L 10 KR 517/24

Land
Nordrhein-Westfalen
Sozialgericht
LSG Nordrhein-Westfalen
Sachgebiet
Krankenversicherung
Abteilung
10
1. Instanz
SG Münster (NRW)
Aktenzeichen
S 4 KR 285/23
Datum
2. Instanz
LSG Nordrhein-Westfalen
Aktenzeichen
L 10 KR 517/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 17.06.2024 wird zurückgewiesen.

Kosten sind nicht zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten über einen Anspruch des Klägers auf Versorgung mit einer Apheresebehandlung (Lipidapherese) für den Zeitraum 25.05.2023 bis 20.03.2024.

Der 0000 geborene und bei der beklagten Krankenkasse versicherte Kläger leidet an einer koronaren Herzkrankheit (G.), die in den Jahren 1991, 2008 und 2010 zu Myokardinfarkten führte. 1991 und 2010 erfolgten Bypassoperationen. Nach dem vorliegenden Herzkatheterbefund aus dem Jahre 2020 sind laut den Feststellungen des im Gerichtsverfahren gehörten Sachverständigen zwei Bypässe verschlossen, einer ist noch effektiv, wenn auch bei nur eingeschränkter Durchblutung. Der Antragsteller leidet zudem seit mindestens 2022 an einer Hyperlipoproteinämie (a) mit Werten des Lipoprotein (a) (Lp(a)) zwischen 311 und 383 nmol/I (nach Apheresebehandlung zuletzt 82nmol/l). Die LDL-Cholesterinwerte betrugen zwischen 2018 und 2022 zwischen 62 - 86 mg/dl. Jedenfalls unter der Apherese wurde ein LDL-Wert von unter 55mg/dl erreicht.

 

Mit Schreiben vom 08.11.2022 beantragte der Kläger erstmals durch die ihn behandelnden Fachärzte für Innere Medizin und Nephrologie J. pp. – Nephrologische Praxen S. und A. – bei der Apherese-Kommission der Kassenärztlichen Vereinigung Niedersachsen (KVN) die Überprüfung der Indikationsstellung zur Durchführung einer Lipid-Apherese-Therapie.

 

Im Rahmen der von der KVN der Beklagten gegebenen Gelegenheit zur Stellungnahme führte T. für den Medizinischen Dienst Niedersachsen und Bremen (MD) mit Gutachten vom 25.01.2023 u.a. aus, dass die konventionellen kardiovaskulären Risikofaktoren nicht eingestellt seien. Zudem könne ein Progress der koronaren Herzerkrankung nach den vorliegenden Unterlagen nicht bestätigt werden; angiologische Verlaufsberichte aus dem Jahr 2022 lägen nicht vor. Aus dem TTE-Befund vom 27.10.2022 lasse sich ein Progress nicht ableiten. Die LDL-C-Werte befänden sich vor Apherese-Therapie zudem nicht im Zielbereich kleiner als 55 mg/dl. Zur weiteren Senkung der LDL-C-Werte werde die Kombination mit einem PCSK-9-Hemmer empfohlen. Eine gesonderte lipidologische Stellungnahme gemäß der Richtlinie liege ebenfalls nicht vor. Zusammenfassend stelle die Apherese jedenfalls keine Ultima-ratio-Behandlung dar.

 

Die KVN teilte der Beklagten unter dem 16.03.2023 mit, dass sie die Indikation zur Apherese als gestellt ansehe und die Behandlung und Durchführung befürworte.

 

Mit Bescheid vom 24.03.2023 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers ab; die medizinischen Voraussetzungen für die Leistungsgewährung seien nicht erfüllt. Mit dem hiergegen eingelegten Widerspruch legte der Kläger eine ärztliche Stellungnahme von Q. von den Nephrologischen Praxen S. und A. vom 02.04.2023 vor, der weiterhin eine Lipidapherese befürwortete.

