L 5 KA 2276/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Vertragsarztangelegenheiten
Abteilung
5.
1. Instanz
SG Stuttgart (BWB)
Aktenzeichen
S 24 KA 2876/20
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 5 KA 2276/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zum Nachweis der Erfüllung einer GOP des EBM müssen die obligaten Leistungsinhalte vollständig dokumentiert sein. Die Bezugnahme auf Diagnosen ist nicht ausreichend. Eine durchgeführte Plausibilitätsprüfung begründet keinen Vertrauensschutz dahingehend, dass die zum damaligen Zeitpunkt durchgeführte Dokumentation auch in Zukunft als ausreichend angesehen wird, insbesondere, wenn die Dokumentation nicht Gegenstand der Plausibilitätsprüfung war.

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 17.06.2024 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt auch die Kosten des Berufungsverfahrens.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird endgültig auf 149.263,83 € festgesetzt.

 


Tatbestand

Streitig ist die Rechtmäßigkeit einer sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarabrechnungen des Klägers für die Quartale 3/2014 bis 4/2015 mit einer Honorarrückforderung in Höhe von 149.263,83 €.

Der Kläger ist seit 01.10.2002 als Facharzt für Orthopädie zur vertragsärztlichen Versorgung in V1 zugelassen und im Rahmen einer Praxisgemeinschaft tätig.

Mit Schreiben vom 03.07.2007 beantragte er bei der Beklagten aufgrund der von ihm durchgeführten Akupunkturleistungen die Erhöhung seines Zeitlimits von 780 Stunden pro Quartal auf 950 Stunden pro Quartal. Mit Schreiben vom 01.08.2007 teilte die Beklagte mit, dass die entsprechende Bundesrichtlinie einer Erhöhung der Aufgreifgrenzen durch die Länder entgegenstehe. Mit Schreiben vom 26.09.2008 bat die Beklagte im Rahmen einer Plausibilitätsprüfung für die Quartale 1/2006 bis 2/2007 um eine Stellungnahme, da der Kläger die Quartals- und Tagesarbeitszeiten überschritten habe. Nach einer Stellungnahme des Klägers vom 07.10.2008 teilte die Beklagte mit Schreiben vom 07.11.2008 mit, dass nach Erörterung der Auffälligkeiten bei den Tages- und Quartalszeiten in Verbindung mit den Dokumentationen, der Stellungnahme vom 07.10.2018 und den weiteren Abrechnungsdaten durch den Plausibilitätsausschuss die Abrechnung im Hinblick auf die Arbeitszeiten des Klägers unter Berücksichtigung seiner Argumente nun als plausibel angesehen werde.

Mit Schreiben vom 23.05.2011 bat die Beklagte im Rahmen einer Qualitätssicherungsprüfung im Bereich Akupunktur um die Zusendung der entsprechenden vollständigen Dokumentation der Akupunkturbehandlung, namentlich die Dokumentation des Therapieplans sowie die Eingangs- und Verlaufserhebung nach § 5 Abs. 1 Nrn. 3 bis 5 sowie die Begründung der Ausnahmefälle nach § 5 Abs. 3 oder 4 entweder in Form des Schmerzfragebogens nach Gerbershagen oder einer patientenkrankheitsbezogenen Begründung in eigenen Worten. Mit Bescheid vom 07.11.2011 teilte die Beklagte mit, dass nach Überprüfung der eingereichten Dokumente die Qualitätsprüfung der Dokumentation einer Akupunkturbehandlung bestanden sei.

Mit Honorarbescheiden vom 15.01.2015 (Quartal 3/2014), 15.04.2015 (Quartal 4/2014), 15.07.2015 (Quartal 1/2015), 15.10.2015 (Quartal 2/2015), 15.01.2016 (Quartal 3/2015) und 15.04.2016 (Quartal 4/2015) wurden dem Kläger u.a. die Gebührenordnungspositionen (GOP) der Chirotherapie (GOP 30200 und GOP 30201), der Akupunktur (GOP 30791), der Punktion (GOP 02341) und der Analgesie (GOP 30724 und GOP 30731) des Einheitlichen Bewertungsmaßstabes <EBM> vergütet.

Mit Schreiben vom 14.06.2017 bat der Plausibilitätsausschuss der Beklagten den Kläger um Stellungnahme, da die Auswertung seiner Zeitprofile in den Quartalen 3/2013 bis 4/2015 Überschreitungen bei den Quartals- und Tageszeiten hauptsächlich zu Lasten der Grundpauschale (GOP 18210 und GOP 18211 des EBM), der Chirotherapie (GOP 30200 und GOP 30201), der Akupunktur (GOP 30790 und GOP 30791) und der Punktion (GOP 02341) ergeben habe. Beigefügt war eine Liste mit beanstandeten Patienten. Der Kläger nahm mit Schreiben vom 28.06.2017 zu den einzeln genannten Patienten unter Vorlage der angeforderten Patientendokumentation Stellung. Die Zeitüberschreitungen kämen durch die fiktiven Zeitvorgaben der Abrechnungsziffern, die unrealistisch seien, zustande.

Mit Bescheid vom 16.10.2018 hob die Beklagte die Honorarbescheide für die Quartale 3/2014 bis 4/2015 auf und teilte mit, die Neufestsetzung des Honorars erfolge ggf. nach Feststellung eines entstandenen Schadens. Zur Begründung führte sie aus, der Kläger habe die Aufgreifzeiten der Tages- bzw. Quartalsprofilzeiten in den Quartalen 3/2014 bis 4/2015 überschritten. Die Überschreitungen der Quartalszeiten seien auf die Grundpauschalen (GOP 18210 EBM und GOP 18211 EBM) zurückzuführen. Die Überschreitung der Tagesprofile sei hauptsächlich durch die Chirotherapien (GOP 30200 EBM und GOP 30201 EBM) und die Akupunktur (GOP 30791 EBM) verursacht worden. Die Akupunkturleistungen seien unter Angabe 1. Aku, 2. Aku 3. Aku etc. und der Angabe GOP 30791 EBM und dem entsprechenden ICD-Code in der Kartei dokumentiert worden. Es fehlten Befunderhebungen und ab dem 11. Ansatz eine Begründung, weshalb weitere 5 Akupunkturen durchgeführt worden seien. Die Dokumentation der Chirotherapie sei ausschließlich anhand der Nennung der GOP und der Angabe des ICD-Codes erfolgt. Die obligate Dokumentation der Funktionsanalyse fehle. Bei den Punktionsleistungen sei ebenfalls lediglich die GOP angegeben worden, häufig unter Angabe von Triam oder Hyaluronsäurespritzen, so dass davon ausgegangen werden müsse, dass lnfiltrationsbehandlungen durchgeführt worden seien und keine Punktionen. Bei der GOP 30724 EBM und der GOP 30731 EBM (Analgesie) sei das erforderliche EKG-Monitoring, kontinuierliche Pulsoxymetrie, Überwachung 2 Stunden nicht dokumentiert, sondern lediglich der Eintrag der GOP erfolgt. Die Durchsicht der Behandlungsdokumentation zeige eine minimalistische Dokumentation der Patientenbehandlung. Es würden hauptsächlich die abgerechneten Leistungen und Diagnosen angegeben. Es fehle grundsätzlich die Befunderhebungen sowie Angaben über die ärztlichen Behandlungsmaßnahmen.

