L 5 KA 1779/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Reutlingen (BWB)
Aktenzeichen
S 1 KA 548/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KA 1779/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Bei einer Bewerbung eines MVZ um einen Vertragsarztsitz, welcher von Seiten des MVZ mit mehreren angestellten Ärzten besetzt werden soll, müssen die Auswahlkriterien von jedem der anzustellenden Ärzte erfüllt sein, um positiv berücksichtigt werden zu können. Die Nachrangregelung des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V greift auch dann, wenn zwar die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und Stimmrechte bei einem Arzt liegt, dieser jedoch nicht in dem MVZ tätig ist, welches sich auf den Vertragsarztsitz bewirbt.

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 08.05.2024 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens sowie die außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen zu 8) und der Beigeladenen zu 9). Die übrigen Beigeladenen tragen ihre Kosten selbst.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 240.000,- € festgesetzt.



Tatbestand

Die Klägerin wendet sich als unterlegene Mitbewerberin in einem Nachbesetzungsverfahren gegen die Ö1, dem Beigeladenen zu 8), zum Zwecke der Fortführung einer vertragsärztlichen Praxis erteilte Zulassung zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung.

Die Klägerin ist Trägerin zahlreicher überörtlicher medizinischer Versorgungszentren (MVZ), hauptsächlich auf dem Gebiet der Augenheilkunde in Süddeutschland. Alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Klägerin ist die E1,
die zum Zeitpunkt der angefochtenen Verwaltungsentscheidung in keinem der zugelassenen MVZ der Klägerin als Vertragsärztin zugelassen war. Sie befand sich als Vertragsärztin in der KV-übergreifenden Berufsausübungsgemeinschaft (BAG) „E2 und Kollegen“ mit Betriebsstätte in S3 und war in R1 sowie H1 jeweils mit hälftigem Versorgungsauftrag zugelassen.

Der am 03.02.2022 verstorbene N1, dessen Rechtsnachfolgerin als Alleinerbin seine Ehefrau, die Beigelade zu 9), ist, war als niedergelassener Facharzt in T1, E3-platz, tätig. Mit Schreiben vom 05.10.2021 beantragte N1 die Durchführung eines Nachbesetzungsverfahrens für seinen Vertragsarztsitz in T1 bei der Kassenärztlichen Vereinigung B1 (KV).

Im Rahmen des vom Zulassungsausschuss für Ärzte für den Bezirk der Kassenärztlichen Vereinigung B1 – Regierungsbezirk T1 – (ZA) mit Beschluss vom 16.11.2021 (Bescheid vom 23.12.2021) genehmigten Nachbesetzungsverfahrens gingen mehrere Bewerbungen bei der KV ein, wobei der ZA letztendlich über drei Bewerbungen, darunter die Bewerbungen des am Standort T1, E3-platz, geplanten MVZ der Klägerin (zunächst mit dem Namen „Medizentrum E2 T1 1 MVZ“, vgl. Bl. 450 VA, später „Medizentrum E2 T1 2 MVZ“, vgl. Bl. 404) unter Genehmigung der Anstellungen der G1 und Z1 sowie die Bewerbung des Facharztes Ö1, des Beigeladenen zu 8), zu befinden hatte.

