Auf die Berufung der Klägerin werden das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 09.09.2022 sowie der Bescheid der Beklagten vom 13.12.2017, in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2018 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass bei dem Versicherten N. eine Berufskrankheit nach Nr. 1813 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vorlag.
Die Beklagte zahlt die ausgerichtlichen Kosten der Klägerin in beiden Rechtszügen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt als Rechtsnachfolgerin die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) nach Nr. 1318 der Anl. 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV <Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol>).
Ihr verstorbener Ehemann N. (geboren am 00.00.0000 <fortan: Versicherter>) absolvierte vom 01.08.1974 bis 31.07.1977 eine Lehre zum Maler und Lackierer. Ab 01.08.1977 war er – unterbrochen durch kürzere Zeiten der Arbeitslosigkeit und der Krankheit, den Zivildienst sowie zwei kurzzeitige Tätigkeiten im Zuständigkeitsbereich der Verwaltungs-BG – bis zu seiner Erkrankung in diesem Beruf beschäftigt.
Im Juli 2017 wurde bei dem Versicherten eine akute lymphatische Leukämie diagnostiziert. Das behandelnde Universitätsklinikum Z. zeigte der Beklagten den Verdacht einer BK an (Verdachtsanzeige vom 11.08.2017; ärztlicher Bericht desselben Krankenhauses vom 22.08.2017).
Die Beklagte leitete daraufhin ein Verfahren zur Feststellung einer BK 1318 ein und holte hierzu unter anderem Stellungnahmen ihres sowie des Präventionsdienstes der Verwaltungs-BG ein. Diese kamen zu dem Ergebnis, dass bei dem Versicherten in seinen Tätigkeiten insbesondere als Maler bzw. Lackierer eine Exposition gegenüber Benzol im Sinne der BK 1318 bestanden habe, diese sich aber insgesamt auf lediglich 4,5 ppm-Jahre belaufen habe.
Gestützt hierauf lehnte die Beklagte die Feststellung einer BK 1318 ab; Ansprüche auf Leistungen bestünden nicht (Bescheid vom 13.12.2017). Arbeitstechnische Voraussetzung für die Anerkennung der lymphatischen Leukämie als BK sei eine hohe berufliche Benzolbelastung über einen Zeitraum von mehreren Jahren, beim vorliegenden Krankheitsbild werde eine Dosis von mindestens 8 ppm-Jahren gefordert. Eine entsprechend hohe Einwirkung habe nicht nachgewiesen werden können.
Zur Begründung seines hiergegen erhobenen Widerspruchs machte der Versicherte geltend, der seitens der Beklagten bei ihm für Arbeiten mit lösemittelhaltigen Lacken angesetzte Zeitanteil sei deutlich zu niedrig. Die Beklagte holte daraufhin eine weitere Stellungnahme ihres Präventionsdienstes ein, der nunmehr eine Gesamtexposition von 5,8 ppm-Jahren ermittelte.
Sodann wies die Beklagte den Widerspruch zurück (Widerspruchsbescheid vom 07.06.2018). 5,8 ppm-Jahre reichten nicht aus, darin eine wahrscheinliche Mitursache des bei dem Versicherten diagnostizierten Blutkrebses zu sehen. Bei der Beurteilung der Einwirkungen sei unter anderem auch berücksichtigt worden, dass die Benzolkonzentration in den Lösungsmittelgemischen für Lacke und Verdünnung und im Laufe der Jahre weiter reduziert worden sei, sodass die höchsten Expositionen in den 1950er und 1960er Jahren vorgelegen hätten, schon in den 1970er Jahren die Konzentration vermindert gewesen sei und in den 1980er und 1990er Jahren die jeweiligen Nachweisgrenzen bei der inhalativen Einwirkung selbst beim Spritzen nicht mehr erreicht worden seien. Gemäß den wissenschaftlichen Begründungen zur BK könnten anerkennungsfähige Erkrankungen mit hinreichend gesicherter epidemiologischer Datenlage bei einer kumulativen Benzolbelastung ab einem Bereich von 10 ppm-Jahren anerkannt werden; es werde eine Benzolbelastung „im hohen einstelligen bzw. unteren zweistelligen Bereich“ vorausgesetzt, wobei als hoher einstelliger Bereich ein solcher oberhalb ca. 8 ppm-Jahren gelte.
