Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 18. August 2020 aufgehoben.
Es wird festgestellt, dass die bei dem Kläger bestehenden Wirbelsäulenbeschwerden in den Segmenten L3/L4, L4/L5 und L5/S1 Folge einer Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung sind.
Die Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Klägers in allen Rechtszügen.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Der Kläger begehrt die Feststellung einer Berufskrankheit (BK) nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung (BKV).
Der H. geborene und als Tischler (1992 bis 2006 sowie laufend), Möbeltischler (2002 bis 2006) und Monteur von Fenstern, Türen und Wintergärten (2006 bis 2013) tätige Kläger wandte sich mit Schreiben vom 3. Mai 2016 (Seite 1 VA) an die Beklagte, verwies auf bei ihm im Jahr 2014 und 2016 erfolgte Operationen der Bandscheiben seiner Wirbelsäule mit Versorgung von Implantaten und beantrage die Feststellung einer BK.
Die Beklagte leitete daraufhin ein BK-Feststellungsverfahren ein, in dem sie zunächst medizinische Unterlagen von dem Kläger (Seite 68 bis 94 VA), dessen behandelnden Ärzten (Dr. I., J., vom 13. Juni 2016; Dr. K., L., vom 16. Juni 2016; M. Fachklinik für Orthopädie vom 21. Juni 2016; N. -Hospital O. vom 8. August 2016) sowie des Niedersächsischen Landesamtes für Soziales, Jugend und Familie (Grad der Behinderung von 30 – Bescheid vom 9. Februar 2016) einholte.
Ferner veranlasste die Beklagte eine Untersuchung des Klägers sowie Stellungnahme zur beantragten BK-Nr. 2108 durch Dr. P., BG Ambulanz Q., der in seiner Stellungnahme vom 10. Februar 2016 zusammengefasst ausführte, dass unter Berücksichtigung der bei dem Kläger erhobenen Befunde von einer bandscheibenbedingten Erkrankung, die im Vollbeweis gesichert sei, in Form von Bandscheibenvorfällen im Bereich der Segmente L3/L4, L4/5 und L5/S1 auszugehen sei.
Nachdem die Beklagte den Kläger zu dessen beruflicher Lebenslauf und den damit verbundenen Belastungen befragt hatte (siehe hierzu Angaben vom 6. Juni 2016) sowie dessen frühere Arbeitgeber, die Firma R. GmbH, Holz- und Kunststoffverarbeitung, S., (Tätigkeit von 2002 bis 2006 – Angaben vom 15. Juni 2016) und die Firma T. GmbH & Co. KG, U. (Tätigkeit von Mai 2006 bis September 2013 als Monteur und Juni 2014 bis Dezember 2015 als Facharbeiter für Fertigung „Schweißen“ – Angaben vom 23. Juni 2016), bat sie ihren Präventionsdienst (PD) um Erstellung einer Stellungnahme zur Arbeitsplatzexposition. Nach einer telefonischen Befragung des Klägers sowie des Herrn V. der Firma T. am 30. August 2016 führte der PD in seiner Stellungnahme vom 16. September 2016 zusammengefasst aus, dass sich für die Zeiträume von Januar 1993 bis Januar 2002 (Ausbildung des Klägers zum Bau- und Möbeltischler bei der Firma W. GmbH), Januar 2002 bis Januar 2006 (Tätigkeit des Klägers bei der Firma R. GmbH als Bau- und Möbeltischler) und seit Januar 2006 (Tätigkeit des Klägers als Bau- und Möbeltischler bei der Firma T. GmbH & Co. KG; vom 5. November 2013 bis 1. Juni 2014 Arbeitsunfähigkeit des Klägers mit anschließender Tätigkeit als Facharbeiter für Fertigung „Schweißen“, seit dem 31. Dezember 2015 wiederum arbeitsunfähig) eine berufliche Gesamtbelastung in Höhe von 9,7 x 106 Nh ergebe.
Mit Bescheid vom 27. September 2016 lehnte die Beklagte die Anerkennung einer BK-Nr. 2108 ab, weil die arbeitstechnischen Voraussetzungen für die Anerkennung nicht vorlägen.
Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 30. September 2016 Widerspruch, den er zunächst mit Schreiben vom 8. November 2016 im Wesentlichen dahingehend begründete, dass Hebe- und Tragebelastungen bei den Firmen W., R. GmbH und T. GmbH & Co. KG nicht zutreffend ermittelt worden seien. Es sei lediglich eine telefonische Kontaktaufnahme erfolgt. Die Daten, die er – der Kläger – gegenüber den PD angegeben habe, seien reduziert worden.
Die Beklagte legte den Aktenvorgang zunächst ihrem beratenden Arzt Dr. X., Chirurg, zur Auswertung vor, der in seiner Stellungnahme vom 6. Dezember 2016 ausführte, dass von einer klassischen B2-Konstellation auszugehen sei, weil sich in den unteren drei Segmenten Bandscheibenvorfälle befänden. Es seien zunächst weitere Ermittlungen durch den PD erforderlich.
Dementsprechend bat die Beklagten ihren PD um ergänzende Stellungnahme, der nach einer telefonischen Befragung des früheren Arbeitgebers A. am 13. Januar 2017 in seiner Stellungnahme vom selben Tag (Seite 415 bis 426 VA) die berufliche Gesamtbelastung auf 9,4 x 106 Nh einschätzte.