 

Auf einen zudem gestellten Eilantrag des Klägers beim Sozialgericht Münster verpflichtete dieses die Beklagte mit Beschluss vom 24.05.2023 (im Verfahren S 16 KR 168/23 ER), zur vorläufigen Erbringung der Lipidapherese bis zum bis zum 20.03.2024. Aufgrund dessen erbrachte die Beklagte in der Zeit vom 25.05.2023 bis zum 20.03.2024 eine Lipidapherese-Therapie als Sachleistung.

 

Den Widerspruch des Klägers gegen ihren Bescheid vom 24.03.2023 wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 24.05.2023 als unbegründet zurück.

 

Der Kläger hat am 26.05.2023 Klage zum Sozialgericht Münster erhoben, zu deren Begründung er ausgeführt hat, die bei ihm bestehende Hyperlipoproteinämie sei weder medikamentös noch diätetisch beeinflussbar. Insbesondere durch den Einsatz von PCSK9-Inhibitoren, die arzneimittelrechtlich zur Senkung des Lp(a) nicht zugelassen seien, könne diesem Wert nicht begegnet werden.

 

Das Sozialgericht hat ein Gutachten von F. von der Klinik für Innere Medizin des L.-Krankenhauses E. vom 30.01.2024 eingeholt; auf das schriftlich erstellte Gutachten wird Bezug genommen. Mit Urteil vom 17.06.2024 hat das Sozialgericht sodann die Klage abgewiesen. Es liege keine der in § 3 Anl. I Nr. 1 der Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) zu Untersuchungs- und Behandlungsmethoden der vertragsärztlichen Versorgung (Richtlinie Methoden vertragsärztliche Versorgung <MVV-RL>, hier in der Fassung vom 17.01.2006, geändert am 20.10.2022) abschließend aufgeführten Indikationen vor.

 

Der Kläger hat gegen das ihm am 18.07.2024 zugestellte Urteil am 14.08.2024 Berufung eingelegt. Er führt aus, es sei besonders darauf hinzuweisen, dass er über einen dramatisch hohen Wert des Lp(a) verfüge, den nur die Lipidapherese suffizient senken könne. Hinsichtlich des Tatbestandsmerkmals „LDL-Cholesterin im Normbereich" vermengten sowohl die Berufungsbeklagte als auch das Sozialgericht sowie insbesondere der beauftragte Sachverständige die Begrifflichkeiten „Norm- und Zielbereich" des LDL-Cholesterins. Zudem bestätige die fachlich besetzte Apherese-Kommission der KVN das Vorliegen der Voraussetzungen für die begehrte Therapie. Zweifelsfrei liege eine Ultima-ratio-Situation vor. Zu berücksichtigen sei, dass ein weiteres Fortschreiten der Erkrankung zu seinem Tod führen könne.

 

Der Kläger beantragt,

 

das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 17.06.2024 und den Bescheid der Beklagten vom 24.03.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2024 aufzuheben und festzustellen, dass der Kläger im Zeitraum vom 25.05.2023 bis zum 20.03.2024 Anspruch auf Versorgung mit einer extrakorporalen Lipidapherese hatte.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie hält das angefochtene Urteil für zutreffend und führt aus, der unter § 3 Abs. 2 Anlage I Nr. 1 MVV-RL geforderte Progress der kardiovaskulären Erkrankung sei bei dem Kläger im Jahr 2020 zwar unter einem LDL-Cholesterin im Normbereich < 100 mg/dl, jedoch unter einem für sein individuelles kardiovaskuläres Risiko zu hohen LDL-Cholesterinwert (> 55 mg/dl) eingetreten. Da zur Senkung des LDL-Cholesterin ausreichende und hochwirksame Arzneimittel zur Verfügung stünden, sei bis zur Erreichung des LDL-C-Zielwertes kein therapierefraktärer Verlauf gegeben gewesen, die Lipidapherese habe (noch) nicht die Ultima ratio dargestellt.