Der Versicherte hat hiergegen am 02.07.2018 Klage zum Sozialgericht Köln erhoben.
Er hat vorgetragen, die Annahme der Beklagten, dass der Lösungsmittelanteil in Farben und Lacken seit den 70ern deutlich zurückgefahren worden sei, sei in keiner Weise nachvollziehbar. Die Beklagte lasse den tatsächlichen Lack- und Farbeinsatz unberücksichtigt und stelle auf Durchschnittswerte ab. Der Anteil lösemittelhaltiger Farben sei bei ihm „immer verhältnismäßig hoch“ gewesen. Zudem hätte die Beklagte die Umstände des Einzelfalls, wie sie bei ihm vorlägen – Hautkontakt, Belastungsspritzen, jugendliches Alter, körperliche Arbeit mit erhöhter inhalativer Aufnahme – berücksichtigen müssen.
Am 00.00.0000 ist der Versicherte verstorben. Die Klägerin als seine Witwe, die mit ihm zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt lebte, hat das Verfahren fortgeführt.
Die Klägerin hat sinngemäß beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 13.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2018 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, bei dem verstorbenen Versicherten N. eine Berufskrankheit nach Nr. 1318 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.
Die Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie hat geltend gemacht, die Exposition von 5,8 ppm-Jahren sei nicht hinreichend; auch der vom Sozialgericht gehörte Sachverständige „verkenn[e], dass der Gesetzgeber Grenzwerte festgelegt [habe].“ Die nach allgemeiner Ansicht erforderliche schädigende Dosis sei bei dem Versicherten unstreitig nicht erreicht gewesen.
Das Sozialgericht hat Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens von E.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf den Inhalt des Gutachtens vom 25.08.2021 nebst ergänzender Stellungnahme des Sachverständigen vom 23.05.2022 Bezug genommen.
Sodann hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen (Urteil vom 09.09.2022).
Gegen das am 07.11.2022 zugestellte Urteil wendet sich die Klägerin mit ihrer am 29.11.2022 eingelegten Berufung.
Zur Begründung wiederholt und vertieft sie ihr Vorbringen aus dem Klageverfahren.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 09.09.2022 sowie den Bescheid der Beklagten vom 13.12.2017, in der Gestalt des Widerspruchbescheides vom 07.06.2018, aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen bei dem Verstorbenen versicherten N. eine Berufskrankheit nach Nr. 1318 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung anzuerkennen.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält das angegriffene Urteil für zutreffend.
Der Senat hat Beweis erhoben durch Einholung zweier weiterer ergänzender Stellungnahmen von E.. Zusätzlich hat der Sachverständige sein Gutachten in der mündlichen Verhandlung des Senats erläutert. Auf den Inhalt der ergänzenden Stellungnahmen vom 23.05.2024 und 18.01.2024 sowie das Sitzungsprotokoll der mündlichen Verhandlung vom 11.06.2024 wird insoweit verwiesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf den Inhalt der Gerichtsakten sowie des beigezogenen Verwaltungsvorgangs. Dieser ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe:
Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Köln vom 09.09.2022 ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die begehrte Feststellung, dass bei ihrem verstorbenen Ehemann eine BK 1318 vorlag.
1. Streitgegenstand der kombinierten Anfechtungs- und Feststellungsklage ist die isolierte Feststellung, dass bei dem Versicherten eine BK 1318 vorlag. Dass anstelle des verstorbenen Versicherten die Klägerin als dessen Sonderrechtsnachfolgerin (näher dazu unten 2a) das Verfahren fortführt, hat an diesem Streitgegenstand nichts geändert. Die Klägerin macht weiterhin keine Leistungsansprüche aus eigenem Recht als Hinterbliebene geltend (§§ 63 ff. SGB VII), sondern führt das vom Versicherten angestrengte Verfahren fort. Dass ein Hinterbliebener grundsätzlich mangels Anspruchsgrundlage nicht die isolierte Verpflichtung des Unfallversicherungsträgers zur Anerkennung eines Arbeitsunfalls erreichen kann, weil die Frage, ob ein Versicherungsfall vorgelegen hat, bei Hinterbliebenen kein eigenständiger Gegenstand des Verwaltungsverfahrens ist, sondern nur eine Tatbestandsvoraussetzung der im Einzelnen genannten Ansprüche auf Hinterbliebenenleistungen (vgl. dazu BSG, Urteil vom 06.10.2020 – B 2 U 9/19 R –, Rn. 14 m.w.N.), ist vor diesem Hintergrund ohne Belang.
