S 13 SO 3/24

Land
Niedersachsen-Bremen
Sozialgericht
SG Aurich (NSB)
Sachgebiet
Sozialhilfe
1. Instanz
SG Aurich (NSB)
Aktenzeichen
S 13 SO 3/24
Datum
2. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
3. Instanz
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Aktenzeichen
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Datum
-
Kategorie
 
Leitsätze

Ein Therapie-Tandem kann eine Leistung der Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft nach dem SGB IX sein, wenn es nicht als hilfsmittel im Sinne der Krankenversicherung anzusehen ist.

Der Bescheid vom 16.05.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2023 wird aufgehoben und der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin die Übernahme der Kosten eines Therapie Tandems PINO Steps Costum zu bewilligen.

Der Beklagte trägt die notwendigen außergerichtlichen Kosten der Klägerin.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten um die Berechtigung der Klägerin zum Bezug von Leistungen zur Anschaffung eines Therapie Tandems PINO STEPS Custom von Hase Bikes.

Die Klägerin ist am 28.07.2012 geboren und lebt bei ihren Eltern im Bereich des Beklagten in I.. Sie leidet an einem Gendefekt mit Wahrnehmungsbeeinträchtigungen, reduzierter Muskelkraft und reduzierter Ausdauer. Die Klägerin ist als schwerbehinderter Mensch anerkannt mit einem GdB von 80 und dem Merkzeichen G, aG und B (Blatt 33 Akte). Bei ihr ist zunächst eine Pflegestufe 2 nach der sozialen Pflegeversicherung anerkannt gewesen, dies wurde mit der Pflegerechtsreform auf einen Pflegegrad 4 geändert (vgl. Blatt 32). Die Klägerin kann nicht alleine Fahrrad fahren. Sie nutzt aktuell keine Hilfsmittel zur Mobilität. Im Jahr 2019 hatte sie von der Beigeladenen einen Reha-Buggy bewilligt erhalten, dieser wurde aber nur bis zum Jahr 2022 vorgehalten, dann wurde er zu klein. Gleichermaßen hatten die Eltern in der Vergangenheit ein Dreirad für sie angeschafft, welches ebenfalls aktuell zu klein ist. Die Klägerin kann sich fußläufig fortbewegen, hier gibt es zeitweise psychisch bedingte Probleme mit Verweigerungshaltungen.

Die Eltern beantragten für die Klägerin bei der Beigeladenen die Kostenübernahme für ein Therapie Tandem PINO STEPS Custom von der Firma Hase Bikes. Diesen Antrag leitete die Beigeladene an den Beklagten mit Schreiben vom 02.03.2023 weiter. Sie berief sich darauf, dass es sich bei diesem Tandem für die Klägerin nicht um eine Leistung der Krankenkasse handele, weil die Klägerin sich nicht ohne Hilfe anderer mit diesem Fahrrad fortbewegen könne. Des Weiteren solle es nur für die Freizeit genutzt werden und sei daher ein Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens, es diene nicht der Sicherstellung der Grundbedürfnisse. Ebenso wenig diene es der Integration in Gruppen Gleichaltriger.

Unter dem 11.04.2023 bescheinigte das Kinderzentrum Oldenburg schriftlich, nach Untersuchung der Klägerin, dass sie nicht alleine am Straßenverkehr teilnehmen könne. Mit dem begehrten Therapie Tandem könne sie aktiv mittreten und so ihre Muskeln stärken wie auch am Straßenverkehr teilnehmen (Blatt 55).

Mit dem streitigen Bescheid vom 16.05.2023 lehnte der Beklagte den Antrag ab. Bezüglich eines Anspruches nach Krankenversicherungsrecht gemäß § 33 des Fünften Buches des Sozialgesetzbuches - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) berief der Beklagte sich darauf, dass ein Ausgleich einer Behinderung nicht vorliege. Ebenso wenig sei das Therapie Tandem in ein therapeutisches Konzept eingebunden. Fahrten zu Therapien könnten als solche nicht dazu führen, dass Leistungen der Eingliederungshilfe zu gewähren seien, insbesondere seien Ausflüge, Fahrten zu Therapien und Einkäufe mit dem Familienkraftfahrzeug durchzuführen. Der Erwerb des Therapie Tandems sei nicht erforderlich im Sinne des § 84 des Neunten Buches des Sozialgesetzbuches Rehabilitation und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX).

