Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 01.08.2023 geändert.
Der Bescheid vom 14.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2020 wird aufgehoben. Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die ungedeckten Kosten für die stationäre Unterbringung der verstorbenen Frau D. im Zeitraum 06.06.2019 bis 31.07.2020 ohne Berücksichtigung von Vermögen zu zahlen.
Die Beklagte hat dem Kläger in beiden Rechtszügen die außergerichtlichen Kosten zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Übernahme von Kosten für die stationäre Unterbringung der verstorbenen Frau L. D. vom 06.06.2019 bis zum 31.07.2020.
Der Kläger ist der Träger des I. Seniorenzentrums in P.. Die 0000 geborene, verwitwete Frau D. lebte dort vom 03.02.2017 bis zu ihrem Tod am 00.00.0000. Sie hatte einen Sohn, der ebenfalls in P. lebt, und eine Tochter, die in Y. lebt. Frau D. bezog Altersrente (ab dem 01.12.2018 iHv 248,27 € netto) und Witwenrente (ab dem 01.07.2019 iHv 1.209,78 € netto). Darüber hinaus verfügte sie über ein Bankguthaben, das sich am 01.02.2012 auf ca. 62.000 €, am 01.02.2015 auf ca. 42.500 € und zum Zeitpunkt der Heimaufnahme auf ca. 12.600 € belief. Dazu kam eine Lebensversicherung mit einem Rückkaufswert im Jahr 2017 iHv ca. 4.400 €. Am 16.02.2015 wurde ein Betrag iHv 40.000 € in bar von dem Konto der Frau D. abgehoben. Der Sohn fand im April 2016 ca. 10.000 € in der Wohnung der Frau D. und zahlte den Betrag auf ein Sparbuch ein.
Im November 2016 meldete sich die Tochter bei der Betreuungsbehörde und bat um Bestellung eines rechtlichen Betreuers. Ihre Mutter sei mit ihrer Lebenssituation überfordert und habe Wahnvorstellungen. Das Betreuungsgericht holte ein psychiatrisches Gutachten über Frau D. ein. Sie war teilweise desorientiert, ihre kognitiven Fähigkeiten waren stark eingeschränkt und es bestanden akustische Halluzinationen und paranoide Ideen bei einer mittelschweren Demenz einhergehend mit einer organischen paranoiden Psychose. Mit Beschluss vom 15.12.2016 bestellte das AG P. die Berufsbetreuerin T. als rechtliche Betreuerin. Diese unterschrieb am 02.02.2017 den Heimvertrag. Am 03.02.2017 wurde Frau D. in das Pflegeheim des Klägers aufgenommen. Mit Bescheid vom 21.04.2017 erkannte die Pflegeversicherung ab dem Zeitpunkt der Heimaufnahme das Vorliegen des Pflegegrades 2 an.
Einen ersten Antrag auf Pflegewohngeld vom 03.02.2017 nahm die Betreuerin nach dem Hinweis des Beklagten, dass bei einem Vermögen von ca. 16.400 € kein Anspruch bestehe, zurück. Am 02.11.2017 beantragte die Betreuerin erneut Pflegewohngeld, da das Vermögen mittlerweile unter 10.000 € liege. Zu den 40.000 €, die am 16.02.2015 in bar von dem Konto abgehoben wurden, erklärte sie, Frau D. könne dazu keine Angaben machen. Sie legte einige Rechnungen über Anschaffungen und Auto-Reparaturen vor. Der Beklagte lehnte den Antrag mit Bescheid vom 09.05.2018 ab, da der Verbrauch von Vermögen iHv ca. 52.000 € nicht geklärt und die Hilfebedürftigkeit damit nicht nachgewiesen sei. Im Widerspruchsverfahren erklärte die Betreuerin, Frau D. habe ihr gegenüber gesagt, sie habe ihren Kindern Geld gegeben, was diese jedoch bestritten. Außerdem habe sie größere Renovierungsarbeiten in der Wohnung durchgeführt. Es sei davon auszugehen, dass Frau D. den Restbetrag verlebt habe. Der Beklagte wies den Widerspruch wegen der ungeklärten Vermögensverhältnisse mit Widerspruchsbescheid vom 28.11.2018 zurück. Frau D. erhob dagegen Klage bei dem Verwaltungsgericht Gelsenkirchen, die sie später wieder zurücknahm.