2. Bedenken gegen die Zulässigkeit der Klage bestehen nicht. Die Klägerin ist berechtigt, das noch von dem Versicherten selbst eingeleitete gerichtliche Verfahren fortzuführen, insbesondere ist sie klagebefugt (§ 54 Abs. 1 S. 2 SGG) bzw. hat ein berechtigtes Interesse an der isolierten Feststellung einer BK 1318 (§ 55 Abs. 1 SGG). Ein Entfall insbesondere des Feststellungsinteresses käme nur dann in Betracht, wenn die Klägerin aus der Feststellung keine Rechte mehr herleiten könnte (BSG, Urteil vom 16.03.2021 – B 2 U 7/19 R –, Rn. 9 m.w.N.). Umgekehrt besteht ein berechtigtes Interesse aber schon dann, wenn Hinterbliebene auf der Grundlage der begehrten Feststellung Ansprüche auf Geldleistungen geltend machen könnten (vgl. BSG, Urteil vom 16.03.2021 – B 2 U 17/19 R –, Rn. 14; weiteres Urteil vom 16.03.2021, a.a.O.).
So liegt es hier. Die Klägerin ist Sonderrechtsnachfolgerin des Versicherten i.S.d. § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I (dazu a) und der Anspruch ist auch nicht erloschen (dazu b).
a) Ansprüche des Versicherten auf Geldleistungen sind auf die Klägerin übergegangen. Gemäß § 56 Abs. 1 S. 1 SGB I stehen fällige Ansprüche auf laufende Geldleistungen beim Tod des Berechtigten nacheinander dem Ehegatten (Nr. 1), dem Lebenspartner (Nr. 1a), den Kindern (Nr. 2), den Eltern (Nr. 3) und dem Haushaltsführer (Nr. 4) zu, wenn diese mit dem Berechtigten zur Zeit seines Todes in einem gemeinsamen Haushalt gelebt haben oder von ihm wesentlich unterhalten worden sind (§ 56 Abs. 1 S. 1 SGB I). Vorliegend greift § 56 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB I ein, weil die Klägerin im Zeitpunkt des Todes mit dem Versicherten verheiratet war und, dies schon ausweislich der identischen Wohnanschriften, mit diesem in einem gemeinsamen Haushalt gelebt hat. Nur der Vollständigkeit halber weist der Senat darauf hin, dass, selbst wenn § 56 SGB I hier nicht einschlägig wäre, die Klägerin ausweislich des in der mündlichen Verhandlung vorgelegten Erbscheins (AG V. vom 00.00.0000 – N01 –) als Alleinerbin Rechtsnachfolgerin des Versicherten ist (§ 58 S. 1 SGB I).
b) Der mit der Klage geltend gemachte Anspruch ist auch nicht erloschen. Ansprüche auf Geldleistungen erlöschen nur, wenn sie im Zeitpunkt des Todes des Berechtigten weder festgestellt sind noch ein Verwaltungsverfahren über sie anhängig ist (§ 59 S. 2 SGB I). Zwar hatte die Beklagte im Zeitpunkt des Todes keine Ansprüche auf Verletztenrente oder andere Geldleistungen festgestellt, vielmehr hatte sie die Feststellung einer BK 1318 abgelehnt. Es war aber noch ein Verwaltungsverfahren über diese Geldleistungen i.S.d. § 59 S. 2 SGB I anhängig. Dem steht insbesondere nicht entgegen, dass die Beklagte in dem angefochtenen Bescheid neben der Feststellung, dass bei dem Versicherten keine BK 1318 bestanden habe, zugleich Folgendes tenorierte:
„Ansprüche auf Leistungen bestehen nicht. Dies gilt auch für Leistungen oder Maßnahmen, die geeignet sind, dem Entstehen einer [BK] entgegenzuwirken.“
Dabei handelte es sich aber nicht um einen Verwaltungsakt betreffend einzelne konkrete Leistungsansprüche, sondern um einen bloßen Textbaustein ohne Regelungsgehalt (vgl. dazu BSG, Urteile vom 16.03.2021 – B 2 U 17/19 –, Rn. 22 ff.; – B 2 U 7/19 –, Rn. 12 ff.). Die Beklagte hat ein gestuftes Verfahren gewählt, bei dem sie auf der ersten Stufe zunächst durch Verwaltungsakt über das Vorliegen des Versicherungsfalls und damit über die Eröffnung des unfallversicherungsrechtlichen Leistungsspektrums vorab entscheidet, um sich erst danach auf der zweiten Stufe von Amts wegen etwaigen Leistungsansprüchen zuzuwenden (dazu BSG, a.a.O. Rn. 27 ff.; bzw. Rn. 17 ff.). Über die Geldleistungen waren dann insgesamt auch schon Verwaltungsverfahren anhängig, die aber noch nicht durch entsprechende Verwaltungsakte im Einzelnen abgeschlossen waren (BSG, a.a.O. Rn. 33; bzw. Rn. 23).