Gegen diesen Bescheid legte der Kläger mit Schreiben vom 11.11.2018 am 15.11.2018 Widerspruch ein und machte geltend, das Aufgreifkriterium Zeit stelle bei der Plausibilitätsprüfung kein geeignetes Mittel zur Prüfung dar, da nur die über die Kassenärztliche Vereinigung abgerechneten Patienten in das Zeitprofil eingingen und ab einer bestimmten Patientenzahl das Zeitprofil von jedem Arzt überschritten werde. Seine Abrechnungen seien mit konkreten Abrechnungsziffern erstellt worden, während die Honorarbescheide der Beklagten nur pauschalisiert erfolgten und daher nicht nachzuvollziehen seien. Bereits mit Schreiben vom 07.11.2007 habe der Plausibilitätsausschuss das zu hohe Zeitprofil aufgrund Akupunkturleistungen für plausibel erachtet. Eine etwaige „minimalistische Dokumentation“ lasse allenfalls Rückschlüsse auf Dokumentationsfehler zu, nicht jedoch auf Abrechnungsfehler. Im Übrigen sei seine Dokumentation für einen Facharzt für Orthopädie, der wisse, welche Diagnoseverfahren durchgeführt würden, um die richtige Diagnose zu stellen, nachvollziehbar. Insgesamt sei ihm bereits durch fehlerhafte Abrechnung und Honorarkürzungen durch die Beklagte ein Schaden im sechsstelligen Bereich entstanden.

Mit Bescheid vom 06.06.2019 setzte die Beklagte die Honoraransprüche des Klägers für die Quartale 3/2014 bis 4/2015 wie folgt neu fest: Kürzung auf den Fachgruppendurchschnitt der Leistungen nach den GOPen 02341, 30200, 30201, 30724 und 30731 EBM; Kürzung der GOP 30791 EBM mit einer Quote von 7%. Es ergebe sich eine Rückforderung in Höhe von 149.263,83 €, die vom Kläger zu erstatten sei. Die entsprechenden Dokumentationen seien unvollständig und unbestimmt. Da die Garantiefunktion der Sammelabrechnungserklärungen entkräftet gewesen sei, müsse der Kläger die Ordnungsgemäßheit in jedem einzelnen Fall nachweisen. Bei der Schadensbemessung stehe den Plausibilitätsausschüssen nach ständiger Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) ein Schätzungsermessen zu. Die Kürzung auf den Prüfgruppendurchschnitt und die Ausrechnungen nach Quoten seien gängige Kürzungsmethoden bei Zeitüberschreitungen durch einzelne GOPen.
Auf generelle Kürzungen infolge der mangelhaften Dokumentationen sei verzichtet worden, da davon ausgegangen werde, dass die Leistungen ordnungsgemäß erbracht worden seien. Es seien daher Kürzungen auf den Prüfgruppendurchschnitt bzw. bei den Akupunkturen auf die pauschale Korrektur wegen fehlender Begründungen erfolgt. Hier habe sich eine durchschnittliche Fehlerquote von 7 % errechnet.

Mit Schreiben vom 30.06.2019 übersandte der Kläger zur weiteren Widerspruchsbegründung zu jeder bemängelten Abrechnungsziffer fünf beispielhafte Behandlungsfälle um zu belegen, dass er unwissentlich immer die einzelnen Ziffern pro Behandlungstag an Stelle von einer Pauschale abgerechnet habe und bat um Korrektur. Bei Abrechnung der Pauschale komme es nicht zu einer Überschreitung der Tagesarbeitszeiten. Zudem legte er fünf beispielhafte Akupunkturfälle mit 15 Behandlungen inkl. entsprechender Dokumentation vor. Bereits bei der Akupunkturprüfung am 23.05.2011 sei diese Form der Dokumentation für die Begründung der Ausnahmefälle mit 15 Behandlungen anerkannt worden.

Mit Widerspruchsbescheid vom 16.06.2020 wies die Beklagte den Widerspruch zurück. Zur Begründung wiederholte sie ihr Vorbringen aus den Bescheiden vom 16.10.2018 und 06.06.2019. Ergänzend führte sie aus, hinsichtlich der vom Kläger ausgewählten und nachträglich eingereichten Dokumentationen sei festzustellen, dass die dortigen Angaben bei allen zuvor eingereichten Dokumentationen nicht enthalten gewesen seien. Die beispielhaft vorgelegten fünf Akupunkturfälle mit 15 Behandlungen erlaubten keine abweichende Beurteilung im Hinblick auf die unzureichende Dokumentation.

Am 16.07.2020 hat der Kläger Klage zum Sozialgericht Stuttgart (SG) erhoben. Zur Begründung hat er geltend gemacht, grundsätzlich habe der Arzt die Möglichkeit nachzuweisen, dass sich das Überschreiten des Zeitprofils aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls erklären lasse. Die Beklagte habe nicht berücksichtigt, dass die Arbeitszeit der Ärzte, die Haus- oder Facharztverträge abgeschlossen hätten, nicht bei der Überprüfung des Zeitaufwandes berücksichtigt würden, er jedoch keine solchen Vertrag abgeschlossen habe, was zu einer Schlechterstellung führe. Der EBM sei nicht geeignet, die tatsächlichen Verhältnisse des tatsächlich erforderlichen Zeitaufwandes zu berücksichtigen. Im EBM 2020 seien neue Prüfzeiten festgelegt worden. Unter Zugrundelegung dieser neuen Zeiten käme es bei ihm zu keiner Überschreitung des Tagesprofils. Diese Neuregelung beweise, dass die bisherigen Maßstäbe der Plausibilitätsprüfung nicht (mehr) angemessen seien. Ein weiterer Grund für die Prüfzeitüberschreitungen seien seine hohen Patientenzahlen. Als Praxisbesonderheit müsse zudem seine hohe Zahl an Angestellten berücksichtigt werden, die delegationsfähige Leistungen übernähmen und so einen zügigen Ablauf gewährleisteten. Die durch Akupunktur verursachten Prüfzeitüberschreitungen habe die Beklagte bereits für die Quartale 1/2006 bis 2/2007 als Ursache anerkannt. Seinem Antrag auf Praxisbesonderheit im Bereich Akupunktur habe die Beklagte für die Quartale 3/2010 und 4/2010 mit Schreiben vom 23.05.2011 stattgegeben unter der Voraussetzung einer bestandenen Qualitätsprüfung im Einzelfall, die er mit Schreiben vom 07.11.2011 bestanden habe. Er habe deshalb auf eine korrekte Dokumentation seinerseits vertrauen dürfen. Der Beklagten hätten grobe Abrechnungsfehler, wenn sie denn bei ihm vorgelegen hätten, bei den über Jahre hinweg durchgeführten Quartalsabrechnungen mit sachlich-rechnerischen Richtigstellungen auffallen müssen. Ihm seien keine Beratungen zur Abrechnungen angeboten worden. Fragen dazu seinerseits seien unbeantwortet geblieben. Bei den bemängelten Punktionen ergebe sich der Ort der Heilanwendung aus der Diagnose.

