L 10 U 3130/23

Land
Baden-Württemberg
Sozialgericht
LSG Baden-Württemberg
Sachgebiet
Unfallversicherung
Abteilung
10.
1. Instanz
SG Heilbronn (BWB)
Aktenzeichen
S 6 U 1894/22
Datum
2. Instanz
LSG Baden-Württemberg
Aktenzeichen
L 10 U 3130/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Zu den Voraussetzungen einer BK 2109, insbesondere zu unplausiblen und weder mit dem Schadensbild der BK noch dem präventionsdienstlichen Erfahrungswissen vereinbaren Angaben des Versicherten zu den beruflichen Einwirkungen (hier: Fliesenleger).

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 06.10.2023 wird zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind auch im Berufungsverfahren nicht zu erstatten.



Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Anerkennung einer Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2109 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule [HWS] durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen [der HWS] geführt haben) der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV, im Folgenden nur: BK 2109) streitig.

Der 1958 geborene Kläger absolvierte von Anfang September 1974 bis Ende Juni 1977 eine Lehre zum Fliesenleger. Er war in diesem Beruf sodann - unterbrochen durch Wehrdienst (Anfang Oktober 1977 bis Ende Dezember 1978) - bis zum Altersrentenbezug ab 01.02.2022 versicherungspflichtig beschäftigt, zuletzt seit Ende Oktober 1992 im Unternehmen seines Bruders, Fa.
F1, in H1.

Im Rahmen der Prüfung einer anderen BK (Nr. 2102 - Meniskusschäden) gab der Kläger im Mai 2021 gegenüber der Beklagten u.a. an, im Segment C6/7 der HWS an einem Bandscheibenvorfall (Nucleus-Pulposus-Prolaps [NPP]) bei Spinalkanalstenose zu leiden; er bat um Prüfung (auch) einer BK 2109.

Die Beklagte beauftragte den Präventionsdienst mit Ermittlungen. Die Ermittlungsperson
F2 führte in ihrem Protokoll vom 24.09.2021 nach Gespräch mit dem Kläger u.a. aus, dass der Kläger im Rahmen seiner Gesellenausbildung im 1. Lehrjahr zweimal zwei Monate sowie im 2. und 3. Lehrjahr zu etwa 20 v.H. in der Berufsschule gewesen sei, die übrige Zeit auf Baustellen, wobei seinerzeit noch (Zement-)Säcke mit einem Gewicht von 50 kg existiert hätten, die ab 1994 abgeschafft worden seien und seither nur noch mit einem Gewicht von 25 kg gehandelt würden. Für alle Beschäftigungen sei davon auszugehen, dass der Kläger Material z.T. bis in den 5. Stock habe tragen müssen (im Mittel zwei Stockwerke als Referenz), wobei - wenn möglich - ein Zugseil mit Laufrad zum Einsatz gekommen sei. Der Kläger ergänzte das Protokoll u.a. dahingehend, dass im Rahmen seiner Tätigkeit bei der Fa. K1 (Anfang 1984 bis Mitte Oktober 1992) Balkonarbeiten an Mehrfamilien- und „Hoch“-Häusern durchgeführt worden und dass die Arbeitsmaterialien alle über das Gerüst transportiert worden seien. Bezüglich seiner Tätigkeit bei der Fa. F1 hat er angegeben, dass nicht nur auf Balkonen, sondern auch auf Terrassen Waschbeton- und Zementplatten verlegt worden seien; das Material („alles“) habe mit der Hand getragen werden müssen.

In seiner Stellungnahme Arbeitsplatzexposition zur BK 2109 vom 18.10.2021 (S. 52 ff. VerwA) führte die Ermittlungsperson
F2 sodann unter Berücksichtigung der Angaben des Klägers und unter Darstellung der diversen Arbeitsanteile aus, dass der Kläger im Rahmen seiner langjährigen beruflichen Tätigkeit zwar Lasten ≥ 40 kg auf der Schulter oder über der Schulter mit Beteiligung des Rückens getragen habe, ein Schichtanteil von 30 Minuten pro Tag indes nicht erreicht sei, sodass die Berechnung einer kumulativen Gesamtdosis entfalle; wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Stellungnahme Bezug genommen.

