1. Ein ohne Anwendung von Gewalt herbeigeführter sexueller Missbrauch erfüllt grundsätzlich nur bei Kindern den Tatbestand des § 1 OEG (vgl. bereits Urteil v. 10.08.2021 - L 15 VG 31/20).
2. Zu Fallgestaltungen, in denen die Einholung eines aussagepsychologischen Gutachtens ausscheiden muss.
3. Einschätzungen behandelnder Ärzte und Therapeuten sind regelmäßig nicht geeignet, den Beweis oder die gute Möglichkeit für einen Angriff i.S.v. § 1 OEG zu erbringen, u.a. weil Basis hier oftmals die nicht in Frage gestellte Behauptung der Patientin oder des Patienten ist, sie oder er habe das fragliche Erlebnis tatsächlich erlitten.
I. Die Berufung gegen das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 2. Dezember 2020 wird zurückgewiesen.
II. Außergerichtliche Kosten sind nicht zu erstatten.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
T a t b e s t a n d :
Zwischen den Beteiligten ist die Gewährung einer Versorgungsrente nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG) i.V.m. dem Bundesversorgungsgesetz (BVG) streitig.
Die 1962 geborene Klägerin macht einen sexuellen Missbrauch in den Jahren 1974 bis 1980 durch ihren Schwager, D (geb. 1951), geltend. Dieser ist 2016 verstorben. Der Genannte ist wegen sexuellen Missbrauchs zu Lasten seiner eigenen, 1973 geborenen Tochter S (geborene D), der Nichte der Klägerin, vom Amtsgericht Eggenfelden mit Urteil vom 06.11.2000 (Az. 21 Js 908/00) zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden (Ausgangspunkt war die Anzeige der Geschädigten S am 26.10.1999).
Mit am 21.09.2018 beim Beklagten eingegangenem Formularantrag stellte die Klägerin einen Antrag auf Leistungen für Gewaltopfer nach dem OEG. Ihr Schwager habe sie von 1974 bis 1980 mehrmals sexuell missbraucht, sie schätze mindestens 100mal. Er habe nie verhütet. Bei einer Schwangerschaft hätte sie sich das Leben nehmen müssen. Die Einzige, mit der sie das Thema je besprochen habe, sei die Psychologin F.
Im Einzelnen machte die Klägerin geltend, dass ihre Schwester D1 und der beschuldigte Täter, deren Ehemann, damals in F bei T gewohnt habe. Wegen eines Unfalls (Pferdetritt im Alter von zweieinhalb Jahren) habe die Klägerin unter einer Verengung des Tränenkanals und daher unter einer ständigen Bindehautentzündung gelitten. Bei akuten Entzündungen habe sie zweimal täglich zur Augenärztin nach P gehen müssen. Da ihre Schwester und ihr Schwager nur 2 km von der Ärztin entfernt gewohnt hätten, habe sie damals häufiger bei den beiden übernachtet. Anfangs sei sie mit im Ehebett gelegen und zwar neben dem Schwager, welcher sich in der Mitte befunden habe. Bei diesen Gelegenheiten habe der Schwager ihr in die Unterhose gefasst und sie habe sich dabei ganz still verhalten, damit ihre Schwester nichts bemerken würde. Im weiteren Verlauf sei der Schwager bei weiteren Übergriffen auch in sie eingedrungen, was ein fürchterlicher Schmerz gewesen sei, den sie nie vergessen werde. Der sexuelle Missbrauch habe sich über sechs Jahre hingezogen. Ihr Schwager habe jede Gelegenheit dazu genutzt.
Im Antrag beim Beklagten gab sie an, keine Strafanzeige gegen den Täter erstattet zu haben. Sie sei damals noch minderjährig gewesen und habe nicht den Mut zu einer Anzeige gehabt. Sie habe auch nie mit jemandem aus ihrer Familie darüber gesprochen. Die Klägerin bat den Beklagten um "absolutes Schweigen"; insbesondere seien keine Informationen bei Verwandten einzuholen. Brauchbare Informationen könnten so ohnehin nicht erhalten werden.
Seit den Vorfällen des Missbrauchs sei sie ein psychisches Wrack. Sie sei viermal in einer psychosomatischen Klinik und sehr viele Jahre bei Frau F in Behandlung gewesen. Die Klägerin hat in ihrem Antrag als Schädigungsfolgen Depressionen, Borderlinestörung und psychische Störung angegeben.
Aus den dem Senat vorliegenden Unterlagen ergeben sich weitere belastende Ereignisse bzw. Lebensverhältnisse bezüglich der Klägerin:
- So ist im Bericht des Kreiskrankenhauses S vom 25.08.2003 die Rede davon, dass bei der Klägerin nach eigenen Angaben eine konfliktreiche Beziehung zu ihren Geschwistern bestehe.
- In mehreren Unterlagen wird von einer belastenden Kindheit der Klägerin gesprochen; es habe eine "gravierende Entwertung" durch Eltern und Geschwister bestanden. Die Klägerin sei auf einem Bauernhof als jüngste von fünf Geschwistern aufgewachsen. Erinnerungen an die Großeltern seien nicht vorhanden, so der ärztliche Entlassungsbericht der Kreisklinik S vom 01.08.1995. Ihr Vater, von Beruf Landwirt, werde als liebevoll und als Zentrum der Familie charakterisiert, die Mutter als ständig schimpfend, dumm, den Vater verachtend, schlampig und hasserfüllt. In einem ärztlichen Bericht vom 23.03.1997 wird berichtet, dass die Klägerin eine extrem traumatisierende Kindheit und Jugend gehabt habe, "in der die Mutter tatenlos den sadistischen Angriffen der zum Teil kriminellen älteren Geschwistern zusah". Die sehr schwierigen Wohnumfeldverhältnisse und sonstigen familiären Verhältnisse hat auch die Zeugin D1 gegenüber dem Beklagten am 26.10.2023 geschildert.
- Neben der Gewalt durch den älteren Bruder sei es, so die Klägerin in ihren Angaben gegenüber dem Beklagten, zu einem sexuellen Missbrauch ihrer älteren Schwester durch den Bruder gekommen. Der Bruder sei ins Gefängnis gekommen und die Schwester in ein Erziehungsheim. Damit sei der Hoferbe eingesperrt worden und der andere Bruder zum Hoferben bestimmt worden, der jedoch Analphabet gewesen sei und sich zum "aggressiven Alkoholiker" entwickelt habe.
- Aufgrund des Unfalls mit dem Pferd erlitt die Klägerin nach Angaben u.a. des Psychiaters und Facharztes für Psychotherapie H im ärztlichen Attest vom 18.04.2016 ein Tiertrauma.
- Weiter finden sich in den Unterlagen auch Belege über berufliche Belastungen der Klägerin, wie z.B. aufgrund ihrer Angaben beim Gutachter B (13.04.2015) und im ärztlichen Bericht des Facharztes H vom 24.07.2014. Es habe keinen Diskussionsspielraum mit den Vorgesetzten gegeben, so die Klägerin beim Facharzt H, und sie überlege, mit dem Gleichstellungsbeauftragten zu sprechen; u.a. ist von einer neuen Arbeitszeitverteilung die Rede, die extrem anstrengend sei und überhaupt nicht in dem Sinne sei, wie sich die Klägerin die Tätigkeit nach der Kinderpause vorgestellt habe.
- Zudem sind auch die körperlichen Folgen eines Unfalls 2014 (Sprunggelenkbruch) zu berücksichtigen, die Klägerin ist nach eigenen Angaben viermal stationär behandelt worden. Ferner war die Klägerin wegen des Verdachts auf Schlaganfall belastet.
- Als Auslöser der 2020 aktuellen Symptomatik habe die Klägerin, so der Entlassungsbericht der Psychosomatischen Klinik S vom 13.03.2020, den Tod einer guten Freundin im Jahr 2017 angegeben.
Der Beklagte wertete im Verfahren zahlreiche medizinische Unterlagen aus. Im Befundbericht vom 12.10.2018 gab die Psychotherapeutin F an, dass sich die Klägerin seit August 1995 bei ihr in psychotherapeutischer Behandlung befunden habe. Am Anfang der Behandlung sei die Klägerin nicht in der Lage gewesen, sich im Hinblick auf den Missbrauch zu öffnen. In einer Therapiestunde habe sie ihr dann aber einen Zettel gegeben, auf dem sie den Missbrauch geschildert habe. Es habe lange gedauert, bis die Klägerin offen hierüber sprechen habe können. F legte auch einen Befund vom 07.02.1997 vor, in dem sie damals die Diagnosen aufgelistet hatte: Schwere Angstneurose bei depressiv-hysterischer Persönlichkeitsstruktur, schizoide Abwehr, Borderlinezüge, temporäre psychotische Zustände. Weiter hatte F in dem genannten Befundbericht ausgeführt, dass bisher in rund 60 Psychotherapiestunden eine gute Aufarbeitung der äußerst belastenden Kindheit der Klägerin möglich gewesen sei.
Der Allgemeinarzt S1 befürwortete im Attest vom 23.03.1997 eine Fortführung der Psychotherapie. Die Therapie bei Frau F habe bereits deutliche Erfolge gebracht.
