L 10 KR 823/23 KH

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Köln (NRW)
Aktenzeichen
S 36 KR 2537/21 KH
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 KR 823/23 KH
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.06.2023 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.624,36 € festgesetzt.

 

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über die Abrechnung eines Zusatzentgelts für die Implantation eines Viabahn ® Graftstents zur Stillung der Blutung im Rahmen einer TAVI-Operation.

Die Klägerin betreibt ein in den Krankenhausplan Nordrhein-Westfalen aufgenommenes Krankenhaus, in dem am 21.08.2019 die bei der Beklagten krankenversicherte L. (* 00.00.0000) aufgrund einer hochgradigen Aortenklappenstenose stationär aufgenommen wurde. Am 23.08.2019 wurde bei der Versicherten mittels eines endovaskulären Katheters eine Aortenklappenprothese implantiert (Transcatheter Aortic Valve Implantation <TAVI>), wozu u.a. die rechte Oberschenkelarterie punktiert wurde. Nach Schleusenzug zeigte sich dort eine inkomplette Hämostase der rechten Oberschenkelarterie. Ein Versuch, diese mit einem Gefäßverschluss nach Manta ® sowie Gabe von Protamin zu schließen, schlug fehl. Daraufhin wurde ein Viabahn ® Graftstent implantiert, wodurch die Blutung gestillt werden konnte. Am 28.08.2019 entließ das Krankenhaus die Versicherte.

 

Die Klägerin rechnete gegenüber der Beklagten für die stationäre Behandlung insgesamt 29.307,89 € ab (Rechnung vom 31.08.2019), darunter das Zusatzentgelt ZE 76196750 (Einlage beschichteter [gecoverter] Stents mit bioaktiver Oberfläche für periphere Gefäße, 50 mm). Die Beklagte beglich diese Rechnung zunächst, beauftragte aber den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit einer Abrechnungsprüfung u.a. der Zusatzentgelte. Der MDK kam zu der Einschätzung (Gutachtliche Stellungnahme vom 20.01.2021), dass die Implantation eines entsprechenden Stents zwar durchgeführt worden, eine zwingende Indikation als Ultima-ratio aber nicht erkennbar sei. Bei dem Einsatz eines gecoverten, bioaktiven Stents handle es sich um eine neue Behandlungsmethode im Krankenhaus. Der verwendete Viabahn ® Graftstent sei gemäß Gebrauchsanweisung für das endovaskuläre Stenting peripherer Gefäße bei symptomatischen Verengungen zugelassen. Es bestehe aber keine Zulassung zur operativen Therapie bei inkompletter Hämostase. Zudem habe keine massive unübersichtliche Blutung bestanden, auch sei die Versicherte hämodynamisch stabil gewesen. Ein Gefäßchirurg sei nicht zu Rate gezogen worden. Somit handle es sich nicht um eine Ultima-ratio. Indiziert gewesen wären zunächst eine Probefreilegung der Leiste und Darstellung der Femoralisgabel, ggf. eine Einzelnaht, sowie falls notwendig eine Patch-Plastik, bevor ein Viabahn ® Graftstent bei einer hämodynamisch stabilen Patientin platziert werde.

 

Gestützt hierauf forderte die Beklagte von der Klägerin die Erstattung von 1.624,36 € und rechnete mit diesem Betrag sodann gegen andere Vergütungsforderungen der Klägerin auf (Zahlungsavis vom 01.02.2021).

 

Die Klägerin hat daraufhin am 20.12.2021 Klage zum Sozialgericht Köln erhoben.

 

Sie hat vorgetragen, die vom MDK vorgebrachte Prozedur hätte eine nicht zu vertretende Zeitverzögerung und zudem Ausweitung der Prozedur wegen einer dann notwendigen retroperitonealen Präparation bedeutet. Sie wäre daher keine geeignete Alternative gewesen.

 

Die Klägerin hat beantragt,

 

die Beklagte zu verurteilen, an sie 1.624,36 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 2 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit dem 02.02.2021 zu zahlen.

 

Die Beklagte hat beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Sie hat auf die Einschätzung des MDK verwiesen und zudem eine neuerliche, im Wesentlichen gleichlautende Stellungnahme desselben vom 07.11.2022 vorgelegt.

 

Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens bei J.. Auf den Inhalt des Gutachtens vom 18.08.2022 nebst ergänzender Stellungnahme vom 24.01.2023 wird Bezug genommen.

 