Die Staatliche Gewerbeärztin schloss sich in Folge der Auffassung der Beklagten, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 nicht vorlägen, an (gewerbeärztliche Feststellung vom 04.11.2021). Mit Bescheid vom 15.11.2021 verlautbarte die Beklagte sodann, dass beim Kläger keine BK 2109 vorliege. Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, wie Heilbehandlung, Verletztengeld und Rente, seien daher nicht zu gewähren. Der Kläger habe keine Tätigkeiten ausgeführt, bei denen Lasten von mindestens 40 kg auf der Schulter oder über der Schulter mit Beteiligung des Rückens getragen worden seien (gemeint: in der für die BK erforderlichen Regelmäßig- und Häufigkeit). Im Widerspruchsverfahren machte der Kläger im Wesentlichen geltend, dass er aufgrund seiner jahrelangen handwerklichen Tätigkeit täglich „Lasten von mindestens 40 kg auf der Schulter oder über der Schulter mit Beteiligung des Rückens“ trage. Bis 1985 seien die Fliesen nicht geklebt worden, sondern mit Sand und Zement „hinein geklopft“ worden. Für diese Arbeit habe der Kläger nicht nur Zementsäcke mit einem Gewicht von 50 kg die Treppen hinauftragen müssen - früher bis in den 4. Stock ohne Aufzug -, sondern auch Eimer mit Sand und daneben die Fliesen sowie das sonstige Arbeitsmaterial. Er habe nie einen Gehilfen gehabt und in der Zwischenzeit müsse er „über Kopf sehr viele große und schwere Fliesen auch in die Bäder transportieren“; aktuell verlege er 1,50 m große Fliesen auf einer Höhe von 0,60 m. Der Kläger trage „von 7:00 Uhr morgens bis zum Ende seiner Arbeitszeit ständig immer wieder notwendiges Arbeitsmaterial über Kopf die Treppen hinauf“, insgesamt mehr als eine halbe Stunde pro Tag. Es gäbe keinerlei andere Begründung, weshalb seine HWS und seine beiden Schultern derart massiv beeinträchtigt seien, sodass die BK 2109 bei ihm vorliege. Denn danach sei entscheidend, dass Lasten mit einem Lastgewicht von 40 kg oder mehr auf der Schulter oder über der Schulter mit Beteiligung des Rückens während eines Schichtanteils von etwa einer halben Stunde oder mehr getragen würden und der Tragevorgang zu einer Kopfbeugehaltung nach vorne oder seitwärts oder zu einer Verdrehung der HWS führe, was beim Tragen u.a. von Säcken der Fall sei, so auch beim Kläger. Er habe Schmerzen in der Hand (Schmerzstärke 8 von 10), insbesondere nachts. Seine Hände schliefen ein, auch beim Hochtragen der Arbeitsmaterialien, was von der HWS herrühre. Nach dem Hochtragen müsse er daher „in den letzten Jahren“ zunächst eine Pause von einer halben Stunde machen. Aufgrund der HWS-Beschwerden werde er nunmehr seine berufliche Tätigkeit aufgeben und eine vorgezogene Altersrente in Anspruch nehmen. Die Klägerseite legte zudem den Entlassungsbericht der Ärzte der
B1-Klinik K2 vom 25.01.2022 vor (stationäre Rehabilitation zu Lasten der Rentenversicherung vom 04. bis 25.01.2022, Diagnose u.a.: Zervikobrachialgie beidseits bei degenerativen Veränderungen, magnetresonanztomographisch: kongenital eng angelegter zervikaler Spinalkanal, zusätzlich Spondylose, Osteochondrose mit Protrusion, relative Spinalkanalstenose und linksbetonte Neuroforamenengen C5/6 und C6/7).

Ergänzend zum schriftsätzlichen Vorbringen wurde der Kläger sodann von der Ermittlungsperson
F2 erneut persönlich angehört. Der Kläger machte ausweislich des Gesprächsprotokolls vom 18.02.2022 (S. 84 ff. VerwA) - das er unter dem 16.03.2022 mit „gelesen und einverstanden“ unterschrieb - weitere Angaben zu seinen Tragegewichten und „Laufwegen“ im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeiten als Fliesenleger seit Ausbildungsbeginn; wegen der diesbezüglichen Einzelheiten wird auf das genannte Protokoll verwiesen.

Die Ermittlungsperson
F2 wies in ihrer Stellungnahme Arbeitsplatzexposition vom 22.03.2022 (S. 120 ff. VerwA) - auf die hier ebenfalls wegen der weiteren Einzelheiten Bezug genommen wird - darauf hin, dass der Kläger auch mit seinen weiteren Ergänzungen lediglich vage Angaben zu den durchschnittlichen Gewichten und zu den Zeitanteilen habe machen können. Soweit die Angaben des Klägers plausibel und für die Frage der angeschuldigten BK überhaupt relevant seien - so unterfalle namentlich der Transport von Arbeitsmaterial „über Kopf“ und das Tragen von Lastgewichten auf bzw. über der Schulter unter 40 kg schon nicht der BK - ergäbe sich gleichwohl weiterhin kein Schichtanteil i.S.d. BK 2109 von 30 Minuten pro Tag und zwar bei weitem nicht. Dabei sei im Rahmen der Expositionsberechnung (s. im Einzelnen S. 125 ff. VerwA) zugunsten des Klägers bereits von einem nachvollziehbaren - er habe sowohl im Erdgeschoß als auch im 4. Stock gearbeitet - durchschnittlichen Tragelaufweg von 25 m und Sacktragegewichten von zunächst 50 kg und später 40 kg ausgegangen worden. Dass der Kläger an einem Tag 66 Säcke mit Fertigestrich à 40 kg allein getragen und auch verarbeitet haben will, sei zwar unwahrscheinlich, aber auch dies läge der Expositionsberechnung zu seinen Gunsten als „worst case“-Annahme zugrunde und ändere nichts am Nichterreichen einer bk-relevanten Tagesdosis. Was den angegebenen Fliesentransport anbelange, sei von einem Gewicht von maximal 30 kg auszugehen, wobei Fliesen mit Kantenlängen über 40 cm üblicherweise ohnehin nicht auf der Schulter getragen würden (näher ausgeführt), was der Kläger im Rahmen der zweiten Besprechung auch ausdrücklich als nachvollziehbar angesehen habe.

Mit Widerspruchsbescheid vom 23.06.2022 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers zurück. Es bestehe kein Anlass, von der schlüssigen und nachvollziehbaren Beurteilung des Präventionsdienstes abzuweichen. Ein Schichtanteil bandscheibenbelastender Tätigkeiten der HWS von zumindest 30 Minuten liege nicht vor; dabei sei bereits eine sog. Zugunstenbetrachtung vorgenommen worden.