3. Die Klage ist auch begründet. Der angefochtene Bescheid vom 13.12.2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.06.2018 (§ 95 SGG) ist rechtwidrig und die Klägerin hierdurch beschwert (§ 54 Abs. 2 S. 1 SGG). Es ist festzustellen, dass bei dem Versicherten eine BK 1318 bestand.
Rechtsgrundlage für die Feststellung ist § 9 Abs. 1 SGB VII i.V.m. Nr. 1318 der Anl. 1 zur BKV. Danach erfasst die BK 1318 Erkrankungen des Blutes, des blutbildenden und des lymphatischen Systems durch Benzol.
Nach ständiger Rechtsprechung ist für die Feststellung einer Listen-BK im Regelfall erforderlich, dass die Verrichtung einer – grundsätzlich – versicherten Tätigkeit (sachlicher Zusammenhang) zu Einwirkungen von Belastungen, Schadstoffen o.ä. auf den Körper geführt hat (Einwirkungskausalität) und die Einwirkungen eine Krankheit verursacht haben (haftungsbegründende Kausalität). Dass die berufsbedingte Erkrankung ggf. den Leistungsfall auslösende Folgen nach sich zieht (haftungsausfüllende Kausalität), ist keine Voraussetzung einer Listen-BK. Dabei müssen die versicherte Tätigkeit, die Verrichtung, die Einwirkungen und die Krankheit im Sinne des Vollbeweises – also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit – vorliegen. Für die nach der Theorie der wesentlichen Bedingung zu beurteilenden Ursachenzusammenhänge genügt indes die hinreichende Wahrscheinlichkeit, nicht allerdings die bloße Möglichkeit. Der Beweisgrad der hinreichenden Wahrscheinlichkeit ist erfüllt, wenn mehr für als gegen den Ursachenzusammenhang spricht und ernste Zweifel ausscheiden (statt vieler: BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R –, Rn. 11 m.w.N. <st.Rspr.>).
a) Vorliegend bestand bei dem Versicherten eine Erkrankung i.S.d. BK 1318, namentlich eine common-B-akute lymphatische Leukämie. Das Vorliegen dieser Erkrankung ergibt sich zweifelsfrei bereits aus dem mit der BK-Verdachtsanzeige vorgelegten Arztbrief des Universitätsklinikums Z. vom 22.08.2017. Dies hat auch der Sachverständige E. bestätigt, der in seinem Gutachten hierzu mitgeteilt hat, die akute lymphatische Leukämie gehöre zur Gruppe A der Erkrankungen, die durch eine Benzolexposition entstehen könnten (Krankheitsbilder mit epidemiologischer Information zur Dosis-Wirkungsbeziehung; dazu die Wissenschaftliche Begründung zur BK 1318 <GMBl. 49-51/2007, 974>, dort S. 94 ff.). Beides hat auch die Beklagte zu keinem Zeitpunkt in Abrede gestellt.
b) Ebenso steht zweifelsfrei fest, dass der Versicherte an seinen verschiedenen Arbeitsplätzen gegenüber Benzol exponiert war. Dies ist im Ausgangspunkt zwischen den Beteiligten unstreitig. Auch die Beklagte zieht dies nicht in Zweifel, sondern hat durch ihren Präventionsdienst im Widerspruchsverfahren zuletzt eine Gesamtexposition von 5,8 ppm-Jahren errechnet. Sie bestreitet lediglich noch, dass angesichts dieser Gesamtexposition der notwendige Ursachenzusammenhang bestehe.
c) Die Erkrankung war zur Überzeugung des Senats auch mit hinreichender Wahrscheinlich auf die berufliche Exposition des Versicherten gegenüber Benzol zurückzuführen.
