S 12 AS 1569/25

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
SG Karlsruhe (BWB)
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
12
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 12 AS 1569/25
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss
Leitsätze
  1. Dem Erfordernis der Glaubhaftmachung ist nach den Rechtsgrundsätzen zur schuldhaften Beweisvereitelung Genüge getan, wenn ein am sozialgerichtlichen Verfahren Beteiligter schuldhaft die Beweisführung der beweispflichtigen Gegenpartei unmöglich macht.

 

  1. Im sozialgerichtlichen Verfahren wegen existenzsichernder Leistungen sind sozial schwache Eilantragsteller nicht gehalten, die zur Glaubhaftmachung ihres Leistungsanspruchs erforderlichen Unterlagen ein weiteres Mal bei Gericht einzureichen, wenn sie diese Unterlagen bereits außergerichtlich bei der zuständigen Behörde eingereicht hatten.

 

  1. In sozialgerichtlichen Eilverfahren wegen existenzsichernder Leistungen dürfen unbemittelte Eilantragsteller darauf vertrauen, dass der behördliche Antragsgegner seine elektronisch geführten Verwaltungsvorgänge dem Gericht unverzüglich vorlegt, weil § 104 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz diese behördliche Mitwirkungspflicht vorsieht.

 

4. Mit einem exekutiven Ungehorsam einer an Recht und Gesetz gebundenen Behörde müssen Eilantragsteller in sozialgerichtlichen Eilverfahren wegen         existenzsichernder Leistungen nicht rechnen.

 

Tenor:

 

 

  1. Der Antragsgegner trägt die außergerichtlichen Kosten der Antragsteller.

 

  1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, den Antragstellern (vorbehaltlich einer etwaigen Rückzahlungsforderung) 26.222,- € als Leistungen nach dem SGB II zu gewähren nach Maßgabe der nachstehenden Tabellen:

 

 

 

für den Antragsteller zu 1.:

 

für den Zeitraum 01.11.2025 bis 30.11.2024

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.12.2024 bis 31.12.2024

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.01.2025 bis 31.01.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.02.2025 bis 28.02.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.03.2025 bis 31.03.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.04.2025 bis 30.04.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.05.2025 bis 31.05.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.06.2025 bis 30.06.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.07.2025 bis 31.07.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.08.2025 bis 31.08.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.09.2025 bis 30.09.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

bzw. Insgesamt:

8.591,- €

 

 

für die Antragstellerin zu 2.:

 

für den Zeitraum 01.11.2025 bis 30.11.2024

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.12.2024 bis 31.12.2024

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.01.2025 bis 31.01.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.02.2025 bis 28.02.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.03.2025 bis 31.03.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.04.2025 bis 30.04.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.05.2025 bis 31.05.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.06.2025 bis 30.06.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.07.2025 bis 31.07.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.08.2025 bis 31.08.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

 

für den Zeitraum 01.09.2025 bis 30.09.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

506,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

781,- €

bzw. Insgesamt:

8.591,- €

 

 

für den Antragsteller zu 3.:

 

für den Zeitraum 01.11.2024 bis 30.11.2024

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

140,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

415,- €

 

für den Zeitraum 01.12.2024 bis 31.12.2024

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

140,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

415,- €

 

für den Zeitraum 01.01.2025 bis 31.01.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.02.2025 bis 28.02.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.03.2025 bis 31.03.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.04.2025 bis 30.04.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.05.2025 bis 31.05.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.06.2025 bis 30.06.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.07.2025 bis 31.07.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.08.2025 bis 31.08.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.09.2025 bis 30.09.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

bzw. Insgesamt:

4.520,- €

 

 

für den Antragsteller zu 4.:

 

für den Zeitraum 01.11.2024 bis 30.11.2024

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

140,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

415,- €

 

für den Zeitraum 01.12.2024 bis 31.12.2024

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

140,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

415,- €

 

für den Zeitraum 01.01.2025 bis 31.01.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.02.2025 bis 28.02.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.03.2025 bis 31.03.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.04.2025 bis 30.04.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.05.2025 bis 31.05.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.06.2025 bis 30.06.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.07.2025 bis 31.07.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.08.2025 bis 31.08.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

 

für den Zeitraum 01.09.2025 bis 30.09.2025

 

 

 

für die Sicherung des Lebensunterhalts durch den Regelbedarf

135,- €

 

 

für Kosten der Unterkunft und Heizung

275,- €

 

 

bzw. insgesamt:

410,- €

bzw. Insgesamt:

4.520,- €

 

 

Gründe:

Gründe

 

1.

