L 6 SB 291/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Schwerbehindertenrecht
Abteilung
6
1. Instanz
SG Gelsenkirchen (NRW)
Aktenzeichen
S 15 SB 738/18
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 SB 291/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 9 SB 19/25 AR
Datum
-
Kategorie
Urteil

Der Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 23.09.2021 wird insoweit geändert, als der Beklagte unter Änderung des Bescheides vom 15.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2018 seinem Anerkenntnis entsprechend verpflichtet wird, bei dem Kläger seit Februar 2021 einen GdB von 70 festzustellen.

Im Übrigen wird die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 23.09.2021 zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Im Streit stehen die Höherbewertung des Grades der Behinderung (GdB) und die Feststellung des Vorliegens der gesundheitlichen Voraussetzungen für die Inanspruch­nahme des Nachteilsausgleichs G.

 

Der 000000 geborene Kläger bezieht Leistungen der Grundsicherung für Arbeitsuchende. Nach erfolglosem Verwaltungs- und Klageverfahren (Sozialgericht [SG] Gelsenkirchen, S 18 [14] R 936/19) erklärte sich der Träger der gesetzlichen Rentenversicherung – die Deutsche Rentenversicherung (DRV) Westfalen – in dem Berufungsverfahren vor dem Landessozialgericht (LSG) Nordrhein-Westfalen (Aktenzeichen L 21 R 1038/20) im November 2022 bereit, ihm eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer unter Zugrundelegung eines Leistungsfalles vom 09.02.2019 zu bewilligen. Der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) erkannte dem Kläger (nach einem Anerkenntnis in dem Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht [VG] Gelsenkirchen, 11 K 4428/21) für die Zeit von Mai 2022 bis April 2023 Blindengeld nach § 1 des Gesetzes über die Hilfen für Blinde und Gehörlose (GHBG) zu. Nach Überprüfung wurde die Bewilligung bis April 2025 verlängert (Bescheid vom 19.02.2023).

 

Auf seinen Erstantrag stellte der Beklagte bei dem Kläger am 26.05.2008 einen Gesamt-GdB (G-GdB) von 10 fest (Wirbelsäulen- [WS-] Syndrom Einzel-GdB [E-GdB] 10; Sehstörung, Gesichtsfelddefekte E-GdB 10; Schilddrüsenleiden E-GdB 0).

 

Nach einem erfolglosen Änderungsantrag aus Oktober 2015 (Ablehnungsbescheid vom 17.12.2015) erkannte der Beklagte dem Kläger auf seinen Änderungsantrag vom  05.08.2016 mit Bescheiden vom 08.11.2016 und 16.02.2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13.04.2017 einen G-GdB von 40 zu (psychische und psychosomatische Störung E-GdB 30; WS-Syndrom E-GdB 20; Sehstörung, Gesichtsfelddefekt E-GdB 10; Hörminderung, Ohrgeräusch E-GdB 10; Schilddrüsenleiden, Harn- und Stoffwechselstörung, operierter Leistenbruch, Knochenhautreizung im Ellenbogenbereich E-GdB 0). In dem sich daran anschließenden Klageverfahren vor dem SG Gelsenkirchen, S 35 SB 373/17, bot der Beklagte dem Kläger nach Einholung von Befundberichten mit Blick auf die Darstellung der Schwere der psychischen Beeinträchtigungen durch den behandelnden Facharzt für Neurologie, Psychiatrie und Psychotherapie, H., in seinem Bericht vom 27.07.2017 vergleichsweise die Feststellung eines G-GdB von 50 (ab Berichtsdatum H.) an und erteilte nach Annahme des Angebotes durch den Kläger am 21.09.2017 einen entsprechenden Ausführungsbescheid.

 

Kurz danach stellte der Kläger den (hier streitbefangenen) Änderungsantrag vom 27.09.2017, mit dem er einen höheren G-GdB sowie die Zuerkennung der Merkzeichen G, RF und Gl geltend machte. Zur Begründung führte er Ängste / Verfolgungsgefühle, Kieferentzündungen, Wurzelzahnspitzenentzündungen und Schwerhörigkeit mit Tinnitus an.

 

Der Beklagte holte Befundberichte bei J. (Facharzt für Hals-, Nasen- und Ohrenheilkunde) vom 06.12.2017, S. (Facharzt für Allgemeinmedizin) vom 28.11.2017 und H. vom 21.12.2017 ein.

 

Nach Auswertung dieser Berichte kam der ärztliche Dienst des Beklagten in einer Stellungnahme vom 03.02.2018 zu dem Ergebnis, dass die Einschränkungen der Wirbelsäule und der Augen wie bisher, die psychische und psychosomatische Störung jedoch mit einem E-GdB von 40 sowie die Hörminderung einschließlich der Ohrgeräusche mit einem E-GdB von 30 zu bewerten seien. Die weiteren von dem Kläger vorgetragenen bzw. festgestellten Gesundheitsstörungen bedingten keinen zählbaren E-GdB. Hieraus ergebe sich ein G-GdB von 60. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung eines Merkzeichens seien demgegenüber nicht erfüllt.

 

Mit Bescheid vom 15.02.2018 stellte der Beklagte ab dem 27.09.2017 einen G-GdB von 60 fest und lehnte gleichzeitig die Anerkennung der Merkzeichen G, RF und Gl ab.

 

Im Widerspruchsverfahren wandte der Kläger dagegen ein, wegen der Sehprobleme, der Hörgeräteversorgung, der Rückenbeschwerden, der Schilddrüsenerkrankung und der psychischen Einschränkungen müsse der G-GdB auf mindestens 70 festgesetzt werden.

 

Der Beklagte holte daraufhin nochmals Befundberichte bei S. vom 19.03.2018, J. vom 06.03.2018 und H. vom 19.03. bzw. 25.06.2018 ein, woraus sich nach Beurteilung des ärztlichen Dienstes des Beklagten keine wesentliche Änderung ergab.

 

Die Bezirksregierung Münster wies den Widerspruch unter Hinweis auf das Ermittlungsergebnis zurück (Widerspruchsbescheid vom 26.07.2018).