Für die Beurteilung des Ursachenzusammenhangs gilt dabei im BK-Recht – wie auch sonst in der gesetzlichen Unfallversicherung – die Theorie der wesentlichen Bedingung, die zunächst auf der naturwissenschaftlich-philosophischen Bedingungstheorie beruht. Steht hiernach die versicherte Tätigkeit als eine der Ursachen der Erkrankung fest, muss sich auf der zweiten Stufe der Prüfung die Einwirkung rechtlich unter Würdigung auch aller auf der ersten Stufe festgestellten mitwirkenden unversicherten Ursachen als die Realisierung einer in den Schutzbereich des jeweils erfüllten Versicherungstatbestandes fallenden Gefahr darstellen. Die Wesentlichkeit der Ursache ist zusätzlich und eigenständig nach Maßgabe des Schutzzwecks der jeweils begründeten Versicherung rechtlich zu beurteilen (BSG, Urteil vom 27.09.2023, a.a.O. Rn. 16). Bei dieser Prüfung ist "wesentlich" nicht gleichzusetzen mit "gleichwertig" oder "annähernd gleichwertig". Auch eine nicht annähernd gleichwertige, sondern rechnerisch verhältnismäßig niedriger zu bewertende Ursache kann für den Erfolg rechtlich wesentlich sein, solange die andere Ursache keine überragende Bedeutung hat (BSG, Urteil vom 30.03.2017 –, B 2 U 6/15 R – Rn. 23 m.w.N.).
Ob die neue Rechtsprechung des Bundessozialgerichts, wonach bei BKen ohne tatbestandlich vorgegebene Einwirkungsgröße ein Ursachenzusammenhang regelmäßig nicht wegen des Unterschreitens einer normativen Mindestexpositionsdosis verneint werden kann, wenn eine solche nicht tatsächlich nach dem wissenschaftlichen Erkenntnisstand bestimmt werden kann (BSG, Urteil vom 27.09.2023 – B 2 U 8/21 R –, Rn. 17 ff., dort zur BK 1301), auf die vorliegend im Streit stehende BK 1318 übertragbar und dieser Rechtsprechung ggf. überhaupt zu folgen ist (kritisch auch Bay. LSG, Urteil vom 14.08.2024 – L 2 U 438/16 –, juris Rn. 119 ff.; Römer, jurisPR-SozR 9/2024 Anm. 2; Forchert, FD-SozVR 2024, 807732; Kranig, SGb 2024, 437 ff.; vgl. nunmehr auch § 1 Abs. 2 BKV <eingefügt m.W.v. 01.04.2025 durch die Sechste Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung vom 19.02.2025, BGBl. I Nr. 50>), lässt der Senat dahinstehen.
Auch nach den eingangs zitierten Maßstäben der ständigen Rechtsprechung ist der notwendige Ursachenzusammenhang hinreichend wahrscheinlich. Es steht zur Überzeugung des Senats fest, dass im vorliegend zu beurteilenden Einzelfall mehr dafür als dagegen spricht, dass die Leukämieerkrankung des Versicherten auf dessen berufliche Exposition gegenüber Benzol zurückzuführen war. Dabei stützt sich der Senat auf das Ergebnis der Beweisaufnahme, namentlich das schriftliche Gutachten des erfahrenen und als solcher bewährten Sachverständigen E. sowie dessen ergänzende Stellungnahmen und mündliche Erläuterungen hierzu.
aa) Einem Ursachenzusammenhang steht insbesondere nicht entgegen, dass die Gesamtexposition des Versicherten nach den Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten lediglich 5,8 ppm-Jahre betrug.
