L 6 AS 444/22

Land
Hessen
Sozialgericht
SG Darmstadt (HES)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG Darmstadt (HES)
Aktenzeichen
S 33 AS 817/21
Datum
2. Instanz
Hessisches LSG
Aktenzeichen
L 6 AS 444/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze


§ 7 Abs. 4a SGB II in der bis zum 31.12.2010 geltenden Fassung findet als Ordnungsvorschrift zur Missbrauchskontrolle auch auf solche erwerbsfähige Leistungsberechtigte Anwendung, die sich nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II aktuell dem Arbeitsmarkt nicht zur Verfügung stellen müssen. 


I.    Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt abgeändert und die Klage der Klägerin zu 1, des Klägers zu 2 und des Klägers zu 3 abgewiesen. Im Übrigen wird die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.

II.    Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers zu 4 in beiden Instanzen. Im Übrigen haben die Beteiligten einander keine Kosten zu erstatten.  

III.    Die Revision wird nicht zugelassen. 


Tatbestand

Die Beteiligten streiten über Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitsuchende (SGB II) in der Zeit vom 1. Oktober 2021 bis 26. Dezember 2021.

Die Klägerin zu 1 ist Mutter der in den Jahren 2012, 2013 und 2021 geborenen Kläger zu 2 - 4. Der Kläger zu 4 ist 2021 geboren. Die Familie steht seit dem 1. Oktober 2013 im Leistungsbezug nach dem SGB II beim Beklagten. Die Klägerin zu 1 ist verheiratet mit Herrn E. A., der der Vater der Kläger zu 2 - 4 ist. Herr E. A. leidet seit Geburt unter einer spastischen Paraparese (Verwaltungsakte [VA] als PDF Bl. 361, Dok. 239), ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 100 und den Merkzeichen G, AG, B und H. Er bezog Pflegegeld nach Pflegegrad 4 (s. VA PDF Bl. 450, Dok. 479) und Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch – Sozialhilfe (SGB XII). Die Klägerin zu 1 bezog seit der Geburt des Klägers zu 4 aufgrund eines Bescheids des Hessischen Amtes für Versorgung Basiselterngeld in Höhe von 300,- Euro monatlich bis einschließlich 16. Januar 2022 (VA PDF Bl. 82, Dok. 164). 

Auf einen Weiterbewilligungsantrag der Kläger bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 2. September 2021, geändert durch Bescheid vom 28. September 2021, den Klägern Leistungen für den Zeitraum Oktober 2021 bis März 2022 (VA PDF Bl. 218, Dok. 200 bzw. Bl. 267, Dok. 209), unter Anrechnung von Kindergeld und Elterngeld in Höhe von 300,- Euro sowie unter Berücksichtigung von im Februar 2022 zu zahlendem Schulbedarf für die Kläger zu 2 und 3.

Mit E-Mail vom 1. Oktober 2021 wandte sich Herr E. A. an den Beklagten, um eine Ortsabwesenheit seiner Ehefrau und Kinder zu melden. Wörtlich lautet die E-Mail: „... Hiermit melde ich die Ortsabwesenheit meiner Ehefrau und der Kinder. Ich habe eine Reha-Maßnahme im Ausland angenommen die sehr dringend ist. Meine Ehefrau wird mich als meine Pflege- und Begleitpersonen zu der Reha-Maßnahme begleiten müssen. Die Kinder werden mitkommen." (VA PDF Bl. 305, Dok. 219).
Ab dem 1. Oktober 2021 hielt sich die Familie nicht mehr in Deutschland auf (VA PDF Bl. 357, Dok. 239).  

Auf eine Nachfrage der Fallmanagerin vom 6. Oktober 2021, in welchem Zeitraum die Reise stattfinden werde, antwortete Herr E. A. mit E-Mail vom 6. Oktober 2021, dass aufgrund der Schwere seiner Erkrankung eine sechsmonatige Reha-Maßnahme verordnet worden sei, welche die Familie vom 1. Oktober 2021 bis zum 31. März 2022 wahrnehmen werde. Der E-Mail beigefügt war ein Attest zur Vorlage beim Sozialamt des Dr. H. vom 17. September 2021, in welchem dieser ausführte, dass bei Herrn A. „aufgrund der ausgeprägten Muskelschwäche bei extrem verhärteter Extremitätsmuskulatur bei bekannten Spastischer Diparese von ICP-Typ“ eine „Langzeitrehabilitation“ medizinisch notwendig sei, welche mehrere Monate, möglichst sechs Monate, andauern müsste (VA PDF Bl. 333 ff., Dok. 221, 222).

Mit E-Mail vom 7. Oktober 2021 übersandte die Fallmanagerin ein Elternzeitformular für die Klägerin zu 1 an Herrn A. Die Fallmanagerin führte aus, dass für die Klägerin zu 1. die Möglichkeit bestehe, Elternzeit für den Kläger zu 4. für den Zeitraum von drei Jahren zu beantragen und dass im Fall der Beantragung für die Klägerin zu 1 die Möglichkeit bestehe, für drei Monate ortsabwesend zu sein. Sie wies weiterhin darauf hin, dass die Leistungen ab dem ersten Tag der Ortsabwesenheit für die Klägerin zu 1 versagt werden würden, sofern diese nicht nach drei Monaten zurückgekehrt sei (VA PDF Bl. 338, Dok. 225).

Mit E-Mail vom 7. Oktober 2021 erläuterte Herr A., dass er auf die Pflege seiner Ehefrau zu 100 % angewiesen sei und ohne ihre Hilfe die Rehabilitationsmaßnahme nicht wahrnehmen könnte. Aus diesem Grund sei seine Ehefrau auch nicht vermittlungsfähig i.S. des § 10 Abs. 1 Nr. 4 SGB II. Die Reha-Maßnahme müsste er ohne sie abbrechen, obwohl sie zwingend notwendig sei. Er bitte darum, diese Information zu berücksichtigen und der Klägerin zu 1 eine Ortsabwesenheit für die komplette Dauer der Rehabilitationsmaßnahme zu gewähren (VA PDF Bl. 338, Dok. 225).

Auf ein ihm am 8. Oktober 2021 weitergeleitetes Schreiben vom 8. Oktober 2021 an die Klägerin zu 1., mit dem der Beklagte diese zur Vorlage fehlender Unterlagen aufforderte (VA PDF Bl. 338, 393, Dok. 225, 241), antwortete Herr A. mit E-Mail vom 10. Oktober 2021. Die Forderung des Beklagten nach einem ärztlichen Nachweis über die Notwendigkeit der Anwesenheit seiner Ehefrau als Pflegeperson sei unverständlich. Die Notwendigkeit fremder Hilfe gehe aus seinem Behindertenausweis und dem Pflegegrad 4 hervor. Er werde sich die Mühe und die Kosten eines ärztlichen Attests ersparen, das die Pflegebedürftigkeit durch eine Pflegeperson erneut bescheinigen solle; dass er von seiner Ehefrau gepflegt werde, sei dem Jobcenter bekannt. Einen Nachweis des Pflegegrades 4 könne er aufgrund der Auslandsabwesenheit nicht übersenden, dieser ergebe sich jedoch aus den Pflegegeldzahlungen auf seinem Konto und könne anhand der vorgelegten Kontoauszüge nachvollzogen werden. Auf die Hilfe seiner Ehefrau sei er pausenlos angewiesen, auch bei einer Reise ins Ausland, diese hätte er ohne seine Ehefrau nicht antreten können. Auch bei der Rehaklinik in bestimmten Lagen und an freien Wochenenden, die er mit seiner Familie in der angemieteten Wohnung verbringen werde, sei er auf die Anwesenheit seiner Ehefrau angewiesen. Für die Rehabilitationsmaßnahme im Ausland habe er sich entschieden, weil sie nur einen Bruchteil dessen koste, die sie in Deutschland kosten würde. Er zahle die Kosten der Rehabilitationsmaßnahme selbst. (VA PDF Bl. 344, Dok. 229).

Mit E-Mail vom 19. Oktober 2021 übersandte er ein Schreiben der Rehaklinik, der Gesundheitseinrichtung G. in Sarajevo, die laut ihres Auftritts im Internet für Rehabilitation und Entspannung mit Thermalbädern registriert ist (https://www.media-turist.hr/toplice-ponuda/banja-terme-ilidza/). Das undatierte Schreiben (VA PDF Bl. 357-361, Dok. 239) gibt als Diagnose eine spastische Paraparese seit Geburt an. Herr H. benötige eine stationäre balneo-physikalische Therapie von mehr als sechs Monaten. Als (geplanter) Zeitraum wird der „14.10.21-14.04.21“ (gemeint wohl: 2022) angegeben. [Übersetzung mit Google Übersetzer] 

Mit Bescheid vom 22. Oktober 2021 reduzierte der Landkreis als Leistungsträger nach dem SGB XII den Bewilligungszeitraum für den Ehemann der Klägerin zu 1 auf den Zeitraum bis Ende Oktober 2021 unter Hinweis auf § 41a SGB XII und § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch — Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz (SGB X) (VA PDF Bl. 380, Dok. 239). 

Mit Bescheid vom 28. Oktober 2021 stellte der Beklagte die Leistungsgewährung nach dem SGB II zum 1. Oktober 2021 ein und hob den Bewilligungsbescheid vom 28. September 2021 gemäß § 48 SGB X ab diesem Datum auf (VA PDF Bl. 347, Dok. 231). Aufgrund der Ortsabwesenheit von sechs Monaten bestehe ab dem 1. Oktober 2021 kein Leistungsanspruch mehr, da die örtliche Zuständigkeit des Beklagten nicht mehr gegeben sei. Eine Ortsabwesenheit sei nur für die Dauer von bis zu 3 Wochen möglich, im Falle der Beantragung einer längeren Ortsabwesenheit entfalle der Leistungsanspruch von Anfang an.