Der Kläger kündigte den Platz im Pflegeheim mit Schreiben vom 28.05.2018 wegen Zahlungsrückständen iHv 7.872,21 € fristlos und forderte Frau D. auf, das Zimmer bis zum 26.06.2019 zu räumen. Die Betreuerin setzte daraufhin mit Zustimmung des Betreuungsgerichts sämtliches Vermögen der Frau D. zur Deckung der Heimkosten ein. Am 18.10.2018 wurde auch die Lebensversicherung aufgelöst und das Guthaben iHv ca. 5.000 € an den Kläger gezahlt. Die Renten leitete die Betreuerin an das Pflegeheim weiter. Sie überwies am 02.06.2020 8.500 €, am 02.07.2020 1.700 € und am 01.09.2020 3.000 €.
Die Betreuerin teilte dem Beklagten am 06.06.2019 mit, der Heimplatz sei gekündigt worden und bat um Übernahme der offenen Heimkosten. Zu dem Zeitpunkt verfügte Frau D. über ein Vermögen iHv 393,16 € (335,56 € auf dem Girokonto und 57,60 € auf dem Taschengeldkonto im Heim).
Mit zwei Bescheiden vom 14.08.2019 lehnte der Beklagte die Bewilligung von Pflegwohngeld und die Übernahme der offenen Heimkosten ab. Aufgrund der ungeklärten Vermögensverhältnisse der Frau D. sei die Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen. Die Widersprüche wurden mit Widerspruchsbescheiden vom 26.06.2020 mit gleicher Begründung zurückgewiesen.
Frau D. hat hiergegen am 24.07.2020 Klage erhoben. Sie verfüge nicht mehr über einzusetzendes Vermögen. Die Betreuerin habe bei der Übernahme der Betreuung kein weiteres Geld außer dem auf den Konten vorgefunden und Frau D. habe das Geld aufgrund eines aufwändigen Lebensstils für sich verbraucht. Sie könne wegen ihrer Erkrankung dazu keine Angaben mehr machen.
Am 24.08.2020 hat Frau D. bei dem Sozialgericht Gelsenkirchen beantragt, den Beklagten im Wege der einstweiligen Anordnung zur Übernahme der ungedeckten Heimkosten zu verpflichten (S 12 SO 164/20 ER). Der Beklagte hat den Anspruch daraufhin ab dem 01.08.2020 anerkannt.
Das Sozialgericht hat den Kläger mit Beschluss vom 11.12.2020 zum Verfahren beigeladen. Am 00.00.0000 ist Frau D. verstorben. Der Kläger ist gem. § 19 Abs. 6 SGB XII in das Verfahren eingetreten, er hat eine Forderungsaufstellung mit den zugrunde liegenden Rechnungen vorgelegt.
Der Kläger hat beantragt,
den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 14.08.2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2020 zu verurteilen, dem Kläger für die verstorbene L. D. für die Zeit vom 06.06.2029 bis zum 31.07.2020 Hilfe zur Pflege iHv 16.934,63 € zu gewähren sowie den Beklagten zu verurteilen, für die aufgelaufenen Heimkosten iHv 16.934,63 € Prozesszinsen iHv 4 % über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er hat an der Begründung seiner Ablehnung für den Zeitraum bis zum 31.07.2020 festgehalten.
Auf Nachfrage durch das Sozialgericht hat der ehemalige Vermieter (H. eV) erklärt, Hinweise auf eine Renovierung der von Frau D. angemieteten Wohnung habe er nicht. Das Sozialgericht hat die Kontoauszüge der Frau D. bei der Sparkasse P. beigezogen. Am 12.07.2022 hat das Sozialgericht einen Erörterungstermin durchgeführt, die Betreuerin und der Sohn der Frau D. sind als Zeugen vernommen worden. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll Bezug genommen.