Hiergegen hat der Kläger am 26.07.2022 beim Sozialgericht Heilbronn (SG) mit dem Begehren Klage erhoben, die Beklagte unter Abänderung der Bescheide zur Feststellung einer BK 2109 zu verurteilen. Zur Begründung hat er sein Vorbringen aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und „bestritten“, dass er mit „den“ Gewichten durchschnittlich einen Laufweg von 25 m zurückgelegt habe. Der Laufweg sei deutlich länger gewesen, wobei insbesondere berücksichtigt werden müsse, dass der Kläger „die notwendigen Materialien“ mehrmals am Tag bzw. „nicht auf einmal“ nach oben habe tragen müssen.

Auf Nachfrage des SG hat der Kläger sodann ergänzend vorgebracht, dass „zu Beginn“ seiner Ausbildung sein Arbeitsalltag „bis zum Eintritt der Rente“ aus der Beladung des Geschäftsautos mit schweren Materialien (Säcke mit Zement und Gips sowie Fliesen und weitere Baustoffe; Gewicht der Säcke: bis zu 50 kg, Gewicht der Kartons mit den Fliesen: bis zu 30 kg) bestanden habe, wobei „der Materialtransport“ täglich über 30 Minuten betragen habe, ebenso wie die Entladung auf der Baustelle sowie das anschließende Schleppen der schweren Materialien in beliebige Stockwerke ohne Aufzug und ohne Hilfsmittel. Die Materialien hätten alle über der Schulter „oder vor dem Körper“ transportiert werden müssen, er sei „immer alleine als Fliesenleger auf der Baustelle“ gewesen. Die Fliesenarbeiten und die dazugehörigen Vor- und Nacharbeiten hätten die Bereiche Balkone, Terrassen, Treppenhäuser, Bäder, WC, Küchen sowie Böden umfasst und seine Körperhaltung sei überwiegend kniend, gebückt oder hockend gewesen.

Auf weitere Nachfrage des SG, was konkret an der präventionsdienstlichen Beurteilung moniert werde, hat die Klägerseite geltend gemacht, dass „die Fliesen“, die der Kläger habe transportieren müssen, nicht berücksichtigt worden seien, ebenso wenig wie das Beladen des Geschäftsautos, die Entladung auf der Baustelle sowie den anschließenden Materialtransport in beliebige Stockwerke zu Fuß und ohne Hilfsmittel. Unter Berücksichtigung dessen und der übrigen Angaben des Klägers zum Transport von Säcken mit Zement und Gips, der Fliesen und weiterer Baustoffe, wobei das Gewicht bis zu 50 Kilo pro Sack betragen habe, ergebe sich, dass die erforderliche Exposition pro Schicht erreicht sei. Zudem sei auch die Annahme des Präventionsdienstes, im ersten Lehrjahr seien (nur) vier Zementsäcke mit einer Gesamtdauer von 2 Minuten pro Tag transportiert worden, unzutreffend. Es sei unmöglich innerhalb von 2 Minuten pro Tag die Einladung, Entladung und den Transport der Materialien vor Ort durchzuführen. Diese zu geringe Minutenanzahl „ziehe sich durch“ bei allen Arbeitszeiten des Klägers.

Die Beklagte ist dem Klägervortrag mit der Stellungnahme Arbeitsplatzexposition der Ermittlungsperson
F2 vom 30.05.2023 entgegengetreten. Das Thema „Gewicht der Fliesen“ sei mit dem Kläger ausführlich besprochen worden, was sich aus der Stellungnahme vom 22.03.2022 ergebe. Der Kläger sei seinerzeit insbesondere darauf hingewiesen worden, dass Fliesenpakete mit einem Gewicht von mindestens 40 kg aus Gründen der Handhabbarkeit und Transportsicherheit überhaupt nicht gehandelt würden und er habe dem nicht widersprochen. Bei der Expositionsberechnung seien indes nur Lasten von mindestens 40 kg zu berücksichtigen. Was das Gewicht der (Putz-)Säcke anbelange, würden diese nur bis zu einem Gewicht von 40 kg gehandelt und üblicherweise benutzten Fliesenleger 25 kg schwere Säcke, eben um einerseits nicht zu schwer tragen zu müssen, andererseits, weil die Fliesenfläche in Bädern im Schnitt höchstens 25 qm betrage. Zugunsten des Klägers sei bei der Expositionsberechnung gleichwohl von 40 kg ausgegangen worden. Soweit ferner moniert werde, dass es unmöglich sei, innerhalb von 2 Minuten pro Tag die Einladung in den Transporter und die Entladung an der Arbeitsstätte auszuführen, liege dem eine unzutreffende Annahme zugrunde. Nach der Wissenschaftlichen Stellungnahme zur BK 2109 (Bek. des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales [BMAS] vom 01.12.2016 - IVa 4-45222 - 2109 - GMBl. vom 31.01.2017, S. 29 ff.) sei beim Transport von Lasten - auf der Schulter und mit einem Gewicht von mindestens 40 kg - für jeden gelaufenen Meter eine Zeit von 1 Sekunde, also die typische Gehgeschwindigkeit, anzunehmen. Die Tragezeit ergebe sich dabei aus der Entfernung in Meter und der Häufigkeit der Tragevorgänge, bei 4 Säcken und einer Entfernung von jeweils 25 m betrage sie somit gerundet 2 Minuten (4 x 25 m = 100 m = 100 Sekunden = 1 Minute und 40 Sekunden). Bei der angenommenen Distanz von 25 m mit Beladung des Transportfahrzeugs im Betrieb oder beim Baustoffhändler bzw. Entladung auf der Baustelle handele es sich um einen Durchschnittslaufweg, der plausibel und mit dem Kläger bei der Befragung am 17.02.2022 auch besprochen worden sei, was sich dem Protokoll vom 18.02.2022 entnehmen lasse; dieses Protokoll habe der Kläger ohne Korrekturen akzeptiert und unterschrieben. Es bleibe insgesamt dabei, dass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 nicht erfüllt seien.