Mit E-Mail vom 4. November 2021 teilte die Familie der Kläger mit, gestern sei eine dreimonatige Ortsabwesenheit beantragt worden (VA PDF Bl. 391, Dok. 240).
Mit Schreiben vom 8. November 2021 erhoben Herr A. und die Klägerin zu 1 Widerspruch gegen den Bescheid vom 28. Oktober 2021 (VA PDF Bl. 393, Dok. 241). Die Ortsabwesenheit für seine Ehefrau habe er am 7. Oktober 2021 beantragt. Die vom Beklagten mit Schreiben vom 8. Oktober 2021 verlangten Angaben habe er gemacht und die geforderten Unterlagen übersandt. Der vom Beklagten in Bezug genommene § 7 Abs. 4a SGB II sei in Bezug auf die Kinder nicht anwendbar, da sie keine erwerbsfähigen Leistungsberechtigten seien. Der Beklagte werde aufgefordert, die Grundsicherung für die Kinder unverzüglich anzuweisen. Die Leistungen für seine Ehefrau und Kinder seien entzogen worden, ohne über den Antrag auf Ortsabwesenheit zu entscheiden. Dieser hätte genehmigt werden müssen. In § 7 Abs. 4a SGB II heiße es, dass die Zustimmung zur Ortsabwesenheit zu erteilen sei, wenn ein wichtiger Grund vorliege, welcher im hiesigen Fall in der Teilnahme an einer ärztlich verordneten Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation bestehe. Seiner Ehefrau stünden drei Monate Ortsabwesenheit ohnehin zu. Sie stehe der Arbeitseingliederung sowieso nicht zur Verfügung. Es werde eine Ortsabwesenheit der Klägerin zu 1 erst einmal für drei Monate ab dem 1. Oktober 2021 bis zum 31. Dezember 2021 beantragt. Der Beklagte habe den Klägern nicht die Möglichkeit gegeben, diesen Antrag vorher zu stellen, da die ganze Zeit auf die Entscheidung über den ersten Antrag auf Ortsabwesenheit gewartet worden sei. Der Beklagte werde aufgefordert, auch die in Verzug geratenen Leistungen für die Klägerin zu 1 unverzüglich auf das Konto des Herrn A. anzuweisen.

Mit Widerspruchsbescheid vom 12. November 2021 wies der Beklagte den Widerspruch der Kläger zurück (VA PDF Bl. 397, Dok. 243). Hinsichtlich des Herrn E. A. sei er bereits unzulässig, da dieser nicht Adressat des angefochtenen Bescheides sei. Hinsichtlich der übrigen Kläger sei er unbegründet. Die Rücknahme des Leistungsbescheides sei gemäß §§ 40 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Nr. 3 SGB II, 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X, 330 Abs. 3 Sozialgesetzbuch Drittes Buch – Arbeitsförderung (SGB llI) zu Recht erfolgt, da die Kläger ihre sicherlich nicht spontan am 1. Oktober 2021 erfolgte Ausreise nach Bosnien dem Beklagten grob fahrlässig nicht mitgeteilt hätten. Aus diesem Grund sei die Aufhebung des Leistungsbescheides auch für die Vergangenheit gerechtfertigt. Durch den auf sechs Monate geplanten Aufenthalt sei eine wesentliche Änderung in den Verhältnissen eingetreten. Aufgrund des Auslandsaufenthaltes habe die Klägerin zu 1 keinen Leistungsanspruch nach dem SGB II mehr gehabt, mangels erwerbsfähigem Hilfebedürftigen gelte dies auch für die Kläger zu 2-4, da keine Bedarfsgemeinschaft mehr gebildet werden könne. Die Klägerin zu 1 als erwerbsfähige Leistungsberechtigte habe sich ohne vorherige Zustimmung des Beklagten außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs aufgehalten. Der Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs habe auch nicht der Teilnahme an einer ärztlich verordneten Maßnahme der medizinischen Rehabilitation gedient, da einerseits die Rehabilitationsmaßnahme für Herrn E. A. nicht konkret verordnet worden sei, sondern der Hausarzt sich lediglich allgemein für die Notwendigkeit einer sechsmonatigen Rehabilitation ausgesprochen habe, jedoch die konkrete Maßnahme in Bosnien nicht erwähnt habe, welche auch bei einer deutschen Krankenkasse nicht verordnungsfähig sein dürfte. Darüber hinaus sei die Zustimmung zu einer längeren Ortsabwesenheit aufgrund der Teilnahme an einer ärztlich verordneten Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation nur dann zu erteilen, wenn der Leistungsberechtigte selbst an der Maßnahme teilnehme. Eine Teilnahme als Begleitperson sei davon nicht umfasst und bei einer medizinischen Rehabilitation in Deutschland auch regelmäßig nicht notwendig. Die Klägerin zu 1 könne deshalb aufgrund der Vorschrift des § 7 Abs. 4a Satz 1 SGB II, die wortgleich in der noch immer geltenden Erreichbarkeit-Anordnung auftauche, keinen Auslandsaufenthalt beanspruchen. Auch im Falle von Personen, die der Eingliederung in den Arbeitsmarkt vorübergehend nicht zur Verfügung stünden, sei eine Entscheidung im Einzelfall zu treffen, ob eine Anwendung der Erreichbarkeitsanordnung sinnvoll sei. Dies könne im Interesse der Vermeidung von Leistungsmissbrauch zu bejahen sein. Vorliegend werde der Ortsabwesenheit nicht zugestimmt, da diese mit dem Ziel und Zweck des SGB II nicht vereinbar sei. Die Kinder würden für lange Zeit aus ihrem Schulalltag herausgerissen und könnten ihrer Schulpflicht nicht nachkommen. Insgesamt entstünde der Eindruck, dass die Familie einen sechsmonatigen Urlaub machen wolle und diesen vom Beklagten finanzieren lassen wolle. Hierzu passe auch die Bemerkung des Herrn E. A. in der E-Mail vom 10. Oktober 2021, in der er ausführe, er wolle an den freien Wochenenden Zeit mit seiner Familie in der angemieteten Wohnung verbringen. Das Verbringen der freien Zeit mit der Familie scheine Hauptgrund für das Mitbringen der Ehefrau zu sein. Zur Finanzierung einer längeren Urlaubsreise im Ausland bestehe kein Anlass. Darüber hinaus sei nicht absehbar, wann der Auslandsaufenthalt enden solle. Der Ortsabwesenheit der Klägerin zu 1 werde deshalb nicht zugestimmt. Ein Leistungsanspruch der Kläger zu 2-4 bestehe ebenfalls nicht. Sie seien zwar vom Leistungsausschluss nicht umfasst, allerdings fehle es an einem erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, da die Klägerin zu 1 von den Leistungen ausgeschlossen sei. Eine Bedarfsgemeinschaft bestehe deshalb nicht.

Am 12. November 2021 kehrte der Ehemann der Klägerin zu 1 aus Bosnien-Herzegowina zurück (VA PDF Bl. 472, Dok. 263). Die Kurmaßnahme hatte vom 14. Oktober bis 4. November 2021 gedauert (VA PDF Bl. 446, Dok. 256). Ab dem 12. November 2021 wurden ihm wieder Leistungen nach dem SGB XII gewährt (Bescheid vom 21. Dezember 2021, VA PDF Bl. 434, 436, Dok. 254, 255). 

Die Klägerin zu 1 sprach am 27. Dezember 2021 im Bürgerbüro in der Gemeinde Alsbach-Hähnlein vor. Diese bescheinigte die Vorsprache der Klägerin (VA PDF Bl. 472). Ob und gegebenenfalls zu welchem Zeitpunkt die Kläger zu 2, 3 und 4 wieder in Deutschland eintrafen, ist nicht belegt. Allen vier Klägern wurden ab 27. Dezember 2021 bis 21. Januar 2022 (Ende des Aufenthaltstitels der Klägerin zu 1) wieder Leistungen bewilligt, ohne dass sie einen Neuantrag gestellt hätten (Bescheid vom 28. Dezember 2021 (VA PDF Bl. 472, Dok. 263)). Nachfolgend wurden ihnen Leistungen für den Zeitraum 22. Januar bis 30. Juni 2022 bewilligt (VA PDF Band 2 Bl. 6, Dok. 6). 

Bereits am 10. Dezember 2021 hatten die Kläger zu 1- 4 und der Ehemann der Klägerin zu 1 Klage zum Sozialgericht Darmstadt erhoben. 

Sie haben vorgetragen, sie hätten ordnungsgemäß mitgeteilt, dass sie planten, sich für einen Zeitraum von mehreren Monaten aus wichtigen Gründen im Ausland aufzuhalten. Aufgrund des vorliegenden ärztlichen Attests dürfte unstreitig sein, dass die Rehabilitationsmaßnahme indiziert gewesen sei, sie sei auch von den zuständigen Versicherungsträgern bezahlt worden. Die Begleitung der Klägerin zu 1 als Pflegeperson ihres Ehemannes sei erforderlich gewesen, die Kläger zu 2-4 hätten nicht allein in Deutschland bleiben können. Der Beklagte berufe sich ausschließlich formell darauf, dass eine Ortsabwesenheit nur für drei Wochen gestattet werden könne. Eine solche schematische Behandlung des Antrags der Kläger sei nicht angemessen, der Beklagte müsse sich mit der ausführlichen Begründung der Kläger auseinandersetzen.

Die Kläger haben beantragt, den Bescheid des Beklagten vom 28. Oktober 2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, den Klägern für den Zeitraum vom 1. Oktober bis zum 26. Dezember 2021 Leistungen zu gewähren.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat er geltend gemacht, die Klage sei bezüglich des Herrn E. A. bereits unzulässig. Über seine Leistungsansprüche sei in dem angegriffenen Bescheid nicht entschieden worden. Bezüglich der übrigen Kläger sei die Klage unbegründet. Die Klagebegründung, die Kläger hätten sich vom 14. Oktober 2021 bis zum 14. April 2022 in Bosnien-Herzegowina aufgehalten, sei nicht nachvollziehbar, weil das angegebene Ende des Aufenthaltes noch in der Zukunft liege. Die Kläger hätten auch nicht ordnungsgemäß ihre Ortsabwesenheit mitgeteilt. Dies wäre nur dann der Fall gewesen, wenn die Mitteilungen mit ausreichendem Abstand vor der geplanten Reise nach Bosnien erfolgt wäre. Tatsächlich hätten die Kläger die Mitteilung erst erledigt, als sie bereits abgereist gewesen seien, offensichtlich in der Hoffnung, hier vollendete Tatsachen schaffen zu können. Eine vorhergehende Zustimmung des Beklagten habe nicht vorgelegen, dass Bosnien nicht im zeit- und ortsnahen Bereich gemäß § 7 Abs. 4a Satz 1 SGB II bzw. § 2 der Erreichbarkeits-Anordnung (EAO) liege, dürfte offensichtlich sein. Eine ärztlich verordnete Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation habe nicht vorgelegen, das vorgelegte ärztliche Attest bestätige lediglich allgemein die Notwendigkeit einer Reha-Maßnahme, nehme aber nicht konkret Bezug auf den Aufenthalt in Bosnien. Dass die zuständigen Versicherungsträger die Maßnahme bezahlt hätten, wie von den Klägern behauptet, werde bestritten. Auch die Notwendigkeit der Anwesenheit der Klägerin zu 1. bei ihrem Ehemann während der Reha-Maßnahme werde bestritten. Die Klägerin zu 1 sei deshalb für die Dauer der Ortsabwesenheit vom Leistungsbezug ausgeschlossen gewesen, deshalb sei für die Kläger zu 2-4 in Ermangelung eines erwerbsfähigen Leistungsberechtigten eine Leistungsgewährung ebenfalls nicht möglich gewesen.

