L 5 P 40/25 NZB

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
5
1. Instanz
SG Dortmund (NRW)
Aktenzeichen
S 100 P 677/22
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 5 P 40/25 NZB
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Beschluss

Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Berufung in dem Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 28.01.2025 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwertwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 213,19 Euro festgesetzt.

Gründe:

Die zulässig erhobene Beschwerde ist unbegründet, weil Zulassungsgründe nicht gegeben sind.

A. Gemäß § 144 Abs. 1 SGG bedarf die Berufung der Zulassung in einem Urteil des Sozialgerichts, wenn der Wert des Beschwerdegegenstands bei einer Klage, die eine Geld- oder Sachleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750,00 Euro oder bei einer Erstattungsstreitigkeit zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts oder Behörden 10.000,00 Euro nicht übersteigt. Das gilt nicht, wenn die Berufung wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr betrifft.

 

Die Berufung ist nicht kraft Gesetzes zugelassen, weil sich der hier streitige Erstattungsbetrag in der Hauptsache lediglich auf einen Wert von 213,19 Euro beläuft und sich die Klage nicht auf wiederkehrende oder laufende Leistungen für mehr als ein Jahr bezieht.

 

Gründe für eine Zulassung der Berufung im Sinne von § 144 Abs. 2 SGG liegen nicht vor. Danach ist die Berufung nur zuzulassen, wenn (1) die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, (2) das Urteil von einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf der Abweichung beruht, oder (3) ein der Beurteilung des Berufungsgerichts unterliegender Verfahrensmangel geltend gemacht wird, auf dem die Entscheidung beruhen kann.

 

Keiner dieser Zulassungsgründe liegt vor.

 

I. Die Sache hat keine grundsätzliche Bedeutung. Grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 144 Abs. 2 Nr. 1 SGG hat eine Rechtssache, wenn sie eine bisher ungeklärte Rechtsfrage aufwirft, deren Klärung im allgemeinen Interesse liegt, um die Rechtseinheit zu erhalten und die Weiterentwicklung des Rechts zu fördern (Klärungsbedürftigkeit), und deren Klärung auch durch das Berufungsgericht zu erwarten ist (Klärungsfähigkeit). Ein Individualinteresse genügt nicht (Keller, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 144 Rn. 28 f. m.w.N. aus der Rspr.). Die Rechtsfrage darf sich nicht unmittelbar und ohne weiteres aus dem Gesetz beantworten lassen oder bereits von der höchstrichterlichen Rechtsprechung entschieden sein (vgl. z.B. BSG, Beschluss v. 15.05.1997 - 9 BVg 6/97 zum im Wesentlichen gleichlautenden § 160 SGG; zum Ganzen vgl. LSG NRW, Beschluss v. 07.10.2011 - L 19 AS 937/11 NZB, juris Rn. 17).

 

1. Soweit die Beklagte mit ihrer Beschwerde geltend macht, die grundsätzliche Bedeutung dieser Streitsache ergebe sich daraus, dass die Klägerin das Pflegegeld für den verstorbenen Versicherten nicht auf sein Konto, sondern auf das Konto der von ihm als empfangsberechtigt angegebenen U.Z. überwiesen hat, ist dem nicht zu folgen. Es ist geklärt und lässt sich unmittelbar aus dem Gesetzeswortlaut ableiten, dass mit „Konto“, das Konto gemeint ist, auf das auf Wunsch des Berechtigten die Sozialleistung überwiesen worden ist und es nicht darauf ankommt, ob es sich um ein eigenes Konto des Leistungsberechtigten oder um das Konto eines vom Leistungsberechtigten benannten Dritten handelt (vgl. BSG, Urteil v. 24.02.2016 - B 13 R 22/15 R Rn. 28; Bayerisches LSG, Beschluss v. 12.04.2010 - L 13 R 951/09, juris Rn. 20; Pflüger, in: jurisPK-SGB VI, § 118 Rn. 83; Plagemann, in: Keck/Michaelis, Die Rentenversicherung im SGB, § 118 Rn. 7). Eine grundsätzliche Bedeutung lässt sich auch nicht daraus konstruieren, dass der 9. Senat im Bereich des Versorgungsrechts davon ausgegangen ist, dass sich der Erstattungsanspruch des § 118 Abs. 3 SGB VI nur auf das Überweisungskonto, nicht aber auf weitere Konten des Berechtigten bezieht (BSG, Urteil v. 01.09.1999 - B 9 V 6/99 R). Denn der von der Klägerin geltend gemachte Anspruch bezieht sich gerade auf das Überweisungskonto.

 

2. Die Frage, dass sich die Verjährungsfrist - unter Zugrundelegung welcher Regelung auch immer - auf vier Jahre beläuft, begründet ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung.

