1. Zu den Anforderungen einer Anhörung zu einer Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG.
2. Die Rücknahme einer Leistungsbewilligung nach dem AsylbLG gemäß § 9 Abs 4 Nr 1 AsylbLG iVm § 45 Abs 1 SGB X zur Durchsetzung einer Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG setzt eine Ermessensausübung der Behörde voraus (sog. Rücknahmeermessen).
3. In die Interessenabwägung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsbehelfs nach § 86b Abs 1 S 1 Nr 2 SGG ist einzubeziehen, dass sich im Hauptsacheverfahren aus verfassungs- und europarechtlichen Gründen schwierige Rechtsfragen stellen können, insbesondere ob die (einheitlichen) Rechtsfolgen bei Anspruchseinschränkungen gemäß § 1a Abs 1 AsylbLG mit dem Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art 1 Abs 1 iVm Art 20 Abs 1 GG) zu vereinbaren sind.
Auf die Beschwerde des Antragstellers wird der Beschluss des Sozialgerichts Osnabrück vom 15. Mai 2025 aufgehoben.
Die aufschiebende Wirkung der beim Sozialgericht Osnabrück unter dem Aktenzeichen S 44 AY 11/25 anhängigen Klage gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 10. März 2025 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11. April 2025, dieser wiederum in der Fassung der Berichtigung vom 22. Mai 2025, wird angeordnet.
Der Antragsgegner hat die außergerichtlichen Kosten des Antragstellers für beide Rechtszüge zu erstatten.
Gründe
I.
Im Streit ist die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer gegen eine Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG (für die Zeit vom 22.3. bis voraussichtlich 21.9.2025) gerichteten Klage, hilfsweise eine auf die vorläufige Gewährung höherer lebensunterhaltssichernder Leistungen gerichtete Regelungsanordnung.
Der wohl 1996 geborene Antragsteller ist nach Aktenlage marokkanischer Staatsangehöriger, gibt sich zuletzt allerdings als staatenlos aus und reiste Mitte Februar 2023 aus Frankreich nach Deutschland ein. Er ist psychisch auffällig und u.a. mit umfangreichem Schriftverkehr mit Behörden sowie wegen Bedrohung, Beleidigung und Hausfriedensbruch mehrfach in Erscheinung getreten. Sein erster Asylantrag wurde bestandskräftig abgelehnt (Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge - BAMF - vom 9.4.2024). Auch Asylfolgeanträge vom 2.7. und 22.8.2024 hatten keinen Erfolg (Ablehnungsbescheide des BAMF vom 4.7. und 27.8.2024). Im (ersten) Asylverfahren war er dem Landkreis F. zugewiesen (Bescheid der Landesaufnahmebehörde - LAB - Niedersachsen vom 16.6.2023); dort wurde er bis zu seiner Verlegung in eine Aufnahmeeinrichtung des Antragsgegners in Braunschweig Mitte 2024 (aufgrund eines eintägigen Aufenthalts in der G. am H.) vom sozialpsychiatrischen Dienst betreut. Seit einem Aufenthalt in I., Frankreich (vom J.) hält er sich in der vom Antragsgegner in Bramsche, Landkreis Osnabrück, betriebenen Aufnahmeeinrichtung auf, wo er seinen letzten Asylfolgeantrag gestellt hatte. Er wird geduldet nach § 60b AufenthG. Seiner Abschiebung stehen eine unzureichende Identitätsfeststellung und fehlende Heimreisepapiere entgegen.
Während seines Aufenthalts in der Aufnahmeeinrichtung bezog der Antragsteller Grundleistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG, und zwar betreffend den notwendigen Bedarf (Verpflegung, Unterkunft, Heizung) überwiegend als Sachleistungen und zur Deckung des notwendigen persönlichen Bedarfs Barleistungen in monatlicher Höhe von 196,00 € sowie als Wertgutscheine zur Deckung der Bedarfe an Bekleidung und Gesundheitspflege in monatlicher Höhe von 57,33 €. Zuletzt wurden ihm diese Leistungen bewilligt für die Zeit vom 1.1. bis 31.12.2025 (Bescheid des Antragsgegners vom 20.12.2024).