Die Klägerseite hat ihr Vorbringen sodann wiederholt. Es müssten „doppelte“ Wege berücksichtigt werden, weil der Kläger das Auto habe be- und entladen müssen. Auch habe der Präventionsdienst weiterhin nicht erfasst, dass der Kläger „oftmals die Materialien“ zu Fuß die Treppen hinauf habe transportieren müssen. Die Entfernung von 25 m entspreche unter Berücksichtigung der Schilderung des Klägers nicht den Tatsachen. Der Kläger habe wiederholt mitgeteilt, dass der Materialtransport täglich über 30 Minuten betragen habe. Unter Berücksichtigung dessen sei davon auszugehen, dass er tatsächlich mindestens 1.800 m pro Tag „mit den Materialien“ zurückgelegt habe. Die arbeitstechnischen Voraussetzungen lägen mithin vor.

Nach Anhörung der Beteiligten hat das SG die Klage mit Gerichtsbescheid vom 06.10.2023 als unbegründet abgewiesen. Eine schädigende Einwirkung i.S.d. BK 2109 in Gestalt des Tragens von Lasten ab einem Gewicht von 40 kg auf der Schulter zumindest 30 Minuten pro Arbeitsschicht 
sei vollbeweislich nicht erwiesen. Dabei hat sich das SG auf die präventionsdienstlichen Stellungnahmen gestützt, die überzeugend seien und gerade auch auf den Angaben des Klägers im Verwaltungsverfahren - soweit plausibel - beruhten, wobei bereits eine „worst case“-Betrachtung vorgenommen worden sei. Ohnehin seien zahlreiche Tragetätigkeiten von vornherein nicht zu berücksichtigen, da sie entweder keine 40 kg erreichten oder der Transport nicht auf der Schulter erfolgt sei. Ein bloßer täglicher Materialtransport von 30 Minuten genüge für die BK 2109 gerade nicht und dass der Kläger pro Tag 1.800 m mit Lasten von 40 kg und mehr auf der Schulter zurückgelegt habe, sei nicht plausibel.

Gegen den - seinen Prozessbevollmächtigten am 09.10.2023 zugestellten - Gerichtsbescheid hat der Kläger am 09.11.2023 beim SG Berufung eingelegt, mit der er sein erstinstanzliches Begehren weiterverfolgt. Zur Begründung hat die Klägerseite ihr erstinstanzliches Vorbringen wiederholt und ergänzend gemeint, dass sich der Präventionsdienst erfahrungsgemäß „nie oder selten“ korrigiere. Es werde ausdrücklich „die Amtsermittlungspflicht“ des SG gerügt. Es sei nicht davon auszugehen, dass dieses seiner Verpflichtung dahingehend nachgekommen sei. Von Amts wegen hätte ermittelt werden müssen. Die tatsächliche „Arbeitsbelastung“ des Klägers sei aufzuklären.

Der Kläger beantragt,

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Heilbronn vom 06.10.2023 sowie den Bescheid der Beklagten vom 15.11.2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23.06.2022 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, bei ihm die Berufskrankheit Nr. 2109 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung festzustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.
Sie hält die angefochtenen Entscheidungen für zutreffend.

Die Beteiligten haben ihr Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung erklärt.

Zur weiteren Darstellung des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten sowie der Prozessakten beider Rechtszüge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht eingelegte und gemäß den §§ 143, 144 SGG statthafte Berufung des Klägers, über die der Senat mit Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung durch Urteil gemäß § 153 Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 SGG entscheidet, ist zulässig, aber unbegründet.

Gegenstand des Rechtsstreits ist der Bescheid der Beklagten vom 15.11.2021 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 23.06.2022, soweit es die Beklagte damit abgelehnt hat, beim Kläger eine BK 2109 festzustellen. Soweit die Beklagte im Ausgangsbescheid noch (nur pauschal) ausgeführt hat, dass „Leistungen aus der gesetzlichen Unfallversicherung, wie Heilbehandlung, Verletztengeld und Rente nicht gewährt würden“, kommt dem hier keine eigenständige Bedeutung zu (vgl. dazu nur Bundessozialgericht [BSG] 27.09.2023, B 2 U 13/21 R, in juris, Rn. 10; 28.06.2022, B 2 U 16/20 R, in juris, Rn. 10; 16.03.2021, B 2 U 7/19 R, in juris, Rn. 11, alle m.w.N., st. Rspr.); ohnehin hat der Kläger mit Klage und Berufung keine (konkreten) Leistungen geltend gemacht.

Das SG hat die - als kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Var. 1 und 3, § 56 SGG) statthafte (s. dazu statt vieler nur BSG 27.09.2023, B 2 U 8/21 R, in juris, Rn. 9 m.w.N., st. Rspr.) und auch ansonsten zulässige - Klage zu Recht aus sachlich-rechtlichen Gründen abgewiesen. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Feststellung seiner Veränderungen im Bereich der HWS als BK 2109. Der Bescheid vom 15.11.2021 in der Gestalt (§ 95 SGG) des Widerspruchsbescheids vom 23.06.2022 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten.

