Die Entscheidung über eine Änderung eines vorausgegangenen Beschlusses nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG ist an denselben Kriterien auszurichten, wie sie im Falle eines erstmaligen Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu berücksichtigen sind.
Auf den Änderungsantrag des Antragstellers wird unter Abänderung des Beschlusses des Sozialgerichts Hannover vom 20. August 2020 (S 62 BA 67/20 ER) mit Wirkung ab dem Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. November 2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2020 angeordnet, soweit Beiträge und Umlagen für das Beitragsjahr 2014 erhoben worden sind.
Im Übrigen wird der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt.
Die Kosten des vorliegenden Verfahrens zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes tragen der Antragsteller und die Antragsgegnerin jeweils zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das vorliegende Verfahren zur Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes auf 174.951 € festgesetzt.
Gründe
I.
Der Antragsteller begehrt erneut vorläufigen Rechtsschutz hinsichtlich eines auf der Grundlage einer Betriebsprüfung nach § 28p SGB IV erlassenen Bescheides, mit dem die Antragsgegnerin Beiträge und Umlagen zur Sozialversicherung für die Beitragsjahre 2014 bis 2016 in einer Gesamthöhe von 349.901,44 € für die Tätigkeit von Prostituierten im Betrieb des Antragstellers nachgefordert hat.
Jedenfalls seit 2011 betrieb der Antragsteller ein sog. Flatrate-Bordell, bei dem die Kunden einen Pauschalpreis von überwiegend 100 € bzw. 120 € entrichteten. Jeweils die Hälfte dieser von den Kunden gezahlten Beträge wurden einer sog. „Damenkasse“ zugeführt. Die in diese Kasse im Laufe des Betriebstages eingezahlten Beträge wurden dann auf die im Betrieb an dem betroffenen Tag tätigen Prostituieren als Entgelt (soweit sich dies nach Aktenlage unter Berücksichtigung insbesondere der Kassenbücher des Antragstellers erschließt: jedenfalls überwiegend zu gleichen Teilen) ausgezahlt. Auf diesem Wege konnten die Prostituierten nach Maßgabe der Kassenbücher Tageseinnahmen in der Größenordnung von – je nach Kundenzahl und Zahl der an dem jeweiligen Tag im Betrieb tätigen Prostituierten – ca. 80 bis 180 € erzielen.
Von der ihm im Ergebnis verbleibenden Hälfte der von den Kunden gezahlten Pauschalpreise entrichtete der Antragsteller Umsatzsteuerzahlungen nach Maßgabe der Gesamteinnahmen (unter Einschluss des in die sog. „Damenkasse“ abgeführten Anteils) sowie die sonstigen Ausgaben des Betriebes; verbleibende Beträge stellten seinen Gewinn dar.
Nachdem das Hauptzollamt Ermittlungen gegen den Antragsteller wegen des Verdachts der Schwarzarbeit eingeleitet hatte, teilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller mit Schreiben vom 13. Februar 2018 insbesondere Folgendes mit:
Das Hauptzollamt H. Finanzkontrolle Schwarzarbeit I. hat uns über vermutlich unzutreffende sozialversicherungsrechtliche Beurteilungen/fehlerhafte Beitragsabrechnungen und -zahlungen informiert.
Wir werden daher für Ihren Betrieb eine Prüfung nach § 28p SGB IV durchführen. Grundlage der Prüfung werden zunächst die bisher vorliegenden Unterlagen des Hauptzollamtes J. sein. Für die Rentenversicherungsträger gilt der Amtsermittlungsgrundsatz (§ 20 Abs. 1 Satz 1 SGB X). Die Art und der Umfang der Ermittlungen wird von den Rentenversicherungsträgern selbst bestimmt, ohne an das Vorbringen und an die Beweisanträge der Beteiligten gebunden zu sein (§ 20 Abs. 1 Satz 2 SGB X). Alle für den Einzelfall bedeutsamen, auch die für die Beteiligten günstigen Umstände sind zu berücksichtigen (§ 20 Abs. 2 SGB X).
Über die Ergebnisse der Prüfung werden wir Sie nach Abschluss unserer Ermittlungen unterrichten.
Mit Schreiben vom 21. März 2018 teilte die Antragsgegnerin dem Hautzollamt mit, dass nach Auswertung der dortigen Ermittlungsergebnisse ein Beitragsschaden bezogen auf den Beitragsnacherhebungszeitraum Januar 2011 bis April 2016 in einer Gesamthöhe von 1.636.785,75 Euro ermittelt worden sei.
Der Antragsteller erhielt von diesem Schreiben an das Hauptzollamt seinerzeit keine Kenntnis.
Erst mit Anhörungsschreiben vom 12. April 2019 wandte sich die Antragsgegnerin erneut an den Antragsteller und legte dar, dass für die Zeit vom 01.01.2011 bis 30.04.2016 eine Festsetzung von Nachforderungen zur Sozialversicherung in Höhe von insgesamt 2.942.328,90 Euro erwogen werde. Der Antragsteller trat dem insbesondere mit Schreiben vom 14. August 2019 entgegen.
Mit Bescheid vom 7. November 2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2020 setzte die Antragsgegnerin Nachforderungen zur Sozialversicherung bezogen auf den Beitragszeitraum Januar 2014 bis April 2016 in Höhe von insgesamt 349.901,44 Euro fest.
Zur Begründung legte die Antragsgegnerin insbesondere dar: Die Vergütung erhielten die Prostituierten aus einer für alle Damen eingerichteten Gemeinschaftskasse, welche an der Theke geführt worden ist. Vom Kunden erhielten die Prostituierten direkt keine Entgelte. Die Auszahlung aus dieser Kasse erfolgten jeweils am Ende des Tages.
Die Vergütung habe sich so dargestellt, dass der Eintritt der Kunden zu 50 Prozent auf den Antragsteller, also in dessen Clubkasse, fiel und 50 Prozent auf die Damen direkt und gleichmäßig aufgeteilt worden sei.
Die Kunden hätten mit dem Eintritt eine Gesamtleistung des Betriebes bezahlt und hätten keine einzelne Dienstleistung und auch keine einzelne Dame „gebucht“. Den Zeugenaussagen nach sei der Anteil der Prostituierten aus der "Frauenkasse" auf alle Prostituierten "gleichmäßig und gerecht verteilt" worden.
Auch wenn die Prostituierten selbst entscheiden konnten, ob sie an einem Tag oder in einer Schicht arbeiten wollten, seien diese nach Beginn und mit Anwesenheit im Club des Antragstellers in dessen Arbeitsorganisation mit festen Arbeitszeiten eingegliedert gewesen.
Die Prostituierten seien somit in das Gesamtgefüge Ihres Betriebsablaufes in dem Moment eingebunden gewesen, in dem sie tatsächlich für den Antragsteller anfingen zu arbeiten bzw. sich für Kunden in seinem Club bereithielten.
Dagegen richtet sich die Klage des Antragstellers vom 31. Juli 2020 (S 62 BA 66/20).
Gegen den Ausgangsbescheid in Gestalt des Widerspruchsbescheides hat der Antragsteller damals unter dem Aktenzeichen S 62 BA 67/20 ER ein erstes einstweiliges Rechtsschutzverfahren eingeleitet.
Mit Beschluss vom 20.08.2020 hat das Sozialgericht damals die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt. Bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren allein möglichen summarischen Prüfung spreche mehr für als gegen die Richtigkeit des zur Überprüfung gestellten Bescheides. Es stehe dem Antragsteller allerdings frei, im Hauptsacheverfahren durch substantiierten Tatsachenvortrag zu belegen, dass die in seinem Club tätigen Prostituierten nicht abhängig beschäftigt gewesen seien. Eine Beschwerde gegen diese Entscheidung ist vom Antragsteller seinerzeit nicht eingelegt worden.
Im Hauptsacheverfahren hat das Sozialgericht die Klage mit Urteil vom 23. Mai 2024 abgewiesen. Zur Begründung hat es insbesondere ausgeführt, dass zur Überzeugung der Kammer feststehe, dass die Prostituierten im streitbefangenen Zeitraum im Bordell des Klägers als abhängig Beschäftigte tätig gewesen seien. Die Anzahl der jeweils „bedienten“ Kunden habe keine Auswirkung auf die Bezahlung der anwesenden Prostituierten gehabt. Diese hätten damit nicht die Möglichkeit gehabt, durch die Bedienung möglichst vieler Freier ihre täglichen Einkünfte zu erhöhen.