Sodann hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen (Urteil vom 29.06.2023). Die Implantation des Viabahn ® Graftstents habe im konkreten Einzelfall zur Überzeugung der Kammer nicht dem Qualitätsgebot entsprochen, weil die Klägerin nicht die vom Hersteller formulierte Indikation beachtet habe. Letztlich könne die Frage, welche rechtliche Bewertung diesem Umstand zukomme, jedoch dahinstehen. Denn bei der durchgeführten Implantation des Graftstents bei inkompletter Hämostase habe es sich jedenfalls um eine neue Behandlungsmethode gehandelt. Die Voraussetzungen des § 137c Abs. 3 SGB V für die Anwendung einer solchen hätten aber nicht vorgelegen. Zwar gehe die Kammer nach den Ausführungen des Sachverständigen J. davon aus, dass in der konkreten intraoperativen Situation mit Nachblutung aus einer der großen Beckenarterien grundsätzlich eine lebensbedrohliche Situation vorgelegen habe. Der Sachverständige habe dargelegt, es gebe in derartigen Fällen zwei Möglichkeiten: Die Implantation eines Stents oder eine chirurgische Freilegung des betroffenen Gefäßes und sodann gefäßchirurgische Naht. Zutreffend habe der MDK darauf hingewiesen, dass die gefäßchirurgische Versorgung eine Standardbehandlung darstellt. Soweit der Sachverständige weiter ausgeführt habe, weil eine möglichst rasche Behandlung unbedingt notwendig gewesen sei, sei es daher gerechtfertigt, dass die Ärzte die Implantation Graftstents gewählt hätten, ergebe sich hieraus aber nicht die Abrechenbarkeit des Zusatzentgelts. Denn der Sachverständige habe weiter ausgeführt, es sei anhand der Aktenlage nicht ersichtlich, ob das Hinzuziehen eines Gefäßchirurgen im konkreten Behandlungsfall zu einer bedeutsamen Zeitverzögerung geführt hätte; auch gehe aus der Aktenlage nicht hervor, ob überhaupt ein Gefäßchirurg konsultiert worden sei. Die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a SGB V hätten nicht vorgelegen, da eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Verfügung gestanden habe.

 

Gegen das ihren Prozessbevollmächtigten am 31.07.2023 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 24.08.2023 eingelegten Berufung.

 

Sie trägt vor, die Implantation eines Viabahn ® Graftstents sei ein etabliertes Verfahren zur Behandlung einer Nachblutung nach TAVI. Zutreffend sei, dass es sich bei der gefäßchirurgischen Behandlung um eine Standardbehandlung handle. Grundsätzlich sei auch nicht ausgeschlossen, Patienten wie der Versicherten in Lokalanästhesie eine Gefäßnaht zumuten. Unabhängig von der Frage, ob überhaupt ein Gefäßchirurg konsultiert wurde bzw. eine Konsultation in Betracht gezogen wurde, hätte dies in jedem Fall zu einer nicht hinnehmbaren Zeitverzögerung geführt; eine solche Maßnahme dauere mindestens 30, eher 60 Minuten (Zusammenstellung des OP-Teams etc.). Eine alternative Behandlung hätte damit zu einer bedeutsamen Zeitverzögerung und somit zu einer erheblichen Gefährdung der Versicherten geführt. Es sei aber davon auszugehen, dass eine möglichst rasche Behandlung unbedingt notwendig gewesen sei, um das Leben der Versicherten zu retten. Da die operierenden Ärzte zunächst Manta ®-Verschlusssystem implantiert und Protamin verabreicht hatten, die Blutung jedoch weiterhin bestand, sei bereits wertvolle Zeit vergangen. Weitere Zeit für ein Konsil aufzuwenden hätte auf Kosten der Versicherten zu einer weiteren Verschlechterung des Zustandes und mithin einer akuten Lebensgefahr geführt. Zudem hätte die alternative Methode aufgrund der invasiven Natur des Verfahrens ein erhebliches Risiko für die Versicherte dargestellt, was bei instabilen TAVI-Patienten nicht akzeptabel sei.

 

Die Klägerin beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.06.2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen an sie 1.624,36 € zuzüglich Zinsen in Höhe von zwei Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 02.02.2021 zu zahlen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend. Der Vortrag der Klägerin, es sei zu einer anhaltenden Blutung aus der hohen Beinarterie gekommen, die nicht habe gestillt werden können, könne anhand der Krankenakte nicht plausibilisiert werden.

 

Der Senat hat Beweis erhoben durch Vernehmung des Zeugen O., eines im Krankenhaus der Klägerin als Medizincontroller tätigen Arztes. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Sitzungsprotokolls verwiesen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichts- sowie der beigezogenen Patienten- und Verwaltungsakten Bezug genommen. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

 

 

Rechtliche Würdigung:

 

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 29.06.2023 ist zulässig, aber unbegründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen.

 

1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung weiterer 1.624,36 € nebst Zinsen.

 

Streitgegenstand sind die aus dem Zahlungsavis vom 01.02.2021 ersichtlichen Vergütungsansprüche der Klägerin, gegen die die Beklagte mit dem vorliegend in Rede stehenden Erstattungsanspruch aufgerechnet hat. Diese Vergütungsansprüche sind zwischen den Beteiligten unstreitig, eine nähere Prüfung zur Höhe der streitigen Beträge erübrigt sich deshalb (vgl. BSG, Urteil vom 26.05.2020 – B 1 KR 28/18 R –, Rn. 11 m.w.N.).

 

Die streitgegenständlichen Vergütungsforderungen sind in der noch streitbefangenen Höhe durch die Aufrechnung der Beklagten erloschen (§ 69 Abs. 1 S. 3 SGB V i.V.m. §§ 389, 387 BGB). Die hierfür erforderliche Aufrechnungslage lag vor, insbesondere stand der Beklagten mit dem geltend gemachten Erstattungsanspruch aus dem Behandlungsfall der Versicherten L. eine fällige und durchsetzbare Gegenforderung zu.

