berechtigt.
Nach der abschließenden Aufzählung in § 36a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Sozialgesetzbuch Viertes Buch (SGB IV), dessen Text von der 2009 gültigen Fassung bis zur heute gültigen Fassung keine Änderung erfahren hat, können in der Unfallversicherung durch Satzung (§ 34 SGB IV) nur die erstmalige Entscheidung über Renten, Entscheidungen über Rentenerhöhungen, Rentenherabsetzungen und Rentenentziehungen wegen Änderung der gesundheitlichen Verhältnisse (Buchstabe a) sowie Entscheidungen über Abfindungen mit Gesamtvergütungen, Renten als vorläufige Entschädigungen, laufende Beihilfen und Leistungen bei Pflegebedürftigkeit (Buchstabe b) besonderen Ausschüssen übertragen werden. Der in § 36a Abs.1 Satz 1 Nr. 2 SGB IV aufgeführte Kompetenzkatalog umfasst demnach weder isolierte Ablehnung eines Versicherungsfalls (Arbeitsunfall oder Berufskrankheit; § 7 Abs. 1 SGB VII) noch Entscheidungen über die Rücknahme von Verwaltungsakten mit einer solchen Feststellung.
Die Kompetenzüberschreitung durch den Rentenausschuss führt indessen nicht zur Nichtigkeit des Verwaltungsaktes nach § 40 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X). Die in § 40 Abs. 3 Nr. 1 und 3 SGB X enthaltenen Regelungen, wonach weder die örtliche Unzuständigkeit noch die Nichtbefassung eines zur Mitwirkung berufenen Ausschusses zur Nichtigkeit führen, rechtfertigt keinesfalls den Umkehrschluss, dass die sachliche Unzuständigkeit oder die Befassung eines zur Mitwirkung nicht berufenen Ausschusses ohne Weiteres zur Nichtigkeit führen. Derartige Gegenschlüsse lassen sich aus dem Negativkatalog des § 40 Abs. 3 SGB X nicht ziehen. In Fällen der vorliegenden Art ist vielmehr auf die Grundregel des § 40 Abs. 1 SGB X zurückzugreifen und die Frage der Nichtigkeit an den Kriterien des Gewichts und der Offenkundigkeit des Fehlers auszurichten. Die Voraussetzungen einer Nichtigkeit nach § 40 Abs. 1 SGB X liegen aber nicht vor. Danach kommt eine Nichtigkeit nur im Falle so genannter absoluter Unzuständigkeit in Betracht, wobei die mit dem Verwaltungsakt geregelte Angelegenheit keinen sachlichen Bezug zum Aufgabenbereich der handelnden Behörde haben darf und dies offenkundig sein muss (BSG vom 9. Juni 1999 - B 6 KA 76/97 R; BSG vom 6. Mai 2009 - B 6 KA 7/08 R; Roos/Blüggel in: Schütze, SGB X, 8. Auflage 2014, § 40, Rn. 10). Diese Voraussetzungen sind nicht gegeben. Denn die (Nicht-)Feststellung eines Versicherungsfalls ist Vorfrage für Entscheidungen über Renten und die (Nicht-)Gewährung von Verletztengeld und unfallversicherungsrechtlicher Heilbehandlung und gehört zum Aufgabenbereich des Unfallversicherungsträgers („intra vires“) (zu allem BSG vom 30. Januar 2020 - B 2 U 2/18 R).