Am 12. Januar 2022 hat die Klägerin zu 1 dem Beklagten einen „Antrag auf Elternzeit“ für ihr jüngstes Kind, den 2021 geborenen Kläger zu 4, „für den Zeitraum von drei Jahren, für die Zeit vom 1. März 2022 bis 31. Mai 2022“ (sic) sowie eine Erklärung über die eingeschränkte Zumutbarkeit der Ausübung einer Arbeit gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II für den vollen Zeitraum von drei Jahren übersandt (VA Band 2 PDF Bl. 2f., Dok. 2f).

Mit Hinweisschreiben vom 15. Februar 2022 hat die Kammer die Kläger gebeten, die Dauer des Aufenthaltes in Bosnien-Herzegowina klarzustellen, Nachweise vorzulegen, dass der zuständige Versicherungsträger die Rehabilitationsmaßnahme bewilligt und bezahlt habe und dass die Reha ärztlich verordnet worden sei, und klarzustellen, weshalb die Anwesenheit der Klägerin zu 1 als Pflegeperson bei der Reha-Maßnahme notwendig gewesen sei. Außerdem hat sie darauf hingewiesen, dass die Klage hinsichtlich des Herrn E. A. wohl unzulässig sei, da er nicht Adressat des angefochtenen Bescheides sei und nicht im Leistungsbezug nach dem SGB II beim Beklagten stehe.

Mit Schriftsatz vom 7. Juni 2022 ist die Klage bezüglich des Herrn E. A. zurückgenommen worden. Die übrigen Fragen werden in dem Schriftsatz nicht beantwortet.
Mit Schreiben der Kammer vom 8. Juni 2022 (GA Bl. 53) sind die Kläger gebeten worden, folgende Fragen zu beantworten: „a) Wie lange haben sich die Kläger in Bosnien-Herzegowina aufgehalten? Es wird um die Angabe genauer Daten und um Nachweise (Hotelrechnungen, Flugtickets o.ä.) gebeten. b) Wovon haben die Kläger während ihres Aufenthaltes in Bosnien-Herzegowina gelebt? Wo haben die Kläger in dieser Zeit gelebt (Hotel, angemietete Wohnung o.ä.)? c) Wurde während des Aufenthaltes in Bosnien-Herzegowina noch eine Wohnung in Deutschland innegehalten? d) Wurde die von E. A. wahrgenommene Rehabilitationsmaßnahme vom zuständigen Versicherungsträger bewilligt und bezahlt? Wurde genau diese Maßnahme in Bosnien-Herzegowina ärztlich verordnet? Es wird gebeten, Nachweise vorzulegen, dass der zuständige Versicherungsträger die Reha-Maßnahme bewilligt und bezahlt hat und dass die Reha ärztlich verordnet wurde. e) Weshalb war die Anwesenheit der Klägerin zu 2. als Pflegeperson bei der Reha-Maßnahme notwendig? Nach Einschätzung der Kammer dürfte die Versorgung in einer Klinik durch das dortige Pflegepersonal auch in Bosnien-Herzegowina sichergestellt sein."

Mit Schriftsatz vom 11. August 2022 hat die Klägerseite vorgetragen, dass sich der Ehemann der Klägerin zu 1 schon vor der Reise nach Bosnien bei der zuständigen Sachbearbeiterin des Beklagten gemeldet und angefragt habe, ob eine dreimonatige Ortsabwesenheit möglich und zulässig sei. Darauf habe der Beklagte ein Elternzeitformular für die Klägerin zu 1 übersandt. In Antwort auf die Fragen des Gerichts haben die Kläger ausgeführt, dass sie sich vom 1. Oktober 2021 bis zum 27. Dezember 2021 in Bosnien-Herzegowina aufgehalten hätten. Die Reise sei mit dem Pkw des Ehemannes und Vaters der Kläger erfolgt. Während des Aufenthaltes in Bosnien-Herzegowina hätten die Kläger in einer kleinen Wohnung gelebt, die von Freunden zur Verfügung gestellt worden sei, die keinen nennenswerten Betrag an Miete verlangt hätten. Während des Aufenthalts in Bosnien-Herzegowina sei die Wohnung in Deutschland beibehalten worden. Die von Herrn E. A. wahrgenommene Rehabilitationsmaßnahme sei nicht vom zuständigen Versicherungsträger bewilligt worden. Die Maßnahme sei aus eigenen Mitteln gezahlt worden. Genau aus diesem Grund habe sich Herr A. für die Maßnahme in Bosnien-Herzegowina entschieden, da die Kosten dort viel niedriger lägen als in Deutschland. Der Ehemann der Klägerin zu 1 sei auf deren Pflege angewiesen, er benötige Unterstützung beim Anziehen, bei der Körperpflege etc. Diese Pflegeleistungen würden durch das Pflegepersonal in der bosnischen Klinik nicht geleistet, eine ganztägige Pflege sei in der Klinik nicht vorgesehen, dort erfolgten lediglich die üblichen Pflegeleistungen wie Essensbereitstellung, Medikamentenvergabe etc. Für die persönlichen Hilfeleistungen sei das Pflegepersonal nicht zuständig, insofern handele es sich um eine „einfache Klinik“.

Mit Schriftsatz vom 18. August 2022 hat der Beklagte die Akte der Arbeitsvermittlung der Klägerin zu 1 übersandt. In dieser findet sich der Schriftverkehr hinsichtlich der Ortsabwesenheit der Klägerin zu 1. Eine Zusage für die Ortsabwesenheit sei nicht erteilt worden, da diese zunächst für sechs Monate geplant worden sei. Hinzu komme, dass die Antragstellung erst erfolgt sei, nachdem die Kläger und ihr Ehemann bereits abgereist gewesen seien. Die nach § 7 Abs. 4a SGB II erforderliche vorherige Zustimmung fehle damit. Die übrigen von der Klägerseite gemachten Annahmen bestätigten die Sichtweise des Beklagten, die Rehabilitationsmaßnahme sei nicht vom zuständigen Versicherungsträger bewilligt worden. Damit habe auch kein Grund bestanden, eine Ortsabwesenheit aufgrund dieser Maßnahme zu unterstützen.

Mit Schriftsatz vom 24. August 2022 haben die Kläger vorgetragen, dass die Rehabilitationsmaßnahme ursprünglich für sechs Monate geplant gewesen sei, aber auf drei Monate verkürzt worden sei, da der Beklagte die Bewilligung abgelehnt habe. Die Klägerin zu 1 habe sich während der Rehabilitationsmaßnahme in Elternzeit befunden und der Arbeitsvermittlung nicht zur Verfügung gestanden. Eine Ablehnung des Antrags auf Ortsabwesenheit durch den Beklagten wäre rechtswidrig gewesen, außerdem sei eine Ablehnung gar nicht erfolgt. Zum Beleg der Argumentation hat die Klägerseite auf ein Urteil des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. März 2011 (S 5 AS 4172/10) verwiesen, wonach § 7 Abs. 4a SGB II nicht anwendbar sei auf alleinerziehende Hilfebedürftige, die sich in Elternzeit befinden. 

Das Sozialgericht hat der Klage mit Urteil vom 31. August 2022 stattgegeben. Der Bescheid des Beklagten vom 27. Oktober 2021 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2021 ist aufgehoben und der Beklagte verpflichtet worden, den Klägern für den Zeitraum vom 1. Oktober bis zum 26. Dezember 2021 Leistungen in gesetzlicher Höhe zu gewähren.

Die Klage sei zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid sei rechtswidrig und verletze die Kläger in ihren Rechten. Der Beklagte habe zu Unrecht die Bewilligung von Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II für die Zeit vom 1. Oktober 2021 bis zum 26. Dezember 2021 aufgehoben und die Erbringung von Leistungen in diesem Zeitraum verweigert.

Als Rechtsgrundlage für eine Aufhebung des Bewilligungsbescheides komme vorliegend allein § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB Ill, § 48 Abs. 1 SGB X in Betracht. Danach sei ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die bei seinem Erlass vorgelegen hätten, eine wesentliche Änderung eintrete. Eine Änderung sei dann wesentlich, wenn sie rechtlich zu einer anderen Bewertung führe. Ein Fall des § 48 SGB X liege somit vor, wenn aufgrund veränderter Umstände der ursprüngliche Verwaltungsakt nicht mehr (so) erlassen werden dürfte (BSG, Urteil vom 21. März 2007 - B 11 a AL 31/06 R, Rn. 3).

Ein solcher Fall liege vorliegend nicht vor, denn den Klägern stünden in der Zeit vom 1. Oktober 2021 bis 26. Dezember 2021 unverändert Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu. Daran ändere der Aufenthalt der Kläger in Bosnien-Herzegowina in dieser Zeit nichts.

Entgegen der Auffassung des Beklagten unterliege die Klägerin zu 1 keinem Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4a SGB II. Nach dieser Vorschrift, die aufgrund der Regelung des § 77 Abs. 1 SGB II weiter in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung gelte, da eine Rechtsverordnung nach § 13 Abs. 3 SGB II bislang nicht ergangen sei, erhalte Leistungen nach dem SGB II nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der EAO definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhalte. Durch die Verpflichtung zur Erreichbarkeit komme es zu einer Einschränkung der durch Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) geschützten Handlungsfreiheit des Bürgers. Solche Einschränkungen bedürften der Rechtfertigung im Einzelfall, weshalb in jedem Einzelfall geprüft werden müsse, ob und wie die Vorschriften der Erreichbarkeit-Anordnung im Einzelfall Anwendung finden (Winkler, Die Erreichbarkeit im SGB II und III, info also 2007, 3, 7). Die Verpflichtung, sich im zeit- und ortsnahen Bereich des Jobcenters aufzuhalten, solle nach der Absicht des Gesetzgebers dazu beitragen, hilfebedürftige Personen zu einer aktiven Mitwirkung an ihrer Eingliederung in den Arbeitsmarkt zu veranlassen (BT-Drucksache 16/1696, S. 26). Aus diesem Grund müsse § 7 Abs. 4a SGB II einschränkend so ausgelegt werden, dass der dort normierte Leistungsausschluss nur diejenigen erwerbsfähigen Leistungsberechtigten erfasse, die dem Selbsthilfegebot nachkommen müssten und somit der gesetzgeberischen Intention unterlägen. Die Norm sei aus diesem Grund nicht auf Leistungsberechtigte anwendbar, die zwar erwerbsfähig seien, denen aber nach § 10 Abs. 1 Nr. 3, 4 oder 5 jegliche Arbeit zeitweilig nicht zumutbar sei (Geiger in: Münder/Geiger, SGB II, 7. Auflage 2021, § 7, Rn. 163, zu alledem vgl. auch SG Karlsruhe, Urteil vom 14. März 2011 – S 5 AS 4172/10).