Mit Urteil vom 01.08.2023, dem Kläger zugestellt am 17.08.2023, hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Der Kläger sei gem. § 19 Abs. 6 SGB XII Rechtsnachfolger der Frau D.. Diese habe keinen Anspruch auf Übernahme der Heimkosten gehabt. Sie habe ihre Hilfebedürftigkeit nicht nachgewiesen. Als Vermögen seien auch Beträge zu berücksichtigen, deren Verbleib ungeklärt sei. Frau D. habe am 17.02.2015 40.000 € in bar von ihrem Konto abgehoben. Der Verbrauch dieses Geldes sei weiterhin nicht geklärt. Zwar seien bestimmte Geldflüsse nachzuvollziehen, weiterhin ungeklärt sei jedoch ein Betrag iHv 27.500 €, der weit über dem maßgeblichen Schonvermögen von 5.000 € liege. Die Unaufklärbarkeit des Sachverhaltes gehe zu Lasten des Klägers als Rechtsnachfolger von Frau D..
Der Kläger hat am 11.09.2023 Berufung eingelegt. Das Sozialgericht habe den Sachverhalt falsch gewürdigt, da zahlreiche Ausgaben nachgewiesen worden seien, die einen Verbrauch des Vermögens belegten. Zudem habe das Sozialgericht das Recht falsch angewendet, da es um existenzsichernde Leistungen gehe, die auch dann zu bewilligen seien, wenn ein schuldhaftes Verhalten vorliege. Es sei nicht wertungsgerecht, existenzsichernde Leistungen nicht zu erbringen, weil Teile des Vermögens nicht mehr aufklärbar seien, obwohl es zahlreiche Erklärungsansätze für den Verbleib gebe. Der Kläger befände sich in einem Beweisnotstand aufgrund des krankheitsbedingten Kontrollverlustes der Bewohnerin.
Der Kläger beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 01.08.2023 zu ändern, den Bescheid vom 14.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.06.2020 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin die ungedeckten Kosten für die stationäre Unterbringung der verstorbenen Frau L. D. im Zeitraum 06.06.2019 bis 31.07.2020 ohne Berücksichtigung von Vermögen zu zahlen.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Beklagte hält das Urteil für zutreffend. Solange der Verbrauch des Vermögens nicht nachgewiesen sei, könnten Leistungen nach dem SGB XII nicht beansprucht werden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird Bezug genommen auf die Gerichtsakte, die Verwaltungsakte des Beklagten und die beigezogene Betreuungsakte des Amtsgerichts Gladbeck, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Der Bescheid vom 14.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2020 ist rechtswidrig. Frau D. hatte Anspruch auf Übernahme der ungedeckten Heimkosten im Zeitraum 06.06.2019 bis 31.07.2020 und dieser Anspruch ist nach deren Tod gem. § 19 Abs. 6 SGB XII auf den Kläger übergegangen.
Streitgegenstand des Verfahrens ist der Bescheid vom 14.08.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 26.06.2020, mit dem es der Beklagte abgelehnt hat, die ungedeckten Heimkosten der Frau D. ab dem 06.06.2019 zu übernehmen. Der streitige Zeitraum reicht bis zum 31.07.2020, nachdem der Beklagte die Kosten ab dem 01.08.2020 aufgrund des Anerkenntnisses in dem Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes übernommen hat. Inhaber des Anspruchs ist nach dem Tod von Frau D. gem. § 19 Abs. 6 SGB XII der Kläger geworden. Frau D. ist vom Kläger eine Leistung für eine Einrichtung erbracht worden. Dieser durch die Sonderrechtsnachfolge kraft Gesetzes herbeigeführte Beteiligtenwechsel ist keine Klageänderung iSd § 99 SGG, sondern führt lediglich von Amts wegen zu einer Berichtigung des Rubrums (BSG Urteil vom 08.03.2017 – B 8 SO 20/15 R).