Der Kläger rügte nunmehr mit Schreiben vom 24. März 2017, dass der PD ihn zu Hause angerufen und befragt habe. Er – der Kläger – habe sich überrumpelt und nicht gut vorbereitet gefühlt und habe auch keine genauen Angaben machen können. Diese Angaben seien dann auch noch herunterkorrigiert worden. Seinem Schreiben fügte der Kläger eine umfangreiche Tätigkeitsbeschreibung bei.
Der PD teilte dem Kläger daraufhin mit Schreiben vom 3. Mai 2017 mit, dass am 24. Mai 2017 um 9 Uhr im Unternehmen R. GmbH ein Vor-Ort-Termin im Beisein des Unternehmers Herrn R. sowie um 13:30 Uhr im Unternehmen T. GmbH & Co. KG im Beisein des Unternehmers Herrn V. stattfinde. Der Kläger werde zu diesen Terminen eingeladen.
Nach Durchführung der vereinbarten Termine und Befragung des Klägers, des Unternehmers Herrn A., des Herrn B. sowie Frau C. nahm der PD in seiner Stellungnahme vom 3. Juli 2017 eine Auswertung der Angaben vor und errechnete eine berufliche Gesamtbelastung in Höhe von 8,5 x 106 Nh. Die Zusatzkriterien 2. und 3. der B2-Konstellation lägen ebenfalls nicht vor.
Mit Widerspruchsbescheid vom 6. September 2017 wies die Beklagte den Widerspruch des Klägers als unbegründet zurück.
Hiergegen hat der Kläger beim Sozialgericht (SG) Y. Klage erhoben. Zwischen den Beteiligten ist im weiteren Verlauf die Berechnung der arbeitstechnischen Voraussetzungen streitig geblieben.
Das SG hat zunächst von Amts wegen Beweis zum medizinischen Sachverhalt erhoben und eine Begutachtung des Klägers durch Dr. Z., Orthopäde/Unfallchirurg, veranlasst, der in seinem am 30. November 2018 erstellten Sachverständigengutachten zusammengefasst zum Ergebnis gelangte, dass – unabhängig von der Beurteilung der arbeitstechnischen Voraussetzungen – grundsätzlich vom Vorliegen einer Konstellation B2, 1. Zusatzkriterium, aus medizinischer Sicht auszugehen sei, weil die drei untersten Bandscheiben in den Segmenten L3/L4, L4/L5 und L5/S1 geschädigt seien; ein monosegmentale Bandscheibenschaden mit „black-disc-Phänomen“ in mindestens zwei angrenzenden Segmenten sei hingegen nicht nachzuweisen. Eine Begleitspondylose, und demgemäß die Konstellation B1, liege nicht vor. Auch das zweite und dritte Zusatzkriterium der B2-Konstellation seien gemäß Ausführungen des PD nicht erfüllt. Es sei von einer Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 v.H. ab dem 1. März 2016 auszugehen.
Auf Antrag des Klägers hat das SG zunächst in einer ersten mündlichen Verhandlung vom 7. Juli 2020 den Kläger zu dessen beruflichen Hebe- und Tragebelastungen befragt und den PD der Beklagten hierzu angehört. Das SG hat den Rechtsstreit vertagt und am 18. August 2020 die Zeugen AA., AB. und AC. zur Tätigkeit des Klägers bei der Firma W. befragt. In dem Termin hat ebenfalls der PD der Beklagten eine Berechnung der Gesamtbelastungsdosis vorgenommen, die er in Höhe von 9,7 x 106 Nh einschätzte.
Mit Urteil vom selben Tag hat das SG die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt, dass sich auch unter Zugrundelegung des Vortrags des Klägers eine maximale Belastungsdosis nach der Berechnung durch das Mainz-Dortmunder-Dosismodell (MDD) von lediglich 12,1 x 106 Nh ergebe, womit der hälftige Orientierungswert von 12,5 x 106 Nh, den das Bundessozialgericht (BSG) in seinem Urteil vom 30. Oktober 2007 (Az.: B 2 U 4/06 R) als untersten Grenzwert für die Durchführung von medizinischen Ermittlungen im Hinblick auf das Vorliegen eines Erkrankungsbildes im Sinne der BK-Nr. 2108 fordere, nicht erreicht sei.
Hiergegen hat der Kläger Berufung eingelegt, mit der er sein Begehren auf Feststellung einer BK-Nr. 2108 fortführt. Zur Begründung hat er zunächst weitere Einwendungen gegen die Berechnung der beruflichen Gesamtbelastung durch den PD der Beklagten unter Beifügung u.a. von Lichtbildern von Türelemente erhoben.
Der Kläger beantragt nach seinem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,
- das Urteil des Sozialgerichts Aurich vom 18. August 2020 sowie den Bescheid der Beklagten vom 27. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2017 aufzuheben,
- festzustellen, dass eine Berufskrankheit nach der Nr. 2108 der Anlage 1 zur Berufskrankheiten-Verordnung vorliegt.
Die Beklagte beantragt nach ihrem schriftlichen Vorbringen sinngemäß,
die Berufung zurückzuweisen.