Der Klägerin zu 1 sei im Zeitpunkt ihres Aufenthaltes in Bosnien-Herzegowina die Aufnahme einer Arbeit gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II unzumutbar gewesen. Nach dieser Vorschrift sei einer erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person jede Arbeit zumutbar, es sei denn, die Ausübung der Arbeit gefährde die Erziehung ihres Kindes oder der Kinder ihrer Partnerin oder ihres Partners; die Erziehung eines Kindes, das das 3. Lebensjahr vollendet habe, sei in der Regel nicht gefährdet, soweit die Betreuung des Kindes sichergestellt sei. Der Kläger zu 4 sei 2021 geboren und sei folglich im Zeitpunkt des Aufenthalts in Bosnien-Herzegowina noch unter einem Jahr alt gewesen. Bei Kindern dieses Alters sei nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II davon auszugehen, dass die Ausübung der Arbeit die Erziehung des Kindes gefährde. Vorliegend müsse sich die Klägerin, die nicht alleinerziehend sei, auch nicht darauf verweisen lassen, dass ihr Ehemann die Kinder betreuen könne und sie einer Arbeit nachgehen könne. Der Ehemann der Klägerin sei schwerbehindert mit den Merkzeichen G, aG, B und H. Er sitze im Rollstuhl und sei auf die Pflege der Klägerin zu 1 angewiesen. Er sei nicht in der Lage, die Erziehung des Klägers zu 4 vorzunehmen, vielmehr sei es durchaus denkbar, dass aufgrund seiner Pflegebedürftigkeit die Aufnahme einer Arbeit der Klägerin auch aufgrund der Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 4 SGB II unzumutbar sei, weil die Arbeit mit der Pflege ihres Ehemannes nicht vereinbar wäre. 
Vorliegend könne diese Frage jedoch dahinstehen, da bereits § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II greife. Es sei auch nicht entscheidend, ob die Klägerin zu 1 beim Beklagten Elternzeit für den Kläger zu 4 beantragt und bewilligt bekommen habe. Die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II knüpfe nicht an die formelle Bewilligung der Elternzeit, sondern an die tatsächliche Lage an. Aus der expliziten Regelung, dass die Erziehung eines Kindes, das das 3. Lebensjahr vollendet habe, in der Regel nicht gefährdet sei, soweit die Betreuung in einer Tageseinrichtung oder ähnlichen Einrichtung sichergestellt sei, könne geschlossen werden, dass umgekehrt die Ausübung einer Arbeit bei Kindern unter 3 Jahren in der Regel unzumutbar sei (Böttiger in: Eicher/Luik/Harich, SGB II, 5. Auflage 2021, § 10, Rn. 59). Auf die Frage, ob die Klägerin zu 1 wirksam Elternzeit beim Beklagten beantragt habe, insbesondere, wer das Antragsformular unterzeichnet habe, komme es deshalb vorliegend nicht an.
Da eine Vermittlung der Klägerin in Arbeit im streitgegenständlichen Zeitraum wegen der Erziehung des Klägers zu 4 gemäß § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II von vornherein nicht in Betracht gekommen sei, finde § 7 Abs. 4a SGB II vorliegend keine Anwendung. Für die Klägerin habe im streitigen Zeitraum keine Verpflichtung zur Aufnahme einer Arbeit bestanden. Der gesetzgeberische Zweck des § 7 Abs. 4a SGB II habe also von vorneherein nicht erfüllt werden können. Deshalb fehle es an einem rechtfertigenden Grund dafür, die Klägerin den Einschränkungen der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG durch die Anforderungen der Erreichbarkeit-Anordnung zu unterwerfen.

Andere Umstände, die vorliegend eine Aufhebung der Bewilligung von Leistungen nach dem SGB II begründen könnten, seien von dem Beklagten nicht vorgebracht worden und vorliegend auch nicht ersichtlich. Insbesondere hätten die Kläger trotz des Aufenthalts in Bosnien-Herzegowina im streitgegenständlichen Zeitraum ihren gewöhnlichen Aufenthalt weiterhin in der Bundesrepublik Deutschland gehabt, so dass auch die Voraussetzung für den Leistungsbezug nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II erfüllt gewesen sei. Gemäß § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – Allgemeiner Teil (SGB I) habe jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhalte, die erkennen ließen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweile. Während des Auslandsaufenthaltes in Bosnien-Herzegowina hätten die Kläger ihre Wohnung unter der Adresse A-Straße, A-Stadt beibehalten. Auch in der Kommunikation mit dem Beklagten sei stets deutlich geworden, dass sich die Kläger nur vorübergehend während der Rehabilitationsmaßnahme des Herrn E. A. in Bosnien-Herzegowina aufzuhalten gedachten und durchgehend eine Rückkehr nach Deutschland beabsichtigten. Aus den Umständen werde insgesamt deutlich, dass der vorübergehende Auslandsaufenthalt den gewöhnlichen Aufenthalt der Kläger in Deutschland unter der angegebenen Adresse nicht habe beenden sollen. Das BSG habe zwar angenommen, dass keinen Wohnsitz im Inland mehr habe, wer sich bei einer mehrjährigen Auslandsbeschäftigung in seiner beibehaltenen Wohnung nur noch im Urlaub aufhalte (BSG, Urt. v. 20. Dezember 2012 – B 10 EG 16/11 R, Rn. 18). Der vorübergehende Auslandsaufenthalt der Kläger sei von einem solchen Fall jedoch weit entfernt. Die Familie wohne bereits seit langer Zeit im Zuständigkeitsbereich des Beklagten und aufgrund der Gesamtumstände bestünde kein Zweifel daran, dass dies auch im Zeitpunkt der Ausreise nach Bosnien-Herzegowina für die Zukunft beabsichtigt worden sei. Diese Einschätzung werde durch die Rückkehr der Kläger an ihren bisherigen Wohnort und ihren Aufenthalt an diesem Ort seither bestätigt.

Auch die Kläger zu 2-4 hätten durchgehend Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II. Der Leistungsanspruch der Kläger zu 2-4 ergebe sich aus § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Danach erhielten Leistungen nach dem SGB II auch Personen, die mit erwerbsfähigen Leistungsberechtigten in einer Bedarfsgemeinschaft lebten. Nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II gehörten zur Bedarfsgemeinschaft die dem Haushalt angehörenden unverheirateten Kinder der erwerbsfähigen Leistungsberechtigten, wenn sie das 65. Lebensjahr noch nicht vollendet hätten, soweit sie die Leistungen zur Sicherung ihres Lebensunterhaltes nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen beschaffen könnten. Die Kläger zu 2-4 seien minderjährige Kinder der Klägerin zu 1. Sie könnten ihren Lebensunterhalt nicht aus eigenem Einkommen oder Vermögen bestreiten. Daher bildeten sie gemeinsam mit der Klägerin zu 1 eine Bedarfsgemeinschaft und hätten Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II gemäß § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II. Da der Beklagte die Ansicht vertrete, dass bei einem Leistungsausschluss der Klägerin zu 1 eine erwerbsfähige leistungsberechtigte Person zur Bildung einer Bedarfsgemeinschaft fehle, so dass auch ein Leistungsanspruch der Kläger zu 2-4 entfiele, erlaube sich die Kammer den Hinweis, dass ein Leistungsausschluss gemäß § 7 Abs. 4a SGB II nicht zum Verlust der Eigenschaft als erwerbsfähige leistungsberechtigte Person führe, so dass auch im Falle eines Leistungsausschlusses der erwerbsfähigen leistungsberechtigten Person mit dieser Person in Bedarfsgemeinschaft lebende Personen weiterhin einen Leistungsanspruch haben könnten. Ein Leistungsausschluss der erwerbsfähigen leistungsfähigen Person habe nicht zur Folge, dass eine Bedarfsgemeinschaft nicht mehr gebildet werden könne.

Die Zahlungsverpflichtung im Tenor sei aus Gründen der Klarstellung und Verständlichkeit aufgenommen worden. Aufgrund des Erfolgs der Anfechtungsklage hätten die Kläger wieder einen Anspruch auf Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II aufgrund des Bescheids des Beklagten vom 2. September 2021.
Der Beklagte hat gegen das ihm am 21. September 2022 zugestellte Urteil am 19. Oktober 2022 Berufung zum Hessischen Landessozialgericht eingelegt. Er trägt vor, nach § 7 Abs. 4a Satz 1 SGB II erhielten erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die sich ohne Zustimmung persönlichen Ansprechpartners außerhalb des zeit- und ortsnahen Raumes aufhielten, keine Leistungen nach dem SGB II. Darunter falle die Klägerin zu 1. Gemäß § 77 Abs. 1 SGB II gelte § 7 Abs. 4a SGB in seiner bis zum 31. Dezember 2010 gültigen Fassung solange fort, bis eine Rechtsverordnung nach § 13 Abs. 3 SGB II geschaffen worden sei. Die hiernach maßgebliche Gesetzesfassung laute wörtlich: „Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997,1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereichs aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend.“ 

Eine vorhergehende Zustimmung des Beklagten habe nicht vorgelegen. Der zeit- und ortsnahe Bereich werde in § 2 der Erreichbarkeits-Anordnung definiert; Bosnien-Herzegowina liege nicht im zeit- und ortsnahen Bereich. Der Auffassung des Sozialgerichts, wonach der Leistungsausschluss nicht gegeben sei, weil die Vorschrift nicht auf erwerbsfähige Leistungsberechtigte anwendbar sei, denen nach § 10 SGB II zeitweilig keine Arbeit zumutbar sei, sei nicht zu folgen (Hinweis auf LSG Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 3. April 2014 – L 7 AS 1174/12; Beschluss vom 14. November 2017 – L 7 AS 934/17 B ER). Allenfalls seien die Sozialgeldempfänger, also der Personenkreis des § 7 Abs. 2 Satz 1 SGB II, aus dem Anwendungsbereich der Vorschrift herauszunehmen. Nach dem Wortlaut des § 7 Abs. 4a SGB II i.d.F. bis 31. Dezember 2010 würden alle Personen erfasst, sogar die Sozialgeldempfänger. Auch mit der [wegen der Übergangsregelung aus § 77 SGB II im Streitzeitraum noch gar nicht geltenden] Neuregelung des § 7 Abs. 4a SGB II werde durch die Einschränkung des Gesetzeswortlauts auf „erwerbsfähige Leistungsberechtigte“ nur die klarstellende Herausnahme der über § 7 Abs. 2 SGB II leistungsberechtigten sonstigen Person bewirkt. Eine Beschränkung des Gesetzeswortlauts auf erwerbsfähige Leistungsberechtigte, die aktuell unmittelbar vermittelbar sein, überschreite die Grenzen richterlicher Auslegung. Im Übrigen dürfe nicht vergessen werden, dass auch bei diesem Personenkreis noch Maßnahmen möglich sein, die zwar nicht auf die gegenwärtige Vermittlung in Arbeit, wohl aber auf die Perspektiven einer Arbeitsvermittlung in Zukunft gerichtet seien. Das gelte zum Beispiel bei Alleinerziehenden für die Zeit nach dem 3. Geburtstag des jüngsten Kindes; hier seien etwa beim Beklagten entsprechende Info-Veranstaltung üblich. 