Bei dem Anspruch auf Übernahme von ungedeckten Heimkosten handelt es sich um eine Sachleistung. Die Bewilligung erfolgt grundsätzlich in Form des Schuldbeitritts zu der zivilrechtlichen Verpflichtung des Heimbewohners (BSG Urteil vom 28.10.2008 – B 8 SO 22/07 R). Im Falle des Beteiligtenwechsels nach § 19 Abs. 6 SGB XII wandelt sich der Sachleistungsanspruch jedoch in einen Geldleistungsanspruch um (BSG Urteil vom 08.03.2017 – B 8 SO 20/15 R; Filges in: jurisPK-SGB XII, 4. Aufl., § 19 Rn. 125). Der Kläger kann seinen Antrag daher auch unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des BSG auf den Erlass eines Grundurteils beschränken (BSG Urteil vom 08.03.2017 – B 8 SO 20/15 R; kritisch zur Rechtsprechung des BSG, ein Grundurteil sei bei einem Sachleistungsanspruch nicht zulässig, Urteil des Senats vom 10.03.2022 - L 9 SO 136/19).
Der Kläger hat Anspruch auf Zahlung der im Zeitraum 06.06.2019 bis 31.07.2020 nach Einsatz von Pflegeversicherungsleistungen und Renteneinkommen ungedeckt gebliebenen Kosten für die stationäre Unterbringung der Frau D.. Deren Pflegebedürftigkeit folgt aus der Anerkennung des Pflegegrades 2 durch die Pflegekasse (§ 62a Satz 1 SGB XII). Die stationäre Unterbringung war erforderlich, um die Pflege sicherzustellen.
Die ungedeckten Heimkosten können einen Anspruch auf drei unterschiedliche Leistungen nach dem SGB XII auslösen. Die Maßnahmekosten – also die Pflegeleistungen – werden im Rahmen der Hilfe zur Pflege gedeckt. Die Kosten für den inkludierten Lebensunterhalt (Unterkunft und Verpflegung) sind durch Grundsicherungsleistungen zu decken, während der weitere notwendige Lebensunterhalt nach der Rechtsprechung des BSG als Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Dritten Kapitel geleistet wird (BSG Urteil vom 23.03.2021 – B 8 SO 16/19 R mwN). Alle drei Leistungen setzen gem. § 19 Abs. 1 bis 3 SGB XII voraus, dass der jeweilige Bedarf nicht durch eigenes Einkommen und Vermögen gedeckt werden kann. Das ist hier der Fall.
Das Renteneinkommen der Frau D. deckte den Bedarf nicht. So belief sich zB die Rechnung des Klägers im Monat Juni 2019 auf insgesamt 2.996,97 €. Davon zahlte die Pflegeversicherung bei Pflegegrad 2 einen Betrag von 770 €, so dass noch 2.226,97 € offen blieben. Das Renteneinkommen belief sich auf ca. 1.450 €. Auch in den anderen Monaten im streitigen Zeitraum konnte der Bedarf nicht durch die Rente gedeckt werden.
Einzusetzendes Vermögen war im streitigen Zeitraum ebenfalls nicht vorhanden. Grundsätzlich ist gem. § 90 Abs. 1 SGB XII das gesamte verwertbare Vermögen einzusetzen. Nach § 90 Abs. 2 Nr. 9 SGB XII darf die Sozialhilfe nicht abhängig gemacht werden vom Einsatz oder von der Verwertung kleinerer Barbeträge oder sonstiger Geldwerte. Der Vorschrift unterfallen nicht nur unmittelbar Geldbeträge und Geldwerte im engeren Sinn, sondern mittelbar auch Vermögensgegenstände, wenn der Erlös aus ihrer Verwertung den maßgeblichen Freibetrag nicht übersteigt bzw. übersteigen würde (vgl. BSG Urteil vom 20.09.2012 - B 8 SO 13/11 R). Der Freibetrag beläuft sich nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 der Verordnung zur Durchführung des § 90 Abs. 2 Nr. 9 des SGB XII (in der ab dem 01.04.2017 geltenden Fassung) für jede volljährige Person auf 5.000 €. § 66a SGB XII führt nicht zu einer Erhöhung des Freibetrages, Frau D. hatte im streitigen Zeitraum kein Einkommen aus selbständiger oder nichtselbständiger Tätigkeit.