 

Der Senat hat die Unterlagen der KVN beigezogen, die „aus datenschutzrechtlichen Gründen“ allerdings nur noch für den neuesten Antrag aus 2024 vorliegen. Des Weiteren wurden die Patientenakten des Z., der Paxis M. sowie von Q. (nunmehr Dialysepraxen S. und A.) beigezogen.

 

Der Senat hat zudem zwischenzeitlich in einem Beschwerdeverfahren (L 10 KR 695/24 B ER), dem ein Folgeantrag des Klägers auf Fortsetzung der Lipidapherese aus Februar 2024 zugrundelag, nach weiteren Ermittlungen und unter Berücksichtigung einer eingeholten ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme von F. vom 20.12.2024 mit Beschluss vom 17.02.2025, auf den Bezug genommen wird, einen Beschluss des Sozialgerichts Münster vom 11.10.2024, mit welchem die Beklagte erneut verpflichtet worden war, dem Kläger längstens bis zum 10.05.2025 die begehrte Lipidapherese zu gewähren, aufgehoben und den Antrag abgelehnt.

 

Der Senat hat den Sachverständigen F. zur Erläuterung seines Gutachtens vom 30.01.2024 nebst ergänzender Stellungnahme vom 20.12.2024 persönlich gehört; wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift über die mündliche Verhandlung vom 21.05.2025 Bezug genommen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf den Inhalt der Gerichtsakten, der beigezogenen Gerichtsakten zum Verfahren L 10 KR 695/24 B ER sowie der Verwaltungsakten der Beklagten Bezug genommen, der Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

 

 

Entscheidungsgründe:

 

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Sozialgerichts Münster vom 17.06.2014 ist zulässig, aber unbegründet.

 

I. Streitgegenständlich ist im Hinblick auf die auf ein Jahr befristete Apherese-Genehmigung (§ 8 Abs. 1 der Anl. I Nr. 1 MVV-RL) und die vorläufige Leistungsgewährung durch die Beklagte nur die Feststellung eines Versorgungsanspruchs für den Zeitraum 25.05.2023 bis 20.03.2024. Der Folgeantrag des Klägers für die Zeit ab 21.03.2024 und sein Anspruch auf Gewährung einer Lipidapherese ab diesem Zeitpunkt ist hingegen nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens.

 

Da Streitgegenstand damit eine Leistung in der Vergangenheit ist, die die Beklagte aufgrund der Verpflichtung im einstweiligen Rechtsschutzverfahren bereits vorläufig gewährt hatte, ist statthafte Klageart die (kombinierte) Anfechtungs- und Feststellungsklage (vgl. z.B.: BSG, Urteil vom 16.05.2024 – B 1 KR 40/22 –, Rn. 9). Ziel ist im Wesentlichen nicht nur die Aufhebung der Entscheidung der Beklagten in der Hauptsache. Vielmehr soll der Rechtsgrund für das „Behaltendürfen“ festgestellt werden, damit der Kläger sich nicht Erstattungsforderungen der Beklagten ausgesetzt sieht.

 

II. Das Sozialgericht hat die Klage zu Recht abgewiesen. Der angefochtene Bescheid vom 24.03.2023 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 24.05.2023 (§ 95 SGG) ist rechtmäßig; der Kläger ist nicht beschwert i.S. von § 54 Abs. 2 S. 1 SGG. Der Kläger hatte im streitbefangenen Zeitraum keinen Anspruch auf Versorgung mit einer Lipidapherese als Sachleistung nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V i.V.m. der allein in Betracht kommenden Vorschrift des § 3 Abs. 2 MVV-RL.

 

Nach § 27 Abs. 1 S. 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Dieser Versorgungsanspruch unterliegt den sich aus dem Qualitäts- und Wirtschaftlichkeitsgebot ergebenden Einschränkungen der § 2 Abs. 1 S. 3, § 12 Abs. 1 SGB V. In Konkretisierung des Qualitätsgebots hat der GBA auf der Grundlage der §§ 135 Abs. 1, 136 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 92 Abs. 1 S 2 Nr. 5 und 13 SGB V mit der MVV-RL Mindestanforderungen an die Struktur-, Prozess- und Ergebnisqualität festgelegt, die für die Leistungserbringer, die gesetzlichen Krankenkassen und für deren Versicherte verbindlich sind (vgl. hierzu: BSG, Urteil vom 16.05.2024 – B 1 KR 40/22 –, Rn. 12). Zu den anerkannten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden nach Anl. I MVV-RL zählt die "ambulante Durchführung der Apheresen als extrakorporales Hämotherapieverfahren" (Nr. 1).