§ 7 Abs. 4a SGB II alte Fassung sei nicht nur eine Regelung der Verfügbarkeit, sondern auch eine Ordnungsvorschrift zur Missbrauchskontrolle (Becker in Eicher, SGB II, 5. Aufl., § 7 Rn. 180). Es sei durchaus sinnvoll, eine solche Regelung für sämtliche Mitglieder der Bedarfsgemeinschaft zu fordern. Wie im vorliegenden Fall dürfte der geplante Bezug von Sozialleistungen über sechs Monate hinweg bei deutlich niedrigeren Lebenshaltungskosten rechtsmissbräuchlich sein. Es gehe daher fehl, die Regelung des § 7 Abs. 4a SGB II in enger Verbindung mit der arbeitsförderungsrechtlichen Verfügbarkeit zu sehen.

Nach den Durchführungshinweisen der Bundesagentur für Arbeit zu § 7 SGB II (7.123) sei für die Zustimmung zur Ortsabwesenheit solcher Personen, die vorübergehend nicht eingegliederbar seien oder bei denen eine Eingliederung unwahrscheinlich sei, im Einzelfall zu entscheiden, ob die entsprechende Anwendung der EAO sinnvoll sei. Dies könne im Interesse der Vermeidung von Leistungsmissbrauch zu bejahen sein. Wie sich aus der BT-Drucksache 16/1696, S. 26 ergebe, solle die fragliche Regelung der missbräuchlichen Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen bei einem nicht genehmigten vorübergehenden auswärtigen Aufenthalt innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik Deutschland entgegenwirken. Ein auf sechs Monate geplanter Auslandsaufenthalt bei gleichzeitigem ungemindertem Bezug existenzsichernder Leistungen sei rechtsmissbräuchlich.

Nach § 3 Abs. 2 EAO sei ein längerer Aufenthalt als drei Wochen nur bei Vorliegen eines der dort genannten Tatbestände zu genehmigen. § 7 Abs. 4a SGB II gestatte dies bei Vorliegen eines wichtigen Grundes, wobei die Tatbestände aus der EAO als Regelbeispiele auftauchten. Die Betreuung des Ehemanns bei einer privaten Kur im Ausland erfülle keinen der genannten Tatbestände und sei auch kein wichtiger Grund im Sinne des SGB II. Bei einer von der Krankenkasse genehmigten Kur oder Reha-Maßnahme hätte es einer Begleitperson nicht bedurft.

Die E-Mail des Beklagten vom 7. Oktober 2021 sei keine Genehmigung und habe auch von der Klägerin nicht so verstanden werden müssen. Es sei nur ein Hinweis gewesen auf die grundsätzliche Möglichkeit der Genehmigung eines längeren Aufenthalts als drei Wochen, aber keine Entscheidung hierüber. Eine positive Entscheidung sei schon aufgrund der Tatsache ausgeschieden, dass eine vorherige Zustimmung des Jobcenters nicht vorgelegen habe. Möglicherweise hätte darum das entsprechende Formular nicht versendet werden sollen. 

Eine Sanktion sei nicht ausgesprochen worden. Die Regelung des § 7 Abs. 4a SGB II habe mit Sanktionen nach den §§ 31 ff. SGB II nichts zu tun.

Im Übrigen entstehe hier ein Wertungswiderspruch zu § 41a SGB XII. Leistungsberechtigte, die sich länger als vier Wochen ununterbrochen im Ausland aufhielten, erhielten gemäß dieser Vorschrift nach Ablauf der vierten Woche bis zu ihrer nachgewiesenen Rückkehr ins Inland keine Leistung – obwohl bei diesem Personenkreis gar keine Eingliederung in Arbeit vorgesehen sei. Es sei nicht nachvollziehbar, warum erwerbsfähige Leistungsberechtigte, denen zeitweilig (!) die Aufnahme einer Arbeit nicht zumutbar sei, hier bessergestellt sein sollten. Eine Besserstellung der Leistungsempfänger nach dem SGB II sei nicht gerechtfertigt.

Die Kinder (Kläger zu 2 -4) seien wohl nicht durch die Ausschlussregelung des § 7 Abs. 4a SGB II erfasst. Jedoch sei aufgrund des Leistungsausschlusses der Klägerin zu 1 keine erwerbsfähige Hilfebedürftige vorhanden, über die eine Vermittlung in den Leistungskreis des SGB II erfolgen könnte. 

Der Beklagte beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Darmstadt vom 31. August 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen. 

Die Kläger beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.  

Sie verteidigen das angegriffene Urteil. Der Hinweis des Beklagten auf § 41a SGB XII und die Geltendmachung eines Wertungswiderspruchs seien nicht nachvollziehbar. Die Kläger hätten einen Anspruch auf Leistungen nach dem SGB II, nicht nach dem SGB XII. Ihren gewöhnlichen Aufenthalt hätten sie nicht aufgegeben, denn ihr Aufenthalt in Bosnien-Herzegowina sei von vornherein zeitlich begrenzt gewesen. Der Hauptgrund für die Entscheidung des Sozialgerichts sei, dass der Klägerin zu 1 ohnehin die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit unzumutbar gewesen sei. Es werde auch nochmals auf die rechtskräftig gewordene Entscheidung des Sozialgerichts Karlsruhe vom 14. März 2021, S 2 AS 172/10 (gemeint offenbar: vom 14. März 2011 (S 5 AS 4172/10; s.o.) hingewiesen.

Die Behauptung des Beklagten, dass bei Alleinerziehenden regelmäßig schon vor dem dritten Geburtstag des jüngsten Kindes Termine stattfänden zur Vorbereitung einer Arbeitsaufnahme, übersehe, dass es sich bei der Klägerin zu 1 nicht um eine Alleinerziehende handele. Dass die Betreuung des schwerbehinderten Ehemanns und Vaters des Klägers keinen wichtigen Grund darstellen solle, sei nicht nachvollziehbar. Die E-Mail vom 17. Oktober 2021 [gemeint: 7. Oktober 2021] möge zwar keine förmliche Genehmigung in Form eines rechtsmittelfähigen Bescheides oder in Form einer förmlichen Zusicherung sei. Sie sei aber von der Klägerin so verstanden worden. Es mache keinen Sinn einer erwerbsfähigen Leistungsberechtigten einen Auslandsaufenthalt vorzuenthalten, wenn diese wegen der Betreuung eines Kleinkindes ohnehin nicht der Arbeitsvermittlung zur Verfügung stehe. In Zeiten des Internets könnten vorbereitende Gespräche, Anregungen oder Ratschläge auch zeitnah schriftlich übermittelt werden.

Befragt dazu, mit welcher Begründung die beiden schulpflichtigen Kinder, die Kläger zu 2 und 3, für den geplanten Sechsmonatszeitraum aus der Schule genommen worden seien (GA Bl. 180), haben die Kläger erklärt (GA Bl. 184): „Die Kläger zu 2. und 3. sind aus der Schule genommen worden, weil sie hier möglicherweise wegen Sprachproblemen bzw. wie sich herausgestellt hat, mit einiger Sicherheit wegen Sprachproblemen in der Schule sehr schlechte Leistungen gezeigt haben. Die Eltern der Kläger zu 2. und 3. wollten erproben, ob die Kinder vielleicht in einer bosnisch/herzegowinischen Schule bessere Leistungen zeigten. Dies war auch der Fall, die beiden Kläger sind nunmehr auf Dauer in Bosnien/Herzegowina und leben dort bei ihren Großeltern.“ 

Befragt dazu, wie der Aufenthalt der Kläger in Sarajevo und insbesondere die Anmietung einer Wohnung dort ab 1. Oktober 2021 finanziert worden sei (der Ehemann hatte angegeben, er werde die freien Wochenenden mit seiner Familie in der angemieteten Wohnung verbringen), haben die Kläger geantwortet: „Die Kläger lebten in Sarajevo bei ihren Verwandten, weitere Kosten entstanden nicht.“ Wegen des nur wenige Monate dauernden Auslandsaufenthalts sei die Wohnung in Deutschland nicht untervermietet worden.

Im Berufungsverfahren hat der Beklagte die Klägerin mit Schreiben vom 10. März 2025 (GA Bl. 177) angehört und angekündigt, an dem Bescheid vom 28. Oktober 2021 festhalten und keine Leistungen für sie und ihre Kinder für den Zeitraum 1. Oktober 2021 bis 26. November 2021 gewähren zu wollen. Gestützt worden ist dieses Vorgehen auf § 7 Abs. 4a Satz 1 SGB II a.F. i.V.m. der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997. Hierzu hat er Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Klägerin hat hierauf erneut auf die an den Ehemann gerichtete Mail vom 7. Oktober 2021, mit der ein Elternzeitformular übersandt wurde, verwiesen (s.o., VA PDF Bl. 338, Dok. 225). Sie macht geltend, ihr Antrag sei nicht beschieden worden. Dem ist der Beklagte entgegengetreten. Der Antrag sei durch den Einstellungsbescheid vom 28. Oktober 2021 beschieden worden. Mit Schreiben vom 13. Mai 2025 (GA Bl. 194) hat der Beklagte erklärt, an dem Bescheid vom 28. Oktober 2021 festzuhalten.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen, insbesondere des Inhalts des weiteren Vortrags der Beteiligten, wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der die Kläger betreffenden Verwaltungsakte des Beklagten verwiesen.


Entscheidungsgründe

Der Senat kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, weil die Beteiligten sich mit einer Entscheidung durch Urteil ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt haben (§ 153 Abs. 1, § 124 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz - SGG) und nach einem Hinweis des Gerichts erneut mit Schreiben vom 19. Mai 2025 (Kläger) und vom 13. Mai 2025 (Beklagter) ihr Einverständnis erklärt haben (GA Bl. 198, 192).

Die gemäß § 151 SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Beklagten ist zulässig und begründet.

Streitgegenständlich ist der Aufhebungsbescheid vom 28. Oktober 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 12. November 2021. In zeitlicher Hinsicht ist in Streit der Zeitraum 1. Oktober bis 26. Dezember 2021, während dem sich die Kläger nicht in Deutschland aufhielten. 

(1) Die Aufhebung des Bewilligungsbescheides vom 28. September 2021 mit Bescheid vom 28. Oktober 2021 – für die Zukunft gestützt auf § 40 Abs. 1 Satz 1 SGB II i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X und rückwirkend gemäß § 40 Abs. 2 Nr. 3 SGB II i.V.m. § 330 Abs. 3 Satz 1 SGB Ill, § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB X – ist hinsichtlich der Klägerin zu 1 zu Recht erfolgt. Denn der Klägerin zu 1 standen in der Zeit vom 1. Oktober 2021 bis 26. Dezember 2021 keine Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes nach dem SGB II zu. 

