L 6 AS 1445/21

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Grundsicherung für Arbeitsuchende
Abteilung
6
1. Instanz
SG Düsseldorf (NRW)
Aktenzeichen
S 12 AS 209/20
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 6 AS 1445/21
Datum
3. Instanz
Bundessozialgericht
Aktenzeichen
B 4 AS 28/24 B
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.08.2021 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand:

Im Streit stehen höhere Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) für die Zeit ab dem 01.09.2019 bis zum 31.08.2020.

 

Die 0000 geborene Klägerin wohnt seit ihrem 4. Lebensjahr im Haushalt ihrer Großeltern, den Zeugen Q. und R. S., in U.. Sie bezieht seit dem 01.09.2019 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – Grundsicherung für Arbeitssuchende – (SGB II) von dem Beklagten.

 

Die monatliche Kaltmiete für die von den Zeugen und der Klägerin bewohnte Wohnung belief sich im streitigen Zeitraum auf 512,43 € und die Nebenkosten auf 70 € (2019) bzw. 100 € (2020). Der monatliche Heizkostenabschlag betrug nach Angaben der Klägerin 35 €. Diesen hatte die Zeugin ausweislich der Jahresrechnung vom 31.10.2019 direkt an den Energieversorger zu zahlen. Bis einschließlich Oktober 2019 hatte der Abschlag 34 € betragen.

 

Im Rahmen ihres Erstantrages vom 02.09.2019 gab die Klägerin an, lediglich über das Kindergeld, das an die Zeugen ausgezahlt werde, zu verfügen. Ansonsten habe sie kein Einkommen und Vermögen.

 

Durch Bescheid vom 10.09.2019 bewilligte der Beklagte Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs unter Anrechnung des Kindergeldes für die Zeit vom 01.09.2019 bis zum 31.08.2020 i. H. v. 250 € monatlich.

 

Mit Schreiben vom 17.09.2019 erhob die Klägerin Widerspruch. Sie bilde mit ihren Großeltern eine Hausgemeinschaft. Die Leistungsbewilligung berücksichtige jedoch keine Miete und Nebenkosten. Geheizt werde mit einer elektrischen Fußbodenheizung. Das Warmwasser werde mittels eines Durchlauferhitzers bereitet.

 

Durch Änderungsbescheid vom 23.11.2019 berücksichtigte der Beklagte die Anpassung des Regelbedarfs zum 01.01.2020 und bewilligte nunmehr Leistungen i. H. v. 258 € monatlich.

 

Mit Widerspruchsbescheid vom 20.12.2019 wies er den Widerspruch zurück. Kosten für Unterkunft und Heizung seien nicht zu berücksichtigen. Bei keiner Vorsprache seien Unterkunftskosten erwähnt oder beantragt worden, auch nicht auf dem Antragsvordruck. Unterlagen zu den Unterkunftskosten seien von den Zeugen zur Prüfung einer Unterhaltsvermutung nach § 9 Abs. 5 SGB II angefordert worden. Die Klägerin habe bisher keine Unterkunftskosten geleistet. Es sei daher weiterhin davon auszugehen, dass solche nicht wirklich geschuldet seien. Es errechne sich ein Gesamtbedarf von 424 €, auf den Einkommen in Form von bereinigtem Kindergeld i. H. v. 174 € anzurechnen sei.

 

Mit Schreiben vom 30.12.2019 übersandte die Klägerin den ausgefüllten Vordruck zur Feststellung des Umfangs der Hilfebedürftigkeit bei Vorliegen einer Haushaltsgemeinschaft (HG). Sie gab an, die Zeugen hätten in der Vergangenheit Pflegegeld für sie bezogen. Das sei der Grund gewesen, weswegen sie keine Unterkunftskosten habe bezahlen müssen. Auf sie entfalle ein Drittel der Kosten. Auch die Nebenkosten würden teilweise personenbezogen abgerechnet, so dass sie auch an dieser Stelle Kosten zu tragen habe. Zudem sei in der Vergangenheit kein Mehrbedarf i. S. v. § 21 Abs. 7 SGB II gewährt worden.