Die Beklagte ist der Klage unter Wiederholung ihres Vorbringens im Verwaltungsverfahren entgegengetreten. Die Berichtigungen seien von vornherein nicht aufgrund einer Zeitüberschreitung vorgenommen, sondern ausschließlich auf die mangelhafte Dokumentation gestützt worden. Die Abrechnungen seien jedenfalls teilweise grob fahrlässig falsch erfolgt, was zum Wegfall der Garantiewirkung der Abrechnungssammelerklärung führe. Daher sei es nicht erforderlich, die fehlerhafte Leistungsabrechnung in jedem einzelnen Fall konkret und dezidiert nachzuweisen und zu beziffern. Da die Patientendokumentationen erst im Rahmen der hiesigen Prüfung angefordert worden seien, liege es auf der Hand, dass der Kläger zuvor nicht auf die mangelhaften Dokumentationen habe hingewiesen werden können. Die vom Kläger abgerechneten Punktionen seien häufig aufgrund der Diagnosen wie schnellender Finger, Kalkaneussporn, Tendinitis der Achillessehne und Verstauchung oder Zerrung des Sprunggelenks nicht nachvollziehbar. Es seien keine Anfragen des Klägers zur korrekten Dokumentation vor der streitgegenständlichen Plausibilitätsprüfung erfasst. Ergänzende Dokumentationen zur Akupunktur habe der Kläger nur in von ihm ausgewählten Verfahren vorgelegt, nicht jedoch in den vom Plausibilitätsausschuss angeforderten Fällen. Zudem sei dem Kläger aus dem Qualitätsprüfungsverfahren im Jahr 2011 bekannt, welche Dokumentation für eine besondere Begründung der Akupunkturen ab dem 11. Ansatz notwendig sei.

Mit Verfügung vom 25.03.2024 hat das SG die Beteiligten auf eine beabsichtigte Entscheidung durch Gerichtsbescheid hingewiesen. Der Klägerbevollmächtigte hat mit Schriftsatz vom 02.05.2024 mitgeteilt, dass einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid entgegengetreten werde.

Mit Gerichtsbescheid vom 17.06.2024 hat das SG die Klage abgewiesen.
Zur Begründung hat es ausgeführt, die Beklagte habe die Honorarbescheide für die Quartale 3/2014 bis 4/2015 mit den angegriffenen Bescheiden, jeweils in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2020, auf der Grundlage des § 106a SGB V (in der hier noch maßgeblichen Fassung <a.F.>, jetzt mit geringfügigen Änderungen in § 106d SGB V geregelt) zu Recht insoweit aufgehoben, als der Kläger Leistungen nach den GOPen 02341, 30200, 30201, 30724 und 30731 EBM sowie nach der GOP 30791 EBM unter Verstoß gegen vertragliche Vorschriften des Vertragsarztrechts erbracht habe; die Tatbestandsvoraussetzungen des § 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F. seien deswegen erfüllt. Der Kläger habe in den streitigen Fällen den Inhalt der GOPen nicht vollständig erfüllt bzw. die notwendige Dokumentation des Leistungsinhalts nicht hinreichend vorgenommen. Inhalt und Umfang der erforderlichen Dokumentation richte sich grundsätzlich nach den medizinischen Erfordernissen, wobei den Arzt grundsätzlich die Feststellungslast hinsichtlich der Voraussetzungen für seinen Vergütungsanspruch treffe. Es genüge den Dokumentationsanforderungen zum Nachweis der Erbringung des obligaten Leistungsinhalts zumeist nicht, wie der Kläger in der Patientenakte schlicht die GOP sowie einen ICD-Code zu notieren, ohne die ärztlichen Behandlungsmaßnahmen niederzulegen. Aus dem bloßen Ansatz einer GOP folge nämlich nicht, dass die Leistung erbracht worden sei und dass der Leistungsinhalt erfüllt sei. Vielmehr sei so zu dokumentieren, dass ein fachkundiger Außenstehender ohne weiteres in der Lage sei, zu beurteilen, ob die jeweiligen Leistungsbestandteile erfüllt seien. Diese verbleibenden Unsicherheiten gingen zu Lasten der beweisbelasteten Kläger. Die für den Nachweis fehlende Dokumentation könne auch nicht durch den späteren Vortrag des Klägers zum üblichen Vorbringen im Rahmen des Plausibilitätsverfahrens ersetzt werden. Für die Chirotherapie nach GOPen 30200 und 30201 EBM sei obligater Leistungsinhalt u. a. die Dokumentation der Funktionsanalyse. Eine entsprechende – zumindest knappe – Dokumentation der Funktionsanalyse finde sich in den am 14.06.2017 vorgelegten 53 exemplarischen Patientendokumentationen aber nicht. Der Kläger habe vielmehr regelhaft nur die GOP sowie die Diagnose mittels ICD-Code festgehalten. Für die Punktion nach GOP 02341 EBM habe der Kläger nur die GOP, Diagnosen und ggf. noch Triam oder Hyaluronsäure(spritzen) vermerkt. Daraus ergebe sich mangels Angabe des Anwendungsbereiches schon nicht, ob eine Punktion an einem der Körperteile oder Organe erfolgt sei, die in der Leistungslegende aufgezählt würden. Im Übrigen sei der Beklagten zuzustimmen, dass die Angabe von Triam oder Hyaluronsäure den Verdacht nahelege, dass nicht Flüssigkeit entnommen worden, sondern eine Injektion oder Infiltration erfolgt sei, was den Inhalt der Leistungslegende nicht erfülle. Bezüglich der GOPen 30724 und 30731 EBM habe der Kläger den obligaten Leistungsinhalt, nämlich kontinuierliches EKG-Monitoring, kontinuierliche Pulsoxymetrie und ggf. Überwachung von bis zu zwei Stunden, nicht hinreichend dokumentiert. Auch der Nachweis des vegetativen Effektes bei GOP 30724 EBM, wie z.B. Hauterwärmung, Konjunktivarötung, Versiegen der Schweiß- oder Tränensekretion, Hornerscher Symptomenkomplex, sei in der Karteikarte bzw. dem anästhesiologischen Protokoll (nicht auf dem Krankenschein oder entsprechenden EDV-Ausdrucken) zu dokumentieren. Der Kläger habe aber nur die GOP vermerkt, sodass unklar bleibe und nicht überprüfbar sei, ob deren Abrechnungsvoraussetzungen erfüllt seien und ob und in welcher Form er den obligaten Leistungsinhalt erfüllt habe. Für die Akupunktur nach GOP 30791 EBM habe der Kläger nur GOP sowie die Reihenfolge der Akupunktur-Behandlung (z.B. „1. Aku“) sowie den ICD-Code vermerkt. Die nach der GOP erforderlichen Therapiepläne sowie eine ggf. ab der elften Akupunktur erforderliche besondere Begründung seien nicht vorgelegt worden. Auch die vom Kläger am 30.06.2019 vorgelegte Patientendokumentation für 30 von ihm ausgewählte (mit den von der Beklagten größtenteils nicht übereinstimmende) Patienten ändere daran nichts. Zwar habe der Kläger insofern Fragebögen zur Akupunktur und Auszüge aus der Karteikarte vorgelegt, in denen teilweise erstmals notwendige Inhalte der Dokumentation enthalten gewesen seien. Dies ändere aber nichts an der fehlenden Dokumentation in den von der Beklagten angefragten Fällen. Die Beklagte habe im Übrigen im Rahmen des Schätzungsermessens auch keine vollständige Streichung der GOP vorgenommen. Die Beklagte könne das Honorar im Wege einer pauschalierenden Schätzung neu festsetzen, wenn die Garantiefunktion der Abrechnungssammelerklärung und damit die Grundlage der Honorarfestsetzung durch zumindest eine grob fahrlässige Falschabrechnung weggefallen sei. Dabei sei es in der Regel nicht zu beanstanden, wenn die Beklagte das Honorar - wie hier bei den GOPen 02341, 30200, 20201, 30724 und 30731 EBM - in der Höhe des Durchschnitts der Fachgruppe festsetze. Auch das Vorgehen bei der GOP 30791 EBM, die Abrechnung mit einer Quote von 7 % zu kürzen, sei im Rahmen des Ermessens nicht zu beanstanden, da sich diese Quote aus der durchschnittlich aufgefundenen Fehlerquote ergeben habe. Auf Vertrauensschutz könne sich der Kläger nicht berufen. Die Ausschlussfrist von vier Jahren sei bei Aufhebung der Honorarbescheide mit Bescheid vom 16.10.2018 - auch im Hinblick auf den frühesten Honorarbescheid für das Quartal 3/2014 - noch nicht abgelaufen, da es für die Fristwahrungen ausreichend sei, dass die Honorarbescheide aufgehoben worden seien. Der Kläger könne auch keinen Vertrauensschutz aus der Plausibilitätsprüfung vom 26.09.2008 für die Quartale 1/2006 bis 2/2007 ableiten. Die Angabe der Beklagten seien auf die damals streitgegenständlichen Quartale begrenzt gewesen; für zukünftige Quartale sei keine Zusicherung hinsichtlich der akzeptierten Dokumentationsweise getroffen worden. Auch aus der zwischenzeitlichen Akzeptanz der Abrechnung ergebe sich nichts, zumal die Abrechnungen der Vertragsärzte nur stichprobenartig geprüft würden. Ein Beratungsfehler der Beklagten sei ebenso wenig belegt.