Mit ihrem Widerspruch vom 06.06.2023 berief sich die Klägerin ergänzend darauf, dass das Tandem speziell für therapeutische Zwecke bei ihr erforderlich sei (vgl. Blatt 60, 69 der Verwaltungsakten). Am 06.12.2023 erging der streitige Widerspruchsbescheid. Dieser vertiefte die Argumentation aus dem Ablehnungsbescheid und verwies wiederum darauf, dass ein Anspruch nach Krankenversicherungsrecht nicht in Betracht komme, da Grundbedürfnisse nicht ausgeglichen wurden. Im Nahbereich sei ein anderes Mittel erforderlich und im Bereich der Eingliederungshilfe sei das Tandem wegen der Möglichkeit der Nutzung des Familienkraftfahrzeuges nicht erforderlich (Blatt 71).

Die Klägerin ist der Auffassung, dass sie Leistungen für den Erwerb des Therapie Tandems entweder vom Beklagten oder von der Beigeladenen beanspruchen könne. Das Therapie Tandem sei ein therapeutisch nutzbares Hilfsmittel und im Übrigen erforderlich zur gesellschaftlichen Teilhabe insbesondere in Bezug auf den Alltag.

Die Klägerin beantragt,

den Bescheid vom 16.05.2023 in Gestalt des streitigen Widerspruchsbescheides vom 06.12.2023 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, Leistungen für die Anschaffung eines Therapie Tandems PINO Steps Costum zu bewilligen.

Der Beklagte beantragt,

              die Klage abzuweisen.

Er ist der Auffassung, dass die Argumentation aus dem Widerspruchsbescheid auch nach dem Ergebnis der weiteren Ermittlungen und dem Inbegriff der mündlichen Verhandlung weiterhin durchgreifend sei.

Die Beigeladene beantragt,

              die Klage abzuweisen.

Sie bestätigt die Auffassung des Beklagten, dass kein Anspruch der Klägerin nach den Grundsätzen des Krankenversicherungsrechtes auf Gewährung von Leistungen für die Anschaffung des Therapie Tandems bestehe.

Das Gericht hat die Beigeladene mit Beschluss vom 10.06.2024 beigeladen.

Am 18.03.2025 hat das Gericht eine mündliche Verhandlung in der Angelegenheit durchgeführt, an der die Klägerin persönlich mit ihren Eltern teilnahm. Bezüglich des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung wird auf das in den Gerichtsakten befindliche Protokoll Bezug genommen.

Weiterer Gegenstand der Entscheidungsfindung waren die vom Beklagten überreichten Verwaltungsvorgänge.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Der streitige Bescheid vom 16.05.2023 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 06.12.2023 ist rechtswidrig ergangen und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Klägerin kann vom Beklagten Leistungen zur Anschaffung des Therapie Tandems PINO STEPS Custom mit angepasster Zusatzausstattung nach den Grundsätzen des Eingliederungshilferechtes beanspruchen.

Hierzu erkennt das Gericht zunächst, dass gemäß den Regelungen des § 14 SGB IX der Beklagte in jedem Fall im Außenverhältnis gegenüber der Klägerin für die begehrten Leistungen zuständig ist. Die Beigeladene als Rehabilitationsträgerin hat den ursprünglichen Antrag fristgerecht an den Beklagten weitergeleitet. Diese Weiterleitung ist im Fall der Klägerin dabei zutreffend erfolgt, denn das Gericht erkennt, dass der Beklagte originär als Träger der Eingliederungshilfe für Leistungen der Eingliederungshilfe in Form der Gewährung von Mitteln zur Anschaffung des Therapie Tandems im Fall der Klägerin zuständig ist.