Nach wiederholter Aufforderung zur Mitwirkung im aufenthaltsrechtlichen Verfahren (u.a. durch Schreiben der LAB vom 8., 11.7. und 5.9.2024) und Anhörung zu einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 5 Nr. 2 AsylbLG (Schreiben der LAB vom 18.2.2025) hob der Antragsgegner die Leistungsbewilligung nach dem AsylbLG auf und verfügte gegenüber dem Antragsteller eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 5 Nr. 2 AsylbLG, indem er ihm allein Sachleistungen zur Deckung des notwendigen Bedarfs und nötigenfalls Gesundheitsleistungen nach § 4 AsylbLG gewährte. Geldleistungen bzw. Wertgutscheine erhält der Antragsteller nicht (Bescheid des Antragsgegners vom 10.3.2025 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.4.2025).
Mit Klageerhebung beim Sozialgericht (SG) Osnabrück am 14.4.2025 (S 44 AY 11/25) hat der Antragsteller zugleich einen Eilantrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gestellt, hilfsweise auf Verpflichtung des Antragsgegners zur Gewährung vorläufiger Leistungen nach §§ 3, 3a AsylbLG. Das SG hat den im Eilverfahren gestellten Hauptantrag u.a. mit der Begründung abgelehnt, dass die Voraussetzungen für die Anordnung der hier nach § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG kraft Gesetzes nicht geltenden aufschiebenden Wirkung der Klage nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG nicht vorliegen würden (Beschluss des SG vom 15.5.2025). Es bestünden keine ernstlichen Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Bescheides, weil die Voraussetzungen einer Anspruchseinschränkung - abweichend von der Bescheidbegründung (dort nach § 1a Abs. 5 Nr. 2 AsylbLG) - gemäß § 1a Abs. 3 AsylbLG vorliegen würden (S. 7 f.), die Befristung nicht rechtswidrig sei (S. 8 f.) und die Verfügung weder gegen das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums (S. 9 bis 13) noch gegen Europarecht verstoße (S. 13-16).
Gegen diese Entscheidung richtet sich die Beschwerde des Antragstellers vom 19.5.2025. Sein Vorbringen in erster Instanz ergänzend macht er geltend, die Voraussetzungen für eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG würden nicht vorliegen, weil er schon keinen marokkanischen Pass besitze und einen solchen damit auch nicht vorlegen könne. Aufgrund der Anspruchseinschränkung verfüge er auch nicht über die finanziellen Mittel für die Beschaffung eines Passes oder eines Passersatzpapiers. Im Beschwerdeverfahren beruft er sich insbesondere auf seine psychische Erkrankung, die im November 2024 ursächlich für einen Suizidversuch gewesen und noch nicht hinreichend bei der Beurteilung des ihm vorgeworfenen Verhaltens berücksichtigt worden sei. Im Übrigen beanstandet der Antragsteller die verfügte Anspruchseinschränkung - nach wie vor - unter verschiedenen Aspekten, u.a. wegen einer fehlerhaften Befristung und unverhältnismäßiger Rechtsfolgen, die einen Verstoß gegen Verfassungs- und Europarecht bedingen würden. Verfahrensrechtlich macht er geltend, die Voraussetzungen für eine Aufhebung des Leistungsbescheides vom 20.12.2025 nach § 9 Abs. 4 AsylbLG i.V.m. §§ 45 oder 48 SGB X würden bereits tatbestandlich nicht vorliegen.