Schreibt ein BK-Tatbestand – wie der der BK 1318 – keine bestimmte Expositionsdosis normativ ausdrücklich vor, ist es Aufgabe der Versicherungsträger und Gerichte unter Berücksichtigung der Gesetzesmaterialien sowie anhand der Vorgaben des vom BMAS herausgegebenen Merkblatts, die für diese BK vorausgesetzten beruflichen Einwirkungen näher zu konkretisieren. Solchen Merkblättern kommt keine rechtliche Verbindlichkeit zu, sie sind allerdings als Interpretationshilfe und zur Wiedergabe des bei seiner Herausgabe aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisstands heranzuziehen (vgl. BSG, Urteil vom 04.07.2013 – B 2 U 11/12 R –, juris Rn. 14; zu letzterem auch BSG, Urteil vom 17.12.2015 – B 2 U 11/14 R –, Rn. 16; alle m.w.N.; vgl. auch § 1 Abs. 2 BKV: „vorrangig zu berücksichtigen“; zur Begründung BR-Drs. 614/24, 8 f.). Das über das Vorliegen einer BK befindende Gericht muss sich Klarheit darüber verschaffen, welches in der streitigen Frage der aktuelle Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse ist (ausführlich dazu BSG, Urteil vom 30.03.2017 – B 2 U 6/15 R –, Rn. 18 m.w.N.).
(1) Der Beklagten ist danach zwar zuzugeben, dass nach der Wissenschaftlichen Begründung, auf die das Merkblatt zur BK 1318 (GMBl. 5/6/2010, S. 94 ff.) verweist, bei Krankheiten der Gruppe A, zu denen – wie erwähnt – auch die akute lymphatische Leukämie des Versicherten gehört,
„aus der Gesamtschau der gegenwärtigen epidemiologischen und toxikologischen Evidenz von einer Verursachungswahrscheinlichkeit über 50 % ab einem Bereich von zehn ppm-Benzoljahren auszugehen [ist]“ (a.a.O. S. 55, ebenso S. 59; dem folgend LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 18.06.2024 – L 3 U 216/21 – juris Rn. 76 m.w.N. <dort zu einer akuten myeloischen Leukämie>; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Aufl. 2024, Kap. 14.2.2).
Wesentliche neuere wissenschaftliche Erkenntnisse gibt es nach Auskunft des Sachverständigen hierzu nicht. Eine Gesamtexposition von 10 ppm-Jahren erreichte der Versicherte nach den Ermittlungen des Präventionsdienstes der Beklagten hingegen nicht, ebenso wenig den nach der Wissenschaftlichen Begründung (dort S. 60) in bestimmten Fallgestaltungen mit einer geringen Belastung nach Maßgabe der Umstände des Einzelfalls ausreichenden „hohen einstelligen bzw. unteren zweistelligen Bereich […], d.h. oberhalb ca. acht ppm-Jahren“ (Wissenschaftliche Begründung, S. 60 f.; vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, a.a.O.; Schönberger/Mehrtens/Valentin, a.a.O.; jeweils m.w.N.).
(2) Nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand sind die Werte von 10 bzw. ausnahmsweise 8 ppm-Jahren jedoch kein Abschneidekriterium, bei dessen Nichterreichen ein Ursachenzusammenhang von vorneherein ausschiede.
Der Sachverständige E., der „Zitat wurde entfernt“ über eine herausragende Expertise verfügt, hat dem Senat hierzu auf Nachfrage ausdrücklich mitgeteilt, dass ein Umkehrschluss, wonach bei einer Benzolexposition von weniger als 10 ppm-Jahren die Verursachungswahrscheinlichkeit bei unter 50 % liege, wissenschaftlich nicht zu begründen sei. Neuere Studien zeigten eine entsprechende Risikoerhöhung auch unter 10 ppm-Jahren. Es gebe nach jetzigem Stand der Wissenschaft keine klare Abgrenzung der kumulativen Dosis. Die Werte von 10, aber auch von 8 ppm-Jahren stellten keinen fixen Grenzwert dar. Insoweit hat der Sachverständige ausdrücklich auf die Diskrepanzen in den Studien hingewiesen, die Eingang in die Wissenschaftliche Begründung zur BK 1318 gefunden haben. Diese Studien wiesen in den Ergebnissen eine sehr breite Streuung auf und unterschieden sich hinsichtlich der Expositionsabschätzung mitunter fast um den Faktor 5; auf dieser Grundlage einen Grenzwert festzusetzen, hätte lediglich eine „Pseudogenauigkeit“ gebracht,
vgl. dazu auch: Bünger/Eisenhawer/Westphal/Brüning, IPA-Journal 01/2022, S. 6 ff. (7): „Allerdings handelt es sich bei dieser Dosis [von 8 bis 10 ppm-Jahren] nicht um ein Abschneidekriterium, da bei der Zusammenhangsbeurteilung weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind.“