Dieser Bewertung steht nicht entgegen, dass Leistungen der Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft im Sinne des SGB IX subsidiär bezüglich der vorrangigen Leistungen zur medizinischen Rehabilitation sind (vgl. Bundessozialgericht - BSG -, Urteil vom 07.05.2020 - B 3 KR 7/19 R zitiert nach Juris). Zur Überzeugung der Kammer besteht kein Anspruch der Klägerin auf den Bezug von Leistungen zur Anschaffung des Therapie Tandems auf der Grundlage des § 33 SGB V. Dieser besagt, dass Versicherte Anspruch auf die Versorgung mit Hilfsmitteln haben, die im Einzelfall erforderlich sind, um den Erfolg der Krankenbehandlung zu sichern, einer drohenden Behinderung vorzubeugen oder eine Behinderung auszugleichen, soweit die Hilfsmittel nicht als allgemeine Gebrauchsgegenstände des täglichen Lebens anzusehen oder nach § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen sind.

Zwar handelt es sich nach der vom erkennenden Gericht ausdrücklich geteilten ständigen Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes (vgl BSG, Urteil vom 7. Mai 2020 – B 3 KR 7/19 R –, SozR 4-2500 § 33 Nr 54, Rn. 27) bei einem Therapie Tandem um eine Spezialanfertigung für Behinderte und nicht um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens. Dieses ist auch nicht gem. § 34 Abs. 4 SGB V ausgeschlossen. Aber die Erforderlichkeit der Nutzung des Tandems zum Ausgleich einer Behinderung oder zur Sicherung des Erfolges einer Krankenbehandlung konnte nicht zur Überzeugung des Gerichtes nachgewiesen werden.

Zunächst erkennt das Gericht, dass das Therapie Tandem nicht im Rahmen eines Konzeptes zur Therapie der gesundheitlichen Einschränkungen der Klägerin genutzt werden soll. Zwar soll es der Gesunderhaltung insbesondere im Sinne des Muskeltrainings der Klägerin dienen, dies ist aber eine Zielrichtung und kein spezifisches Therapiekonzept.

Bei dem begehrten Therapie Tandem handelt es sich nicht um ein Hilfsmittel zum unmittelbaren Behinderungsausgleich. Des Weiteren erkennt das Gericht nicht, dass das Therapie Tandem dem mittelbaren Behinderungsausgleich der Klägerin im Sinne des Krankenversicherungsrechts dient. Das wäre nur dann der Fall, wenn es die Auswirkungen der Behinderung im gesamten täglichen Leben beseitigt oder mildert und damit ein allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens betrifft (ständige Rechtsprechung, vgl. BSG Urteil vom 10.03.2011 - B 3 KR 9/10 R zitiert nach Juris). Zu diesen Grundbedürfnissen des täglichen Lebens gehören unter anderem das Gehen im Sinne einer Erschließung eines Freiraums (BSG a.a.O. sowie Urteil vom 07.10.2020 - B 3 KR 13/09 R; Urteil vom 18.05.2011 - B 3 KR 7/10 jeweils zitiert nach Juris). Ein anerkanntes allgemeines Grundbedürfnis des täglichen Lebens in Bezug auf Mobilität ist dabei nach einer Ansicht nur dann anerkannt, wenn es um die Erschließung des nächsten Bereiches um die Wohnung eines Versicherten geht (vgl. Pitz in Juris PK SGB V § 33 Stand 09.10.2024 Rn. 72). Anknüpfungspunkt für diesen Nahbereich, der zu einer anerkennenden Leistung führt, ist der Bewegungsradius, den ein nicht behinderter Mensch üblicherweise zu Fuß zurücklegt.