Die Klägerin hat aber einen Anspruch auf Aufhebung des Bescheides des Rentenausschusses der Beklagten vom 13. September 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. Januar 2018 über die Nichtrücknahme des die Anerkennung eines Arbeitsunfalles ablehnenden Bescheides vom 21. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016, obwohl sich (wie im Folgenden näher ausgeführt wird) der Bescheid in der Sache als zutreffend erweist. Hierfür spricht schon, dass rechtswidrige Verwaltungsakte den rechtschutzsuchenden Bürger beschweren (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG) und er deren Aufhebung deshalb „durch Klage“ verlangen kann (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Variante 1 SGG). Handelt die Behörde verfahrensfehlerhaft, wandelt sich der Anspruch auf ein gesetzmäßiges Verwaltungshandeln in einen Anspruch auf Beseitigung des fehlerhaften Akts, soweit der Verfahrensmangel - anders als hier - nicht unbeachtlich oder geheilt und deswegen ausnahmsweise hinzunehmen ist. Die Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1 Var. 1 SGG) hat somit auch dann Erfolg, wenn die mit ihr verbundene (§ 56 SGG) Feststellungsklage oder - wie hier - Verpflichtungsklage abweisungsreif ist, weil materiell-rechtlich kein Versicherungsfall vorliegt. Der angefochtene Verwaltungsakt in der Gestalt des Widerspruchsbescheides (§ 95 SGG) ist dann - wie vorliegend - aufzuheben und die Klage im Übrigen abzuweisen. Die Klageabweisung kann aus Sachgründen erfolgen, weil eine behördliche Sachentscheidung vorliegt, auch wenn sie - uno actu - aus formellen Gründen aufgehoben worden ist (Spellbrink/Karmanski, Die gesetzliche Unfallversicherung in der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (Teil I), SGb 2021, 461 ff., 467; zu allem LSG Berlin-Brandenburg vom 17. Januar 2024 - L 3 U 156/22).
Die Klage hat somit aus formellen Gründen Erfolg. Die weitergehende Verpflichtungsklage (in der Sache) ist jedoch unbegründet. Der Bescheid der Beklagten vom 21. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016 ist jedenfalls materiell rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Eine Verpflichtung der Beklagten den Bescheid zurückzunehmen, war daher nicht auszusprechen.
Rechtsgrundlage des Anspruchs auf Rücknahme des Bescheides vom 21. März 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016 ist § 44 Abs. 1 SGB X. Nach dieser Vorschrift ist auch ein unanfechtbarer Verwaltungsakt, bei dessen Erlass das Recht unrichtig angewandt oder von einem unzutreffenden Sachverhalt ausgegangen worden ist, mit Wirkung für die Vergangenheit zurückzunehmen, soweit deshalb Sozialleistungen zu Unrecht nicht erbracht oder Beiträge zu Unrecht erhoben worden sind. Die Beklagte hat zwar in dem Bescheid vom 21. März 2016 nur die Anerkennung des Unfalls vom 2. Februar 2016 als Arbeitsunfall abgelehnt und nicht über konkrete Leistungsansprüche entschieden. In dem Bescheid findet sich lediglich die allgemeine Feststellung, dass „Ansprüche auf Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung“ nicht bestünden. Mit der pauschalen Leistungsablehnung sollten jedoch nur allgemein die Folgerungen beschrieben werden, die sich aus der Nichtanerkennung des Ereignisses vom 2. Februar 2016 als Arbeitsunfall ergeben. Es handelt es sich hierbei um einen bloßen Textbaustein ohne Regelungsgehalt (BSG vom 16. November 2005 - B 2 U 28/04; BSG vom 16. März 2021 - B 2 U 7/19 R, B 2 U 17/19 R und auch BSG vom 27. September 2023 - B 2 U 13/21 R).
Allerdings ist die Anerkennung eines Unfallereignisses als Versicherungsfall Grundlage und Voraussetzung jeder Leistungsgewährung, so dass mit der Ablehnung der Anerkennung als Arbeitsunfall auf der ersten Stufe denklogisch mittelbar auch alle Leistungsansprüche aus der gesetzlichen Unfallversicherung abgelehnt werden müssen. In dem sog. gestuften Verfahren, das die Beklagte im vorliegenden Fall gewählt hat, indem sie über das Vorliegen eines Versicherungsfalls vorab durch Verwaltungsakt entschieden hat, wird eine endgültige und verbindliche Entscheidung über die Leistungsgewährung zunächst zurückgestellt.
Das gestufte Verfahren ist dadurch gekennzeichnet, dass der Unfallversicherungsträger auf der ersten Stufe zunächst durch Verwaltungsakt über das Vorliegen des Versicherungsfalls und damit über die Eröffnung des unfallversicherungsrechtlichen Leistungsspektrums vorab entscheidet und in einer zweiten Stufe im gleichen Bescheid oder in einem oder mehreren weiteren Bescheiden über Leistungen entscheidet (BSG vom 16. März 2021 – B 2 U 17/19 R und B 2 U 7/19 R). An dem Streitgegenstand insgesamt, dem die Gewährung von Sozialleistungen inhärent ist, ändert diese Aufspaltung der Entscheidung entsprechend nichts.