Der Kläger hat gegen den seinem Bevollmächtigten am 25.06.2024 vom SG übersandten Gerichtsbescheid am 25.07.2024 Berufung beim Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingelegt. Die Voraussetzungen für eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid hätten nicht vorgelegen, weshalb sein rechtliches Gehör verletzt sei. Zwar sei eine Entscheidung durch Gerichtsbescheid nicht zustimmungsbedürftig, die vorher durchzuführende korrekte Anhörung setze jedoch voraus, dass das Sozialgericht zu erkennen gebe, in welche Richtung es zu entscheiden gedenke und konkrete, einzelfallbezogene Hinweise erteile. Dies sei vorliegend unterblieben. In der Sache habe er aufgrund der Mitteilung der Kassenärztlichen Vereinigung vom 07.11.2008, dass die geprüften Honorarabrechnungen aufgrund seiner Stellungnahme und Dokumentation als plausibel angesehen würden, darauf vertraut, dass er weiterhin so dokumentieren könne wie in der Vergangenheit, ohne eine spätere Plausibilitätsprüfung nicht mehr zu bestehen. Auch später habe er keinen Hinweis darauf erhalten, dass die Beklagte ihre Sichtweise nunmehr ändern und seine Dokumentation nicht mehr beanstandungslos hinnehmen wolle. Erst durch die angegriffenen Bescheide habe er erstmals Kenntnis von der geänderten Einschätzung der Beklagten erhalten, ohne dass ihm die Möglichkeit gegeben worden sei, seine Dokumentationsweise zu ändern. Er könne sich daher auf Vertrauensschutz berufen, da er sich nicht grob fahrlässig verhalten habe. Die Formulierung „zumeist“ im Gerichtsbescheid belege, dass es zumindest Ausnahmen gebe bzw. es unter Umständen nach der Rechtsprechung doch als ausreichend angesehen werden könne, lediglich die GOP sowie einen ICD-Code zu notieren. Das SG hätte daher herausarbeiten müssen, warum sämtliche streitgegenständlichen Dokumentationen dieser, ihn begünstigenden Fallkonstellation gerade nicht unterfielen. Darüber hinaus habe das Gericht nur beispielhaft eventuelle fehlerhafte Dokumentation seinerseits herausgearbeitet und nicht die gesamten gerügten fehlerhaften Positionen der Beklagten im Gerichtsbescheid nachvollzogen. Zudem sei die Kürzung der Honorare nicht nachvollziehbar. Es sei nicht dokumentiert, welche einzelne abgerechnete Position letzten Endes aus welchem Grund in welchem Umfang gekürzt worden seien.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Stuttgart vom 17.06.2024 und die Bescheide der Beklagten vom 16.10.2018 und vom 06.06.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2020 aufzuheben.



Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung des SG unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens für zutreffend.

Zu den weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten beider Rechtszüge und die beigezogene Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

I. Der Senat entscheidet in der Besetzung mit ehrenamtlichen Richtern aus dem Kreis der der Vertragsärzte, da es sich um eine Angelegenheit des Vertragsarztrechts handelt (§ 12 Abs. 3 Satz 2 Sozialgerichtsgesetz <SGG>).