 

II. Auch eine Divergenz ist nicht gegeben. Eine Divergenz i.S.d. § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG setzt voraus, dass ein Sozialgericht in der angefochtenen Entscheidung einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Ein tragender Rechtssatz liegt nur vor bei fallübergreifender, nicht lediglich auf Würdigung des Einzelfalls bezogener rechtlicher Aussage (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 160, Rn. 13 m.w.N). Für die Annahme einer Divergenz genügt es daher nicht, wenn die angefochtene Entscheidung nicht den Kriterien entspricht, die das Landessozialgericht, das Bundessozialgericht oder das Bundesverfassungsgericht aufgestellt haben oder wenn das Sozialgericht die Rechtsprechung der genannten Gerichte nicht gekannt, übersehen oder verkannt hat (vgl. B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 160, Rn. 14; Frehse, in: Jansen, SGG, 4. Aufl. 2012, § 144 Rn. 18 jeweils m.w.N. aus der Rspr.). Die Begründung des Gerichts muss vielmehr erkennen lassen, dass es den in § 144 Abs. 2 Nr. 2 SGG genannten Gerichten widersprochen und von deren rechtlichen Aussagen abweichende, d.h. mit diesen unvereinbare rechtliche Maßstäbe aufgestellt hat (BSG, Beschluss v. 23.06.2015 - B 14 AS 345/14 B, Rn. 3; B. Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 160, Rn. 14: „Widerspruch im Grundsätzlichen“).

 

Nach Maßgabe der vorbezeichneten Grundsätze ist nicht erkennbar, dass das Sozialgericht in dem angefochtenen Urteil einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem abstrakten Rechtssatz in einer Entscheidung des Landessozialgerichts, des Bundessozialgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts aufgestellt hat. Es hat vielmehr die einschlägige Rechtsprechung herangezogen und diese auf den hier zu beurteilenden Sachverhalt angewendet. Selbst wenn dem Sozialgericht ein Rechtsanwendungsfehler unterlaufen wäre, worauf hier allerdings nichts hindeutet, könnte dies nicht die Zulassung der Berufung wegen Divergenz begründen.

 

III. Schließlich ist auch ein Verfahrensmangel (§ 144 Abs. 2 Nr. 3 SGG) nicht gegeben. Ein Mangel des Verfahrens liegt immer dann vor, wenn das Sozialgericht gegen eine das sozialgerichtliche Verfahren regelnde Vorschrift verstößt. Dabei geht es im Wesentlichen um das prozessuale Vorgehen des Gerichts auf dem Weg zum Urteil (vgl. nur Sommer, in: BeckOGK SGG, § 144 Rn. 44 m.w.N.). Der Verfahrensmangel muss tatsächlich geltend gemacht werden, er ist nicht schon von Amts wegen zu berücksichtigen. Auch wenn die Verfahrensrüge nicht den besonderen Formen entsprechen muss, die für Verfahrensrügen vor dem Bundessozialgericht vorgesehen sind, muss substantiiert dargetan werden, welcher Mangel geltend gemacht wird und inwieweit die angefochtene Entscheidung auf diesem Mangel beruht. Ein offensichtlicher, aber nicht gerügter Mangel führt nicht zu einer Zulassung der Berufung. Liegt ein anderer Mangel, nicht aber der gerügte Mangel vor, so ist kein Zulassungsgrund gegeben (zum Ganzen vgl. Sommer, in: BeckOGK SGG, § 144 Rn. 45 f.; Wehrhahn, in: jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 144 Rn. 47, jeweils m.w.N.)

 

1. Entgegen der von der Beklagten vertretenen Auffassung war U.Z. nicht gemäß § 75 Abs. 2 Alt. 1 SGG zum Verfahren notwendig beizuladen. Denn das Bestehen oder Nichtbestehen eines Anspruchs gegen das Geldinstitut nach § 118 Abs. 3 SGG ist nur eine Vorfrage für das Rechtsverhältnis des Rentenversicherungsträgers gegenüber Empfängern und Verfügenden nach § 118 Abs. 4 SGB VI, so dass es an einer Identität des Streitgegenstandes fehlt (vgl. ausführlich zur Beiladung BSG, Urteil v. 24.02.2016 - B 13 R 25/15 R, Rn. 12 ff; Pflüger, in: jurisPK-SGB VI, § 118 Rn. 202).