Die Beklagte beruft sich zunächst zur Begründung auf den Inhalt ihrer Bescheide sowie die Gründe der erstinstanzlichen Entscheidung. Ergänzend hierzu hat sie eine nicht datierte ergänzende Stellungnahme ihres PD zu den Berechnungsgrundlagen zum Termin der mündlichen Verhandlung beim SG vom 18. August 2020 sowie eine weitere Stellungnahme vom 4. Januar 2021 zu den Einwänden des Klägers im Berufungsverfahren zum Verfahren gereicht. In letzterer hat der PD seine Berechnung der beruflichen Gesamtbelastung des Klägers in Höhe von 12,1 x 106 Nh nochmals bestätigt.
Der Senat hat im vorbereitenden Verfahren zunächst von Amts wegen eine Begutachtung des Klägers durch den Chirurgen AD. veranlasst, der in seinem Sachverständigengutachten vom 27. Juli 2021 zusammengefasst zum Ergebnis gelangte, dass bei dem Kläger ein Schadensbild der Bandscheiben in den unteren drei Segmenten L3/L4, L4/L5 und L5/S1 vorliege. Ein derartiges Schadensbild werde auch gefordert, um eine bandscheibenbedingte Erkrankung als berufsbedingt anerkennen zu können. Der Umkehrschluss sei allerdings nicht möglich, d.h. wenn ein derartiges Krankheitsbild vorliege, bedeute dies nicht zwangsläufig, dass der Bandscheibenschaden auf die berufliche Tätigkeit zurückzuführen sei. Wenn keine ausreichende Exposition vorgelegen habe, dann stelle sich per se nicht die Frage, ob eine bandscheibenbedingte Erkrankung berufsbedingt verursacht worden sei oder vom Verteilungsgrad der Bandscheibenschäden. Erforderlich sei eine Dosis von 25 x 106 Nh. Die Ergebnisse der Deutschen Wirbelsäulenstudie (DWS) und ihrer Nachauswertung stünden nicht im Einklang mit der bisherigen epidemiologischen Gesamtevidenz und seien biologisch auch wenig plausibel. Aufgrund der methodischen Mängel der DWS habe der ärztliche Sachverständigenbeirat am Bundesarbeitsministerium im Dezember 2014 beschlossen, die DWS nicht mehr weiter zu diskutieren. Die Schlussfolgerung des BSG, dass aufgrund neuer medizinischer Erkenntnisse die erforderliche Lebensdosis von 25 x 106 Nh auf 12,5 x 106 Nh zu reduzieren sei, könne daher aus medizinischer Sicht nicht weiter aufrechterhalten werden. Die Mindestdosis könne nicht in einer willkürlichen Halbierung der erforderlichen Dosis von 25 x 106 Nh bestehen, weil es hierfür keinerlei wissenschaftlich medizinische Erkenntnisse gäbe. Welche Mindestdosis tatsächlich erforderlich sei, habe bisher wissenschaftlich nicht aufgearbeitet werden können, da die vom DGUV einberufene Arbeitsgruppe aufgelöst worden sei. Mit der bewiesenen Dosis von 12,1 x 106 Nh habe der Kläger die erforderliche Dosis verfehlt. Es liege eine Konstellation A2 vor, d.h. eine bandscheibenbedingte Erkrankung sei zwar gesichert, eine gefährdende Exposition sei aber nicht bewiesen.
Im Anschluss daran hat der Senat von Amts wegen das arbeitstechnische Fachgutachten des Dipl.-Bio. AE., Institut für Arbeitsschutz der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (IFA), vom 14. Juni 2023 eingeholt, der zusammengefasst zum Ergebnis gelangte, dass sich für den Zeitraum 1. September 1993 bis 24. September 2013 eine berufliche Gesamtbelastungsdosis in Höhe von 12,76 x 106 Nh ergebe. Eine ausreichende Exposition im Sinne des 2. und 3. Zusatzkriteriums der B2-Konstellation liege nicht vor, denn die kumulative Dosis von 25 x 106 Nh sei über den gesamten Betrachtungszeitraum von ca. 20 Jahren bereits nicht erfüllt, auch hohe Belastungsspitzen bzw. die regelmäßige Handhabung sehr hoher Lastgewichte seien beim Kläger nicht nachzuweisen.
Mit am 13. und 24. Januar 2025 bei Gericht eingegangenen schriftlichen Erklärungen haben die Beteiligten einer Entscheidung des Senats durch Urteil ohne mündliche Verhandlung zugestimmt.
Dem Senat haben außer der Prozessakte die den Kläger betreffenden Verwaltungsakten der Beklagten vorgelegen. Alle Akten sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Sachvortrags der Beteiligten wird hierauf ergänzend Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß §§ 143 f. des SGG form- und fristgerecht eingelegte Berufung des Klägers ist zulässig und begründet.
Der Senat konnte durch Urteil ohne mündliche Verhandlung (vgl. §§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG) entscheiden, weil die Beteiligten übereinstimmend dieser Vorgehensweise zugestimmt haben.
Das Rechtsmittel hat in der Sache Erfolg. Das SG Aurich hat die als kombinierte Anfechtungs- und Feststellungsklage (§ 54 Abs. 1, § 55 Abs. 1 Nr. 3 SGG) zulässige Klage zu Unrecht abgewiesen, denn der Bescheid der Beklagten vom 27. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2017 ist rechtswidrig und beschwert den Kläger (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG).