In Ansehung der zitierten Rechtsprechung des BSG war es fallbezogen folglich ausreichend, dass sich die Klägerin zunächst nur gegen die Nichtanerkennung des Arbeitsunfalls gewendet hat. Ihr eigentliches und dahinterstehendes Ziel, Sozialleistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung (Sach- und Geldleistungen) zu erhalten, hat sie damit nicht aufgegeben, es sich vielmehr im Gegenteil offengehalten, auf der ggf. später erfolgenden Anerkennung des Arbeitsunfalls aufbauend uneingeschränkt Leistungen beanspruchen zu können. Über diese Leistungen waren und sind dann insgesamt auch schon Verwaltungsverfahren anhängig, die aber noch nicht durch entsprechende Verwaltungsakte im Einzelnen i.S.v. des § 8 Abs. 1 SGB X abgeschlossen wurden und denen sich die Beklagte dann auf der zweiten Stufe von Amts wegen (§ 19 Satz 2 SGB IV) zuzuwenden hat (BSG vom 16. März 2021 - B 2 U 7/19 R).
Soweit das BSG in seiner jüngsten Entscheidung vom 27. September 2023 (Az.: B 2 U 13/21 R) die Rücknahme in Fallkonstellationen wie der vorliegenden auf § 44 Abs. 2 SGB X stützt, vermag der Senat dem tragenden Argument, dass noch kein Sozialleistungen betreffender bindender Verwaltungsakt vorliegt und lediglich das Vorliegen eines Versicherungsfalles verneint worden sei, nicht zu folgen. § 44 Abs. 2 SGB X passt von seinem Regelungsgehalt her nicht auf feststellende Verwaltungsakte, denen - im Gegensatz zu anderen Feststellungsverfahren, z. B. nach dem Sozialgesetzbuch Neuntes Buch auf den Grad der Behinderung (GdB) - die mittelbare Gewährung einer Sozialleistung immanent ist (ähnlich Thüringer LSG vom 25. Oktober 2018 – L 1 U 1350/17). Auch in zeitlicher Hinsicht ist die Anwendung der Vorschrift problematisch. Nach § 44 Abs. 2 Satz 1 SGB X ist ein nicht begünstigender Verwaltungsakt, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft zurückzunehmen, soweit er rechtswidrig ist. Er kann auch für die Vergangenheit zurückgenommen werden (Satz 2). Grundsätzlich würde sich damit in einem Zugunstenverfahren der Feststellungszeitpunkt des Leistungsfalles an dem Datum der Rücknahme des ursprünglichen Verwaltungsaktes zu orientieren haben, die Anerkennung also nur ex nunc erfolgen. Eine Anerkennung auch schon für die Vergangenheit, ex tunc, – bei einem Arbeitsunfall zwingend – läge im behördlichen Ermessen. Folgerechtsstreite den Zeitpunkt der Anerkennung nebst solcher die Leistungsgewährung in zeitlicher Hinsicht betreffend wären damit vorprogrammiert.
Auch der Bescheid vom 21. März 2016 enthält mit der Nichtanerkennung des Ereignisses vom 2. Februar 2016 einen nicht begünstigenden, belastenden Verwaltungsakt.
Zwar war auch dieser formell rechtswidrig, weil auch er vom Rentenausschuss der Beklagten erlassen wurde, der - wie bereits ausgeführt - nicht befugt war, durch Verwaltungsakt über die (Nicht-) Feststellung eines Arbeitsunfalls zu befinden. Allerdings reicht dies jedenfalls bei materieller Rechtmäßigkeit der sachlichen Entscheidung nicht aus, die Beklagte zur Rücknahme ihrer Entscheidung zu verpflichten. Denn § 44 SGB X soll alleinig materiell-rechtliche Fehler beheben. Ist in der Sache richtig entschieden worden, hat sich die formelle Rechtswidrigkeit materiell-rechtlich nicht nachteilig ausgewirkt, sodass in diesem Fall das Interesse am Fortbestand des Verwaltungsakts und damit das Prinzip der Rechtssicherheit überwiegt. In dieser Situation kann der Betroffene nicht verlangen, dass die Behörde verpflichtet wird, einen bestandskräftigen Verwaltungsakt zurückzunehmen, den sie sogleich wieder erneut erlassen müsste (BSG vom 27. September 2023 - B 2 U 13/21 R m.w.N.). So liegt der Fall hier.