 

Am 31.07.2018 hat der Kläger Klage beim SG Gelsenkirchen mit dem Begehren erhoben, ihm einen G-GdB von mindestens 80 „mit freiem Busticket“ bzw. „Merkzeicheneintragung“ zuzuerkennen. Er trage zwei Hörgeräte und eine dicke Brille, leide unter Morbus Bechterew sowie enormen psychischen Defiziten. Zudem nehme er sehr viele Medikamente, habe große Schmerzen und einen Tinnitus. Das Busticket sei erforderlich, um seine Ärzte aufzusuchen. Im Laufe des Klageverfahrens hat der Kläger neben schon bekannten ärztlichen Befundunterlagen zahlreiche Heil-, Hilfs- und Arzneimittelverordnungen seiner behandelnden Ärzte sowie ein Audiogramm des J. vom 30.07.2018 und einen Gesichtsfeldtest des Facharztes für Augenheilkunde B. vom 30.07.2018 vorgelegt. Ergänzend hat er vorgetragen, dass wegen Knochenschmerzen und Atemnot (Morbus Bechterew) ein Gehstock nicht mehr ausreiche, um zu seinen Ärzten zu gelangen. Morphium, Rollator, Fehlsichtigkeit, Schwerhörigkeit u. s. w. machten ihm das Busticket unverzichtbar.

 

Der Kläger hat in der sinngemäßen Fassung seines Begehrens durch das SG beantragt,

 

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 15.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2018 zu verurteilen, einen GdB von mindestens 80 sowie das Merkzeichen G festzustellen.

 

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

In der Sache hat er weitere Ermittlungen – insb. zur Einschränkung der Hör- und Sehfähigkeit des Klägers – angeregt und im Übrigen ausgeführt, dass Einschränkungen der Gehstrecke durch eine Morbus Bechterew-Erkrankung und Atemnot nicht belegt seien.

 

Das SG hat den Sachverhalt weiter aufgeklärt durch die Einholung von Befundberichten bei B. vom 02.10.2018, J. vom 05.11.2018, H. vom 25.10.2018 und dem Orthopäden L. vom 10.10.2018.

 

Ferner hat es durch Beweisanordnung vom 13.02.2019 den Facharzt für Neurologie und Psychiatrie R. (Hauptsachverständiger) und die Fachärzte für Orthopädie bzw. Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde O. und C. (Zusatzsachverständige) beauftragt, den Kläger auf der Grundlage einer ambulanten Untersuchung zu begutachten. Die ihm (von R. und Herrn O.) angebotenen Untersuchungstermine hat der Kläger nicht wahrgenommen. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass es ihm seine Gesundheitsstörungen nicht erlaubten, „Termine und Verhandlungen in anderen Städten durchzuführen“. Er lebe am Existenzminimum von der Hand in den Mund und bitte um einen Vergleichsvorschlag. Auf den Hinweis der Kammervorsitzenden, dass bei Vorlage eines entsprechenden ärztlichen Attests ggf. auch Taxikosten für die Anfahrt zu den Sachverständigen übernommen werden könnten, hat der Kläger nicht reagiert. Mit Verfügung vom 01.07.2019 hat das SG die Beweisanordnung dahingehend gehändert, dass die Begutachtung durch die Sachverständigen nach Aktenlage erfolgen solle.

 

Herr O. hat in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 09.08.2019 bei dem Kläger ein Hals-/Lenden-WS-Syndrom auf dem Boden degenerativer Veränderungen diagnostiziert und dafür einen (schwachen) E-GdB von 20 für angemessen gehalten. Zur Begründung hat er mitgeteilt, es handele sich um WS-Schäden mit geringen funktionellen Auswirkungen in zwei WS-Abschnitten und nur geringen Auswirkungen auf die Mobilität. Die Morbus Bechterew-Erkrankung werde von dem Kläger nur anamnestisch berichtet. Es sei nicht davon auszugehen, dass L. eine solch schwerwiegende Erkrankung entgangen sein könnte. In seiner Gehfähigkeit sei der Kläger aus orthopädischer Sicht nicht eingeschränkt.

 

C. hat in seinem Gutachten nach Aktenlage vom 05.12.2019 zwar Anhaltspunkte für eine Hörminderung gesehen, jedoch zugleich auf Widersprüchlichkeiten in den vorliegenden unterschiedlichen Audiogrammen und Untersuchungsergebnissen hingewiesen, die aus seiner Sicht auf Aggravation hindeuteten. Insgesamt sei festzustellen, dass die vorgelegten Hörtests kein einheitliches verlässliches Bild aufwiesen. Wie schwerwiegend die Hörstörung tatsächlich sei, könne nach Aktenlage nicht festgestellt werden. Eine Untersuchung nach gutachterlichem Standard sei daher weiterhin zu empfehlen, wobei derzeit im Sinne einer „Worst-case-Analyse“ maximal ein E-GdB von 30 denkbar sei. In Anbetracht der wechselnden, widersprüchlichen audiologischen Angaben erscheine dies nach Aktenlage aber nicht wahrscheinlich. Mit Blick auf das Ausmaß der Schwankungen in den Hörtests sei selbst ein E-GdB von 20 nicht als sicher belegt anzusehen.

 

R. hat am 10.01.2020 nach Aktenlage (zusammenfassend) ein psychisches Leiden (rezidivierende depressive Störung, Angststörung, Panikstörung) mit einem E-GdB von 40; ein Verschleißleiden der WS mit einem E-GdB von 20; eine Hörminderung inkl. Ohrgeräuschen mit einem E-GdB von 20; ein Schilddrüsenleiden mit einem E-GdB von 10 und eine Sehstörung mit einem E-GdB von 10 diagnostiziert. Auf dieser Grundlage hat er einen G-GdB 50 vorgeschlagen, weil die psychischen Einschränkungen führend seien und sich aus den somatische Beschwerden insgesamt ein starker Teil-GdB von 20 ergebe. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merzeichens G seien nicht erfüllt, da in den Berichten des H. ein neurologischer Befund, der eine Einschränkung der Gehfähigkeit rechtfertigen könne, oder eine Störung der Orientierungsfähigkeit nicht dokumentiert sei.

 

Ende Januar hat der Kläger unter Vorlage von Befundberichten des H. vom 19.12.2019, des Internisten Y. vom 13.12.2019, der B. vom 19.12.2019, des L. vom 16.12.2019 und des Internisten V. vom 15.12.2019, die in dem parallel laufenden Rentenverfahren vor dem SG (S 18 [14] R 936/19) eingeholt worden waren, eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes geltend gemacht, woraufhin das SG in dem vorliegenden Verfahren erster Instanz eine ergänzende Stellungnahme bei R. angefordert hat. In dieser Stellungnahme vom 07.02.2020 hat R. nach Auswertung der von dem Kläger eingereichten Befundunterlagen keine Veranlassung gesehen, von seiner bisherigen Beurteilung abzurücken.