Dies ist nach einer Ansicht der nächste Umkreis der mit einem von einem behinderten Menschen selbst betriebenen Aktivrollstuhl erreicht werden kann, also nur der Bereich unmittelbarer Nähe zur Wohnung (BSG vom 18.05.2011 a.a.O.). Diesbezüglich hat das Gericht aus dem Vorbringen d. Betreuer der Klägerin und dem persönlichen Eindruck der Klägerin in der mündlichen Verhandlung die Überzeugung erlangt, dass die Klägerin diesen Bereich fußläufig erschließen kann.

Selbst wenn man dieser Ansicht nicht folgen wollte, so ist die Klägerin nicht so weitgehend in ihrer Mobilität eingeschränkt, dass sie den Nahbereich nicht bewältigen könnte. Nach in Rechtsprechung und Literatur weiter vertretener Ansicht ist in den Nahbereich auch der Raum einbezogen, in dem die üblichen Alltagsgeschäfte im erforderlichen Umfang erledigt werden. Dazu gehören nach einem abstrakten Maßstab die allgemeinen Versorgungswege zum Einkaufen, Post, Bank ebenso wie gesundheitserhaltende Wege (Besuche von Ärzten, Therapeuten, Apotheken oder ähnlichem) sowie auch elementare Freizeitwege (so ausdrücklich BSG, Urteil vom 07.05.2020 B 3 KR 7/19 R zitiert nach Juris). Hierbei ist es nicht entscheidungserheblich, ob das begehrte Hilfsmittel eine motorunterstützende Mobilitätshilfe ist oder nicht. Denn entscheidend ist alleine nach den örtlichen Gegebenheiten, ob die wesentlichen Versorgungs- und Gesunderhaltungswege (vgl. oben) üblicherweise zu Fuß erreicht werden (vgl. BSG, Urteil vom 18.04.2024 - B 3 KR 13/22 R zitiert nach Juris). Jedoch besteht die zwingende Voraussetzung, dass aus gesundheitlichen/behinderungsbedingten Gründen die Anspruchstellerin nicht in der Lage ist, entsprechende Wege ohne das Hilfsmittel zurückzulegen. Das Gericht hat nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung insbesondere den Einlassungen der Eltern der Klägerin sowie dem eigenen Eindruck der Kammer von der Klägerin nicht die Überzeugung gewinnen können, dass die Klägerin nicht in der Lage wäre, solche Strecken im „weiteren“ Nahbereich regelhaft zu Fuß zurückzulegen. Sie ist sicherlich aufgrund ihrer Muskelschwäche insbesondere sowie ihren psychischen Gegebenheiten nicht in gleicher Art und Weise in der Lage, Strecken zu Fuß zurückzulegen, wie es gesunde Kinder wären. Jedoch eine Grundmobilität der Klägerin in Bezug auf den nächsten Bereich um ihren Wohnort beziehungsweise den näheren Bereich kann das Gericht als gegeben ansehen. Hierzu haben die Betreuer der Klägerin illustrativ dargestellt, dass an guten Tagen die Klägerin in der Lage wäre, Strecken von einem Kilometer oder mehr zu Fuß zurückzulegen.

Auch die in der Rechtsprechung anerkannte Erforderlichkeit des Tandems für die Klägerin, um an Gruppen gleichaltriger Menschen teilzunehmen (vgl. Thüringer LSG v. 02.05.2017 - L 6 KR 1635/14 B; Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., § 33 SGB V (Stand: 09.10.2024), Rn. 72 m.w.N.), kann das Gericht nicht als nachgewiesen ansehen. Die Klägerin nimmt an solchen Gruppen nach Bekunden der Betreuer aktuell nur im Rahmen der Beschulung teil, Freizeitgruppen werden nicht besucht. Sie ist hieran auch nicht nur deswegen gehindert, weil das begehrte Tandem nicht zur Verfügung steht.