Die Klägerin hat am 2. Februar 2016 keinen Arbeitsunfall erlitten.
Arbeitsunfälle im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII sind Unfälle von Versicherten infolge einer den Versicherungsschutz nach §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit (versicherte Tätigkeit; Satz 1). Unfälle sind zeitlich begrenzte, von außen auf den Körper einwirkende Ereignisse, die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen (Satz 2). Für einen Arbeitsunfall ist es danach im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung des Versicherten zur Zeit des Unfalls der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist (innerer bzw. sachlicher Zusammenhang), diese Verrichtung zu dem zeitlich begrenzten, von außen auf den Körper einwirkenden Ereignis (dem Unfallereignis) geführt hat (Unfallkausalität) und das Unfallereignis einen Gesundheitserstschaden oder den Tod des Versicherten verursacht hat (haftungsbegründende Kausalität; vgl. u.a. BSG vom 21. März 2024 - B 2 U 14/21 R; BSG vom 5. Juli 2016 - B 2 U 19/14 R; BSG vom 18. November 2008 - B 2 U 27/07 R). Das Entstehen von länger andauernden Unfallfolgen aufgrund des Gesundheitserstschadens (haftungsausfüllende Kausalität) ist keine Voraussetzung für die Anerkennung eines Arbeitsunfalls, sondern für die Gewährung einer Verletztenrente (BSG vom 30. Januar 2007 - B 2 U 23/05 R; BSG vom 17. Februar 2009 - B 2 U 18/07 R und BSG vom 15. Mai 2012 - B 2 U 16/11 R).
Anzuwenden ist vorliegend § 8 Abs. 1 SGB VII in der bis zum 17. Juni 2021 geltenden Fassung (a. F.). Die durch das Betriebsrätemodernisierungsgesetz vom 14. Juni 2021 (BGBl. I 2021, S. 1762) mit Wirkung zum 18. Juni 2021 eingeführte gesetzliche Ergänzung (Satz 3 a.a.O.) findet - wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat - mangels einer ausdrücklichen Übergangsregelung keine Anwendung auf Versicherungsfälle vor ihrem Inkrafttreten (vgl. §§ 212 ff. SGB VII; Bayerisches LSG vom 12. Mai 2021 - L 3 U 373/18; Römer, jurisPR-SozR 19/2021). Nach dem nunmehr geltenden § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII besteht bei Ausübung der versicherten Tätigkeit im Haushalt der Versicherten oder an einem anderen Ort Versicherungsschutz in gleichem Umfang wie bei Ausübung der Tätigkeit auf der Unternehmensstätte. Damit soll nach der Gesetzesbegründung (vgl. BT-Drs. 19/29819, S. 18) der Versicherungsschutz im häuslichen Bereich auf Wegen zur Nahrungsaufnahme oder Beschaffung von Nahrungsmitteln zum alsbaldigen Verzehr oder zur Toilette sichergestellt werden, der zuvor von der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 5. Juli 2016 - B 2 U 5/15 R) verneint worden war.
Die Voraussetzungen des § 8 Abs. 1 SGB VII a. F. sind hier nur teilweise erfüllt. Die Klägerin gehörte nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII als bei der D.bank AG Beschäftigte zum versicherten Personenkreis. Auch erlitt sie am 2. Februar 2016 ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis und damit einen Unfall, indem sie beim Aufstehen aus ihrem Schreibtischstuhl ihren linken Fuß belastete, umknickte und gegen die geöffnete Tür stürzte. Hierdurch erlitt sie - dies ist zwischen den Beteiligten unstreitig - eine pilon-tibiale Fraktur und damit einen Gesundheitserstschaden. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts verrichtete die Klägerin allerdings im Unfallzeitpunkt keine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit. Denn die konkrete Verrichtung der Klägerin zum Zeitpunkt des Unfallereignisses - Aufstehen mit dem Ziel zur Toilette zu gehen -, stand in keinem inneren oder sachlichen Zusammenhang mit der versicherten Tätigkeit der Klägerin, die sie im Homeoffice ausübte. Ihre objektivierte Handlungstendenz war auf eine eigenwirtschaftliche und nicht auf eine betriebliche Tätigkeit gerichtet.
Eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit als Beschäftigter liegt vor, wenn der Verletzte zur Erfüllung eines mit ihm begründeten Rechtsverhältnisses, insbesondere eines Arbeitsverhältnisses, eine eigene Tätigkeit in Eingliederung in das Unternehmen eines anderen (vgl. § 7 Abs. 1 SGB IV) zu dem Zweck verrichtet, dass die Ergebnisse der Verrichtung dem Unternehmen und nicht dem Verletzten selbst unmittelbar zum Vorteil oder Nachteil gereichen (vgl. § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII). Es kommt objektiv auf die Eingliederung des Handelns des Verletzten in das Unternehmen eines anderen und subjektiv auf die zumindest auch darauf gerichtete Willensausrichtung an, dass die eigene Tätigkeit unmittelbare Vorteile für das Unternehmen des anderen bringen soll. Eine Beschäftigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII wird daher ausgeübt, wenn die Verrichtung zumindest dazu ansetzt und darauf gerichtet ist, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt- oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen oder der Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zur Zeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht oder er unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis ausübt (BSG vom 23. April 2015 - B 2 U 5/14 R; BSG vom 26. Juni 2014 - B 2 U 7/13 R; BSG vom 15. Mai 2012 - B 2 U 8/11 R).
Für das Vorliegen eines Arbeitsunfalls nach § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII ist es in diesem Sinne erforderlich, dass das Verhalten des Versicherten, bei dem sich der Unfall ereignet hat, der versicherten Tätigkeit zuzurechnen ist. Es muss eine sachliche Verbindung mit der im Gesetz genannten versicherten Tätigkeit bestehen, der sog. innere Zusammenhang, der es rechtfertigt, das betreffende Verhalten der versicherten Tätigkeit zuzurechnen. Der innere bzw. sachliche Zurechnungszusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der zum Unfall führenden Verrichtung ist wertend zu ermitteln, indem untersucht wird, ob die jeweilige Verrichtung innerhalb der Grenze liegt, bis zu welcher der Versicherungsschutz in der gesetzlichen Unfallversicherung reicht. Die tatsächlichen Grundlagen dieser Wertentscheidung müssen im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Maßgeblich ist die objektivierte Handlungstendenz des Versicherten, d.h., dass er bei der zum Unfallereignis führenden Verrichtung eine dem Unternehmen dienende Tätigkeit ausüben wollte und diese (subjektive) Handlungstendenz durch die objektiven Umstände des Einzelfalls bestätigt wird (st. Rspr; z.B. BSG vom 21. März 2024 – B 2 U 14/21 R; BSG vom 30. März 2023 - B 2 U 1/21 R jeweils m.w.N.). Es ist auf die letzte unmittelbar vor dem Unfallereignis ganz konkret ausgeübte Verrichtung als kleinste Handlungssequenz abzustellen (u.a. BSG vom 21. März 2024 - B 2 U 14/21 R; BSG vom 31. März 2022 - B 2 U 13/20 R; BSG vom 7. Mai 2019 - B 2 U 31/17 R; BSG vom 23. Januar 2018 - B 2 U 3/16 R). Diese Grundsätze gelten gleichermaßen für Tätigkeiten auf Betriebsstätten wie im sog. Homeoffice (BSG vom 21. März 2024 - B 2 U 14/21 R). Insofern besteht kein Unterschied zu der Beschäftigung auf der Betriebsstätte.
Die objektivierte Handlungstendenz der Klägerin war in dem Zeitpunkt, als sie sich von ihrem Schreibtischstuhl erhob und ihren linken Fuß belastete, darauf gerichtet, zur Toilette zu gehen. Als eine für jedermann elementare und tätigkeitsunabhängige Lebensnotwendigkeit ist das Verrichten der Notdurft eine eigenwirtschaftliche und damit unversicherte Handlung.
Allerdings sind die Wege, die Beschäftigte während der Arbeitszeit zum Aufsuchen der Toilettenräume und zurück zur Arbeitsstätte zurücklegen, nach ständiger Rechtsprechung des BSG grundsätzlich unfallversichert. Dieser Versicherungsschutz beruht darauf, dass der während einer Arbeitspause zurückgelegte Weg zur Toilette in zweierlei Hinsicht mit der Betriebstätigkeit verknüpft ist: zum einen dient der Toilettenbesuch während der Arbeitszeit der Aufrechterhaltung der Arbeitsfähigkeit und damit der Fortsetzung der betrieblichen Tätigkeit. Zum anderen handelt es sich um einen Weg, der in seinem Ausgangs- und Zielpunkt durch die Notwendigkeit geprägt ist, persönlich an der Arbeitsstätte anwesend zu sein, um dort betriebliche Tätigkeiten zu verrichten (BSG vom 30. März 2017 - B 2 U 15/15 R; BSG vom 6. Dezember 1989 - 2 RU 5/89; BSG vom 5. August 1993 - 2 RU 2/93).