Der Antragsgegner hält den angefochtenen Beschluss für zutreffend und macht u.a. ergänzend geltend, der Antragsteller habe in einer E-Mail aus Mai 2023 zugegeben, im Besitz eines marokkanischen Passes zu sein. Seine auch vom Antragsgegner erkannten psychischen Probleme würden nach einem vom Amtsgericht K. eingeholten ärztlichen Gutachten allerdings keine Bestellung eines rechtlichen Betreuers erfordern und stünden einer Anspruchseinschränkung nicht entgegen. Erstmals im Beschwerdeverfahren stützt der Antragsgegner die Aufhebung des Leistungsbescheides vom 20.12.2024 auf § 9 Abs. 4 AsylbLG i.V.m. § 45 SGB X; allerdings sei eine Aufhebung für die Zukunft nicht schon ab dem 22.3.2025, sondern erst ab dem 23.3.2025 gerechtfertigt, weil der Antragsteller just am 22.3.2025 noch Leistungen erhalten habe. Aus diesem Grund hat der Antragsgegner den Bescheid vom 10.3.2025 mit einem an den Prozessbevollmächtigten adressierten Schreiben vom 22.5.2025 „gem. § 46 VwVfG“ durch die Ergänzung der Rechtsgrundlage der Aufhebung und der Einschränkung (§ 1a Abs. 3 AsylbLG) sowie durch eine Änderung des Einschränkungszeitraums vom 23.3.2025 bis längstens bis zum „31.9.2025“ berichtigt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Prozessakte und der beigezogenen Gerichtsakte des Hauptsacheverfahrens (S 44 AY 11/25) und der ebenfalls beigezogenen Ausländer- und Leistungsakten Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht (§ 173 SGG) eingelegte und auch im Übrigen zulässige, insbesondere statthafte (§ 172 Abs. 3 Nr. 1 i.V.m. §§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGG) Beschwerde ist begründet. Das SG hat den Eilantrag zu Unrecht abgelehnt.
Statthaft ist hier der mit der Antragsschrift vom 14.4.2025 erstinstanzlich gestellte Hauptantrag (zu 1) nach Maßgabe des § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG, nach dem das Gericht der Hauptsache auf Antrag in denjenigen Fällen, in denen Widerspruch oder Anfechtungsklage keine aufschiebende Wirkung haben, die aufschiebende Wirkung ganz oder teilweise anordnen kann. Der angefochtene Bescheid des Antragsgegners vom 10.3.2025 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.4.2025, dieser wiederum in der Fassung der Berichtigung vom 22.5.2025, stellt für die Zeit vom 22. bzw. 23.3.2025 bis zur Ausreise des Antragstellers, längstens jedoch bis zum 21.9.2025 (insoweit dürfte mit der Nennung des 31.9.2025 in dem Schreiben vom 20.5.2025 ein offensichtlicher Schreibfehler vorliegen), eine Aufhebung des zuvor für die Zeit vom 1.1. bis 31.12.2025 ergangenen Leistungsbescheids des Antragsgegners vom 20.12.2024 über die Bewilligung von Barleistungen in monatlicher Höhe von 196,00 € sowie von Wertgutscheinen in monatlicher Höhe von 57,33 € dar. In der Hauptsache (S 44 AY 11/25) ist damit statthaft eine (isolierte) Anfechtungsklage (§ 54 Abs. 1 SGG), der - ebenso wie zuvor dem Widerspruch des Antragstellers vom 8.4.2025 - gemäß § 11 Abs. 4 Nr. 2 AsylbLG keine aufschiebende Wirkung zukommt.
Die Entscheidung über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung nach § 86b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGG erfolgt auf der Grundlage einer Interessenabwägung. Abzuwägen ist das private Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung der Klage mit dem öffentlichen Interesse an einer sofortigen Vollziehung des Bescheides des Antragsgegners vom 10.3.2025 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.4.2025 (§ 95 SGG), dieser wiederum in der Fassung der Berichtigung vom 22.5.2025. Im Rahmen der Interessenabwägung ist insbesondere die nach summarischer Prüfung der Rechtslage zu bewertende Erfolgsaussicht des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Je größer die Erfolgsaussichten sind, umso geringer sind die Anforderungen an das Aussetzungsinteresse des Antragstellers; umgekehrt sind die Anforderungen an die Erfolgsaussichten umso geringer, je schwerer die Verwaltungsmaßnahme wirkt (vgl. Keller in Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 12. Aufl. 2017, § 86b Rn. 12 ff.).