Der Kläger hat Anspruch auf die Feststellung, dass die bei ihm in den Segmenten L3/4, L4/5 und L5/S1 bestehende Wirbelsäulenerkrankung Folge einer BK-Nr. 2108 ist. Zum Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Verwaltungsakts vom 27. September 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6. September 2017 hatte die BK-Nr. 2108 noch folgenden Wortlaut: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zur Unterlassung aller Tätigkeiten gezwungen haben, die für die Entstehung, die Verschlimmerung oder das Wiederaufleben der Krankheit ursächlich waren oder sein können". Das Siebte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 12. Juni 2020 (7. SGB IV-ÄndG - BGBl I, 1248) hat den sog. Unterlassungszwang indes zum 1. Januar 2021 aufgehoben, den entsprechenden Halbsatz gestrichen (Art 24 Nr. 3 Buchst a des 7. SGB IV-ÄndG) und stattdessen einen neuen Halbsatz angefügt (Art 24 Nr 3 Buchst c des 7. SGB IV-ÄndG). Seit dem 1. Januar 2021 (Art 28 Abs. 6 des 7. SGB IV-ÄndG) lautet die BK-Nr. 2108 daher: "Bandscheibenbedingte Erkrankungen der Lendenwirbelsäule durch langjähriges Heben oder Tragen schwerer Lasten oder durch langjährige Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung, die zu chronischen oder chronisch-rezidivierenden Beschwerden und Funktionseinschränkungen (der Lendenwirbelsäule) geführt haben".
Für das Vorliegen des Tatbestands der BK ist ein ursächlicher Zusammenhang zwischen der versicherten Tätigkeit und der schädigenden Einwirkung und zwischen der schädigenden Einwirkung und der Erkrankung erforderlich. Dabei müssen die Krankheit, die versicherte Tätigkeit und die durch sie bedingten schädigenden Einwirkungen einschließlich deren Art und Ausmaß i.S.d. "Vollbeweises" - also mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit - nachgewiesen werden, während für den ursächlichen Zusammenhang als Voraussetzung der Entschädigungspflicht grundsätzlich die hinreichende Wahrscheinlichkeit - nicht allerdings die bloße Möglichkeit - ausreicht (BSG, Urteil vom 31. Mai 2005 - Az.: B 2 U 12/04 R - zitiert nach juris).
1. Der Senat hat zunächst keine Zweifel daran, dass die Tätigkeit des Klägers ab dem 1. September 1993 bis 23. September 2013 als angestellter Tischler/Möbeltischler bei den Firmen W. GmbH, R. GmbH, Holz- und Kunststoffverarbeitung und T. GmbH & Co. KG mit Belastungen durch das Heben und Tragen von schweren Lasten bzw. durch Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung verbunden gewesen ist.
Um das Ausmaß der beruflichen Belastungen genauer bestimmen zu können, ist das MDD als geeignete Grundlage zur Konkretisierung der so genannten arbeitstechnischen Voraussetzungen heranzuziehen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 23. April 2015 – Az.: B 2 U 10/14 R – Rn. 17 m.w.N. – zitiert nach juris). Auf der Grundlage dieses Modells ist der unterste Grenzwert, bei dessen Unterschreitung nach gegenwärtigem Wissensstand ein Kausalzusammenhang zwischen den beruflichen Einwirkungen und einer bandscheibenbedingten Erkrankung der Lendenwirbelsäule (LWS) ausgeschlossen ist und deshalb auf einzelfallbezogene medizinische Ermittlungen verzichtet werden kann, bei Männern auf die Hälfte des im MDD vorgeschlagenen Orientierungswerts von 25 x 106 Nh festzusetzen (vgl. die Modifikation des MDD durch BSG, Urteil vom 30. Oktober 2007 – Az.: B 2 U 4/06 R – Rn. 25 – zitiert nach juris – siehe auch Meyer-Clement/Brandenburg in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage 2024, Seite 1447, 1448, 1457).
Nach den Berechnungen des PD der Beklagten vom 16. September 2016 (= 9,7 MNh), vom 13. Januar 2017 (9,4 MNh), vom 3. Juli 2017 (= 8,5 MNh), vom 7. Juli 2020 (=12,8 MNh) und zuletzt vom 18. August 2020 war der Kläger zwar lediglich einer beruflichen Gesamtbelastung von 12,1 x 106 Nh ausgesetzt. Dabei ist dieser von dem PD der Beklagten errechnete Wert weiterhin zwischen den Beteiligten streitig geblieben. Der Senat hat von Amts wegen eine Überprüfung der Berechnung des PD durch den Sachverständigen Dipl.-Bio. AE., IFA, AF., veranlasst, der die berufliche Gesamtbelastung für den Zeitraum vom 1. September 1993 bis 24. September 2013 hingegen in Höhe von 12,76 x 106 Nh berechnet hat. Dieser sachverständigen Einschätzung, die der Senat als Sachverständigenbeweis i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 411a ZPO berücksichtigt (siehe hierzu BSG, Urteil vom 27. September 2023 – Az.: B 2 U 13/21 – Rn. 32 – und BSG, Beschluss vom 21. Februar 2023 – Az.: B 2 U 47/22 B – Rn. 18 – jeweils zitiert nach juris), folgt der Senat und macht sie sich zu eigen, denn er hält diese für plausibel und nachvollziehbar. Der technische Sachverständige hat dabei die von dem Kläger zuletzt im Rahmen der mündlichen Verhandlung des SG am 7. Juli 2020 gemachten Belastungsangaben sowie die durch Befragung der Zeugen AC., AB. und AG. im Rahmen der mündlichen Verhandlung des SG vom 18. August 2020 ermittelten beruflichen Hebe- und Tragebelastungen des Klägers vollständig und zutreffend zu Grunde gelegt und ausgewertet. Dabei hat er das MDD berücksichtigt, welches weiterhin – wie bereits ausgeführt – als geeignete Grundlage zur Konkretisierung der beruflichen Belastung zu Grunde zu legen ist. Da er die ihn zuletzt belastende Tätigkeit als Tischler/Möbeltischler außerdem mehr als zehn Jahre ausgeübt hat, ist auch von langjährigen Belastungen durch das Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. durch Arbeiten in Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung auszugehen.