 

Im Vorfeld eines vom SG für den 08.06.2020 anberaumten Verhandlungstermins hat der Kläger Atteste des H. und des V. (jeweils vom 19.05.2020) vorgelegt, wonach er „krankheitsbedingt“ (H.) bzw. wegen eines Magen-Darm-Infekts (V.) nicht verhandlungsfähig sei. Ferner ist am 25.05.2020 ein weiteres Attest des B. (vom 18.05.2020) bei dem SG eingegangen, in dem der Sachstand und Behandlungsverlauf betreffend die Glaukom-Erkrankung des Klägers geschildert werden. Das SG hat daraufhin den Verhandlungstermin aufgehoben und nochmals einen Befundbericht bei B. angefordert, in dem sich der Augenarzt insbesondere zur Frage etwaiger Gesichtsfeldeinschränkungen äußern sollte. B. hat in seinem Bericht vom 16.06.2020 dann im Wesentlichen folgende Angaben gemacht: Sehschärfe mit Korrektur 0,5 rechts, 0,4 links; beidäugig 0,5; Gesichtsfeldeinengung rechts < 10 Grad, links < 5 Grad (Goldmann-Gesichtsfeld wurde nicht durchgeführt); es liege kein ein- oder beidseitiger Linsenverlust vor; es sei keine Kunstlinse implantiert worden.

 

Der ärztliche Dienst des Beklagten hat daraufhin in einer Stellungnahme vom 29.07.2020 angeregt, ein „augenärztliche Begutachtung mit Goldmann-Perimetrie“ durchführen zu lassen. Das SG hat die Augenärztin Z. beauftragt, ein entsprechendes Gutachten über den Kläger zu erstellen (Beweisanordnung vom 07.09.2020).

 

Der Kläger hat sich geweigert, die Sachverständige zur Begutachtung aufzusuchen, weil er sich aus gesundheitlichen Gründen und wegen der Corona-Pandemie nicht in der Lage gesehen hat, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu der Sachverständigen zu gelangen. Im Februar hat er ergänzend einen weiteren Bericht des B. vom 09.02.2021 vorgelegt, den dieser nach Durchführung einer Goldmann-Gesichtsfeldperimetrie in dem Verwaltungsverfahren nach dem GHBG erstattet hat. Hinsichtlich der Einzelheiten dieses Berichts wird auf Blatt 271 bis 275 der Gerichtsakte Bezug genommen.

 

Auf Anfrage des SG hat Z. mitgeteilt, dass eine Begutachtung nach Aktenlage aus ihrer Sicht nicht in Betracht komme, da die (dokumentierten) Gesichtsfeldausfälle sehr gravierend seien, der Visus dafür aber noch relativ gut erscheine.

 

Unter Hinweis auf seine prozessualen Mitwirkungspflichten hat das SG den Kläger nochmals aufgefordert, sich einer persönlichen Untersuchung bei Z. zu unterziehen. Daraufhin hat der Kläger ein Attest des H. vom 29.04.2021 eingereicht, wonach er es aus psychischen Gründen glaubhaft nicht schaffe, einen Termin bei der Sachverständigen wahrzunehmen.

 

Nach Hinweis des SG auf die Erfolglosigkeit der Rechtsverfolgung und Ankündigung einer Entscheidung durch Gerichtsbescheid hat der Kläger noch eine Stellungnahme des Sozialmediziners M. von der DRV-Westfalen vom 18.05.2021 zu den Akten gereicht, wonach sich die Visus- und Gesichtsfeldeinschränkung im zeitlichen Verlauf weiter verschlechtert haben und inzwischen möglicherweise Blindheit im Sinne des Schwerbehindertenrechts vorliegen könne. Ein Befangenheitsantrag gegen die Kammervorsitzende, weil diese aus Sicht des Klägers „nicht-können“ mit „nicht-wollen“ verwechsle, ist erfolglos geblieben (SG Gelsenkirchen, Beschluss vom 16.08.2021, S 15 SF 148/21 AB).

 

Mit Gerichtsbescheid vom 23.09.2021 hat das SG die Klage abgewiesen. Die von dem Kläger geltend gemachte Feststellung eines G-GdB von mindestens 80 sowie der Voraussetzungen für das Merkzeichen G komme nach den Feststellungen in den Gutachten der Sachverständigen R., O. und C. nicht in Betracht.

Danach lägen bei dem Kläger psychische Leiden in Form einer rezidivierenden depressiven Störung, einer Angststörung und einer Panikstörung vor, welche nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen R. mit einem E-GdB von 40 zu bewerten seien. R. habe sich in diesem Zusammenhang ausführlich mit dem in dem Befundbericht des H. vom 25.10.2018 für angemessen gehaltenen E-GdB von 50 auseinandergesetzt und zu Recht darauf hingewiesen, dass nach Teil B Ziff. 3.7 der Versorgungsmedizinischen Grundsätze – Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung – (VMG) für die von H. angegebene stärker behindernde Störung mit wesentlichen Einschränkungen der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit lediglich ein E-GdB von 30 bis 40 angemessen sei. R. habe ferner überzeugend ausgeführt, dass eine höhere Bewertung bzw. die Annahme einer schweren Störung mit mittelgradigen sozialen Anpassungsschwierigkeiten trotz der Wertung H.s, dass der Kläger nicht mehr in der Lage sei, einer beruflichen Tätigkeit nachzugehen, nicht in Betracht komme, da keinerlei kognitiv-mnestischen Beeinträchtigungen vorlägen, auf die sich eine solche Bewertung stützen könne.

Hinsichtlich des Verschleißleidens der WS, welches von R. und Herrn O. mit einem E-GdB von 20 bewertet worden sei, stimme auch der behandelnde Facharzt L. in seinem Befundbericht vom 10.10.2018 überein.

Der E-GdB von 20 für die bestehende Hörminderung mit Ohrgeräuschen, wie er von R. und C. festgestellt worden sei, entspreche ebenfalls der Einschätzung des behandelnden Facharztes J. in seinem Befundbericht vom 05.11.2018.

Darüber hinaus liege nach den Ausführungen des Sachverständigen R. ein Schilddrüsenleiden mit einem E-GdB 10 vor. Nach Teil B Ziff. 15.6 VMG sei der E-GdB bei der nicht operativ behandelten Struma nach den funktionellen Auswirkungen zu beurteilen. Aus dem Befundbericht des S. vom 28.11.2017, auf den der Sachverständige verwiesen habe, ergebe sich, dass große Schilddrüsenzysten beidseits sowie eine schmerzhafte Schwellung rechts neben der Schilddrüse bestehen.