Einen in diesem Sinne versicherten Betriebsweg im Sinne von § 8 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII hat das BSG demgegenüber ganz grundsätzlich ausgeschlossen, wenn bei einer häuslichen Arbeitsstätte (Homeoffice) ein Weg innerhalb des Wohngebäudes zurückgelegt wird, um einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit (dort: zu Trinken) nachzugehen (BSG vom 5. Juli 2016 - B 2 U 5/15 R). Eine Einschränkung hat das BSG nur insoweit vorgenommen, als der häusliche Betriebsweg zur Ausführung der versicherten Tätigkeit selbst zurückgelegt wird, was allerdings (auch) im Falle der hiesigen Klägerin nicht der Fall war, die - wie ausgeführt - im eigenwirtschaftlichen Interesse zur Toilette gehen wollte.
Soweit das Sozialgericht gleichwohl Versicherungsschutz angenommen hat, vermag der Senat den hierzu führenden Erwägungen nicht zu folgen. Richtig ist zwar, dass das BSG in seiner Entscheidung vom 5. Juli 2016 offengelassen hat, inwieweit innerhalb eines zur Telearbeit eingerichteten Arbeitsraumes Unfallversicherungsschutz bestehen kann.
Vom Ergebnis her nimmt das Sozialgericht bei Versicherten, die mit Billigung und finanzieller Unterstützung des Arbeitgebers im Homeoffice arbeiten, unter der Voraussetzung, dass der Arbeitgeber eine grundsätzliche Verfügungsgewalt über die häusliche Arbeitsstätte hat, einen generellen, umfassenden Versicherungsschutz innerhalb der Arbeitsstätte, also des zur Telearbeit eingerichteten Arbeitsraumes, an. Dass die Klägerin einen so definierten (Tele-) Arbeitsplatz innehatte, hat das Sozialgericht, ohne dass der Senat daran Zweifel hätte, herausgearbeitet. Der entscheidend an dem Merkmal der Verfügungsgewalt des Arbeitsgebers über das häusliche Arbeitszimmer und sich daraus ergebenden Kontroll- und Präventionsmöglichkeiten festgemachte Begründungsansatz trägt jedoch nicht.
Rein tatsächlich würde der Versicherungsschutz damit an der Tür des häuslichen Arbeitszimmers beginnen und enden, unabhängig der konkreten Verrichtung zum Unfallzeitpunkt. Abgestellt würde insofern nur auf einen rein räumlichen und zeitlichen Zusammenhang, nämlich die bloße Anwesenheit im häuslichen Arbeitszimmer während der Arbeitszeit, bei unterstellter praktisch andauernder Ausübung der versicherten Verrichtung, in die auch zeitlich unerhebliche private Verrichtungen eingeschoben werden könnten. Dem steht entgegen, dass es in der gesetzlichen Unfallversicherung - mit Ausnahme der Schifffahrt (§ 10 SGB VII) - keinen Betriebsbann gibt, entsprechend nicht alle Verrichtungen eines Beschäftigten während der Arbeitszeit und auf der Arbeitsstätte versichert sind. Dies hat das BSG in der Entscheidung vom 5. Juli 2016 ausdrücklich bekräftigt (Az.: B 2 U 5/15 R) und daran festgehalten, dass nicht alle Wege eines Beschäftigten während der Arbeitszeit und/oder auf der Arbeitsstätte unter dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung stehen, sondern nur solche Wege, bei denen ein nach der objektiven Handlungstendenz zu bestimmender sachlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und dem Zurücklegen des Weges gegeben ist. Aus der (fallbezogen) gegebenen Einflussmöglichkeit der Arbeitgeberin lassen sich daher keine Argumente für den Versicherungsschutz herleiten.