Berufskrankheiten sind nach § 9 Abs. 1 Satz 1 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) Krankheiten, die die Bundesregierung durch Rechtsverordnung mit Zustimmung des Bundesrats als Berufskrankheiten bezeichnet und die Versicherte infolge einer der den Versicherungsschutz nach den §§ 2, 3 oder 6 SGB VII begründenden Tätigkeit erleiden. Die Bundesregierung ist ermächtigt, in der Rechtsverordnung Erkrankungen als Berufskrankheiten zu bezeichnen, die nach den Erkenntnissen der medizinischen Wissenschaft durch besondere Einwirkungen verursacht sind, denen bestimmte Personengruppen durch ihre versicherte Tätigkeit in erheblich höherem Grad als die übrige Bevölkerung ausgesetzt sind (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Halbsatz 1 SGB VII). Hierzu zählen nach Nr. 2109 der Anlage 1 zur BKV (in der seit dem 01.01.2021 geltenden Fassung des Art. 24 Nr. 3 lit. a und d Siebtes Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 12.06.2020, BGBl. I S. 1248; gegenüber der ab dem 01.07.2009 geltenden vormaligen Normfassung ist der vorliegend nicht relevante sog. Unterlassungszwang weggefallen und der Gesetzgeber hat lediglich klargestellt, dass insbesondere Rückenbeschwerden in ihrer allgemeinen Form weiterhin keine BK darstellen, s. BT-Drs. 19/17586, S. 134 f. m.w.N.; Senatsurteil vom 23.03.2023, L 10 U 4071/19, n.v.) bandscheibenbedingte Erkrankungen der HWS durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen (der HWS) geführt haben.

Für die Anerkennung einer BK 2109 (alter wie neuer Fassung) müssen mithin folgende Tatbestandsmerkmale gegeben sein: Bei dem Versicherten muss eine bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS vorliegen, die zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen der HWS geführt hat und diese muss (sog. arbeitstechnische Voraussetzungen) durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter verursacht sein (s. dazu im Einzelnen „Merkblatt zur BK Nr. 2109: Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Halswirbelsäule durch langjähriges Tragen schwerer Lasten auf der Schulter, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können“, Bek. des Bundesministeriums für Arbeit [BMA], BArbBl. 3/93 S. 53, Abschn. I und IV; Wissenschaftliche Stellungnahme a.a.O. S. 29 f.; Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Aufl. 2024, S. 1449 f.).

Nach dem zugrunde zu legenden aktuellen medizinisch-wissenschaftlichen Kenntnisstand (s. dazu nur BSG 16.03.2021, B 2 U 11/19 R, in juris, Rn. 31 m.w.N.) aufgrund Studienlage und epidemiologischer Erkenntnisse (s. im Einzelnen Wissenschaftliche Stellungnahme a.a.O. S. 30 ff.; Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O. m.w.N.; Römer in Hauck/​Noftz, SGB VII, BK-Nr. 2108-2110, Rn. 13a, Stand Februar 2023; dadurch teilweise überholt BSG 04.07.2013, B 2 U 11/12 R, in juris; s. dazu bereits Landessozialgericht [LSG] Baden-Württemberg 17.11.2020, L 9 U 3225/15, in juris, Rn. 38 m.w.N.; vgl. auch LSG Hamburg 14.09.2022, L 2 U 12/22, in juris, Rn. 34; Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O. S. 1450 m.w.N.) müssen aus ärztlich-sachverständiger Sicht zur Erfüllung der arbeitstechnischen Voraussetzungen folgende Kriterien kumulativ erfüllt sein (sog. unteres Abschneidekriterium der arbeitsbedingten Einwirkungen): Der Versicherte muss Lasten mit einem Lastgewicht von 40 kg oder mehr auf der Schulter oder über der Schulter mit Beteiligung des Rückens während eines Schichtanteils von etwa einer halben Stunde oder mehr getragen haben, der Tragevorgang muss zu einer Kopfbeugehaltung nach vorne oder seitwärts oder zu einer Verdrehung der Halswirbelsäule geführt haben (namentlich:
Tragen von Tierkörperteilen und Säcken sowie Balken, Rohren, Baumstämmen, Schläuchen, Kabeln oder ähnlichen Lasten auf der Schulter oder über der Schulter mit Beteiligung des Rückens) und beides muss mit einer kumulativen Gesamtbelastung i.H.v. mindestens 4,4 x 104 (kg x h) einhergegangen sein (Wissenschaftliche Stellungnahme a.a.O.; Schönberger/Mehrtens/Valentin a.a.O. S. 1449).

Dabei müssen die anspruchsbegründenden Tatsachen, nämlich die versicherte Tätigkeit (vorliegend für die versicherte Tätigkeit des Klägers als Fliesenleger ab Anfang September 1974 unstreitig gegeben), die schädigende Einwirkung einschließlich deren Art und Ausmaß sowie die als Folge geltend gemachte Gesundheitsstörung (hier also die bandscheibenbedingte Erkrankung der HWS nach näherer Maßgabe der medizinischen Voraussetzungen der BK 2109, s. dazu noch später) erwiesen sein, d.h. bei vernünftiger Abwägung des Gesamtergebnisses des Verfahrens muss der volle Beweis für das Vorliegen der genannten Tatsachen als erbracht angesehen werden können (statt vieler nur BSG 16.03.2021, B 2 U 7/19 R, in juris, Rn. 27; 02.05.2001, B 2 U 16/00 R, in juris, Rn. 19, st. Rspr.). Hingegen genügt hinsichtlich des ursächlichen Zusammenhangs zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung (haftungsbegründende Kausalität) sowie der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung (haftungsausfüllende Kausalität) eine hinreichende Wahrscheinlichkeit (BSG a.a.O.; vgl. auch BSG 30.04.1985, 2 RU 43/84, in juris, Rn. 15 ff., m.w. Ausführungen zur Begründung); hinreichende Wahrscheinlichkeit bedeutet, dass bei vernünftiger Abwägung aller wesentlichen Gesichtspunkte des Einzelfalls mehr für als gegen einen Ursachenzusammenhang sprechen muss, wobei dieser namentlich nicht schon dann wahrscheinlich ist, wenn er bloß möglich erscheint (statt vieler nur BSG 02.05.2001, B 2 U 16/00 R, a.a.O.; 02.11.1999, B 2 U 47/98 R, in juris, Rn. 14). Kommen mehrere Ursachen in Betracht (konkurrierende Kausalität), so sind nur solche Ursachen als rechtserheblich anzusehen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich beigetragen haben (s. dazu nur BSG 04.05.1999, B 2 U 14/98 R, in juris, Rn. 20; 07.06.1988, 8/5a RKnU 4/87, in juris, Rn. 13 ff. m.w.N.). Kann ein behaupteter Sachverhalt nicht nachgewiesen oder der ursächliche Zusammenhang nicht hinreichend wahrscheinlich gemacht werden, so geht dies nach dem im sozialgerichtlichen Verfahren geltenden Grundsatz der objektiven materiellen Beweislast zu Lasten des Beteiligten, der aus diesem Sachverhalt Rechte herleitet, bei den anspruchsbegründenden Tatsachen also zu Lasten des jeweiligen Klägers (dazu nur BSG 10.08.2021, B 2 U 2/20 R, in juris, Rn. 22 m.w.N., st. Rspr.).