 

Nach der im Fall des Klägers relevanten und in § 3 Abs. 2 der Anl. I Nr. 1 MVV-RL geregelten Indikation können LDL-Apheresen bei isolierter Lp(a)-Erhöhung nur durchgeführt werden bei Patienten mit isolierter Lp(a)-Erhöhung über 60 mg/dl und LDL-Cholesterin im Normbereich sowie gleichzeitig klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierter progredienter kardiovaskulärer Erkrankung (koronare Herzerkrankung, periphere arterielle Verschlusskrankheit oder zerebrovaskuläre Erkrankungen). Da für die in § 3 der Anl. I Nr. 1 MVV-RL genannten Krankheitsbilder in der vertragsärztlichen Versorgung i.d.R. hochwirksame medikamentöse Standard-Therapien zur Verfügung stehen, sollen Apheresen nur in Ausnahmefällen als „ultima ratio“ bei therapierefraktären Verläufen eingesetzt werden (§ 1 Abs. 2 der Anl. I MVV-RL).

 

Diese Voraussetzungen liegen zur Überzeugung des Senats nicht vor. Dies ergibt sich aus dem Gesamtergebnis der erfolgten Beweisaufnahme, insbesondere dem vom Sozialgericht eingeholten Gutachten des Sachverständigen F. vom 30.01.2024 nebst der vom Senat im Eilverfahren eingeholten ergänzenden gutachterlichen Stellungnahme vom 20.12.2024, der Anhörung des Sachverständigen durch den Senat in der mündlichen Verhandlung sowie den weiteren aktenkundigen Befunden und medizinischen Stellungnahmen.

 

Zwar sind die verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch des Klägers erfüllt (1). Auch liegen bei ihm zwar die erforderliche isolierte Lp(a)-Erhöhung mit Werten von 311 und 383 nmol/I (entspricht 129,594 mg/dl bzw. 159,596 mg/dl) und ein LDL-Cholesterin im Normbereich (2), jedoch keine Ultima-ratio-Situation (3) vor. Zudem ist auch keine klinisch und durch bildgebende Verfahren dokumentierte progrediente kardiovaskuläre Erkrankung nachgewiesen (4).

 

1. Die behandelnden Ärzte des Klägers haben das Beratungsverfahren bei der Apherese-Kommission nach § 6 Abs. 1 der Anl. I Nr. 1 MVV-RL durchgeführt. Mit dem Antrag des behandelnden Facharztes an die KVN wurde die erste Stufe des Verfahrens eingeleitet. Die Mitteilung des positiven Kommissionsvotums an die Beklagte am 16.03.2023 schloss diese Stufe ab. Auf der zweiten Verfahrensstufe entschied die Beklagte über den Leistungsanspruch des Klägers durch Leistungsbescheid (§ 7 der Anl. I Nr. 1 MVV-RL).

 

