L 2 SO 889/25 ER-B

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Sozialhilfe
Abteilung
2.
1. Instanz
SG Konstanz (BWB)
Aktenzeichen
S 3 SO 143/25 ER
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 2 SO 889/25 ER-B
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts Konstanz vom 13. Februar 2025 wird zurückgewiesen.

Der Antragsgegner hat den Antragstellern ihre notwendigen außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens zu erstatten.


Den Antragstellern wird für das Beschwerdeverfahren Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung bewilligt und Rechtsanwalt B1, S1, beigeordnet.


Gründe


I.
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Sozialgerichts (SG) Konstanz vom 13.02.2025 hat keinen Erfolg.

Mit diesem Beschluss hat das SG den Antragsgegner auf den Antrag der Antragsteller vom 20.01.2025 hin verpflichtet, diesen ab dem 01.03.2025, längstens bis zum 31.07.2025 oder bis zu einer rechtskräftigen bzw. bestandskräftigen Entscheidung über die Leistungsanträge der Antragsteller, vorläufig Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung nach dem Zwölften Buch Sozialgesetzbuch (SGB XII) in gesetzlicher Höhe zu bewilligen. Im Übrigen (d.h. für die Zeit ab Antragseingang bei Gericht bis zum 28.02.2025) hat es die Anträge abgelehnt.

Die 1949 geborene Antragstellerin zu 1 bezieht eine Altersrente in Höhe von monatlich 214,90 Euro und ihr 1954 geborener Ehemann, der Antragsteller zu 2, erhält eine englische und eine deutsche Altersrente in Höhe von zusammen monatlich 836,80 Euro. Die Eheleute bewohnen eine Mietwohnung in der K1straße in S1, für die eine monatliche Grundmiete von 1.030,00 Euro sowie 230,00 Euro für Nebenkosten, mithin 1.260,00 Euro bruttowarm zu entrichten sind. Die Antragsteller bezogen vom Antragsgegner zunächst vom 01.08.2023 bis 31.07.2024 Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung. Die Leistungsgewährung erfolgte erst nach für die Antragsteller erfolgreichem einstweiligen Rechtsschutzverfahren (vgl. Beschlüsse des SG Konstanz vom 18.12.2023, - S 6 SO 1719/23 ER - und des Landessozialgerichts [LSG] vom 16.01.2024 - L 2 SO 3531/23 ER-B -).
Die Weitergewährungsanträge der Antragstellerin zu 1 und des Antragstellers zu 2, der zwischenzeitlich für kurze Zeit nach eigenen Angaben nach Norddeutschland verzogen war, inzwischen aber wieder in der ehelichen Wohnung wohnt, lehnte der Antragsgegner mit dem Bescheid vom 09.09.2024 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 13.01.2025 (Antragstellerin zu 1) bzw. mit Bescheid vom 16.10.2024 (Antragsteller zu 2, über den hiergegen am 25.10.2025 erhobenen Widerspruch ist noch nicht entschieden) ab, weil die Hilfebedürftigkeit der Antragsteller nicht nachgewiesen sei.

Am 19.09.2024 stellten die Antragsteller beim SG Konstanz einen Antrag auf Gewährung von einstweiligem Rechtsschutz (S 3 SO 1634/24 ER). Diesen Antrag nahmen sie im Erörterungstermin am 15.10.2024 nach Hinweis des SG zurück, nachdem die Antragsteller in diesem Termin mitgeteilt hatten, noch über Barvermögen von 1.500,00 Euro zu verfügen, so dass der Lebensunterhalt zumindest bis zur beabsichtigten Entscheidung des Antragsgegners über den Widerspruch im November 2024 gesichert werden konnte.
Nachdem der Antragsgegner den Widerspruch gegen den Bescheid vom 09.09.2024 mit Widerspruchsbescheid vom 13.01.2025 zurückwies, haben die Antragsteller beim SG Konstanz hiergegen am 20.01.2025 Klage erhoben sowie den vorliegenden erneuten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gestellt.