 

Zahlungen ohne Rechtsgrund begründen einen Erstattungsanspruch des Zahlenden gegenüber dem Zahlungsempfänger, sei es nach allgemeinen Grundsätzen des öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruches oder nach § 69 Abs. 1 S. 3 SGB V i.V.m. §§ 812 ff BGB (BSG, Urteil vom 07.03.2023 – B 1 KR 3/22 R –, Rn. 13 m.w.N. <st.Rspr.>).

 

Eine derartige Zahlung ohne Rechtsgrund lag hier vor. Die Klägerin war nicht berechtigt, für diese stationäre Behandlung auch das streitige Zusatzentgelt abzurechnen.

 

Rechtsgrundlage des vom einem Krankenhaus wegen der vollstationären Behandlung gesetzlich Krankenversicherter geltend gemachten Vergütungsanspruchs ist § 109 Abs. 4 S. 3 SGB V i.V.m. § 7 KHEntgG und § 17b KHG. Die auf diese Rechtsgrundlagen gestützte Zahlungsverpflichtung einer Krankenkasse entsteht unabhängig von einer Kostenzusage unmittelbar mit Inanspruchnahme der Leistung durch den Versicherten kraft Gesetzes, wenn die Versorgung wie hier in einem zugelassenen Krankenhaus durchgeführt wird. Die Krankenhausbehandlung umfasst dabei im Rahmen des Versorgungsauftrags des Krankenhauses alle Leistungen, die im Einzelfall nach Art und Schwere der Krankheit für die medizinische Versorgung der Versicherten im Krankenhaus notwendig sind (§ 39 Abs. 1 S. 3 SGB V). Ein Vergütungsanspruch setzt danach voraus, dass die Krankenhausbehandlung dem maßgeblichen Qualitätsgebot entsprach, die vollstationäre Leistungserbringung erforderlich war (§ 39 Abs. 1 S. 2 SGB V) und die Leistungen insgesamt wirtschaftlich (§ 12 Abs. 1 SGB V) erbracht wurden (BSG, Urteil vom 13.12.2022 – B 1 KR 33/21 R –, Rn. 10 m.w.N. <st.Rspr.>).

 

Zu den Entgelten für allgemeine Krankenhausleistungen zählen auch die Zusatzentgelte nach dem auf Bundesebene vereinbarten Entgeltkatalog (§§ 7 Abs. 1 Nr. 2, 9 Abs. 1 Nr. 2 KHEntgG).

 

Nach diesen Maßstäben durfte die Klägerin das Zusatzentgelt ZE 76196750 (Einlage beschichteter [gecoverter] Stents mit bioaktiver Oberfläche für periphere Gefäße, 50 mm) nicht abrechnen. Zwischen den Beteiligten steht außer Streit, dass es sich bei der Implantation des in Rede stehenden Viabahn ® Graftstents um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode handelte, die insbesondere die Voraussetzungen des allgemeinen Qualitätsgebots nicht erfüllte (dazu a). Die Klägerin durfte die Implantation des Graftstents im konkreten Behandlungsfall aber auch nicht als sog. Potentialleistung (§ 137c Abs. 3 SGB V; dazu b) und ebenso wenig gemäß § 2 Abs. 1a SGB V erbringen (dazu c).

 

a) Bei dem Einsatz des Graftstents zur Herbeiführung der Hämostase nach einem kathetergestützten Eingriff handelt es sich um eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode, die nicht dem allgemeinen Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V entsprach.

 

aa) Der hier in Rede stehende Graftstent ist ausweislich seiner Gebrauchsanweisung zugelassen für das endovaskuläre Stenting peripherer Blutgefäße bei symptomatischen Verengungen. Hierauf hat bereits der MDK hingewiesen, ohne dass die Klägerin dem entgegengetreten wäre. Der vom Sozialgericht gehörte Sachverständige J. hat diese Einschätzung ausdrücklich bestätigt; es sei korrekt, dass die Zulassung eines Graftstents nur bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit bestehe. Von der Richtigkeit dieser Einschätzung hat sich der Senat auch selbst überzeugt, soweit ihm dies anhand der online abrufbaren Gebrauchsanweisungen (https://eifu.goremedical.com) möglich gewesen ist. Ein Einsatz des außerhalb dieser Indikation, konkret zur Herbeiführung der Hämostase nach einem kathetergestützten Eingriff (TAVI), stellt dagegen eine neue Untersuchungs- und Behandlungsmethode im Krankenhaus dar (zum Anwendungsbereich des § 137c Abs. 3 SGB V sogleich unten b). Auch hierauf hat bereits der MDK hingewiesen, ohne dass die Klägerin dem entgegengetreten wäre. Ob der Umstand, dass die Klägerin den Graftstent außerhalb seiner Indikation und damit seiner Zulassung eingesetzt hat, bereits für sich genommen einen Verstoß gegen das Qualitätsgebot begründet (dafür LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 22.02.2022 – L 11 KR 1308/20 – juris, Rn. 32), braucht der Senat dabei nicht zu entscheiden, denn die Voraussetzungen des allgemeinen Qualitätsgebotes sind auch im Übrigen nicht erfüllt.