2. Die beim Kläger nachgewiesenen LDL-Cholesterinwerte betrugen zwischen 2018 und 2022 (und damit vor Erstantragstellung) zwischen 62 und 86 mg/dl. Damit lagen und liegen sie ungeachtet (noch) niedriger Werte im weiteren Verlauf im Normbereich i.S. des § 3 Abs. 2 der Anlage I 1 MVV-RL. Für die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Normbereich" i.S. der Richtlinie ist auf die medizinische Bedeutung des Begriffs abzustellen. Danach handelt es sich um einen Bereich, der unabhängig von individuellen Therapiezielen und Patienten-Risikoprofilen für gesunde Menschen im Normalfall vorliegen sollte. Der Normbereich liegt -- in Abgrenzung zu niedrigeren "Zielwerten" für Hochrisikopatienten nach der ESC/EAS-Leitlinie – die der gerichtliche Sachverständige sowie die Beklagte wiederholt in Bezug genommen und mit 55 mg/dl angegeben haben -- auch beim Kläger bei <100 mg/dl (vgl. zur Bestimmung des Normbereichs BSG, Urteil vom 16.05.2024 – B 1 KR 40/22 R –, Rn. 33). Das Heranziehen von niedrigeren Zielwerten würde überdies nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung im Ergebnis zu einer doppelten Berücksichtigung einer Ultima-ratio-Situation (neben § 1 Abs. 2 der Anlage I Nr. 1 MVV-RL) führen, für die der Wortlaut des § 3 Abs. 2 der Anlage I Nr. 1 MVV-RL keine Anhaltspunkte bietet (BSG a.a.O.).

 

3. Hingegen lag im streitgegenständlichen Zeitraum eine Ultima-ratio-Situation im Sinne von § 1 Abs. 2 der Anl. I MVV-RL nicht vor. Nach § 5 Abs. 2 S. 2 der Anlage I MVV-RL muss insoweit aus der Dokumentation nachvollziehbar hervorgehen, dass jeweils (auch in Bezug auf Folgeanträge) eine Befundkonstellation vorliegt, für die es keine Therapiealternativen gibt, sodass die Lp(a)-Apherese eine solche Ultima-ratio-Behandlung darstellt.

 

Dies war vorliegend nach den Ausführungen des gerichtlichen Sachverständigen F. nicht der Fall.

 

Vielmehr hat dieser bereits in seinem Gutachten vom 30.01.2024 ausgeführt, dass die G. des Antragstellers jedenfalls noch mittels einer medikamentösen lipdidsenkenden Therapie behandelbar war. In seiner ergänzenden Stellungnahme vom 20.12.2024 führt er aus, dass bezüglich des erhöhten LDL-Cholesterins zum Zeitpunkt der Antragstellung noch nicht alle medikamentösen Maßnahmen ausgeschöpft gewesen seien. Es sei bereits eine Therapie mit Atorvastain40, Ezetemib10 und Nilemdo180 erfolgt, die fortgeführt und durch ergänzende Gabe z.B. eines PCSK9-Hemmers deutlich hätte intensiviert werden können. Der Sachverständige ist unter Würdigung insbesondere dieser Umstände ausdrücklich zu dem Ergebnis gelangt, dass von einer „Ultima-ratio-Situation" noch nicht habe ausgegangen werden können. Insoweit bestand Übereinstimmung mit den Ausführungen des MD im sozialmedizinischen Gutachten vom 25.01.2023.

 

In seiner Anhörung im Rahmen der mündlichen Verhandlung durch den Senat hat der Sachverständige hierzu noch ergänzend ausgeführt, der Einsatz eines PCSK9-Hemmers würde eine weitere Absenkung des LDL-Cholesterins bedingen, und zwar im deutlichen Umfang von 30 - 50%; eine solche Therapie sei bislang beim Kläger noch nicht zum Einsatz gekommen. Hinsichtlich des LDL-Cholesterins sei dies eine gesicherte Therapie. Ein weiteres Absenken des LDL-Cholesterins bzw. ein maximales Absenken sei wünschenswert, denn nach den maßgeblichen Leitlinien begründe ein höherer Wert ein entsprechendes Risikoprofil. Der erhöhte LDL-Cholesterinwert sei ein Risikofaktor hinsichtlich der Gesamtgrunderkrankung.