Im ärztlichen Attest vom 18.04.2016 gab der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie H an, dass bei der Klägerin eine chronifizierte Symptomatik einer schweren depressiven Störung vor dem Hintergrund einer PTBS (nach Tiertrauma im Alter von zwei Jahren) vorliege, ebenso eine ängstlich vermeidende Persönlichkeit und eine Low-Dose- Hypnoticaabhängigkeit. Auch mehrfache stationäre psychosomatische Klinikbehandlungen hätten, so der Facharzt, keine nachhaltigen therapeutischen Erfolge bewirken können. In einem ärztlichen Bericht vom 24.07.2014 standen die Belastungen am Arbeitsplatz der Klägerin durch die neue Arbeitszeitverteilung im Mittelpunkt.
Am 13.04.2015 erstellte der Neurologe und Psychiater B für die Deutsche Rentenversicherung ein Sachverständigengutachten, in dem erstmals der von der Klägerin angegebene sexuelle Missbrauch aktenkundig geworden ist. Im Rahmen der ambulanten Untersuchung habe die Klägerin, so das Gutachten, zwei DIN-A4-Seiten mitgebracht, auf denen sie von dem sexuellen Missbrauch berichtet habe. B hat eine depressive Entwicklung, Angststörung, PTBS und Persönlichkeitsstörung mit asthenischen und ängstlich vermeidenden Zügen diagnostiziert; posttraumatische Schmerzen rechtes Sprunggelenk mit Ausstrahlung in Vorfuß und distalen Unterschenkel seien vordiagnostiziert, so der Gutachter. Er habe eine durch sexuellen Missbrauch in der frühen Jugend traumatisierte Klägerin mit komplexen Konflikten in der Herkunftsfamilie, nicht verarbeiteter Wut und Trauer sowie Suche nach Anerkennung und Geborgenheit gesehen.
Mit Bescheid vom 31.01.2019 lehnte der Beklagte den Antrag auf Beschädigtenversorgung ab, da ein Vollbeweis der behaupteten Gewalttaten nicht gegeben sei. Zu dem Tathergang gebe es lediglich die Aussage der Klägerin, Zeugen seien nicht vorhanden und auch keine anderen objektiven Beweismittel. § 15 des Gesetzes über das Verwaltungsverfahren der Kriegsopferversorgung (KOV-VfG) helfe vorliegend nicht weiter, weil dieses nur greife, wenn ein unverschuldeter Beweisnotstand in all den Jahren seit der Tatbegehung vorgelegen habe. Dafür seien aber keine ausreichenden Gründe ersichtlich, vielmehr hätte die Klägerin schon viel früher Strafanzeige gegen den Täter oder einen Antrag nach dem OEG stellen können.
Hiergegen erhob die Klägerin am 07.02.2019 Widerspruch unter Verweis auf die Therapeutin F, die von dem Missbrauch gewusst habe. Für die Tat habe es keine Zeugen gegeben, die den Missbrauch selbst gesehen hätten.
Mit Widerspruchsbescheid vom 05.03.2019 wies der Beklagte den Widerspruch zurück. Ein Nachweis der Gewalttat sei nicht gegeben, sondern es lägen nur äußerst rudimentäre und sehr allgemein gehaltene Sachverhaltsschilderungen vor. Zum anderen fehle es an jeglichem objektiven Beweismittel. Zeugen seien nicht vorhanden bzw. hätten nicht befragt werden dürfen. Ein Nachweis sei auch nicht dadurch möglich, dass psychische Störungen vorliegen würden, die rein theoretisch auch durch den sexuellen Missbrauch in der Kindheit verursacht hätten sein können; der Beklagte hat hier auf die ständige Rechtsprechung des erkennenden Senats verwiesen, nach der nicht allein aus einer Diagnose auf ein bestimmtes Geschehen geschlossen werden könne. § 15 KOV-VfG helfe mangels unverschuldeter Beweisnot nicht weiter. Die Klägerin habe erst fast 40 Jahre nach dem Ende des behaupteten Missbrauchs einen Antrag auf Leistungen nach dem OEG gestellt; bei einer früheren Antragstellung bzw. Erstattung einer Anzeige gegen den Täter wären noch Beweismittel (d.h. Zeugen) vorhanden gewesen; so hätte z.B. der beschuldigte Täter vernommen werden können. Auch käme grundsätzlich eine Befragung der Geschwister zumindest als Umfeldzeugen in Betracht. Der Beklagte respektiere den Wunsch der Klägerin, von einer solchen Befragung Abstand zu nehmen, allerdings müsse die Klägerin dann auch die sich hieraus ergebenden Konsequenzen tragen. Dies alles bedeute keinesfalls, dass der Beklagte der Klägerin eine Lüge unterstelle. Es gebe im Recht der Sozialen Entschädigung jedoch keinen Grundsatz "im Zweifel für die Antragstellerin". Die bloße Möglichkeit reiche für eine Anerkennung nicht aus.
Hiergegen hat die Klägerin am 25.03.2019 Klage zum Sozialgericht (SG) Landshut erhoben. In der Klagebegründung hat die Klägerin angegeben, dass sie jahrelang über den vorgefallenen Missbrauch nicht habe sprechen können. Sie habe sich bisher nur ihrer Therapeutin anvertraut. Es sei ein langer Gedankenprozess gewesen, überhaupt einen Antrag auf Leistungen nach dem OEG zu stellen. Die Tatsache, jahrelang geschwiegen und den Täter nicht zur Rechenschaft gezogen zu haben, habe ihre berechtigten Gründe. Ihre Schwester, die ehemalige Ehefrau des beschuldigten Täters D könne jedoch vom Gericht befragt werden könne. Zudem ist beantragt worden, nach § 106 SGG einen gerichtlichen Sachverständigen zu beauftragen und die Klägerin begutachten zu lassen.
Im Beweisaufnahmetermin der erkennenden Kammer der SG am 27.01.2020 hat das SG die Zeugin D1 (uneidlich) einvernommen. Die Zeugin hat Folgendes erklärt:
"Ich bin 9 Jahre älter als A. Mit 19 habe ich geheiratet (am 24.06.1972). Am 15.03.2001 erfolgte die Scheidung. Mit 20 Jahren habe ich meine Tochter M bekommen. Die ersten Jahre meiner Ehe haben wir in F in einer kleinen Zweizimmerwohnung gewohnt. Meine kleine Tochter habe ich regelmäßig zu dem elterlichen Hof in U, Landkreis W, gebracht. Dort haben meine Mutter und meine Schwester auf meine Tochter aufgepasst. Ab 1974 hatten wir dann eine etwas größere Wohnung. Ich weiß es nicht mehr, ob meine Schwester A auch bei uns in F auf M aufgepasst hat. Ich weiß auch nicht mehr, ob sie bei uns war wegen Augenarztterminen in P. Was ich aber weiß, dass A, als sie 16 Jahre alt war und in W zur Schule ging, des Öfteren an den Wochenenden bei uns über Nacht war. Ich halte es für möglich, dass mein Ex-Ehemann, der ein schlechter Mensch war, sexuell gegenüber meiner Schwester übergriffig wurde. Ich habe das aber selbst nicht gesehen. Mein Ex-Ehemann hieß D, geb. 1951, zuletzt wohnhaft in S, verstorben 2016. Er wurde im Jahr 2000 wegen Missbrauchs an seiner leiblichen Tochter M S vom Amtsgericht Eggenfelden zu 42 Monaten Haft verurteilt. Mein Ex-Mann war herrisch und cholerisch. Auch war sein sexueller Trieb sehr ausgeprägt, wenn er auch mir selbst gegenüber keine sexuelle Gewalt ausgeübt hatte. Mein Ex-Ehemann hatte einem Kollegen Nacktfotos von A gezeigt, was mir A gesagt hat, sein Name ist H1, wohnhaft: erst P1, dann P2, dann S1. Meiner Tochter M gegenüber wurde mein Ex-Mann jedenfalls übergriffig. Ihre Adresse ist: ..."
Auf Nachfrage hat die Zeugin erklärt, dass H1 und ihr Ex-Ehemann zusammen Kollegen bei einem Busunternehmen gewesen seien.
Das SG hat im Folgenden die Akten der Staatsanwaltschaft Landshut bezüglich des Verfahrens gegen D wegen sexuellen Missbrauchs zu Lasten seiner Tochter (Az.: 21 Js 908/00) beigezogen. Daraus ergibt sich, dass die Klägerin über ihren Ehemann (V) bereits im Jahr 1994 von dem Missbrauch ihrer Nichte erfahren haben dürfte. Zudem findet sich dort die Aussage des beschuldigten Täters gegenüber dem Gutachter Landgerichtsarzt N bezüglich sexueller Handlungen mit der "Schwester seiner Frau": Im Gutachten vom 25.09.2000 ist angegeben, dass der Beschuldigte gesagt habe, Mitte der 80er Jahre mit verschiedenen Frauen kurze außereheliche sexuelle Beziehungen gehabt zu haben, u.a. mit einer Schwester seiner Frau. Den sexuellen Missbrauch an seiner Tochter (M) hatte D eingeräumt.
Im Nachgang zum Erörterungstermin hat die Klägerin hervorgehoben, es wäre ihr lieber, wenn sich die Zeugeneinvernahme von S als verzichtbar herausstellen würde. Vom Missbrauch der Klägerin habe ihre Nichte nichts mitbekommen.