Unter Zugrundelegung dieser Maßstäbe hat das SG in den Entscheidungsgründen des angefochtenen Gerichtsbescheids zu Recht auf der Grundlage der auch für den Senat schlüssig und nachvollziehbaren sowie ausführlichen und fachkundigen Expositionsstellungnahmen der Ermittlungsperson
F2 vom 18.10.2021 und 22.03.2022 (beide im Wege des Urkundsbeweises verwertbar) sowie vom 30.05.2023 (als qualifiziertes Beteiligtenvorbringen verwertbar) mit Expositionsberechnung aufgrund der vom Kläger im Verwaltungsverfahren selbst gemachten Angaben - soweit hinreichend konkret, plausibel, mit dem präventionsdienstlichen belastungskundlichen Erfahrungswissen von vergleichbaren Arbeitsplätzen zumindest ansatzweise vereinbar und für die angeschuldigte BK überhaupt relevant (s. dazu noch sogleich) - zutreffend ausgeführt, dass vollbeweislich nicht angenommen werden kann, dass der Kläger im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Fliesenleger Lasten mit einem Gewicht von 40 kg oder mehr langjährig in einem Umfang von zumindest 30 Minuten pro Arbeitsschicht auf der Schulter oder über der Schulter mit Beteiligung des Rückens getragen hat und dass die kumulative Gesamtbelastung erreicht ist, sodass die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 nicht erfüllt sind. Zu Recht ist das SG ferner davon ausgegangen, dass auch der Vortrag des Klägers im Klageverfahren nicht geeignet ist, die präventionsdienstlich zugrunde gelegten Grundlagen und das Ermittlungsergebnis in Zweifel zu ziehen. Der Senat sieht daher insoweit von einer weiteren Darstellung der Entscheidungsgründe ab und weist die Berufung gemäß § 153 Abs. 2 SGG aus den Gründen der angefochtenen Entscheidung zurück.

Ergänzend, auch zum Berufungsvorbringen, sieht sich der Senat zu den folgenden weiteren Ausführungen veranlasst:

Die Angaben des Klägers zu seinen beruflichen Belastungen als Fliesenleger lassen überwiegend schon keinen Bezug zur angeschuldigten BK erkennen. So ist namentlich das Tragen von Lasten über Kopf bzw. vor dem Körper schon keine belastende Einwirkung i.S.d. BK 2109 (s. dazu bereits Senatsurteil vom 13.12.2012, L 10 U 1688/12, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Ebenso spielt das Tragen von Lasten mit einem Gesicht von weniger als 40 kg keine Rolle. Dies gilt auch für die vom Kläger im gerichtlichen Verfahren in den Vordergrund gerückten Be- und Entladevorgänge aus dem Auto. Unabhängig davon, dass auch diese Verrichtungen nur pauschal beschrieben worden sind, fallen bloße Hebe- und Transportvorgänge ebenso wie die Anzahl entsprechender Hübe schon nicht in das Belastungsbild der BK 2109, denn anders als bei der vorliegend nicht streitgegenständlichen BK 2108 (bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule [LWS] durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugenhaltung, die zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen [der LWS] geführt haben) hat das Heben von Lasten bereits nach dem Wortlaut der BK 2109 keine Bedeutung und Heben selbst führt auch nicht zu der geforderten (s.o.), weil gefährdenden, Zwangshaltung der HWS (s. dazu bereits Senatsurteil vom
26.01.2017, L 10 U 492/15, www.sozialgerichtsbarkeit.de). Wie bereits oben dargelegt, umfasst die bei der BK 2109 erforderliche Einwirkung allein das Tragen von Lasten mit einem Lastgewicht von 40 kg oder mehr auf der Schulter oder über der Schulter mit Beteiligung des Rückens und auch nur dann, wenn der Tragevorgang zu einer Kopfbeugehaltung nach vorne oder seitwärts oder zu einer Verdrehung der HWS geführt hat.