II. Die form- und fristgerecht (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und auch im Übrigen zulässig. Insbesondere ist die Berufung nicht verfristet. Maßgeblich sind in erster Linie für den Zustellungszeitpunkt die Angaben im Empfangsbekenntnis.
Das elektronische Empfangsbekenntnis erbringt ebenso wie ein postalisch zurückgesandtes Empfangsbekenntnis den Beweis für die Entgegennahme des Schriftstücks und für den Zeitpunkt des Empfangs. Der Gegenbeweis, dass das in einem elektronisch zurückgesandten Empfangsbekenntnis ausgewiesene Zustellungsdatum unrichtig ist, ist möglich. Er setzt voraus, dass die Beweiswirkung des elektronischen Empfangsbekenntnisses zur Überzeugung des Gerichts vollständig entkräftet wird (Rieke in: Ory/Weth, jurisPK-ERV Band 3, 2. Aufl., § 63 SGG, Stand: 03.01.2024, Rn. 39). Zwar ist dem Klägerbevollmächtigten der Gerichtsbescheid des SG ausweislich des Datums auf dem Empfangsbekenntnis am 24.06.2024 zugestellt worden, so dass die Berufung am 25.07.2024 verfristet gewesen wäre. Aus dem Sendeprotokoll des SG ergibt sich jedoch, dass der Gerichtsbescheid erst am 25.06.2024 um 10:42 Uhr an den Klägerbevollmächtigten übersandt wurde. Daher ist der Senat überzeugt, dass die Angaben des Klägerbevollmächtigten, ihm sei der Gerichtsbescheid erst am 25.06.2024 zugestellt worden, zutreffend sind. Die Angabe im Empfangsbekenntnis ist durch den Sendebericht des SG widerlegt.

Die Berufung ist aber nicht begründet. Die Bescheide der Beklagten vom 16.10.2018 und 06.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 16.06.2020 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten. Der angegriffene Gerichtsbescheid des SG ist nicht zu beanstanden.

1. Das SG durfte durch Gerichtsbescheid entscheiden, nachdem es die Beteiligten mit Verfügung vom 25.03.2024 zu der beabsichtigten Vorgehensweise angehört hat (§ 105 Abs. 1 Satz 2 SGG). Die Zustimmung der Beteiligten ist nicht erforderlich. Die Erteilung eines rechtlichen Hinweises dahingehend, wie das Gericht zu entscheiden beabsichtigt, ist ebenfalls nicht Voraussetzung (Burkiczak in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGG, 2. Aufl., § 105 SGG, Stand: 09.05.2025, Rn. 49), auch wenn ein Rechtsgespräch wünschenswert ist (Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Auflage 2023, § 105 SGG Rn. 10a).

2. Die Bescheide der Beklagten vom 16.10.2018 und vom 06.06.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 16.06.2020 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten.


a) Rechtsgrundlage der sachlich-rechnerischen Richtigstellung der Honorarabrechnung ist § 106a Abs. 2 SGB V in der bis zum 31.12.2016 geltenden Fassung (a.F.; zur Maßgeblichkeit des im Prüfzeitraum geltenden Rechts BSG, Urteil vom 22.10.2014 - B 6 KA 8/14 R -, in juris, Rn. 30; heute § 106d Abs. 2 SGB V). Diese Vorschrift verdrängt als bereichsspezifische Sondervorschrift des zweiten Abschnitts des vierten Kapitels des SGB V (Vertragsarztrecht) gemäß § 37 Satz 1 Sozialgesetzbuch Erstes Buch (SGB I) die allgemeine Regelung in § 45 Sozialgesetzbuch Zehntes Buch (SGB X) zur nachträglichen Korrektur rechtswidrig begünstigender Verwaltungsakte. Dies gilt auch, soweit Honorarbescheide nach Ablauf der Ausschlussfrist berichtigt werden (BSG, Urteil vom 24.10.2018 - B 6 KA 34/17 R -, in juris). Die Berichtigung bereits erlassener Honorarbescheide (nachgehende Richtigstellung) stellt im Umfang der vorgenommenen Korrekturen zugleich eine teilweise Rücknahme des Honorarbescheids dar und bewirkt, wobei hier auch zu berücksichtigen ist, dass die Honorarbescheide mit Bescheid vom 16.10.2018 aufgehoben wurden, dass überzahltes Honorar gem. § 50 Abs. 1 Satz 1 SGB X zurückzuzahlen ist (st. Rspr., vgl. BSG, Urteil vom 13.02.2019 - B 6 KA 56/17 R -, in juris).

Gem. § 106a Abs. 1 SGB V a.F. stellt die Kassenärztliche Vereinigung die sachliche und rechnerische Richtigkeit der Abrechnungen der Vertragsärzte fest; dazu gehört auch die arztbezogene Prüfung der Abrechnungen auf Plausibilität und die Prüfung der abgerechneten Sachkosten § 106a Abs. 2 Satz 1 SGB V a.F.). Die Prüfung auf sachlich-rechnerische Richtigkeit der Abrechnung des Vertragsarztes zielt auf die Feststellung, ob die Leistungen rechtmäßig, also im Einklang mit den gesetzlichen, vertraglichen und satzungsrechtlichen Vorschriften des Vertragsarztrechts - mit Ausnahme des Wirtschaftlichkeitsgebots - erbracht und abgerechnet worden sind (BSG, Urteil vom 15.07.2020 - B 6 KA 13/19 R -, Urteil vom 13.02.2019 - B 6 KA 56/17 R -, beide in juris). Eine sachlich-rechnerische Richtigstellung ist insbesondere dann angezeigt, wenn die abgerechneten Leistungen nicht die Vorgaben des EBM erfüllen (BSG, Urteil vom 16.05.2018 - B 6 KA 16/17 R -, in juris).