Im vom SG eingeholten Befundbericht der Psychosomatischen Klinik S, Oberärztin M1 vom 04.05.2020 ist von einem Aufenthalt der Klägerin von Anfang Januar bis Anfang Februar 2020 und einer Besserung der depressiven Symptomatik gegen Ende des stationären Aufenthalts die Rede. Im Entlassungsbericht vom 13.03.2020 der genannten Klinik sind die Diagnosen schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, anhaltende somatoforme Schmerzstörung, andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung neben weiteren zahlreichen Diagnosen berichtet worden. Hinsichtlich des oben genannten Aufenthalts in der Fachklinik ist die Schilderung der Klägerin festgehalten, dass ihre depressive Symptomatik seit mehreren Jahren bestehe. Am schlimmsten sei sie etwa zwei Monate nach dem Unfall 2014 (Sprunggelenkbruch) geworden. Zudem wird in dem Bericht der Tod einer guten Freundin 2017, ferner Verdacht auf Schlaganfall 2018 genannt. Nach Etablierung einer guten und vertrauensvollen therapeutischen Beziehung habe die Klägerin von mehreren traumatischen Ereignissen aus der Kindheit berichtet, die in letzter Zeit "zunehmend hochkommen" würden. Auf Details ist in dem Entlassungsbericht ausdrücklich verzichtet worden.
Im Entlassungsbericht der Klinik vom 13.11.2020 bezüglich eines Aufenthalts vom 23.09. bis 28.10.2020 fehlt die Diagnose der schweren depressiven Episode. Der Aufenthalt sei im Rahmen einer Intervalltherapie zur Traumatherapie erfolgt. Seit dem letzten Aufenthalt sei die Symptomatik insgesamt unverändert gewesen. Schwierig gestalte sich, so die Schilderung in dem Bericht, die Beziehung zu den noch weiterhin lebenden Mitgliedern der Herkunftsfamilie. Ihre Ehe und die Beziehung zu den Kindern erlebe die Klägerin als stützend. Die Klägerin beziehe Erwerbsminderungsrente. Schwerpunkt der Therapie sei die Auseinandersetzung mit den traumatisierenden Beziehungserfahrungen in der Herkunftsfamilie und dem Abbau der damit verbundenen dysfunktionalen Bewältigungsmodi gewesen. Im weiteren Verlauf des Aufenthalts habe sich die Klägerin entschlossen, den bekannten Teil ihrer traumatisierenden Biographie, die sie bisher vor ihrer eigenen Familie verheimlicht hatte, gegenüber ihrem Ehemann offen zu legen. Der Ehemann habe gegenüber der Klägerin verständnisvoll reagiert.
Mit Urteil vom 02.12.2020 hat das SG die Klage abgewiesen. Der behauptete sexuelle Missbrauch sei nicht als vorsätzlicher rechtswidriger tätlicher Angriff im Sinne des OEG anzuerkennen und zu entschädigen. Es bestehe kein unverschuldeter Beweisnotstand, so dass die sogenannte Glaubhaftmachung nach Maßgabe von § 15 Satz 1 KOV-VfG ausscheide. Der Klägerin wäre es durchaus möglich und zumutbar gewesen, so das SG, spätestens dann, als ab 1999 das Strafverfahren wegen sexuellen Missbrauchs (bezüglich der leiblichen Tochter des Täters) gegen D gelaufen sei, selbst eine Anzeige zu erstatten und einen entsprechenden Opferentschädigungsantrag zu stellen. Laut der Akte der Staatsanwaltschaft habe die Klägerin seit mindestens 1994 davon gewusst, dass M S von ihrem leiblichen Vater missbraucht worden sei. Sie habe auch von dem Strafverfahren gewusst und auch von seiner Inhaftierung. Es sei nicht anzunehmen, dass vor diesem Hintergrund der Klägerin niemand geglaubt hätte. Weiter hat das SG darauf verwiesen, dass die Klägerin bereits Mitte der 90er Jahre ihrer Therapeutin F wohl im Wege eines Zettels von dem Missbrauch Kenntnis gegeben habe, so dass sie das zum Anlass hätte nehmen können, gegen den Täter eine Strafanzeige zu erstatten. Zum damaligen Zeitpunkt wäre der Vollbeweis des sexuellen Missbrauchs der Klägerin noch eher gelungen als heute, etwa durch entsprechende Befragung des damals noch lebenden Täters.
Im Übrigen hat das SG darauf hingewiesen, dass die Zeugin D1 selbst nichts vom sexuellen Missbrauch der Klägerin mitbekommen habe. Das SG hat betont, dass der Täter D gegenüber dem Gutachter N angegeben habe, sich auf kurze außereheliche Beziehungen mit anderen Frauen eingelassen zu haben, u.a. mit einer Schwester seiner Ehefrau. Falls es sich hier um die Klägerin handele und diese bei der "Affäre" mindestens 16 Jahre alt gewesen wäre, hätte kein sexueller Missbrauch von Kindern nach § 176 StGB vorgelegen. Es lasse sich also der Vollbeweis nicht sicher führen, dass die Klägerin bereits als Kind (also in einem Alter von unter 14 Jahren) vom beschuldigten Täter missbraucht worden sei. Dass dies heute - über vier Jahrzehnte nach den behaupteten Vorfällen - nicht mehr nachweisbar sei, sei u.a. darauf zurückzuführen, dass nicht Strafanzeige erstattet bzw. kein OEG-Antrag gestellt worden sei.
Gegen das Urteil hat die Klägerin am 29.01.2021 Berufung beim Bayerischen Landessozialgericht (BayLSG) eingelegt und zur Begründung zunächst darauf hingewiesen, es sei ihr nicht zuzumuten gewesen, den Missbrauch früher anzuzeigen, weil sie massive Angst vor dem Täter gehabt habe. Dieser sei wegen sexuellen Missbrauchs zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Vor allem seien es die in der Vergangenheit vorliegenden gravierenden psychischen Gesundheitsstörungen gewesen, die es der Klägerin unmöglich gemacht hätten, einen verurteilten Straftäter anzuzeigen. Der Klägerin könne jedenfalls kein Verschulden vorgehalten werden, den Missbrauch nicht schon eher angezeigt zu haben.
Zur Begründung der Berufung ist weiter darauf hingewiesen worden, dass es nicht richtig sei, es gebe gar keine Anhaltspunkte für die Glaubhaftigkeit des Vortrags der Klägerin. Entgegen der Darstellung in den Gründen des Urteils habe die Zeugin D1 es auch für möglich gehalten, dass ihr Ex-Mann gegenüber der Klägerin sexuell übergriffig geworden sei. Zudem ist von der Bevollmächtigten hervorgehoben worden, dass auch die Therapeutin F "mit ihrem Sachverstand der Klägerin geglaubt" habe, dass sie als Kind missbraucht worden sei. Die Klägerin habe angegeben, über den Missbrauch an ihr, als sie auch unter 14 Jahre alt gewesen sei, deswegen geschwiegen zu haben, weil sie einfach nicht reden habe können. Die Klägerin habe es in der Psychosomatischen Klinik mit Hilfe von Kunsttherapie und eines sehr erfahrenen Psychologen, nämlich E, geschafft, tiefer in die Thematik einzusteigen. Der Psychologe habe die Wahrheit der Schilderungen der Klägerin betreffend den sexuellen Missbrauch nicht angezweifelt. Weiter hat die Bevollmächtigte dargelegt, dass die konsequente Verdrängung eines sexuellen Missbrauchs von Kindern durch eine gesamte Lebenszeit es den traumatisierten Missbrauchsopfern ermögliche, erst eine annähernde Existenz in einem sozialen Lebensraum zu erhalten. Dabei sei zu beachten, dass die Klägerin von Anfang an Geborgenheit und soziale Zugehörigkeit in ihrer eigenen Elternfamilie auch aus anderen Gründen nicht erlebt habe.
Über den Beweisantrag gemäß § 106 SGG sei das SG hinweggegangen, ohne sich im Urteil damit auseinanderzusetzen. Die Bevollmächtigte erachte es als notwendig, ein aussagepsychologisches Gutachten zur Glaubhaftigkeit der Aussagen der Klägerin über den an ihr geschehenen sexuellen Missbrauch als Kind zu erholen; die Bevollmächtigte hat daher beantragt, einen psychologisch und psychiatrisch geschulten Sachverständigen einzuvernehmen. Die Klägerin habe im Übrigen nicht lapidar behauptet, sie sei missbraucht worden, sondern vielmehr die Umstände, unter denen der Missbrauch nach ihren Angaben geschehen sei, geschildert.
In Bezug auf die Einhaltung der Berufungsfrist hat der Beklagte geltend gemacht, dass ihm das erstinstanzliche Urteil am 17.12.2020 zugestellt worden sei; die Zustellung an die Klägerseite sei wohl etwa zeitgleich erfolgt, somit sei eine Berufungseinlegung am 29.01.2021 verspätet. Es wäre sehr verwunderlich, wenn das erstinstanzliche Urteil, so der Beklagte, dem (früheren) Bevollmächtigten erst am 04.01.2021 zugestellt worden wäre.
Im Übrigen hat der Beklagte darauf hingewiesen (24.09.2021), dass es in dem vorliegenden Antrag ausdrücklich nur um den behaupteten Missbrauch durch D zwischen 1974 und 1980 gehe; weitere Lebensereignisse habe die Klägerin nicht als Tatbestand im Sinne des OEG geltend gemacht. Es stehe außer Frage, dass die Klägerin gesundheitlich und vor allem psychisch stark belastet sei. Hierfür würden möglicherweise und wahrscheinlich eine Vielzahl von Lebensereignissen und ungünstigen Entwicklungen eine Rolle spielen; dies sei aber nicht Gegenstand des Verfahrens. Aussagepsychologisch nicht unproblematisch sei aus Sicht des Beklagten, dass die Klägerin ihrem langjährigen Therapeuten H nach zwölf Jahren Therapie erstmalig von dem aus ihrer Sicht ausschlaggebenden Grund für ihre Erkrankung berichtet habe und dies nunmehr aus Sicht des Therapeuten mehr oder minder die gesamte bisherige Behandlung auf den Kopf stelle.