2. Die Rückenbeschwerden des Klägers lassen sich auch auf eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS zurückzuführen.
Von einer derartigen Erkrankung ist auszugehen, wenn neben einem durch Veränderungen an den Bandscheiben verursachten objektivierten Schaden chronische oder chronisch wiederkehrende Beschwerden mit Funktionseinschränkungen vorliegen (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 31. Mai 2005 – Az.: B 2 U 12/04 R – Rn. 23 – zitiert nach juris). Dies ist hier der Fall. Sowohl der vom SG gehörte Sachverständige Dr. Z., dessen Gutachten vom 30. November 2018 der Senat als Sachverständigenbeweis i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 411a ZPO berücksichtigt, als auch der vom Senat gehörte Sachverständige AD., dessen Gutachten ebenfalls als Sachverständigenbeweis i.S.d. § 118 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 411a ZPO berücksichtigt wird, haben übereinstimmend und für den Senat plausibel und nachvollziehbar ausgeführt, dass bei dem Kläger am 24. Oktober 2013 bandscheibenbedingte Erkrankungen in Form von Bandscheibenvorfällen in den unteren drei Segmenten L3/L4, L4/L5 und L5/S1 durch den behandelnden Orthopäden Dr. AH. diagnostiziert worden sind, die eine computertomographische Untersuchung vom 24. September 2013 ergeben hat. Durch die behandelnden Ärzte ist seit Ende September 2013 zudem ein progredienter Rückenschmerz mit Ausstrahlung in den linken Ober- und Unterschenkel nachgewiesen. Am 5. Februar 2014 erfolgte zunächst eine mikrochirurgische Sequestrektomie mit Entfernung der Bandscheibe im Segment L4/L5, aufgrund eines Rezidiv-Vorfalls im Segment L3/L4 erfolgte dann am 14. Januar 2016 eine Ausräumung Bandscheiben in den unteren drei Segmenten mit einer Implantation von Bandscheibenprothesen. Weil es zu einem Einbruch der Bandscheibenprothese in den Wirbelkörper L4 kam, wurde im Rahmen einer stationären Behandlung vom 25. Juli bis 29. Juli 2016 im St. AI. eine Spondylodese zwischen L3 und S1 durchgeführt. Damit die eine bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS in den drei unteren Segmenten L3/L4, L4/L5 und L5/S1 vollbeweislich gesichert. Diese hat zu einer Minderbelastbarkeit der LWS mit schmerzhafter Bewegungs- und Belastungseinschränkung geführt.
3. Es ist ferner mit der erforderlichen hinreichenden Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die bandscheibenbedingte Erkrankung an der LWS des Klägers wesentlich durch die seit dem 1. September 1993 bestehenden beruflichen Belastungen verursacht worden ist.
Nach der im Recht der gesetzlichen Unfallversicherung geltenden Kausalitätslehre der wesentlichen Bedingung werden nicht schon alle Bedingungen, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass der Erfolg entfiele, als ursächlich anerkannt. Rechtserheblich in diesem Sinne sind vielmehr nur solche Ursachen, die wegen ihrer besonderen Beziehung zum Erfolg zu dessen Eintritt wesentlich mitgewirkt haben. Da bandscheibenbedingte Erkrankungen aber multifaktoriell entstehen und ein eindeutig abgrenzbares Krankheitsbild, das für Belastungen durch das Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. Arbeiten in extremer Rumpfbeugehaltung typisch wäre, fehlt, ist allgemein anerkannt, dass letztlich entscheidend nur die Frage nach einer wesentlichen Mitverursachung der Wirbelsäulenerkrankung durch die versicherte Einwirkung ist (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 27. Juni 2006 – Az.: B 2 U 13/05 R – Rn. 16 f – zitiert nach juris). Dies ist im Wege der Heranziehung medizinischen Sachverstandes zu klären, wobei der Gutachter den aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand zu Grunde zu legen hat, also die durch Forschung und praktische Erfahrung gewonnenen Erkenntnisse, die von der Mehrheit der auf dem betreffenden Gebiet tätigen Fachwissenschaftler anerkannt werden (vgl. hierzu BSG, Urteil vom 24. Juli 2012 – Az.: B 2 U 9/11 R – Rn. 61 f m.w.N. – zitiert nach juris).