Weiterhin sei nach den Ausführungen des Sachverständigen R. die Sehstörung des Klägers mit einem E-GdB von 10 zu beurteilen. Zum Zeitpunkt der Begutachtung habe der Visus 0,8 bzw. 0,7 nach Korrektur betragen, was richtigerweise keinen eigenständigen E-GdB rechtfertige. Für das fortgeschrittene Glaukom mit konzentrischer Einengung an beiden Augen im Gesichtsfeld, wobei nach der Perimetrie des behandelnden Augenarztes vom 30.07.2018 maximal zentrale Skotome zu erkennen seien, sei nur ein E-GdB von 10 angemessen. Die Anforderungen nach Teil B Ziff. 4.5 VMG für einen höheren E- GdB aufgrund der Gesichtsfeldausfälle seien danach nicht erfüllt. B. selbst habe diesbezüglich keine Feststellungen zu einem konkreten E-GdB getroffen. Eine weitere Begutachtung auf ophthalmologischem Fachgebiet durch Z. sei mangels Mitwirkung des Klägers nicht möglich gewesen. Eine Begutachtung nach Aktenlage sei – der Einschätzung von Z. folgend – wegen der großen Diskrepanz zwischen den (mutmaßlichen) Gesichtsfeldausfällen und dem recht guten Rest-Visus nicht sinnvoll. Der Nachweis für das Vorliegen eines höheren E-GdB für die Sehminderung könne ohne persönliche Untersuchung des Klägers nicht erbracht werden. Eine Erhöhung des E-GdB allein aufgrund der Unterlagen des B. komme wegen der unaufgeklärten Sachlage mit Blick auf die Grundsätze der objektiven Beweislast nicht in Betracht.

Davon ausgehend sei ein höherer G-GdB als 60 nicht feststellbar. Der Sachverständige R. habe sogar nur einen G-GdB von 50 vorgeschlagen. Der E-GdB von 40 für die psychischen Leiden werde durch den E-GdB von 20 für die WS und den E-GdB von 20 für die Hörminderung mit Ohrgeräuschen auf 50 erhöht, da die körperlichen Einschränkungen unabhängig von den psychischen Erkrankungen seien und dazu hinzuträten. Die weiteren E-GdB für die Sehstörung von 10 und nach den Ausführungen von R. für die Schilddrüse von 10 erhöhten den G-GdB nicht weiter.

Der Kläger habe schließlich auch keinen Anspruch auf die Feststellung der gesundheitlichen Voraussetzungen für den Nachteilsausgleich G, da die in den §§ 228 Abs. 1 Satz 1 und 229 Abs. 1 Satz 1 Sozialgesetzbuch Neuntes Buch – Rehabilitation und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen – (SGB IX) sowie Teil D Ziff. 1 VMG näher geregelten Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Objektive Anhaltspunkte für eine erhebliche Gehbehinderung seien nicht ersichtlich. Der Kläger erfülle weder die medizinischen Voraussetzungen der in Teil D Ziff. 1 lit. d), e) und f) VMG aufgeführten Regelbeispiele noch sei aufgrund der aktenkundigen ärztlichen Unterlagen sowie der Feststellungen der Sachverständigen O. und R. erkennbar, dass der Kläger aufgrund anderer Erkrankungen als den in Teil D Nr. 1d) bis f) VMG genannten Regelfällen dem beispielhaft aufgeführten Personenkreis mit gleich schweren Auswirkungen auf die Gehfunktion gleichzustellen sei.

 

Mit seiner am 01.10.2021 eingelegten Berufung macht der Kläger geltend, die Entscheidung des SG sei für einen kranken Menschen mit vielen Nachteilen und Behinderungen ein Schlag ins Gesicht und bedürfe der Korrektur. Er legt zwei weitere Berichte des B. vor, die dieser am 23.11.2021 bzw. 19.01.2024 gegenüber dem LWL erstattet hat und in denen u. a. eine „zunehmende Gesichtsfeldeinschränkung bei fortschreitendem Glaukom“ bzw. eine „fortgeschrittene glaukomatöse Optikusatrophie, Außengrenzen Gesichtsfeld bei 5 Grad“ attestiert werden. Dem (vom Senat eingeholten) Gutachten des N. (auf ophthalmologischem Fachgebiet) müsse er vehement widersprechen. Es werde ihm zu Unrecht Simulation vorgeworfen. Aufgrund seiner vielen Krankheiten und gesundheitlicher Probleme könne er leider nicht an Terminen zur Untersuchung bei Sachverständigen teilnehmen. Diese Position untermauert er durch Vorlage mehrerer Atteste des H. sowie des Internisten und Kardiologen K..

Im Termin zur mündlichen Verhandlung am 16.01.2025 hat der Beklagte anerkannt, dass er ab dem 09.02.2021 bei dem Kläger einen G-GdB von 70 annehmen und hierüber einen entsprechenden Bescheid erstellen wird.

 

Der Kläger beantragt seinem schriftsätzlichen Vorbringen nach sinngemäß,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Gelsenkirchen vom 23.09.2021 zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung des Bescheides vom 15.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2018 zu verpflichten, bei ihm seit September 2017 einen G-GdB von mindestens 80 sowie die gesundheitlichen Voraussetzungen des Merkzeichens G festzustellen.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er hält seine Entscheidung für zutreffend. Jedenfalls stehe dem Kläger kein G-GdB von mehr als 70 zu. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des Merkzeichens G seien weiterhin nicht erfüllt. Gestützt auf Stellungnahmen seines ärztlichen Dienstes führt er ergänzend aus, weder aus den vom Senat beigezogenen Befundberichten noch aus dem Bericht des Landesblindenarztes ergäben sich Gesichtspunkte für eine abweichende Beurteilung. Neu aufgenommen werden könne allenfalls ein E-GdB von 10 für eine venöse Blutumlaufstörung. Bei normalen Werten für den Augeninnendruck erschienen sowohl die Visuswerte wie auch die Werte der Perimetrie (weiterhin) zweifelhaft. Die Konfiguration der Gesichtsfeldausfälle mache einen glaukomatösen Ausfall nicht sehr wahrscheinlich. Die objektiven augenärztlichen Befunde (des B.) könnten die von dem Kläger angegebenen Seheinschränkungen nicht begründen. Dennoch findet sich der Beklagte (auf Grundlage der Stellungnahme seines ärztlichen Dienstes vom 23.08.2023 unter Außerachtlassung der Feststellungen des Sachverständigen N.) bereit, für die Funktionseinschränkung der Augen nunmehr ab dem 09.02.2021 einen E-GdB von 40 und damit ab dem genannten Zeitpunkt einen G-GdB von 70 anzunehmen. Ein weiteres Entgegenkommen sei auch nach Kenntnis von der weiteren Bescheinigung des B. vom 19.01.2024 (mit erneuter Goldmann-Perimetrie vom 16.01.2024) nicht möglich, weil die Bescheinigung nicht den geforderten Qualitätsanforderungen entspreche.