In seiner Entscheidung vom 21. März 2024 - die das Sozialgericht noch nicht berücksichtigen konnte - hat das BSG im Übrigen klargestellt, dass der Versicherungsschutz für die Versicherten nicht an eine erfolgreiche Prävention knüpft, weil die erschwerte Prävention dem Arbeiten im Homeoffice ebenso wie einem solchen an jedem anderen Ort als der klassischen Betriebsstätte immanent sei und deshalb keinen sachlichen Differenzierungsgrund darstelle (BSG vom 21. März 2024 - B 2 U 14/21 R).
Der Begründungsansatz des Sozialgerichts übersieht zudem, dass es dem Weg zur Toilette an der Betriebsbedingtheit fehlt. Nach Auffassung des Senats sind die vom BSG entschiedenen Fallkonstellationen zur Nahrungsaufnahme im Homeoffice (vgl. hierzu BSG vom 18. Juni 2013 - B 2 U 7/12 R, und BSG vom 5. Juli 2016 - B 2 U 5/15 R) auf die vorliegenden Verhältnisse übertragbar. Die Klägerin unterlag hinsichtlich des Toilettenganges, anders als an der Betriebsstätte bei der D.bank, weder räumlich noch zeitlich betrieblichen Vorgaben oder Zwängen. Auch war der Weg zur Toilette weder räumlich durch einen außerhalb der Wohnung gelegenen Betriebsort vorgegeben noch innerhalb eines zeitlichen Rahmens zu erledigen und stand in keinem Zusammenhang mit bereits erbrachter Arbeit. Für die Telearbeit hatte sich die Klägerin aus freien Stücken entschieden. In seinen Entscheidungen zum Versicherungsschutz im Homeoffice hat das BSG sich klar gegen eine Entgrenzung der Arbeit und einen sich lediglich an der Arbeitnehmereigenschaft orientierenden Unfallversicherungsschutz positioniert, wie aus dem Urteil vom 18. Juni 2013 ersichtlich, um zum einen einer Ausuferung, aber auch einem Missbrauch zu begegnen. Mit dem Schutzzweck der gesetzlichen Unfallversicherung, Fragen der Prävention im häuslichen Bereich, aber auch der Beitragshöhe im Falle eines „rund-um-Schutzes“ lassen sich hierfür gute Gründe finden (siehe dazu auch kritisch Jung, SGb 2017, 412 ff, 415). Die Haltung des BSG hat der Gesetzgeber mit der zum 18. Juni 2021 in Kraft getretenen Gleichstellungsklausel des § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII von Homeoffice und klassischer Arbeit zum Anlass genommen, nach eben dieser Rechtsprechung bestehende Unterschiede beim Versicherungsschutz zu beseitigen. Für sog. Altfälle, wie dem vorliegenden, gilt die bisherige Rechtsprechung des BSG, der der Senat uneingeschränkt folgt, fort.
Zusammengefasst bleibt es daher dabei, dass bei Versicherten, die mit Billigung und finanzieller Unterstützung des Arbeitgebers im Homeoffice arbeiten, grundsätzlich nur Versicherungsschutz innerhalb der Arbeitsstätte, also des zur Telearbeit eingerichteten Arbeitsraumes, besteht, sofern ihre objektive Handlungstendenz auf eine betriebliche Verrichtung gerichtet ist. Hieran scheitert es fallbezogen; der Gang zur Toilette war von privaten, eigenwirtschaftlichen Motiven geprägt. Dass die häusliche Toilette weder Teil der Betriebsstätte war noch aufgrund der zwischen der Klägerin und ihrer Arbeitgeberin die Telearbeit betreffenden arbeitsvertraglichen Regelungen zur Arbeitsstätte gehörte, ist zwischen den Beteiligten im Übrigen unstreitig und bedarf keiner weiteren Befassung.
Das Ereignis vom 2. Februar 2016 war daher kein Arbeitsunfall. Der Berufung der Beklagten war nur insoweit stattzugeben, soweit sie sich (auch) gegen die ihr vom Sozialgericht auferlegte Verpflichtung wendet, das Ereignis vom 2. Februar 2016 unter Rücknahme des Bescheides vom 21. März 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. September 2016 als Arbeitsunfall anzuerkennen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Anlass, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht. Die dem Fall zugrundeliegende Rechtsfrage ist durch die Einführung des § 8 Abs. 1 Satz 3 SGB VII mit Wirkung ab dem 18. Juni 2021 überholt.