 

Der Beklagte verwies auf den bereits ergangenen Widerspruchsbescheid.

 

Am 17.01.2020 hat die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht (SG) Düsseldorf erhoben. Sie begehre weiterhin die Auszahlung der Regelleistungen ohne bedarfsmindernde Anrechnung des Kindergeldes sowie den Mehrbedarfszuschlag nach § 21 Abs. 7 SGB II. Das Kindergeld werde an die Zeugin gezahlt. Diese sei jedoch kein Mitglied der Bedarfsgemeinschaft. Das Bundessozialgericht (BSG) habe mit Urteil vom 17.07.2014, B 14 AS 54/13 R entschieden, dass das Kindergeld in einer Drei-Generationen-Bedarfsgemeinschaft nicht als Einkommen anzurechnen sei. Die Berücksichtigung des Kindergeldes als Einkommen sei durch die Schutzvorschrift des § 9 Abs. 3 SGB II ausgeschlossen. Auch die Zuordnungsregel des § 11 Abs. 1 Satz 3 SGB II greife nicht, weil die Klägerin nicht zur Bedarfsgemeinschaft der Zeugen gehöre. Diese leiteten das Kindergeld nicht an sie weiter. Zudem gehe der Beklagte zu Unrecht davon aus, dass sie nicht dazu verpflichtet sei, anteilig Miete zu zahlen. In der Vergangenheit habe sie als Pflegekind der Zeugen nicht im SGB II-Bezug gestanden. Mit der Argumentation des Beklagten könnten Leistungen für Unterkunft und Heizung stets mit der Begründung abgelehnt werden, dass Kinder zu keinem Zeitpunkt zu den Mietkosten herangezogen worden seien. Die Zeugin verlange Mietzahlungen. Die Unterstützungsleistungen von monatlich 50 € seien von Januar 2019 bis einschließlich August 2019 gezahlt und anschließend eingestellt worden.

 

Die Klägerin hat unter Vorlage des entsprechenden Bescheides der Bundesagentur für Arbeit (Familienkasse) vom 20.01.2020 mitgeteilt, dass die Kindergeldfestsetzung ab dem Monat Februar 2020 aufgehoben worden sei. Mit Bescheid vom 07.05.2020 hat der Beklagte daraufhin die Bewilligung für die Zeit vom 01.02. bis zum 31.08.2020 zugunsten der Klägerin entsprechend abgeändert.

 

Die Klägerin hat in der sinngemäßen Fassung ihres Begehrens durch das SG beantragt,

 

den Beklagten unter Abänderung des Bescheides vom 10.09.2019 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 23.11.2019 sowie des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2019 und des Änderungsbescheides vom 07.05.2020 zu verpflichten, ihr für den Zeitraum vom 01.09.2019 bis 31.08.2020 Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II i. H. v. monatlich insgesamt 205,90 € (2019) bzw. 215,90 € (2020) zu gewähren sowie ihr vom 01.09.2019 bis zum 31.01.2020 Regelleistungen nach dem SGB II ohne Anrechnung von Kindergeld zu gewähren.

 

Der Beklagte hat schriftsätzlich beantragt,

 

die Klage abzuweisen.

 

Er hat vorgetragen, dass das Kindergeld über die Zeugen durch Gewährung von Unterstützung faktisch an die Klägerin weitergeleitet worden sei, indem man sie in einem Haushalt lebend dort versorgt habe. Das habe der Zeuge in einem Schreiben vom 09.09.2019 auch schriftlich so erklärt. Darin habe er etwa bestätigt, dass die monatliche Überweisung von 50 € auf das Konto der Klägerin von dem Kindergeld gedeckt werde. Bei Mietverhältnissen unter Verwandten oder Untermietverhältnissen seien Kosten der Unterkunft nur zu übernehmen, wenn sie aufgrund einer wirksamen rechtlichen Verpflichtung zu tragen seien. Dafür, dass das Mietverhältnis zwischen Verwandten hier tatsächlich gelebt werde, fehlten bisher jegliche Nachweise. Die Klägerin sei von den Zeugen großgezogen worden. Dieser Umstand begründe innerhalb einer HG eine sittliche Pflicht zur gegenseitigen Unterstützung. Allein das Zusammenleben in einer HG mit nichtleistungsberechtigten Personen bewirke keine zivilrechtliche Verpflichtung zur Tragung kopfteiliger Unterkunftskosten (Verweis auf BSG, Urteil vom 14.04.2011, B 8 SO 18/09 R). Zudem habe die Klägerin auf dem Hauptantrag vom 02.09.2019 keine ihr entstehenden Unterkunftskosten angegeben.