 

Der Senat hat einen weiteren Befundbericht bei B. vom 30.11.2021 eingeholt. Danach hat die Sehschärfe mit Korrektur zuletzt 0,3 rechts und 0,2 links sowie beidäugig 0,4 betragen. Das Goldmann-Gesichtsfeld (Marke Goldmann III/4) – letzte Messung 02/´21 – habe keine detektierbaren Außengrenzen gezeigt. Das Glaukom-Gesichtsfeld habe rechts eine konzentrische Einengung und links kein Ergebnis ergeben. Es lägen rechts eine ausgeprägte konzentrische Gesichtsfeldeinengungen mit zentraler Restinsel und links keine Gesichtsfelddetektionen vor.

 

Der LWL hat auf Anfrage des Senats die Stellungnahme des Landesarztes für Blinde, G., vom 19.01.2022 übersandt. Danach ist G. eine abschließende Stellungnahme zur Blindheit / hochgradigen Sehbehinderung des Klägers nicht möglich gewesen, weil noch eine Gesichtsfeldaufzeichnung (mittels Goldmann-Perimeter III/4 bzw. analoger kinetischer Perimetrie) gefehlt habe.

 

Sodann sind vom Senat Befundberichte bei H. vom 28.02.2022, V. vom 18.02.2022 und der „E.“-Praxis für Orthopädie und Neurochirurgie vom 10.03.2022 eingeholt worden. H. hat mitgeteilt, dass der Zustand des Klägers seit Beginn der Behandlung (05/´14) unverändert sei. Die „E.“-Praxis konnte ebenfalls keine wesentlichen neuen Befunde mitteilen. V. hat angegeben, er kenne den Kläger seit 1999 und beobachte eine Verschlechterung über die Jahre, insbesondere seit 2019 (Atemnot, Bluthochdruck). Die psychische Problematik werde deutlicher. Insgesamt handele es sich jedoch um einen kontinuierlich schleichenden Prozess. Im Wesentlichen sei der Kläger psychisch auffällig.

 

Am 29.07.2022 sind bei dem Senat Unterlagen aus dem Klageverfahren vor dem VG Gelsenkirchen, 11 K 4428/21 eingegangen. Darin enthalten war ein weiteres Attest des B. vom 10.05.2022 nebst Dokumentation einer weiteren Goldstein-Perimetrie vom 10.05.2022. Hinsichtlich der Einzelheiten dieser Unterlagen wird Bezug genommen auf Blatt 437 bis 439 der Gerichtsakten.

 

Nach Auswertung der am 29.07.2022 vorgelegten Befunde durch den Beklagten hat der Senat durch Beschlüsse vom 28.10. und 07.12.2022 sowie vom 19.01.2023 (im Ergebnis) den Augenarzt N. mit einer Begutachtung des Klägers nach Aktenlage betraut. In seinem Gutachten vom 03.02.2023 hat der Sachverständige ausgeführt, bei allen Gesichtsfelduntersuchungen habe sich ein extrem hoher Anteil falsch negativer Fehler (d. h. erst Angaben eines schwachen Lichtreizes an bestimmter Stelle und dann später eines sehr starken an selber Stelle) gezeigt. Dies sei ein Kriterium für Simulation. 2020 habe der Kläger bei einer angegebenen Sehschärfe von ca. 0,3 noch gut Briefe verfassen können, was bei einer Sehschärfe von nunmehr 0,02 sicher nicht mehr möglich sei. Dennoch hätten sich Schriftbild und Schriftgröße in den letzten Jahren nicht geändert. Dies sei ein weiteres Indiz dafür, dass vom Kläger mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit simuliert werde. Eine Gesichtsfeldeinschränkung und Sehschärfenherabsetzung derart, dass die Voraussetzungen für Blindengeld vorlägen, sei in keiner Weise glaubhaft. Im Ergebnis hat N. eine Sehschwäche beidseits diagnostiziert. Da diese wegen Simulation nicht quantifiziert werden könne, könnten hierzu jedoch keine weiteren Aussagen getroffen werden.

 

Der Kläger ist vor dem Termin am 16.01.2025 darauf hingewiesen worden, dass im Falle seines Ausbleibens ohne ihn entschieden werden könne.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Streitakten sowie der beigezogenen Akten (neben den Verwaltungsvorgänge des Beklagten die Verwaltungsvorgänge des LWL [Aktenzeichen 60-29-02628/260] – in elektronischer und Papierform, die Prozessakten des VG Gelsenkirchen, 11 K 4428/21 – in elektronischer Form, die Prozessakten zu dem Rentenverfahren des Klägers [SG Gelsenkirchen, S 18 <14> R 936/19; nachfolgend LSG Nordrhein-Westfalen, L 21 R 1036/20] sowie die Prozessakten zu dem Verfahren SG Gelsenkirchen, S 35 SB 373/17) Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

A) Die mangels einer Berufungsbeschränkung in § 144 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) nach § 143 SGG statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet. Der Kläger hat über das Teilanerkenntnis des Beklagten hinaus keinen Anspruch auf Feststellung eines höheren G-GdB als 60 ab dem 27.09.2017 (Datum des Änderungsantrages) bzw. 70 ab dem 09.02.2021.

 

I. Obwohl der Kläger im Termin zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen und er dort auch nicht vertreten gewesen ist, konnte der Senat verhandeln und entscheiden, weil der Kläger vorab auf diese Möglichkeit hingewiesen worden sind (§ 126 SGG).

 

II. Das im Tatbestand wiedergegebene Teilanerkenntnis entspricht der Erklärung des Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 16.01.2025. Mit diesem Teilanerkenntnis hat der Beklagte dem Begehren des Klägers teilweise entsprochen.

