L 10 R 544/24

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Rentenversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Karlsruhe (BWB)
Aktenzeichen
S 2 R 396/23
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 R 544/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22.01.2024 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten steht erneut die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung in Streit.

Die 1976 geborene Klägerin erlernte keinen Beruf. Ab August 1998 war sie nahezu durchgängig versicherungspflichtig beschäftigt. Zuletzt arbeitete sie im Jahr 2003 als Servicekraft in einem Imbiss. Anschließend erhielt sie Leistungen von der Bundesagentur für Arbeit. Seit dem 29.03.2005 steht sie im Bezug von Leistungen nach Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II). Für die Zeit vom 01.01.2017 bis 31.12.2018 wurde ihr eine Rente wegen voller Erwerbsminderung gewährt (s. dazu sogleich). Bei ihr sind seit dem 08.07.2016 ein Grad der Behinderung (GdB) von 100 sowie die Merkzeichen G, B und H sowie ein Pflegegrad (nach altem Recht seit dem 01.06.2016 Pflegestufe II) festgestellt.

In einem ersten Rentenantragsverfahren wurde die Klägerin im Verwaltungsverfahren zunächst von der E1 (Gutachten vom 16.09.2015) und in einem sich anschließenden gerichtlichen Verfahren (S 6 R 3917/15) vor dem Sozialgericht Karlsruhe (SG) durch den S1 begutachtet. In seinem Gutachten vom 12.07.2016 nannte S1 als Diagnosen ein Aggravations- bzw. Simulationsverhalten bei Rentenbegehren, ein anamnestisch epileptisches Anfallsleiden (bei unauffälligem Alpha-EEG-Befund, keine weitere Spezifizierung möglich), Persönlichkeitsakzentuierung, Allergien sowie ein bekanntes Asthma bronchiale (bei aktuell klinisch unauffälligem kardiopulmonalem Befund). Das arbeitstägliche Leistungsvermögen der Klägerin betrage sechs Stunden und mehr. Aufgrund von persönlichen Schilderungen zu Anfallsereignissen in der mündlichen Verhandlung vor dem SG schlossen die Beteiligten einen Vergleich, infolgedessen die Beklagte der Klägerin mit Ausführungsbescheid vom 04.05.2017 die bereits erwähnte Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Zeit gewährte.

Ihren Antrag auf Weitergewährung der Rente lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 29.11.2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 08.02.2019 ab, wogegen die Klägerin abermals Klage beim SG (S 3 R 724/19) erhob. Nach Einholung von Auskünften bei dem W1 und dem B1 holte das SG zunächst ein neurologisches Gutachten bei dem D1 ein. Dieser erhob bei der Klägerin ausweislich seines Gutachtens vom 19.12.2019 einen unauffälligen neurologischen Befund. Im EEG konnten keine für Epilepsie typischen Potenziale festgestellt werden. Die Spiegelbestimmung des Antiepileptikums Lamotrigin ergab einen Wert im unteren therapeutischen Bereich. Der Spiegel für Levetiracetam - ebenfalls ein Antiepileptikum - lag unterhalb des therapeutischen Bereichs, was D1 auf eine mangelnde Compliance der Klägerin zurückführte. Er (D1) beschrieb zudem Aggravationstendenzen sowie eine mangelnde Mühegabe und ein nicht authentisches Antwortverhalten der Klägerin. Das zeitliche Leistungsvermögen der Klägerin gab er mit sechs bis acht Stunden arbeitstäglich an. Im Rahmen der Untersuchung konnten (trotz Angabe der Klägerin, auf die Nutzung eines Rollators angewiesen zu sein) keine Hinweise für eine Gangstörung objektiviert werden. Auf Anraten von D1 holte das SG zudem ein internistisch-pneumologisches Gutachten bei dem P1 ein. Dieser vermochte in seinem Gutachten vom 09.03.2020 bei der Klägerin unter der bestehenden antiobstruktiven Medikation keine dauerhafte lungenfunktionelle Einschränkung festzustellen. Die Sauerstoffsättigung lag bei sämtlichen Messungen - auch während eines mit Hyperventilation einhergehenden Atemnotfalls - im normalen Bereich. P1 hielt weder das zeitliche Leistungsvermögen noch die Wegefähigkeit der Klägerin für beeinträchtigt. Hierauf gestützt wies das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 30.06.2020 ab. Dagegen legte die Klägerin Berufung (L 7 R 2442/20) ein. In einem Erörterungstermin am 17.06.2021 (s. Protokoll S. 44 ff. Akte L 7 R 2442/20) vor dem Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg einigten sich die Beteiligten zur Erledigung des Rechtsstreits auf die Durchführung einer stationären Rehabilitationsmaßnahme mit anschließender (erneuter) Verwaltungsprüfung und -entscheidung über die Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung.

Die Durchführung der stationären Rehabilitationsmaßnahme scheiterte daran, dass die Klägerin auf der Notwendigkeit der Mitaufnahme einer Begleitperson bestand (s. dazu insbesondere Schreiben der R1 Kliniken vom 30.11.2021), die Beklagte eine solche jedoch ablehnte. Zudem machte die Klägerin geltend, dass ihr vierzehnjähriger Sohn für die Dauer der Rehabilitationsmaßnahme nicht allein bleiben könne, weshalb sie deren ambulante Durchführung anregte (s. Anwaltsschreiben vom 27.12.2021). Dem entsprach die Beklagte mit Bescheid vom 11.01.2022 und bewilligte eine ganztägig ambulante Rehabilitation. In der Folge wurde erneut über die Notwendigkeit der Mitnahme einer Begleitperson gestritten (s. Schreiben der Klägerin vom 11.04.2022sowie Schreiben der Beklagten vom 22.04.2022). Letztlich scheiterte die Durchführung der ambulanten Rehabilitationsmaßnahme daran, dass die Rehabilitationsklinik die Klägerin nach dem Aufnahmegespräch am 18.07.2022 für nicht rehabilitationsfähig erachtete. Das zeitliche Leistungsvermögen der Klägerin auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt wurde auf unter drei Stunden täglich eingeschätzt (s. Reha-Entlassungsbericht vom 01.09.2022).

Die Beklagte holte daraufhin eine sozialmedizinische Stellungnahme bei dem L1 ein. Dieser kritisierte, dass der Rehabilitationsklinik trotz seiner ausdrücklichen Empfehlung keines der Vorgutachten übermittelt worden sei, sodass ihr die „Informationen über die nachgewiesene Aggravation bei dominierendem Berentungswunsch“ gefehlt hätten. Aus seiner Sicht ergäben sich keinerlei Hinweise für eine Änderung des Gesundheitszustandes der Klägerin sowie ihres zeitlichen Leistungsvermögens. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte die Gewährung von Rente wegen Erwerbsminderung mit Bescheid vom 09.09.2022 ab.

Dagegen erhob die Klägerin Widerspruch, zu dessen Begründung sie im Wesentlichen ausführte, sie sei weiterhin nicht arbeitsfähig. Erst kürzlich habe sie in einem Verhandlungstermin vor dem Amtsgericht B2 einen epileptischen Anfall erlitten. Hierzu könne die in dem Verfahren zuständige Richterin befragt werden.

Die Beklagte holte eine Stellungnahme des S2 ein. Dieser führte u.a. aus, dass bei der Klägerin an gesicherten Einschränkungen nur Grand mal- Anfälle dokumentiert worden seien, erstmals 1998, dann 2010 und 2017. Ob danach noch einmal ein Grand mal-Anfall aufgetreten sei, sei unklar. Eine leitliniengerechte Behandlung finde nicht statt. Möglicherweise bestünden - bei fraglicher Medikamenteneinnahme - weiterhin Absencen oder psychogene Anfälle, was die Klägerin auch im Rahmen der Begutachtung präsentiert habe, wobei ein bewusstseinsnahes Verhalten nicht gänzlich ausgeschlossen werden könne. Angesichts des in den vorliegenden Gutachten dokumentierten Verhaltens der Klägerin sei das Scheitern der Rehabilitationsmaßnahme vorhersehbar gewesen. Zielführend sei vielmehr eine „saubere“ diagnostische Abklärung in einer auf Epilepsie spezialisierten Klinik. Zu einem solchen Aufenthalt sei es aber mangels Interesse der Klägerin, ihres Lebensgefährten, dessen Verhalten massiv kontraproduktiv sei, sowie ihres allein fachfremd behandelnden B1 bisher nicht gekommen. Alle eingeholten Gutachten seien im Ergebnis von einem zumindest sechsstündigen Leistungsvermögen der Klägerin ausgegangen. Mit Widerspruchsbescheid vom 07.02.2023 wies die Beklagte den Widerspruch der Klägerin zurück.

Hiergegen hat die Klägerin am 16.02.2023 Klage beim SG erhoben (S 2 R 396/23).
Zur Begründung hat sie ihr bisheriges Vorbringen wiederholt und vertieft.

Das SG hat zunächst die von der Klägerin benannten Ärzte schriftlich als sachverständige Zeugen angehört. Die H1 hat mitgeteilt, dass ihr die Klägerin nicht bekannt sei. Der B1 hat in seiner Auskunft vom 17.07.2023 angegeben, dass für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit die Epilepsie maßgeblich sei. Angesichts des bisherigen Verlaufs der epileptischen Erkrankung bestünde in fast allen Lebensbereichen (mit Ausnahme stationärer Krankenhausaufenthalte oder dergleichen) die Notwendigkeit einer Begleitung der Klägerin durch einen Dritten. Eine Einschränkung der Gehfähigkeit liege nicht vor. Wegen der unvermittelt auftretenden Anfälle sei die Klägerin nicht in der Lage, öffentliche Verkehrsmittel allein zu nutzen. Auf Nachfrage des SG hat B1 einen Auszug aus der elektronischen Patientenakte beginnend ab Januar 2016 vorgelegt. Zudem ist von der Krankenkasse der Klägerin auf Anforderung des SG eine Leistungsauskunft über die ihr seit Januar 2016 zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung verordneten Medikamente vorgelegt worden.

Das SG hat von Amts wegen bei dem S3 das Sachverständigengutachten vom 23.11.2023 eingeholt. Dieser hat mitgeteilt, dass ihm die Klägerin bei der Bestimmung der Umfangmaße der Arme das Maßband aus der Hand geschlagen und die Untersuchung (nach ca. 65 Minuten am 23.11.2023) abgebrochen habe. Eine vollständige neurologische Befunderhebung sowie eine elektrophysiologische und testpsychologische Diagnostik (einschließlich Beschwerdevalidierung) habe daher nicht durchgeführt werden können. Bei der körperlichen Untersuchung hätten sich zahlreiche Auffälligkeiten ergeben, die für eine willentliche Symptomverdeutlichung sprächen. Das Vorliegen einer Epilepsie sei nicht sicher nachgewiesen. Der Nachweis einzelner epilepsietypischer Potenziale sei hierfür ohnehin nicht hinreichend. Eine ausreichende Anfallsbeschreibung liege nicht vor. Zur Klärung des Sachverhaltes sei bereits mehrmals vorgeschlagen worden, dass sich die Klägerin in einer spezialisierten Einrichtung mit Video-EEG-Dokumentation untersuchen lasse, was jedoch nicht geschehen sei. Nach wissenschaftlichen Untersuchungen seien auch Rettungskräfte nur in etwa einem Drittel der Fälle in der Lage, epileptische Ereignisse korrekt zu klassifizieren, insbesondere würden psychogen hervorgerufene Anfälle mit zerebral-organischen Anfällen verwechselt. Typische Laborveränderungen, wie sie nach generalisierten Anfällen regelmäßig aufträten, seien bei der Klägerin nicht dokumentiert. Der anekdotischen Mitteilung, dass Anfälle aufgetreten seien, sei daher nur geringe Bedeutung beizumessen. Gesundheitsstörungen auf neurologischem oder psychiatrischem Fachgebiet, die zu einer Minderung des Leistungsvermögens führten, lägen bei der Klägerin nicht vor.
Sie könne mindestens sechs Stunden täglich (ohne schwere körperliche Arbeiten, Zwangshaltungen und Kontakt zu den im internistischen Untersuchungsbefund genannten allergischen Substanzen) arbeiten. Die Wegefähigkeit sei unbeeinträchtigt. Die Einschätzung im Reha-Entlassungsbericht vom 01.09.2022 sei nicht überzeugend. Die dort genannten Diagnosen seien nicht befundgestützt, die Beschwerdeangaben der Klägerin nicht validiert.

Gegen das Gutachten des S3 hat die Klägerin im Wesentlichen eingewandt, dass seine Ausführungen, ein Anfallsleiden sei nicht festgestellt worden, nicht überzeugten. Der Bevollmächtigte der Klägerin habe in seinem Büro mehrmals einen entsprechenden Anfall bei der Klägerin beobachten können.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 22.01.2024 abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rente wegen Erwerbsminderung, da sie in der Lage sei, mindestens sechs Stunden arbeitstäglich auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt tätig zu sein. Bei der Klägerin würden als Gesundheitsstörungen ein Anfallsleiden, eine Depression und ein Asthma erwähnt. Ein Asthma bronchiale habe von P1 in seinem internistisch-pulmologischen Gutachten, welches im Wege des Urkundsbeweises verwertbar sei, allerdings nicht bestätigt werden können. Selbst wenn dies anders wäre, ergäbe sich hieraus keine zeitliche Leistungseinschränkung, nachdem die Lungenfunktion bei der Begutachtung unbeeinträchtigt gewesen sei. Auch nach Einschätzung von B1 stehe das von ihm angenommene Asthma bronchiale für die Beurteilung der beruflichen Leistungsfähigkeit nicht im Vordergrund.

Bei der Klägerin liege auch kein Anfallsleiden, eine Erkrankung aus dem depressiven Formenkreis oder eine andere seelische Störung vor. Dies hat das SG auf das Gutachten des S3 und die Gutachten von E1 vom 16.09.2015, von S1 vom 12.07.2016 und von D1 vom 19.12.2019 - alle im Wege des Urkundenbeweises verwertet - gestützt. Aus den Schilderungen in diesen Gutachten ergäben sich in der Summe derart erhebliche Inkonsistenzen, dass vorliegend von einer Simulation durch die Klägerin ausgegangen werden müsse. Eine solche werde sowohl von E1 als auch von S1 benannt. Gegenüber D1 sei die Klägerin nur unter demonstrierten erheblichen Schwierigkeiten in der Lage gewesen, zwei und zwei zu addieren. Ein ihm gegenüber präsentierter Anfall sei vom Lebensgefährten mittels Diazepam und Asthma-Spray versorgt worden. Im EEG seien hingegen keine epilepsietypischen Potenziale festgestellt worden. Gegenüber P1 habe die Klägerin abermals einen Anfall demonstriert, woraufhin der bei der Begutachtung erneut anwesende Lebensgefährte ohne Rücksprache mit dem Gutachter Diazepam und gegen den ausdrücklichen ärztlich-gutachterlichen Rat zusätzlich zu Salbuhexal noch Viane verabreicht habe. Die während des Anfalls vom Gutachter transkutan gemessene Sauerstoffsättigung habe keinen Abfall der Sättigung unter 97 % ergeben.
Nach der Expertise von S3 sei die Anfallsbeschreibung der Klägerin unplausibel und mit keinem bekannten Anfallstyp vereinbar. Bei der Untersuchung durch S3 habe die Klägerin ein eingeschränktes Bewegungsmaß der oberen Extremitäten präsentiert, welches mit der Fähigkeit, den Pullover problemlos über den Kopf auszuziehen, nicht vereinbar sei. Das Einnehmen der Hocke sei als nicht durchführbar angegeben worden, obwohl die Klägerin aus sitzender Position heraus problemlos aufstehen konnte und somit ohne Weiteres zumindest teilweise die Hocke hätte einnehmen können müssen. Die bei der Motorikprüfung erzielten Kraftwerte beim Faustschluss seien nicht plausibel, weil der erreichte Kraftgrad der Hände nur mit einer höhergradigen Lähmung des Nervus ulnaris zu erklären sei, die vom Gutachter jedoch ausgeschlossen worden sei. Auch ansonsten habe die Kraftentfaltung bei der Prüfung gegen Widerstand abrupt nachgelassen, was nach den Ausführungen von S3 als sog. „Taschenmesserphänomen“ ein klassisches Zeichen der Beschwerdeverdeutlichung darstelle. Die Klägerin habe bei der Begutachtung zeitweilig auch einen grobschlägigen, von Frequenz und Amplitude wechselnden Tremor gezeigt, der jedoch bei Ablenkung sofort aufgehört habe, was mit Blick auf die sonstigen Inkonsistenzen mit einer Simulation der Symptome gut vereinbar sei. Die Leistungsbeurteilung der Rehabilitationsklinik im Bericht vom 01.09.2022 sei von S3 überzeugend als nicht schlüssig erachtet worden, da eine nachvollziehbare Befunderhebung einschließlich ausreichender Validierung bei anzunehmender Simulation in der Vergangenheit und Gegenwart nicht erfolgt sei. Gleiches gelte für sämtliche Einschätzungen der behandelnden Ärzte und Einrichtungen. Für eine Simulation spreche auch, dass die Klägerin die zur Klärung des Sachverhaltes bereits mehrmals vorgeschlagene und zur Objektivierung allein geeignete Durchführung eines Video-EEG in einer geeigneten Einrichtung nicht durchgeführt habe. Eine wirklich unter Anfällen leidende Person wäre gerade bei der angegebenen Häufigkeit der Anfälle zweifelsfrei dazu bereit gewesen, eine nicht invasive weitere Abklärung zu verfolgen. Ausreichend objektivierte Umstände, die auf eine sozialmedizinisch relevante Einschränkung der Wegefähigkeit hindeuteten, seien nicht ersichtlich.

Gegen den - ihrem Prozessbevollmächtigten am 22.01.2024 zugestellten - Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 06.02.2022 beim SG Berufung eingelegt. Zur Begründung hat sie sich auf ihr erstinstanzliches Vorbringen bezogen. Zum Beweis ihres Anfallsleidens hat sie ihren Prozessbevollmächtigten sowie eine namentlich näher bezeichnete Richterin am Amtsgericht B2 als Zeugin benannt. Das SG habe sich lediglich auf das Gutachten des S3 gestützt, ohne Angaben der behandelnden Ärzte oder auch der Rehabilitationsklinik zu berücksichtigen. Außerdem seien vom SG ihre Schwerbehinderung sowie die Angewiesenheit auf eine Begleitperson übergangen worden. Nach Auffassung des Jobcenters sei die Klägerin nicht arbeitsfähig; außerdem sei sie auch nicht vermittelbar. Es werde angeregt, hierzu eine entsprechende Auskunft beim Jobcenter einzuholen.



Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Karlsruhe vom 22.01.2024 sowie den Bescheid der Beklagten vom 09.09.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2023 aufzuheben und die Beklagte zu verurteilen, ihr Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Mit Beschluss vom 19.07.2024 hat der Senat den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Berufungsverfahren unter Beiordnung ihres Rechtsanwalts wegen fehlender hinreichender Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung abgelehnt.


Zur weiteren Darstellung des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Prozessakten erster und zweiter Instanz, die Gerichtsakten S 6 R 3917/15, S 6 R 724/19 und L 7 R 2442/20 sowie die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 des Sozialgerichtsgesetzes (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig, jedoch unbegründet.


Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 09.09.2022 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2023, mit dem die Beklagte den sinngemäß im Erörterungstermin am 17.06.2021 neuerlich gestellten Antrag auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung abgelehnt hat.

Das SG hat die dagegen gerichtete Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid vom 09.09.2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 07.02.2023 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten. Denn sie ist im Sinne der maßgeblichen gesetzlichen Regelungen (§ 43 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 1 Satz 2 des Sechsten Buches Sozialgesetzbuch - SGB VI -) weder voll noch teilweise erwerbsgemindert, weswegen ihr eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nicht zusteht.

Das SG hat in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zutreffend die rechtlichen Grundlagen für eine Rente wegen voller bzw. teilweiser Erwerbsminderung nach § 43 SGB VI dargelegt und ebenso zutreffend, ausführlich und überzeugend auf der Grundlage des Sachverständigengutachtens des S3 und der (urkundsbeweislich verwertbaren) Gutachten der E1, S1, D1 und P1 ausgeführt, dass die Klägerin die Voraussetzungen für eine solche Rente nicht erfüllt, weil sie zumindest leichte Tätigkeiten des allgemeinen Arbeitsmarkts unter Beachtung der vom Sachverständigen aufgeführten qualitativen Einschränkungen noch sechs Stunden und mehr täglich ausüben kann, sodass keine Erwerbsminderung vorliegt (§ 43 Abs. 3 SGB VI). Zu Recht hat es auch - wiederum auf der Grundlage der genannten Gutachten - dargelegt, dass und warum aus der abweichenden Leistungseinschätzung im ärztlichen Reha-Entlassungsbericht vom 01.09.2022 sowie des behandelnden B1 nichts Abweichendes folgt. Der Senat sieht deshalb gemäß § 153 Abs. 2 SGG insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung aus den oben zusammengefassten Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Das Berufungsvorbringen der Klägerin rechtfertigt keine andere Beurteilung. Soweit sie rügt, dass das SG nur das zuletzt eingeholte Gutachten des S3 berücksichtigt habe, trifft dies angesichts der umfangreichen Ausführungen des SG auch zum Ergebnis der früheren Begutachtungen schon nicht zu. Allein die
eigenen Erfahrungen des Bevollmächtigten mit der Klägerin und insoweit miterlebte Anfälle können zu keiner anderen Beurteilung führen. Das SG hat insoweit zutreffend und gestützt durch die Ausführungen des Sachverständigen darauf hingewiesen, dass es medizinischen Laien unmöglich ist, einen epileptischen Anfall von einem psychogenen Anfall oder einem nur vorgetäuschten Anfall zu unterscheiden. Erst recht gilt das bei den hier und bereits im vorangegangen Rechtsstreit hinreichend ärztlich beschriebenen Simulationstendenzen. Der Senat sieht sich daher auch nicht zu weiteren Ermittlungen von Amts wegen durch Vernehmung des Prozessbevollmächtigten der Klägerin sowie der namentlich benannten Richterin am Amtsgericht B2 als Zeugen gedrängt. Ergänzend merkt der Senat an, dass Angaben medizinischer Laien zu wahrgenommenen Einschränkungen ohnehin nicht geeignet sind, eine rentenrelevante Minderung des beruflichen Leistungsvermögens nachzuweisen. Die Frage der beruflichen Leistungsfähigkeit ist vielmehr zuvörderst gutachtlich zu klären (Senatsbeschluss vom 21.11.2016, L 10 R 940/15, juris Rn. 47 sowie Senatsurteil vom 19.10.2023, L 10 R 501/23, n.v.). Durch das erstinstanzlich eingeholte Gutachten konnte (erneut) eine Epilepsie gerade nicht bestätigt werden.

Der Senat hat sich auch nicht - wie von der Klägerin angeregt - gehalten gesehen, zur Frage der „Arbeitsfähigkeit“ der Klägerin eine Auskunft beim Jobcenter einzuholen, weil der (krankenversicherungsrechtliche) Begriff der Arbeitsunfähigkeit schon nicht mit dem der Erwerbsminderung gleichzusetzen ist. Denn für den erhobenen Anspruch auf Gewährung einer Rente wegen Erwerbsminderung ist unerheblich, ob die Klägerin wegen Krankheit oder Behinderung behandlungsbedürftig oder arbeitsunfähig ist (vgl. nur BSG 31.10.2012, B 13 R 107/12 B, juris). Abgesehen davon bindet nach § 44a Abs. 1 Satz 6 und Abs. 2 SGB II die gutachterliche Stellungnahme des Rentenversicherungsträgers gerade das Jobcenter, sodass ein Streit über die Erwerbsfähigkeit danach im Ergebnis im rentenrechtlichen Verfahren zu entscheiden, die Einschätzung des Jobcenters daher gerade nicht maßgeblich ist.


Soweit die Klägerseite ferner gemeint hat, die Klägerin sei nicht vermittelbar, ist auch dies unmaßgeblich für den erhobenen Anspruch, weil die „jeweilige Arbeitsmarktlage nicht zu berücksichtigen“ ist (s. erneut § 43 Abs. 3 Halbsatz 2 SGB VI) und die Vermittelbarkeit auf einen entsprechenden freien Arbeitsplatz der Arbeitsverwaltung obliegt, nicht jedoch der gesetzlichen Rentenversicherung, die ihre Versicherten allein vor den Nachteilen einer durch Krankheit oder Behinderung geminderten Leistungsfähigkeit zu schützen hat (vgl. nur BSG 14.05.1996, 4 RA 60/94, juris Rn. 30, 80; Senatsurteil vom 24.10.2024, L 10 R 717/24, juris Rn. 39).

Soweit die Klägerin geltend macht, das SG habe ihre Schwerbehinderteneigenschaft einschließlich der festgestellten Merkzeichen nicht hinreichend gewürdigt, merkt der Senat ergänzend an, dass die Feststellung eines GdB bzw. eines Pflegegrades für sich gesehen nichts über die berufliche Einsetzbarkeit eines Versicherten aussagt. Gleiches gilt für zuerkannte Merkzeichen (s. dazu nur BSG 19.09.2015, B 13 R 290/15 B, juris Rn. 5; Senatsurteile vom 18.04.2024, L 10 R 1319/23, juris Rn. 55 und 14.12.2023, L 10 R 2331/23, juris Rn. 44, 61; Senatsbeschluss vom 21.12.2021, L 10 R 3259/20, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Angesichts der nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen von S3 in seinem Gutachten, wonach eine Epilepsie respektive ein sonstiges krankhaftes Anfallsleiden nicht bestätigt werden kann, ist - wovon das SG in seiner Entscheidung zutreffend ausgegangen ist - auch keine Einschränkung der Wegefähigkeit nachgewiesen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.


 

Rechtskraft
Aus
Saved