 

Die Klägerin hat auf Aufforderung des SG eine Wohnungsskizze, die Pflegegeldabrechnung für den Monat Februar 2018 sowie eine Kopie des Mietvertrages vom 20.05.1996 übersandt und vorgetragen, dass ein schriftlicher Untermietvertrag nicht existiere, weil sie bereits seit ihrem vierten Lebensjahr Partei des (Haupt-)Mietvertrages über die gesamte Wohnung und schon aufgrund dessen einer Mietzinsforderung ausgesetzt sei (Verweis auf Landgericht [LG] Potsdam, Urteil vom 04.09.2012, 4 S 96/12). Die Zeugen hätten für sie bis einschließlich Februar 2018 Pflegegeldleistungen, zuletzt i. H. v. 1.041,95 €, erhalten, welche gemeinsam mit dem Kindergeld für die laufenden Kosten, einschließlich der anteiligen Unterkunftskosten, verwendet worden seien. Sie selbst habe hiervon ein monatliches Taschengeld i. H. v. 70 € erhalten. Am 01.08.2018 habe sie ihre Lehre begonnen, weswegen die Taschengeldzahlungen eingestellt worden seien. Ab diesem Zeitpunkt habe mit den Zeugen die Abrede bestanden, dass sie nunmehr aus ihrem eigenen Einkommen ein Drittel der Kosten der Unterkunft und Heizung zu zahlen habe. Nach Kündigung des Ausbildungsverhältnisses zum 09.10.2018 habe sie Arbeitslosengeld I beantragt. Dort sei ihr geraten worden, keinen Antrag nach dem SGB II zu stellen. In der Folgezeit bis zur Antragstellung bei dem Beklagten habe sie monatlich 50 € Taschengeld von den Zeugen erhalten. Von dem restlichen Kindergeld habe die Zeugin versucht, die monatlichen Fixkosten und die Unterkunftskosten anteilig auszugleichen. Da eine Kostendeckung nicht möglich gewesen sei, habe sie die Klägerin zu einer Antragstellung bei dem Beklagten gedrängt. Es sei daher nicht so, dass erst mit Antragstellung bei dem Beklagten eine Verpflichtung zur Zahlung des Mietanteils entstanden sei. Der Beklagte sei zur Übernahme der Unterkunftskosten verpflichtet, weil man ansonsten zu dem Ergebnis gelangen würde, dass Pflegeltern benachteiligt würden, wenn die Pflegekinder nach Vollendung der Volljährigkeit mit in der Wohnung verbleiben dürften.

 

Im Termin zur Erörterung des Sachverhaltes und zur Beweisaufnahme am 28.05.2021 hat das SG Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin. Hinsichtlich der konkreten Angaben der Zeugin wird auf die Anlage zur Sitzungsniederschrift (Blatt 105 bis 109 der Gerichtsakten) verwiesen.

 

Die Klägerin selbst hat in dem Termin angegeben, dass nach ihrem Kenntnisstand ihr Kindergeld mit den Leistungen nach dem SGB II für Mietzahlungen verbraucht worden sei. Vor Beginn des Leistungsbezuges sei das Kindergeld für Kleidung und alltägliche Bedarfe verwandt worden. Sie habe von August bis Oktober 2018 eine Berufsausbildung zur Gärtnerin absolviert und dann abgebrochen. Ihr sei innerhalb der Probezeit gekündigt worden. Während dieses Ausbildungszeitraums habe sie einen Teil ihres Ausbildungsgehaltes an die Zeugen abgegeben. Das sei etwa ein Drittel ihres Gehaltes gewesen. Seit 2019 werde das Kindergeld nicht an sie weitergegeben. Ihr sei gesagt worden, dass sie nun ihr eigenes Einkommen habe, wobei sie sich immer gewundert habe, warum ihr nur ein Betrag i. H. v. 250 € bewilligt worden sei. Im Zeitraum Oktober 2018 bis September 2019 sei sie zur Arbeitsagentur gegangen. Ihr sei dort davon abgeraten worden, SGB II-Leistungen zu beantragen. Einen Minijob habe sie nicht gefunden. Ob sie an die Zeugen Miete gezahlt habe, wisse sie nicht.