 

bb) Nach dem allgemeinen Qualitätsgebot des § 2 Abs. 1 S. 3 SGB V haben Qualität und Wirksamkeit der Leistungen dem allgemein anerkannten Stand der medizinischen Erkenntnisse zu entsprechen und den medizinischen Fortschritt zu berücksichtigen. Dies erfordert für die Untersuchungs- und Behandlungsmethoden den vollen Nutzennachweis im Sinne eines evidenzgestützten Konsenses der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute (BSG, Urteil vom 13.12.2022 – B 1 KR 33/21 R – Rn. 16 m.w.N. <st.Rspr.>; näher auch: Urteil vom 19.03.2020 – B 1 KR 20/19 R –, Rn. 15). Eine Behandlungsmethode gehört dementsprechend grundsätzlich erst dann zum Leistungsumfang der GKV, wenn die Erprobung abgeschlossen ist und über Qualität und Wirkungsweise der neuen Methode zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können (BSG, Urteil vom 28.05.2019 – B 1 KR 32/18 R –, Rn. 21).

 

cc) Dass für den Einsatz des Graftstents zur Erreichung der Hämostase nach einem Kathetereingriff die erforderliche Evidenz vorläge, ist weder vorgetragen noch anderweitig ersichtlich. Dabei misst der Senat dem Umstand, dass eine solche Verwendung des Graftstents zur Blutungsstillung außerhalb seiner Zulassung liegt, jedenfalls (vgl. nochmals LSG-Baden-Württemberg, a.a.O.) starke indizielle Bedeutung zu. Denn ein Medizinprodukt darf nur in Verkehr gebracht oder in Betrieb genommen werden, wenn es bei sachgemäßer Lieferung, korrekter Installation und Instandhaltung und seiner Zweckbestimmung entsprechender Verwendung, den Anforderungen der Verordnung (EU) Nr. 2017/745 (im Folgenden: Medizinprodukte-Verordnung <MP-VO>) entspricht (Art. 5 Abs. 1 MP-VO). Es muss unter Berücksichtigung seiner Zweckbestimmung den für das Produkt geltenden grundlegenden Sicherheits- und Leistungsanforderungen genügen (Art. 5 Abs. 2 MP-VO), wobei ein Nachweis der Einhaltung dieser auch eine klinische Bewertung umfasst (Art. 5 Abs. 3 MP-VO; zur im Wesentlichen vergleichbaren Rechtslage vor Inkrafttreten der MP-VO zum 26.05.2021 vgl. § 6 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 Medizinproduktegesetz <MPG> i.V.m. der Verordnung über klinische Prüfungen von Medizinprodukten <MPKPV>).

 

Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Gutachten des Sachverständigen J.. Dieser hat zwar mitgeteilt, dass die Implantation eines Graftstents zur Behandlung einer Gefäßverletzung nach TAVI ein in der Literatur gut beschriebenes, etabliertes Verfahren sei und sich in mehreren Studien als äußerst sicher und wirksam gezeigt habe. Dies allein erfüllt die Anforderungen aber nicht, die das Qualitätsgebot an die Evidenz stellt. Dieses setzt im Regelfall voraus, dass über Qualität und Wirksamkeit der neuen Methode – die in ihrer Gesamtheit und nicht nur in Bezug auf Teilaspekte zu würdigen ist – zuverlässige, wissenschaftlich nachprüfbare Aussagen gemacht werden können. Der Erfolg muss sich aus wissenschaftlich einwandfrei durchgeführten Studien über die Zahl der behandelten Fälle und die Wirksamkeit der Methode ablesen lassen. Die Therapie muss in einer für die sichere Beurteilung ausreichenden Zahl von Behandlungsfällen erfolgreich gewesen sein (statt vieler: BSG, Urteil vom 19.03.2020 – B 1 KR 29/19 R –, Rn. 15 <st.Rspr.>; Scholz in Becker/Kingreen, SGB V, 9. Aufl. 2024, § 2 Rn. 4; beide m.w.N.).

 

Dass diese Anforderungen bereits erfüllt wären, hat indes auch der Sachverständige nicht mitgeteilt. Auch die Klägerin hat hierzu nichts Näheres vorgetragen, sondern lediglich behauptet, es bestehe die „Einsicht“, dass das Verfahren eine minimalinvasive und sichere Lösung darstelle. Danach ist nicht erkennbar, dass die Einschätzung, es handle sich insoweit um ein sicheres und wirksames Verfahren, bereits dem Konsens der großen Mehrheit der einschlägigen Fachleute entspräche. Ebenso wenig ist erkennbar, dass die zweifelsfrei vorhandenen Studien bereits die notwendige Evidenz vermittelten. Insbesondere die vom Sachverständigen hierzu mitgeteilten Arbeiten kommen zwar ebenfalls zu dem Ergebnis, dass der Einsatz von Graftstents zur Blutungsstillung nach einer TAVI grundsätzlich effektiv und sicher sei, weisen zugleich aber selbst durchweg darauf hin, dass ihre Erkenntniskraft limitiert ist bzw. es weiterer Studien bedarf:

 

vgl. etwa: De Backer et al., Safety and Efficacy of Using the Viabahn Endoprosthesis for Percutaneous Treatment of Vascular Access Complications After Transfemoral Aortic Valve Implantation, Am J Cardiol 2015 (115), S. 1123 ff. (1128): „Still, at this moment, we would advice a strict duplex US follow-up in all TAVI patients treated by vascular covered stents as this may contribute to a better knowledge on this approach“; Segal et al., Outcome of Stent Graft Implantation for Treatment of Access Site Bleeding After Transfemoral Transcatheter Aortic Valve Replacement, Am J Cardiol 2017 (120), S. 456 ff. (459): „This study has limitations“; Seidler et al., Feasibility and outcomes of interventional treatment for vascular access site complications following transfemoral aortic valve implantation, Clin Res Cardiol 2017 (106), S. 183 ff. (191): „Our study has several limits“; Ben Abdallah et al., Covered Stents as a First-Line Treatment for Vascular Access Complications During Transfemoral Transcatheter Aortic Valve Implantation: Eight-Year Experience From a Single Center, Angiology 2021 (72), S. 70 ff. (76): „Further studies are needed to assess the long-term patency of stents implanted in the common femoral artery in TAVI patients before widespread acceptance of this strategy can be reached“.

 

Nichts anderes gilt, soweit die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat darauf hingewiesen hat, dass der Einsatz des Graftstents zur Hämostase gerade auch im Fall der Versicherten erfolgreich gewesen sei. Der Erfolg im streitigen Behandlungsfall vermag die notwendige Evidenz nicht zu ersetzen.

 

b) Die Implantation des Graftstents erfüllte auch nicht die Anforderungen an eine Potentialleistung nach § 137c Abs. 3 SGB V (hier i.d.F. des Implantateregister-Errichtungsgesetzes <EIRD> vom 12.12.2019, BGBl. I 2494). Danach dürfen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden, zu denen der G-BA bisher keine Entscheidung nach § 137c Abs. 1 SGB V getroffen hat, im Rahmen einer Krankenhausbehandlung angewandt und von den Versicherten beansprucht werden, wenn sie das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bieten und ihre Anwendung nach den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt, sie also insbesondere medizinisch indiziert und notwendig ist (S. 1). Dies gilt sowohl für Methoden, für die noch kein Antrag nach § 137c Abs. 1 SGB V gestellt wurde, als auch für Methoden, deren Bewertung nach § 137c Abs. 1 SGB V noch nicht abgeschlossen ist (S. 2).

 

aa) § 137c Abs. 3 S. 1 SGB V ist vorliegend einschlägig, weil der G-BA zur Implantation von Graftstents bei inkompletter Hämostase bislang keine Entscheidung nach § 137c Abs. 1 SGB V getroffen hat. Im Anwendungsbereich des § 137c SGB V ist das allgemeine Qualitätsgebot des § 2 Abs.  1 S. 3 SGB V durch § 137c Abs. 3 SGB V damit partiell eingeschränkt und erweitert den Anspruch Versicherter auf Krankenhausbehandlung. An die Stelle des allgemeinen Qualitätsgebots tritt der Potentialmaßstab (BSG, Urteil vom 13.12.2022, a.a.O. Rn. 20; ausführlich dazu: Urteil vom 25.03.2021 – B 1 KR 25/20 R –, Rn. 22 ff.; Urteil vom 26.04.2022 – B 1 KR 20/21 R –, Rn. 14 ff.; Urteil vom 18.08.2022 – B 1 KR 38/21 R –, Rn. 15 ff.); der sog. Potentialmaßstab des § 137c Abs. 3 SGB V geht in diesen Fällen dem allgemeinen Qualitätsgebot als Lex specialis vor (BSG, Urteil vom 13.12.2022, a.a.O. Rn. 21). Der Anwendungsbereich von Potentialleistungen ist zur Gewährleistung eines ausreichenden Patientenschutzes für den Fall einer noch nicht existierenden Erprobungsrichtlinie wegen des transitorischen, auf eine abschließende Klärung ausgerichteten Methodenbewertungsverfahrens jedoch eng auszulegen. Versicherte haben außerhalb eines auf einer Erprobungsrichtlinie beruhenden Erprobungsverfahrens vor dessen inhaltlicher Konkretisierung Anspruch auf neue Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nur im Rahmen eines individuellen Heilversuchs, wenn es – erstens – um eine schwerwiegende, die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung geht, – zweitens – keine andere Standardbehandlung verfügbar ist und – drittens – die Leistung das Potential einer erforderlichen Behandlungsalternative bietet (BSG, Urteil vom 13.12.2022, a.a.O. Rn. 21; Urteil vom 25.03.2021, a.a.O. Rn. 30 ff.).

 

bb) Vorliegend stand eine andere Standardbehandlung grundsätzlich zur Verfügung. Dies hat der vom Sozialgericht gehörte Sachverständige bestätigt. Neben der Implantation eines Stents besteht danach grundsätzlich – wenn das konventionelle Verschlusssystem nicht zu ausreichender Blutstillung führt – die Möglichkeit einer chirurgischen Freilegung des betroffenen Gefäßes und einer gefäßchirurgischen Naht. Dass in Fällen wie dem vorliegenden ein gefäßchirurgisches Vorgehen grundsätzlich eine Alternative zur Implantation eines Graftstents darstellt, steht im Ausgangspunkt zwischen den Beteiligten außer Streit. Auch die Klägerin hat im Berufungsverfahren im Ausgangspunkt zugestanden, dass es sich hierbei um eine Standardbehandlung handelt. Sie hat lediglich eingewandt, dass dieses Verfahren aufgrund des mit ihm einhergehenden Zeitverlusts bei instabilen TAVI-Patienten ein nicht zumutbares Risiko bedeutet hätte.