II.
Die am 17.03.2025 beim LSG Baden-Württemberg eingegangene Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des SG vom 13.02.2025, dem Antragsgegner zugestellt am 18.02.2025, ist gemäß § 172 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthaft und nach § 173 SGG insbesondere form- und fristgerecht erhoben worden.

Die Beschwerde ist jedoch nicht begründet.

Nach § 86b Abs. 2 Satz 1 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung treffen, wenn die Gefahr besteht, dass durch eine Veränderung des bestehenden Zustandes die Verwirklichung eines Rechts des Antragsstellers vereitelt oder wesentlich erschwert werden könnte. Einstweilige Anordnungen sind auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Ein Anordnungsgrund ist dann gegeben, wenn der Erlass der einstweiligen Anordnung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (§ 86b Abs. 2 Satz 2 SGG). Dies ist der Fall, wenn es dem Antragssteller nach einer Interessenabwägung unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls nicht zumutbar ist, die Entscheidung in der Hauptsache abzuwarten (Keller in Meyer-Ladewig/Keller /Schmidt, Kommentar zum SGG, 14. Auflage 2023, § 86b Rn. 28). Die Erfolgsaussicht des Hauptsacherechtsbehelfs (Anordnungsanspruch) und die Eilbedürftigkeit der erstrebten einstweiligen Regelung (Anordnungsgrund) sind glaubhaft zu machen (§ 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung [ZPO]). Dabei begegnet es grundsätzlich keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, wenn sich die Gerichte bei der Beurteilung der Sach- und Rechtslage aufgrund einer summarischen Prüfung an den Erfolgsaussichten der Hauptsache orientieren (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Beschluss vom 02.05.2005 -1 BvR 569/05 -, BVerfGE 5, 237, 242). Allerdings sind die an die Glaubhaftmachung des Anordnungsanspruchs und Anordnungsgrundes zu stellenden Anforderungen umso niedriger, je schwerer die mit der Versagung vorläufigen Rechtsschutzes verbundenen Belastungen - insbesondere auch mit Blick auf ihre Grundrechtsrelevanz - wiegen (vgl. BVerfG NJW 1997, 479; NJW 2003, 1236; NVwZ 2005, 927). Die Erfolgsaussichten der Hauptsache sind daher in Ansehung des sich aus Art. 1 Abs. 1 des Grundgesetzes (GG) ergebenden Gebots der Sicherstellung einer menschenwürdigen Existenz sowie des grundrechtlich geschützten Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz (Art. 19 Abs. 4 GG) u.U. nicht nur summarisch, sondern abschließend zu prüfen; ist im Eilverfahren eine vollständige Aufklärung der Sach- und Rechtslage nicht möglich, so ist bei besonders folgenschweren Beeinträchtigungen eine Güter- und Folgenabwägung unter Berücksichtigung der grundrechtlichen Belange des Antragstellers vorzunehmen (BVerfG, Beschluss vom 14.03.2019 - 1 BvR 169/19 - juris, Rn. 15; LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 13.10.2005 - L 7 SO 3804/05 ER-B - und vom 06.09.2007 - L 7 AS 4008/07 ER-B - beide juris jeweils unter Verweis auf die Rechtsprechung des BVerfG).

Streitgegenstand des vorliegenden Beschwerdeverfahrens ist allein die Leistungsgewährung für die Monate März bis Juli 2025. Soweit das SG mit Beschluss vom 13.02.2025 die Leistungsgewährung für die Zeit vor dem 01.03.2025 abgelehnt hat, ist diese Ablehnung rechtskräftig geworden, da die Antragsteller den Beschluss nicht angefochten haben. Gleiches gilt für die Beschränkung der Verpflichtung zur vorläufigen Leistungsgewährung des Antragsgegners bis zum 31.07.2025 durch das SG. 

Die Beschwerde bleibt jedoch ohne Erfolg.