 

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG mit Gerichtsbescheid vom 17.08.2021 die Klage abgewiesen. Rechtsfehlerfrei habe der Beklagte im Zeitraum vom 01.09.2019 bis 31.01.2019 (gemeint 2020) Regelleistungen nach dem SGB II i. H. v. 250 € monatlich bewilligt, da das Kindergeld Einkommen der Klägerin nach § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II darstelle. Die Zeugin habe im Erörterungstermin am 28.05.2021 erklärt, der Klägerin für den Zeitraum ihres Leistungsbezuges nach dem SGB II das Kindergeld zur Bestreitung ihres Lebensunterhaltes in bar ausgezahlt zu haben. Insoweit habe das Kindergeld den grundsicherungsrechtlichen Bedarf der Klägerin gedeckt und sei somit nach der Rechtsprechung des BSG Einkommen im Sinne von § 11 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Zudem habe sie mangels wirksamer Mietzinsverpflichtung und mangels tatsächlicher Aufwendungen gegenüber den Zeugen auch keinen Anspruch auf Berücksichtigung kopfteiliger Unterkunftskosten nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II. Tatsächliche Aufwendungen in diesem Sinne lägen nur vor, wenn der hilfebedürftige Leistungsberechtigte nach dem SGB II im jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt sei. Hier spreche bereits der Umstand, dass die Klägerin seit ihrer Volljährigkeit im September 2018 bis zum Beginn des Leistungsbezuges nach dem SGB II bei dem Beklagten am 01.09.2019 ohne nachhaltige mietrechtliche Konsequenzen lediglich eine Monatsmiete im Herbst 2018 geleistet habe, deutlich gegen eine wirksame und ernsthafte Mietzinsforderung. Auch für den Zeitraum seit September 2019 sei nicht erkennbar, dass die Klägerin mietrechtliche Konsequenzen befürchten müsse oder Zahlungsaufforderungen und rechtlichen Schritten der Zeugin ausgesetzt sein werde. Diese habe im Termin am 28.05.2021 vielmehr erklärt, die Höhe der Mietrückstände nicht zu kennen und über keine Zahlungsübersicht zu verfügen. Von einer ernsthaften Mietzinsforderung könne bei einer Stundung über einen Zeitraum von mehreren Jahren nicht ausgegangen werden. Anhaltspunkte dafür, dass die Zeugen die Mietzinsforderungen ernsthaft durchsetzen wollten, seien nicht ersichtlich. Insbesondere die Aussage, wonach Mietzinszahlungen nur erfolgen sollten, wenn die Klägerin eine Arbeit aufnehme, spreche deutlich gegen eine ernsthafte Mietzinsforderung. Denn ein Vermieter mache das Erfordernis der Mietzinszahlung nicht von der wirtschaftlichen Situation seines Mieters abhängig, sondern vom Bestehen eines wirksamen und praktizierten Mietverhältnisses. Von einem wirksamen Mietverhältnis sei nicht auszugehen, wenn Mietkosten nur bei Eintritt in den Leistungsbezug nach dem SGB II gezahlt werden sollten. Vielmehr sei dann von einem Vertrag zu Lasten Dritter auszugehen. Zudem habe die im Fall des Obsiegens der Klägerin im Klageverfahren unmittelbar wirtschaftlich partizipierende Zeugin eingestanden, dass man „von einem Kind keine Miete verlangen“ könne. Schließlich spreche der Umstand, dass die Zeugin sich nach eigener Aussage über die Verjährung etwaiger Mietzinsansprüche keine Gedanken gemacht habe, ebenfalls gegen eine wirksame Mietzinsforderung.