 

Dass der Sachverständige die Möglichkeit einer noch nicht ausgeschöpften Behandlung mittels konservativer medikamentöser Mittel – insbesondere eines PCSK9-Hemmers – nur für die Therapie des erhöhten LDL-Cholesterins festgestellt hat, nicht aber für die Behandlung der isolierten Lp(a)-Erhöhung, für die er keine anderen zielführenden therapeutischen Maßnahmen außer der Lipidapherese gesehen hat, nachdem durch PCSK9-Inhibitoren nur eine nicht ausreichende Absenkung des Lp(a) um etwa 20 bis 30% möglich sei (S. 12 des Gutachtens vom 30.01.2024), führt nicht zu einer anderen Wertung.

 

Aus den tragenden Gründen zum Beschluss des GBA über eine Änderung der MVV-RL in Anlage I: Apheresebehandlung bei isolierter Lp(a)-Erhöhung vom 19.06.2008 lässt sich ableiten, dass die in § 1 Abs. 2 Anl. I Nr. 1 MVV-RL benannten Standardtherapien nicht auf das Krankheitsbild einer isolierten Lp(a)-Erhöhung ausgerichtet sind, sondern auf die kardiovaskulären Erkrankungen. Insofern wird in diesem Beschluss zu Punkt 2.3 (S. 3) darauf hingewiesen, dass in den durch den GBA durchgeführten Recherchen auch weiterhin keine kontrollierten Studien oder Fallserien identifiziert werden konnten, in denen nachgewiesen wird, dass die Apheresebehandlung einer isolierten Lp(a)-Erhöhung zu einer Beeinflussung von kardiovaskulären Endpunkten führt. Eine medizinische Behandlungsnotwendigkeit sieht der GBA daher nur in den Fällen als gegeben an, in denen trotz Ausschöpfung aller etablierten Therapieoptionen – bezogen nicht auf die isolierte Lp(a)-Erhöhung, sondern auf die zu behandelnde Erkrankung – eine progrediente kardiovaskuläre Krankheit nachgewiesen ist.

 

Vor diesem Hintergrund ist zudem die Wertung des Sachverständigen, es sei schon deshalb die Apherese durchzuführen, weil so extrem erhöhte Lp(a)-Werte vorlägen, nicht maßgeblich. Allein die Lp(a)-Erhöhung bedingt so lange keine Notwendigkeit einer Apheresebehandlung, so lange Standardtherapien zur Behandlung der Grunderkrankung noch nicht ausgeschöpft sind.

 

Ob bei dem Kläger in dem nicht streitgegenständlichen Zeitraum seit dem 21.03.2024 zu irgendeinem Zeitpunkt sämtliche Therapiealternativen ausgeschöpft waren und mithin nunmehr von einer Ultima-ratio Situation i.S. des § 1 Abs. 2 der Anl. I MVV-RL auszugehen ist, hat der Senat im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden.

 

4. Schließlich lässt sich auch eine klinisch und durch bildgebende Befunde belegte Progredienz der kardiovaskulären Erkrankung des Klägers im streitgegenständlichen Zeitraum nicht nachweisen.

 

Nach § 5 der Anl. I Nr. 1 MVV-RL sind zur Indikationsstellung – auch im Wiederholungsfall – und im Behandlungsverlauf neben den weiteren dort einzeln aufgeführten Sachverhalten (u.a. der Ultima-ratio-Situation) für jeden Einzelfall unter Darlegung der Befunde u.a. die Angabe zum klinischen Verlauf der Progredienz der Erkrankung(en) sowie die bildgebende Dokumentation der Progredienz der kardiovaskulären Erkrankung zu dokumentieren.

 

Angesichts dieser Regelung erscheint ein im Zeitpunkt der Erstvorstellung des Patienten vorliegendes Stadium der areriosklerotischen Erkrankung, deren Progress vital gefährdend ist, nicht ausreichend, einen Anspruch auf Versorgung mit einer Lipidapherese unter dem Gesichtspunkt der Progredienz zu bejahen (vgl. auch LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 02.11.2023 – L 4 KR 354/23 B ER –, juris, Rn. 7f.). Vielmehr dürfte sich aus § 5 der Anlage I Nr. 1 MVV-RL ergeben, dass ein progredienter Verlauf nicht nur bei Erstanträgen, sondern auch bei Folgeanträgen dokumentiert sein muss (so auch LSG NRW, Beschluss vom 29.01.2021 – L 11 KR 865/20 B ER –, juris, Rn. 37f.).