Die fehlende förmliche Anhörung nach § 24 SGB X ist zwar womöglich noch nicht durch die Einlassungen der Kläger im Widerspruchverfahren geheilt worden. Allerdings hat der Beklagte im Berufungsverfahren mit Schreiben vom 10. März 2025 (GA Bl. 177) diese förmliche Anhörung nachgeholt und nach erfolgter Anhörung mit Schreiben vom 13. Mai 2025 (GA Bl. 194) erklärt, dass er an seinem Bescheid vom 28. Oktober 2021 festhalte. Auf Grund des Kontextes und der ausdrücklichen Erwähnung der Aufhebung auch der den Klägern zu 2-4 gewährten Leistungen war nach Auffassung des Senats hinreichend deutlich, dass das Schreiben dabei (auch) an die Klägerin zu 1 als gesetzliche Vertreterin ihrer Kinder adressiert war. Ein etwaiger Anhörungsmangel ist daher jedenfalls geheilt.  

Die Aufhebung der Bewilligung von Leistungen für den Streitzeitraum ist, soweit die Klägerin zu 1 betroffen ist, auch materiell rechtmäßig. Zwar erfüllte sie auch im streitgegenständlichen Zeitraum nach wie vor die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 4 SGB II. Unproblematisch erfüllt ist die Altersvoraussetzung des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 7a SGB II. Auch war die Klägerin zu 1 auch im streitgegeständlichen Zeitraum 1. Oktober bis 26. Dezember 2021 erwerbsfähig im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, § 8 SGB II. Denn sie war weder aus gesundheitlichen Gründen noch ausländerrechtlich an der Aufnahme einer Erwerbstätigkeit gehindert. 

Auch den Tatbestand des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II erfüllte die Klägerin zu 1. Zwar plante sie, sich ab dem 1. Oktober 2021 für ein halbes Jahr im Ausland aufzuhalten, und hielt sich tatsächlich vom 1. Oktober 2021 bis 26. Dezember 2021 nicht in Deutschland, sondern wohl überwiegend in Bosnien-Herzegowina auf. Allerdings hatte sie stets vor, nach Deutschland zurückzukehren, behielten die Eheleute die Mietwohnung bei und gibt es keinen Anhalt, dass sie für sich planten, dauerhaft ihren Lebensmittelpunkt von Deutschland nach Bosnien-Herzegowina zu verlagern. 

Ermittlungen zur Hilfebedürftigkeit nach § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 9 SGB II für den streitgegeständlichen Zeitraum, in dem die Klägerin zu 1 im Ausland lebte, wurden seitens des Beklagten nicht angestellt. Wie mit anwaltlichem Schriftsatz vom 1. April 2025 mitgeteilt wurde, lebten die Kläger in Sarajevo bei Verwandten (GA Bl. 184) und weitere Kosten entstanden ihnen nicht. Damit war die Klägerin zu 1 hinsichtlich der Unterkunftskosten im Ausland nicht hilfebedürftig und wohl auch hinsichtlich der Lebenshaltungskosten womöglich nicht oder nur in geringem Maße hilfebedürftig. Nachgewiesenermaßen liefen lediglich die Kosten der in Deutschland beibehaltenen und nicht untervermieteten Wohnung weiter. Letztlich kann die Frage der Hillfebedürftigkeit der Klägerin zu 1 aber dahinstehen, weil sie wegen Ortsabwesenheit im Streitzeitraum ohnehin von Leistungen ausgeschlossen ist. 

Maßgeblich ist die Rechtslage zur Ortsabwesenheit im Zeitraum 1. Oktober 2021 bis 26. Dezember 2021. Wie das Sozialgericht zutreffend festgestellt hat, ist gemäß § 77 Abs. 1 SGB II (gültig vom 1. April 2011 bis 21. Dezember 2022) § 7 Abs. 4a SGB II in der bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung weiter anzuwenden bis zum Inkrafttreten einer nach § 13 Abs. 3 SGB II erlassenen Rechtsverordnung. Im Zeitraum 1. April 2011 bis 21. Dezember 2022 wurde eine Rechtsverordnung nach § 13 Abs. 3 SGB II nicht erlassen. § 7 Abs. 4a SGB II in der bis 31. Dezember 2021 geltenden Fassung lautet: „Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, wer sich ohne Zustimmung des persönlichen Ansprechpartners außerhalb des in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch die Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476), definierten zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält; die übrigen Bestimmungen dieser Anordnung gelten entsprechend.“

§ 3 EAO zum Aufenthalt außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs lautet:
„(1) Erfüllt der Arbeitslose nicht die Voraussetzungen des § 2 Nrn. 1 bis 3,“ [Aufenthalt im zeit- und ortsnahen Bereich] „steht dies der Verfügbarkeit bis zu drei Wochen im Kalenderjahr nicht entgegen, wenn das Arbeitsamt vorher seine Zustimmung erteilt hat. In den ersten drei Monaten der Arbeitslosigkeit soll das Arbeitsamt die Zustimmung nur in begründeten Ausnahmefällen erteilen. Die Zustimmung darf jeweils nur erteilt werden, wenn durch die Zeit der Abwesenheit die berufliche Eingliederung nicht beeinträchtigt wird.
(2) Abs. 1 ist entsprechend anzuwenden
1. bei Teilnahme des Arbeitslosen an einer ärztlich verordneten Maßnahme der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation,
2. bei Teilnahme des Arbeitslosen an einer Veranstaltung, die staatspolitischen, kirchlichen oder gewerkschaftlichen Zwecken dient oder sonst im öffentlichen Interesse liegt. Der Arbeitslose muß sicherstellen, daß er während der Teilnahme werktäglich persönlich unter der dem Arbeitsamt benannten Anschrift durch Briefpost erreichbar ist; er muß die Teilnahme jederzeit abbrechen können und sich vor der Teilnahme für den Fall der beruflichen Eingliederung glaubhaft zum jederzeitigen Abbruch bereit erklärt haben,
3. bei Ausübung einer ehrenamtlichen Tätigkeit.
(3) In Fällen außergewöhnlicher Härten, die aufgrund unvorhersehbarer und für den Arbeitslosen unvermeidbarer Ereignisse entstehen, kann die Drei-Wochenfrist nach Abs. 1 und 2 vom Arbeitsamt tageweise, höchstens um drei Tage verlängert werden.
(4) Abs. 1 und 2 finden keine Anwendung, wenn sich der Arbeitslose zusammenhängend länger als sechs Wochen außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches aufhalten will.“

Weder hat die Klägerin zu 1 überhaupt vor ihrer Abreise am 1. Oktober 2021 einen Antrag auf Zustimmung zur Ortsabwesenheit ab 1. Oktober 2021 gestellt noch wäre die Ortsabwesenheit von über sechs Wochen (geplant waren sechs Monate) nach § 3 Abs. 2 oder 3 EAO zustimmungsfähig gewesen (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 5. Oktober 2023 – L 18 AS 778/23 zu einer geplanten dreimonatigen  Ortsabwesenheit auf Sao Tomé; LSG Sachsen, Beschluss vom 10. März 2022 – L 3 AS 1157/21 B ER zu einer nicht zustimmungsfähigen geplanten fünfmonatigen Ortsabwesenheit in Taiwan). Maßgeblich ist die intendierte Dauer der Abwesenheit (LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 9. April 2021 – L 12 AS 1677/19, Rn. 39). Es liegt kein Fall einer unaufschiebbaren Ortsabwesenheit vor, für die die Zustimmung gemäß der EAO zu erteilen gewesen wäre (zu einem solchen Fall LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 9. April 2021 – L 12 AS 1677/19). 

§ 7 Abs. 4 a SGB II führt damit zu einem Leistungsausschluss für die Klägerin zu 1 für den Zeitraum ihrer Ortsabwesenheit, es sei denn, man sähe die Bestimmung im Fall der Klägerin für unanwendbar an. 

Der Senat sieht jedoch keinen Grund, § 7 Abs. 4a SGB II im Fall der Klägerin zu 1 deshalb nicht anzuwenden, weil sie sich auf Grund von § 10 Abs. 1 SGB II im streitgegenständlichen Zeitraum aktuell nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stellen musste. 

Einen Fall des § 10 Abs. 1 Nr. 4 SGB II sieht der Senat allerdings nicht gegeben, weil der pflegebedürftige Ehemann zwar mit ihr nach Bosnien-Herzegowina reiste, aber ohne sie aus Sarajevo abreiste und sechs Wochen früher als sie nach Deutschland zurückkehrte, ersichtlich also nicht auf die Pflege gerade durch seine Ehefrau, die Klägerin zu 1, angewiesen war. Der Ablauf der Familienreise, die vorherige Rückreise des Ehemanns allein, das Nachkommen der Ehefrau mit dem Kläger zu 4 sechs Wochen später, hat gezeigt, dass die Begleitung des Ehemanns durch seine Ehefrau nicht im Sinne des § 10 Abs. 1 Nr. 4 SGB II erforderlich war. Jedenfalls ab Rückreise des Ehemanns hatte der Aufenthalt der Klägerin mit ihren Kindern im Heimatland den Charakter eines Heimaturlaubs. Er diente nach den Einlassungen vom 1. April 2025 insbesondere auch dazu, zu erproben, ob die Kläger zu 2 und 3 in einer Schule im Heimatland bessere Leistungen zeigten, was der Fall war, so dass sie seither dauerhaft bei den Großeltern in Sarajevo leben (GA Bl. 184).

Jedoch war der Klägerin zu 1, die neben den Leistungen nach dem SGB II Elterngeld nach dem BEEG bezog, die Aufnahme einer Arbeit nach § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II nicht zumutbar, weil das dritte Kind, der Kläger zu 4, noch nicht einmal das erste Lebensjahr vollendet hatte. Damit musste sich die Klägerin zu 1 im streitgegenständlichen Zeitraum nicht zu einer Vermittlung in den Arbeitsmarkt zur Verfügung halten. 

Gleichwohl ist § 7 Abs. 4a SGB II a.F. anwendbar (a.A. LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. August 2013 –L 34 AS 1030/11, juris, Rn. 24 ff.). 