Weiterhin hätten sich die Prostituierten im Bordell des Klägers zu den dortigen Öffnungszeiten bis zur täglichen Schließung des Bordells bereitgehalten. Die Bezahlung sei an die schlichte Bereithaltung zu den Öffnungszeiten sowie an die an Zahl der anwesenden Prostituierten, nicht jedoch an die Anzahl der „bedienten“ Freier gekoppelt gewesen. Die Personalplanung habe der Kläger übernommen. Es sei für den täglichen reibungslosen Betriebsablauf im Bordell erforderlich gewesen, dass sowohl werktags als auch an den Wochenenden jeweils eine bestimmte Anzahl an Prostituierten mitwirkte.
Gegen dieses ihm am 26. Juni 2024 zugestellte Urteil richtet sich die Berufung des Antragstellers vom 23. Juli 2024 (L 2 BA 47/24).
Am 13. Februar 2025 hat der Antragsteller insbesondere im Hinblick auf Vollstreckungsbemühungen einzelner Einzugsstellen erneut um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht.
Er beantragt,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Klage des Antragstellers gegen die Zwangsvollstreckung aus dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 07. November 2019 in der Form des hierauf ergangenen Widerspruchsbescheides vom 01. Juli 2020 anzuordnen,
hilfsweise,
die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs und der Klage des Antragstellers gegen die Zwangsvollstreckung aus dem Bescheid der Antragsgegnerin vom 07. November 2019 in der Fassung des Widerspruchsbescheides vom 1. Juli 2020 gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 15.566,29 EUR anzuordnen.
Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abzulehnen.
Ihrer Auffassung steht dem Begehren bereits die Rechtskraft des vorausgegangenen Beschlusses des Sozialgerichts vom 20. August 2020 (S 62 BA 67/20 ER) entgegen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der vorliegenden Gerichtsakte, der Hauptsacheakte L 2 BA 47/24, der Akte S 62 BA 67/20 ER und auf den Inhalt der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
II.
Der erneute Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes hat teilweise Erfolg. Nach derzeitigem Sach- und Streitstand ist zwar weiterhin im Ausgangspunkt davon auszugehen, dass die streitbetroffenen Prostituierten im Beitragsnacherhebungszeitraum Januar 2014 bis April 2016 in abhängigen und sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen zum Antragsteller gestanden haben. Bezogen auf das Beitragsjahr 2014 ist jedoch im Rahmen der im vorliegenden Eilverfahren allein möglichen summarischen Prüfung von einer Verjährung der festgesetzten Beitrags- und Umlagenforderungen auszugehen.
1. Der vorausgegangene Beschluss des Sozialgerichts Hannover vom 20. August 2020, mit dem die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes abgelehnt worden war, hindert den Senat als das nunmehr zuständige Gericht der Hauptsache nicht an der inhaltlichen Prüfung des erneuten Antrages auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes.
Gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG) kann das Gericht der Hauptsache in den Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, diese auf Antrag ganz oder teilweise anordnen bzw. gem. § 86b Abs. 1 S. 2 SGG eine schon vorgenommene Vollziehung aufheben.
Nach den ausdrücklichen gesetzlichen Vorgaben des § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die Maßnahmen jederzeit ändern oder aufheben.
Ein entsprechender Antrag gem. § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG ist begründet, wenn im Zeitpunkt der Entscheidung über die Abänderung eine Änderung der Sachlage (wie etwa neue Tatsachen, insbesondere neue Beweismittel) und/oder der Rechtslage (wie etwa eine Gesetzesänderung, Änderung der höchstrichterlichen Rechtsprechung, Klärung einer umstrittenen Rechtsfrage) eingetreten ist und deshalb die durchzuführende Interessenabwägung (bzw. in Vornahmesachen die Beurteilung von Anordnungsanspruch oder Anordnungsgrund) anders ausfällt (Beck- Cantzler in Online-Kommentar zum Sozialrecht, 76. Ed. 1.3.2025, SGG § 86b Rn. 151).
Das Abänderungsverfahren ermöglicht es dem Gericht und den Beteiligten, Veränderungen der Sach- und Rechtslage, die nach der Entscheidung im Eilverfahren oder Rechtskraft des Beschlusses eingetreten sind, zu berücksichtigen. Es vervollständigt damit den Rechtsschutz für den Bürger (BeckOGK/Wahrendorf, 1.2.2025, SGG § 86b Rn. 152). Es reicht aus, dass sich im Ergebnis eine Korrekturbedürftigkeit der bisherigen Beurteilung ergibt (Peters/Sautter/Wolff Sozialgerichtsbarkeit/Hommel/Kummer, 119. EL Juni 2024, SGG § 86b Rn. 46).
Entsprechend wird auch zur Parallelvorschrift des § 80 Abs. 7 Satz 1 VwGO die Einschätzung vertreten, dass der Gesetzgeber dem Gericht der Hauptsache die Möglichkeit der "jederzeitigen" Abänderung eröffnen will, und zwar auch dann, wenn dafür allein auf der Grundlage besserer Rechtserkenntnis ein Bedürfnis besteht. Das stelle sich insbesondere im Hinblick darauf als gerechtfertigt dar, dass schon die vorausgegangene Entscheidung über eine Gewährung oder Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes auf der Grundlage einer im Ermessen des Gerichts stehenden und eine nur summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage einschließenden Interessenabwägung ergeht, die auch ohne Vorliegen veränderter Umstände vom Gericht überprüfbar sein müsse (Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, Beschluss vom 8. November 1995 – 13 S 494/95 –, Rn. 2, juris).
Die Änderungsentscheidung stehe im pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts ohne Anknüpfung an zusätzliche tatbestandliche Voraussetzungen. Auch bei der Entscheidung über eine Änderung seien im Ergebnis dieselben materiellen Gesichtspunkte maßgebend, wie sie im Falle eines erstmaligen Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zu gelten hätten (OVG Hamburg B. v. 3.2.1995 – Bs VII 2/95, BeckRS 1995, 21661).
Dementsprechend fordert auch das BVerfG (B.v. 23. 10. 2007 - 2 BvR 542/07 - NVwZ 2008, 417), dass bei der Prüfung von Änderungsanträgen die „Richtigkeitsgewähr“ der Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes im Vordergrund zu stehen hat.
Im vorliegenden Zusammenhang bringt schon der Wortlaut des § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG keine Einschränkungen der Befugnis des Gerichts der Hauptsache zur Abänderung vorausgegangener Entscheidungen hinsichtlich der Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zum Ausdruck. Dazu bestand nach dem Regelungswillen des Gesetzgebers auch kein Anlass. Dieser hat sich bewusst dazu entschieden, die Änderungsbefugnis inhaltlich nicht zu beschränken und insbesondere nicht von einer Änderung der Sach- und Rechtslage abhängig zu machen (BR-Drs. 132/01, S. 52). Es genügt letztlich eine bloße Meinungsänderung des Gerichts (Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/Keller, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 20).
Im Ergebnis wollte der Gesetzgeber damit entsprechend den verfassungsrechtlichen Vorgaben des Art. 19 Abs. 4 GG die Effektivität des vorläufigen Rechtsschutzes fördern. Gerade in Anbetracht der in Verfahren zur Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes vielfach nur in Betracht kommenden summarischen Erfassung komplexer Sach- und Rechtslage würde es den Rechtsschutzsuchenden vielfach unzumutbar belasten, wenn im Zuge der nachfolgenden weiteren Aufklärung des Sachverhalts im Hauptsacheverfahren gewonnene zu seinen Gunsten sprechende Erkenntnisse auch bei schwerwiegenden Nachteilen nicht im Sinne einer Korrektur einer vorausgegangenen Entscheidung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes berücksichtigt werden könnten.
Unter Berücksichtigung der erläuterten gesetzgeberischen Zielvorgaben kann es für das Bestehen einer Änderungsbefugnis nach § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG nicht darauf ankommen, ob in der vorausgegangenen Entscheidung eine Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes jedenfalls in Teilen erfolgt oder aber gänzlich abgelehnt worden ist (anders wohl Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/Keller, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 20, beck-online mwN). Der die Änderungsbefugnis begründende regelmäßig nur summarische Charakter von gerichtlichen Prüfungen in Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes wird durch die begrenzten Erkenntnismöglichkeiten und die Notwendigkeit eines Verzichts auf weitere zeitaufwändige Ermittlungen geprägt. Diese Risikofaktoren bestehen unabhängig vom Ergebnis der vorausgegangenen Eilentscheidung.