Vielmehr ist nach der Einschätzung des Sachverständigen ggf. eine Einzelfallbetrachtung vorzunehmen (vgl. dazu auch nochmals Bünger/Eisenhawer/Westphal/Brüning, a.a.O., wonach „bei der Zusammenhangsbeurteilung weitere Gesichtspunkte zu berücksichtigen sind“); die Empfehlungswerte aus der Wissenschaftlichen Begründung seien lediglich – wenn auch wichtige – Orientierungspunkte (vgl. in diesem Zusammenhang auch die Begründung zur Zweiten Verordnung zur Änderung der Berufskrankheiten-Verordnung <BR-Drs. 242/09, 15>, die insoweit explizit von Orientierungswerten spricht) für Praxis und Begutachtungen. Diese Annahme steht im Einklang mit der Wissenschaftlichen Begründung selbst (dort S. 60; vgl. auch nochmals), die ausdrücklich bereits auf Folgendes hingewiesen hat:
„In der Einzelfallbeurteilung ist wegen des Fehlens belastbarer Messdaten und der erheblichen Bedeutung verschiedener Rahmenbedingungen (Hautkontakt, Belastungsspitzen, jugendliches Alter, Polymorphismen) eine belastbare Expositionsermittlung oft nicht möglich; zudem deuten toxikologische (Sättigungskinetik) und epidemiologische Befunde darauf hin, dass die kumulative Expositionsdosis nicht das einzig relevante Risikomaß darstellt. Es wird daher nochmals auf den orientierenden Charakter der Empfehlungen in den Abschnitten 3.2. und 3.3. hingewiesen; besondere Umstände des Einzelfalls sind, wenn sie vorliegen sollten, unbedingt zu berücksichtigen.“
Erläuternd hat der Sachverständige hierzu ausgeführt, dass es Hinweise gebe, dass das Prinzip der kumulativen Dosis für die Abschätzung des Leukämierisikos bei Benzolexposition schlechter geeignet sei als gedacht. Der Benzolmetabolismus scheine je nach genetischer Ausstattung und dem Vorliegen genetischer Polymorphismen sowie zusätzlicher Lebensstilfaktoren (z.B. Alkoholgenuss) signifikant unterschiedlich zu sein. Überdies vertrete eine neuere Arbeit, dass das Risiko einer benzolinduzierten Leukämie wahrscheinlich von einer chronischen Entzündung des Knochenmarks ausgehe und damit die kumulative Exposition keine adäquate Risikoabschätzung erlaube, sondern relevant eher sei, in welchem Alter diese chronische Entzündung induziert und wie lange diese aufrechterhalten werde.
(3) Eine solche Einzelfallbetrachtung ist vorliegend anzustellen. Insoweit hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass bei dem Versicherten eine besondere Gefährdung bestanden habe, weil dieser bereits bei Beginn seiner Lehre zum Maler und Lackierer im jugendlichen Alter von 14 Jahren Benzoleinwirkungen ausgesetzt gewesen sei und dies auch nicht nur inhaltativ, sondern auch dermal, da er mehrmals täglich seine Hände und Unterarme sowie die Pinsel mit lösungsmittelhaltigen Substanzen gereinigt habe. Auch insoweit kann sich der Sachverständige bereits auf die oben bereits wiedergegebene Wissenschaftliche Begründung zur BK 1318 (vgl. dort S. 60) stützen.
Die vom Sachverständigen benannten Umstände sprechen dabei auch zur Überzeugung des Senats für einen Ursachenzusammenhang. Soweit im Schrifttum der Hinweis auf eine Exposition im jugendlichen Alter teilweise relativiert wird
– vgl. Mehrtens/Brandenburg, BKV (Stand: XII/2016), M 1318, S. 17: „Es gibt epidemiologische Belege für ein erheblich erhöhtes Risiko für Leukämien im Kindesalter bei Benzolexpositionen. Daher sind Expositionen im Kindesalter (z.B. Mithilfe im elterlichen Betrieb) zu beachten. Der Hinweis bezieht sich hingegen nicht auf den üblichen Beginn der Berufsausbildung im Jugendalter.“ –
ist der Sachverständige dem in der mündlichen Verhandlung entgegengetreten und hat erläutert, dass bei Kindern und auch Jugendlichen eine besondere Empfindlichkeit des immunologischen Systems festzustellen ist. Insoweit lasse sich kein fixer Endpunkt etwa mit dem 14. Lebensjahr setzen, sondern die Empfindlichkeit setze sich auch danach im jugendlichen Alter fort.