 

Der Klägerin ist zuzugeben, dass es für sich genommen nicht ausreicht, dass eine Standardtherapie generell zur Verfügung steht. Vielmehr kann die Verfügbarkeit einer anderen Standardbehandlung einem Versicherten – bzw. im Abrechnungsstreit: dem Krankenhaus – dann nicht entgegengehalten werden, wenn sie im konkreten Einzelfall ausscheidet, weil der Versicherte sie nachgewiesenermaßen nicht verträgt oder erhebliche gesundheitliche Risiken bestehen (BSG, Urteil vom 13.12.2022, a.a.O. Rn. 26 m.w.N.). Jedenfalls wenn eine Standardmethode offenkundig einen höchst invasiven Eingriff erfordert, darf sie nicht nur abstrakt "ins Blaue hinein" genannt werden, sondern muss auch konkret für die Behandlung gerade dieses Versicherten infrage kommen (BSG, a.a.O. Rn. 27, dort zu einer Teilresektion der Lunge im Vergleich zur Implantation sog. Coils).

 

Auch nach diesen Maßstäben stand eine gefäßchirurgische Versorgung zur Überzeugung des Senats tatsächlich aber zur Verfügung. Im Fall der Versicherten bestanden keine erheblichen Risiken, die ein gefäßchirurgisches Vorgehen ausgeschlossen hätten (dazu <1>). Ebenso wenig ist erkennbar, dass ein solches Vorgehen aus anderen Gründen unerreichbar gewesen wäre, namentlich weil Gefäßchirurgen nicht oder zumindest nicht in zumutbarer Frist zur Verfügung gestanden hätten (dazu <2>).

 

(1) Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass bei der Versicherten keine derart erheblichen gesundheitlichen Risiken bestanden, die ein gefäßchirurgisches Vorgehen in ihrem Fall ausgeschlossen hätten. Dabei zieht der Senat nicht in Zweifel, dass eine Blutung der großen Oberschenkelarterie dringender medizinischer Behandlung bedarf. Dies hat insbesondere auch der Sachverständige bestätigt, der mitgeteilt hat, dass innerhalb von Minuten zu einem Schock kommen könne und damit Lebensgefahr bestehe. Diese potentielle Lebensgefahr vermag aber ein gefäßchirurgisches Vorgehen nicht schon für sich genommen auszuschließen. Andernfalls handelte es sich hierbei nicht um die Standardbehandlung, die es unstreitig und insbesondere auch nach der Einschätzung des Sachverständigen grundsätzlich ist.

 

Konkrete Umstände, die ein gefäßchirurgisches Vorgehen ausgeschlossen hätten, sind indes nicht ersichtlich. Auch dem Sachverständigengutachten lassen sich hierzu keinerlei Anhaltspunkte entnehmen. Der Sachverständige hat lediglich darauf hingewiesen, dass für sich anhand der Aktenlage nicht ersichtlich gewesen sei, ob das Hinzuziehen eines Gefäßchirurgen im vorliegenden Fall eventuell zu einer bedeutsamen Zeitverzögerung geführt hätte (vgl. dazu sogleich sowie unten <2>). Der MDK hat dagegen bereits in seiner ersten gutachtlichen Stellungnahme (vom 20.01.2021) ausgeführt, dass keine massive unübersichtliche Blutung geherrscht habe und die Patient hämodynamisch stabil gewesen sei. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin vorgelegten Patientenakte. In dem dortigen Entlassungsbericht (vom 22.08.2019) ist sogar ein „komplikationslose[r] Verlauf“ vermerkt. Die Klägerin hat in diesem Zusammenhang schriftsätzlich lediglich vorgetragen, bei einem instabilen TAVI-Patienten sei eine Verzögerung, wie sie mit dem Herbeirufen eines gefäßchirurgischen Teams nicht akzeptabel. Dass und ggf. weshalb aber gerade die Versicherte „instabil“ gewesen sein soll, hat sie nicht dargetan. Gleiches gilt, soweit sie vorgetragen hat, TAVI-Patienten seien so krank sind, dass sie einer offen-chirurgischen Aortenklappen-OP nicht mehr zugänglich seien. Dieses Vorbringen geht schon im Ausgangspunkt fehl, weil es hier nicht um die Indikation einer offen-chirurgischen Aortenklappen-OP geht, sondern um die Unzumutbarkeit einer gefäßchirurgischen Naht bei inkompletter Hämostase nach TAVI. Schließlich ergibt sich auch nichts anderes, soweit der Zeuge O., der in die Behandlung des Versicherten im Übrigen nicht involviert war, in der mündlichen Verhandlung auf den Body-Mass-Index der Versicherten (von 32) hingewiesen hat. Denn weshalb dieser für sich genommen ein erhebliches Risiko begründen haben soll, ist nicht ersichtlich, zumal die – wie ausgeführt – dennoch insbesondere hämodynamisch stabil war.