 

Gegen den ihr am 23.08.2021 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 23.09.2021 im Wesentlichen unter Wiederholung ihres bisherigen Vorbringens Berufung eingelegt. Sie verfolge nicht mehr das Anliegen, dass ihr in der Zeit vom 01.09.2019 bis zum 31.01.2020 die Regelleistung ohne Anrechnung von Kindergeld zu gewähren sei. Das Kindergeld habe ihr auch tatsächlich zur Verfügung gestanden. Es sei aber nicht Sinn und Zweck des § 22 Abs. 1 SGB II, dass wirtschaftlich leistungsfähige Angehörige einer Person, die Leistungen beziehe, ein kostenfreies Mitwohnen zu ermöglichen hätten. Es sei von einer Substitution der Unterkunftskosten durch die Zeugen auszugehen. Diese seien quasi gezwungen gewesen, mit den Leistungen des Beklagten in Vorleistung zu gehen. Wenn sie dies nicht getan hätten, hätten sie bereits die Wohnung verloren. Die Zeugin habe sogar ausgesagt, dass sie und der Zeuge mit dessen privater Altersvorsorge die Unterkunftskosten für die Klägerin vorfinanziert hätten. Dieser Zustand sei auf Dauer nicht tragbar. Da die Wassererwärmung in der Wohnung über einen elektrisch betriebenen Durchlauferhitzer erfolge, stehe der Klägerin für den streitigen Zeitraum auch der Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II zu.

 

Die Klägerin beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Düsseldorf vom 17.08.2021 sowie den Bescheid vom 10.09.2019 in der Gestalt des Änderungsbescheides vom 23.11.2019 sowie des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2019 und des Änderungsbescheides vom 07.05.2020 zu ändern und den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin für den Zeitraum vom 01.09.2019 bis zum 31.08.2020 Leistungen zur Deckung der Kosten der Unterkunft und Heizung nach dem SGB II i. H. v. monatlich 205,90 € (2019) bzw. 215,90 € (2020) sowie höhere Regelleistungen für die Zeit vom 01.09.2019 bis zum 31.01.2020 zu gewähren.

 

Der Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Er bezieht sich zunächst auf den angefochtenen Gerichtsbescheid des SG und führt ergänzend aus, es sei nicht erkennbar, dass die Zeugen die behaupteten Mietzinsansprüche auch ernsthaft hätten durchsetzen wollen. Gegen die Annahme eines „echten“ Mietvertrages spreche auch, dass nach der Zeugenaussage die Mietzinszahlungen (nur) zu leisten seien, wenn die Klägerin Arbeit aufnehme. Es sei daher von einem Scheingeschäft auszugehen. Es handele sich um einen Vertrag zu Lasten Dritter.

 

Auf Aufforderung der Berichterstatterin hat die Klägerin eine Vermieterbescheinigung vom 14.03.2022 sowie Nebenkostenabrechnungen für die Jahre 2019 bis 2021 übersandt.

 

Der Senat hat im Termin zur mündlichen Verhandlung Beweis erhoben durch (nochmalige) Vernehmung der Eheleute Z. und Q. S. als Zeugen. Hinsichtlich des Inhalts und des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 13.09.2023 (Blatt 233 ff. der Gerichtsakte) Bezug genommen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Streitakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

A) Die nach § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige Berufung ist unbegründet.

 

I. Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem angefochtenen Gerichtsbescheid vom 17.08.2021 der Bewilligungsbescheid vom 10.09.2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23.11.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2019 sowie in der Fassung des Änderungsbescheides vom 07.05.2020. Der streitige Zeitraum beginnt hier aufgrund der Rückwirkung des Antrags nach § 37 Abs. 2 Satz 2 SGB II am 01.09.2019 und endet mit Blick auf die höheren Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs am 31.01.2020 sowie bezogen auf die begehrten Leistungen für Unterkunft und Heizung am 31.08.2020. Der Anspruch auf weitergehende Leistungen unter Berücksichtigung eines abweichenden Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 7 Satz 2 SGB II stellt (unter dem Gesichtspunkt des Regelbedarfs) keinen eigenständigen, von den Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts abtrennbaren Streitgegenstand dar (BSG, Urteil vom 07.12.2017, B 14 AS 6/17 R, juris Rn. 10 m. w. N.).