Der Wortlaut von § 7 Abs. 4a SGB II zunächst spricht deutlich dafür, dass ein Leistungsanspruch auch in Fällen wie dem der Klägerin zu 1 ausgeschlossen ist. In seiner bis 31. März 2011 maßgeblichen Fassung, die über § 77 Abs. 1 SGB II auch im hiesigen Streitzeitraum weiter anzuwenden war, enthielt der Wortlaut der Vorschrift keinerlei Einschränkung, die zur Unanwendbarkeit von § 7 Abs. 4a SGB II auf die Klägerin zu 1 führen könnte. Aber auch die ab 1. April 2011 eingeführte Fassung, deren Geltung allerdings unter dem Vorbehalt des – im Streitzeitraum weiter ausstehenden – Erlasses einer Rechtsverordnung nach § 13 Abs. 3 SGB II stand, sah eine Begrenzung nur insoweit vor, als die Erreichbarkeit nunmehr ausschließlich von erwerbsfähigen Leistungsberechtigten verlangt wurde. Selbst wenn man also den sich hieraus ergebenden Rechtsgedanken zur Auslegung der im hiesigen Streitfall weiterhin maßgeblichen Fassung von § 7 Abs. 4a SGB II trotz seines unveränderten Wortlauts heranziehen wollte, spräche dies nicht dafür, die Klägerin zu 1 von den Erreichbarkeitsanforderungen auszunehmen, da die Verfügbarkeitseinschränkungen aus § 10 Abs. 1 SGB II nicht dazu führen, dass die Betroffenen als nicht erwerbsfähig anzusehen wären.

Nachdem der Senat grundsätzlich an den klaren Wortlaut einer Regelung gebunden ist, führt im Grunde schon dies dazu, dass die Klägerin zu 1 im Streitzeitraum von Leistungen ausgeschlossen war. Anderes könnte, wenn überhaupt, nur gelten, wenn starke teleologisch Argumente oder die Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung eine Einschränkung rechtfertigen könnten. Das aber ist nach Auffassung des Senats nicht der Fall. Vielmehr hatte die Bestimmung des § 7 Abs. 4a SGB II a.F. auch die Funktion, Leistungsmissbrauch zu verhindern. In der Gesetzesbegründung zu § 7 Abs. 4a SGB II (BT-Drs. 16/1696, S. 26) heißt es:

„Mit der Einfügung von Absatz 4a wird geregelt, dass grundsätzlich kein Anspruch auf Leistungen besteht, wenn sich der Leistungsberechtigte außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereiches aufhält. Der zeit- und ortsnahe Bereich ist in der Erreichbarkeits-Anordnung vom 23. Oktober 1997 (ANBA 1997, 1685), geändert durch Anordnung vom 16. November 2001 (ANBA 2001, 1476), definiert. […] Um die missbräuchliche Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen bei einem nicht genehmigten vorübergehenden auswärtigen Aufenthalt innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu vermeiden, soll künftig der Anspruch auf Leistungen bei einem Verstoß gegen den in Absatz 4a formulierten Grundsatz entfallen.“

Damit wird deutlich, dass der Gesetzgeber einen regelmäßig Aufenthalt der (erwerbsfähigen) Leistungsberechtigten im zeit- und ortsnahen Bereich für notwendig hielt, um – auch unabhängig von aktuell anstehenden Eingliederungsbemühungen – einen unmittelbaren Kontakt zwischen Leistunsberechtigten und Leistungsträgern zu ermöglichen und diesen zu ermöglichen, die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Leistungsempfänder überprüfen zu können, soweit diese für die Leistungsgewährung – etwa im Hinblick auf Einkommen und Vermögen, aber auch wegen möglicher, dem Leistungsträger nicht mitgeteilter Tätigkeiten – von Bedeutung sind. Vor diesem Hintergrund sieht der Senat keinen unzumutbaren, zur Verfassungswidrigkeit führenden Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG, dadurch dass der Gesetzgeber auch bei Personen in der Situation der Klägerin zu 1 den Bezug von steuerfinanzierten Fürsorgeleistungen daran geknüpft hat, dass sie sich den Vorgaben der EAO gemäß im zeit- und ortsnahen Bereich aufhalten (anders das LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 15. August 2013 – L 34 AS 1030/11, juris, Rn. 24 für eine in Elternzeit befindliche Bezieherin von Arbeitslosengeld II). Würde man die Bestimmung für aktuell nicht vermittelbare erwerbsfähige Personen für grundsätzlich unanwendbar halten, so könnten sich diese für lange Zeiträume (hier geplant: sechs Monate) fernab vom zuständigen Leistungsträger aufhalten, solange sie nur ihren gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland – vorliegend allein manifestiert über die Beibehaltung der über Grundsicherungsleistungen finanzierten Mietwohnung – nicht aufgeben. Ein kurzfristiger unmittelbarer Kontakt mit dem Leistungsträger und die Prüfung der aktuellen wirtschaftlichen Verhältnisse wäre damit erheblich erschwert, was nur zusätzlich verstärkt wird, wenn sich die Betroffenen – wie die Klägerin zu 1 im hiesigen Fall – im Ausland aufhalten und damit auch die Einschaltung des Außendienstes eines anderen Leistungsträgers im Wege der Amtshilfe nicht in Frage kommt.
Dafür, dass der Gesetzgeber bei Personen, die unter § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II fallen, verpflichtet wäre, ein Leben „auf Reisen“ über ein halbes Jahr zu finanzieren, wie die Kläger das geplant hatten, sieht der Senat auch unter Art. 2 Abs. 1 GG keinen Anhalt. Die Klägerin zu 1 ist frei, für jedweden Zeitraum in ihr Heimatland oder einen beliebigen anderen Ort im In- und Ausland zu reisen; sie kann nur nicht erwarten, dass dies ungeachtet der Dauer ihrer Abwesenheit über den Grundsicherungsträger bei Beibehaltung der Wohnung im Inland finanziert wird. Der Senat hält das nicht für verfassungswidrig und sieht daher auch keinen Anlass, die Bestimmung des § 7 Abs. 4a SGB II a. F. dem BVerfG vorzulegen. 

Im Ergebnis würde eine teleologische Reduktion der Bestimmung für erwerbsfähige, wenn auch aktuell auf dem Arbeitsmarkt nicht vermittelbare Personen dem Willen des Gesetzgebers, Missbrauch zu verhindern, widersprechen (vgl. BT-Drs. 16/1696, S. 26) und wäre jedenfalls von dem im Streitzeitraum maßgeblichen Gesetzestext nicht gedeckt. Dass die Fachlichen Weisungen der BA auf dem Stand 15. Februar 2022 (7.123, GA Bl. 86), also zu der Nachfolgefassung des § 7 Abs. 4a SGB II, hier weniger streng sind (sie sehen vor, dass für Personen, die vorübergehend nicht eingliederbar sind, im Einzelfall zu entscheidend ist, ob die entsprechende Anwendung der EAO sinnvoll ist; dies könne im Interesse der Vermeidung von Leistungsmissbrauch zu bejahen sein), ändert – jedenfalls für die hier anwendbare Fassung von § 7 Abs. 4a SGB II – nichts an der vorstehenden Auslegung des Gesetzes. 

Der Beklagte hat die Aufhebung des Verwaltungsaktes auf § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X gestützt. Zwar hat der für die Kläger agierende Ehemann den Beklagten mit E-Mail vom 1. Oktober 2021 über die Ortsabwesenheit seiner Ehefrau und seiner Kinder informiert (VA PDF Bl. 305, Dok. 219). Eine Mitteilung über die – wie dargelegt nicht zustimmungsfähige – Ortsabwesenheit von geplant sechs Monaten, die nach § 7 Abs. 4a SGB II zum Leistungsausschluss führt, liegt damit zwar vor. Allerdings hätte diese Mitteilung früher erfolgen müssen, da der letzte Bewilligungsbescheid vom 2. September 2021 datiert und die Leistungen nach dem SGB II vorschüssig ausgezahlt werden. Am 1. Oktober 2021 war damit die Auszahlung der Leistungen für den Monat Oktober 2021 am 29. September 2021 (VA PDF Bl. 458, Dok. 258) bereits erfolgt. Allerspätestens ab Ausstellung des Attestes Dr. H. vom 17. September 2021 wurde der sechsmonatige Heimataufenthalt der Familie bei Verwandten, für den laut den ursprünglichen Angaben des Ehemanns der Klägerin zu 1 eine Wohnung in Sarajevo angemietet wurde, geplant. Die Klägerin zu 1 und ihr Ehemann warteten aber den Eingang der SGB II-Leistungen für Oktober 2021 ab, bevor sie die Abreise am Abreisetag, dem 1. Oktober 2021, mitteilten. Die Eheleute stehen seit vielen Jahren, nämlich seit 1. Oktober 2013, im Leistungsbezug nach dem SGB II bzw. dem SGB XII und sind ausweislich der Verwaltungsakte sehr rechtskundig im ständigen Austausch mit dem Beklagten. Sie mussten daher wissen, dass sie leistungsrelevante Veränderungen gemäß § 60 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB I unverzüglich und daher einen anstehenden und zweifellos nicht ganz kurzfristig ins Auge gefassten Auslandsaufenthalt von geplant einem halben Jahr vorab und nicht erst nach Eingang der Leistungen für den ersten Monat dieses Auslandsaufenthalts am Tag der Abreise dem Beklagten mitteilen und um Zustimmung ersuchen mussten. Dieser Pflicht ist die Klägerin zu 1 zumindest grob fahrlässig nicht nachgekommen. Der Umstand, dass der auf sechs Monate angelegte Auslandsaufenthalt erst am Tag der Abreise nach Bosnien-Herzegowina mitgeteilt wurde, spricht dafür, dass die Klägerin zu 1 den Beklagten vor vollendete Tatsachen stellen wollte, weil sie nicht davon ausgehen konnte, dass über einen Antrag auf Ortsabwesenheit noch am selben Tag entschieden werden könnte.

Der Senat lässt offen, ob auch ein Fall des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X vorliegt. Mit Ausreise am 1. Oktober 2021 war die Klägerin zu 1 von Leistungen nach dem SGB II ausgeschlossen, ihr Anspruch damit weggefallen im Sinne des § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB II. Zwar liegt grobe Fahrlässigkeit der Klägerin zu 1 nahe. Denn die Eheleute stehen, wie erwähnt, seit vielen Jahren, nämlich seit 1. Oktober 2013, im Leistungsbezug nach dem SGB II bzw. dem SGB XII. Es liegt daher sehr nahe, dass sie nicht davon ausgingen oder ausgehen konnten, ein halbes Jahr im Ausland leben zu können, ohne dass dies Auswirkungen auf den Leistungsanspruch der Klägerin zu 1 haben würde. 

An der groben Fahrlässigkeit der Klägerin zu 1 lässt aber zweifeln, dass die Fallmanagerin nach Abreise der Klägerin zu 1 mit E-Mail vom 7. Oktober 2021 ein Elternzeitformular für die Klägerin zu 1 an Herrn A. übersandte und ausführte, dass die Möglichkeit bestehe, Elternzeit für den Kläger zu 4 für den Zeitraum von drei Jahren zu beantragen und dass im Fall der Beantragung für die Klägerin zu 1 die Möglichkeit bestehe, für drei Monate ortsabwesend zu sein (VA PDF Bl. 338, Dok. 225), so dass es dem Senat nicht ausgeschlossen erscheint, dass sie zumindest zwischenzeitlich ab dem Zugang der E-Mail der Fallmanagerin bis zum Zugang des streitigen Bescheides hinsichtlich der Genehmigungsfähigkeit und damit hinsichtlich der Leistungsanspruchs gutgläubig gewesen sein könnten.
(2) Auch die Aufhebung der Leistungsbewilligung gegenüber den Klägern zu 2 und 3 im streitgegenständlichen Zeitraum ist rechtmäßig. 