Mit Beschluss vom 29.03.2022 (Bescheid vom 12.04.2022) stellte der ZA fest, dass die Zulassung des N1 zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung infolge seines Todes mit Ablauf des 03.02.2022 endete. Mit Beschluss ebenfalls vom 29.03.2022 (Bescheid vom 12.04.2022) gab der ZA dem Antrag auf Zulassung des Beigeladenen zu 8) zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zum Zwecke der Fortführung der vertragsärztlichen Praxis von N1 statt, lehnte den Antrag der Klägerin auf Auswahl und Zulassung sowie die Genehmigung und Anstellungen von G1 und Z1 ab und ordnete die sofortige Vollziehung an. Zu Begründung wurde ausgeführt, die anzustellenden Ärztinnen der Klägerin sowie der Beigeladene zu 8) seien nach 5 Jahren der ärztlichen Tätigkeit im Fachgebiet gleichwertige Fachärzte. Alle sich bewerbenden Augenärzte brächten einen großen Erfahrungsschatz aus der vertragsärztlichen Versorgung mit und seien aufgrund dessen besonders gut geeignet, die Vertragsarztpraxis weiterzuführen. Weitergehende besondere Qualifikationen lägen bei keinem Bewerber vor. Kein Bewerber sei in einem Gebiet mit festgestellter Unterversorgung tätig gewesen oder sei Ehegatte, Lebenspartner oder Kind oder als Angestellter oder Partner des bisherigen Vertragsarztes tätig gewesen. Bei dem grundsätzlich als nachrangig zu wertenden verbleibenden Kriterium der Dauer der Eintragung in die Warteliste vertrete der ZA die Auffassung, dass die anzustellenden Ärzte in einem MVZ nicht die Bewerber auf eine ausgeschriebene Vertragsarztpraxis seien, sondern die zuzulassenden MVZ. Damit könne der Nachweis über die Wartelisteneintragung eines anzustellenden Arztes nur nachrangig gegenüber den Wartelisteneinträgen der zuzulassenden Antragsteller gewertet werden. Der Beigeladene zu 8) sei seit dem 16.03.2018 in die Warteliste für den Landkreis T1 eingetragen. Bezogen auf die Klägerin sei nur G1 seit dem 20.10.2004 in die Warteliste eingetragen, während Z1 sich nach ihrem Verzicht auf die Zulassung zum 31.07.2017 in T1 nicht wieder auf der Warteliste habe eintragen lassen. Zudem sei G1 bereits an einer Nebenbetriebsstätte der KV-übergreifenden BAG E2 und Kollegen mit Standort R1 als angestellte Ärztin tätig. Diese KV-übergreifende BAG führe zudem eine weitere Nebenbetriebsstätte in T1, D1-straße, an der Z1 als Augenärztin angestellt sei. Damit verliere nach Auffassung des ZA die Wartelisteneintragung der G1 an Bedeutung, da sie bereits im Planungsbereich vertragsärztlich tätig sei und beruflich sich nicht neu orientieren wolle, sondern weiterhin als angestellte Ärztin in dem MVZ der Klägerin tätig werden wolle, deren Gründerin E2 sei, die an der Nebenbetriebsstätte der KV-übergreifenden BAG in R1 mit einem hälftigen Versorgungsauftrag zugelassen sei und derzeit als Mitgesellschafterin der BAG die Arbeitgeberin von G1 sei. Der Beigeladene zu 8) beabsichtige dagegen, aus einem Angestelltenverhältnis in einem MVZ in F1 in eine freiberufliche Tätigkeit als Vertragsarzt zu wechseln, weshalb seinem Wartelisteneintrag eine größere Bedeutung und Aussagekraft beizumessen sei. Auch sehe der ZA die von der Rechtsprechung geforderte Kontinuität bei der Praxisfortführung im Sinne einer kontinuierlichen Patientenversorgung primär in der Zulassung eines Vertragsarztes als bei den im MVZ angestellten Ärzten, da die MVZ einem ständigen Wechsel der angestellten Ärzte unterlägen. Zudem seien MVZ nach § 103 Abs. 4c Satz 3 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) nur dann als gleichrangig einzustufen, wenn die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte bei den Ärzten läge, die in dem MVZ tätig seien. Zwar hätte die Klägerin mit E2 eine zugelassene Vertragsärztin als alleinige Gesellschafterin, diese sei jedoch in keinem der zugelassenen MVZ der Klägerin, die mittlerweile mindestens 27 zugelassene MVZ gegründet habe, tätig, sondern befinde sich derzeit in einer KV-übergreifenden BAG mit jeweils hälftigem Versorgungsauftrag in R1 und H1. Unter Berücksichtigung aller Auswahlkriterien sei daher der Beigeladene zu 8) als Nachfolger auszuwählen und zuzulassen.

Gegen diesen Bescheid legte die Klägerin am 16.05.2022 Widerspruch ein. Zur Begründung führte sie aus, die Beurteilung der Wartelisteneintragung durch den ZA sei rechtswidrig, weil der ZA einen Nachrang von MVZ-Bewerbungen gegenüber einer Bewerbung eines zuzulassenden Arztes vorgenommen habe. Für die Schlechterstellung von MVZ und angestellten Ärzten gegenüber freiberuflich tätigen Ärzten gebe es keine Rechtsgrundlage und sie stelle einen Verstoß gegen Art. 12 Grundgesetz (GG) dar. Der vom ZA zur Differenzierung herangezogene Aspekt der Kontinuität bei der Praxisfortführung entbehre jeglicher gesetzlichen Grundlage und hätte daher für die Differenzierung nicht herangezogen werden dürfen. Schließlich sei § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V unzutreffend ausgelegt worden. Die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte der Klägerin lägen bei der Ärztin E2. Der Beigeladene zu 8) führte aus, der Beschluss habe die Klägerin gemäß § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V zutreffend nachrangig berücksichtigt. E2 sei zwar als Ärztin Gesellschafterin der Klägerin, nicht jedoch als Vertragsärztin praktisch im Medizentrum E2 T1 II MVZ tätig. Daher greife der gesetzlich angeordnete Nachrang der Bewerbung. Den zu berücksichtigende Aspekt der Versorgungskontinuität erfülle alleine er.