Der angefochtene Beschluss des SG Konstanz vom 13.02.2025 ist nicht zu beanstanden. Das SG hat zutreffend die für die Gewährung von Leistungen der Grundsicherung im Alter und bei Erwerbsminderung maßgeblichen Rechtsvorschriften dargelegt (
§ 19 Abs. 2, §§ 41 ff. SGB XII) und zutreffend ausgeführt, dass die Antragsteller aktuell entgegen der Ansicht des Antragsgegners hilfebedürftig im Sinne dieser Vorschriften sind. Insbesondere sind den vorgelegten Unterlagen keine Einnahmen über die bereits berücksichtigten Renteneinnahmen hinaus zu entnehmen. Dem schließt sich der Senat nach eigener Prüfung uneingeschränkt an und sieht deshalb von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe weitgehend ab (vgl. § 142 Abs. 2 Satz 3 SGG).

Etwas Anderes ergibt sich auch nicht aus dem Beschwerdeverfahren. Anhaltspunkte dafür, dass die Antragsteller über weiteres Einkommen oder Vermögen verfügen, sind nicht ersichtlich. Die Antragsteller haben im Beschwerdeverfahren lückenlos die Kontoauszüge ihrer beiden Konten (bei der P1bank mit der IBAN xxx5 00 und der IBAN xxx8 00) für den Zeitraum vom 01.01.2025 bis 16.04.2025 vorgelegt, aus denen sich keine weiteren Einnahmen ergeben. Die vormals von den Antragstellern geführte OHG wurde abgemeldet.

Soweit der Antragsgegner vorträgt, es sei nicht auszuschließen, dass die Antragsteller über weitere Bargeldvorräte verfügten, da die Antragstellerin zu 1 noch im Oktober 2024 angegeben habe, noch etwa 1.500,00 Euro in bar zu Hause zu haben und sie im Widerspruchsverfahren auf die Frage des Antragsgegners nach der Höhe dieses Bargeldbestands bislang nicht geantwortet habe, ist zunächst zu berücksichtigen, dass die Antragsteller ab August 2024 keine Leistungen erhielten, so dass vieles dafür spricht, dass die bekannten Bargeldvorräte inzwischen aufgebraucht sind, zumal diese, sollten sie doch noch vorhanden sein, einer Leistungsgewährung nicht entgegenstünden, da sie unterhalb der nach § 1 Abs. 1 Nr. 1b der Verordnung zu § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII maßgeblichen Vermögensfreigrenze liegen. Soweit der Antragsgegner bemängelt, dass keine weiteren Angaben zum Vermögen gemacht worden sind, ergeben sich hieraus zur Überzeugung des Senats keine Tatsachen, die auf verdeckte Einnahmequellen oder Vermögen schließen lassen. Wie der Senat bereits im von denselben Beteiligten geführten Verfahren L 2 SO 3531/23 ER-B ausgeführt hat, ist zu berücksichtigen, dass Sozialleistungsträger grundsätzlich existenzsichernde Leistungen nicht aufgrund von bloßen Mutmaßungen verweigern dürfen, die sich auf vergangene Umstände stützen, wenn diese über die gegenwärtige Lage eines Hilfebedürftigen keine eindeutigen Erkenntnisse ermöglichen. Eine gesteigerte Nachweisobliegenheit in dem Sinne, dass widerspruchsfreie und lückenlose Nachweise in Form von beweiskräftigen Urkunden bzw. Zeugenaussagen zu erbringen sind, besteht bei einem Hilfebedürftigen, dessen persönliche Glaubwürdigkeit aufgrund besonderer Umstände erschüttert ist (vgl. Beschluss des Senats, a.a.O.). Wie das SG erachtet der Senat vorliegend die Glaubwürdigkeit der Antragsteller aber gerade nicht als erschüttert.