 

Der nicht erschienene Kläger konnte das Teilanerkenntnis nicht annehmen, sodass gemäß § 202 SGG i. V. m. § 307 Zivilprozessordnung (ZPO) durch Teilanerkenntnisurteil erkannt werden konnte. Eines Antrages des Klägers auf Erlass eines solchen Urteils bedurfte es nicht (vgl. zum Ganzen Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 24.07.2003, B 4 RA 62/02 R, juris Rn. 18; BSG, Urteil vom 08.09.2015; B 1 KR 1/15 R, juris Rn. 12 – beide m. w. N.).

 

Eine (weitere) Darstellung der Entscheidungsgründe ist insoweit entbehrlich (§ 202 i. V. m § 313 b Abs. 1 Satz 1 ZPO).

 

III. Formaler Gegenstand des Berufungsverfahrens (im Übrigen) ist, neben dem angefochtenen Gerichtsbescheid des SG vom 23.09.2021 der Bescheid des Beklagten vom 04.01.2018 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 22.06.2018 (in Gestalt des Teilanerkenntnisses vom 14.11.2024).

 

Inhaltlich geht es damit um die Frage, ob dem Kläger ab Antragstellung (27.09.2017) „mindestens“ ein G-GdB von 80 und ein Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen des Merkzeichens G zustehen.

 

Neben einem höheren G-GdB und der Zuerkennung des Merkzeichens G hat der Kläger mit seinem Änderungsantrag vom 27.09.2017 zwar auch die Feststellung der Voraussetzungen für die Merkzeichen RF und Gl beansprucht, was von dem Beklagten auch so beschieden wurde. Schon im Klage- spätestens jedoch im Berufungsverfahren hat er das Begehren auf Zuerkennung der Merkzeichen RF und Gl jedoch nicht mehr weiterverfolgt, indem er seine schriftsätzlichen Ausführungen auf eine „Korrektur“ der Entscheidung des SG bzw. die Höhe des (G-)GdB und das (dem Merkzeichen G entsprechende) „Busticket“ beschränkt hat. Einer inhaltlichen Befassung des Senats mit dem Vorliegen der Voraussetzungen der Merkzeichen RF und Gl bedarf es daher nicht.

 

IV. Die insoweit statthafte und auch im Übrigen zulässige kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§§ 54 Abs. 1 Satz 1, 56 SGG) ist unbegründet. Der Kläger ist durch den angefochtenen Bescheid vom 15.02.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 26.07.2018 in der Fassung des Teilanerkenntnisses vom 16.01.2025 nicht beschwert im Sinne von § 54 Abs. 2 Satz 1 SGG.

 

1. Rechtsgrundlage für die Entscheidung des Beklagten ist § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch – Sozialverwaltungsverfahren und Sozialdatenschutz – (SGB X). Gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Eine wesentliche Änderung liegt im Schwerbehindertenrecht vor, wenn geänderte gesundheitliche Verhältnisse einen um 10 höheren oder niedrigeren GdB begründen (vgl. Teil A Ziff. 7a Satz 1 VMG; BSG, Urteil vom 17.04.2013, B 9 SB 3/12 R, juris Rn. 26).

 

2. Eine wesentliche Änderung der Verhältnisse bezogen auf die von dem Beklagten bereits festgestellten/anerkannten (G-)GdB-Werte ist nicht erkennbar.

 

a) Gemäß § 152 Abs. 1 Satz 1 SGB IX stellen die für die Durchführung des Vierzehnten Buches Sozialgesetzbuch – Soziale Entschädigung – (SGB XIV) zuständigen Behörden auf Antrag des behinderten Menschen das Vorliegen einer Behinderung und den (G-)GdB zum Zeitpunkt der Antragstellung fest. Menschen mit Behinderungen sind gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX Menschen, die körperliche, seelische, geistige oder Sinnesbeeinträchtigungen haben, die sie in Wechselwirkung mit einstellungs- und umweltbedingten Barrieren an der gleichberechtigten Teilhabe an der Gesellschaft mit hoher Wahrscheinlichkeit länger als sechs Monate hindern können. Eine Beeinträchtigung in diesem Sinne liegt vor, wenn der Körper- und Gesundheitszustand von dem für das Lebensalter typischen Zustand abweicht, § 2 Abs. 1 Satz 2 SGB IX. Die Auswirkungen auf die Teilhabe am Leben in der Gesellschaft werden als GdB nach Zehnergraden abgestuft festgestellt, § 152 Abs. 1 Satz 5 SGB IX. Gemäß § 241 Abs. 5 SGB IX gelten, soweit – wie derzeit – noch keine Verordnung nach § 153 Abs. 2 SGB IX erlassen ist, die Maßstäbe des § 30 Abs. 1 des Gesetzes über die Versorgung der Opfer des Krieges (Bundesversorgungsgesetz [BVG]) und der auf Grund des § 30 Abs. 16 BVG erlassenen Rechtsverordnungen entsprechend. Damit sind insbesondere die VMG für die Bewertung der E-GdB und des G-GdB maßgebend.

 

Bei der Bemessung des G-GdB ist grundsätzlich in drei Schritten vorzugehen: In einem ersten Schritt werden die einzelnen nicht nur vorübergehenden Gesundheitsstörungen im Sinne von regelwidrigen (von der Norm abweichenden) Zuständen und die sich daraus ableitenden, für eine Teilhabebeeinträchtigung bedeutsamen Umstände festgestellt. In einem zweiten Schritt sind diese, soweit möglich, den in den VMG genannten Funktionssystemen zuzuordnen und mit einem E-GdB zu bewerten. In einem dritten Schritt ist dann, in der Regel ausgehend von der Beeinträchtigung mit dem höchsten E-GdB, in einer Gesamtschau unter Berücksichtigung der wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Beeinträchtigungen der G-GdB zu bilden. Dabei können die Auswirkungen der einzelnen Beeinträchtigungen ineinander aufgehen, sich überschneiden, sich verstärken oder beziehungslos nebeneinanderstehen. Maßgebend für den G-GdB sind die Auswirkungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen in ihrer Gesamtheit, wobei die wechselseitigen Beziehungen der einzelnen Funktionsbeeinträchtigungen zu berücksichtigen sind. E-GdB sind zwar anzugeben, die einzelnen Werte dürfen jedoch nicht addiert werden. Außerdem sind bei der Gesamtwürdigung die Auswirkungen mit denjenigen zu vergleichen, für die in der Tabelle der VMG feste GdB-Werte (bzw. GdS-Werte) angegeben sind (vgl. zu diesem Vorgehen etwa BSG, Urteil vom 02.12.2010, B 9 SB 4/10 R, juris Rn. 25; BSG, Urteil vom 27.10.2022, B 9 SB 4/21 R sowie ausführlich Mecke, SGb 2023 S. 220 ff.).