Für die Auslegung vertragsärztlicher Vergütungsbestimmungen ist nach ständiger Rechtsprechung des BSG und des Senats in erster Linie der Wortlaut der Regelungen maßgeblich (so BSG, Urteil vom 25.11.2020 - B 6 KA 14/19 R -, in juris, Rn. 18 und Urteil vom 11.09.2019 - B 6 KA 22/18 R -, in juris, Rn. 13 m.w.N.; Senatsurteil vom 16.03.2016 - L 5 KA 5268/12 -, in juris). Dies gründet sich zum einen darauf, dass das vertragliche Regelwerk dem Ausgleich der unterschiedlichen Interessen von Ärzten und Krankenkassen dient und es vorrangig Aufgabe des Normgebers des EBM – des Bewertungsausschusses gemäß § 87 Abs. 1 SGB V – ist, Unklarheiten zu beseitigen. Zum anderen folgt die primäre Bindung an den Wortlaut aus dem Gesamtkonzept des EBM als einer abschließenden Regelung, die keine Ergänzung oder Lückenfüllung durch Rückgriff auf andere Leistungsverzeichnisse bzw. Gebührenordnungen oder durch analoge Anwendung zulässt. Raum für eine systematische Interpretation im Sinne einer Gesamtschau der in innerem Zusammenhang stehenden vergleichbaren oder ähnlichen Leistungstatbestände ist nur dann, wenn der Wortlaut eines Leistungstatbestandes zweifelhaft ist und es einer Klarstellung bedarf. Eine entstehungsgeschichtliche Auslegung kommt bei unklaren oder mehrdeutigen Regelungen ebenfalls in Betracht, kann allerdings nur anhand von Dokumenten erfolgen, in denen die Urheber der Bestimmungen diese in der Zeit ihrer Entstehung selbst erläutert haben. Leistungsbeschreibungen dürfen weder ausdehnend ausgelegt noch analog angewendet werden. Diese Grundsätze gelten auch für die den Vergütungsbestimmungen vorangestellten allgemeinen Bestimmungen des EBM (BSG, Urteil vom 11.09.2019 - B 6 KA 22/18 R -, in juris, Rn. 13, m.w.N). Soweit der Wortlaut einer Leistungslegende des EBM für die ärztlichen Leistungen nicht eindeutig ist, können auch die der Leistung zugeordneten Kalkulations- und Prüfzeiten zur Auslegung herangezogen werden (BSG, Urteil vom 15.07.2020 - B 6 KA 15/19 R -, in juris).

b) Die Beklagte hat den Aufhebungsbescheid vom 16.10.2018 und den Neufestsetzungsbescheid vom 06.06.2019 auf die unzureichende Dokumentation des Klägers gestützt. Die Aufhebung erfolgte nicht wegen Überschreitung der Quartals- und Tageszeit, sondern diese Auffälligkeiten waren lediglich der Anlass für die durchgeführte Plausibilitätsprüfung. Das klägerische Vorbringen bezüglich des Zeitaufwandes ist daher, wie das SG zutreffend festgestellt hat, nicht entscheidungserheblich.

c) In den hier streitigen Fällen hat die Beklagte zu Recht festgestellt, dass der Kläger den notwendigen Leistungsinhalt der GOPen nicht dokumentiert hat, so dass der jeweilige Inhalt der GOPen nicht vollständig erfüllt ist.

Nach ständiger Rechtsprechung ist der Arzt seit jeher verpflichtet, die bei der Behandlung eines Patienten gemachten Feststellungen und durchgeführten Behandlungsmaßnahmen zu dokumentieren. Bereits nach § 57 Abs. 1 Bundesmantelvertrag Ärzte (BMV-Ä) hat der Vertragsarzt die Befunde, die Behandlungsmaßnahmen sowie die veranlassten Leistungen einschließlich des Tages der Behandlung "in geeigneter Weise zu dokumentieren". Weitergehende Dokumentationsanforderungen können insbesondere - wie sich auch aus § 87 Abs. 2d Satz 1 Halbsatz 2 SGB V ergibt - in der Leistungslegende des EBM-Ä formuliert werden (BSG, Beschluss vom 09.02.2024 - B 6 KA 11/23 B -, in juris, m.w.N.). Eine GOP ist nur berechnungsfähig, wenn der Leistungsinhalt vollständig erbracht worden ist. Die Vollständigkeit der Leistungserbringung ist gegeben, wenn die obligaten Leistungsinhalte erbracht worden sind und die in den Präambeln, Leistungslegenden und Anmerkungen aufgeführten Dokumentationspflichten erfüllt, sowie die erbrachten Leistungen dokumentiert sind (Allgemeine Bestimmungen EBM).


Wenn sich begründete Zweifel daran ergeben, dass der Tatbestand einer GOP erfüllt ist, obliegt es auch dem Arzt, an der Beseitigung dieser Zweifel durch sachdienliche Angaben mitzuwirken, da ihn als Anspruchsteller grundsätzlich die Feststellungslast hinsichtlich der Voraussetzungen für seinen Vergütungsanspruch trifft. Das gilt vor allem, wenn sich der Arzt auf für ihn günstige Tatsachen berufen will, die allein ihm bekannt sind oder nur durch seine Mithilfe aufgeklärt werden können (BSG, Urteil vom 13.05.2020 - B 6 KA 6/19 R -, in juris, Rn. 27). Die zur Begründung seines Anspruchs dienenden Tatsachen muss der Vertragsarzt in diesen Fällen so genau wie möglich angeben und belegen. Welche Angaben dabei vom Arzt erwartet werden können, hängt von den Umständen des Einzelfalles und insbesondere der Art der erbrachten Leistung ab (BSG, Beschluss vom 30.09.2020 - Az. B 6 KA 12/20 B -, in juris, Rn. 13).

(1) Die GOPen 30200 und 30201 EBM (Chirotherapie) lauteten im streitgegenständlichen Zeitraum auszugsweise wie folgt:

30200 Chirotherapeutischer Eingriff
Obligater Leistungsinhalt
Chirotherapeutischer Eingriff an einem oder mehreren Extremitätengelenken,
Dokumentation der Funktionsanalyse,
(…)

30201 Chirotherapeutischer Eingriff an der Wirbelsäule
Obligater Leistungsinhalt
Chirotherapeutischer Eingriff an der Wirbelsäule,
Dokumentation der Funktionsanalyse,
Fakultativer Leistungsinhalt
Leistungsinhalt entsprechend der Gebührenordnungsposition 30200,
(….)

Damit war nach dem eindeutigen Wortlaut beider GOPen die Dokumentation der Funktionsanalyse obligater Leistungsinhalt. Eine solche Dokumentation findet sich jedoch in den vorliegenden Patientendokumentationen nicht. In sämtlichen vorgelegten Fällen hat der Kläger lediglich die GOP und die Diagnose nach ICD-10 dokumentiert. Eine Funktionsanalyse ist aus der Dokumentation nicht ersichtlich.

(2) Die GOP 02341 EBM (Punktion) lautete im streitgegenständlichen Zeitraum auszugsweise wie folgt:

02341 Punktion II
Obligater Leistungsinhalt
Punktion der/des
Mammae und/oder
Knochenmarks und/oder
Leber und/oder
Nieren und/oder
Pankreas und/oder
Gelenke und/oder
Adnextumoren, ggf. einschl. Douglasraum und/oder
Hodens und/oder
Ascites als Entlastungspunktion unter Gewinnung von mindestens 250 ml Ascitesflüssigkeit und/oder
Milz
(…)

Aus der Dokumentation des Klägers ist nicht ersichtlich, dass er in den streitigen Fällen eine Punktion in einem Gelenk durchgeführt hat. Er hat lediglich die GOP und die Diagnose nach ICD-10 angegeben. Allein aus der Diagnose ist jedoch nicht ersichtlich, in welchem Organ oder Gelenk die Punktion erfolgte. So ist z.B. aus der Diagnose Q66.8G (Senk-Spreizfuß) und M77.3BG (Fersensporn) nicht ersichtlich, welches der Gelenke am Fuß betroffen sein soll und ob überhaupt eine Punktion eines Gelenkes erfolgt ist. Das gleiche gilt für die Diagnose M65.3 (Schnellender Daumen). Auch hier ist nicht ersichtlich, ob überhaupt und wenn ja welches Gelenk punktiert wurde. Zudem ist nicht nachvollziehbar, warum bei den Punktionen Triam 40 angegeben wurde. Dabei handelt es sich um eine Glukocorticoidlösung zur intraartikulären Injektion, was gegen eine Punktion und vielmehr für eine Injektion spricht. Eine Injektion fällt jedoch nicht unter die GOP 02341 EBM.