Der aktuelle Kenntnisstand wird dabei durch die von Bolm-Audorff u.a. in den sog. Konsensempfehlungen (Medizinische Beurteilungskriterien zu bandscheibenbedingten Berufskrankheiten der Lendenwirbelsäule in: Trauma und Berufskrankheit 2005, S 211 ff, 320 ff) zusammengestellten Kriterien abgebildet. Diese sind auch im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vom 20. März 2025 auch weiterhin noch aktuell (vgl. hierzu Meyer-Clement/Brandenburg in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage 2024, Seite 1456). Diese sind nach wie vor eine geeignete Orientierungshilfe bei der Beurteilung, ob Bandscheibenschäden nach dem aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisstand durch berufliche Einwirkungen verursacht worden sind (vgl. BSG, Beschluss vom 27. September 2023 – Az.: B 2 U 13/21 R – Rn. 31 – zitiert nach juris mit zahlreichen Nachweisen aus der Rspr. d. BSG).
a) Vorliegend sind die Sachverständigen Dr. Z. und AD. unter Berücksichtigung der Vorgaben in den Konsensempfehlungen zunächst zu dem Ergebnis gekommen, dass beim Kläger die bandscheibenbedingte Erkrankung der LWS zu dem hier maßgeblichen Zeitpunkt der Berufsaufgabe (vgl. hierzu Bolm-Audorff u.a, a.a.O., Seite 214) in den unteren drei Segmenten der LWS bestanden haben. Eine derartige Konstellation wird in den Konsensempfehlungen der so genannten Fallgruppe B zugeordnet (vgl. hierzu Bolm-Audorff u.a., a.a.O., Seite 217 f), bei der ein wesentlicher beruflicher Ursachenzusammenhang beim Vorliegen einer Begleitspondylose angenommen werden kann (Konstellation B1). Gemeint ist damit eine Spondylose (Bildung von Zacken und Erhebungen an den Wirbelkörpern), die entweder das von dem eigentlichen Bandscheibenschaden erfasste Segment nicht betrifft oder nachweislich schon vor dem Eintritt der bandscheibenbedingten Erkrankung vorhanden gewesen ist. In jedem Fall muss die Begleitspondylose aber über das Altersmaß hinausgehen und mindestens zwei Segmente betreffen (vgl. hierzu Bolm-Audorff u.a., a.a.O., Seite 216/217f).
Wie beide Sachverständige für den Senat weiter plausibel und nachvollziehbar dargelegt haben, fehlt es im Falle des Klägers allerdings am Vorliegen einer derartigen Begleitspondylose. Dies überzeugt den Senat, denn diese Einschätzung steht in Übereinstimmung auch mit der Einschätzung des beratenden Arztes Dr. X. in dessen Stellungnahme vom 6. Dezember 2016. Eine Konstellation B1 liegt demgemäß nicht vor.
b) Ohne eine solche Begleitspondylose kann nach den Konsensempfehlungen ein wesentlicher beruflicher Ursachenzusammenhang nur angenommen werden, wenn neben der bandscheibenbedingten Erkrankung der LWS noch so genannte Zusatzkriterien erfüllt sind (Konstellation B2). Diese setzen neben der grundsätzlich zu fordernden zeitlichen Korrelation zwischen belastender Tätigkeit und dem Auftreten der bandscheibenbedingten Erkrankung voraus, dass
- entweder eine Höhenminderung und/oder ein Prolaps an mehreren Bandscheiben bzw. (bei einer monosegmentalen Erkrankung) eine sog "black disc" im Magnetresonanztomogramm in mindestens zwei angrenzenden Segmenten vorzufinden ist (1. Zusatzkriterium),
- eine besonders intensive Belastung bestanden hat (2. Zusatzkriterium) oder
- die MDD-Berechnung ein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen erkennen lässt (3. Zusatzkriterium).
Im Fall des Klägers liegt das 1. Zusatzkriterium vor.
aa) Hinsichtlich des in diesem Verfahren streitgegenständlichen 1. Zusatzkriteriums der B2-Konstellation der Konsensempfehlungen geht der Senat – wie in seiner bisherigen Rechtsprechung (u.a. zuletzt Urteil vom 29. Januar 2015 – Az.: L 14 U 24/12) und in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 23. April 2015 – Az.: B 2 U 10/14 R – Rn. 30 – zitiert nach juris) weiterhin davon aus, dass sich mit hinreichender Deutlichkeit bereits aus dem Wortlaut der Konsensempfehlungen (Seite 216 - (nur) "eine Betonung der Bandscheibenschäden an den unteren drei Segmenten der Lendenwirbelsäule" (und nicht bereits an den beiden unteren Segmenten) sowie dem Anhang der Konsensempfehlungen (Seite 219/220) ergibt, dass sich die dort verwendete Bezeichnung von "mehreren Bandscheiben" auf mindestens drei Segmente der LWS bezieht. Der Senat setzt insofern seine bisherige Rechtsprechung fort und schließt sich gleichzeitig der nach der zitierten Entscheidung des BSG (vgl. Urteil vom 23. April 2015 – Az.: B 2 U 10/14 R – Rn. 27) hierzu entsprechend ergangenen Rechtsprechung des 3. Senats (Urteil vom 27. Juli 2016 – Az.: L 3 U 24/11 ZVW) an.