Zusätzlich hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass der Versicherte bereits im Alter von 57 Jahren und damit verglichen mit dem durchschnittlichen Erkrankungsalter unter Erwachsenen von ca. 80 Jahren relativ früh erkrankt sei. Diese sog. Vorverlagerung sei ein Baustein, der für einen Ursachenzusammenhang spreche. Auf Nachfrage des Senats hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung hierzu weiter erläutert, dass sich aus der Latenz insbesondere zwischen der erstmaligen Exposition im Jugendalter und dem Auftreten der Erkrankung im Jahr 2017 ergebe, dass auch Expositionsspitzen nicht sofort wirkten. Vielmehr setze sich das Benzol gleichsam in den Stammstellen des Knochenmarks fest.
(4) Umstände, die gegen einen Ursachenzusammenhang zwischen der beruflichen Benzolexposition und der Erkrankung sprechen können, überwiegen dagegen zur Überzeugung des Senats nicht. Eine Infektion mit lymphotrophen Viren, die insoweit als Konkurrenzursache infrage kommen könnte (vgl. die Wissenschaftliche Begründung zur BK 1318, S. 64), konnte nach Auskunft des Sachverständigen bei dem Versicherten nicht identifiziert werden. Als einzige Konkurrenzursache kommt nach dessen Einschätzung ein Nikotinabusus des Versicherten in Betracht. Dabei mag dahinstehen, ob die nicht näher begründete Erwähnung eines Tabakkonsums von 20 Packungsjahren (pack years; entspricht z.B. dem Konsum von einem Päckchen Zigaretten täglich über einen Zeitraum von 20 Jahren), wie sie sich in den Behandlungsunterlagen des Universitätsklinikum findet (vgl. Ärztlicher Bericht vom 22.08.2017), überhaupt zutrifft. Die Klägerin hat in der mündlichen Verhandlung demgegenüber angegeben, der Versicherte habe nach ihrer Erinnerung nur gelegentlich geraucht, z.B. auf Partys und wenn er ein paar Bier getrunken habe. Er habe aber nie in einem wirklich höheren Umfang geraucht, schon gar nicht eine ganze Packung am Tag. Aber selbst wenn man vorliegend einen Tabakkonsum von 20 Packungsjahren unterstellen wollte, ergäbe sich nichts anderes. Denn im vorliegenden Zusammenhang sei, so der Sachverständige, ein Tabakgebrauch von Packungsjahren noch „moderat“. Diese Einschätzung hat der Sachverständige in der mündlichen Verhandlung des Senats dahingehend erläutert, dass im Hinblick auf die Verursachung von Leukämien vor allen der Benzolanteil im Tabakrauch von Belang sein könne, der bei Zigaretten allerdings nur gering sei. Der Senat hält dies für überzeugend und macht sich die Einschätzung des Sachverständigen zu Eigen.
(5) Die Verursachung der akuten lymphatischen Leukämie durch die berufliche Exposition, für die nach allem in tatsächlicher Hinsicht Überwiegendes spricht, ist auch rechtlich wesentlich. Sie fällt zwanglos in den Schutzbereich des Tatbestandes der BK 1318.
4. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 SGG. § 183 S. 1 SGG findet dabei auch im Berufungsverfahren Anwendung, weil die Klägerin das Verfahren als Sonderrechtsnachfolgerin i.S.d. § 56 SGB I fortführt (dazu oben 2a). Dass sie vorliegend allein die isolierte Feststellung einer BK begehrt, ist unschädlich (vgl. BSG, Urteil vom 16.03.2021 – B 2 U 17/19 –, Rn. 44).
5. Anlass, die Revision gemäß § 160 Abs. 2 SGG zuzulassen, besteht nicht.