 

2. Soweit die Beklagte beanstandet, das Sozialgericht habe durch die Anforderung von Kontodaten der U.Z. das Bankgeheimnis verletzt, begründet auch dies keinen Verfahrensmangel. Ein Geldinstitut wird durch seine Darlegungspflichten nicht zu einer verfassungswidrigen Verletzung des sog. Bankgeheimnisses gezwungen. § 118 Abs. 3 SGB VI beinhaltet eine verfassungsrechtlich unbedenkliche Eingrenzung der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten allgemeinen Handlungsfreiheit, die das Persönlichkeitsrecht des jeweiligen Kontoinhabers sowie seine Vertragsfreiheit und die des Geldinstituts umfasst (Pflüger, in: jurisPK-SGB VI, § 118 Rn. 137). Die bankvertraglich geschlossene „Stillschweigensvereinbarung“ - also das Bankgeheimnis - wird durch § 118 Abs. 3 SGB VI weder aufgehoben noch eingeschränkt, sondern lediglich für bestimmte Fallkonstellationen angemessen begrenzt. Ein schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung der den Schutzbetrag betreffenden Kontobewegungen haben weder das Geldinstitut noch Dritte, die die Geldleistung empfangen oder über diese verfügt haben (vgl. BSG, Urteil v. 13.12.2005 - B 4 RA 28/05 R, juris Rn. 16).

 

3. Im Hinblick auf den von der Beklagten gerügten Verstoß gegen „den Datenschutz“ ist Folgendes zu berücksichtigen: Pauschale Verweise auf „Datenschutzverstöße“ oder die Geltendmachung „datenschutzrechtlicher Bedenken“ reichen bei Weitem nicht aus, um Rechtsverstöße auf materieller oder, wie hier, auf prozessualer Ebene zu begründen. Erforderlich ist vielmehr die schlüssige Darlegung, welche Regelungen das Gericht durch welche Handlungen verletzt haben soll. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass sich das BSG bereits mit den datenschutzrechtlichen Aspekten der Auskunftspflicht von Banken und Sparkassen auseinandergesetzt hat (vgl. BSG, Urteil v. 26.07.2023 - B 5 R 25/21 R).

 

4. Soweit die Beklagte schließlich beanstandet, das Sozialgereicht habe entscheidungserheblichen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen und übergangen, vermag auch dies keinen zur Zulassung der Berufung führenden Verfahrensmangel zu begründen. Art 103 Abs 1 GG verpflichtet ebenso wie § 62 SGG die Gerichte, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Das Gebot der Gewährung rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Fehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Beteiligten haben. Dieses Gebot verpflichtet die Gerichte allerdings nicht, der Rechtsansicht eines Beteiligten zu folgen. Ebenso wenig sind sie gehalten, jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich zu bescheiden. Das bedeutet, dass nur das Wesentliche der Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung dienende Vorbringen in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden muss (zum Ganzen vgl. nur BSG, Beschluss v. 07.01.2016 - B 9 V 4/15 C, Rn. 8 m.w.N. aus der Rspr. des BVerfG). Für eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör sind daher besondere Umstände aufzuzeigen, aus denen sich ergibt, dass das Gericht seinen Pflichten nicht nachgekommen ist. Besondere Umstände liegen etwa vor, wenn das Gericht auf den wesentlichen Kern des entscheidungserheblichen Tatsachenvortrags eines Beteiligten nicht eingeht (vgl. BSG, Beschluss v. 05.03.2024 - B 12 KR 8/23 C Rn. 4 m.w.N.).

 

Davon, dass das Sozialgericht in dem Urteil vom 28.01.2025 entscheidungserheblichen Vortrag übergangen hat, kann nicht einmal im Ansatz die Rede sein. Vielmehr setzt sich die angefochtene Entscheidung mit den wesentlichen Aspekten des Beklagtenvorbringens auseinander. Dass nicht jedes Vorbringen eines Beteiligten ausdrücklich und ausführlich zu bescheiden ist, wurde bereits dargelegt.

 

IV. Das Beschwerdevorbringen der Beklagten insbesondere zur „Entreicherung“ und zu der von ihr bereits vorprozessual und erstinstanzlich erhobenen bzw. wiederholten Einrede der Verjährung deutet darauf hin, dass sie (auch) die inhaltliche Unrichtigkeit der angefochtenen Entscheidung zum Gegenstand ihrer Beschwerde macht. Darauf kann jedoch eine Nichtzulassungsbeschwerde - wie der Beklagten bekannt sein müsste und somit keiner weiteren Vertiefung bedarf - nicht gestützt werden (vgl. nur BSG, Beschluss v. 09.06.2023 - B 12 KR 17/22 B, Rn. 15; Wehrhahn, in: jurisPK-SGG, 2. Aufl. 2022, § 144 Rn. 34 m.w.N).

 

B. Die Kostenentscheidung beruht auf einer entsprechenden Anwendung des § 197a Abs. 1 Satz 1 Teilsatz 3 SGG i.V.m. § 154 Abs. 2 VwGO.

 

C. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 197a Abs. 1 Satz 1 Teilsatz 1 SGG i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG

 

D. Mit der Zurückweisung der Beschwerde wird das Urteil des Sozialgerichts Dortmund vom 28.01.2025 rechtskräftig (vgl. § 145 Abs. 4 Satz 4 SGG).

Rechtskraft
Aus
Saved