L 7 AS 400/22

Land
Freistaat Bayern
Sozialgericht
Bayerisches LSG
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
1. Instanz
SG München (FSB)
Aktenzeichen
S 8 AS 1166/19
Datum
2. Instanz
Bayerisches LSG
Aktenzeichen
L 7 AS 400/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Ein gerichtlicher Vergleich kann nicht wegen Irrtums angefochten werden, wenn lediglich vorgebracht wird, der Kläger habe die Tragweite des Vergleiches bei Abschluss des Vergleiches nicht erkannt.

 

I. Es wird festgestellt, dass das Verfahren durch Vergleich vom 13.12.2024 beendet worden ist.

II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

T a t b e s t a n d :

Streitig waren im Klage- und Berufungsverfahren L 7 AS 401/22 der Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 28.2.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.4.2019 wegen Nichtmitteilung des laufenden Bezugs einer Unfallrente der Berufsgenossenschaft durch den Ehemann der Klägerin zu 1 (Kläger) von ca. 590 € monatlich und die hieraus resultierende Erstattungsforderung von 975,88 € für die Zeit vom 1.12.2014 bis 31.5.2015.

Im Klage- und Berufungsverfahren war der an die Ehefrau des Klägers und deren beiden Kinder (Kläger zu 1 bis 3) adressierte Aufhebungs- und Erstattungsbescheid vom 28.2.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23.4.2019 wegen Nichtmitteilung der BG-Rente verbunden mit einer Erstattungsforderung von insgesamt 9.437,14 € für die Zeit vom 1.12.2014 bis 31.5.2015 und vom 1.3.2016 bis 1.1.2018 streitig.

Das Sozialgericht hat die streitigen Bescheide jeweils mit Urteil vom 30.6.2022 wegen Nichteinhaltung der Jahresfrist nach § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X aufgehoben. Gegen beide Entscheidungen hat der Beklagte Berufung beim Bay. Landessozialgericht eingelegt.

Im Erörterungstermin vom 13.12.2024, in dem der in beiden Verfahren Prozessbevollmächtigte, als auch der Kläger selbst anwesend war, schlossen die Beteiligten folgenden Vergleich:

"Vergleich:

I. Der Beklagte erklärt sich bereit, die Erstattungsforderung auf insgesamt 5617,28 Euro (4641,40 Euro plus 975,88 Euro) zu reduzieren.

II. Der Bevollmächtigte des Klägers nimmt mit dessen ausdrücklichem Einverständnis dieses Angebot an.

III. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.

IV. Die Beteiligten sind sich einig, dass damit beide Rechtsstreitigkeiten und L 7 AS 401/22 in vollem Umfang (Berufungsrücknahme durch den Beklagten und Klagerücknahme durch den Bevollmächtigten der Kläger) endgültig für erledigt."

Laut Sitzungsniederschrift wurde das Diktat vorgespielt und von den Anwesenden genehmigt. Auf die weiteren Einzelheiten des Sitzungsprotokolls wird Bezug genommen.

Noch am selben Tag ging bei Gericht ein Schreiben des Klägers ein, wonach der Vergleich nicht akzeptiert werde. Sinngemäß teilte er mit, dass der Beklagte ihm noch 12295 Euro aus den Jahren 2008, 2010 und 2011 schulde.
 
Der Kläger beantragt,

das Verfahren L 7 AS 400//22 fortzusetzen.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :

Das Verfahren ist nicht fortzusetzen, es ist im Erörterungstermin am 13.12.2024 durch den geschlossenen Vergleich beendet worden.

Der Vergleich ist prozessual wirksam und hat den Rechtsstreit beendet, § 101 Abs. 1 SGG. Die Erklärungen aus dem Vergleich sind den Anwesenden ordnungsgemäß aus dem Diktat vorgespielt und auch von ihnen allen genehmigt worden. Die Abgabe auch der prozessbeendenden Erklärung ist durch das Sitzungsprotokoll vom 23.12.2024 bewiesen, § 122 SGG i.V.m. § 160 Abs. 3 Nr. 1 und 8, § 165 ZPO.