Ob ein Leistungsausschluss für die Kläger zu 2 bis 3 SGB II nach § 7 Abs. 4a SGB II eingetreten ist, kann dahinstehen. Der Senat neigt dazu, dies zu bejahen (hierzu unten unter 3.), im Ergebnis kommt es aber hierauf nicht an.

Das (ursprüngliche) Argument des Beklagten, es gebe wegen des Leistungsauschlusses der Klägerin zu 1 hier keine erwerbsfähige Person, weshalb auch die Kläger zu 2 bis 4 von Leistungen ausgeschlossen seien, verkennt allerdings die Konstruktion einer Bedarfsgemeinschaft. Diese knüpft an eine erwerbsfähige Person im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB II an (diese Voraussetzung war im Fall der Klägerin zu 1 gegeben), nicht an die aktuell bestehende Vermittelbarkeit in den Arbeitsmarkt (bei der Klägerin zu 1 wegen § 10 Abs. 1 Nr. 3 SGB II temporär nicht gegeben) und entfällt auch nicht, wenn ein individueller Anspruchsausschluss (hier wegen fehlender Erreichbarkeit) gegeben ist. 

Allerdings ist im Fall der Kläger zu 2 und 3 der gewöhnliche Aufenthalt (§ 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II) und damit ein Leistungsanspruch nach dem SGB II entfallen (so zuletzt auch der Beklagte). Sie wurden von den Eltern aus der Schule genommen, weil sie Sprachschwierigkeiten hatten und setzten ihre Schullaufbahn in Sarajevo bei den Großeltern lebend fort. Der geplante sechsmonatige Aufenthalt in Sarajevo diente nach den zuletzt gemachten Angaben insbesondere auch dazu, zu erproben, ob die Kläger zu 2 und 3 in einer Schule im Heimatland bessere Leistungen zeigten, was der Fall gewesen sei. Eine Rückkehr nach Deutschland in absehbarer Zeit war für die Kläger zu 2 und 3 daher gerade nicht geplant. Dementsprechend gibt es auch keinen Nachweis, dass sie wieder nach Deutschland einreisten und dort wieder die Schule besuchten, nachdem sie abgemeldet worden waren. Mit der „Herausnahme“ aus der Schule in Deutschland und der anschließenden Ausreise endete der gewöhnliche Aufenthalt der Kläger zu 2 und 3 in Deutschland und spätestens mit ihrer Einschulung während des Sechsmonatszeitraums in Sarajevo wurde dort ein neuer gewöhnlicher Aufenthalt begründet. 

Die Mitteilungspflicht nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X, dass die beiden schulpflichtigen Kinder aus der Schule herausgenommen worden seien und in Bosnien-Herzegowina eingeschult wurden (und darüber hinaus, dass die Lebenshaltungskosten ganz oder teilweise von Verwandten übernommen wurden), trifft im Falle der minderjährigen Kinder die Eltern (s. BSG, Urteil vom 24. Juni 2020 – B 4 AS 10/20 R –, juris, Rn. 32). Da weder die Klägerin zu 1 noch ihr Ehemann dem Beklagten mitteilten, dass die Kläger zu 2 und 3 nunmehr in Sarajevo bei den Großeltern in Sarajevo lebten und dort zur Schule gingen, kamen sie ihrer Mitteilungspflicht nach § 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 SGB X nicht nach. 

Der Senat lässt wiederum offen, ob die Eltern wussten oder hätten wissen müssen – auch insoweit ist auf ihr Wissen bzw. wissen müssen abzustellen –, dass für dauerhaft im Ausland lebende Kinder kein Anspruch nach dem SGB II besteht und dass, wenn die Kosten des Lebensunterhalts von Verwandten getragen werden, so der anwaltliche Vortrag vom 1. April 2025, und damit im Sinne von § 9 Abs. 1 SGB II die erforderliche Hilfe durch Dritte sichergestellt ist, kein Anspruch nach dem SGB II auf Leistungen zum Lebensunterhalt besteht (§ 48 Abs. 1 Satz 2 Nr. 4 SGB X). 

(3) Die Klage des Klägers zu 4 ist dagegen begründet, die Berufung des Beklagten unbegründet.

Im Falle des erst im Oktober 2021 geborenen Klägers zu 4 geht der Senat davon aus, dass er mit der Mutter am 27. Dezember 2021 wieder nach Deutschland einreiste, so dass bei ihm, so wie im Fall der Klägerin zu 1, von einem fortdauernden gewöhnlichen Aufenthalt im Inland im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB II auszugehen ist. Auch bildete er mit seiner Mutter, der Klägerin zu 1, im gesamten Streitzeitraum während des Aufenthalts im Ausland eine Bedarfsgemeinschaft nach § 7 Abs. 3 Nr. 4 SGB II, so dass die Voraussetzungen eines Anspruchs auf Sozialgeld nach § 19 Abs. 1 Satz 2 SGB II bei dem Kläger zu 4 erfüllt sind, soweit bei ihm Hilfebedürftigkeit im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 SGB II vorlag. Zwar sind im streitgegenständlichen Erstattungszeitraum nach den klägerischen Einlassungen „keine weiteren Kosten“ entstanden. Der Senat bezieht diese Einlassung indessen zugunsten der Kläger allein auf die Unterkunftskosten in Sarajevo. Nachweislich entstanden dem Kläger zu 4 im streitgegenständlichen Zeitraum während des Aufenthalts bei Verwandten dagegen Aufwendungen in Höhe der anteiligen Unterkunftskosten für die beibehaltene und nicht untervermietete Wohnung in Deutschland. Sollten dem Kläger zu 4 im Ausland keine Lebenshaltungskosten entstanden sein und er also die erforderlichen Hilfen zur Sicherung des Lebensunterhalts von Dritten erhalten haben sollte, wäre hierfür, da ein Aufhebungsbescheid in Streit ist, der Beklagte beweispflichtig. Dass sämtliche Lebenshaltungskosten (im Fall des Klägers Windeln, Bekleidung, Babynahrung) von den Verwandten getragen wurden, wurde vom Beklagten jedoch nicht einmal behauptet. Der Senat geht daher von der Hilfebedürftigkeit des Klägers zu 4 aus.  

Der Kläger ist auch nicht nach § 7 Abs. 4a SGB II in der hier anwendbaren bis zum 31. Dezember 2010 geltenden Fassung von Leistungen ausgeschlossen. Zwar macht die Bestimmung ihrem Wortlaut nach gerade keinen Unterschied zwischen Arbeitslosengeld II- und Sozialgeldempfängern und erwerbsfähigen und nicht erwerbsfähigen Personen: „Leistungen nach diesem Buch erhält nicht, …“. Jedoch geht der Senat – insoweit in teilweiser Übereinstimmung mit dem LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 14. Juli 2011, L 3 AS 3552/09, juris – davon aus, dass die Bestimmung jedenfalls solche Sozialgeldempfänger, die noch nicht schulpflichtig sind, zur wirtschaftlichen Situation der Familie nicht beitragen und keinerlei eigenständigen, von ihren Erziehungsberechtigten unabhängigen Kontakt mit dem Leistungsträger haben können, nicht erfasst. Das trifft auf den Kläger zu 4, seinerzeit ein unter einjähriges Baby, zu. 

Vorliegend ist der Kläger zu 4 von den Eltern schlicht nach Bosnien-Herzegowina zu den Verwandten mitgenommen worden. In seinem Fall fehlt es an einem im weitesten Sinne arbeitsmarktpolitischen Zweck oder auch Gesichtspunkten möglicher Missbrauchskontrolle, die es im Rahmen des § 7 Abs. 4a SGB II a.F. rechtfertigen könnten, den Aufenthalt des Klägers zu 4 außerhalb des zeit- und ortsnahen Bereichs zu unterbinden. Anderes dürfte für schulpflichtige Kinder als Mitglieder einer Bedarfsgemeinschaft gelten, deren künftige Arbeitsmarktchancen durch mehrmonatige Unterbrechungen der Schullaufbahn durchaus beeinträchtigt werden können. Im Fall der Kläger zu 2 und 3 kommt es vorliegend wegen des Verlusts des gewöhnlichen Aufenthalts in Deutschland nach dem oben Gesagten hierauf aber nicht an. 

Der Senat verkennt nicht, dass die hier vorgenommene Beschränkung des Anwendungsbereichs des § 7 Abs. 4a SGB II a.F. auf Personen, bei denen legitimerweise die Leistungsgewähr mit im weitesten Sinne arbeitsmarktpolitischen Zwecken verknüpft werden kann, Missbrauchsmöglichkeiten eröffnet. Wie bereits ausgeführt war es Zweck der Einfügung von Absatz 4a die missbräuchliche Inanspruchnahme von Fürsorgeleistungen bei einem nicht genehmigten vorübergehenden auswärtigen Aufenthalt innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik Deutschland zu vermeiden. Die hier gefundene Lösung zu § 7 Abs. 4a SGB II a.F. ermöglicht es erwerbsfähigen Eltern mit mehreren nicht schulpflichtigen Kindern, Monate im Ausland zuzubringen und – bei geringerem Preisniveau im Ausland – von den den Kindern zu gewährenden und gewährten Leistungen zu leben, solange nur der gewöhnliche Aufenthalt im Inland nicht aufgegeben wird, ohne dass der Leistungsträger irgendeine Kontrolle darüber hätte, ob im Ausland eine Erwerbstätigkeit stattfindet oder etwa der Lebensunterhalt (teilweise) von Dritten finanziert wird. Die auf erwerbsfähige Leistungsberechtigte beschränkte Regelung des § 7b SGB II in der derzeit gültigen Fassung birgt dieses Risiko umso mehr.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und verteilt die Kosten nach dem Obsiegen des Beklagten im Verhältnis zu der Klägerin zu 1 und den Klägern zu 2 und 3 und dem Obsiegen des Klägers zu 4 im Verhältnis zum Beklagten.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 160 Abs. 2 SGG nicht vorliegen. Insbesondere sieht der Senat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG, da die hiesige Entscheidung eine Altfassung des § 7 Abs. 4a SGB II betrifft. Auch ein Fall des § 160 Abs. 2 Nr. 2 SGG liegt nicht vor, da nicht von einer Entscheidung der dort genannten Gerichte abgewichen wird. 
 

Rechtskraft
Aus
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