 

Die Antragsteller begehren im einstweiligen Rechtsschutzverfahren Bürgergeld.

 

Nach eigenen Angaben war der 61-jährige Antragsteller zu 1. bis zur Insolvenz seines Unternehmens selbständig tätig und seit November 2024 außerstande, die Wohnungsmiete für sich, seine Frau und seine beiden sieben bzw. elf Jahre alten Kinder zu zahlen. Sie beantragten ab 01.11.2024 Bürgergeld beim Antragsgegner, der Unterlagen über die wirtschaftlichen Verhältnisse (auch des Unternehmens) anforderte und die Leistungen am 30.04.2025 wegen vermeintlich fehlender Mitwirkung versagte.

 

Nach den weiteren Angaben des Antragstellers zu 1. reichten sie beim Antragsgegner die angeforderten Unterlagen vollständig ein, erhielten selbst das – zur Abwendung einer vom Grundversorger angedrohten Stromsperrung – eigens beantragte Darlehen nicht und ersuchten am 13.06.2025 – nachdem ob der Mietschulden eine Räumungsklage anhängig war – das Sozialgericht Karlsruhe um einstweiligen Rechtsschutz. Um die akut drohende Obdachlosigkeit und die Gefährdung des Kindeswohls zu verhindern, begehren die Antragsteller hier Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Bewilligung von Bürgergeld einschließlich der Übernahme der Mietkosten. Zur Begründung tragen sie ergänzend vor, sie hätten gegen den Versagungsbescheid vom 30.04.2025 am 19.05.2025 Widerspruch eingelegt und selbst jene Unterlagen nachgereicht, deren Notwendigkeit ihnen erst im Versagungsbescheid mitgeteilt worden sei. Sie verfügten aktuell über keinerlei verwertbares Einkommen. Der Antragsteller zu 1. sei gesundheitlich eingeschränkt arbeitsfähig. Eine geringe Rechnungseinnahme sei unmittelbar zur Begleichung betriebsnotwendiger Kosten verwendet worden. Die Antragstellerin zu 2. sei arbeitslos, die Kinder schulpflichtig. Die Wohnungslosigkeit stehe unmittelbar bevor. Zur Glaubhaftmachung haben die Antragsteller eine Bestätigung des Antragsgegners vorgelegt (über die Bearbeitung ihres Antrags auf Bürgergeld ab dem 01.11.2024) sowie ein von ihnen verfasstes und sehr ausführliches Mitwirkungsschreiben vom 06.05.2025 zur Beantwortung aller ihnen am 30.04.2025 vom Antragsgegner gestellten Fragen und Einreichung sämtlicher Unterlagen (d. h. 28 Anlagen und eidessstaatliche Versicherungen). Der nicht vertretene Antragsteller zu 1. schreibt wörtlich:

 

"hiermit beantrage ich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes die vorläufige Gewährung von Bürgergeld nach dem SGB II ab November 2024 für mich und meine Bedarfsgemeinschaft (Ehefrau, zwei Kinder - 7 und 11 Jahre).“

 

Das Gericht hat dem Antragsgegner noch am 13.06.2025 den Eilantrag mittels elektronischem Rechtsverkehr zur Erwiderung unter Vorlage der elektronischen Verwaltungsakten bis 18.06.2025 weitergeleitet und darauf hingewiesen, dass entschieden werden könne, falls keine fristgemäße Erwiderung eingehe.