 

II. Davon ausgehend hat das SG die Klage zu Recht abgewiesen.

 

1. Rechtsgrundlage für den geltend gemachten Anspruch der Klägerin auf Zuerkennung höherer Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem SGB II sind die §§ 19 ff. i. V. m. §§ 7 ff. SGB II in der für den streitigen Zeitraum geltenden Fassung (BSG, Urteil vom 30.08.2017, B 14 AS 30/16 R, juris Rn. 11).

 

a) Die Klägerin erfüllte in dem Zeitraum vom 01.09.2019 bis zum 30.08.2020 zwar die Leistungsvoraussetzungen des § 7 Abs. 1 Satz 1 SGB II dem Grunde nach. Denn sie war erwerbsfähig nach § 8 Abs. 1 SGB II und hilfebedürftig nach den §§ 9, 11 ff SGB II, weil sie lediglich über das an sie weitergeleitete Kindergeld bzw. ab dem 01.02.2020 über kein Einkommen mehr verfügte. Wesentliches Vermögen war nicht vorhanden. Schließlich hatte sie ihren gewöhnlichen Aufenthalt im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten.

 

b) Es mangelt in dem genannten Zeitraum jedoch an einem Anspruch auf Leistungen zur Deckung des Bedarfs für Unterkunft und Heizung.

 

Nach § 22 Abs. 1 Satz 1 SGB II sind Bedarfe für Unterkunft und Heizung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen anzuerkennen, soweit sie angemessen sind. Der Grundsicherungsträger hat demnach nur solche Kosten zu übernehmen, die dem Hilfebedürftigen tatsächlich entstanden sind und für deren Deckung ein Bedarf besteht.

 

Zur Überzeugung des Senats sind der Klägerin im streitigen Zeitraum keine Aufwendungen für die Nutzung der von ihr und den Zeugen bewohnten Wohnung in Form von Mietzinszahlungen bzw. -forderungen entstanden.

 

Tatsächliche Aufwendungen für eine Wohnung liegen nicht nur dann vor, wenn Hilfebedürftige die Miete bereits gezahlt haben und nunmehr deren Erstattung verlangen. Vielmehr reicht es aus, wenn sie in dem jeweiligen Leistungszeitraum einer wirksamen und nicht dauerhaft gestundeten Mietzinsforderung ausgesetzt sind. Denn bei Nichtzahlung der Miete droht regelmäßig Kündigung und Räumung der Unterkunft. Zweck der Regelung über die Erstattung der Kosten für die Unterkunft ist es aber gerade, existenzielle Notlagen zu beseitigen und den Eintritt von Wohnungslosigkeit zu verhindern (BSG, Urteil vom 03.03.2009, B 4 AS 37/08 R). Insoweit kann es für die Feststellung, ob tatsächlich Aufwendungen für die Unterkunft entstanden sind, nicht darauf ankommen, ob Hilfebedürftige der Verpflichtung aus eigenen Mitteln nachkommen können oder in der Vergangenheit nachkommen konnten, auch nicht, ob die Aufwendungen bisher durch andere Sozialleistungen gedeckt wurden (BSG, Urteil vom 03.03.2009, B 4 AS 37/08 R).