Die Bevollmächtigte hat am 23.02.2021 ein Schreiben des früheren Bevollmächtigten vom 05.01.2021 an die Klägerin zur Verfügung gestellt, in dem bestätigt worden ist, dass das Urteil des SG Landshut den Bevollmächtigten am 04.01.2021 zugestellt worden sei. Das Empfangsbekenntnis vom Bevollmächtigten der Klägerin über die Zustellung gemäß § 63 Abs. 2 SGG, § 174 Zivilprozessordnung (ZPO) des Urteils ist am 08.01.2021 beim SG eingegangen. Darin wird bestätigt, dass das Urteil und die Abschrift der Sitzungsniederschrift beim Bevollmächtigten am 04.01.2021 eingegangen sei. Neben diesem Datum findet sich eine (nicht leserliche) handschriftliche Unterschrift.
Mit Schriftsatz vom 25.02.2021 hat die Bevollmächtigte dem Gericht einen Zeitungsartikel hinsichtlich eines Interviews mit der Psychotherapeutin M-H zur Verfügung gestellt. Diese führe aus, so die Bevollmächtigte, dass nach einem Trauma die Erinnerungen ganz weit weggedrängt werden könnten. Sie seien dann so verkapselt gespeichert, dass das Trauma lange Zeit verschüttet sei. Insoweit werde nochmals die Einvernahme eines psychologisch und psychiatrisch geschulten Sachverständigen beantragt. Am 31.01.2022 ist auf die Aussage eines Missbrauchsopfers hingewiesen bzw. ein Zeitungsartikel hierüber zur Verfügung gestellt worden, in dem von dem Missbrauchsopfer u.a. ausgeführt worden ist: "Ein Trauma heißt, dass man sich daran nicht mehr erinnern kann. Sehr vielen Betroffenen ist es so ergangen. Sie haben den Missbrauch 30, 40 oder 50 Jahre verdrängt, nicht mehr daran gedacht, wurden Alkoholiker, schwerst depressiv, wollten sich permanent das Leben nehmen, waren nicht partnerschaftsfähig, waren verschlossen, introvertiert."
Sodann hat der Senat zur Ermittlung des medizinischen/psychologischen Sachverhalts Befundberichte der Behandler der Klägerin eingeholt und ausgewertet.
- Im Befundbericht der Psychotherapeutin F vom 25.05.2021 hat diese darauf hingewiesen, dass die 1997 gestellten Diagnosen etwas abgeschwächt seien, nämlich temporäre Angstzustände (PTBS), psychophysischer Erschöpfungszustand, mangelnde Belastbarkeit. Die Klägerin befinde sich in fortlaufender Therapie. Die Klägerin werde aufgrund ihrer traumatischen Erfahrungen in Kindheit und Jugend immer eine kontinuierliche psychotherapeutische Begleitung brauchen, gepaart mit stationären Aufenthalten, um die Erschöpfungszustände (PTBS) im Rahmen zu halten. Sie, F, könne als alte vertraute Bezugsperson der Klägerin Rückhalt und schützende Geborgenheit geben.
- Im Befundbericht der Psychosomatischen Klinik S vom 28.05.2020, eingegangen am 01.06.2021 von E wird im Rahmen des psychopathologischen Befundes u.a. geschildert, dass sich kein Anhalt für Wahn bei der Klägerin gefunden habe. Es sind (erneut, s. oben) die Diagnosen schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome, anhaltende somatoforme Schmerzstörung und andauernde Persönlichkeitsveränderung nach Extrembelastung gestellt worden. Der letzte Kontakt sei am 20.04.2021 gewesen. Zwischen den stationären Behandlungen (im Jahr 2020) und im Anschluss an die zweite stationäre Therapie seien zur Überbrückung ambulant Gespräche in unregelmäßigen Abständen erfolgt. Dies sei mittlerweile beendet, da die Klägerin wieder ambulant psychotherapeutisch angebunden sei. Hauptinhalt der therapeutischen Einzelgespräche während des zweiten stationären Aufenthalts sei der sexuelle Missbrauch durch den Schwager der Klägerin gewesen. Der Klägerin sei es innerlich hier gelungen, eine erste Annäherung im Sinne einer Traumakonfrontation an die damals stattgefundenen Handlungen zu erreichen. Zudem sei mit der Klägerin an der Verbesserung der Bewältigungskompetenz, der mit den sexuellen Übergriffen verbundenen Auswirkungen auf ihr heutiges Leben, gearbeitet worden.
- Im Befundbericht vom 30.07.2021 des G sind die Beschwerden Flashbacks, Intrusionen, emotionale Taubheit, Schreckhaftigkeit, Alpträume, Grübeln und depressive Verstimmung genannt. Die Symptomatik sei gleich geblieben.
- Im Attest vom 07.12.2021 hat der Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie H berichtet, dass nach seiner langjährigen Behandlung, in der schon zahlreiche massiv emotional beeinflussende Lebensereignisse geschildert worden seien, die Klägerin erst vor wenigen Tagen erstmals davon berichtet habe, dass sie im Alter von ca. 7 Jahren eine gravierende sexuelle Missbrauchserfahrung habe erleiden müssen. Die Klägerin sei nach eigenen Angaben erstmalig im Rahmen einer vor wenigen Tagen beendeten stationär-psychosomatischen Behandlungsmaßnahme fähig gewesen, überhaupt über die Missbrauchsgeschehnisse zu sprechen. Diese neue Information lasse, so der Facharzt, mit einem Schlag die gesamte Leidensgeschichte bei der Klägerin aus einem völlig veränderten Blickwinkel betrachten. So ergäben sich unzweifelhaft jetzt viele innerpsychische Zusammenhänge und emotionale Reaktionen/Symptommuster in neuem Licht mit der klaren Feststellung, dass sämtliche im Lauf der Lebensjahre geschehenen/vorliegenden psychischen Leidenssituationen/Symptome/Beschwerden in höchstem Maße, letztlich wahrscheinlich sogar in ausschließlichem Maße, aus der frühkindlichen Missbrauchserfahrung resultieren würden.
Da die Klägerin zeitlebens nie mit anderen Personen über die leidvoll-traumatisierenden Erfahrungen gesprochen habe, habe sie jahrelang chronifiziert innerpsychisch hochpathologische Konfliktlösungsstrategien entwickelt, die dann auch in anderen Lebenssituationen hochpathologische seelische und körperliche Reaktionen/Reaktionsmuster mit entsprechenden Symptombildungen hervorgerufen hätten. Andere lebensbegleitende/biographische Belastungen würden in diesem Zusammenhang, jetzt rückblickend bewertet, eine deutlich nachgeordnete Rolle spielen.
- In der beigefügten Stellungnahme des E der Psychosomatischen Klinik S vom 19.10.2021 wird die Einschätzung mitgeteilt, dass der sexuelle Missbrauch von großer Bedeutung für die Entstehung der von der Klägerin berichteten psychischen Symptome und die damit verbundenen gesundheitlichen Einschränkungen sei. Es sei zu bedenken, dass der Inhalt der Therapiegespräche der sexuelle Missbrauch gewesen sei. Andere Faktoren der Biographie der Klägerin seien von ihm, so E, nur am Rande beleuchtet worden. Gesicherte Aussagen zu anderen möglichen Einflussfaktoren seien ihm deshalb hier nicht möglich.
- In einem weiteren Attest des E vom 10.03.2022 wird mitgeteilt, dass dem Genannten die von der Klägerin geschilderten Erlebnisse "glaubwürdig" erscheinen würden.
Im Erörterungstermin vom 20.10.2022 des Senats hat der Berichterstatter darauf hingewiesen, dass das Gericht jedenfalls derzeit keine Hinweise darauf habe, dass die Berufung verspätet eingegangen wäre. Die Klägerin und ihre Bevollmächtigte haben erklärt, gegen die Einvernahme der Zeuginnen S und D bestünden keine Bedenken. Die Klägerin hat zudem angegeben, dass ein Zeuge zur Aufnahme von Nacktfotos von ihr durch den beschuldigten Täter Aussagen machen könne; dies sei der Zeuge I. Die Klägerin hat im Erörterungstermin beim Beklagten zudem beantragt, Beschädigtenversorgung wegen der vorliegend nicht streitgegenständlichen Gewalttaten der Geschwister der Klägerin - insbesondere des Bruders - unter Verweis auf die vorliegenden Angaben in den Akten zu leisten. Die Beteiligten haben daraufhin übereinstimmend das Ruhen des Verfahrens beantragt, das mit Beschluss vom 20.10.2022 gemäß § 202 SGG i.V.m. § 251 ZPO angeordnet worden ist.
Auf den Antrag der Klägerin vom 16.01.2024 hin ist das Verfahren sodann fortgesetzt worden. Zuvor hatte der Beklagte mit Bescheid vom 15.12.2023 den Antrag der Klägerin vom 20.10.2022 auf Beschädigtenversorgung abgelehnt. Zugrunde lagen diesem Antrag die Prügelstrafen von Seiten der Eltern der Klägerin. Der Vater der Klägerin habe diese mit 8 Jahren mit einem Riemen heftig geschlagen, wodurch die Klägerin blaue Flecke gehabt habe. Eine weitere Gewalttat war psychische Gewalt durch die Geschwister H und A. Es sei zu tätlichen Übergriffen seitens der Geschwister gekommen. Der Beklagte hatte die Anträge hinsichtlich der geschilderten Gewalttaten abgelehnt, weil kein Vollbeweis gelinge. Zudem fehle es am unverschuldeten Beweisnotstand, so dass § 15 KOV-VfG nicht zur Anwendung gelange. Der Bescheid enthielt eine Rechtsbehelfsbelehrung hinsichtlich des Widerspruchs mit einem Monat Frist.