(3) Die GOPen 30724 und 30731 EBM (Analgesie) lauteten im streitgegenständlichen Zeitraum auszugsweise wie folgt:

30724  Analgesie eines oder mehrerer Spinalnerven und der Rami communicantes an den Foramina intervertebralia
Obligater Leistungsinhalt
Nachweis und Dokumentation des vegetativen Effektes (z.B. seitenvergleichende Messung der Hauttemperatur),
Kontinuierliches EKG-Monitoring
Kontinuierliche Pulsoxymetrie,
(…)

30731  Plexusanalgesie (Plexus zervikalis, brachialis, axillaris, lumbalis, lumbosakralis), Spinal- oder Periduralanalgesie (auch kaudal), einseitig oder mittels Katheter (auch als Voraussetzung zur Applikation zytostatischer, antiphlogistischer oder immunsuppressiver Substanzen)
Obligater Leistungsinhalt
Kontinuierliches EKG-Monitoring,
Kontinuierliche Pulsoxymetrie,
Überwachung von bis zu 2 Stunden,
(…)

Auch in diesen Fällen erfolgte lediglich die Dokumentation der GOP und der Diagnose nach ICD-10. Weder der vegetative Effekt noch das kontinuierliche EKG-Monitoring oder die kontinuierliche Pulsoxymetrie wurden dokumentiert. Damit fehlt es an der Dokumentation sämtlicher obligater Leistungsinhalte. Der Vortrag des Klägers, er wisse nicht, wie ein EKG-Monitoring oder eine Pulsoxymetrie außer mit einem Foto zu dokumentieren sei, ist nicht nachvollziehbar. Es ist nicht ersichtlich, was gegen einen Eintrag der entsprechenden Leistung in die Patientenkartei spricht.

(4) Die GOP 30791 EBM (Akupunktur) lautete im streitgegenständlichen Zeitraum auszugsweise wie folgt:

30791 Durchführung einer Körperakupunktur und ggf. Revision des Therapieplans gemäß den Qualitätssicherungsvereinbarungen nach § 135 Abs. 2 SGB V zur Behandlung bei folgenden Indikationen:
chronische Schmerzen der Lendenwirbelsäule, oder
chronische Schmerzen eines oder beider Kniegelenke durch Gonarthrose
Obligater Leistungsinhalt
Durchführung der Akupunktur gemäß dem erstellten Therapieplan,
Aufsuchen der spezifischen Akupunkturpunkte und exakte Lokalisation,
Nadelung akupunkturspezifischer Punkte mit sterilen Einmalnadeln,
Verweildauer der Nadeln von mindestens 20 Minuten,
Fakultativer Leistungsinhalt
Beruhigende oder anregende Nadelstimulation,
Hervorrufen der akupunkturspezifischen Nadelwirkung (De-Qui-Gefühl),
Berücksichtigung der adäquaten Stichtiefe,
Adaption des Therapieplanes und Dokumentation,
Festlegung der neuen Punktekombination, Stimulationsart und Stichtiefe,
je dokumentierter Indikation bis zu zehnmal, mit besonderer Begründung bis zu 15-mal im Krankheitsfall.

Der Kläger hat in diesen Fällen nur die GOP, die Diagnose nach ICD-10 sowie die Zahl der Akupunkturbehandlungen dokumentiert. Die obligatorischen Leistungsinhalte und eine besondere Begründung ab der elften Akupunktur wurden nicht dokumentiert, so dass es auch hier an den grundlegenden Dokumentationserfordernissen mangelt.

d) Der Kläger kann sich nicht auf Vertrauensschutz berufen. Der Vertragsarzt kann auf den Bestand eines vor einer endgültigen Prüfung auf Rechtmäßigkeit und Wirtschaftlichkeit erteilten Honorarbescheides grundsätzlich nicht vertrauen (st. Rspr., BSG Urteil vom 14.07.2021 - B 6 KA 12/20 -, in juris Rn. 46 m.w.N.). Ein Vertrauensschutz kommt nur bei dem Vorliegen einer der vier vom BSG entwickelten Fallkonstellationen in Betracht. Danach kann sich der Arzt auf Vertrauensschutz berufen,
wenn (1) die Frist von vier Jahren seit Erlass des Quartalshonorarbescheides bereits abgelaufen ist; (2) die K(Z)ÄV ihre Befugnis zur sachlich-rechnerischen Richtigstellung bereits "verbraucht" hatte, wenn die K(Z)ÄV die Honoraranforderungen des Vertrags(zahn)arztes in einem der ursprünglichen Honorarverteilung nachfolgenden Verfahren auf ihre sachlich-rechnerische Richtigkeit überprüfte und vorbehaltlos bestätigte, indem sie z.B. auf den Rechtsbehelf des Vertrags(zahn)arztes hin die Richtigstellung eines bestimmten Gebührenansatzes ohne jede Einschränkung wieder rückgängig machte, weil dadurch die spezifische Vorläufigkeit eines Honorarbescheides entfallen ist; (3) wenn einer K(Z)ÄV vorzuhalten ist, sie hätte die Vertrags(zahn)ärzte auf ihr bekannte Ungewissheiten hinweisen müssen, habe dies aber unterlassen und dadurch sei bei ihren Mitgliedern schützenswertes Vertrauen entstanden oder (4) wenn die Fehlerhaftigkeit des Bescheides aus Umständen herrührt, die außerhalb des eigentlichen Bereichs einer sachlich und rechnerisch korrekten Honorarabrechnung und -verteilung liegen oder wenn eine K(Z)ÄV eine bestimmte Leistungserbringung in Kenntnis aller Umstände geduldet hat, sie aber später als fachfremd beurteilt (BSG, Urteil vom 14.12.2005 - B 6 KA 17/05 R-, in juris).