Verwertbar ist Vermögen, wenn seine Gegenstände übertragen oder belastet werden können (stRspr, vergl. BSG Urteil vom 25.08.2011 - B 8 SO 19/10 R). Ob Vermögensgegenstände verwertbar sind, beurteilt sich dabei unter rechtlichen und tatsächlichen Gesichtspunkten; der Vermögensinhaber muss also über das Vermögen verfügen dürfen und können (BSG Urteil vom 09.12.2016 – B 8 SO 15/15 R).
Eine Beurteilung der tatsächlichen Verwertbarkeit verlangt eine Betrachtung des Einzelfalls. Faktische Verwertungshindernisse können sich insbesondere aufgrund von Besonderheiten des Vermögensgegenstands selbst ergeben; so kann ein Verwertungsausschluss insbesondere bei Gegenständen oder Rechten vorliegen, für die sich in absehbarer Zeit kein Käufer finden lassen wird, etwa weil diese aufgrund der Besonderheiten des Einzelfalls nicht marktgängig sind und gleichzeitig auch keine andere Verwertung möglich ist. Er kann aber auch aus Besonderheiten in der Person des Vermögensinhabers oder anderen Umständen folgen (BSG Urteil vom 09.12.2016 – B 8 SO 15/15 R).
Frau D. verfügte im hier streitigen Zeitraum vom 06.06.2019 bis zum 31.07.2020 nicht über verwertbares Vermögen oberhalb des Freibetrages. Sie selbst war aufgrund ihrer Erkrankung nicht mehr in der Lage, finanzielle Geschäfte zu tätigen. Die rechtliche Betreuerin konnte nur auf das Vermögen zugreifen, das bei der Übernahme der Betreuung im Dezember 2016 auf den Konten bzw. in der Wohnung vorhanden war. Dieses Vermögen war zum Zeitpunkt der Antragstellung am 06.06.2019 weitgehend aufgebraucht. Die Betreuerin hat bei ihrer Vernehmung durch das Sozialgericht glaubhaft bekundet, dass ihr über weiteres Vermögen der Frau D. nichts bekannt geworden sei. Der Senat hat keinen Anlass, an dem Wahrheitsgehalt dieser Aussage zu zweifeln.
Offen bleiben kann, was im Einzelnen mit dem vorher vorhanden Vermögen passiert ist, insbesondere mit den 40.000 €, die am 16.02.2015 in bar von dem Konto der Frau D. abgehoben wurden. Zwar setzt die Annahme von Hilfebedürftigkeit grundsätzlich voraus, dass der Verbleib von Vermögen nachgewiesen wird, wenn ein solches zu einem früheren Zeitpunkt vorhanden gewesen ist (LSG Berlin-Brandenburg Urteil vom 14.12.2016 – L 34 AS 1350/13; LSG Nordrhein-Westfalen Beschluss vom 06.04.2018 – L 20 SO 199/17). Davon abweichend bestehen in Fällen wie dem vorliegenden, in denen der Verbleib von vorhandenem Vermögen aufgrund von gesundheitlichen Einschränkungen des Leistungsberechtigten, insbesondere einer Demenzerkrankung, nicht mehr vollständig geklärt werden kann, reduzierte Anforderungen an den Nachweis des Verbleibs des Vermögens (vergl. dazu auch Beschlüsse des Senats vom 25.10.2017 – L 9 SO 413/17 B ER und vom 29.11.2024 – L 9 SO 245/24 B ER).