Wie sich aus den übereinstimmenden Einschätzungen der Sachverständigen Dr. Z. und D. sowie auch des Beratungsarztes Dr. X. ergibt, erfüllt der Kläger bei Bandscheibenschäden in den unteren drei Segmenten L3/L4, L4/L5 und L5/S1 die Voraussetzungen des 1. Zusatzkriteriums. Auf das Vorliegen eines „black-disc-Phänomens“ kommt es daher nicht an, welches nach den ebenfalls übereinstimmenden Ausführungen der Sachverständigen Dr. Z. und AD. ohnehin nicht vorliegt.
bb) Mit dem Sachverständigen Dipl.-Bio. AE. ist zudem davon auszugehen, dass die beruflichen Tätigkeiten des Klägers nicht mit besonders intensiven Belastungen im Sinne des 2. Zusatzkriteriums verbunden gewesen sind. Für das 2. Zusatzkriterium der B2-Konstellation der Konsensempfehlungen geht der Senat – wie in seiner bisherigen Rechtsprechung (u.a. zuletzt Urteil vom 29. Januar 2015 – Az.: L 14 U 24/12) – auch nach der Rechtsprechung des BSG (Urteil vom 23. April 2015 – Az.: B 2 U 10/14 R – Rn. 27 - zitiert nach juris) weiterhin davon aus, dass eine Gesamtbelastungsdosis von 25 x 106 Nh zu fordern ist. Der Senat setzt seine bisherige Rechtsprechung damit fort und schließt sich gleichzeitig der nach der vorgenannten BSG-Entscheidung hierzu entsprechend ergangenen Rechtsprechung des 3. Senats (Urteil vom 27. Juli 2016 – Az.: L 3 U 24/11 ZVW) an. Voraussetzung ist damit, dass der Kläger den Richtwert der MDD-Lebensdosis (25 x 106 Nh) innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren erreicht (siehe hierzu allerdings nunmehr die Publikation der DGUV von November 2024 – „Nicht-medizinische Aspekte zur Begutachtung der BK-Nummern 2108 und 2110“, Seite 19, 20, wonach das Kriterium der besonders intensiven Belastung unabhängig von der bisherigen Diskussion über den als relevant anzusehenden Orientierungswert künftig gar nicht mehr bei der Kausalitätsprüfung heranzuziehen sei und für eine Anerkennung als Berufskrankheit künftig somit bei einer B2-Konstellation nur noch die Zusatzkriterien 1 oder 3 alternativ erfüllt sein müssten). Dies ist allerdings nach den für den Senat plausibel und nachvollziehbaren Berechnungen des Sachverständigen Dipl.-Bio. AE. nicht der Fall, weil bereits die errechnete kumulative Einwirkung in Höhe des Richtwertes der MDD-Lebensdosis von 25 x 106 Nh bei einem errechneten Belastungswert von 12,76 x 106 Nh nicht innerhalb eines Zeitraums von zehn Jahren erreicht wird.
cc) Schließlich hat der Sachverständige Dipl.-Bio. AE. beim Kläger auch kein besonderes Gefährdungspotenzial durch hohe Belastungsspitzen im Sinne des 3. Zusatzkriteriums erkennen können. Dem schließt sich der Senat nach eigener Überzeugung an. Anhaltspunkte für das Vorliegen eines besonderen Gefährdungspotentials durch hohe Belastungsspitzen durch Erreichen der Hälfte des MDD-Tagesdosis-Richtwertes bei Männern ab 6 kN bestehen bei dem Kläger nicht. Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, dass als Beispiele für derartige Belastungsspitzen nach den entsprechenden Formeln des MDD ein mindestens 38maliges beidhändiges Heben einer Last von 56 kg oder mindestens 38maliges einhändiges Heben einer Last von 32kg vorliegen müssten. Derartigen Belastungen hinsichtlich einer regelmäßigen Handhabung mit hohen Lastgewichten konnte der Sachverständige ausweislich seiner Berechnung in Anlage 1 und 2 seines arbeitstechnischen Gutachtens nicht feststellen. Zwar hat der Sachverständige dabei nicht ausgeschlossen, dass der Kläger teilweise hohe Lastgewichte von 50kg oder mehr sporadisch getragen hat.