Inwieweit und mit welchen konkreten Rechtswirkungen auch unter Berücksichtigung der vom Gesetzgeber ausdrücklich vorgesehenen Abänderungsbefugnis nach § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG vorausgegangene Entscheidungen über die Gewährung oder Ablehnung vorläufigen Rechtsschutzes etwa im Sinne einer „endgültigen Regelung eines vorläufigen Zustandes“ (BeckOGK/Wahrendorf, 1.2.2025, SGG § 86b Rn. 186, beck-online; Meyer-Ladewig/Kel-
ler/Schmidt SGG/Keller, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 19a, beck-online) in Rechtskraft erwachsen können, muss angesichts der vorstehenden Erwägungen im vorliegenden Eilverfahren nicht näher geklärt werden. Angesichts der in § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG ausdrücklich normierten gesetzlichen Abänderungsbefugnis steht eine „Endgültigkeit“ einer vorausgegangenen Entscheidung im Eilrechtsschutzverfahren jedenfalls unter dem Vorbehalt ihrer nachfolgenden Änderung. Eine entsprechende Änderungsentscheidung kann als „Durchbrechung der materiellen Rechtskraft“ (Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/Keller, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 20, beck-online) verstanden werden; die Möglichkeit ihres Erlasses limitiert jedenfalls schon im Ausgangspunkt die Reichweite einer Rechtskraft der vorausgegangenen Entscheidung im vorläufigen Rechtsschutzverfahren.
2. Die Entscheidung, ob eine aufschiebende Wirkung ausnahmsweise gemäß § 86b Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGG durch das Gericht angeordnet wird, erfolgt aufgrund einer umfassenden Abwägung des Suspensivinteresses des Antragstellers einerseits und des öffentlichen Interesses an der Vollziehung des Verwaltungsakts andererseits. Im Rahmen dieser Interessenabwägung ist in Anlehnung an § 86a Abs. 3 S. 2 SGG zu berücksichtigen, ob und ggfs. in welchem Ausmaß Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen oder ob die Vollziehung für den Antragsteller eine unbillige, nicht durch überwiegende öffentliche Interessen gebotene Härte zur Folge hätte. Dieser Prüfungsmaßstab ist aus den erläuterten Gründen auch im Änderungsverfahren nach § 86b Abs. 1 Satz 4 SGG maßgeblich.
Nach § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG entfällt die aufschiebende Wirkung von Rechtsbehelfen insbesondere bei der Entscheidung über Versicherungs-, Beitrags- und Umlagepflichten. Damit hat der Gesetzgeber das Vollzugsrisiko bei Beitragsbescheiden grundsätzlich auf den Adressaten verlagert. Bei dieser Ausgangslage können nur solche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des Bescheides ein überwiegendes Suspensivinteresse begründen, die einen Erfolg des Rechtsbehelfs wahrscheinlich erscheinen lassen. Hierfür reicht es nicht schon aus, dass im Rechtsbehelfsverfahren möglicherweise noch ergänzende Tatsachenfeststellungen zu treffen sind. Maßgebend ist vielmehr, ob nach der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Eilentscheidung mehr für als gegen die Rechtswidrigkeit des angefochtenen Bescheides spricht (vgl. zum Vorstehenden: Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, B. v. 12.2.2020 - L 8 BA 157/19 B ER – juris; B.v. 13. Juli 2022 – L 8 BA 49/21 B ER – juris).
3. Nach derzeitigem Sach- und Streitstand sind keine Gesichtspunkte erkennbar, aufgrund derer konkrete Zweifel an der Annahme abhängiger und damit sozialversicherungspflichtiger Beschäftigungsverhältnisse zwischen dem Antragsteller und den streitbetroffenen Prostituierten zu erkennen wären.
Im streitbetroffenen Zeitraum unterlagen Personen, die gegen Arbeitsentgelt und nicht nur geringfügig beschäftigt waren, in der Kranken-, Pflege-, Renten- und Arbeitslosenversicherung (vgl § 5 Abs 1 Nr 1 SGB V, § 20 Abs 1 Satz 2 Nr 1 SGB XI, § 1 Satz 1 Nr 1 SGB VI und § 25 Abs 1 Satz 1 SGB III) der Versicherungs- und Beitragspflicht.
In der Sache ist die Beurteilung der Frage, ob eine selbständige oder abhängige Beschäftigung vorliegt, nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Rahmen einer gebotenen Gesamtabwägung aller Umstände des zu beurteilenden Einzelfalles zu treffen. Die für und gegen eine abhängige/selbständige Tätigkeit sprechenden Umstände sind gegeneinander abzuwägen. Einem im Vertrag dokumentierten Willen der Vertragsparteien, kein sozialversicherungspflichtiges Beschäftigungsverhältnis zu wollen, kommt jedenfalls dann indizielle Bedeutung zu, wenn dieser Wille dem festgestellten sonstigen tatsächlichen Verhältnis nicht offensichtlich widerspricht und er durch weitere Aspekte gestützt wird. Allerdings sind die tatsächlichen Verhältnisse ausschlaggebend, wenn sie von den Vereinbarungen abweichen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 28. Mai 2008, B 12 KR 13/07 R, Juris Rn. 16, 17 mwN).
Beurteilungsmaßstab für das Vorliegen einer abhängigen Beschäftigung und damit einer Versicherungspflicht in den genannten Zweigen der gesetzlichen Sozialversicherung ist § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB IV. Danach ist Beschäftigung die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Die Feststellung einer entsprechenden Beschäftigung richtet sich nach den Grundsätzen, die Lehre und Rechtsprechung zum Begriff des entgeltlichen Beschäftigungsverhältnisses in der Sozialversicherung bzw. zur Beschäftigung als "nichtselbständige Arbeit" iS des § 7 Viertes Buch Sozialgesetzbuch (SGB IV) entwickelt haben. Arbeitnehmer ist hiernach, wer von einem Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Erforderlich ist insbesondere eine Eingliederung in den Betrieb und die Unterordnung unter ein Zeit, Dauer, Ort und Art der Arbeitsausführung umfassendes Weisungsrecht des Arbeitgebers (BSG, U.v. 6. März 2003 - B 11 AL 25/02 R - SozR 4-2400 § 7 Nr. 1 mwN). Das Gesetz bringt diese Grundsätze mit der Formulierung zum Ausdruck, dass Anhaltspunkte für eine Beschäftigung eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers sind (§ 7 Abs. 1 Satz 2 SGB IV). Diese Weisungsgebundenheit kann allerdings eingeschränkt und zur "funktionsgerecht dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess" verfeinert sein (BSG, Urteil v. 28. September 2011 - B 12 R 17/09 R -).
Demgegenüber ist eine selbständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet. Ob jemand abhängig beschäftigt oder selbständig tätig ist, hängt davon ab, welche Merkmale überwiegen (BSG, U.v. 28. September 2011 - B 12 R 17/09 R -; BSG, Urteil vom 30. April 2013 – B 12 KR 19/11 R –, SozR 4-2400 § 7 Nr. 21 mwN).
Maßgebend ist stets das Gesamtbild der Arbeitsleistung. Weichen die Vereinbarungen von den tatsächlichen Verhältnissen ab, geben letztere den Ausschlag (BSG, U.v. 22. Juni 2005 - B 12 KR 28/03 R - NZS 2006, 318 mwN). Das kann bei manchen Tätigkeiten dazu führen, dass sie in Abhängigkeit von den jeweiligen Umständen sowohl als Beschäftigung als auch im Rahmen eines freien Dienstverhältnisses ausgeübt werden können (vgl. zum Vorstehenden: BSG, Urteil vom 31. März 2017 – B 12 R 7/15 R –, SozR 4-2400 § 7 Nr. 30 mit zahlreichen weiteren Nachweisen). Die Abgrenzung zwischen Beschäftigung und Selbständigkeit erfolgt nicht abstrakt für bestimmte Berufs- und Tätigkeitsbilder. Es ist daher möglich, dass ein und derselbe Beruf - je nach konkreter Ausgestaltung der vertraglichen Grundlagen in ihrer gelebten Praxis - entweder in Form der Beschäftigung oder als selbständige Tätigkeit erbracht wird. Maßgebend sind stets die konkreten Umstände des individuellen Sachverhalts (vgl. dazu BSG, Urteil vom 24. März 2016 – B 12 KR 20/14 R –, SozR 4, Rn. 25; BSG, Urteil vom 18. November 2015 - B 12 KR 16/13 R - Juris Rn. 32 mwN).
Namentlich ist nicht erforderlich, dass stets sämtliche als idealtypisch erkannten, d.h. den Typus kennzeichnenden, Merkmale (Indizien) vorliegen. Diese können vielmehr in unterschiedlichem Maße und verschiedener Intensität gegeben sein; je für sich genommen haben sie nur die Bedeutung von Anzeichen oder Indizien. Entscheidend sind jeweils ihre Verbindung, die Intensität und die Häufigkeit ihres Auftretens im konkreten Einzelfall. Maßgeblich ist das Gesamtbild. Gerade der Verwendung der Rechtsfigur des Typus ist es zu verdanken, dass die Vorschriften über die Versicherungspflicht und die Beitragspflicht trotz ihres Festhaltens an Begriffen wie Angestellte, Arbeiter, Arbeitsverhältnis oder Beschäftigungsverhältnis in Verbindung mit ihrer Konkretisierung durch Rechtsprechung und Literatur über Jahrzehnte hinweg auch bei geänderten sozialen Strukturen ihren Regelungszweck erfüllen und insbesondere die Umgehung der Versicherungs- und Beitragspflicht zum Nachteil abhängig beschäftigter Personen, z.B. durch der Realität nicht entsprechender, einseitig bestimmter Vertragsgestaltungen, verhindern konnten (BVerfG, B.v. 20. Mai 1996 – 1 BvR 21/96 –, SozR 3-2400 § 7 Nr 11, Rn. 7 - 8).