Damit ist zugleich dem - wiederum nur pauschalen - Vorbringen der Klägerseite, die Be- und Entladeverrichtungen müssten stärker gewichtet und die Transportlaufwege des Klägers „verdoppelt“ werden, der Boden entzogen. Ohnehin ist die erstmals im Klageverfahren aufgestellte (ebenfalls nur pauschal gebliebene) Behauptung, der Kläger habe pro Tag - ohne weitere zeitliche Einordnung, also wohl zeit seines gesamten Arbeitslebens - 1.800 m mit „Material“ bzw. jedenfalls mit Lasten von 40 kg und mehr auf der Schulter zurückgelegt, schlechterdings unplausibel, worauf die Ermittlungsperson F2 unter Berücksichtigung der Lebenswirklichkeit in der Arbeitswelt eines Fliesenlegers respektive der präventionsdienstlichen Erfahrungen mit vergleichbaren Arbeitsplätzen zutreffend hingewiesen hat und was für den Senat schon in Ansehung des Umstands, dass der Kläger nicht als Transporthelfer oder Ähnliches, sondern eben als Fliesenleger - nach seinen Angaben im Klageverfahren als solcher auch immer allein auf den Baustellen tätig - beschäftigt gewesen ist. Insoweit wird nur am Rande zur Veranschaulichung darauf aufmerksam gemacht, dass selbst bei den typischerweise gefährdeten Fleisch- und Kohleträgern - dereinst „Zielgruppe“ der BK - die reine Tragezeit (lediglich) eine halbe bis zu eineinviertel Stunden arbeitstäglich betrug (s. auch dazu bereits Senatsurteil vom 26.01.2017, L 10 U 492/15, a.a.O. m.w.N.).

In diesem Zusammenhang ist ferner darauf hinzuweisen, dass die Ermittlungsperson
F2 im Rahmen der Expositionsberechnung sogar zugunsten des Klägers eingestellt hat, dass der Kläger an einem Tag 66 Säcke mit Estrichmaterial transportiert und allein verarbeitet haben will - der Senat erachtet dies als gänzlich unplausibel (F2: „unwahrscheinlich“) -, was gleichwohl die erforderliche Tagesdosis nicht erfüllt (s. die Berechnung S. 129 VerwA) und was ohnehin insoweit auch keine regelmäßige und „langjährige“ Belastung i.S.d. BK darstellt.

Soweit die Klägerseite im gerichtlichen Verfahren weiter behauptet hat - wiederum nur pauschal, ohne Differenzierung zwischen den Beschäftigungen und teilweise konträr zu den Angaben des Klägers selbst gegenüber der Ermittlungsperson
F2 - „die Materialen“ bzw. Säcke hätten (immer) ein Gewicht von „bis zu 50 kg“ gehabt, ist dies für die Zeit bis in die frühen 1990er Jahre von der Ermittlungsperson berücksichtigt worden; für die Zeit danach zu Recht nicht, denn die vom Kläger angegebenen (Zement-)Säcke werden seither nicht mehr mit dieser Gewichtsklasse, sondern nur noch mit deutlich geringerem Gewicht gehandelt (vgl. auch dazu bereits
Senatsurteil vom 13.12.2012, L 10 U 1688/12, a.a.O. sowie die entsprechenden Ausführungen in den hiesigen Expositionsstellungnahmen); Entsprechendes gilt hinsichtlich der Fliesenpakete, was die Ermittlungsperson F2 ebenso ausführlich wie anschaulich und überzeugend dargelegt hat.

Dem ist der Kläger selbst im Rahmen seiner Besprechungen mit der Ermittlungsperson F2 im Verwaltungsverfahren auch nicht entgegengetreten, worauf in der präventionsdienstlichen Stellungnahme vom 30.05.2023 zu Recht aufmerksam gemacht worden ist. Der Senat bewertet das klägerseitige Vorbringen im gerichtlichen Verfahren insoweit als reinen interessengeleiteten Prozessvortrag. Im Übrigen hat die Ermittlungsperson ihrer (Günstigkeits-)Berechnung ohnehin 40 kg-Lasten zugrunde gelegt, soweit die Angaben des Klägers zu den Tragezeitangaben auch nur ansatzweise plausibel gewesen sind, ohne dass damit die erforderlichen arbeitsbedingten Mindesteinwirkungen erfüllt sind. Insoweit merkt der Senat an, dass dabei sogar Tragearten zugunsten des Klägers berücksichtigt worden sind („über“ Kopf und vor dem Körper haltend), die überhaupt nicht der BK 2109 unterfallen (s.o.) und obgleich die Angaben des Klägers insoweit überhaupt keine konkrete, zeitliche Abgrenzung hinsichtlich der allein maßgeblichen Belastungsentität der angeschuldigten BK zulassen. Der pauschale Vortrag, es seien im Rahmen einer Fliesenlegertätigkeit über einen Zeitraum von mehr als 45 Jahren an jedem Arbeitstag „schwere“ Gewichte - jedenfalls über 40 kg - „irgendwie“ bewegt worden und dies jeweils in einem Umfang von mehr als einer halben Stunde pro Schicht ist nicht geeignet, die arbeitstechnischen Mindesteinwirkungen der BK 2109 nach Art und Umfang auch nur plausibel zu machen.

Auch im Übrigen macht sich der Senat die überzeugenden Ausführungen der Ermittlungsperson
F2 in dessen Expositionsstellungnahmen zu eigen und nimmt darauf vollumfänglich Bezug. Die entgegenstehenden Angaben der Klägerseite im Verfahren sind - weil unkonkret sowie an den BK-Maßstäben vorbeigehend - insgesamt nicht geeignet, die präventionsdienstliche Beurteilung zu erschüttern. Deswegen spielt es auch keine Rolle, wenn die Prozessbevollmächtigte (wiederum nur pauschal) meint, „der Präventionsdienst“ - wobei schon unklar ist, ob damit konkret der der Beklagten gemeint ist - würde seine Beurteilungen „selten oder nie“ korrigieren, denn vorliegend hat ob des klägerischen Vorbringens keinerlei Veranlassung zu einer irgendwie gearteten Korrektur bestanden, was die Ermittlungsperson F2 ebenfalls gut nachvollziehbar dargelegt hat.