Mit Beschluss vom 06.12.2022 (Bescheid vom 13.03.2023) wies der Beklagte den Widerspruch zurück und ordnete die sofortige Vollziehung an. Bei den Anträgen der Klägerin sei im Vergleich zum Verfahrensbeteiligten grundsätzlich auf die jeweilige persönliche Qualifikation abzustellen, d.h. es komme bei einem MVZ auf die zur Anstellung vorgesehenen Personen und nicht auf das MVZ als Ganzes an.
Bei einer Bewerbung mit mehreren anzustellenden Ärzten sei auf den mit jeweils der niedrigsten Qualifikation der Mehrfachbewerbung abzustellen. Nur eine solche Gesamtbetrachtung der Bewerbung eines MVZ mit mehreren einzelnen Bewerbern werde den Anforderungen des Auswahlverfahrens mit dem vorgegebenen Kriterium gerecht, dass die Behandlungsqualität der fortgesetzten Praxis insgesamt von beiden tätigen Ärzten abhänge. Bei der Beurteilung der Wartezeit ergebe sich im Rahmen der Gesamtbetrachtung ein geringfügiger Vorteil des Beigeladenen zu 8), da eine Wartezeit bei der Klägerin aufgrund der fehlenden Eintragung von Z1 nicht gegeben sei. Entscheidend sei jedoch, dass § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V einen Nachrang eines MVZ anordne, bei dem die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte nicht bei Ärzten liege, die in dem MVZ als Vertragsärzte tätig seien. Zwar würden die Geschäftsanteile und die Stimmrechte von E2 gehalten. Sie sei jedoch nicht in dem mit den beantragten Anstellungen zu gründenden MVZ als Vertragsärztin konkret ärztlich tätig. Die Tätigkeit in der Trägergesellschaft reiche nicht aus. Voraussetzung sei eindeutig die tatsächliche Tätigkeit am Vertragsarztsitz des die Leistung tragenden MVZs. Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit der Nachrangregelung bestünden nicht.

Am 24.03.2023 hat die Klägerin Klage zum Sozialgericht Reutlingen (SG) erhoben. Zur Begründung hat sie ausgeführt, mit der Nachrangregelung habe der Gesetzgeber der wachsenden Ausbreitung kapitalgesteuerter, nichtärztlicher MVZ-Betreiber in überversorgten Gebieten entgegenwirken wollen. Dass die Inhaber-Ärzte am Standort des Abgeber-Arztes persönlich tätig werden sollten, sei nach der Intention des Gesetzgebers nicht notwendig, sondern nur, dass die Inhaber-Ärzte in der Struktur der MVZ tätig seien.
Eine Schlechterstellung ärztlicher MVZ-Strukturen gegenüber ärztlichen Strukturen, die überörtliche BAGen nicht im Zulassungsstatus eines MVZ betrieben, wäre ein Verstoß gegen Art. 3 GG. Hätte der Gesetzgeber einen allgemeinen Nachrang für ambulante Strukturen, bei welchen nicht die Mehrheit der Inhaber am streitigen Standort persönlich tätig sei, schaffen wollen, hätte er § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V nicht nur auf MVZ-Strukturen beziehen können und dürfen, sondern eine allgemeine Regelung für alle Arztstrukturen schaffen müssen. Zudem habe der Beklagte fälschlich bei der Bewerbung der Klägerin ausschließlich die Qualifikationsmerkmale der Bewerberin mit der niedrigsten Qualifikation gewertet, wofür es keine gesetzliche Grundlage gebe.

Der Beklagte ist der Klage entgegengetreten. Er hat daran festgehalten, dass die Nachrangregelung einschlägig sei, wenn zwar Vertragsärzte, die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte hielten, nicht aber am konkreten Sitz des MVZ tätig seien.

Mit Beschluss vom 19.04.2023 hat das SG die KV, die AOK B1, den BKK S1, die IKK C1, die Sozialversicherung für Landwirtschaft, Forsten und Gartenbau, den Verband der Ersatzkassen e.V., die Deutsche Rentenversicherung Knappschaft-Bahn-See, Ö2 und N2 zum Verfahren beigeladen.

Der Beigeladene zu 8) hat sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vorgetragen, die Klägerin habe eine Vielzahl von MVZ an zahlreichen Standorten mit insgesamt 118 angestellten Ärzten gegründet.
Eine solche Konstellation stehe dem von der Nachrangregelung in § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V verfolgten Ziel einer Stärkung freiberuflicher Leistungserbringen diametral entgegen.