Dabei ist vorsorglich klarzustellen, dass zum maßgeblichen Tatbestand des § 7 Abs. 1 SGB IV weder eine „Festanstellung“ noch der Abschluss eines - was auch immer darunter im Detail zu verstehen sein mag - „typischen“ Arbeitsvertrages zählt. Der gesetzliche Typus eines abhängigen Beschäftigungsverhältnisses umfasst vielmehr eine große Bandbreite in Betracht kommender - seien sie als mehr oder auch als weniger „typisch“ einzuschätzen - Ausformungen, bei denen insbesondere sog. „Festanstellungen“ nur einen Teil der in Betracht kommenden Ausprägungen darstellen. Zu den Tatbestandsmerkmalen einer abhängigen Beschäftigung nach § 7 SGB IV gehört insbesondere nicht deren Dauerhaftigkeit und erst recht nicht deren von vornherein vereinbarte Dauerhaftigkeit.
Ein Versicherter kann nebeneinander mehreren selbstständigen Tätigkeiten oder abhängigen Beschäftigungen nachgehen, ein selbstständiger Unternehmer ist nicht gehindert, zusätzlich eine abhängige Beschäftigung auszuüben; eine Beschäftigung muss nicht auf längere Zeit angelegt sein (BSG, Urteil vom 30. Juni 2009 – B 2 U 3/08 R –, Rn. 20, juris). Die in § 7 Abs 1 Satz 2 SGB IV genannten Anhaltspunkte der Weisungsgebundenheit und der Eingliederung stehen weder in einem Rangverhältnis zueinander noch müssen sie stets kumulativ vorliegen (BSG, U.v. 19. Oktober 2021 - B 12 R 1/21 R).
Angesichts des besonderen Schutzzwecks der Sozialversicherung besteht auch kein vollständiger Gleichklang zwischen arbeitsrechtlichem Arbeitnehmer- und sozialversicherungsrechtlichem Beschäftigtenbegriff. Das kommt im Wortlaut des § 7 Abs. 1 S 1 SGB IV schon durch die Formulierung "insbesondere" zum Ausdruck. Die arbeitsgerichtliche Entscheidungspraxis beruht im Wesentlichen darauf, dass der privatautonomen Entscheidung der Vertragsparteien im Arbeitsrecht eine besondere Bedeutung beigemessen wird. Die Sozialversicherung dient hingegen neben der sozialen Absicherung des Einzelnen auch dem Schutz der Mitglieder der Pflichtversicherungssysteme, die in einer Solidargemeinschaft zusammengeschlossen sind. Die Träger der Sozialversicherung sind Einrichtungen des öffentlichen Rechts. Dies schließt es namentlich aus, dass über die rechtliche Einordnung einer Tätigkeit allein die von den Vertragschließenden getroffenen Vereinbarungen entscheiden (BSG, U.v. 04. Juni 2019 – B 12 R 11/18 R –, BSGE 128, 191, Rn. 15, 19).
Aus § 7 SGB IV folgt, dass grundsätzlich eine Beschäftigung vorliegt, wenn ein Arbeitsverhältnis besteht, allerdings auch, dass eine Beschäftigung selbst dann ausgeübt werden kann, wenn kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist (stRspr; vgl. etwa BSG, Urteil vom 23. April 2024 - B 12 BA 9/22 R -, juris mwN).
Auch eine große Gestaltungsfreiheit bezüglich der Arbeitszeit weist nur dann eine richtungweisende Relevanz auf, wenn sich deren Grenzen nicht einseitig an den durch die Bedürfnisse des Auftraggebers bzw. Arbeitgebers vorgegebenen Rahmen orientieren und sich die Fremdbestimmtheit der Arbeit auch nicht über eine funktionsgerecht dienende Teilhabe am Arbeitsprozess innerhalb einer fremden Arbeitsorganisation vermittelt (BSG, Urteil vom 18. November 2015-B 12 KR 16/13 R-, BSGE 120, 99-113, SozR 4-2400 § 7 Nr. 25, Rn. 29 f.).
Selbst etwaigen größeren Freiheiten bei der zeitlichen Planung des Arbeitseinsatzes kommt überdies regelmäßig allenfalls eine begrenzte indizielle Wirkung für eine selbständige Tätigkeit zu. Davon ist umso mehr angesichts zunehmender Freiheiten bezüglich der Arbeitszeitgestaltung (und vielfach auch hinsichtlich der Wahl des Arbeitsortes) auszugehen, wie sie im Zuge moderner Entwicklungen der Arbeitsweit auch vielen Arbeitnehmern eingeräumt werden (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales, Grünbuch Arbeiten 4.0, 2015, S 64 ff; BSG, Urteil vom 18. November 2015 - B 12 KR 16/13 R -, SozR 4-2400 § 7 Nr 25, Rn. 36). Es kommen durchaus auch abhängige Beschäftigungsverhältnisse in Betracht, bei denen Arbeitnehmer, was Ort, Zeit und Dauer seiner Arbeitsleistung betrifft, weitgehend weisungsfrei agieren kann (BSG, Urteil vom 18. Dezember 2001 - B 12 KR 10/01 R SozR 3-2400 § 7 Nr 20).
Werden - wovon auch im vorliegenden Fall bezogen auf die jeweiligen Einsatztage der Prostituierten auszugehen ist - die streitbetroffenen Tätigkeiten auf der Grundlage von Einzelverträgen ausgeübt, liegt eine hinreichend konkrete Rechtsbeziehung, die ihrerseits Grundlage für eine Beschäftigung im Sinne von der § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB V sein kann, immer erst in den durch Einzelverträge begründeten Beauftragungen. Bei Vertragsgestaltungen dieser Art ist für die Frage der Versicherungspflicht grundsätzlich jeweils auf die Verhältnisse abzustellen, die während der Ausführung der jeweiligen Einzelaufträge bestehen (BSG, Urteil vom 04. Juni 2019 - B 12 R 12/18 R Rn. 24, juris mwN). Diese Rechtsgrundsätze sind auch in Fallgestaltungen zu berücksichtigen, in denen - wie auch in den vor liegenden zu beurteilenden Verhältnissen - eine Vielzahl von Einzelaufträgen im Sinne von Kettenauftragsverhältnissen im Laufe des streitbetroffenen Zeitraums erteilt wird. Solange - wie auch im vorliegenden Fall - außerhalb konkret vereinbarter Einzelaufträge keine latente Verpflichtung des Beauftragten zur Verrichtung von Tätigkeiten für den Auftraggeber bestand und Letzterer umgekehrt auch kein Entgelt neben der für die Verrichtung der Einzelaufträge jeweils vereinbarten Einzelvergütung zu leisten hatte, sind nur die Verhältnisse während der Einzelaufträge relevant (BSG, Urteil vom 12. Juni 2024 - B 12 BA 8/22 R -, SozR 4 (vorgesehen), Rn. 16).