Soweit der Kläger schließlich noch seine Arbeitshaltung beim Fliesenlegen thematisiert hat, ist dies für die angeschuldigte BK gänzlich ohne Bedeutung; die typischen „Fliesenleger-Berufskrankheiten“ sind - auch dies nur am Rande - die BK 2102 (Meniskusschäden nach mehrjährigen andauernden oder häufig wiederkehrenden, die Kniegelenke überdurchschnittlich belastenden Tätigkeiten) und 2112 (Gonarthrose durch eine Tätigkeit im Knien oder vergleichbare Kniebelastung mit einer kumulativen Einwirkungsdauer während des Arbeitslebens von mindestens 13.000 Stunden und einer Mindesteinwirkungsdauer von insgesamt einer Stunde pro Schicht), über die hier nicht zu befinden ist.

Nach alledem liegen mithin auch zur Überzeugung des Senats die arbeitstechnischen Voraussetzungen der BK 2109 beim Kläger nicht vor, sodass sie bereits aus diesem Grund bei ihm nicht festgestellt werden kann.

Der entscheidungserhebliche Sachverhalt ist hinreichend geklärt. Die präventionsdienstlichen Stellungnahmen aufgrund der klägerischen Angaben selbst - soweit diesen gefolgt werden kann und sie überhaupt hinreichend konkret gewesen sind respektive einen Bezug zur vorliegend angeschuldigten BK aufweisen (s.o.) - haben dem Senat die erforderlichen Grundlagen für seine Überzeugungsbildung vermittelt. Soweit die Prozessbevollmächtigte des Klägers (nur pauschal) gemeint hat, das SG habe von Amts wegen erforderliche Ermittlungen unterlassen, ist dies zum einen schon unzutreffend - die weitere Stellungnahme der Ermittlungsperson
F2 vom 30.05.2023 wurde gerade in Ansehung des Klagevortrags veranlasst -, zum anderen im Berufungsverfahren prozessual überholt, nachdem der Senat gerade als Tatsachengericht entscheidet (vgl. § 157 SGG). Freilich hat die Klägerseite auch im Rechtsmittelverfahren schon nicht konkret dargetan, was genau und wie hätte weiter ermittelt werden müssen. Derartiges ist für den Senat auch nicht ersichtlich, zumal Ausgangspunkt von Ermittlungen über Einwirkungen an Arbeitsplätzen im Laufe eines gesamten Berufslebens (vorliegend von Anfang September 1974 bis Ende Januar 2021) zunächst zuvörderst die Angaben des Versicherten selbst sind. Wie oben dargelegt, haben sich daraus indes gerade keine konkreten und nachvollziehbaren Anknüpfungstatsachen ergeben, die auf ein Erreichen der erforderlichen Mindestexposition auch nur schließen lassen; den diesbezüglich gebotenen Ermittlungen und Expositionsberechnungen ist mit den eingeholten Stellungnahmen des Präventionsdienstes hinreichend nachgekommen worden. Ohnehin kommen „Ausforschungsermittlungen“ nicht in Betracht; die Gerichte müssen ohne konkrete Anhaltspunkte auch nicht ins Blaue hinein ermitteln (dazu statt vieler nur BSG 24.02.2021, B 13 R 79/20 B, in juris, Rn. 14 m.w.N., auch zur Rspr. des Bundesverfassungsgerichts).

Abschließend merkt der Senat nur noch am Rande an, dass ausgehend von dem im Reha-Entlassungsbericht vom 25.01.2022 (urkundsbeweislich verwertbar) dokumentierten Befunden auch das Vorliegen der medizinischen Voraussetzungen der BK 2109 nicht erkennbar, geschweige denn hinreichend wahrscheinlich ist. Denn danach - auch in Übereinstimmung mit den Angaben des Klägers selbst im Mai 2021 gegenüber der Beklagten (Bandscheibenvorfall im Segment C6/7 der HWS) - bestehen die Veränderungen im Bereich der unteren HWS (Segmente C5/6 und C6/7), nicht jedoch in den oberen und mittleren Etagen. Wie der Senat schon mehrmals auf der Grundlage des amtlichen Merkblatts (a.a.O. Abschn. II), der - auch weiterhin aktuellen - unfallmedizinisch-wissenschaftlichen Erkenntnisse (vgl. Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Aufl. 2024, S. 1450, 1428) sowie ärztlich-sachverständiger Beurteilung entschieden hat (z.B. Senatsurteile vom 23.03.2023, L 10 U 4071/19, n.v.; vom 26.01.2017, L 10 U 492/15 und vom 25.09.2014, L 10 U 5014/12, beide www.sozialgerichtsbarkeit.de), sind bei einem beruflich bedingten, belastungskonformen Schadensbild i.S.d. BK 2109 dem Lebensalter vorauseilende Erkrankungen gerade im Bereich der höheren Segmente der HWS - also oberhalb
von C5/6 bis zu C2/3 - zu erwarten, die in der Allgemeinbevölkerung weniger häufig anzutreffen sind; mit der BK 2109 werden nicht bloße degenerative Veränderungen wie z.B. Osteochondrose oder Spondylose und auch keine allgemeinen Rückenbeschwerden - geschweige denn Veränderungen im Bereich der Schultern - entschädigt, sondern allein bandscheibenbedingte Erkrankungen der HWS im soeben weiter beschriebenen Sinne (s. dazu nur BT-Drs. a.a.O.; Merkblatt a.a.O. Abschn. IV; Senatsurteil vom 23.03.2023, L 10 U 4071/19).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.


 

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Aus
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