 

Trotzdem hat der Antragsgegner bis 20.06.2025 nicht auf den Eilantrag reagiert und dem Gericht auch die angeforderten Verwaltungsvorgänge vorenthalten.

 

2.

 

Das Sozialgericht kann im Eilrechtsschutzverfahren nach Fristablauf auch ohne Antragserwiderung und Verwaltungsakten entscheiden (vgl. § 104 Satz 4 SGG analog).

 

3.

 

Der zulässige Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist nach den Grundsätzen der Beweisvereitelung begründet, weil der behördliche Antragsgegner in verfahrensrechtswidriger Weise dem Gericht die zur Glaubhaftmachung des streitbefangenen Anspruchs erforderliche Verwaltungsvorgänge vorenthalten hat.

 

Nach § 86b Abs. 2 Satz 2 SGG kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag eine einstweilige Anordnung auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn eine solche Regelung zur Abwendung wesentlicher Nachteile nötig erscheint (Regelungsanordnung). Damit setzt der Erlass einer einstweiligen Anordnung nicht nur das Bestehen des geltend gemachten materiell-rechtlichen Anspruchs voraus (Anordnungsanspruch), sondern auch einer besonderen Eilbedürftigkeit zur Durchsetzung dieses Begehrens (Anordnungsgrund). Anordnungsanspruch und Anordnungsgrund müssen gemäß § 86b Abs. 2 Satz 4 SGG i.V.m. § 920 Abs. 2 Zivilprozessordnung glaubhaft gemacht worden sein. Erforderlich ist der Nachweis der überwiegenden Wahrscheinlichkeit; trotz der Möglichkeit des Gegenteils dürfen Zweifel nicht überwiegen (Krasney/Udsching, Handbuch, 3. Aufl., III. Kapitel, Rn. 157). Dies ist im Rahmen einer summarischen Prüfung zu ermitteln (LSG NRW, Beschluss vom 19.07.2006, Az.: L 20 B 146/06 AS ER.

 

Bei der Beurteilung des Anordnungsanspruchs hat sich das Gericht an den Grundsätzen zu orientieren, die das Bundesverfassungsgericht im Hinblick auf das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 des Grundgesetzes (GG) aufgestellt hat. Danach dürfen sich die Gerichte bei einer Ablehnung von existenzsichernden Sozialleistungen nicht auf eine bloße summarische Prüfung der Erfolgsaussichten beschränken und die Anforderungen an die Glaubhaftmachung durch den Antragsteller nicht überspannen; ist eine Prüfung der Erfolgsaussichten in der Hauptsache nicht möglich, hat eine Folgenabwägung stattzufinden (Bundesverfassungsgericht (BVerfG), Beschluss vom 12.05.2005, 1 BvR 569/05; ebenso LSG NRW, Beschlüsse vom 06.01.2006, L 1 B 13/05 AS ER und vom 28.02.2006, L 9 B 99/05 AS ER).

 

Gemessen an diesen Maßstäben haben die Antragsteller den von ihnen behaupteten Anordnungsanspruch und einen bis zum 01.11.2024 zurückreichenden Anordnungsgrund glaubhaft gemacht. Dem Erfordernis der Glaubhaftmachung ist nach den Rechtsgrundsätzen zur schuldhaften Beweisvereitelung Genüge getan. Denn aus § 444 ZPO ist herzuleiten, dass im Rahmen der Beweiswürdigung zu berücksichtigen ist, wenn ein am sozialgerichtlichen Verfahren Beteiligter schuldhaft die Beweisführung der beweispflichtigen Gegenpartei unmöglich macht (vgl. SG Karlsruhe, Gerichtsbescheid v. 10.3.2023 – S 12 AS 2454/22, m.w.N.).

 

So liegt der Fall hier. Der Antragsgegner hat die Beweisführung der Antragsteller schuldhaft unmöglich gemacht. Die ihm wegen der persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse der Antragsteller vorliegenden Beweisurkunden hat das Jobcenter Baden-Baden trotz richterlicher Anforderung dem Gericht nicht vorgelegt.