Diese Rechtsprechung des BSG, wonach Fallgestaltungen der vorliegenden Art auf die Gegebenheiten während der Ausführung der jeweiligen Einzelaufträge abzustellen ist, bringt die sozialrechtliche Bewertung zum Ausdruck, dass auch eine entsprechende Heranziehung einer Arbeitskraft im Zuge einer Aufeinanderfolge von Einzelaufträgen ihre soziale Schutzbedürftigkeit im Sinne der typisierenden Regelung des § 7 SGB IV zum Ausdruck bringt, aufgrund derer sie in die Versicherungspflicht für abhängig Beschäftigte einzubeziehen ist. Diese sozialrechtliche Wertung knüpft an das tatsächliche Geschehen im Sinne einer aufeinanderfolgenden Heranziehung im Rahmen von Einzelaufträgen an. Schon im rechtlichen Ausgangspunkt ist mit einer entsprechenden sozialrechtlichen Bewertung keine Aussage zu daran anknüpfenden sowohl hinsichtlich der maßgeblichen rechtlichen Vorgaben als auch der mit diesen zu bewältigenden Interessenlagen ganz anders gelagerten arbeitsrechtlichen Fragen intendiert. Diese sind im Streitfall vielmehr von den dafür zuständigen Arbeitsgerichten zu beantworten. Insbesondere geben die erläuterten sozialrechtlichen Wertungen keine Auskunft zu der Frage, inwieweit arbeitsrechtlich eine entsprechende sich (nicht selten wie auch im vorliegenden Fall sogar sehr häufig) wiederholende Heranziehung derselben Arbeitskraft auf der Basis immer neuer Einzelaufträge als zulässig anzusehen ist und ggfs. einen Anspruch auf Begründung eines (dann erst recht die Sozialversicherungspflicht begründenden) Dauerarbeitsverhältnisses zu begründen vermag (vgl. zu dieser Problematik etwa Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Urteil vom 6. März 2024 - L 2/1 BA 84/23 -, Rn. 74 - 75, juris)
Anknüpfend an die erläuterte sozialrechtliche Rechtsprechung zur Einbeziehung auch von Kettenauftragsverhältnissen in den Bereich der abhängigen Beschäftigungen kommt es schon im Ausgangspunkt nicht entscheidend darauf an, dass bei solchen Rechtsbeziehungen der Beauftragte einzelne Aufträge auch ablehnen kann. Diese Möglichkeit ist einer entsprechenden Aufeinanderfolge von Einzelaufträgen immanent; sie wird von Seiten der Auftraggeber regelmäßig auch zielgerichtet angestrebt, da diese Entgeltansprüche des Beauftragten für Zeiträume der Nichterteilung entsprechender Einzelaufträge gerade vermeiden wollen.
Der Einsatz von Personen bei der Wahrnehmung von Aufgaben im Rahmen der betrieblichen Tätigkeit betrifft natürlich die eigene Sphäre des betroffenen Unternehmers. Dementsprechend obliegt es zunächst diesem, die für eine selbständige Tätigkeit und damit für das Fehlen einer abhängigen Beschäftigung der faktisch im Rahmen der unternehmerischen Tätigkeit herangezogener Personen sprechenden Umstände substantiiert und detailliert aufzuzeigen (BSG, Urteil vom 26. September 2017 – B 1 KR 31/16 R – SozR 4-7862 § 7 Nr 1, Rn. 25).
Bei der gebotenen Gesamtabwägung sind sämtliche, auch solche Umstände zu berücksichtigen, die einer Tätigkeit ihrer Eigenart nach immanent, durch gesetzliche Vorschriften oder eine öffentliche-rechtliche Aufgabenwahrnehmung bedingt sind oder auf sonstige Weise "in der Natur der Sache" liegen, ihnen ist nach der Rechtsprechung des BSG zwar nicht zwingend eine entscheidende Indizwirkung für eine abhängige Beschäftigung beizumessen; umgekehrt ist eine abhängige Beschäftigung aber auch nicht allein deshalb ausgeschlossen, weil sich bestimmte Welsungsrechte oder Vorgaben aus der Eigenart der Tätigkeit ergeben oder ihr innewohnen (vgl. zum Vorstehenden BSG, Urteil vom 27. April 2021 - B 12 R 16/19 R -, SozR 4-2400 § 7 Nr 58, Rn. 15 mwN).
Ausgehend von der sozialrechtlich gebotenen Beurteilung nach Maßgabe der Gegebenheiten während der Ausführung der jeweiligen Einzelaufträge sprechen im vorliegenden Fall die maß geblichen Gesamtabwägungen eindeutig für das Vorliegen abhängiger Beschäftigungen.
Dabei ist vorliegenden Verfahren allein die Verpflichtung des Antragstellers zur Entrichtung der festgesetzten Sozialversicherungsabgaben zu prüfen. In diesem Rahmen ist nicht zu klären, ob die praktizierte Heranziehung der streitbetroffenen Prostituierten auch ungeachtet der mit einer Einbindung in „Flatrate“-Bezahlmodelle jedenfalls vielfach verbundenen zusätzlichen nachdrü-cklichen Herabsetzung ihrer Person den gesetzlichen Vorgaben entsprochen hat. Auch eine in Betracht kommende Gesetzes- oder Sittenwidrigkeit würde der daran anknüpfenden Beitragspflicht nicht entgegenstehen. Der mit der Sozialversicherungspflicht angestrebte Schutzzweck würde geradezu konterkariert, wenn die Sittenwidrigkeit der tatsächlichen Heranziehung für die Betroffenen zur Folge hätte, dass diese nicht nur faktisch diese erdulden müssen, sondern darüber hinaus auch mit einer Verweigerung des Sozialversicherungsschutzes zusätzlich belastet würden.
Nach Arbeits- oder Dienstaufnahme besteht im Arbeitsrecht auch bei Fehlerhaftigkeit des Rechtsgeschäfts ein sog fehlerhaftes oder faktisches Arbeitsverhältnis, das grundsätzlich nicht rückwirkend beseitigt werden kann (Preis in Erfurter Komm, 1998, § 611 BGB RdNrn 170 ff; Schaub, aaO, § 35 RdNr 34; jeweils mwN). Soweit Arbeits- oder Dienstverträge etwa wegen Geschäftsunfähigkeit eines Vertragspartners (vgl § 105 Abs 1 BGB), Irrtumsanfechtung (§§ 119, 142 BGB) oder Formmangels (§ 125 Satz 1 BGB) nichtig, aber gleichwohl vollzogen worden sind, werden sie für die Vergangenheit arbeitsrechtlich wie fehlerfrei zustande gekommene behandelt (Bauer in Küttner, Personalbuch 2000, Faktisches Arbeitsverhältnis RdNrn 3 ff; Schaub, aaO, § 35 RdNrn 34 f; jeweils mwN). Gleiches gilt, wenn ein Verstoß gegen ein gesetzliches Verbot (§ 134 BGB) oder die guten Sitten (§ 138 Abs 1 BGB) vorliegt, bei dem die Rechtsordnung den Leistungsaustausch nicht schlechthin missbilligt. Die Nichtigkeit kann dann nicht rückwirkend geltend gemacht werden; eine etwaige wirksame Anfechtung wirkt regelmäßig nur für die Zukunft (BAGE 5, 159, 162 zur Anfechtung eines Arbeitsvertrages wegen verschwiegener Gefängnisstrafe). Der Arbeitnehmer hat gegen den Arbeitgeber für die Vergangenheit diejenigen Ansprüche, die er im Falle der Gültigkeit des Arbeitsvertrages hätte (BAG AP Nr 18 zu § 611 BGB <Faktisches Arbeitsverhältnis> zum Anspruch einer Stripteasetänzerin auf Gehalt; BAG AP Nr 2 zu § 138 BGB S 438 zum Vergütungsanspruch nach § 612 Abs 2 BGB, wenn das Arbeitsverhältnis wegen Vereinbarung eines Hungerlohnes nach § 138 BGB nichtig ist; BAGE 8, 47, 50 zum Vergütungsanspruch und Urlaubsanspruch bei einem gegen Vorschriften zur Höchstarbeitszeit verstoßenden zweiten Arbeitsverhältnis). Diese Grundsätze des faktischen Arbeitsverhältnisses sind auch im Sozialrecht entsprechend zu berücksichtigen, sie finden nur dann keine Anwendung, wenn – anders als im vorliegenden Zusammenhang – dem Vertrag so schwere Rechtsmängel anhaften, dass die Anerkennung quasi-vertraglicher Ansprüche der Grundauffassung der geltenden Rechtsordnung widersprechen würde (BSG, Urteil vom 10. August 2000 – B 12 KR 21/98 R –, BSGE 87, 53, Rn. 30)
Ein arbeitsteiliges Zusammenwirken der im Betrieb tätigen Prostituierten mit dem Betriebsinhaber und den weiteren von diesen Im Rahmen der Betriebsführung eingesetzten Personen ergibt sich schon aus der Grundstruktur des „Flatrate“-Geschäftsmodells, welche gerade dazu ausgerichtet war, dass die Freier als Gegenleistung für den vom Antragsteller als Betriebsinhaber erhobenen Pauschalpreis (der sog. „Flatrate“) die sexuellen Dienstleistungen jedenfalls mehrerer im Betrieb im Zeitraum des Besuchs dienstbereiter Prostituierten in Anspruch nehmen konnten.
Bei der gebotenen Gesamtabwägung sind sämtliche, auch solche Umstände zu berücksichtigen, die einer Tätigkeit ihrer Eigenart nach immanent, durch gesetzliche Vorschriften oder eine öffentliche-rechtliche Aufgabenwahrnehmung bedingt sind oder auf sonstige Weise "in der Natur der Sache" liegen (BSG, Urteil vom 27. April 2021 – B 12 R 16/19 R –, SozR 4-2400 § 7 Nr 58, Rn. 15). Für das nicht an der Privatautonomie ausgerichtete Sozialversicherungsrecht kommt es in diesem Zusammenhang weniger darauf an, woraus Abhängigkeiten und Bindungen resultieren, sondern darauf, ob und inwieweit im Einzelfall noch Raum für unternehmerische Freiheit zur Gestaltung der Tätigkeit mit entsprechenden Chancen und Risiken verbleibt (vgl. BSG, Urteil vom 23. April 2024 - B 12 BA 9/22 R -, juris, Rn. 25).