 

Soweit die Klägerin weiter behauptet hat, die Hinzuziehung eines Gefäßchirurgen hätte in jedem Fall zu einer nicht hinnehmbaren zeitlichen Verzögerung geführt, ergibt sich keine andere Beurteilung. Zwar hat auch der Sachverständige ausgeführt, dass bei einem inkompletten Verschluss der großen Oberschenkelarterie eine möglichst rasche Behandlung anzustreben sei. Dass die Durchführung einer gefäßchirurgischen Naht jedoch stets – wie die Klägerin offenbar meint – zu einem nicht vertretbaren Zeitverlust führte, ergibt sich aus dem Gutachten jedoch nicht. Wäre dies der Fall, stünde vielmehr die Eignung eines gefäßchirurgischen Vorgehens als Standardbehandlung vielmehr grundsätzlich in Zweifel. Dementsprechend hat der Sachverständige lediglich darauf hingewiesen, er könne nicht beurteilen, ob das Hinzuziehen [!] eines Gefäßchirurgen zu einer bedeutsamen Zeitverzögerung geführt hätte (dazu <2>).

 

Dass die Versicherte ein gefäßchirurgisches Vorgehen aus anderen Gründen nicht vertragen hätte, ist bereits nicht vorgetragen.

 

(2) Davon, dass ein gefäßchirurgisches Team vorliegend nicht bzw. erst mit einer unzumutbaren zeitlichen Verzögerung zur Verfügung gestanden hätte, hat der Senat sich auch aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme nicht überzeugen können. Dass im Krankenhaus der Klägerin grundsätzlich entsprechend qualifizierte Gefäßchirurgen tätig sind und auch am vorliegend interessierenden Operationstag (dem 23.08.2019) im Dienst waren, steht dabei außer Zweifel. Der vom Senat gehörte Zeuge O., der als Medizincontroller für die Klägerin tätig ist, hat hierzu im Rahmen seiner Vernehmung mitgeteilt, dass das Krankenhaus selbstverständlich über eine eigene gefäßchirurgische Abteilung verfüge. Am Operationstag seien dort ein Chefarzt, zwei Ober- und zwei Assistenzärzte anwesend gewesen.

 

Dass von diesen Gefäßchirurgen dennoch keiner für ein Konsil zum Behandlungsfall der Versicherten und ggf. Durchführung einer Naht der Oberschenkelarterie zur Verfügung gestanden hätte, ist für den Senat dagegen nicht nachvollziehbar. Zwar waren nach der Einlassung des Zeugen O. zum Zeitpunkt der TAVI der Chefarzt sowie ein Ober- und ein Assistenzarzt in einer anderen OP gebunden. Auch danach waren aber noch ein Ober- und ein Assistenzarzt grundsätzlich verfügbar. Dass diese tatsächlich anderweitig gebunden wären, hat auch der Zeuge nicht mitgeteilt, sondern lediglich angegeben, dass diese natürlich sämtliche anderen Dienste zu verrichten hatten inklusive des Notdienstes. Soweit der Zeuge im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung angegeben hat, die beiden Gefäßchirurgen zu der TAVI bei der Versicherten hinzuzuziehen, sei nicht möglich gewesen, weil dies bedeutet hätte, insbesondere die Intermediate-Care-Station wie auch die Notaufnahme komplett freizuziehen, ist diese Einlassung für den Senat ebenfalls nicht nachvollziehbar. Denn nach dem eigenen Vorbringen der Klägerin lag in der inkompletten Hämostase bei der Versicherten ein Notfall. Weshalb die diensthabenden Gefäßchirurgen zu diesem nicht Notfall dann nicht hinzugezogen werden konnten, erschließt sich dem Senat nicht. Zwar hat der Zeuge insoweit im weiteren Verlauf der mündlichen Verhandlung ergänzt, in diesem Fall hätte das Krankenhaus u.a. die Intermediate-Care-Station (sog. IMC) wie auch die Notaufnahme von Gefäßchirurgen „freiziehen“ müssen. Jedoch erscheint ein Notdienst von vorneherein sinnlos, wenn ein insoweit diensthabender Arzt zu einem Notfall nicht hinzugezogen werden können sollte, weil er dann insbesondere seinem Notdienst nicht mehr nachgehen könnte.

 

Andere als den Zeugen O., insbesondere solche, die mit dem im Streit stehenden Behandlungsfall in ärztlicher Funktion befasst gewesen wären, hat die Klägerin auf die Fristsetzung des Senats nach § 106a SGG (Verfügung vom 14.01.2025) nicht benannt.