Im Schriftsatz vom 16.01.2024 hat die Bevollmächtigte mitgeteilt, dass keine Rechtsmittel gegen den Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 15.12.2023 eingelegt würden, weil die Klägerin (mangels Zeugen bezüglich der Gewalterfahrung in der Familie) keine Er-folgsaussichten sehe.
Hinsichtlich des hier anhängigen Verfahrens ist auf die Zeugin D1 hingewiesen worden. Diese könne bestätigen, dass der beschuldigte Täter dieser gegenüber ausdrücklich zugegeben habe, sich über die Klägerin hergemacht zu haben. Er habe gesagt, so die Bevollmächtigte, er habe mit der Klägerin etwas gehabt. Die Bevollmächtigte hat den Antrag gestellt, die Zeugin zu laden.
Am 23.09.2024 hat ein Termin des Senats zur Erörterung des Sachverhalts und zur Beweisaufnahme stattgefunden. In dem Termin hat der Zeuge I erklärt, die Klägerin nicht zu kennen. Er kenne jedoch Herrn D, der früher im selben Unternehmen wie er Busfahrer gewesen sei. Sie seien etwa 1975 oder 1976 (lediglich) Arbeitskollegen gewesen. Zu der Beziehung des D zu Frauen habe er, der Zeuge, nichts gehört. Hinterher hätten es jedoch gewissermaßen "die Spatzen vom Dach gepfiffen". Näheres könne er jedoch nicht sagen. Der Einzige sei ein bereits Verstorbener, nämlich ein Chauffeur, der damals vielleicht etwas gewusst habe. Über Nacktfotos der Klägerin könne er, der Zeuge, nichts sagen; er habe keine gesehen. Von der Schwägerin des D wisse er gar nichts. Was "die Spatzen vom Dach gepfiffen" hätten, sei, was Herr D mit seiner eigenen Tochter gemacht habe. Mehr könne er aber nicht sagen. Er wisse nur, D solle etwas mit seiner eigenen Tochter gehabt haben. Mehr wisse er nicht.
In der mündlichen Verhandlung des Senats am 10.12.2024 ist die Zeugin D1 uneidlich einvernommen worden. Dabei hat sie ausgesagt, zu wissen, dass die Klägerin öfter bei ihr und ihrem Ex-Mann gewesen sei. Ihr Ex-Mann habe ihr bestätigt, es habe des Öfteren sexuellen Kontakt mit der Klägerin gegeben. Ihr Mann habe sehr viele Frauen gehabt, er sei ein "sexueller Chaot" gewesen. Sie habe nie selbst einen sexuellen Kontakt zwischen ihrem Mann und ihrer Schwester miterlebt. Auf Befragung hat die Zeugin weiter erklärt, nach ihrer Erinnerung sei ihre Schwester zum Zeitpunkt des sexuellen Kontakts mit ihrem Ehemann schon erwachsen gewesen, sie sei 16 oder 18 Jahre alt gewesen. Sie kenne auch andere Frauen, die ihr später gesagt hätten, ihr Mann habe "auch was mit ihnen gehabt". Wie der sexuelle Kontakt zwischen ihrem Ex-Ehemann und ihrer Schwester ausgesehen habe (einvernehmlich oder nicht), hierzu habe sich ihr Ex-Ehemann ihr, der Zeugin, gegenüber nicht geäußert. Auf Nachfrage hat die Zeugin angegeben, auf die Aussage ihres Ex-Ehemanns hin, er habe sexuellen Kontakt zu ihrer Schwester gehabt, habe sie nicht weiter reagiert. Auf die Frage des Gerichts, warum sie das nicht bereits beim SG erwähnt habe, erklärte die Zeugin, sie sei dort nicht gefragt worden. Auf weitere Nachfrage hat die Zeugin erklärt, sie könne nicht sagen, wann ihr der Ex-Ehemann von dem Verhältnis zu ihrer Schwester berichtet habe. Es sei aber jedenfalls schon beendet gewesen, als er davon erzählt habe. Wann das genau gewesen sei und wie lange das Verhältnis angedauert habe, könne sie nicht sagen. Auf die Frage, ob sie angeben könne, wie oft ein sexueller Kontakt stattgefunden habe, hat die Zeugin ausgesagt, ihre Schwester sei oft bei ihr gewesen. Die Klägerin habe im Kinderzimmer übernachtet. Es könne auch sein, dass sie auf der Couch im Wohnzimmer geschlafen habe, sie wisse das aber nicht mehr, es liege schon so lange zurück. Auf die Frage, ob die Klägerin jemals zusammen mit ihr und ihrem Exmann im Ehebett geschlafen habe, hat die Zeugin angegeben, das wisse sie nicht mehr, es liege schon so lange zurück.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Landshut vom 02.12.2020 und den Bescheid des Beklagten vom 31.01.2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 05.03.2019 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, der Klägerin eine Beschädigtengrundrente nach dem Opferentschädigungsgesetz zu gewähren.
Der Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Senat hat die Akten des Beklagten, des SG und der Staatsanwaltschaft Landshut Az. 21 Js 908/00 beigezogen. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den Inhalt dieser Akten und der Berufungsakte, die allesamt Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind, Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e :
Die zulässige Berufung ist nicht begründet.
Die Berufung ist zulässig, insbesondere (am 29.01.2021) beim BayLSG fristgerecht (§ 151 Abs. 1 SGG) eingelegt worden. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens hat der Senat keine Zweifel, dass das erstinstanzliche Urteil (vom 02.12.2020) der Klägerin über ihre Bevollmächtigten (erst) am 04.01.2021 zugegangen ist. Insbesondere bestehen, wie bereits im o.g. Erörterungstermin mitgeteilt, aus Sicht des Senats keine Anhaltspunkte dafür, dass das Datum 04.01.2021 unzutreffend auf dem Empfangsbekenntnis der (früheren) Bevollmächtigten vermerkt worden wäre.
Die Berufung erweist sich jedoch in der Sache als nicht begründet.
Die Klägerin hat entsprechend des zutreffenden Urteils des SG Landshut vom 02.12.2020 keinen Anspruch auf Versorgungsrente bzw. Beschädigtenversorgung nach dem OEG in Verbindung mit dem BVG. Die angefochtenen Verwaltungsentscheidungen des Beklagten sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin nicht in ihren Rechten.
Es ist kein vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff auf die Klägerin i.S.d. § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zur Überzeugung des Senats glaubhaft gemacht und erst recht nicht im Vollbeweis nachgewiesen.
Der Anspruch der Klägerin bestimmt sich auch nach dem vollumfänglichen Inkrafttreten des Sozialgesetzbuchs Vierzehntes Buch (SGB XIV) zum 01.01.2024 nach § 1 Abs. 1 OEG in Verbindung mit den Bestimmungen des Bundesversorgungsgesetzes (BVG). Gemäß § 142 Abs. 2 Satz 1 SGB XIV gilt, dass über einen bis zum 31.12.2023 gestellten und nicht bestandskräftigen beschiedenen Antrag auf Leistungen nach dem Bundesversorgungsgesetz oder nach einem Gesetz, dass das BVG ganz oder teilweise für anwendbar erklärt, nach dem im Zeitpunkt der Antragstellung geltenden Recht zu entscheiden ist. Der Antrag auf Gewährung von Opferentschädigung wurde 2018 gestellt. Er wurde noch nicht bestandskräftig ablehnend verbeschieden. Über das Bestehen eines Anspruchs der Klägerin ist damit nicht nach den Regeln des SGB XIV, sondern nach den Bestimmungen des OEG in Verbindung mit dem BVG zu entscheiden.
Wer im Geltungsbereich dieses Gesetzes oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen tätlichen Angriffs gegen seine oder eine andere Person oder durch dessen rechtmäßige Abwehr eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat, erhält gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 OEG wegen der gesundheitlichen und wirtschaftlichen Folgen auf Antrag Versorgung in entsprechender Anwendung der Vorschriften des Bundesversorgungsgesetzes. Über die Voraussetzung hinaus, dass der tätliche Angriff im strafrechtlichen Sinn rechtswidrig sein muss, bestimmt § 2 Abs. 1 Satz 1 OEG, dass Leistungen zu versagen sind, wenn der Geschädigte die Schädigung verursacht hat oder wenn es aus sonstigen, insbesondere in dem eigenen Verhalten des Antragstellers liegenden Gründen unbillig wäre, Entschädigung zu gewähren.