Der Vergleich ist darüber hinaus auch materiell-rechtlich wirksam. Er ist weder nichtig gemäß §§ 58 SGB X i.V.m. §§ 118, 134, 138 BGB analog, noch ist ihm die Geschäftsgrundlage entzogen, § 59 SGB X i.V.m. § 313 BGB analog. Ein Anfechtungsgrund nach §§ 119 ff. BGB analog besteht nicht.

Anhaltspunkte für die Annahme einer mangelnden Ernsthaftigkeit der abgegebenen Erklärungen gibt es nicht. Der Vergleich verstößt weder gegen ein gesetzliches Verbot, noch gegen sonstige zwingende Gesetze. Er ist auch nicht sittenwidrig. Die Beteiligten konnten über die Höhe der SGB II-Leistungen und der daraus resultierenden Erstattungsforderung frei entscheiden. Soweit die Klägerin und die beiden Kinder nicht anwesend waren, waren sie vertreten durch ihren Prozessbevollmächtigten als auch durch den Kläger. Ein Vergleich ist durch eine zwischen den Beteiligten bestehende Ungewissheit durch gegenseitiges Nachgeben gekennzeichnet. Die Begrenzung der Erstattungsforderung auf etwa die Hälfte zeigt ein gegenseitiges Nachgeben der Beteiligten. Auch unter Berücksichtigung der bei objektiver Betrachtung erkennbaren Umstände verstößt der Vergleich nicht gegen die guten Sitten.

Nach § 59 SGB X i.V.m. § 313 BGB analog kann die Anpassung des Vertrages verlangt werden. Voraussetzung hierfür ist u.a. dass sich die Umstände, die zur Grundlage des Vertrages geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert haben. Dies ist hier nicht der Fall. Eine Veränderung der Verhältnisse ist nicht eingetreten und wurde vom Kläger auch nicht behauptet. Vielmehr will der Kläger nicht mehr an dem Vergleich festhalten, weil er meint, dass er mit einer Gegenforderung aufrechnen kann und deshalb eine Erstattungsforderung, und zwar egal in welcher Höhe, nicht besteht.

Aufgrund der Doppelnatur eines prozessualen Vergleichs als Prozesshandlung einerseits und als öffentlich-rechtlicher Vertrag andererseits ist der Vergleich grundsätzlich nach §§ 119 ff. BGB analog anfechtbar (vgl. Meyer-Ladewig, SGG, 14. Auflage 2023, § 101 Rn 13). Ein Anfechtungsgrund ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Weder der im Erörterungstermin anwesende Kläger noch der Prozessbevollmächtigte der Kläger haben sich hinsichtlich der Bedeutung ihrer Erklärung geirrt (§ 119 Abs. 1 1. Alt. BGB analog), noch wollten diese etwas anderes erklären, als das, was sie zu Protokoll gegeben haben (§ 119 Abs. 1 2. Alt. BGB analog). Der Kläger hat auch die Tragweite des Vergleichs, nämlich eine verbleibende Erstattungsforderung in Höhe von rund 5.600 € erkannt. Dies zeigt sich in der Begründung, wonach er sinngemäß meint, dass eine Erstattungsforderung, egal in welcher Höhe, zu Unrecht erhoben wird, da der Beklagte ihm mehr als 12.000 € aus den Jahren 2008, 2010 und 2011 schuldet. Damit unterliegt er keinem Irrtum im Sinne einer unbewusst falschen Vorstellung vom Inhalt des Vergleichs und dessen Rechtsfolgen. Vielmehr hat sich der Kläger nach dem Erörterungstermin umentschieden und möchte nun nicht mehr am Vergleich festgehalten werden. Einen Anfechtungsgrund begründet dies jedoch nicht.
 
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision i.S.v. § 160 Abs. 2 SGG sind nicht ersichtlich.

 

Rechtskraft
Aus
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