 

Ob ein wirksames Mietverhältnis zwischen Familienangehörigen vorliegt oder ob es sich um ein Scheingeschäft i. S. d. § 117 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) handelt, beurteilt sich nach den tatrichterlichen Feststellungen der Umstände des jeweiligen Einzelfalls (Luik in Eicher u. a., SGB II, 5. Auflage 2021, § 22 Rn. 59 mit Verweis auf u. a. BSG, Urteil vom 03.03.2009, B 4 AS 37/08 R). Dabei kann nicht schematisch auf alle Vergleichselemente eines „Fremdvergleichs“ zurückgegriffen werden, da zwischen Verwandten ein niedrigerer Mietzins als unter fremden Dritten durchaus üblich ist (BSG, Urteil vom 03.03.2009, B 4 AS 37/08 R). Der Leistungsberechtigte muss aber einer wirksamen, nicht dauerhaft gestundeten Mietforderung ausgesetzt sein. Diesbezüglich kommt es auf die Glaubwürdigkeit der vorgetragenen Tatsachen und auf die feststellbaren Indizien an, aus denen sich die richterliche Überzeugung speist (Luik in Eicher u.a., SGB II, 5. Auflage 2021, § 22 Rn. 59 m. w. N.).

 

Vorliegend schließt sich der Senat nach vertiefender Beweisaufnahme und eigener Würdigung der Umstände des vorliegenden Einzelfalles der Auffassung des SG an, dass die Klägerin keiner ernsthaften Mietzinsforderung der Zeugen oder deren Vermieterin im obigen Sinne ausgesetzt war und auch keine Zahlungen auf Grundlage einer etwaigen Vereinbarung erbracht worden sind.

 

Unter Berücksichtigung des Vortrags der Klägerin, der Zeugenvernehmungen vom 28.05.2021 sowie vom 13.09.2023 und des Akteninhalts ist der Senat nicht davon überzeugt, dass für den vorliegend maßgeblichen Zeitraum ein wirksamer Mietvertrag bzw. eine wirksame Mietzinsverpflichtung vorliegt.

 

Eine Mietzinsverpflichtung ergibt sich zunächst nicht aus der von der Klägerin und der Zeugin vorgetragenen Abrede. Zwar hat die Klägerin zuletzt im Termin zur mündlichen Verhandlung am 13.09.2023 vortragen lassen, dass zwischen ihr und den Zeugen eine mündliche Abrede bestehe, nach der sie sich mit einem Drittel an den Unterkunftskosten zu beteiligen habe. Die Klägerin selbst hat hierzu aber ergänzt, dass die Vereinbarung (nur) gelte, wenn sie arbeite. Dieser Vereinbarung sei sie während ihrer Ausbildung auch kurzzeitig nachgekommen. Die Angaben der Klägerin korrespondieren mit denen der Zeugin, die sowohl gegenüber dem SG als auch gegenüber dem Senat erklärt hat, dass die Klägerin (nur) im Falle einer Ausbildung oder der Erzielung von Einkünften ein Drittel für die Miete abgeben solle und dies auch für die Dauer ihrer Ausbildung getan habe. Eine Beteiligung an den Unterkunftskosten sollte demnach erst im Falle einer Ausbildung bzw. im Falle der Erzielung von Erwerbseinkommen erfolgen und damit nicht im Falle fehlenden Einkommens oder bei parallelem Leistungsbezug. Für die Ansicht des Senats, dass für die Dauer des Leistungsbezuges keine wirksame Mietzinsverpflichtung der Klägerin anzunehmen ist, spricht auch die weitere Erklärung der Zeugin vor dem SG, dass „wenn die Klägerin mal eine Arbeit findet, sie dann Miete zahlen soll“. Nichts anderes ergibt sich aus der Aussage des Zeugen, der im Einklang mit der Zeugin und der Klägerin gegenüber dem Senat erklärt hat, dass „bezahlt“ werden sollte, wenn Arbeitseinkommen da ist. Von diesem Einkommen sollte dann ein Drittel behalten werden dürfen, ein Drittel gespart werden und für ein Drittel sollte sich die Klägerin an den Kosten des Haushalts beteiligen.

 

Auch aus der Angabe der Klägerin, dass sie während der kurzen Ausbildungszeit im Jahr 2018 (August bis Oktober 2018) einen Teil ihres Ausbildungsgehaltes an die Zeugen abgegeben hat, lässt sich nach Überzeugung des Senats kein ernsthaftes Mietzinsverlangen herleiten. Hieraus kann vielmehr lediglich geschlossen werden, dass die von der Zeugin dargestellte Vereinbarung auch so gelebt wurde, also die Klägerin (allein) im Falle der Erzielung von Erwerbseinkommen an den Kosten der Unterkunft zu beteiligen war. Ferner kann aus dem Umstand, dass die Klägerin sich an den Einkäufen beteiligt haben mag, keine Mietzinsverpflichtung gegenüber den Zeugen hergeleitet werden. Denn insoweit stehen und standen ihr die von dem Beklagten bewilligten (Regelbedarfs-)Leistungen zur Verfügung.

 

Schließlich ergibt sich – anders als die Klägerin meint – eine Mietzinsverpflichtung auf Grundlage einer etwaigen Mithaftung weder mit dem Einzug in die Wohnung der Zeugen im Alter von vier Jahren noch aus dem bloßen Umstand der Vollendung ihres 18. Lebensjahres. Der Mietvertrag zu der auch von der Klägerin bewohnten Wohnung wurde zwischen den Zeugen und der Vermieterin im Mai 1996 zum 01.07.1996 geschlossen. Eine Anpassung bzw. Änderung dieses Vertrages wurde nicht vorgetragen und ist auch nicht ersichtlich. Eine Mithaftung von volljährig werdenden und am Mietvertrag nicht beteiligten Kindern gegenüber dem Vermieter einer Wohnung sieht das BGB nicht vor. Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus der von der Klägerin genannten Entscheidung des LG Potsdam vom 04.09.2012, 4 S 96/12. Denn dort ging es (lediglich) um Ansprüche auf Räumung und Herausgabe einer Wohnung nach Aufnahme eines Kindes in die angemietete Wohnung und der daraufhin ausgesprochenen Kündigungen.

 

c) Die Klägerin hat zudem (in dem Zeitraum vom 01.09.2019 bis zum 31.01.2020) keinen Anspruch auf höhere Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs. Ein solcher Anspruch ergibt sich weder unter dem Gesichtspunkt der leistungsmindernden Kindergeldanrechnung noch mit Blick auf den von ihr geltend gemachten Mehrbedarf nach § 21 Abs. 7 SGB II.

 

aa) Der Beklagte hat im angefochtenen Bescheid vom 10.09.2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 23.11.2019, des Widerspruchsbescheides vom 20.12.2019 und des Änderungsbescheides vom 07.05.2020 Leistungen zur Deckung des Regelbedarfs unter Anrechnung von Kindergeld i. H. v. 204 € bzw. bereinigt i. H. v. 174 € bewilligt. Die Zeugin hat das Kindergeld bis zum 31.01.2020 an die Klägerin weitergeleitet. Die Einkommensanrechnung ist damit auch unter Berücksichtigung der Ausführungen in dem Urteil des BSG vom 19.10.2016, B 14 AS 53/15 R nicht zu beanstanden. Insoweit verweist der Senat auf die zutreffenden Ausführungen des SG in der angefochtenen Entscheidung, die er sich nach Prüfung der Sach- und Rechtslage zu eigen macht (§ 153 Abs. 2 SGG).

 

bb) Neben dem berücksichtigten Regelbedarf hat der Beklagte fehlerfrei keinen Mehrbedarf für die Warmwassererzeugung anerkannt. Nach § 21 Abs. 7 SGB II wird bei Leistungsberechtigten ein Mehrbedarf berücksichtigt, soweit Warmwasser durch in der Unterkunft installierte Vorrichtungen erzeugt wird (dezentrale Warmwassererzeugung) und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden.

 

Bereits dem Wortlaut nach bedingt ein etwaiger Anspruch auf Berücksichtigung des Mehrbedarfs nach § 21 Abs. 7 SGB II einen grundsätzlichen Anspruch auf Anerkennung von Bedarfen für Unterkunft und Heizung („und deshalb keine Bedarfe für zentral bereitgestelltes Warmwasser nach § 22 anerkannt werden“). Ein solcher anzuerkennender Bedarf der Klägerin im Sinne des § 22 SGB II liegt aus den o. g. Gründen indes nicht vor.

 

B) Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 193 Abs. 1 Satz 1, 183 SGG.

 

C) Gründe für eine Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.

Rechtskraft
Aus
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