 

All dies geht zu Lasten der Beklagten. Zwar trägt grundsätzlich der Schuldner die Beweislast für die Voraussetzungen einer Aufrechnung. Ein Beweislastwechsel tritt im Erstattungsstreit nur ein, wenn die Krankenkasse auf die Krankenhausabrechnung lediglich unter dem Vorbehalt medizinischer Überprüfung gezahlt hat (vgl. BSG, Urteil vom 08.11.2011 – B 1 KR 8/11 R –, juris Rn. 48; vgl. auch BSG, Urteil vom 09.04.2019 – B 1 KR 3/18 R –, Rn. 31). Auch lässt sich ein derartiger Vorbehalt insbesondere dem Verwaltungsvorgang der Beklagten zwar nicht entnehmen. Die Klägerin trägt für die Verfügbarkeit ihres gefäßchirurgischen Teams dennoch die Beweislast, weil diese Aufklärung ihrer Frage allein ihrer Risikosphäre zuzuordnen ist (zu einer Beweislastverteilung unter dem Aspekt der Risikosphären vgl. BSG, Urteil vom 16.12.2008 – B 1 KN 3/08 KR R –, juris Rn. 28 m.w.N.); dies gilt umso mehr, als ihr Vorbringen die oben genannten Widersprüchlichkeiten aufweist.

 

(3) Nicht weiter nachgehen muss der Senat danach Frage, inwieweit die Klägerin ärztliches Personal, dass in Fällen einer inkompletten Hämostase nach TAVI eine Arterie nötigenfalls gefäßchirurgisch verschließen kann, grundsätzlich vorzuhalten hat

 

– vgl. dazu § 5 Abs. 15 der Richtlinie des G-BA zu minimalinvasiven Herzklappeninterventionen (MHI-RL, hier i.d.F. des Beschlusses vom 05.12.2018 <BAnz AT 03.01.2019 B4>), wonach ärztliche Dienstleistungen u.a. der Fachrichtungen Allgemeinchirurgie (Nr. 2) sowie Angiologie oder Gefäßchirurgie (Nr. 3) im Krankenhaus im Rahmen eines Rufbereitschaftsdienstes vorzuhalten oder durch vergleichbare Regelungen im Rahmen von Kooperationsvereinbarungen zu gewährleisten sind; diese Regelung wurde erlassen, weil „[z]ur Zur Diagnostik und Therapie spezifischer Komplikationen (z.B. Schlaganfälle, Komplikationen am Zugangsweg [!], abdominelle Komplikationen) […] die Möglichkeit der Hinzuziehung spezieller Expertise gewährleistet sein [müsse] (so die tragenden Gründe des G-BA zum Beschluss vom 22.01.2015, S. 16)

 

inwieweit sie diesen Vorgaben ggf. genügt und inwieweit bei tatsächlicher Nichtverfügbarkeit eines entsprechenden Operateurs das Qualitätsgebot schon aus diesem Grund verletzt wäre und deshalb der Vergütungsanspruch entfiele (vgl. zu einem Verstoß gegen Struktur- und Prozessqualität bei einer TAVI vor Inkrafttreten der MHI-RL BSG, Urteil vom 16.08.2021 – B 1 KR 18/20 R – Rn. 12 ff.; zu den Rechtsfolgen eines Verstoßes gegen Qualitätssicherungs-Richtlinien vgl. § 137 Abs. 1 S. 2 bis 4 SGB V i.d.F. des Krankenhausstrukturgesetzes vom 10.12.2015, BGBl. I 2229 <str.>; dazu LSG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 12.10.2023 – L 6 KR 75/21 –, juris Rn. 28 ff. <Revision unter B 1 KR 30/23 R>; Felix, SGb 2017, 259 <267>; Gerlach, NZS 2019, 724 <730>; zum alten Recht noch BSG, Urteil vom 19.04.2016 – B 1 KR 28/15 R – Rn. 12 ff., dort zu einem Verstoß gegen die Qualitätssicherungs-Richtlinie zum Bauchaortenaneurysma <QBAA-RL>). Damit kann der Senat im Ergebnis ebenso dahinstehen lassen, ob sich ein Krankenhaus dann, wenn es sich krankenhausintern auf eine Standardvorgehensweise verständigt – was die Klägerin schriftsätzlich noch vorgetragen, in der mündlichen Verhandlung aber relativiert hat, worauf zuletzt aber auch die Einlassungen des Zeugen zumindest hindeuten könnten –, die einer neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode entspricht, und zugleich organisatorisch keine Vorkehrungen zur Sicherung des etablierten Standardvorgehens trifft, in einem folgenden Abrechnungsstreit mit Erfolg darauf berufen kann, der Einsatz der neuen Untersuchungs- und Behandlungsmethode sei alternativlos gewesen.

 

c) Weil nach allem eine Standardbehandlung verfügbar war, ist auch der Tatbestand des § 2 Abs. 1a SGB V nicht erfüllt, der ebenfalls voraussetzt, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung (generell) überhaupt nicht zur Verfügung steht oder im konkreten Einzelfall ausscheidet, weil die Versicherte diese nachgewiesenermaßen nicht verträgt (dazu BSG, Urteil vom 07.11.2006 – B 1 KR 24/06 R –, Rn. 22; Scholz, a.a.O. Rn. 8).

 

2. Kostenentscheidung und Streitwertfestsetzung beruhen auf § 197a Abs. 1 S. 1 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO bzw. §§ 63 Abs. 2 S. 1, 52 Abs. 3 S. 1, 47 Abs. 1 S. 1 GKG.

 

3. Anlass, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.

Rechtskraft
Aus
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