Nach diesen Maßgaben ist die aufschiebende Wirkung der beim SG anhängigen Klage (S 44 AY 11/25) anzuordnen, weil der angefochtene Bescheid nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage rechtswidrig ist und die o.g. Interessenabwägung insgesamt zu Gunsten des Antragstellers ausgeht.
Als Aufhebungsverfügung betreffend den Bescheid vom 20.12.2024 erfüllt der Bescheid vom 10.3.2025 über die Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG nicht die Voraussetzungen nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. §§ 44 ff. SGB X, wobei dahingestellt bleiben kann, ob die Vorgaben für eine Rücknahmeentscheidung nach § 45 SGB X oder für eine Aufhebung aufgrund einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse nach § 48 SGB X erfüllt sein müssen.
Zweifel bestehen bereits an der formellen Rechtmäßigkeit des Bescheides des Antragsgegners vom 10.3.2025 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.4.2025, dieser wiederum in der Fassung der Berichtigung vom 22.5.2025.
Zwar ist der Antragsgegner nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage gemäß § 45 Abs. 5 bzw. § 48 Abs. 4 Satz 1 i.V.m. § 44 Abs. 3 SGB X für eine Aufhebung des zuvor ergangenen Leistungsbescheides vom 20.12.2024 zuständig. Danach entscheidet über die Rücknahme bzw. Änderung nach Unanfechtbarkeit des Verwaltungsaktes die zuständige Behörde; dies gilt auch dann, wenn der zurückzunehmende Verwaltungsakt von einer anderen Behörde erlassen worden ist. Nach § 10a Abs. 1 Satz 1 AsylbLG ist die nach § 10 AsylbLG bestimmte Behörde für die Leistungen nach diesem Gesetz örtlich zuständig, in deren Bereich der Leistungsberechtigte nach dem AsylG oder AufenthG verteilt oder zugewiesen worden ist oder für deren Bereich für den Leistungsberechtigten eine Wohnsitzauflage besteht. Die Zuweisungsentscheidung zum Landkreis F. vom 16.6.2023 ist zur Bestimmung der Zuständigkeit nicht mehr maßgeblich, weil sie sich durch den rechtskräftigen Abschluss des (ersten) Asylverfahrens im April 2024 gemäß § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 43 Abs. 2 VwVfG auf andere Weise erledigt hat; dem Antragsteller sind im Weiteren Duldungen aus asylverfahrensunabhängigen Gründen erteilt worden (vgl. dazu BSG, Urteil vom 29.2.2024 - B 8 AY 2/23 R - juris Rn. 24 m.w.W.; ständige Rspr. des Senats, vgl. nur Senatsurteil vom L 8 AY 47/18 - juris Rn. 24 m.w.N.). Ob für den Antragsteller eine Wohnsitzauflage besteht oder eine räumliche Beschränkung auch nach Abschluss des Asylverfahrens in Kraft ist (vgl. § 59a Abs. 2 Satz 1 AsylG) lässt der Senat im Eilverfahren dahinstehen. Der gegenwärtige Aufenthalt des Antragstellers in der Aufnahmeeinrichtung in Bramsche ist auf seine Wiedereinreise in das Bundesgebiet am 20.8.2024 - nach einem mehr als einen Monat währenden Aufenthalt in L. - zurückzuführen. Die sachliche Zuständigkeit des Antragsgegners für eine Leistungsgewährung in der Aufnahmeeinrichtung ergibt sich insoweit aus § 10 AsylbLG i.V.m. § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Niedersächsischen Aufnahmegesetzes (NAufnG). Die abschließende Prüfung der örtlichen und sachlichen Zuständigkeit bleibt dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