Zu einem anderen Ergebnis führt auch nicht der Vortrag des Antragsgegners, die Antragsteller hätten zudem keinen Anspruch auf die Übernahme der tatsächlichen Mietkosten, da diese unangemessen seien und die Antragsteller vor ihrem Umzug keine Zusicherung eingeholt hätten, so dass nach § 35a Abs. 2 Satz 2 SGB XII die Aufwendungen für Unterkunft und Heizung für die neue Unterkunft nur in Höhe angemessener Aufwendungen als Bedarf anzuerkennen seien. Der Senat kann hier offenlassen, ob die geltend gemachten Aufwendungen tatsächlich angemessen sind. Denn eine Verpflichtung des Antragsgegners auf Übernahme der tatsächlichen Unterkunftskosten hat das SG letztlich gar nicht ausgesprochen, so dass der Antragsgegner hier nicht beschwert ist. Es hat den Antragsgegner nämlich nur zur Übernahme der Leistungen in gesetzlicher Höhe - ein Leistungsanspruch würde sich auch bei Berücksichtigung der niedrigeren Kosten von Unterkunft und Heizung erheben - verpflichtet, deren Höhe der Antragsgegner dann im Rahmen einer Umsetzungsentscheidung festzusetzen hat. Dass das SG in der Begründung die tatsächlichen Kosten der Unterkunft und Heizung nennt, spielt hierfür keine Rolle - zumindest in Fällen wie dem vorliegenden, wenn nicht ausgeführt wird, dass diese auch tatsächlich angemessen sind - da nicht die Begründung, sondern der Tenor maßgeblich für die Verpflichtung ist. Nicht zuletzt ist die Verpflichtung lediglich zur vorläufigen Leistungsgewährung erfolgt, so dass eventuell zu viel gezahlte Beträge im Rahmen einer endgültigen Festsetzung im Hauptsachverfahren berücksichtigt werden könnten.

Zuletzt führt nach Überzeugung des Senats zu keinem anderen Ergebnis, dass bislang keine Kündigung seitens des Vermieters der Antragsteller ausgesprochen wurde oder sonst eine konkrete Gefährdung der Unterkunft vorliegt. Der Antragsgegner verkennt nämlich in diesem Zusammenhang, dass bislang bis zuletzt die Miete von den Antragstellern (aus ihrem Barvermögen bzw. durch die Gewährung eines Darlehens durch eine Bekannte oder seit März 2025 durch die vom Antragsgegner in Umsetzung des Beschlusses des SGs gewährten Leistungen) gezahlt wurde und daher gar nicht abschätzbar ist, wie der Vermieter reagieren würde, wenn die Antragsteller die Miete nicht mehr bzw. nur noch weniger Miete bezahlen würden. Die vom Antragsgegner zitierte Rechtsprechung, wonach konkrete und glaubhafte Hinweise auf eine ernsthafte Gefährdung des Mietverhältnisses vorliegen müssen, um einen Anordnungsgrund im Sinne des
§ 86b Abs. 2 SGG zu begründen (vgl. hierzu z.B. LSG Mecklenburg-Vorpommern, Beschluss vom 27.02.2020 - L 8 AS 366/19 B ER -, juris Rn. 12), erging zu anderen Fallkonstellationen. Diesen lagen nämlich Fälle zugrunde, in denen bereits (über längere Zeit) keine Miete bezahlt wurde und der jeweilige Vermieter dennoch keine Kündigung aussprach. In solchen Fällen kann dann ggf. davon ausgegangen werden, dass auch bei Nichtzahlung der Miete tatsächlich keine unmittelbare Gefahr für den Erhalt der Wohnung besteht. Es kann aber aus diesen Entscheidungen nicht abgeleitet werden, dass einstweiliger Rechtsschutz immer erst dann gewährt werden kann, wenn die Antragsteller zuerst durch die Nichtzahlung der Miete die Reaktion ihres Vermieters hierauf bereits getestet haben. Das Eingehen des Risikos einer solchen konkreten und zeitnahen Gefährdung der Unterkunft kann von den Antragstellern nicht als Voraussetzung für das Vorliegen eines Anordnungsgrundes verlangt werden. 

Nach alledem war die Beschwerde zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung von § 193 SGG.

III.
Den Antragstellern war zudem schon aufgrund § 73a SGG i.V.m. § 119 Abs. 1 Satz 2 ZPO Prozesskostenhilfe ohne Ratenzahlung unter Beiordnung von Rechtsanwalt B1 zu gewähren, weil der Gegner das Rechtsmittel eingelegt hat. Im Übrigen hatte die Beschwerde ausreichende Erfolgsaussichten (s.o.)

Dieser Beschluss ist nicht anfechtbar (§ 177 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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