Grundlage der Tätigkeit der Prostituierten in den Betriebsräumen des Antragstellers war deren Bereitschaft, sich in das vom Antragsteller praktizierte „Flatratemodell“ einzupassen, so dass den Freiern im Ergebnis ein Angebot offeriert wurde, welches der bezahlten „Flatrate“ entsprach. Mit diesem Geschäftsmodell warb der Antragsteller in dem entsprechenden Marktsegment um Kunden und suchte sich damit im Wettbewerb durchzusetzen. Diese Ausgangslage war selbstverständlich auch den Prostituierten bekannt. Die von ihrer Seite angestrebte Partizipation an dem Geschäftsmodell in Form ihres jeweiligen Anteils der im Laufe des Betriebstages (bzw. –nacht) in die sog. „Damenkasse“ fließenden Eintrittsanteile bedingte natürlich auch auf ihrer Seite die Bereitschaft zu einer entsprechenden Mitwirkung. Auch die sich daraus ergebenden Abhängigkeiten und Bindungen stellen Umstände ihrer Tätigkeit dar, welche in die Gesamtabwägung als Indizien für eine abhängige Beschäftigung einzustellen sind.
Auf Seiten der Prostituierten waren demgegenüber keine unternehmerischen Chancen und auch keine unternehmerischen Risiken gegeben, unter deren Berücksichtigung in der Gesamtschau von einer von ihnen ausgeübten unternehmerischen Tätigkeit auszugehen sein könnte.
Die eingesetzten Prostituierten hatten schon im Ausgangspunkt keine eigenen Vergütungsansprüche gegenüber den Freiern. Deren Vertragspartner war vielmehr der Antragsteller, der den jeweils maßgeblichen Gesamtpreis (von in der Regel 100 bzw. 120 € je Tag) vereinnahmt hat (und auch bezüglich des jeweiligen Gesamtpreises seiner Umsatzsteuerpflicht nachgekommen ist). Erst nach Vereinnahmung des Gesamtpreises durch den Antragsteller im Außenverhältnis zu den Freiern, ist betriebsintern jeweils die Hälfte der sog. zur Honorierung der Prostituierten vorgesehenen „Damenkasse“ zugeordnet worden. Schon damit auf Seiten der Prostituierten festzustellende Einbindung in die „Abrechnungsstrukturen“ des Betriebes des Antragstellers spricht nachdrücklich für eine abhängige Beschäftigung (BSG, Urteil vom 27. April 2021 – B 12 KR 27/19 R –, Rn. 15, juris).
Selbst wenn in der betrieblichen Praxis die Vorgaben des § 3 Abs. 1 ProstG, wonach Weisungen, die das Ob, die Art oder das Ausmaß der Erbringung sexueller Dienstleistungen vorschrei-
ben, unzulässig sind, beachtet worden sein sollten, steht ein in diesem Sinne eingeschränktes Weisungsrecht nach der ausdrücklich gesetzgeberischen Vorgabe in § 3 Abs. 2 ProstG nicht der Annahme einer Beschäftigung im Sinne des Sozialversicherungsrechts entgegen.
Ins Gewicht fallende unternehmerische Risiken und Chancen auf Seiten der herangezogenen Prostituierten werden weder auf Seiten des Antragstellers nachvollziehbar aufgezeigt noch sind solche anderweitig ersichtlich.
Maßgebendes Kriterium für ein unternehmerisches Risiko ist nach den vom BSG entwickelten Grundsätzen (vgl etwa BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 13 S 36 mwN; BSG, Urteil vom 25.1.2001 - B 12 KR 17/00 R - SozVers 2001, 329, 332; BSG, Urteil vom 28.5.2008 - B 12 KR 13/07 R - Juris RdNr 27; BSG, Urteil vom 28.9.2011 - B 12 R 17/09 R - USK 2011-125, Juris RdNr 25 f), ob eigenes Kapital oder die eigene Arbeitskraft auch mit der Gefahr des Verlustes eingesetzt wird, der Erfolg des Einsatzes der sächlichen oder persönlichen Mittel also ungewiss ist. Allerdings ist ein unternehmerisches Risiko nur dann Hinweis auf eine selbstständige Tätigkeit, wenn diesem Risiko auch größere Freiheiten in der Gestaltung und der Bestimmung des Umfangs beim Einsatz der eigenen Arbeitskraft (vgl. BSG SozR 2200 § 1227 Nr 17 S 37; BSG SozR 3-2400 § 7 Nr 13 S 36 mwN; BSG, Urteil vom 28.5.2008 - B 12 KR 13/07 R-Juris RdNr 27; BSG, Urteil vom 28.9.2011 - B 12 R 17/09 R-USK 2011-125, Juris RdNr 25 f) oder größere Verdienstchancen gegenüberstehen (vgl zB BSG SozR 2400 § 2 Nr 19 S 30; BSG, Urteil vom 25.1.2001 - B 12 KR 17/00 R-SozVers 2001, 329, 332; zuletzt BSG Urteil vom 31.3.2015 - B 12 KR 17/13 R -Juris RdNr27).
Im vorliegenden Fall war den Prostituierten bei Aufnahme ihrer Tätigkeit im Betrieb des Antragstellers am jeweiligen Einsatztag der vereinbarte Anteil an den der sog. „Damenkasse“ zugeführten Tageserlösen (soweit nach Aktenlage beurteilbar) gewiss. Sie mussten nicht in einem nennenswerten Umfang Kapital einsetzen. Sie hatten auch keine maßgeblichen unternehmerischen Chancen. Eine relevante eigene Betriebsorganisation auf Seiten der eingesetzten Prostituierten ist nicht erkennbar.
Das Risiko der Prostituierten, von dem Antragsteller keine Folgeaufträge zu erhalten, ist für die Statusbeurteilung ihrer Tätigkeit in den jeweils gesondert zu betrachtenden Einzelaufträgen irrelevant. Denn aus dem Risiko, außerhalb der Erledigung einzelner Aufträge zeitweise die eigene Arbeitskraft gegebenenfalls nicht verwerten zu können, folgt kein Unternehmerrisiko bezüglich der einzelnen Einsätze (BSG, Urteil vom 19. Oktober 2021 - B 12 R 6/20 R Rn. 34, juris).
Selbst im Falle eines dokumentierten übereinstimmenden Willens der Vertragsparteien, keine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung begründen zu wollen, kommt diesem nach der Rechtsprechung des BSG eine auch nur indizielle Bedeutung lediglich dann zu, wenn dieser Wille durch weitere Aspekte gestützt wird und den festgestellten sonstigen tatsächlichen Ver-
hältnissen nicht offensichtlich widerspricht; Relevanz erlangt er mithin nur in Fallgestaltungen, In denen die übrigen Umstände gleichermaßen für Selbstständigkeit wie für eine Beschäftigung sprechen. Nur unter diesen Voraussetzungen ist der in einem Vertrag dokumentierte Parteiwille überhaupt als ein auf Selbstständigkeit deutendes Indiz In die Gesamtabwägung einzustellen; hierdurch wird eine Selbstständigkeit jedoch nicht vorfestgelegt. Dabei ist das Gewicht dieses Indizes umso geringer, je uneindeutiger die Vertragsgestaltung ist und je stärker die Widersprüche zu den tatsächlichen Verhältnissen sind. Zugleich schwächt es die indizielle Wirkung ab, wenn wegen eines erheblichen Ungleichgewichts der Verhandlungspositionen nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden kann, dass alle Vertragsparteien in gleicherweise die Möglichkeit hatten, ihre Wünsche bezüglich der Ausgestaltung des sozialversicherungsrechtlichen Status durchzusetzen (vgl. Im Einzelnen BSG, Urteil vom 18. November 2015 - B 12 KR 16/13 R-, BSGE 120, 99 mwN).
Im vorliegenden Zusammenhang sprechen die sonstigen Umstände wie insbesondere das Fehlen eines unternehmerischen Risikos im erläuterten Sinne und die Eingliederung in die arbeitsteilige Betriebsorganisation des Antragstellers für die Dauer der jeweils vereinbarten Einsatztage nachdrücklich für die Annahme einer abhängigen Beschäftigung.
Die dienende Teilhabe der Prosituierten am Geschäftsbetrieb des Antragsstellers wird auch dadurch nachdrücklich verdeutlicht, dass von Seiten des Antragsstellers häufig sog. „Mottotage“ veranstaltet wurden, auf die potentielle Kunden in der Werbung des Betriebes hingewiesen wurden, so dass es sich von selbst verstand, dass die an dem Tag tätigen Prostituierten ihren Einsatz an dem jeweiligen „Motto“ ausrichteten.
4. Bezogen auf die Beitragsjahre 2015 und 2016 ist auch keine Verjährung der festgesetzten Beitrags- und Umlagenforderungen festzustellen.
Nach § 25 Abs. 1 SGB IV verjähren Ansprüche auf Beiträge in vier Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sie fällig geworden sind. Ansprüche auf vorsätzlich vorenthaltene Beiträge verjähren erst in dreißig Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, In dem sie fällig geworden sind.
Die Verjährung ist für die Dauer einer Prüfung beim Arbeitgeber gehemmt... (§ 25 Abs. 2 Satz 2 SGB IV). Dies gilt jedoch nicht, wenn die Prüfung unmittelbar nach ihrem Beginn für die Dauer von mehr als sechs Monaten aus Gründen unterbrochen wird, die die prüfende Stelle zu vertreten hat (Satz 3). Die Hemmung beginnt mit dem Tag des Beginns der Prüfung beim Arbeitgeber oder bei der vom Arbeitgeber mit der Lohn- und Gehaltsabrechnung beauftragten Stelle und endet mit der Bekanntgabe des Beitragsbescheides, spätestens nach Ablauf von sechs Kalendermonaten nach Abschluss der Prüfung.
Ausgehend von einem Beginn der Betriebsprüfung mit dem an den Antragsteller gerichteten Anhörungsschreiben vom 12. April 2019 und der damit ausgelösten Hemmung der Verjährung war die erläuterte Vierjahresfrist bezogen auf die Beitragszeiträume 2015 und 2016 noch nicht abgelaufen.
5. Hingegen war die Vierjahresfrist bezogen auf die bereits im Jahr 2014 fällig gewordenen Beiträge und Umlage bei Durchführung der Anhörung im April 2019 bereits verstrichen.
a) Nach derzeitigem Sach- und Streitstand lässt sich auch nichts dafür feststellen, dass die Antragsgegnerin bereits vor April 2019 die die Hemmung der Verjährung nach § 25 Abs. 2 Satz 2 SGB IV begründende „Prüfung beim Arbeitgeber“ eingeleitet hätte. Schon der Gesetzeswortlaut macht deutlich, dass nur „Prüfungen beim Arbeitgeber“ (oder bei der vom Arbeitgeber mit der Lohn- und Gehaltsabrechnung beauftragten Stelle im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 4 SGB IV) und nicht sonstige insbesondere verwaltungsinterne Prüfvorgänge eine Hemmung der Verjährung begründen (Kreikebohm/Dünn SGB IV/Nieder, 4. Aufl. 2022, SGB IV § 25 Rn. 9, beck-online).
Voraussetzung ist ein nach außen wirkendes Prüfgeschäft. Nur ein solches kann einer „Prüfung beim Arbeitgeber“ zugerechnet werden. Mit diesem Erfordernis fordert der Gesetzgeber im Sinne der Rechtssicherheit und –klarheit eine objektivierbare tatsächliche Grundlage, aufgrund derer sich der Beginn einer „Prüfung beim Arbeitgeber“ verlässlich feststellen lässt.
Die Prüfungshandlungen müssen für den Arbeitgeber als solche erkennbar sein (vgl. § 8 SGB X: „nach außen wirkende Tätigkeit der Behörden…“.). Interne Prüfungsvorbereitungen zählen noch nicht zur Prüfung „beim Arbeitgeber oder der… beauftragten Stelle“. Einer Auswertung der der Rentenversicherung von der sog. Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) zur Verfügung gestellten Unterlagen fehlt eine solche Erkennbarkeit (BeckOGK/Zieglmeier, 15.5.2025, SGB IV § 25 Rn. 86, beck-online).
Die Regelung des § 25 Abs. 2 Satz 2 SGB IV orientiert sich im Wesentlichen an der Verjährungshemmung der Abgabenordnung (§ 171 Abs. 4 AO), die für die Dauer einer Steueraußenprüfung eintritt (Kreikebohm/Dünn SGB IV/Nieder, 4. Aufl. 2022, SGB IV § 25 Rn. 9, beck-online). Auch dieser Gesichtspunkt macht deutlich, dass die maßgeblichen Prüfungshandlungen für den Arbeitgeber als solche erkennbar sein müssen. Schon der Begriff der Außenprüfung setzt Prüfungshandlungen beim Steuerpflichtigen voraus, es kann sich dabei nicht um rein verwaltungsinterne Prüfungen handeln (vgl. auch § 198 Satz 1 AO: Die Prüfer haben sich bei Erscheinen unverzüglich auszuweisen).
Das zeitlich vorausgegangene Schreiben der Antragsgegnerin an den Antragsteller vom 13. Februar 2018 beinhaltete lediglich die Ankündigung einer (aus damaliger Sicht: künftigen) Be-
triebsprüfung, nicht aber schon die Durchführung einer solchen. Die Formulierung „wir werden daher für Ihren Betrieb eine Prüfung nach § 28p SGB IV durchführen“ brachte schon ihrem Wortlaut nach lediglich eine solche Ankündigung zum Ausdruck. Bezeichnenderweise ist in diesem Schreiben nicht einmal ein konkreter Tag als Beginn der letztlich nur vage in Aussicht genommenen künftigen Prüfung (wie dies in § 25 Abs. 2 Satz 5 SGB IV vorgesehen ist) mitgeteilt worden.
Der Antragsteller ist auch mit diesem Schreiben nicht zu konkreten Auskünften und/oder zur Vorlage von Unterlagen aufgefordert worden. Ihm ist in diesem Schreiben nicht einmal näher erläutert worden, was konkret ihm angelastet wurde und auf welchen Zeitraum sich eine (nachfolgende) Betriebsprüfung erstrecken würde.
Auch in der Folgezeit bis zu dem o.g. Anhörungsschreiben im April 2019 hat die Antragsgegnerin nach Aktenlage keine nach außen wirkende für den Arbeitgeber als solche erkennbaren Prüfungshandlungen durchgeführt; sie hat sich mit Kommunikationen im Bereich der Verwaltungsbehörden insbesondere im Austausch mit dem Hauptzollamt begnügt. Ein solches Vorgehen reicht nach den erläuterten gesetzlichen Vorgaben jedoch nicht aus, um eine Verjährungshemmung zu begründen.
Insbesondere hat auch die Antragsgegnerin ungeachtet der Aufklärungsverfügung des Senates vom 21. März 2025 nichts dafür nachvollziehbar aufzuzeigen vermocht, dass bereits im Jahr 2018 von ihrer Seite nach außen wirkende für den Arbeitgeber als solche seinerzeit erkennbaren Prüfungshandlungen durchgeführt worden sind.
b) In Fallgestaltungen vorsätzlich vorenthaltener Beiträge gilt zwar nach § 25 Abs. 1 Satz 2 SGB IV die dreißigjährige Verjährungsfrist; nach derzeitigem Sach- und Streitstand ist jedoch keine Grundlage erkennbar, um dem Antragsteller einen entsprechenden (jedenfalls bedingten) Vorsatz anlasten zu können. Bezeichnenderweise geht auch die Antragsgegnerin im Ergebnis vom Fehlen eines entsprechenden Vorsatzes aus. Nach Aktenlage hat sich im streitbetroffenen Zeitraum auch die Finanzverwaltung von einer selbständigen Tätigkeit der im Betrieb des Antragstellers eingesetzten Prostituierten leiten lassen. Die Finanzbeamten haben nach Angaben des Antragstellers ausgehend von einer selbständigen Tätigkeit Steuervorauszahlungen der Prostituierten gefordert (und nicht etwa eine Pflicht zur Abführung von Lohnsteuern gegenüber dem Antragsteller geltend gemacht).
6. Da Änderungsverfahren nach § 86b Abs. 1 S. 4 jedenfalls im Ausgangspunkt zukunftsorientiert sind (Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/Keller, 14. Aufl. 2023, SGG § 86b Rn. 20, beck-online), ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage in Bezug auf die von der Verjährung betroffenen Abgabenfestsetzungen für das Jahr 2014 ab dem Zeitpunkt der vorliegenden Entscheidung vorzunehmen.
7. Schon mit der erläuterten Versagung der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen Beitragsbescheide (vorbehaltlich einer Entscheidung nach § 86b SGG zugunsten des Beitragsschuldners) hat der Gesetzgeber den Grundsatz zum Ausdruck gebracht, dass von dem Schuldner auch die Aufnahme eines Kredites zur Tilgung der festgesetzten Beitragsschulden zu erwarten ist, um die festgesetzten Forderungen zunächst einmal zu erfüllen. Im Falle eines Erfolges im Hauptsacheverfahren wären diese Zahlungen natürlich von der Einzugsstelle zu erstatten (vgl. auch § 27 SGB IV zur Verzinsung).