 

Danach kommt vorliegend ein höherer G-GdB als 60 (ab Antragstellung) bzw. 70 (ab dem 09.02.2021) nicht in Betracht. Es ist im Gegenteil sogar fraglich, ob bei dem Kläger aktuell Gesundheitsstörungen vorliegen, die einen G-GdB von 70 rechtfertigen. Zur Begründung verweist der Senat zunächst auf die zutreffenden Gründe in der angefochtenen Entscheidung des SG, die er nach eigener Prüfung für überzeugend hält und sieht insoweit von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG). Im Verlauf des Berufungsverfahrens haben sich keine Gesichtspunkte ergeben, die zu einer wesentlich abweichenden Beurteilung führen könnten.

 

b) Für das Funktionssystem Nerven und Psyche sind keine Gesundheitsstörungen in die Beurteilung einzustellen, die nicht bereits vom SG bzw. dem Sachverständigen R. hinreichend gewürdigt worden wären. Es ist nicht erkennbar, dass neben den von R. genannten nach Teil B Ziff. 3.7 VMG zu bewertenden Beeinträchtigungen in Form einer rezidivierenden depressiven Störung, einer Angststörung und einer Panikstörung weitere Beeinträchtigungen hinzugetreten wären oder sich die genannten Beeinträchtigungen nennenswert verschlechtert hätten. Dies ergibt sich zum einen aus dem Bericht des H. vom 28.02.2022, dem die Behandlungsdokumentation von Mai 2014 bis Januar 2022 angefügt war. H. hat in dem Bericht mitgeteilt, der Gesundheitszustand des Klägers sei seit Beginn der dortigen Behandlung unverändert geblieben. Auch der Sachverständige X., der den Kläger in dem Verfahren SG Gelsenkirchen, S 18 (14) R 936/19 am 09.10.2020 nach Aktenlage begutachtet hat, hat den psychischen Ausfallerscheinungen des Klägers nur einen geringen Krankheitswert zugesprochen und weiter ausgeführt, dass diese durch zumutbare Willensanstrengung überwunden werden könnten.

 

Belegt ist damit auch nach Auffassung des Senats bislang lediglich eine stärker behindernde Störung mit wesentlicher Einschränkung der Erlebnis- und Gestaltungsfähigkeit, die (höchstens) mit einem E-GdB von 40 bewertet werden kann (vgl. Teil B Ziff. 3.7 VMG).

 

c) Auch was die Einschränkungen des Klägers an der (Lenden-)WS – und damit im Organsystem Rumpf – angeht, sind Verschlechterungen gegenüber den überzeugenden Ausführungen des Herrn O. in seinem Gutachten vom 09.08.2019 nicht erkennbar. Solche ergeben sich weder aus den Befunden in dem Bericht der „E.“-Praxis für Orthopädie und Neurochirurgie vom 10.03.2022 noch aus dem in dem Verfahren des SG Gelsenkirchen, S 18 (14) R 936/19 am 13.07. 2020 nach Aktenlage erstatteten Gutachten des Orthopäden W.. W. diagnostizierte ebenfalls ein LWS-Syndrom mit gewissen Bewegungseinschränkungen, dem nach Teil B Ziff. 18.9 VMG mit einem E-GdB von 20 ausreichend Rechnung getragen ist.

 

Sofern in den aktenkundigen Unterlagen – wie etwa in dem Gutachten des W. – teilweise die Diagnose „Morbus Bechterew“ referiert wird, ergeben sich dazu – wie Herr O. auf Seite 6 seines Gutachtens bereits zutreffend ausgeführte hat – weiterhin keine befundmäßigen Anhaltspunkte. Selbst bei nachgewiesener Diagnose einer Morbus-Bechterew-Erkrankung würde diese im Falle einer leichten Ausprägung ohnehin nur mit einem E-GdB von 10 zu Buche schlagen (vgl. Ziff. 18.2.1 VMG).

 

Mit Blick auf das Organsystem Rumpf verbleibt es damit bei einem E-GdB von 20.

 

d) Betreffend das Funktionssystem Hören (Teil B Ziff. 5 VMG) ist wegen der erheblichen Unsicherheiten, die aus den widersprüchlichen Tonaudiogrammen des J. resultieren, in Übereinstimmung mit der Beurteilung des SG allenfalls – zu Gunsten des Klägers wohlwollend – ein E-GdB von 20 zu berücksichtigen.

 

e) Hinsichtlich des Funktionssystems Sehen / Augen (Teil B Ziff. 4 VMG) vermag der Senat – wie schon das SG – jedenfalls keinen E-GdB von mehr als (mutmaßlich) 10 festzustellen.

 

Die konkreten gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers auf diesem Gebiet kann der Senat trotz neuerlicher erheblicher Ermittlungsbemühungen im Berufungsverfahren letztlich (insb. im Hinblick auf die vorgetragenen Gesichtsfeldeinschränkungen) nicht hinreichend verlässlich einschätzen.

 

Zu den Gesichtsfeldeinschränkungen liegen zwar inzwischen insgesamt drei Messbefunde des B. (vom 09.02.2021, 10.05.2022 und 15.01.2024) mittels Goldmann-Perimetrie vor, die in dieser Hinsicht erhebliche Beeinträchtigungen dokumentieren. Diese Befunde sind, wie N. in seinem Gutachten vom 28.10.2022 jedoch für den Senat überzeugend ausgeführt hat, wegen der Vielzahl falsch negativer Ergebnisse nicht hinreichend valide, um damit den Nachweis einer höhergradigen Einschränkung der Sehfähigkeit (etwa in Form der von B. benannten Optikusatrophie) zu belegen.

 

Der Umstand, dass der Kläger vom LWL Leistungen nach dem GHBG erhält, steht dem nicht entgegen, weil sich diese Entscheidung allein auf die (dort nicht näher geprüften) Angaben des B. stützt.

 

Zu weiteren Ermittlungen, wie sie etwa der ärztliche Dienst des Beklagten in seiner Stellungnahme vom 05.03.2024 für denkbar gehalten hat, hat sich der Senat nicht gedrängt gesehen, weil der Kläger eine persönliche Untersuchung abgelehnt bzw. aufgrund seines gesundheitlichen Zustandes für nicht möglich gehalten hat.