Da damit kein vorrangiger Anspruch auf den Grundlagen des Krankenversicherungsrechtes besteht, kann die Klägerin ihr Begehren mit Erfolg auf die Regelungen der Eingliederungshilfe stützen, hier §§ 90, 99, 113 SGB IX. Zunächst ist hierbei festzustellen, dass der erforderliche Antrag (§ 108 SGB IX) aktenkundig gestellt wurde. Ebenso ist die Klägerin nach übereinstimmender Bewertung der Beteiligten als behinderter Mensch im Sinne des § 2 SGB IX anzusehen. Diese Bewertung wird vom Gericht nach eigener Überzeugung geteilt. Der Beklagte sieht den anzuerkennenden Teilhabebereich im Bereich der sozialen Teilhabe gemäß den Regelungen der §§ 113, 77 ff. SGB IX. Diese Bewertung teilt das Gericht ebenfalls. Entgegen der Bewertung des Beklagten erkennt jedoch das Gericht sowohl die Eignung des Therapie Tandems zum Erreichen der Ziele der Eingliederungshilfe im Sinne des § 90 Abs. 1 Abs. 5 SGB IX als auch die Erforderlichkeit der Leistungen unter Berücksichtigung des Wunsch- und Wahlrechts (§ 104 SGB IX) als nachgewiesen.

Leistungen der Eingliederungshilfe zur Teilhabe am Leben der Gemeinschaft haben die Aufgabe, einem behinderten Menschen die gleichwertige Teilnahme am Leben in der Gemeinschaft zu ermöglichen. Deshalb gehören zu diesen Leistungen auch solche Hilfsmittel, die den Ausgleich einer gleichberechtigten Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft bezwecken und daher zwar regelmäßig die Alltagsbewältigung betreffen, aber nicht mehr von medizinischer Teilhabe umfasst sind. Solche Hilfsmittel im Rahmen der Eingliederungshilfe sind diejenigen, die dem behinderten Menschen den Kontakt mit seiner Umwelt, nicht nur mit Familie und Nachbarschaft, sowie die Teilnahme am öffentlichen und kulturellen Leben ermöglichen. (BSG, Urteil vom 07.05.2020 - B 3 KR 7/19 R; Urteil vom 15.03.2018 - B 3 KR 18/17 R jeweils zitiert nach Juris, vgl. LPK-SGB iX/Jacob Joussen, 5. Aufl 2019, SGB IX § 84 Rn, 3) Nach den eindrucksvollen Einlassungen der Klägerin selbst beziehungsweise ihrer Eltern ist für die Kammer nachgewiesen, dass die Nutzung des Therapie Tandems durch die Klägerin diesen Zielen der Eingliederungshilfe dienen soll und auch kann. Die Zwecke der Eingliederungshilfe können in gleichwertiger Art und Weise nur mit dem Therapie Tandem erreicht werden. Es ist für das Gericht nachgewiesen, dass das Therapie Tandem von der Mutter und der Klägerin im Alltag regelhaft zum Kontakt der Klägerin mit ihrer Umwelt genutzt werden soll. Bereits die aufgeführten Freizeitfahrten, Einkaufsfahrten und Fahrten zu besonderen Veranstaltungen wie beispielsweise auch zum Schwimmen sind anerkennenswerte Teilhabeziele. Entgegen der Bewertung des Beklagten kann die Klägerin diese Teilhabeziele nicht in gleicher Art und Weise unter Nutzung des Familienkraftfahrzeugs erreichen. Für das Gericht ist offenkundig, dass die Teilnahme am Straßenverkehr unter eigener Aktivität (Mittreten beim Tandem) bereits einen weiteren Teilhabebereich im Vergleich zum passiven Transportiert-werden darstellt. Des Weiteren erreicht die Nutzung des Therapie Tandems auch dadurch einen deutlich höheren Teilhabewert im Vergleich zum PKW, dass die Klägerin sich an der frischen Luft befindet und Wind und Wetter ausgesetzt ist.