dd) Vor diesem Hintergrund geht der erkennende Senat davon aus, dass bei dem Kläger das 1. Zusatzkriterium der die Konstellation B2 erfüllt ist. Weil die Sachverständigen Dr. E. und D. übereinstimmend mögliche Konkurrenzursachen in Form von z.B. einer wesentlichen skoliotischen oder auch kyphotischen Fehlstellung sowie Asymmetrien oder einer Deformierung der Wirbelkörper nach dorsolumbalem Morbus Scheuermann oder auch einer beurteilungsrelevanten Spondylolisthesis der Wirbelsäule des Klägers ausschließen konnten, geht der Senat davon aus, dass die berufliche Hebe- und Tragebelastung des Klägers die allein wesentliche Ursache für das Entstehen der Wirbelsäulenerkrankung des Klägers ist. Der Senat vermochte sich dabei nicht der Einschätzung des Sachverständigen AD. anschließen, der in seinem Gutachten von einer A2-Konstellation ausgegangen ist. Diese Einschätzung erfolgte noch auf Grundlage der Berechnungen des PD der Beklagten, der in seiner Stellungnahme zuletzt vom 18. August 2020 eine Gesamtbelastungsdosis von 12,1 x 106 Nh errechnet hat. Diese Berechnung ist durch den technischen Sachverständigen Dipl.-Bio. AE. – wie bereits ausgeführt – allerdings zutreffend auf Gesamtbelastungsdosis von 12,76 x 106 Nh korrigiert worden, so dass damit der vom BSG vorgegebene hälftige Orientierungswert von 12,5 x 106 Nh erreicht wird. Die damit erforderliche Einzelfallabwägung mit medizinischer Begutachtung und kritischer Prüfung des Kausalzusammenhangs (Meyer-Clement/Brandenburg in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage 2024, Seite 1448, 1457) ergibt, dass bei dem Kläger auf medizinischem Fachgebiet keine relevanten Konkurrenzursachen durch die Sachverständigen Dr. Z. und AD. festgestellt worden sind. Ferner liegt bei dem Kläger ein belastungskonformes Schadensbild mit Schädigungen der unteren drei Segmente der LWS und ein belastungskonformer Schadensverlauf vor, denn die bandscheibenbedingte Erkrankung ist ohne dokumentierte Arbeitsunfähigkeitszeiten erst im Jahr 2013 diagnostiziert worden und führte zur Aufgabe der belastenden Tätigkeit. Das der Sachverständige AD. darauf verwiesen hat, dass der Kläger mit seiner kräftigen körperlichen Konstitution 20 Jahre benötigt habe, um den unteren Schwellenwert zu erreichen, ist demgegenüber ohne weitere rechtliche Bedeutung.
4. Die bandscheibenbedingte Erkrankung hat schließlich den Zwang des Klägers zur Unterlassung aller gefährdenden Tätigkeiten herbeigeführt. Dies geht zur Überzeugung des Senats aus dem von Dr. Z. am 30. November 2018 erstellten Sachverständigengutachten hervor. Dieser hat für den Senat plausibel und nachvollziehbar dargelegt, dass die Wirbelsäulenerkrankung den Kläger zur Beendigung seiner Tätigkeit als Bautischler gezwungen hat, weil diesem nach Durchführung der Segmentrekonstruktion mit Implantation von Bandscheibenprothesen in die Etagen L3/L4, L4/L5 und L5/S1 vom 14. Januar 2016 seine wirbelbelastende Tätigkeit nicht mehr ausführen konnte. Für die Erfüllung des Tatbestandsmerkmales des Unterlassungszwangs nach der Nr. 2108 wird gefordert, dass die darin genannten belastenden Tätigkeiten, nämlich das Heben und Tragen schwerer Lasten bzw. Tätigkeiten in extremer Rumpfbeugehaltung in vollem Umfang aufgegeben sein müssen (BSG, Urteil vom 22. August 2000 – Az.: B 2 U 34/99 R – Rn. 25 – zitiert nach juris). Im Falle des Klägers erfolgte eine betriebliche Umsetzung, so dass dieser nach längerer Arbeitsunfähigkeit ausschließlich administrativ tätig ist und damit keine belastende Tätigkeit i.S.d. BK-Nr. 2108 mehr ausführt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Der Senat hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Rechtsprechung des BSG zur Anwendung des hälftigen Orientierungswertes als unterer Grenzwert (Urteil vom 30. Oktober 2007 – Az.: B 2 U 4/06 R) durch die Veröffentlichung der DWS mittlerweile überholt ist. Mit beachtlichen Gründen wird in der medizinischen Literatur (siehe z.B. Meyer-Clement/Brandenburg in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage 2024, Seite 1448, 1457 m.w.N.) hierzu ausgeführt, dass die Begründung des BSG zur Halbierung des MDD-Orientierungswertes für die Gesamtbelastung mit der Absenkung des Schwellenwertes durch die DWS mangels Verwertbarkeit der Ergebnisse der DWS nicht mehr durchgreife. Mangels eines verwertbaren Aussagegehaltes der DWS I und II zur Abhängigkeit morphologisch nachgewiesener Bandscheibenschäden von einer Gesamtbelastungsdosis liege für den unteren Dosiswert eine epidemiologisch nachvollziehbare Beschreibung eines erhöhten Erkrankungsrisikos bisher nicht vor. Wegen des großen Abstands zur MDD-Gesamtbelastungsdosis könne insbesondere nicht von einem vergleichbaren Erkrankungsrisiko in der Größenordnung des Verdopplungsrisikos ausgegangen werden (Meyer-Clement/Brandenburg in Schönberger/Mehrtens/Valentin, Arbeitsunfall und Berufskrankheit, 10. Auflage 2024, Seite 1457 m.w.N.). Der Sachverständige AD. hat zudem seine Bedenken dahingehend geäußert, dass eine Mindestdosis nicht in einer willkürlichen Halbierung der erforderlichen Dosis von 25 x 106 Nh bestehen könne, für die es keinerlei wissenschaftlich medizinische Erkenntnisse gebe. Welche Mindestdosis tatsächlich erforderlich sei, habe bisher wissenschaftlich nicht aufgearbeitet werden können. Der Senat sieht deshalb eine Klärung durch das BSG als sachgerecht an.
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