Allerdings spricht bereits Überwiegendes dafür, dass der Antragsgegner den Antragsteller vor der Aufhebung des Leistungsbescheides vom 20.12.2024 durch die verfügte Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG nicht ordnungsgemäß nach § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 28 VwVfG angehört hat und dieser Verfahrensfehler auch nicht gemäß § 1 Abs. 1 Nds. VwVfG i.V.m. § 46 VwVfG unerheblich ist (zum Erfordernis einer Anhörung im Rahmen des § 1a AsylbLG vgl. Senatsbeschluss vom 20.6.2023 - L 8 AY 16/23 B ER - juris Rn. 18). Der Antragsteller hat zwar durch das Anhörungsschreiben vom 18.2.2025 Gelegenheit erhalten, sich zu der beabsichtigten Anspruchseinschränkung zu äußern. Dass der Antragsgegner hierbei nicht auf eine möglicherweise erforderliche Ermessensentscheidung über die Rücknahme des Leistungsbescheides vom 20.12.2025 hingewiesen hat, dürfte die Wirksamkeit der Anhörung insoweit nicht berühren, kann aber eine materielle Rechtswidrigkeit des Aufhebungsbescheides bedingen (dazu später). Der Antragsgegner hat allerdings im gesamten Verwaltungsverfahren fehlerhaft auf eine Verletzung von asylverfahrensrechtlichen Mitwirkungspflichten nach § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylG (Vorlage eines Passes oder Passersatzes) und ebenfalls fehlerhaft auf eine Anspruchseinschränkung während eines Asylverfahrens nach § 1a Abs. 5 Nr. 2 AsylbLG abgestellt. Die Asylverfahren des Antragstellers sind hingegen bereits rechtskräftig abgeschlossen gewesen. Ob eine solche Anhörung vor einer Anspruchseinschränkung den formellen Anforderungen genügt, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten, insbesondere ob mit einer Anhörung auch eine Belehrung über den konkreten Einschränkungstatbestand bzw. den Pflichtenverstoß zu erfolgen hat (vgl. etwa Bayerisches LSG, Urteil vom 9.3.2023 - L 8 AY 110/22 - juris Rn. 49, Revision beim BSG anhängig unter B 8 AY 5/23 R; in diese Richtung auch Senatsurteil vom 29.4.2021 - L 8 AY 21/18 - juris Rn. 22; offen gelassen durch BSG, Urteil vom 12.5.2017 - B 7 AY 1/16 R - juris Rn. 19 m.w.N. zum Schrifttum). Die abschließende Prüfung kann allerdings auch insoweit dem Hauptsacheverfahren vorbehalten bleiben.
Ungeachtet der Zweifel an seiner formellen Rechtmäßigkeit ist der angefochtene Aufhebungs- und Einschränkungsbescheid nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage jedenfalls materiell rechtswidrig.
Sollte der Leistungsbescheid vom 20.12.2024 - entsprechend dem Standpunkt des Antragsgegners - zum Zeitpunkt seines Erlasses rechtswidrig gewesen sein, weil bereits zu diesem Zeitpunkt die Voraussetzungen einer Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG vorgelegen haben, wäre Rechtsgrundlage des Bescheides vom 10.3.2025 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 11.4.2025, dieser wiederum in der Fassung der Berichtigung vom 22.5.2025, § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 45 Abs. 1 SGB X, nach dem ein rechtswidriger Verwaltungsakt unter bestimmten Voraussetzungen ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden „darf“. Die Aufhebung erfordert in diesen Fällen die Ausübung von Ermessen (sog. Rücknahmeermessen, vgl. etwa BSG, Urteil vom 23.3.2010 - B 8 SO 12/08 R - juris Rn. 10 m.w.N.). Eine solche Ermessensausübung ist weder dem Ausgangs- noch dem Widerspruchsbescheid und auch nicht dem Berichtigungsbescheid vom 22.5.2025 zu entnehmen. Wie bereits ausgeführt konnte die Anhörung des Antragstellers wegen des fehlenden Hinweises auf eine möglicherweise zu treffende Ermessensentscheidung insoweit auch nicht den Zweck erfüllen, ermessensrelevante Gesichtspunkte für eine Rücknahme zu ermitteln (vgl. dazu etwa BSG, Urteil vom 23.2.2023 - B 8 SO 9/21 R - juris Rn. 26). Dass eine Ermessensentscheidung ausnahmsweise entbehrlich ist (sog. Ermessensreduzierung auf Null), kann allenfalls in besonders gelagerten Ausnahmefällen angenommen werden (vgl. etwa Schütze in Schütze, SGB X, 9. Aufl. 2020, § 45 Rn. 105 m.w.N.) und ist hier bereits wegen der Umstände des Einzelfalles (u.a. der psychischen Auffälligkeiten des Antragstellers) abwegig.