 

Der Begriff "progredient" ist, ausgehend von seinem Wortsinn (sich in einem bestimmten Verhältnis allmählich steigernd) und seiner grammatischen Herleitung (Partizip Präsenz von progredi) im Sinne von fortschreitend (und nicht etwa von fortgeschritten) zu verstehen (so zutreffend m.w.N. LSG NRW, Beschluss vom 03.12.2018 – L 5 KR 677/18 B ER -, juris). Es muss also über einen gewissen Zeitraum (klinisch oder durch bildgebende Verfahren) eine Verschlechterung der kardiovaskulären Erkrankung festgestellt sein (LSG NRW, Beschluss vom 03.07.2020 – L 11 KR 181/20 B ER – juris).

 

Vorliegend hat bereits der MD festgestellt, dass ein Progress der koronaren Herzerkrankung aus fachgutachterlicher Sicht nicht bestätigt werden könne, da insbesondere aktuelle angiologische Verlaufsberichte aus 2022 nicht vorlagen. Ein TTE-Befund vom 27.10.2022 zeige einen normal großen linken Ventrikel mit geringer konzentrischer Hypertrophie und einer LVEF von 50 %. Ein Progress der G. könne daraus nicht abgeleitet werden.

 

Der behandelnde Kardiologe Z. bescheinigt in einem Befundbericht vom 21.01.2024 ein gutes Langzeitergebnis nach proximalem RCX-Stent (2008) und einen seit 2020 relativ stabilen Zustand. Dem entsprechen Ausführungen des Herzzentrums des Klinikums S. (Bericht vom 14.08.2020), das ergänzend eine Intensivierung der Herzinsuffizienztherapie, begleitend die Intensivierung der antianginösen Therapie und zusätzlich eine maximale nierenprotektive Therapie empfahl. In einem Schreiben vom 10.10.2024 hat Z. ausgeführt, der Verlauf der Erkrankung habe „zumindest bis 2010 eine erhebliche Dynamik bzw. Aktivität der Erkrankung erkennen lassen“. Ein Fortschreiten der G. seit Mai 2024 sei „so nicht nachweisbar“.

 

Die behandelnde nephrologische Praxis hat am 26.11.2024 zu Letzterem darauf hingewiesen, beim Kläger könne eine Zunahme der Gefäßverkalkung nicht mittels der notwendigen bildlichen Darstellung der Gefäße im Vergleich zu einer bereits früher durchgeführten Bildgebung nachgewiesen werden. Es gebe zum einen keine früheren (CT-) Aufnahmen der Herzkranzgefäße, die man zum Vergleich heranziehen könne. Zum anderen sei eine ggf. erforderliche Herzkatheteruntersuchung beim Kläger aus medizinischen Gründen nicht durchführbar. Bei der Durchführung von EKG und Echokardiographie hätten sich keine indirekten Hinweise für das Fortschreiten der Verkalkungszunahme ergeben.

 

Demgegenüber diagnostiziert der Sachverständige F. zwar das Vorliegen einer progredienten Arteriosklerose mit fortgeschrittener koronarer 3-Gefäßerkrankung. Insofern referiert er im Ergebnis aber auf den Zeitpunkt der Erstantragstellung, ohne eine Progredienz seit 2020 bzw. seit Erreichen der Zielwerte des LDL-Cholesterins festzustellen.

 

Die zuletzt empfohlene Fistelvenenrevision mit Patchplastik der hochgradigen Stenose (Klinikum S. vom 02.12.2024) belegt für sich allein betrachtet die Progredienz einer peripheren arteriellen Verschlusskrankheit nicht.

 

III. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 183, 193 Abs. 1 SGG.

 

Anlass, gemäß § 160 Abs. 2 SGG die Revision zuzulassen, besteht nicht.

 

 

Rechtskraft
Aus
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