Mit Urteil vom 08.05.2024 hat das SG die Klage abgewiesen. Zu Begründung hat es ausgeführt, der Beschluss/Bescheid des Beklagten vom 06.12.2022/13.03.2023 sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten. Sie habe keinen Anspruch auf eine erneute Entscheidung des Beklagten über ihren Antrag auf Auswahl und Zulassung des Medizentrum E2 T1 2 MVZ zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zum Zwecke der Fortführung der vertragsärztlichen Praxis von N1 unter Genehmigung der Anstellungen von G1 und Z1. Es lägen keine Ermessensfehler des Beklagten zulasten der Klägerin vor. Der Beklagte habe seine Entscheidung zum einen mit einem geringfügigen Vorteil zugunsten des Beigeladenen zu 8) bei der Beurteilung der Wartezeit gemäß § 103 Abs. 5 Satz 3 SGB V, zum anderen mit der Vorgabe des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V, der sich ebenfalls zugunsten des Beigeladenen zu 8) auswirke, begründet. Dem Kriterium der Dauer der Eintragung in die Warteliste bei Auswahlentscheidungen komme im Rahmen der zu treffenden Ermessensabwägung nur geringere Bedeutung zu, die regelmäßig hinter anderen Kriterien zurücktrete und somit nachrangig sei, auch wenn es nicht völlig unberücksichtigt bleiben könne. Hierbei teile die Kammer nach eigener Überprüfung die Auffassung des Beklagten, dass bei diesem Kriterium der Beigeladene zu 8) einen geringfügigen Vorsprung habe. Während G1 seit 20.10.2004 und der Beigeladene zu 8) seit 16.03.2018 in die Warteliste eingetragen seien, fehle, aus welchen Gründen auch immer, unstreitig ein entsprechender Eintrag bei Z1. Bei der nach § 103 Abs. 4 SGB V zu treffenden Auswahlentscheidung handele es sich um eine personengebundene Auswahlentscheidung, wobei die in § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V genannten Kriterien für jeden einzelnen Bewerber separat zu prüfen seien. Betreffe – wie vorliegend – die Bewerbung zwei jeweils in einem Umfang von 20 Wochenstunden im Medizentrum E2, T1 2 MVZ tätig werdende, angestellte Ärztinnen sei bei Prüfung der in § 103 Abs. 4 Satz 5 SGB V genannten Kriterien jeweils die Bewerberin maßgebend, die die dort genannten Kriterien „am wenigsten“ erfülle. In diesem Zusammenhang weise der Beklagte zutreffend darauf hin, dass G1 und Z1 in Fortführung der Praxis des N1 dort gleichberechtigt, gleichgestellt und uneingeschränkt ohne weitere Auswahl und Kontrolle vertragsärztlich tätig werden würden. Nicht zuletzt zur Sicherstellung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung sei daher bei der Auswahlentscheidung auf die Bewerberin abzustellen, die das jeweilige Kriterium „am wenigsten“ erfülle. Maßgebend im Vergleich zum Beigeladenen zu 8) sei hinsichtlich des Kriteriums der Dauer der Eintragung die Warteliste damit allein Z1, bei der – wie dargestellt – eine entsprechende Eintragung fehle. Trotz der längeren Dauer der Eintragung in die Warteliste von G1 gegenüber dem Beigeladenen zu 8) komme ihm hinsichtlich dieses Kriteriums ein Vorsprung, möglicherweise auch nur geringfügig, zu. Soweit der Beklagte auch aus der Regelung in § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V einen Vorsprung des Beigeladenen zu 8) gegenüber der Klägerin sehe, sei dies nach Überzeugung der Kammer ebenfalls nicht zu beanstanden. Mangels der hier nicht einschlägigen Ausnahmeregelung des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V gelte Abs. 4 mit der Maßgabe, dass bei der Auswahl des Praxisnachfolgers ein MVZ, bei dem die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte nicht bei Ärzten liege, die in dem MVZ als Vertragsärzte tätig seien, gegenüber den übrigen Bewerbern nachrangig zu berücksichtigen sei. § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V sei im Rahmen des Gesetzes zur Verbesserung der Versorgungsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Versorgungsstrukturgesetz - GKV-VStG) vom 22.12.2011 (BGBl. I 2983) mit Wirkung zum 01.01.2012 in Kraft getreten. Die gewählte Nachrangregelung des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V von bestimmten MVZ sei darauf zurückzuführen, dass sich