Bei der Beurteilung einer Handlung als vorsätzlicher, rechtswidriger tätlicher Angriff gemäß § 1 Abs. 1 S. 1 OEG (und der Eingrenzung des schädigenden Vorgangs als erstem Glied der versorgungsrechtlichen Ursachenkette) geht der Senat (vgl. etwa Urteile vom 05.02.2013 - L 15 VG 42/09, vom 20.10.2015 - L 15 VG 23/11 - und vom 26.01.2016 - L 15 VG 30/09) unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung von folgenden rechtlichen Maßgaben aus:
Nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist zu berücksichtigen, dass die Verletzungshandlung im OEG entsprechend dem Willen des Gesetzgebers eigenständig und ohne direkte Bezugnahme auf das StGB geregelt ist (BSG, Urteil v. 07.04.2011 - B 9 VG 2/10 R, m.w.N.). Gleichwohl orientiert sich die Auslegung an der im Strafrecht gewonnenen Bedeutung des auch dort verwendeten rechtstechnischen Begriffs des "tätlichen Angriffs" (vgl. insbesondere BSG, Urteil vom 28.03.1984 - B 9a RVg 1/83). Die Auslegung hat sich mit Rücksicht auf den das OEG prägenden Gedanken des lückenlosen Opferschutzes aber weitestgehend von subjektiven Merkmalen (z.B. einer kämpferischen, feindseligen Absicht des Täters) gelöst (st. Rspr. seit 1995; vgl. BSG, Urteil v. 07.04.2011, a.a.O., m.w.N.). Das Vorliegen eines tätlichen Angriffs hat das BSG vornehmlich aus der Sicht eines objektiven, vernünftigen Dritten beurteilt und insbesondere sozial angemessenes Verhalten ausgeschieden (z.B. Urteil vom 29.04.2010 - B 9 VG 1/09 R).
Der Rechtsbegriff des tätlichen Angriffs im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG ist also grundsätzlich unter Bezugnahme auf seine im Strafrecht gewonnene Bedeutung (§§ 113, 121 StGB) auszulegen. Danach liegt ein tätlicher Angriff bei einer in feindseliger Willensrichtung unmittelbar auf den Körper eines anderen zielenden gewaltsamen Einwirkung vor (BSG, a.a.O., m.w.N.).
Soweit eine gewaltsame Einwirkung vorausgesetzt wird, hat das BSG entschieden, dass der Gesetzgeber durch den Begriff des "tätlichen Angriffs" den schädigenden Vorgang im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG in rechtlich nicht zu beanstandender Weise begrenzt und den im Strafrecht uneinheitlich verwendeten Gewaltbegriff eingeschränkt hat (BSG, Urteil v. 07.04.2011, a.a.O., m.w.N.). Abweichend von dem im Strafrecht umstrittenen Gewaltbegriff im Sinne des § 240 StGB (vgl. hierzu BeckOK StGB/Valerius, 50. Ed. 01.05.2021, StGB, § 240, Rn. 6 ff., m.w.N.) zeichnet sich der tätliche Angriff gemäß § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG grundsätzlich durch eine körperliche Gewaltanwendung gegen eine Person aus, d.h. er wirkt physisch auf einen anderen ein (vgl. das strafrechtliche Begriffsverständnis der Gewalt im Sinne des § 113 Abs. 1 StGB).
Ein tätlicher Angriff im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG liegt im Regelfall bei einem gewaltsamen, handgreiflichen Vorgehen gegen eine Person vor (vgl. BSG, a.a.O., m.w.N.), setzt jedoch nach seiner äußeren Gestalt nicht unbedingt ein aggressives Verhalten des Täters voraus; das BSG ist einem an Aggression orientierten Begriffsverständnis des tätlichen Angriffs letztlich nicht gefolgt (st. Rspr. seit 1995; vgl. BSG Urteile vom 18.10.1995 - B 9 RVg 4/93 und B 9 RVg 7/93 bzgl. sexuellen Missbrauchs an Kindern). Dahinter steht der Gedanke, dass auch nicht zum (körperlichen) Widerstand fähige Opfer von Straftaten den Schutz des OEG genießen sollen (BSG vom 07.04.2011, a.a.O.).
Dabei hat das BSG in Fällen sexuellen Missbrauchs an Kindern nicht vollständig auf das Erfordernis körperlicher Handlungen verzichtet. Die besondere Schutzbedürftigkeit des Kindes, die Möglichkeit seiner "sekundären Viktimisierung" im Verwaltungs- und Gerichtsverfahren sowie die Gefahr schwerwiegender seelischer Krankheiten hat es allerdings - beschränkt auf diese Fallgestaltungen - zu einem erweiterten Verständnis des Begriffs des tätlichen Angriffs veranlasst. Danach ist für die "unmittelbare Einwirkung auf den Körper des Kindes" entscheidend, dass die Begehensweise, nämlich die sexuelle Handlung, eine Straftat war, unabhängig davon, ob bei der Tatbegehung das gewaltsam handgreifliche oder das spielerische Moment im Vordergrund steht (Urteil des BSG vom 07.04.2011, a.a.O., m.w.N.; vgl. auch bereits das Urteil des Senats vom 05.02.2013 - L 15 VG 22/09).
Eine solche Begriffsausweitung ist jedoch bei (zum körperlichen Widerstand fähigen) Erwachsenen nicht angezeigt. Nach der ganz herrschenden Meinung (vgl. die o.g. Rspr., m.w.N.) ist insoweit keine besondere Schutzbedürftigkeit gegeben, so wie sie bei Kindern anzunehmen ist. Ein ohne Anwendung von Gewalt herbeigeführter sexueller Missbrauch erfüllt nur bei Kindern den Tatbestand des § 1 OEG (vgl. bereits das Urteil des erkennenden Senats vom 10.08.2021 - L 15 VG 31/20).
Der tätliche Angriff in Form des sexuellen Missbrauchs muss in der Regel nachgewiesen sein. Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen grundsätzlich im Vollbeweis, d.h. mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit, nachgewiesen sein. Ausreichend und erforderlich ist ein so hoher Grad an Wahrscheinlichkeit, dass bei Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens kein vernünftiger, den Sachverhalt überschauender Mensch mehr am Vorliegen der Tatsachen zweifelt (vgl. BSG, Urteil vom 28.06.2000 - B 9 VG 3/99 R).
Dieser Beweismaßstab ist vorliegend maßgeblich. Es kommt nicht darauf an, ob die gute Möglichkeit im Sinne von § 15 KOV-VfG bzw. § 117 Abs. 1 und 2 SGB XIV für das Vorliegen eines Angriffs nach § 1 Abs. 1 S. 1 OEG besteht.
In seinem Urteil vom 15.12.2016 (B 9 V 3/15 R) hat das BSG zusammenfassend dargelegt, dass es sich bei dem "Glaubhafterscheinen" im Sinne des § 15 S. 1 KOV-VfG um den dritten, mildesten Beweismaßstab des Sozialrechts handele. Glaubhaftmachung bedeute das Dartun einer überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BSG, Urteile vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R und B 9 V 3/12 R), d.h. der guten Möglichkeit, dass sich der Vorgang so zugetragen habe, wobei durchaus gewisse Zweifel bestehen bleiben könnten (vgl. den Beschluss des BSG vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B, m.w.N.). Dieser Beweismaßstab sei durch seine Relativität gekennzeichnet. Es müsse nicht, wie bei der Wahrscheinlichkeit des ursächlichen Zusammenhanges, absolut mehr für als gegen die glaubhaft zu machende Tatsache sprechen. Es reiche die gute Möglichkeit aus, d.h. es genüge, wenn bei mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Möglichkeiten das Vorliegen einer davon relativ am wahrscheinlichsten sei (BSG, Urteile vom 17.04.2013 - B 9 V 1/12 R und B 9 V 3/12 R), weil nach Gesamtwürdigung aller Umstände besonders viel für diese Möglichkeit spreche. Von mehreren ernstlich in Betracht zu ziehenden Sachverhaltsvarianten müsse eine den übrigen gegenüber ein gewisses (kein deutliches) Übergewicht zukommen. Wie bei den beiden anderen Beweismaßstäben reiche die bloße Möglichkeit einer Tatsache nicht aus, um die Beweisanforderungen zu erfüllen. Das Gericht sei allerdings im Einzelfall grundsätzlich darin frei, ob es die Beweisanforderungen als erfüllt ansehe (Freiheit der richterlichen Beweiswürdigung, § 128 Abs. 1 S. 1 SGG; vgl. die Urteile des BSG vom 17.4.2013 - B 9 V 1/12 R und B 9 V 3/12 R; Beschluss des BSG vom 08.08.2001 - B 9 V 23/01 B).
Die Anwendung von § 15 S. 1 KOV-VfG bzw. § 117 SGB XIV scheidet jedoch aus, wenn keine unverschuldete Beweisnot des Geschädigten für den betreffenden Lebenssachverhalt gegeben ist. Ein die Anwendung der Beweiserleichterungen ausschließendes Verschulden des Geschädigten ist von der Rechtsprechung zu § 15 KOV-VfG u.a. dann angenommen worden, wenn wie vorliegend die Beweisnot auf Zeitablauf und dem damit verbundenen Wegfall der Beweismittel beruht (vgl. z.B. die Urteile des BSG vom 13.12.1994 - 9/9a RV 9/92, des LSG Rheinland-Pfalz vom 29.06.2016 - L 4 VG 2/16 - und des LSG Hamburg vom 15.04.2020 - L 3 VE 5/19). War der Antragsteller in einem solchen Fall nicht gehindert, seine Rechte schon zeitnah nach dem schädigenden Ereignis geltend zu machen, ist ihm ein nachträglicher Beweisverlust vorzuwerfen (vgl. auch BeckOGK/B. Schmidt, Stand 01.11.2024, SGB XIV § 117 Rn. 9, m.w.N.).