 

Im sozialgerichtlichen Verfahren wegen existenzsichernder Leistungen sind sozial schwache Eilantragsteller nicht gehalten, die zur Glaubhaftmachung ihres Leistungsanspruchs erforderlichen Unterlagen ein weiteres Mal bei Gericht einzureichen, wenn sie diese Unterlagen bereits außergerichtlich bei der zuständigen Behörde eingereicht hatten. In sozialgerichtlichen Eilverfahren wegen existenzsichernder Leistungen dürfen unbemittelte Eilantragsteller darauf vertrauen, dass der behördliche Antragsgegner seine elektronisch geführten Verwaltungsvorgänge dem Gericht unverzüglich vorlegt, weil § 104 Satz 4 Sozialgerichtsgesetz diese behördliche Mitwirkungspflicht vorsieht. Mit einem exekutiven Ungehorsam einer an Recht und Gesetz gebundenen Behörde müssen Eilantragsteller in sozialgerichtlichen Eilverfahren wegen existenzsichernder Leistungen nicht rechnen. Die prozessuale Mitwirkungspflicht einer im Grundsicherungsrecht zuständigen Behörde dient dem Schutz der Würde der unter ihrer Obhut stehenden Menschen (vgl. Art. 1, 20 Abs. 3 GG).

 

Wegen der Höhe der mtl. Ansprüche ist in Unkenntnis der Urkunden aus der Verwaltungsakte nach § 287 ZPO analog eine richterliche Schätzung unter Würdigung aller gerichtsbekannten Umstände des Einzelfalls ohne weitere Ermittlungen geboten, weil die Gewährleistung des Existenzminimums keinen Aufschub duldet und das Wohl der (teilweise minderjährigen) Antragsteller im Falle ihrer Obdachlosigkeit nicht zu gefährden ist. Mangels Erwerbseinkommen fließen der Bedarfsgemeinschaft nur die Kindergeldzahlungen (d. h. mtl. 250,- € je Kind für November und Dezember 2024 bzw. 255,- € je Kind ab Januar 2025) zu, die anspruchsmindernd auf die Leistungsansprüche der Kinder anzurechnen sind, solange sie der Bedarfsgemeinschaft ihrer erwerbsfähigen und hilfebedürftigen Eltern angehören. Dieses Kindergeldeinkommen stehen die seit November 2024 unveränderten Regelbedarfssätze zur Sicherung des Lebensunterhalts (der Stufe 2) für volljährige Partner innerhalb einer Bedarfsgemeinschaft (d. h. mtl. 506,- € je Erwachsener) bzw. (der Stufe 5) für deren Kinder zwischen 6 und 13 Jahren (d. h. mtl. 390,- € je Kind) gegenüber. Außerdem waren die nach § 22 SGB II vom Bürgergeldanspruch umfassten Kosten für Unterkunft und Heizung aufzubringen, die das Gericht auf mtl. 1.100,- € (bzw. 275,- € je Kopf“) schätzt, da die Antragsteller in Baden-Baden (d.h. in einer Gemeinde der Mietstufe IV nach dem WoGG) wohnen.

 

Wegen der Befristung der einstweiligen Bürgergeldbewährung hält es das Gericht für ermessensgerecht, dem Antragsgegner gut drei Monate zur Auswertung der 28 umfangreichen Anlagen der Antragsteller und Leistungsberechnung zuzubilligen.

 

4.

 

Die Kostenentscheidung beruht auf entsprechender Anwendung der §§ 183, 193 SGG.

 

5.

 

Der Antragsgegner kann diesen Beschluss mit der Beschwerde an das Landessozialgericht Baden-Württemberg nach § 172 SGG anfechten, seine Verwaltungsakten vorlegen, Anordnungsgrund oder Anordnungsanspruch wiederlegen und so die Aufhebung dieser beweisrechtlich begründeten Eilentscheidung bewirken.

 

 

 

 

Rechtskraft
Aus
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