die praktische Umsetzung der ursprünglich geplanten Vorkaufsregelungen als zu aufwändig und zeitintensiv dargestellt habe und der Gesetzgeber die Gefahr gesehen habe, dass am Ende eines langen Verfahrens keine fortführungsfähige Praxis mehr existiere. Dementsprechend habe der Nachrang der MVZ „bereits bei der Auswahlentscheidung des Zulassungsausschusses um die Praxisnachfolge nach [§ 103] Absatz 4 [SGB V] berücksichtigt werden" sollen. Allerdings bleibe es dabei, dass der Nachrang nur die MVZ betreffe, die sich nicht mehrheitlich in der Hand der dort tätigen Vertragsärztinnen und Vertragsärzte befänden und die auch nicht unter die Regelung zum Bestandsschutz (§ 103 Abs. 4c Satz 4 SGB V) fielen (unter Verweis auf die Beschlussempfehlung und den Bericht des Ausschusses für Gesundheit, BT-Drucks. 17/8005, Seite 114). Der insoweit eindeutige Wortlaut des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V zeige, dass die Nachrangigkeit eines MVZ gegenüber einem anderen Bewerber dann greife, wenn zum einen die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte nicht bei einem Arzt lägen, zum anderen, wenn dieser in dem MVZ nicht als Vertragsarzt tätig sei. Entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung sei somit nicht allein die Kapitalsituation maßgebend, sondern zusätzlich auch noch, ob der Arzt, bei dem die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte liege, in dem sich um die Praxisfortführung bewerbenden MVZ als Vertragsarzt tätig sei. Diese Voraussetzung liege hier nicht vor. Die E1 sei zwar alleinige Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Klägerin als Trägergesellschaft, deren Aufgabe laut Handelsregisterauszug die Gründung und der Betrieb von MVZ sei. Als Vertragsärztin sei E2 ausweislich der Homepage der Medizentrum E2 (www.augenzentrum-E4.de) jedoch nur in den MVZ an den Standorten H1, R1 und S2, nicht aber am MVZ T1 tätig, das sich um die Fortführung der Praxis des verstorbenen N1 beworben habe. Dass E2 in der Klägerin als Trägergesellschaft tätig sei, sei ohne Relevanz, da die Klägerin selbst kein MVZ im Sinne des § 95 SGB V darstelle. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V müsste sie in dem sich um die Praxisfortführung bewerbenden MVZ T1 tätig sein, was nicht der Fall sei. Ob sie dies in Zukunft täte, sei angesichts des eindeutigen Wortlautes „tätig sind“ ohne Bedeutung. Mit diesem weiteren Kriterium einer vertragsärztlichen Tätigkeit in dem sich bewerbenden MVZ habe der Gesetzgeber nochmals den im Gesetzgebungsverfahren deutlich gewordenen Sinn und Zweck dieser Regelung, nämlich die Freiberuflichkeit der ärztlichen Tätigkeit zu schützen und zu verhindern, dass im Nachbesetzungsverfahren Vertragsärztinnen und Vertragsärzte durch MVZ verdrängt würden, nachdrücklich verdeutlicht. Zudem sei dieses Kriterium einer vertragsärztlichen Tätigkeit im MVZ bereits in dem Entwurf des § 103 Abs. 4d SGB V ausweislich der BT-Drucks. 17/6906, Seite 23 enthalten gewesen und sei auch in der endgültigen Gesetzesfassung, der Beschlussempfehlung und dem Bericht des Ausschusses für Gesundheit (BT-Drucks. 17/8005) folgend, unverändert übernommen worden. Wäre nach Auffassung des Gesetzgebers eine Tätigkeit des Arztes, bei dem die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte liege, in einem MVZ nicht erforderlich, so hätte es des in den Gesetzentwürfen stets vorhandenen Relativsatzes nicht bedurft. Davon könne von Sinn und Zweck der Regelung des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V und aufgrund der gesamten Entstehungsgeschichte dieser Regelung nicht ausgegangen werden. Zudem stehe die im Relativsatz des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V enthaltene Regelung im Einklang mit § 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V. Darin würden MVZ als ärztlich geleitete Einrichtungen definiert, in denen Ärzte, die in das Arztregister eingetragen seien, als angestellte Vertragsärzte tätig seien. Auch diese für MVZ maßgebende Regelung stelle somit darauf ab, dass dort tatsächlich eine vertragsärztliche Tätigkeit ausgeübt werde.