 

f) Weitere Gesundheitsstörungen, die einen E-GdB von mehr als 10 bedingen könnten, sind auch im Berufungsverfahren nicht bekannt geworden. Im Einzelnen:

 

aa) Die sowohl von S. als auch von V. und K. – ohne Erwähnung irgendwelcher Komplikationen – mitgeteilte Schilddrüsenerkrankung ist nach Teil B Ziff. 16.6 VMG allenfalls mit einem E-GdB von 10 zu berücksichtigen.

 

bb) Die aus den Befundunterlagen ersichtliche Harn- und Fettstoffwechselstörung bleibt mangels Nachweis von Folgeerkrankungen außer Betracht (vgl. Teil B Ziff. 15.3 VMG).

 

cc) Die von V. in dem Befundbericht vom 18.02.2022 dokumentierten – aber von K. nicht erwähnten – Beeinträchtigungen in Form von Bluthochdruck und venöser Insuffizienz sind mangels Dokumentation von Folgeerkrankungen oder Komplikationen als leichtgradig anzusehen und können daher (nach Teil B Ziff. 9.3 bzw. Ziff. 9.2.3 VMG) höchstens mit einem E-GdB von 10 berücksichtigt werden.

 

dd) Da trotz der Angaben des Klägers in einem Fragebogen vom 17.07.2023 nicht von einer erheblichen Einschränkung der Belastbarkeit nach Operation einer Leistenhernie (2013) ausgegangen werden kann, ist auch insoweit kein E-GdB von mehr als 10 anzuerkennen (vgl. Teil B Ziff. 11.1 VMG).

 

ee) Die von dem Kläger angeführten Kieferentzündungen bei Wurzelbehandlung (Teil B Ziff. 7 VMG) sind mangels anderweitiger konkreter Befunde und Anhaltspunkte im Sachvortrag als Behandlungsleiden anzusehen und somit nicht in die weitere Kalkulation einzustellen.

 

g) In die G-GdB-Bildung fließen damit insgesamt gesichert nur ein 40´er-Wert für das Funktionssystem Nerven und Psyche sowie ein 20´er-Wert für das Funktionssystem Rumpf ein. Die Gesundheitsstörungen, die einen E-GdB von (weniger als) 10 begründen, bleiben außer Betracht (vgl. Teil A Ziff. 3, d), ee)). Selbst wenn man trotz der oben (unter d) und e)) dargestellten Unsicherheiten für das (mutmaßlich in gewisser Weise) eingeschränkte Hör- und Sehvermögen einen gewissen Zuschlag (etwa in Höhe eines E-GdB von 20 sowohl für das Hör- als auch für das Sehvermögen) einberechnen wollte, würde man dadurch auch bei doppelter Erhöhung durch die 20´er-Werte (vgl. auch dazu Teil A Ziff. 3, d), ee)) allenfalls zu einem G-GdB von 60 gelangen. Ein höherer G-GdB wäre erst dann zu rechtfertigen, wenn sich Art und Umfang der Einschränkungen des Klägers betreffend das Funktionssystem Sehen (im Rahmen einer persönlichen Untersuchung) hinreichend objektivieren ließen.

 

3. Mangels Änderung der Verhältnisse hat der Kläger ebenfalls keinen Anspruch auf Feststellung der Voraussetzungen für das Merkzeichen G. Der Senat verweist auch insoweit auf die zutreffenden Ausführungen in den Gründen der angefochtenen Entscheidung des SG, die er sich zu eigen macht, und sieht von einer weiteren Darstellung der Gründe ab (§ 153 Abs. 2 SGG).

 

Im Berufungsverfahren haben sich keine Gesichtspunkte ergeben, die zu einer abweichenden Entscheidung führen könnten. Der Kläger hat zwar wiederholt eine Verschlechterung seines Gesundheitszustandes sowie erheblich Einschränkungen seiner Gehfähigkeit behauptet. Wesentliche neurologische, orthopädische oder internistische Befunde, die dies hinreichend belegen könnten, liegen aber nicht vor. Das zuletzt vorgelegte Attest des K. vom 09.04.2024 erschöpft sich in einer Aufzählung der im Wesentlichen schon bekannten und gewürdigten Gesundheitsstörungen des Klägers. Wie schon oben unter 1. ausgeführt hat H. in seinem Bericht vom 28.02.2022 angegeben, der Zustand des Klägers sei seit Beginn der Behandlung im Jahr 2014 im Wesentlichen unverändert. Dem Bericht der „E.“-Praxis für Orthopädie und Neurochirurgie vom 10.03.2022 lassen sich neuere Befunde, die konkrete Rückschlüsse auf die Gehfähigkeit des Klägers zuließen, nicht entnehmen. V. hat in seinem Bericht vom 18.02.2022 lediglich von einer schleichenden Verschlechterung seit 1999 gesprochen und im Wesentlichen die psychischen Auffälligkeiten im Vordergrund gesehen. Auch hieraus lassen sich konkrete Rückschlüsse auf Art und Umfang einer etwaigen Einschränkung der Gehfähigkeit nicht ziehen.

 

B) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 193 Abs. 1 Satz 1, 183 SGG. Obwohl der Kläger mit Blick auf das Teilanerkenntnis des Beklagten teilweise erfolgreich gewesen ist, entspricht eine Beteiligung des Beklagten an seinen außergerichtlichen Kosten nicht der Billigkeit (vgl. zu dem Billigkeitsgedanken B. Schmidt in Meyer-Ladewig u. a., SGG, 14. Auflage 2023, § 193 Rn. 12 f.). Denn zum einen blieb das Angebot des Beklagten mit Blick auf den G-GdB noch hinter der Mindestforderung des Klägers (G-GdB 80) zurück. Zudem hat der Beklagte in seinem Angebot zur Zuerkennung eines G-GdB von 70 die objektive Beweislage sehr wohlwollend zu Gunsten des Klägers interpretiert. Zum anderen ist in Rechnung zu stellen, dass der Kläger mit seinem Begehren auf Zuerkennung des Merkzeichens G vollständig erfolglos geblieben ist. Mithin ist der Umfang seines Obsiegens als so geringwertig einzuschätzen, dass es sich nicht in der Kostenquote niederschlagen muss.

 

C) Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

 

Rechtskraft
Aus
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