Bei Bedarf sind von Seiten des Arbeitgebers auch besondere Maßnahmen, etwa die Aufstellung eines Liquiditätsplans und die Bildung ausreichender Rücklagen unter Zurückstellung anderweitiger Zahlungspflichten, notfalls sogar durch Kürzung der auszuzahlenden Löhne, abzuverlangen, um seine Fähigkeit zur Abführung der Arbeitnehmerbeiträge zur Sozialversicherung soweit wie möglich sicherzustellen (BGH, Urteil vom 21. Januar 1997 – VI ZR 338/95 –, BGHZ 134, 304, Rn. 14).
Der Gesetzgeber hat dem Beitragsschuldner bewusst nicht generell die Möglichkeit eröffnet, sich an Stelle der geschuldeten Zahlung mit einer Sicherheitsleistung zu begnügen. Eine allgemeine Abwendungsbefugnis etwa in Anlehnung an die in bestimmten zivilprozessualen Konstellationen anzuwendende Vorschrift des § 711 ZPO hat der Gesetzgeber in Bezug auf Beitragsfestsetzung nicht normiert. Dies ist für den Regelfall als bewusste gesetzgeberische Entscheidung zu berücksichtigen, da die Sozialleistungsträger sonst Gefahr laufen würden, in einer Vielzahl von Fällen Beitragszahlungen nur verspätet zu erhalten. Damit wäre insbesondere die die Notwendigkeit einer Zwischenfinanzierung der zunächst ausbleibenden Beträge mit entsprechenden Zinslasten für den Träger verbunden. Diese zusätzlichen Aufwendungen will der Gesetzgeber vermieden wissen, soweit nicht besondere Umstände im Einzelfall Anlass zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach §§ 86a Abs. 3, 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG geben.
Angesichts des Gebots der rechtzeitigen und vollständigen Erhebung von Einnahmen nach § 76 Abs. 1 SGB IV als Konkretisierung der Grundsätze der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach § 69 Abs. 2 SGB IV besteht in den Grenzen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit im Ausgangspunkt durchaus die Pflicht der Einzugsstellen zur Beitreibung fälliger Beitragsforderungen. Dies dient zugleich auch dem Schutz der betroffenen Beschäftigten, die regelmäßig erst mit der tatsächlichen Beitragsabführung etwa Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung erwerben. Diese Pflicht verdichtet sich mit zunehmendem Zeitablauf insbesondere in Konstellationen, in denen Zweifel daran bestehen, ob der betroffene Arbeitgeber im Falle eines Unterliegens im Rechtsbehelfsverfahren im Ergebnis zur Zahlung der geschuldeten Beiträge wirtschaftlich in der Lage sein wird. Dies gilt vermehrt, wenn der beitragspflichtige Arbeitgeber eine angemessene Ratenzahlung (bezogen auf die Gesamtheit der nachzuentrichtenden Beträge) erst gar nicht anbietet oder nicht zu realisieren vermag.
Im vorliegenden Fall sieht sich zwar der Antragsteller nach eigenen Angaben zu regelmäßigen monatlichen Zahlungen von jeweils mehreren tausend Euro auf andere Verbindlichkeiten in der Lage (vgl. Schriftsatz vom 25. Februar 2025); es ist aber nicht erkennbar, dass er sich auch nur ratenweise um eine Begleichung der Beitragsverbindlichkeiten für die Beitragsjahre 2015 und 2016 bemüht.
Die Amtspflicht zur rechtzeitigen und vollständigen Erhebung von Einnahmen nach § 76 Abs. 1 SGB IV erlangt ein besonderes Gewicht in Fallgestaltungen, in denen der Schuldner seine Pflicht zur Beitragsabführung im Ergebnis ignoriert, gleichzeitig aber in erheblichem Umfang Zahlungen auf andere Schulden leistet. Mit einem solchen Vorgehen geht vielfach die Gefahr des Unterlaufens der insolvenzrechtlich (im Ausgangspunkt insbesondere in Bezug auf sog. nachrangige Insolvenzgläubiger) angestrebten gleichmäßigen Berücksichtigung aller Gläubiger mit entsprechenden zusätzlichen finanziellen Belastungen für die betroffenen Einzugsstellen (und damit für die betroffenen Arbeitnehmer mit dem Risiko eines endgültigen Ausfalls hinsichtlich der in ihrem Interesse gesetzlich geforderten Beitragszahlungen wie namentlich zur Rentenversicherung) einher.
8. Bei der beschriebenen Ausgangslage ist nur ergänzend zu berücksichtigen, dass der Antragssteller nach derzeitigem Sach- und Streitstand ohnehin keine Sicherheitsleistungen für die gesamten in dem zur Überprüfung gestellten Bescheid festgesetzten Beitragsforderungen anbietet, sondern offenbar nur Teilbeträge absichern will. Noch weniger bietet er Sicherheit in Form der schriftlichen, unwiderruflichen, unbedingten und unbefristeten Bürgschaft eines im Inland zum Geschäftsbetrieb befugten Kreditinstituts oder durch Hinterlegung von Geld oder solchen Wertpapieren im Sinne des § 108 Abs. 1 Satz 2 ZPO an.
Bei den vom Antragssteller in den Raum gestellten Sicherungshypotheken auf einem Grundstück lässt sich regelmäßig schon im Ausgangspunkt nicht verlässlich überblicken, inwieweit diese überhaupt den mit der Stellung von Sicherheiten angestrebt Zweck erfüllen können, der darin besteht, die Realisierbarkeit der titulierten Ansprüche zu sichern und dem Gläubiger einen (wirksamen) Schutz vor Nachteilen aus dem Vollstreckungsaufschub zu bieten (BGH, Beschluss vom 26. März 2024 – VIII ZR 22/24 –, WM 2024, 791, Rn. 22, juris).
9. Im Rahmen von Betriebsprüfungen haben die Träger der Rentenversicherung Verwaltungsakte zur Versicherungspflicht und Beitragshöhe in der Kranken-, Pflege- und Rentenversicherung sowie nach dem Recht der Arbeitsförderung einschließlich der Widerspruchsbescheide gegenüber den Arbeitgebern zu erlassen (§ 28p Abs. 1 Satz 4 SGB IV). Der Gesetzgeber hat den Trägern der Rentenversicherung aber nur den Erlass entsprechender Bescheide übertragen, für deren Vollstreckung sind aber die Einzugsstellen als Gläubiger der festzusetzenden Beitragsansprüche zuständig.
Dementsprechend ist in dem vorliegenden gegen den prüfenden Träger der Rentenversicherung gerichteten Eilverfahren nur die Zulässigkeit einer Vollstreckung aus dem angefochtenen Beitragsbescheid als solche abzuklären. Angesichts dieses begrenzten Streitgegenstandes ist schon im Ausgangspunkt nicht zu klären, inwieweit einzelne von den Einzugsstellen getroffene Vollstreckungsmaßnahmen allen rechtlichen Anforderungen und insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen mögen. Soweit der Antragssteller sich unter diesem Gesichtspunkt in eigenen Rechten beeinträchtigt sehen sollte, steht es ihm frei, diesbezüglich um spezifischen bei Bedarf auch vorläufigen Rechtsschutz gegenüber der jeweils die konkrete Vollstreckung betreibenden Krankenkasse nachzusuchen.
Allerdings werden die Möglichkeit einer Inanspruchnahme eines solchen spezifisch gegen einzelne Vollstreckungsmaßnahmen gerichteten Rechtsschutzes dadurch beschränkt, dass damit nicht die vorläufige Vollstreckbarkeit als solche entsprechend den gesetzlichen Vorgaben des § 86a Abs. 2 Nr. 1 SGG erneut zur Überprüfung gestellt werden kann. Gerügt werden könnten vielmehr nur etwaige zusätzliche spezifische Rechtsverletzungen, welche eventuell mit der konkreten Auswahl eines Vollstreckungsmittels verbunden sein können.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 197a SGG i.V.m. § 155 Abs. 1 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 63 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG. Angesichts der bei wirtschaftlicher Betrachtung erheblichen Relevanz des vorliegend angestrebten vorläufigen Rechtsschutzes erscheint es angemessen, die Höhe des Streitwertes mit der Hälfte der streitbetroffenen Forderungen in Ansatz zu bringen (vgl. auch Landessozialgericht Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 18. Februar 2014 – L 1 KR 361/13 B ER –, juris; Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen, Beschluss vom 12. November 2013 – L 4 KR 383/13 B ER –, juris).
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 177 SGG).
Dr. E. Dr. F. Dr. G.