Die Klägerin hat gegen das ihrem Bevollmächtigten am 21.05.2024 zugestellte Urteil am 10.06.2024 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Sie hat im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag wiederholt und vertieft. Die getroffene Auswahlentscheidung sei ermessensfehlerhaft. Die Eintragung des Beigeladenen zu 8) in die Warteliste könne nicht höher gewertet werden als die jahrzehntelange Tätigkeit von Z1 als Vertragsärztin. Ein zur vertragsärztlichen Versorgung zugelassener Arzt könne nicht parallel zu seiner vertragsärztlichen Tätigkeit in der Warteliste eingetragen sein. Dass dennoch für die Versorgung der gesetzlich versicherten Patientinnen und Patienten die Auswahl eines Wartelisten-Arztes besser sein solle, als die Fortsetzung der Tätigkeit einer jahrzehntelang erfahrenen Vertragsärztin, könne nicht hingenommen werden und sei zu korrigieren. Das Nachrangkriterium nach § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V sei vorliegend nicht einschlägig, da die alleinige Gesellschafterin der Klägerin E2 als Vertragsärztin tätig sei bzw. dürfe keine Anwendung finden, weil damit eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung und ein Eingriff in die Berufsausübungsfreiheit der Klägerin vorliege.

Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Sozialgerichts Reutlingen vom 08.05.2024 aufzuheben und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheids vom 13.03.2023 zu verpflichten, den Widerspruch der Klägerin gegen den Beschluss des Zulassungsausschusses vom 29.03.2022 (Bescheid vom 14.04.2022) unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden,

hilfsweise die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er hält die angegriffene Entscheidung des SG und seinen Beschluss für zutreffend.

Der Beigeladene zu 8) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Bei einer einheitlichen Bewerbung eines Arztes/eines MVZ auf eine Nachfolgezulassung mit mehreren anzustellenden Ärzten müsse auf den eignungsmäßig schwächeren Leistungserbringer abgestellt werden.
Eine Kompensation des fehlenden Wartelisteneintrages durch eine jahrzehntelange Vertragsarzttätigkeit, wie von der Klägerin vorgeschlagen, wäre widersinnig und systemfremd, da die Dauer der ärztlichen Tätigkeit bereits als Auswahlkriterium berücksichtigt werde.

Die Beigeladene zu 9) beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Die übrigen Beigeladenen haben sich zur Sache nicht geäußert und keine Anträge gestellt.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogene Verwaltungsakte des Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

I. Der Senat entscheidet in der Besetzung mit ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der Krankenkassen und der Vertragsärzte, da es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 1 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

II. Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung der Klägerin ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Streitgegenstand ist allein der Bescheid des Beklagten vom 13.03.2023 (st. Rspr., z.B. BSG, Urteil vom 16.05.2018 - B 6 KA 1/17 R -, in juris). Die Berufung ist aber nicht begründet. Die hiergegen gerichtete Klage ist zwar zulässig; die Klägerin kann sich als Rechtsträgerin des Mitbewerbers im Wege der offensiven Konkurrentenklage gegen die Auswahlentscheidung zur Wehr setzen (vgl. z.B. BSG, Urteil vom 20.03.2013 - B 6 KA 19/12 R -, in juris). Die Klage ist jedoch unbegründet. Der Bescheid des Beklagten vom 13.03.2023 (Beschluss vom 06.12.2022) ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Das Urteil des SG ist nicht zu beanstanden.

Maßgeblich ist im Rahmen der offensiven Konkurrentenklage der Zeitpunkt der letzten Verwaltungsentscheidung, wenn zu diesem Zeitpunkt die Sach- oder Rechtslage günstiger für den die Zulassung begünstigten Dritten (hier den Beigeladenen zu 8) ist (vgl. BSG, Urteil vom 11.12.2013 - B 6 KA 49/12 R -, in juris Rn. 30).

Der ZA hat gem. § 103 Abs. 3a SGB V am 16.11.2021 entschieden, dass ein Nachbesetzungsverfahren für den Vertragsarztsitz des N1 durchzuführen war. Nach § 103 Abs. 4 Satz 4 SGB V hat der ZA unter mehreren Bewerbern, die die ausgeschriebene Praxis als Nachfolger des bisherigen Vertragsarztes fortführen wollen, den Nachfolger nach pflichtgemäßem Ermessen unter Berücksichtigung der in Satz 5 genannten Kriterien auszuwählen. Bewirbt sich ein MVZ um die Nachfolge, gilt Abs. 4 mit der Maßgabe, dass bei der Auswahl des Praxisnachfolgers ein MVZ, bei dem die Mehrheit der Geschäftsanteile und der Stimmrechte nicht bei Ärzten liegt, die in dem medizinischen Versorgungszentrum als Vertragsärzte tätig sind, gegenüber den übrigen Bewerbern nachrangig zu berücksichtigen ist (§ 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V).

Unter Anwendung dieser Rechtsgrundlagen hat der Beklagte das ihm zustehende Ermessen bei der Auswahl des Beigeladenen zu 8) zutreffend ausgeübt. Der Senat macht sich diesbezüglich die zutreffenden Gründe des angefochtenen Urteils zu eigen und sieht von einer weiteren eingehenden Darstellung der Entscheidungsgründe ab, weil er die Berufung aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung als unbegründet zurückweist (§ 153 Abs. 2 SGG).