Diese für Menschen elementaren Erfahrungen kann die Klägerin nur unter Nutzung des Fahrradtandems erleben. In einem PKW (eventuell mit Klimatisierung, geschlossenen Scheiben und geschlossenem Raum) stellt sich das Transportiert-werden demgegenüber als passives Erleben dar. Dies ist für die Klägerin signifikant weniger herausfordernd und damit weniger der Teilhabe dienend. Von daher bedarf es keiner weiteren Erwägungen des Gerichts bezüglich der Frage, ob nicht bereits die Nutzung eines pedalbetriebenen Fahrrades an sich schon einen höheren Teilhabewert als solches im Vergleich zum Transportiert-werden mit Fahrdiensten oder Kraftfahrzeugen darstellt. Es kommt zur Überzeugung des Gerichts für die Teilhabe der jugendlichen Klägerin nicht alleine auf einen Transport von A nach B an, der sicherlich auch mit einem PKW erfolgen kann, sondern die Nutzung des Fahrrads erweitert ihre Teilhabe signifikant. Von daher stellt das Gericht nur ergänzend fest, dass auch das aktive „Mitpedalieren“ der Klägerin einen nochmalig erweiterten Erlebnis- und damit Teilhabebereich eröffnet. Auch nur ergänzend erkennt das Gericht, dass die Eltern der Klägerin überzeugend dargelegt haben, dass durch die Nutzung des Tandems auch im schulischen Umfeld ein Mehrwert entsteht, dies insbesondere im Bereich der Verkehrs- und Alltagserziehung. Auch hieran kann die Klägerin ohne das Tandem nicht gleichwertig teilnehmen.

Dieser Bewertung des Gerichtes steht auch nicht entgegen, dass das begehrte Therapie Tandem eine Pedelec-Elektrounterstützung hat. Es kommt in Bezug auf die Anspruchsgrundlagen im Recht der Eingliederungshilfe nicht auf eine Erschließung des Nahbereichs an. Vielmehr ist das Ziel der Leistungen der Eingliederungshilfe die Gleichstellung von behinderten Menschen mit nichtbehinderten Menschen soweit als möglich. Der Motor ermöglicht beim Therapie Tandem einen erleichterten Transport durch die Mutter und damit vermittelt damit überhaupt erst die oben aufgeführte erweiterte Teilhabe der Klägerin. Im Übrigen dürfte in Anbetracht des Umstandes, dass die Klägerin im Wachstum befindlich ist, das Erfordernis der Motorunterstützung eher steigen als sinken. Daher erkennt das Gericht den Anspruch der Klägerin auf Leistungen für die Anschaffung des begehrten Therapie Tandems auch mit elektrischer Unterstützung als nachgewiesen.

Dem Wunsch- und Wahlrecht kann nicht gemäß § 104 Abs. 2 Satz 1 SGB IX eine Unangemessenheit entgegengehalten werden. Dies resultiert zum einen daraus, dass bei einem Tandem, mit welchem die Klägerin auch in späteren Jahren transportiert werden soll, ein elektrischer Motor erforderlich ist (s.o.). Zum anderen erkennt das Gericht, dass das konkret begehrte Modell des Therapie Tandems nicht unverhältnismäßig kostenaufwändig ist. Nach kursorischer Recherche im Internet durch den Vorsitzenden war festzustellen, dass sich der Preis für das begehrte Therapie Tandem im üblichen Rahmen bewegt. Auch von anderen Herstellern sind nicht signifikant günstigere Fahrzeuge zu erwerben. Im Übrigen stellt sich der im Vergleich zur unverbindlichen Grundpreisempfehlung des Herstellers etwas erhöhte in der mündlichen Verhandlung vorgetragene Preis ebenfalls als erforderlich dar.

Es ist erkennbar erforderlich, dass die Klägerin in Anbetracht ihrer gesundheitlichen Einschränkungen mit einem Gurt im Therapie Tandem gesichert ist, ebenso wie ihre Füße mit den Tretkurbeln bzw. Pedalen fest verbunden werden müssen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Sozialgerichtsgesetz. Die Klägerin ist mit ihrem Begehren im vollen Umfange durchgedrungen.

Rechtskraft
Aus
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