Es sind verschiedene Erklärungen denkbar, was mit einstmals vorhandenem Vermögen geschehen sein kann. Es besteht die Möglichkeit, dass der Leistungsberechtigte das Vermögen selbst verbraucht hat. Dafür gibt es im vorliegenden Verfahren gewisse Anhaltspunkte. Als die rechtliche Betreuerin die Wohnung der Frau D. aufgelöst hat, befanden sich dort zahlreiche Gegenstände, die sie offensichtlich nicht benötigt hat, wie z.B. 30 billige Armbanduhren. Dies weist darauf hin, dass der Vortrag der Betreuerin, bei Frau D. könnte ein ausgeprägtes Kaufverhalten vorgelegen haben, zutreffend sein kann. Weiterhin besteht die Möglichkeit, dass Frau D. das Geld verschenkt hat oder sie Opfer von Straftaten geworden ist. Es ist gerichtsbekannt, dass gerade Senioren, namentlich solche mit beginnenden geistigen Einschränkungen, häufig Opfer betrügerischer Aktivitäten mit erheblichem Schaden werden. Denkbar – wenn auch nach Aktenlage im vorliegenden Fall nicht naheliegend – ist auch, dass ein Bevollmächtigter das Geld veruntreut hat und der Leistungsberechtigte dies aufgrund krankheitsbedingt fehlender Kontrollmöglichkeit des Vertreters nicht unterbinden konnte (vgl dazu Urteil des Senats vom 28.09.2023 – L 9 SO 170/21). Schließlich besteht die Möglichkeit, dass der Leistungsberechtigte das Geld irgendwo deponiert hat, etwa in einem Bankschließfach oder bei einer dritten Person. Dann wäre das Geld zwar noch seinem Vermögen zuzurechnen, aber es wäre dennoch nicht verwertbar, wenn sich der Leistungsberechtigte krankheitsbedingt nicht mehr daran erinnern kann, wo es sich befindet. In allen beschriebenen Fallgestaltungen ist Hilfebedürftigkeit gegeben.
Frau D. war schon zum Zeitpunkt ihrer Begutachtung durch das Betreuungsgericht Ende 2016 teilweise desorientiert, ihre kognitiven Fähigkeiten waren stark eingeschränkt und es bestanden akustische Halluzinationen und paranoide Ideen. Es wurde die Diagnose einer mittelschweren Demenz einhergehend mit einer organischen paranoiden Psychose gestellt, deren Auswirkungen sich im hier streitigen Zeitraum ab dem 06.06.2019 noch verschlimmert haben werden. Sie konnte deshalb zu Lebzeiten keine Auskunft zum Verbleib des Vermögens mehr machen und unterfällt somit einer der beschriebenen Fallgestaltungen mit der Folge, dass Hilfebedürftigkeit anzunehmen ist.
Der Beklagte kann hiergegen nicht mit Erfolg einwenden, der Verbleib des Vermögens dürfe im Hinblick auf einen evtl. Regressanspruch vom Senat nicht offengelassen werden. Zwar kann der Sozialhilfeträger nur Regress nehmen, wenn geklärt ist, ob und ggfs. wem das Vermögen zugeflossen ist. Der durch den Einwand der Beklagten angesprochene Nachrang der Sozialhilfe (§ 2 SGB XII) hat aber nicht zur Folge, dass Leistungen abgelehnt werden können, bis eine evtl. gegebene Regressmöglichkeit sicher festgestellt ist. Ein Leistungsanspruch ist – bei Vorliegen aller weiteren Voraussetzungen – bereits gegeben, wenn verwertbares Vermögen bei dem Anspruchsteller sicher nicht mehr vorhanden ist. Ist der Leistungsträger der Meinung, es sei naheliegend, dass das Vermögen von einem Dritten entzogen worden ist, ist er verpflichtet, zur Aufklärung von Regressmöglichkeiten weitere Ermittlungen durchzuführen, nicht aber berechtigt, den Anspruch des Leistungsberechtigten abzulehnen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 oder 2 SGG) bestehen nicht.