Keiner dieser Punkte ist vorliegend erfüllt. Die Ausschlussfrist von vier Jahren war bei Aufhebung der Honorarbescheide durch den Bescheid vom 16.10.2018 noch nicht abgelaufen. Der zeitlich älteste Bescheid für das Quartal 3/2014 datiert vom 15.01.2015. Dass der Neufestsetzungsbescheid erst am 06.06.2019 und damit für die Quartale 3 und 4/2014 erst nach Ablauf der Frist erging, ist unschädlich, da der Aufhebungsbescheid ausreicht, das Vertrauen in den Bestand der ergangenen Honorarbescheide zu zerstören (Senatsurteil vom 15.10.2014, - L 5 KA 1161/12- , in juris Rn. 63), zumal die Beklagte im Aufhebungsbescheid bereits angekündigt hatte, das Honorar für die streitigen Quartale neu festzusetzen. An der vierjährigen Ausschlussfrist hat sich durch die Einfügung eines neuen § 106d Abs. 5 Satz 3 SGB V mit dem Terminservice – und Versorgungsgesetz (TSVG) vom 06.05.2019 (BGBl. I 646) auch nichts geändert. Die am 11.05.2018 in Kraft getretene Neuregelung bestimmt, dass die Maßnahmen, die aus den Prüfungen nach § 106d Abs. 2 bis 4 SGB V folgen, innerhalb von zwei Jahren „ab Erlass“ des Honorarbescheids festgesetzt werden müssen. Diese Verkürzung der Ausschlussfrist greift hier indes nicht ein, weil sie nicht für Prüfzeiträume gilt, die vor dem Inkrafttreten von Gesetzesneufassungen abgeschlossen waren (BSG, Urteil vom 15.05.2019 - B 6 KA 63/17 R -, in juris).

Die Mitteilungen der Beklagten vom 07.11.2008 und 07.11.2011 begründen ebenfalls keinen Vertrauensschutz. Das Schreiben vom 07.11.2008 bezieht sich nur auf die Plausibilitätsprüfung der Quartale 1/2006 bis 2/2007 und bestätigt, dass nach Erörterung der Auffälligkeiten bei den Tages- und Quartalszeiten in Verbindung mit den Dokumentationen, der Stellungnahme vom 07.10.2008 und den weiteren Abrechnungsdaten durch den Plausibilitätsausschuss die Abrechnung im Hinblick auf die Arbeitszeiten des Klägers unter Berücksichtigung seiner Argumente nun als plausibel angesehen wird. Ein Vertrauen auf eine andauernde Richtigkeit der Dokumentation lässt sich daraus nicht herleiten, da ausdrücklich nur die Auffälligkeiten der Tages- und Quartalszeiten Thema der Prüfung waren. Zudem wurde im Rahmen der Qualitätssicherungsprüfung mit Schreiben vom 23.05.2011 die vollständigen Dokumentationen der Akupunkturbehandlungen angefordert, die näher präzisiert wurden. Erst nach Einreichung weiterer Unterlagen durch den Kläger erging das Schreiben vom 07.11.2011 über die bestandene Qualitätsprüfung. Daher waren dem Kläger zumindest seit 2011 die Erfordernisse der genauen Dokumentation bekannt.

Die mangelhafte Dokumentation im streitigen Zeitraum war der Beklagten auch erst im Rahmen der hier streitigen Plausibilitätsprüfung bekannt. Eine vorherige Hinweispflicht der Beklagten ergibt sich daraus nicht. Insbesondere sind keine konkreten Anfragen des Klägers zur Dokumentation vor den hier streitigen Quartalen belegt.

e) Wegen der Unrichtigkeit der Abrechnungen des Klägers war die Beklagte berechtigt, diese zu korrigieren und überzahltes Honorar zurückzufordern (BSG, Urteil vom 28.08.2013 - B 6 KA 50/12 R -, in juris).
Die (nachgehende) sachlich-rechnerische Berichtigung von Honorarabrechnungen setzt ein Verschulden des Vertragsarztes nicht voraus, sofern die Kassenärztliche Vereinigung den ergangenen Honorarbescheid wegen Falschabrechnung lediglich teilweise - hinsichtlich der als fehlerhaft beanstandeten Leistungsabrechnung - aufhebt und auch nur den hierauf entfallenden Honoraranteil zurückfordert, dem Vertragsarzt das Honorar im Übrigen also ungeschmälert belässt (vgl. BSG, Urteil vom 22.03.2006 - B 6 KA 76/04 R -, in juris). Wenn der Vertragsarzt zumindest grob fahrlässig gehandelt hat, darf die Kassenärztliche Vereinigung den Umfang der Unrichtigkeit schätzen, ihr kommt insoweit das jede Schätzung kennzeichnende Ermessen zu Gute (BSG, Urteil vom 24.10.2018 - B 6 KA 44/17 R -, in juris Rd. 21). Davon durfte die Beklagte hier Gebrauch machen, weil der Kläger die Abrechnungssammelerklärungen für die betroffenen Quartale zumindest grob fahrlässig falsch abgegeben hat.

Die Schätzung des neu festzusetzenden Honorars eröffnet der Beklagten jedoch keinen der Gerichtskontrolle entzogenen Beurteilungsspielraum. Vielmehr hat das Gericht die Schätzung selbst vorzunehmen bzw. jedenfalls selbst nachzuvollziehen. Die Verpflichtung zur eigenen Schätzung bedeutet allerdings nicht, dass das Gericht nunmehr erneut alle Schätzungsgrundlagen erhebt und eine völlig eigene Schätzung vornimmt. Sofern der Verwaltungsakt überzeugende Ausführungen zur Schätzung enthält, reicht es aus, wenn das Gericht sich diese Ausführungen zu Eigen macht und sie in seinen Entscheidungsgründen nachvollzieht (vgl. BSG, Urteil vom 17.09.1997 - 6 RKa 86/95 -, in juris). Der Senat macht sich die zutreffenden Ausführungen in den Bescheiden der Beklagten zu Eigen. Der Senat sieht es im Wege der Schätzung ebenfalls als gerechtfertigt an, dem Kläger bezüglich der GOPen 02341, 30200, 30201, 30724 und 30731 EBM ein Honorar in Höhe des Fachgruppendurchschnitts zuzuerkennen und die GOP 30791 EBM aufgrund der errechneten Fehlerquote mit einer Quote von 7% zu kürzen. Es ist in der Regel nicht zu beanstanden, wenn sich die Beklagte im Wege pauschalierender Schätzung damit begnügt, dem Arzt ein Honorar in Höhe des Fachgruppendurchschnitts zuzuerkennen (BSG, Urteil vom 17.09.1997 - 6 RKa 86/95 -, BSG, Urteil vom 26.01.1994 - 6 RKa 29/91 -, beide in juris).

III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 197a SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 Verwaltungsgerichtsordnung.

IV. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 52 Abs. 3 Gerichtskostengesetz.

V. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).

 

Rechtskraft
Aus
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