Das Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren führt zu keinem anderen Ergebnis. Der Beklagte hat zutreffend bei der Berücksichtigung des Kriteriums „Eintragung in die Warteliste“ nach § 103 Abs. 5 Satz 3 SGB V die fehlende Eintragung von Z1 geringer als die Eintragung des Beigeladenen zu 8) berücksichtigt. Bei der Bewerbung eines MVZ kommt es bezüglich der persönlichen Auswahlkriterien auf die Person des anzustellenden Arztes an (Pawlita in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 5. Aufl., § 103 SGB V, Rn. 291, Stand: 03.04.2025). Daraus folgt, dass bei einer Bewerbung eines MVZ, welches den Vertragsarztsitz mit mehreren angestellten Ärzten besetzen will, die Auswahlkriterien bei sämtlichen dieser Ärzte vorliegen müssen, um berücksichtigt werden zu können. Ansonsten träte der Fall ein, dass bei einem Kandidaten ein Kriterium positiv berücksichtigt würde, obwohl es bei ihm gar nicht vorliegt. Dass eine Eintragung von Z1 im Gegensatz zu G1 in die Warteliste – jedenfalls für die Zeit nach ihrem Verzicht auf ihre Zulassung zum 31.07.2017 – nicht möglich gewesen sein soll, hat die Klägerin nicht belegt und ist für den Senat auch nicht nachvollziehbar. Die Dauer der Tätigkeit von Z1 als Vertragsärztin ist im Rahmen des Kriteriums der Dauer des Wartelisteneintrages nicht zu berücksichtigen, da dieses schon als Einzelkriterium nach Nr. 3 mit der Dauer der ärztlichen Tätigkeit berücksichtigt wird.

Zudem greift, wie das SG zutreffend dargelegt hat, die Nachrangregelung des § 103 Abs. 4c Satz 3 SGB V. Danach kann einem MVZ, bei dem die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und Stimmrechte nicht bei Ärzten liegt, die in dem MVZ als Vertragsärzte tätig sind, der Zuschlag für einen ausgeschriebenen Vertragsarztsitz nur dann erteilt werden, wenn sich hierauf keine anderen geeigneten Bewerber – also weder ein nicht nachrangiges MVZ noch ein Vertragsarzt – bewerben; das Auswahlermessen der Zulassungsgremien ist insoweit eingeschränkt (BSG, Urteil vom 25.10.2023 - B 6 KA 26/22 R -, juris Rn. 18). Für das Greifen der Nachrangregelung ist nach dem insoweit eindeutigen Gesetzeswortlaut Voraussetzung, dass die Mehrheit der Gesellschaftsanteile und Stimmrechte nicht bei Ärzten liegt, die in dem MVZ als Vertragsärzte tätig sind. Bezogen auf das geplante Medizentrum E2 T1 2 MVZ gilt, dass zwar E2 Alleingesellschafterin der Klägerin und damit der Trägerin dieses MVZ ist. Sie soll jedoch nicht in diesem MVZ als Vertragsärztin tätig werden und ist auch in den bereits bestehenden Standorten des gesamten „Augenzentrum E2“ ausweislich der Homepage (www.augenzentrum-E4.de) nur an den Standorten H1, K1, N3, R2/W1 II, R1 und S2 im Einsatz. Dass E2 eventuell im Wege der Vertretung auch im MVZ in T1 tätig sein könnte, ist ohne Belang. Es kommt insoweit auf die statusrechtliche Einbindung des Arztes im Bewerber-MVZ an (§ 95 Abs. 1 Satz 2 SGB V). E2 strebt keine Zulassung als Vertragsärztin im geplanten MVZ an und war im Übrigen im hier maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidung des Beklagten auch in keinem anderen MVZ der Klägerin als Vertragsärztin zugelassen. Sie befand sich statusrechtlich in der KV-übergreifenden BAG „E2 und Kollegen“ mit Betriebsstätte in S3 und war in R1 sowie H1 jeweils mit hälftigem Versorgungsauftrag zugelassen. Die bloße Eigenschaft der E2 als Gesellschafterin und Geschäftsführerin der Trägergesellschaft genügt nach dem klaren Wortlaut sowie Sinn und Zweck der Norm nicht. 

Der Senat schließt sich der Auffassung des SG an, dass der Gesetzgeber mit dieser Formulierung die Freiberuflichkeit der ärztlichen Tätigkeit schützen und verhindern wollte, dass im Nachbesetzungsverfahren Vertragsärztinnen und Vertragsärzte durch MVZ verdrängt würden. Wäre nach Auffassung des Gesetzgebers eine Tätigkeit des Arztes, bei dem die Mehrheit der Geschäftsanteile und Stimmrechte liegt, in einem MVZ nicht erforderlich, so hätte es des in den Gesetzentwürfen (vgl. BR-Drucks. 456/11 S. 114, BT-Drucks. 17/6906 S. 77) stets vorhandenen Relativsatzes „die in dem MVZ als Vertragsärzte tätig sind“ nicht bedurft. In der Beschlussempfehlung vom 30.11.2011 heißt es ebenfalls:
„Es bleibt dabei, dass der Nachrang nur die medizinischen Versorgungszentren betrifft, die sich nicht mehrheitlich in der Hand der dort tätigen Vertragsärztinnen und Vertragsärzte befinden“ (BT-Drucks. 17/8005 S. 114). Der Gesetzgeber hat auch in späteren Änderungen des § 103 SGB V keine Korrektur dieser Formulierung vorgenommen, so dass davon ausgegangen werden kann, dass dies kein gesetzgeberisches Versehen war, sondern ausdrücklich nur dann nicht die Gefahr der Verdrängung von freiberuflichen Ärzten durch ein MVZ gesehen wurde, wenn dieses MVZ mehrheitlich in der Hand der dort tätigen Ärzte ist.