Die Voraussetzungen für eine Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse nach § 9 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 AsylbLG i.V.m. § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB X liegen nach summarischer Prüfung der Sach- und Rechtslage ebenfalls nicht vor. Danach ist ein Verwaltungsakt mit Dauerwirkung mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben, soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass des Verwaltungsaktes vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt. Eine den Erlass eines Bescheides über eine Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 5 Nr. 2 AsylbLG bzw. nach § 1a Abs. 3 AsylbLG für die Zeit ab dem 22. bzw. 23.3.2025 rechtfertigende wesentliche Änderung ist hier nicht gegeben. Vielmehr ist der Antragsteller in der Zeit seit Erlass des Leistungsbescheides vom 20.12.2024 bis zur Anspruchseinschränkung nach § 1a AsylbLG durch den Ausgangsbescheid vom 10.3.2025 nicht mehr zur Mitwirkung im aufenthaltsrechtlichen Verfahren aufgefordert worden.
An dem Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsaktes besteht im Rahmen der Abwägung nach § 86b Abs. 1 Nr. 2 SGG in der Regel kein überwiegendes Interesse. Auch die übrigen Umstände des Falles sprechen für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage in der Hauptsache (S 44 AY 11/25). Im Streit um die Rechtmäßigkeit der Anspruchseinschränkung nach § 1a Abs. 3 AsylbLG für den Zeitraum vom 22. bzw. 23.3.2025 bis zur Ausreise des Antragstellers, längstens jedoch bis zum 21.9.2025 können sich - wie auch der angefochtenen Entscheidung des SG zu entnehmen (S. 10 ff. des Beschlusses) - aus verfassungs- und ggf. aus europarechtlichen Gründen schwierige Rechtsfragen stellen (vgl. hierzu bereits Senatsbeschluss vom 4.12.2019 - L 8 AY 36/19 B ER - juris), insbesondere ob die (einheitlichen) Rechtsfolgen bei Anspruchseinschränkungen gemäß § 1a Abs. 1 AsylbLG (vgl. hier den Rechtsfolgenverweis aus § 1a Abs. 3 Satz 1 AsylbLG) mit dem Grundrecht auf Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums (Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG) zu vereinbaren sind. Dies ist in Rechtsprechung und Literatur sehr umstritten und noch nicht höchstrichterlich geklärt (vgl. dazu etwa Sächsisches LSG, Beschluss vom 16.12.2021 - L 8 AY 8/21 B ER - juris; LSG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 8.11.2024 - L 20 AY 16/24 B ER - juris; Oppermann in jurisPK-SGB XII, 4. Aufl. 2024, § 1a AsylbLG Rn. 241 ff. m.w.N.; Hohm in GK-AsylbLG, 105. Lfg., Januar 2025, § 1a Rn. 560 ff.).
Über den in erster Instanz nicht entschiedenen Hilfsantrag (zu 2) auf Erlass einer Regelungsanordnung i.S. des § 86b Abs. 2 SGG hat der Senat nicht zu befinden, weil der Antragsteller mit seinem Hauptantrag voll obsiegt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar, § 177 SGG.
C. D. E.