So liegt es auch hier im Fall der Klägerin. Zwar hat diese sowohl in der Klagebegründung als auch in der Begründung der Berufung dargelegt, die Tatsache, jahrelang geschwiegen und den Täter nicht zur Rechenschaft gezogen zu haben, habe ihre "berechtigten Gründe". Auch ist darauf eingegangen worden, sie habe "einfach nicht reden können". Erst später sei dies gelungen und sei tiefer in die Thematik eingestiegen worden. Nach dem Gesamtergebnis des Verfahrens fehlen aber jedenfalls belastbare Hinweise dafür, weshalb es der Klägerin, die wie oben dargelegt bereits 1994 von dem Missbrauch ihrer Nichte erfahren hat, zumindest dann nicht möglich gewesen hätte sein sollen, zielgerichtete Ermittlungen des Beklagten zu ermöglichen, als der beschuldigte Täter bereits einschlägig verurteilt worden und inhaftiert gewesen war und seine Taten bezüglich seiner eigenen Tochter eingestanden hatte. Der Problemkreis, dass minderjährigen Missbrauchsopfer kein Nachteil daraus entstehen darf, wenn sie sich nicht offenbaren etc., ist hier in keiner Weise betroffen. Auch ist in keiner Weise rechtssicher belegt, dass die Klägerin aufgrund psychologischer Vorgänge vorübergehend keine Erinnerung an ihre eigene Missbrauchserlebnisse gehabt hätte, sodass der Senat zu der wissenschaftlich umstrittenen Frage nicht Stellung nehmen muss, ob dies überhaupt möglich ist (Stichwort: "Missbrauch vergisst man nicht"); die Bedeutung der von der Bevollmächtigten am 25.02.2021 und 31.01.2022 übersandten Presseartikeln beschränkt sich auf den Hinweis zu diesbezüglichen, allgemeinen fachlichen Auffassungen in diesem wissenschaftlichen Diskurs, jedoch ohne Einzelfallbezug.
Bei Zugrundelegung der genannten Grundsätze hat die Berufung keine Aussicht auf Erfolg, weil der Senat einen sexuellen Missbrauch der Klägerin nicht für im Vollbeweis erwiesen hält. Im Übrigen erscheint dem Senat der geltend gemachte Missbrauch im Sinne des § 15 S. 1 KOV-VfG auch nicht glaubhaft - worauf es aber eben nicht mehr entscheidend ankommt - weil zwar durchaus eine Möglichkeit, aber keinesfalls die gute Möglichkeit im o.g. Sinn hierzu besteht.
Zwar hat die Klägerin den sexuellen Missbrauch, der nach ihren Angaben durch den beschuldigten Täter D begangen worden ist, geschildert. Darüber hinaus gibt es jedoch keine objektiven Belege hierfür.
Der Senat vermag sich nicht allein auf der Grundlage der Angaben der Klägerin die volle richterliche Überzeugung vom Vorliegen der Voraussetzungen des § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG zu bilden (oder von einer Glaubhaftmachung auszugehen). Zwar kann sich eine Entscheidung in freier Beweiswürdigung grundsätzlich jedenfalls dann allein auf den Beteiligtenvortrag stützen, wenn dieser glaubhaft ist - wobei "glaubhaft" hier nicht im Sinn einer Herabsetzung des Überzeugungsmaßes verstanden werden darf -, der Lebenserfahrung entspricht und nicht zu anderen festgestellten Tatsachen im Widerspruch steht (vgl. Keller, in: Meyer-Ladewig/ders./Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 128, Rn. 4; Gutzler, in: SGb 2/2009, S. 73 <76>, jeweils m.w.N.; Urteil des Senats v. 21.04.2015 - L 15 VG 24/09). Diese Voraussetzungen sind vorliegend aber nicht erfüllt. Zwar hat die Klägerin den schädigenden Vorgang und das Rahmengeschehen geschildert. Wie der Beklagte jedoch in seinem o.g. Widerspruchsbescheid zurecht hervorgehoben hat, liegen nur rudimentäre und sehr allgemein gehaltene Sachverhaltsschilderungen vor. Gerade der schlichte Reichtum an Details spricht jedoch für die subjektive Wahrheit von Angaben der Aussage Person; das Auftreten von Details ist an sich bzw. in einer Reihe spezieller Ausprägungen ein entscheidendes Realitätskennzeichen (Häcker in: Bender/Ders./Schwarz, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 5. Aufl. 2021, Rn. 424 ff.).
Der Senat sieht bei der Schilderung der schädigenden Handlung durch die Klägerin jedoch auch Defizite in der Plausibilität. So hält es der Senat für alles andere als naheliegend, dass die Klägerin wiederholt und mehr oder weniger freiwillig ihre Schwester und den beschuldigten Täter aufgesucht haben soll, um dort zu übernachten, obwohl sie dort sexuell missbraucht worden ist und obwohl ihr dabei - nach eigenen Angaben - dort auch "fürchterliche Schmerzen" zugefügt worden sind. Es ist von Seiten der Klägerin nicht erklärt worden, dass und auf welche Weise die Klägerin hierzu gezwungen gewesen sein könnte, insbesondere war sie wohl nicht in die Familie ihrer Schwester derart eingebunden, dass sie sich einer Übernachtung nicht hätte entziehen können. Jedenfalls fehlt es hierzu an jeglichem entsprechenden Vortrag. Unplausibel ist aber auch das Vorbringen der Klägerin, das Eindringen des Täters in sie habe einen fürchterlichen Schmerz verursacht, dennoch habe die mit im Ehebett liegende Schwester der Klägerin hiervon nichts mitbekommen.
Objektive Belege für den geltend gemachten sexuellen Missbrauch liegen nicht vor.
Sachbeweise etwa in Form von Ergebnissen medizinischer Untersuchungen liegen nicht vor und können offenkundig nach Ablauf von mehreren Jahrzehnten nach den geltend gemachten Vorfällen auch nicht mehr erlangt werden: primär Körperspuren (am Opfer oder Täter), ferner leblose Kontaktspuren und Werkzeuge etc., die tatrelevante Hinweise geben und die Angaben der Klägerin belegen oder zumindest glaubwürdig(er) machen könnten (vgl. hierzu z.B. de Vries, Einführung in die Kriminalistik für die Strafrechtspraxis, 1. Aufl. 2015, S. 108 ff.). Entsprechendes gilt aber auch für zeitnahe psychische Spuren wie etwa Verhaltensauffälligkeiten im engeren zeitlichen Zusammenhang mit den behaupteten Taten.
Ein Nachweis im Sinne des Vollbeweises (bzw. einer Glaubhaftmachung im Sinne des § 15 S. 1 KOV-VfG) eines vorsätzlichen und rechtswidrigen tätlichen Angriffs auf die Klägerin in Form eines sexuellen Missbrauchs durch den Beschuldigten ergibt sich auch nicht daraus, dass bei der Klägerin "einschlägige" Diagnosen gestellt worden sind. Ein Rückschluss von einer psychiatrischen Erkrankung auf die zugrundeliegende Tat ist nicht möglich, sondern zirkelschlüssig (vgl. Urteil des Senats vom 30.04.2015 - L 15 VG 42/09, m.w.N.).
Schließlich vermögen auch die Annahmen der Behandler der Klägerin an dem Ergebnis nichts zu ändern. Zwar hält der behandelnde E ausweislich seiner Stellungnahme vom 10.03.2022 die von der Klägerin geschilderten Missbrauchserlebnisse für glaubwürdig; Entsprechendes gilt auch für die Therapeutin F (s. näher oben). Bereits die Kürze der abgegebenen Stellungnahme von E zeigt jedoch, dass es sich hierbei nicht um eine fundierte Einschätzung handelt. Zudem sind die Einschätzungen behandelnder Ärzte und Therapeuten in der Regel nicht geeignet, den Beweis oder die gute Möglichkeit im oben genannten Sinn zu erbringen, weil Basis hier oftmals die vom Arzt nicht infrage gestellte Behauptung der Patientin oder des Patienten ist, sie oder er habe das fragliche Erlebnis tatsächlich erlitten (Häcker in: Bender/Ders./ Schwarz, Tatsachenfeststellung vor Gericht, 5. Aufl. 2021, Rn. 419 ff.). Selbst wenn der Behandler wie vorliegend eigene Bewertungen der Situation etc. durchgeführt hat und es sich (zumindest) um fachkundige Stellungnahmen handelt, führen die Feststellungen und Einschätzungen regelmäßig nicht zu einem Nachweis. Denn therapeutische Beziehungen tragen grundsätzlich die Gefahr in sich, dass Symptome vorschnell als Anzeichen für bestimmte Delikte (wie für einen verdrängten Missbrauch) gewertet werden und die Therapeuten versuchen, angeblich verdrängte Erinnerungen mit therapeutischen Mitteln aus dem Unterbewusstsein des Patienten, hier des betroffenen (angeblichen) Gewaltopfers, "hervorzuholen" (De Vries, Einführung in die Kriminalistik für die Strafrechtspraxis, S. 116, m.w.N.) oder solche von den Betroffenen selbst oder Dritten angestoßenen Prozesse zumindest zu begleiten.