Dies wird im vorliegenden Fall unterstrichen durch die deutliche Ausdehnung der Klägerin in kurzer Zeit mit mittlerweile über 70 Standorten, an denen sämtliche an den MVZ tätigen Vertragsärzte mit Ausnahme der Geschäftsführerin und Alleingesellschafterin E2 keinen Einfluss auf die Geschäftsführung nehmen können. Dadurch kommt es hier gerade nicht zu dem Fall, dass Vertragsärzte ihre Tätigkeit in Form eines MVZ ausüben, jedoch weiterhin maßgeblich selbst Einfluss auf die Geschicke des MVZ, für das sie tätig sind, haben können.

§ 103 Abs. 4c SGB V ist auch nicht verfassungswidrig (vgl. BayLSG, Urteil vom 14.09.2022 – L 12 KA 35/21 -; inzident BSG, Urteil vom 15.05.2019 - B 6 KA 5/18 R -; SG München, Urteil vom 27.07.2020 - S 28 KA 438/19 -; alle in juris). Die Regelung dient dem Schutz der Freiberuflichkeit der ärztlichen Tätigkeit, welche durch ein hohes Maß an eigener Verantwortlichkeit und eigenem wirtschaftlichen Risiko gekennzeichnet ist. Die vom Deutschen Anwaltsverein in seiner Stellungnahme vom 07.07.2011 geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken, dass angesichts der geringen Zahl der MVZ (damals weniger als 1.000) ein Schutz der freiberuflichen Ärzte nicht zu rechtfertigen sei, da die Gefahr der Verdrängung gering erscheine, tragen angesichts der stetig steigenden Zulassungszahlen der MVZ (4.897 zum Stichtag 31.12.2023 nach der Statistischen Information der Kassenärztlichen Bundesvereinigung) nicht. Vielmehr hat sich die Zahl der MVZ seit Inkrafttreten der Norm verfünffacht.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. §§ 154 Abs. 1, 162 Abs. 3 Verwaltungsgerichtsordnung. Da der Beigeladene zu 8) und die Beigeladene zu 9) einen Sachantrag gestellt haben, waren der Klägerin auch ihre Kosten aufzuerlegen.
Es entspricht jedoch nicht der Billigkeit, der Klägerin die außergerichtlichen Kosten der weiteren Beigeladenen aufzuerlegen, da diese keine Sachanträge gestellt und damit ein Prozessrisiko nicht übernommen haben.

IV. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 197a Abs. 1 S. 1 Hs. 1 SGG i.V.m. §§ 63 Abs. 2 Satz 1, 52, 47 Gerichtskostengesetz (GKG).
Die Klägerin begehrt die Zulassung zur vertragsärztlichen Versorgung. Nach den erstinstanzlichen Angaben der Beigeladenen zu 1) betrug das Honorar eines konservativ tätigen Facharztes für Augenheilkunde nach Abzug des Betriebskostenanteils für die Quartale 2/22 bis 4/23 insgesamt 207.494,00 €, somit je Quartal durchschnittlich 29.642,00 €. Da die Einzelpraxis des N1 längere Zeit nicht mehr betrieben wurde, kam es zu einem Verlust des bisherigen Patientenstammes. Bei Fortführung der längere Zeit nicht mehr betriebenen Praxis musste der Nachfolger daher zunächst von Quartal zu Quartal einen Patientenstamm aufbauen, sodass nicht von Beginn an der durchschnittliche Gewinn eines konservativ tätigen Facharztes für Augenheilkunde erzielt werden konnte. Der Senat erachtet es daher für sachgerecht und angemessen, über den gesamten in vertragsärztlichen Zulassungsstreitverfahren maßgebenden Dreijahreszeitraum von diesem durchschnittlichen Gewinn i.H.v. 29.642,00 € je Quartal einen Abzug i.H.v. 30 v.H. vorzunehmen, sodass sich hieraus ein durchschnittliches Quartalshonorar von 20.749,40 €, gerundet 20.000,00 € ergibt. Für den Dreijahreszeitraum ergibt sich somit ein voraussichtlich zu erzielender Gewinn i.H.v. rund 240.000,00 €.

V. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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