Auch die Angabe des beschuldigten Täters selbst, dass er "etwas mit der Schwester seiner Frau gehabt" habe, kann keinen Beleg darstellen. Hierbei verbleiben die oben genannten Unklarheiten. Das SG geht auch zutreffend davon aus, dass damit kein Beleg geschaffen wurde, es habe sich hier um einen sexuellen Missbrauch im Sinne von § 176 Strafgesetzbuch (StGB) gehandelt. Nur auf einen solchen bezieht sich aber die oben im Einzelnen dargestellte Rechtsprechung zum tätlichen Angriff (selbst in § 13 Abs. 2 Alt. 1 SGB XIV hat der Gesetzgeber nur auf §§ 174 bis 176b StGB, nicht aber auf § 182 StGB - sexueller Missbrauch von Jugendlichen - Bezug genommen; vgl. jurisPK-SGB XIV, 2. Aufl., § 13 SGB XIV, Stand: 24.10.2024, Rn. 188). Eine Einbeziehung von Personen ab 16 Jahren, wie ggf. der Klägerin, kann nur dann in Betracht kommen, wenn diese Opfer zum Widerstand gänzlich unfähig sind, was der Fall ist, wenn es dem Opfer nicht möglich ist, einen ausreichenden Widerstandswillen gegen das sexuelle Ansinnen des Täters zu bilden, zu äußern oder durchzusetzen (vgl. hierzu bereits das Urteil des erkennenden Senats vom 12.11.2019 - L 15 VG 13/15). Hierfür fehlt es aber vorliegend an jeglichen Hinweisen.
Einen Nachweis konnten schließlich auch nicht die einvernommenen Zeugen erbringen. Der Zeuge I hat zwar von Gerüchten hinsichtlich des sexuellen Missbrauchs zu Lasten der Tochter des beschuldigten Täters berichtet, hat jedoch hinsichtlich ähnlicher Vorfälle bezüglich der Klägerin nichts gewusst.
Die Ehefrau des Täters hat zwar ausgesagt, sie könne sich Missbrauchshandlungen bezüglich der Klägerin vorstellen, dies genügt jedoch nicht. Auch diese Zeugin ist lediglich Zeugin vom Hörensagen. Einen sexuellen Missbrauch von Kindern zu Lasten ihrer Schwester, der Klägerin, belegt die Aussage in keiner Weise und macht sie auch nicht wahrscheinlich. Aus Sicht des Senats dürfte u.a. aufgrund der Aussage lediglich feststehen, dass die Klägerin öfter - gegebenenfalls regelmäßig - bei ihrer Schwester und dem beschuldigten Täter übernachtet hat. Nicht ganz unwahrscheinlich ist auch, dass sexueller Kontakt zwischen dem Beschuldigten und der Klägerin bestanden hat. Dafür, dass dieser Kontakt jedoch gegen den Willen der Klägerin erfolgt und dass diese noch ein Kind gewesen wäre, besteht aus Sicht des Senats lediglich eine geringe Möglichkeit. Selbst der sexuelle Kontakt an sich ist nicht belegt. Zu beachten dabei ist, dass die Zeugin in der mündlichen Verhandlung lediglich das weitergegeben hat, was ihr der verstorbene Ehemann, der beschuldigte Täter, gesagt hat.
Ein anderes Ergebnis folgt auch nicht daraus, dass der von der Klägerin Beschuldigte strafrechtlich wegen sexuellen Missbrauchs an einem Kind verurteilt worden ist. Denn aufgrund einer Verurteilung kann generell nicht per se auf das Vorliegen einer solchen Tat geschlossen werden, denn nach der Rechtsprechung des BSG gebietet das OEG eine von Straf- und Zivilverfahren unabhängige Beweiswürdigung durch die Tatsachengerichte (vgl. das Urteil des BSG vom 24.04.1991 - 9a/9 RVg 1/89). Vor allem aber ist ein zwingender Rückschluss von einem sexuellen Missbrauch an einer anderen Person auf einen Missbrauch zu Lasten der Klägerin nicht möglich. Aus Sicht des Senats ist die Verurteilung des Beschuldigten durch das Amtsgericht Eggenfelden mit Urteil vom 06.11.2000 lediglich für die Gesamtwürdigung durch den Senat von Bedeutung.
Es muss nicht geklärt werden, was Ursache für die entsprechenden Angaben der Klägerin ist bzw. war. Daher kann offenbleiben, ob diese ggf. ihren psychiatrischen Erkrankungen geschuldet sind bzw. sein können. Es liegt jedoch nahe, dass eine Auseinandersetzung mit den sexuellen Missbrauchshandlungen des Täters zu Lasten ihrer Nichte und des (von der Klägerin erwähnten) älteren Bruders gegenüber ihrer älteren Schwester dazu geführt hat, dass die Klägerin sich auch selbst als Opfer sexuellen Missbrauchs sieht bzw. dass es hier nicht von der Hand zu weisende Einflüsse gibt. Inwieweit daneben die für die Klägerin ungünstigen Lebensereignisse und Entwicklungen eine Rolle spielen, muss offenbleiben. Es dürfte jedoch unbestritten sein, dass sich diese besonders zahlreichen negativen Faktoren ungünstig auf die psychische Gesundheit der Klägerin ausgewirkt haben dürften. Naheliegend ist auch, dass die Angaben der Klägerin dadurch erklärt werden können, dass es sich um falsche bzw. unzutreffende Erinnerungen handelt. Für das Entstehen solcher finden sich vorliegend günstige Bedingungen (s.u.).
Die Angaben der Klägerin zum sexuellen Missbrauch sind nach Auffassung des Senats also auch deshalb nicht einmal glaubhaft im Sinn des § 15 KOV-VfG, geschweige denn nachgewiesen, da die Möglichkeit, dass es sich lediglich um Scheinerinnerungen handelt, kaum weniger wahrscheinlich ist, als die Möglichkeit, dass sich die geschilderten Taten tatsächlich ereignet haben. So finden sich vorliegend für Scheinerinnerungen begünstigende Faktoren, die nach der aussagepsychologischen Fachliteratur anerkannt sind (vgl. z.B. Volbert, Beurteilung von Aussagen über Traumata, 1. Aufl., S. 117 ff.). Für den Senat spricht nämlich viel dafür, dass diese Erinnerungen im Rahmen der "Aufarbeitung" des jeweils wohl tatsächlichen Missbrauchs zu Lasten ihrer Nichte und ihrer älteren Schwester durch die o.g. Personen induziert worden sind (zudem evt. im Rahmen einer medizinischen Therapie). Zudem könnten bei der Klägerin wohl infolge von entsprechenden Bemühungen Erinnerungen entstanden sein.
Weitere Ermittlungen waren nicht veranlasst; insbesondere bestand hierzu keine verfahrensrechtliche Pflicht des Senats. So hat der Senat nicht nur durch Zeugeneinvernahmen den Sachverhalt aufgeklärt, sondern insbesondere auch durch medizinische Ermittlungen.
Ein aussagepsychologisches Gutachten war nicht einzuholen. Davon abgesehen, dass die Beurteilung der Aussagen von Parteien und Zeugen dem Gericht selbst obliegt (siehe Beschluss des BVerfG v. 16.12.2001 - 2 BvR 2099/01, BT- Drucksache 19/13824, 221 und bereits die frühere Rechtsprechung des erkennenden Senats, z.B. Urteil vom 30.04.2015 - L 15 VG 24/09), ist die Beauftragung eines aussagepsychologischen Gutachtens vorliegend bereits wegen der Möglichkeit psychotischer Erkrankungsanteile bei der Klägerin nicht in Frage gekommen, da sich in einem solchen Fall das Berufungsgericht nicht rechtssicher insoweit eine Überzeugung hätte bilden können (vgl. z.B. Högenauer, MedSach 2006, 67, 69; Urteil des Senats vom 26.01.2016 - L 15 VG 30/09; vgl. zusammenfassend auch jurisPK-SGB XIV, 2. Aufl., § 13 SGB XIV, Stand: 24.10.2024, Rn. 215, 217). So ist in dem Bericht von F bereits aus dem Jahr 1997 durchaus dargelegt, dass jedenfalls damals die Diagnosen schwere Angstneurose bei depressiv-hysterischer Persönlichkeitsstruktur, schizoide Abwehr, Borderlinezüge und temporäre psychotische Zustände gestellt worden sind.
Zudem ist - wie eben dargelegt - leicht möglich, dass bei der Klägerin infolge von Bemühungen der Aufarbeitung des sexuellen Missbrauchs zu Lasten anderer Personen in der Familie (unzutreffende) Erinnerungen entstanden sind. Auch aus diesem Grund kam ein aussagepsychologisches Gutachten vorliegend nicht in Betracht (vgl. jurisPK-SGB XIV, 2. Aufl., § 13 SGB XIV, Stand: 24.10.2024, Rn. 216, m.w.N.; s. bereits das Urteil des Senats vom 26.01.2016 - L 15 VG 30/09).
Im Übrigen waren auch Ermittlungen wegen der (wissenschaftlich umstrittenen) theoretischen Möglichkeit der vorübergehenden Verdrängung der Erinnerungen durch die Klägerin nicht veranlasst. Ein aussagepsychologisches Gutachten musste bereits aus den eben geschilderten Gründen ausscheiden. Zudem fehlt es für eine Verdrängung im konkreten vorliegenden Fall an jeglichem belastbaren Beleg; die übersandten Presseveröffentlichungen haben keinerlei Einzelfallbezug (s.o.). Das Gericht ist aber nicht zu Ermittlungen "ins Blaue hinein" verpflichtet (vgl. das Urteil des Senats vom 02.07.2019 - L 15 VJ 8/17; s. z.B. auch Schmidt, in: Meyer-Ladewig/Keller/ders., SGG, 14. Aufl. 2023, § 103, Rn. 8a, m.w.N.). Letztlich kommt es auf die Frage der Verdrängung auch nicht entscheidend an, weil selbst bei Anwendung von § 15 S. 1 KOV-VfG kein anderes Ergebnis des Rechtsstreits folgen würde (s.o.).
Die Berufung hat somit keinen Erfolg und ist zurückzuweisen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Ein Grund für die Zulassung der Revision liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG).