L 8 P 2/23

Land
Schleswig-Holstein
Sozialgericht
Schleswig-Holsteinisches LSG
Sachgebiet
Pflegeversicherung
Abteilung
8.
1. Instanz
SG Lübeck (SHS)
Aktenzeichen
S 15 P 79/21
Datum
2. Instanz
Schleswig-Holsteinisches LSG
Aktenzeichen
L 8 P 2/23
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

1. Ein Vertrag über die private Pflegepflichtversicherung kann auch durch konkludentes Verhalten wirksam geschlossen werden. Einer ausdrücklichen Unterschrift unter ein bestimmtes Formular bedarf es nicht. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles.

2. Dem jahrelangen, vorbehaltlosen Zulassen von Abbuchungen von um die Pflegeversicherungsbeiträge erhöhten Gesamtbeiträgen zu Kranken- und Pflegeversicherung kann in entsprechender Anwendung von §§ 133, 157 BGB der Erklärungswert zukommen, dass dies mit dem Willen und in dem Erklärungsbewusstsein geschieht, einen Pflegeversicherungsvertrag abzuschließen.

Auf die Berufung der Klägerin wird der Gerichtsbescheid vom 4. Januar 2023 aufgehoben und der Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3.651,88 EUR zu zahlen.

Die Beteiligten haben mit Ausnahme der Gerichtskosten des Mahnverfahrens einander keine Kosten zu erstatten. Die Gerichtskosten des Mahnverfahrens trägt der Beklagte.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt von dem Beklagten die Zahlung rückständiger Beiträge zur Pflegeversicherung für die Zeit vom 01. Januar 2017 bis zum 30. August 2020 in Höhe von insgesamt 3.651,88 EUR.

Der Beklagte war als selbständiger Wirtschaftsberater und Sachverständiger für Wohnimmobilienbewertung selbständig tätig und bei der Klägerin (bzw. bei deren Rechtsvorgängerin, der Vereinte Krankenversicherung AG, im Folgenden einheitlich: Klägerin) jedenfalls seit 1988 privat krankenversichert.

Beiträge zur Pflegeversicherung wurden vom Beklagten für die Zeit vom 01. Januar 2017 bis zum 30. August 2020 nicht entrichtet. Nach vorheriger diesbezüglicher Mahnung beantragte die Klägerin am 11. November 2020 beim Amtsgericht Coburg einen Mahnbescheid. Nach dessen Erlass am 12. November 2020 und Widerspruch des Beklagten gab das Amtsgericht Coburg das Verfahren an das Sozialgericht Lübeck ab.

Zur Begründung der Klage berief sich die Klägerin darauf, dass dem Anspruch ein Pflegepflichtversicherungsverhältnis zwischen den Parteien zugrunde liege, aufgrund dessen der Beklagte verpflichtet sei, monatlich Beiträge zu entrichten. Die Pflegepflichtversicherung sei zum 1. Januar 1995 aufgrund des Pflegeversicherungsgesetzes automatisch in Kraft getreten. Sie sei bei dem Versicherer, bei welchem eine Krankversicherung bestehe, abzuschließen gewesen. Im November 1994 habe die Klägerin alle Versicherten in die private Pflegepflichtversicherung aufgenommen, von denen sie aufgrund der bestehenden Tarifkombinationen habe annehmen müssen, dass mit Inkrafttreten des Pflegeversicherungsgesetzes eine Pflicht zur Versicherung in der privaten Pflegeversicherung eintrete. Der Beklagte habe zwar ein Wahlrecht dahingehend gehabt, dass er sich innerhalb von sechs Monaten auch einen anderen Anbieter einer privaten Pflegeversicherung hätte suchen können. Dieses Wahlrecht habe der Beklagte aber nicht ausgeübt, sodass der Vertrag per Gesetz zustande gekommen sei, da bei der Klägerin bereits eine private Krankenversicherung bestanden habe. Die Klägerin bzw. deren Rechtsvorgängerin habe den Versicherungsschein über die Pflegeversicherung am 31. Oktober 1994 an den Kläger versendet, und dieser habe in der Folgezeit zunächst auch die Beiträge gezahlt. Für den Zeitraum vom 1. Januar 2017 bis einschließlich 30. August 2020 bestehe ausweislich der Versicherungsscheine vom 14. November 2016, 17. November 2018, und 17. November 2019 sowie einer Beitragsaufstellung noch ein Rückstand in Höhe von 3.651,88 €. Dessen Zahlung sei gegenüber dem Beklagten mit Mahnung vom 12. Juni 2020 angemahnt worden. Außerdem verlange sie noch die Erstattung der vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 309,72 €.

Die Klägerin hat in der Sache beantragt,

den Beklagten zu verurteilen, an die klagende Partei 3.651,88 € sowie vorgerichtliche Kosten in Höhe von 309,72 € zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der geforderte Betrag sei falsch, weit überhöht und nicht nachgewiesen. Ein Pflegepflichtversicherungsverhältnis sei nicht nachgewiesen. Gäbe es einen solchen Vertrag, müssten auf beiden Seiten entsprechende unterschriebene Formulare vorliegen. Er habe aber nie ein Formular über die Pflegeversicherung unterschrieben, weshalb die Klägerin ein solches auch nicht vorlegen könne. Es stelle sich auch die Frage, wie die Klägerin zu den von ihr geforderten Beträgen komme. Die Forderung aus 2017 sei verjährt.

Mit Gerichtsbescheid vom 4. Januar hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe den Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrages nicht nachgewiesen. Der Vertrag sei nicht schon durch die Regelung des § 23 Abs. 1 SGB XI qua Gesetz entstanden. Zwar bestehe nach dieser Vorschrift ein Kontrahierungszwang, und ein Verstoß dagegen sei nach § 121 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI auch als Ordnungswidrigkeit zu ahnden, sie begründe aber keinen Vertrag. Ein Vertragsschluss könne auch nicht konkludent – etwa durch das Fordern oder Zahlen von Beiträgen – erfolgen, und werde auch nicht deshalb fingiert, weil bereits ein Krankenversicherungsverhältnis zwischen Klägerin und Beklagtem bestanden habe.

Die Klägerin hat am 31. Januar Berufung eingelegt. Ein Krankenversicherungsvertrag sei wirksam zustande gekommen. Im Jahr 1994 habe der Beklagte von ihr ein Anschreiben mit dem Hinweis erhalten, dass ab dem 1. Januar 1995 die Pflicht zur Pflegeversicherung bestehe. In dem Anschreiben sei er darauf hingewiesen worden, dass er es binnen vier Wochen mitteilen müsse, wenn er eine Pflegeversicherung bei einem anderen Versicherer abgeschlossen habe. Im Übrigen sei der Beklagte hinsichtlich eines anderen –  vom 1. Mai 2008 bis 30. April 2010 reichenden – Zeitraums bereits mit einem anderen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Lübeck vom 15. Oktober 2015 (zum Aktenzeichen S 30 P 139/11) zur Zahlung von Pflegeversicherungsbeiträgen verurteilt worden. Dabei sei das SG vom Bestehen eines Versicherungsvertrags ausgegangen. Der 8. Senat des Schleswig-Holsteinischen Landesozialgerichts habe dies mit Urteil vom 27. Mai 2020 – L 8 P 12/15 – bestätigt. Es sei nicht nachvollziehbar, warum das Sozialgericht Lübeck nunmehr im hier angefochtenen Gerichtsbescheid den Vertragsschluss verneine. Der Beklagte habe die Beiträge zu Beginn des Vertrages auch gezahlt und somit konkludent zum Ausdruck gebracht, eine Pflegeversicherung bei der Klägerin abschließen zu wollen. Auch auf eine spätere Mahnung der Klägerin vom 27. Februar 2008 habe der Beklagte den damals sowohl Beiträge zur Kranken- als auch zur Pflegeversicherung betreffenden Gesamt-Mahnbetrag in Höhe von 2.008,15 EUR bis einschließlich Februar 2008 ausgeglichen. Insgesamt habe der Beklagte die Beiträge zur Pflegeversicherung vom 1. Januar 1995 bis einschließlich 28. Februar 2008 freiwillig beglichen. Dieser lange Zeitraum seit Einführung der Pflegeversicherung lasse darauf schließen, dass der Beklagte dem Vertrag über die Pflegeversicherung zugestimmt habe.

 

Die Klägerin beantragt,

den Gerichtsbescheid vom 4. Januar 2023 aufzuheben und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 3.651,88 EUR zu zahlen.

Der Beklagte beantragt,

die Berufung gegen den Gerichtsbescheid vom 4. Januar 2023 zurückzuweisen.

 

Er habe bei der Klägerin nie einen Versicherungsantrag nebst Zusatzerklärungen und Vorab-Pflichtinformation unterschrieben und auch keinen Vertrag erhalten oder unterzeichnet. Deshalb könne die Klägerin solche Formulare auch nicht als Beweis vorlegen. Ob er die von der Klägerin im Verfahren vorgelegten Schreiben und Versicherungsscheine erhalten habe, könne er nicht sagen. Wenn, dann lägen diese wohl beim Steuerberater, der jedoch inzwischen leider verstorben sei. Er habe bis heute weder einen Antrag, noch einen Vertrag, noch Antworten auf seine telefonischen und schriftlichen Fragen erhalten. Die genauen Details des Vertragsverhältnisses stünden nicht fest. In der Anfangszeit (ab 1995) sei er gegen die Mit-Abbuchung auch der Beiträge zur Pflegepflichtversicherung per Lastschriftverfahren von seinem Konto nicht vorgegangen, weil er sich davon habe täuschen lassen, dass es immer geheißen habe, dass es eine Pflichtversicherung sei. Zudem sei er angesichts der einheitlichen Vertragsnummer und der einheitlichen Beitragsabbuchung davon ausgegangen, dass es sich bei dem Kranken- und Pflegeversicherungsvertrag ohnehin um einen einzigen einheitlichen Vertrag handele. Später, als er seine Krankenversicherungsbeiträge habe reduzieren wollen, und sich deshalb näher mit dem Thema beschäftigt, sich insbesondere auch mit befreundeten selbständig Tätigen unterhalten habe, habe er irgendwann gemerkt, dass es sich bei der ganzen Geschichte – zumindest für Selbstständige – ja gar nicht um eine Pflichtversicherung handele.

Er habe dann wiederholt versucht, bei der Klägerin Klarheit über diverse Dinge zu bekommen, unter anderem darüber, ob es tatsächlich ein Pflichtvertrag sei, über die gesetzlichen Grundlagen und über die Zusammensetzung und Bildung der Beitragshöhe. Er habe nie wirkliche Antworten erhalten. Die Klägerin habe ihm trotz mehrfacher Nachfrage nie die konkrete Kalkulation der Beiträge erklären können. Dies sei ein klarer Verstoß gegen das Transparenzgebot. Er habe sich mit dem Thema befasst, insbesondere über den Bund der Versicherten in Norderstedt. Dort arbeite ein Versicherungsmathematiker, demzufolge die Prämien, also die Beiträge, viel zu hoch bemessen seien. Die Versicherer gingen wohl bei der Berechnung davon aus, dass das durchschnittliche Alter, das ein Mensch erreichen könne, bei 120 Jahren liege, was natürlich nicht zutreffe. Dadurch seien über die vielen Jahre letztendlich Überzahlungen seinerseits entstanden, die, wenn er mit diesen aufrechne, sogar zu einem Guthaben zu seinen Gunsten führten.

Irgendwann habe er den Lastschrifteinzug storniert. Daraufhin habe der Streit erst richtig angefangen. Er habe dann zwar auf eine Mahnung hin schon noch einmal eine Rechnung auch noch aktiv bezahlt. Dass er aber die Beiträge irgendwann gar nicht mehr bzw. nicht mehr freiwillig gezahlt habe, habe dann letztendlich zu dem ersten Klage- und Berufungsverfahren geführt. Er habe auch schon in diesem argumentiert, dass es gar keinen Pflegeversicherungsvertrag gebe. Das Gericht habe dies damals aber unter Verkennung von Beweislage und -last sowie unter Begehung eines Gehörsverstoßes nicht berücksichtigt. Als langjähriger Landgerichts-Schöffe habe er gelernt, dass es ohne Beweis keine Verurteilung gebe.

Die Klägerin hat im Verfahren ein Muster des von ihr genannten Anschreibens aus November 1994 sowie die zu diesem gehörenden Unterlagen vorgelegt. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze, die beigezogenen Papierakten des früheren Klage- bzw. Berufungsverfahrens (S 30 P 139/11 bzw. L 8 P 12/15) sowie die hiesigen Gerichtsakten, die bei der Entscheidung des Senats vorgelegen haben, verwiesen.

 

 

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Klägerin hat Erfolg. Sie ist statthaft (§ 143 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG).

 

Gegenstand des Streits ist neben dem Gerichtsbescheid des SG Lübeck vom 4. Januar 2023 der geltend gemachte Anspruch der Klägerin auf Zahlung von 3.651,88 EUR rückständiger Beiträge zur Pflegepflichtversicherung für die Zeit vom 01. Januar 2017 bis zum 31. August 2020. Auf die erstinstanzlich noch geltend gemachten vorgerichtlichen Anwaltskosten in Höhe von 309,72 €, derentwegen die Klage ebenfalls abgewiesen wurde, hat die Klägerin die Berufung nicht erstreckt.

 

Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Der streitgegenständliche Anspruch auf Zahlung rückständiger Beiträge zur Pflegepflichtversicherung steht der Klägerin zu.

 

  1.  

Als Anspruchsgrundlage für den geltend gemachten Zahlungsanspruch kommt nur ein zwischen den Beteiligten geschlossener Vertrag in Frage. Das Sozialgericht hat zutreffend darauf verwiesen, dass die noch in der ersten – und in Anklängen auch noch in der zweiten – Instanz vertretene Auffassung der Klägerin, ein Vertrag entstehe von Gesetzes wegen durch die Regelung des § 23 Abs. 1 SGB XI, unzutreffend ist. § 23 SGB XI (Versicherungspflicht für Versicherte der privaten Krankenversicherungsunternehmen) – lautete auszugsweise in der ab dem 1. Januar 1995 geltenden Fassung vom 26. Mai 1994:

 

(1) Personen, die gegen das Risiko Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen versichert sind, sind vorbehaltlich des Absatzes 2 verpflichtet, bei diesem Unternehmen zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit einen Versicherungsvertrag abzuschließen und aufrechtzuerhalten (Satz 1).

[…]

(2) Der Vertrag nach Absatz 1 kann auch bei einem anderen privaten Versicherungsunternehmen abgeschlossen werden (Satz 1). Das Wahlrecht ist innerhalb von sechs Monaten auszuüben (Satz 2). Die Frist beginnt mit dem Eintritt der individuellen Versicherungspflicht (Satz 3). Das Recht zur Kündigung des Vertrages wird durch den Ablauf der Frist nicht berührt (Satz 4).

[…]

 

Die Norm des § 23 SGB XI beschränkt sich auf die Feststellung der Versicherungspflicht. Die private Versicherung kommt dagegen nicht schon bei Erfüllung der tatbestandlichen Voraussetzungen zustande, sondern bedarf des privatrechtlichen Abschlusses eines entsprechenden Versicherungsvertrages. Dieser wird auch durch die Vorschrift nicht fingiert oder ersetzt (ganz überwiegende Meinung, etwa Klein in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB XI, 4. Aufl., § 23 SGB XI [Stand: 1. September 2024], Rn. 56). Einziges Druckmittel ist die Bestimmung in § 121 Abs. 1 Nr. 1 SGB XI i.V.m. Absatz 2 dieser Vorschrift, wonach der Nichtabschluss bzw. die Nichtaufrechterhaltung eines privaten Pflegeversicherungsvertrags eine bußgeldbewehrte Ordnungswidrigkeit darstellt (Klein a.a.O.). Für den wirksamen Abschluss des Vertrages über die private Pflegepflichtversicherung sind die §§ 145 ff. BGB maßgeblich. Daher kommt der Versicherungsvertrag durch zwei übereinstimmende Willenserklärungen, die auf den Vertragsabschluss gerichtet sind, zustande. Der Vertrag über die private Pflegepflichtversicherung kann auch durch konkludentes Verhalten wirksam geschlossen werden (BSG, Beschluss, Az.: B 12 P 1/03 B m. w. N.). Einer ausdrücklichen Unterschrift unter ein bestimmtes Formular bedarf es nicht. Entscheidend sind die Umstände des Einzelfalles (Udsching/Schütze/Vieweg, 6. Aufl. 2024, SGB XI § 23 Rn. 24, beck-online, m.w.N.). Vorliegend hat der Beklagte das Angebot der Klägerin durch konkludentes Verhalten wirksam angenommen.

 

  1.  

Der Senat ist davon überzeugt, dass der Beklagte das von der Klägerin im Berufungsverfahren eingereichten (Muster-) Schreiben vom November 1994 sowie die Allgemeinen Versicherungsbedingungen und einen Versicherungsschein für die Pflegeversicherung erhalten hat. Das genannte Schreiben lautete (auszugsweise):

 

„Sehr geehrter Versicherter,

zum 1.1.1995 tritt die vom Gesetzgeber beschlossene Pflichtversicherung in Kraft. Wir wollen Sie rechtzeitig und umfassend informieren. Deshalb erhalten Sie beiliegend schon heute.

  • Ihren Versicherungsschein, aus dem die versicherten Personen und die Beitragshöhe ersichtlich sind,
  • eine Bescheinigung über den Abschluss einer Pflegeversicherung für Sie und gegebenenfalls Ihre Angehörigen. (…)
  • ein Merkblatt mit wichtigen Hinweisen zur Pflegeversicherung,

(…)

Mit gesonderter Post erhalten Sie in Kürze die für alle Unternehmen der privaten Krankenversicherung einheitlichen Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die private Pflege-Pflichtversicherung. Diese Bedingungen erhalten Sie, da sie die Grundlage des Versicherungsvertrages sind und die gegenseitigen Rechte sowie Pflichten in der privaten Pflege-Pflichtversicherung regeln.

(…)

Bei der Beitragsberechnung haben wir alle Daten berücksichtigt, die wir aus Ihrer Krankenversicherung ersehen konnten.“

 

In den dem Schreiben beigefügten „Wichtigen Hinweisen“ hieß es weiter:

 

  • Mit Inkrafttreten des Pflege-, Versicherungsgesetzes am 1. Januar 1995 verpflichtet der Gesetzgeber jeden unserer Versicherten mit Anspruch auf Kostenerstattung für allgemeine Krankenhausleistungen, auch eine private Pflege-Pflichtversicherung abzuschließen. Über die Einzelheiten der gesetzlichen Regelung informiert Sie das beiliegende Merkblatt.

 

  • Diese Pflegepflichtversicherung ist grundsätzlich bei uns als dem Versicherer abzuschließen, bei dem auch die Krankenversicherung besteht. Allerdings haben Sie bis zu sechs Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes die Möglichkeit, sich auch für einen anderen Anbieter der privaten Pflege-Pflichtversicherung zu entscheiden. Das Wahlrecht kann ab sofort ausgeübt werden.

 

  • Mit der Übersendung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen und eines Versicherungsscheines, der den vom Gesetz vorgeschriebenen Pflegeversicherungsschutz für Sie (und Ihre bei uns mitversicherten Angehörigen) ausweist, schlagen wir Ihnen vor, die private Pflege-Pflichtversicherung bei unserem Unternehmen abzuschließen. Wir gehen davon aus, dass Sie den Vertrag bei uns einverstanden sind, wenn Sie uns nicht innerhalb von vier Wochen ausdrücklich mitteilen, dass Sie sich für einen anderen Pflegeversicherer entscheiden. In diesem Fall weisen Sie uns bitte bis zum 30. Juni 1995 den anderweitigen Vertragsschluss nach, andernfalls sind wir nach dem Pflege-Versicherungsgesetz verpflichtet, Sie dem Bundesversicherungsamt zu melden.

 

  • Sofern Sie dem Zustandekommen des Pflege-Pflichtversicherungsvertrages bei uns nicht widersprechen, gestatten wir uns weiterhin davon auszugehen, dass Sie mit der Abbuchung der Beiträge durch uns aufgrund der für Ihre Krankenversicherung bestehenden Lastschriftermächtigung einverstanden sind. Auch hier bitten wir Sie, uns – falls Sie eine andere Form der Beitragszahlung wünschen – ausdrücklich zu benachrichtigen.

 

In dem beigefügten „Merkblatt zur Pflege-Pflichtversicherung“ hieß es (auszugsweise):

„Wer ist pflichtversichert?

Die private Pflegeversicherung ist eine Pflichtversicherung, in der alle Personen versichert sein müssen, die eine Krankheitskostenvollversicherung mindestens mit Anspruch auf Kostenerstattung der allgemeinen Krankenhausleistungen abgeschlossen haben.

 

(…)“

 

Der Senat ist vom Zugang dieses Schreibens bzw. dieser Unterlagen einschließlich des die konkreten Beiträge ausweisenden Versicherungsscheins beim Beklagten überzeugt. Dieser hat dies nicht nur nie ernsthaft substantiiert bestritten, sondern lediglich vorgetragen, dass er diese Schreiben nicht in seinen Unterlagen finde. Entscheidend ist für den Senat jedoch, dass der Beklagte selbst vorgetragen hat, zu Beginn des Pflegeversicherungsvertragsverhältnisses noch „irrig“ davon ausgegangen zu sein, dass es sich bei dieser um eine Pflichtversicherung handele, und er insbesondere aufgrund dieser Vorstellung die Abbuchung der um die Pflegeversicherungsbeiträge erhöhten Gesamtbeiträge in der Folgezeit zunächst zuließ. Diese (nur in der subjektiven Sicht des Beklagten irrige) Vorstellung konnte zur Überzeugung des Senats nur auf den Informationen beruhen, die die Klägerin dem Beklagten zuvor schriftlich mitgeteilt hatte, woraus sich ohne weiteres ableiten lässt, dass ihm diese auch zugegangen sind. Auch die weiteren vom Beklagten vorgetragenen Umstände, aufgrund derer er von einem „einheitlichen“ Vertrag zur Kranken- und Pflegeversicherung ausgegangen sei, also die einheitliche Vertragsnummer für Kranken- und Pflegeversicherungsvertrag, der einheitliche Gesamtbeitrag, und dessen einheitliche Fälligkeit konnten dem Beklagten nur bei Zugang der Unterlagen bekannt sein. Ferner wäre es unglaubhaft, dass der als selbständiger Wirtschaftsberater tätige und damit in wirtschaftlichen und finanziellen Angelegenheiten erfahrene Beklagte die Abbuchung eines erhöhten Gesamtversicherungsbeitrags über viele Jahre hinweg zugelassen hätte, wenn er über den Grund und die Zusammensetzung der Beiträge nicht zuvor informiert worden wäre.

 

  1.  

Dieses in der Übersendung der oben genannten Unterlagen liegende, wirksam zugegangene Angebot der Klägerin auf Abschluss des Pflegeversicherungsvertrags hat der Beklagte zur Überzeugung des Senats auch angenommen. Die – abgesehen vom Handelsrecht grundsätzlich nicht wirksame – Annahme eines Angebots durch bloßes Schweigen ist von einer konkludenten Annahme zu unterscheiden. Eine solche liegt hier vor. Entscheidend ist in entsprechender Anwendung von §§ 133, 157 BGB, welcher Erklärungswert dem Verhalten aus der Sicht eines verständigen, objektiven Empfängers zukommt. Danach musste und durfte die Klägerin angesichts des jahrelangen, vorbehaltlosen Zulassens der Abbuchungen der um die Pflegeversicherungsbeiträge erhöhten Gesamtbeiträge durch den Beklagten davon ausgehen, dass der Beklagte dies mit dem Willen und in dem Erklärungsbewusstsein tat, den Pflegeversicherungsvertrag mit der Klägerin abzuschließen. Eine andere Erklärung für dieses Zulassen gab es aus der diesbezüglich entscheidenden Sicht der Erklärungsempfängerin, der Klägerin, nicht. Denn sie durfte und musste davon ausgehen, dass der Beklagte ihre oben genannten Unterlagen erhalten hatte und demzufolge auch über die ab dem 01. Januar 1995 bestehende Pflicht zum Abschluss einer Pflegeversicherung und das sechsmonatige Wahlrecht hinsichtlich eines anderen Pflegeversicherers informiert war. Andernfalls wäre davon auszugehen gewesen, dass sich der Beklagte zeitnah gegen die Erhebung der höheren Beiträge gewehrt hätte. Dass dieses „Sicht-nicht-Wehren“ möglicherweise – wie der Beklagte vorträgt – darauf beruhte, dass er „irrig“ davon ausgegangen sei, dass es eine „Pflichtversicherung“ sei, ist unbeachtlich.

 

So ist zum einen schon nicht ohne weiteres ersichtlich, worauf sich der vermeintliche Irrtum des Beklagten genau bezogen haben soll. Denn tatsächlich beinhaltete die ab dem 01.01.1995 eingeführte gesetzliche Regelung zur Pflegeversicherung durchaus, und auch für Selbständige, ein nicht unerhebliches „Pflicht“-Element. Wenn auch der Vertragsschluss selbst nicht durch das Gesetz fingiert wurde, so war doch der Nichtabschluss sanktionsbewehrt. Die dem Beklagten von der Klägerin zur Verfügung gestellten Informationen waren somit nicht falsch und von vornherein nicht geeignet, beim Kläger einen „Irrtum“ hervorzurufen (ein solcher scheint im Übrigen – hier allerdings irrelevant – auch erst zeitlich später entstanden zu sein, nachdem der Kläger offensichtlich zu der Ansicht gelangt war, dass die Pflegepflichtversicherung allgemein nicht für Selbständige gelten würde).

 

Zum anderen ist ohnehin zur Auslegung des Erklärungsinhaltes der Horizont eines objektiven, verständigen Empfängers – hier also der Klägerin – entscheidend. Aus deren Sicht aber gab es keinen Anlass zur Annahme einer wie auch immer gearteten rechtlichen Fehlvorstellung des Beklagten.

 

  1.  

Die Klägerin hat die Beitragshöhen auch zutreffend – und mit den eingereichten Versicherungsscheinen übereinstimmend – dargelegt. Der Beklagte hat diesbezüglich keine durchgreifenden Rügen erhoben.

 

  1.  

Die geltend gemachten Beiträge sind auch nicht verjährt, auch nicht für das Jahr 2017.

Die Verjährung richtet sich nicht nach § 12 Abs. 1 VVG in dessen bis 2007 geltender Fassung, wonach Ansprüche aus einem Versicherungsvertrag in zwei Jahren nach Schluss des Jahres verjährten, in welchem die Leistung verlangt werden konnte, sondern nach § 195 BGB, wonach die regelmäßige Verjährungsfrist drei Jahre beträgt und mit dem Schluss des Jahres beginnt, in dem der Anspruch entstanden ist. Der Pflegeversicherungsvertrag ist dem Bereich des Zivilrechts und nicht dem öffentlichen Recht zuzuordnen (BSG, Beschluss vom 8. August 1996, BSGE 79, 80 ff). Die Ansprüche auf die für das Jahr 2017 geltend gemachten Monatsbeiträge entstanden auch in diesem Jahr, ihre Verjährung begann damit mit dem Ende des Jahres 2017 und endete drei Jahre später mit Ende des Jahres 2020. Der dem hiesigen Verfahren vorausgegangene, die Verjährung gem. § 204 BGB hemmende Mahnbescheid des Amtsgerichts Coburg vom 12. November 2020 wurde dem Beklagten aber bereits am 19. November 2020 zugestellt.

 

  1.  

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG. Die von der Klägerin gem. § 184 SGG zu entrichtende Pauschgebühr ist zwar nicht auf den Beklagten abzuwälzen. § 193 Abs. 1 SGG bietet hierfür keine Grundlage. Dessen Satz 1 erfasst nur die außergerichtlichen Kosten der Beteiligten und nicht die Gerichtskosten, zu denen die Pauschgebühr zählt (BSG, Urteil vom 12. Februar 2004 – B 12 P 2/03 R –, SozR 4-1500 § 184 Nr 1, SozR 4-1500 § 193 Nr 1, Rn. 19). Die Pauschgebühr fällt auch nicht unter § 193 Abs. 1 Satz 2 SGG. Nach dieser Vorschrift entscheidet das Gericht im Rahmen seiner Entscheidung, wer die außergerichtlichen Kosten zu tragen hat, in Fällen eines vorangegangenen Mahnverfahrens auch darüber, “welcher Beteiligte die Gerichtskosten zu tragen hat“. Diese Vorschrift umfasst nicht die Pauschgebühr i. S. des § 184 SGG. Sie ist vielmehr entsprechend der Gesetzesbegründung einschränkend zu verstehen. Es geht in ihr nur darum, “welcher Beteiligte die Kosten eines vorangegangenen Mahnverfahrens zu tragen hat“ (vgl. BT-Drucks 13/9609 S 9 zu Nr. 5). Mit § 193 Abs. 1 Satz 2 SGG soll allein sichergestellt werden, dass die nach der ZPO entstandenen Kosten des Mahnverfahrens auch im anschließenden Sozialgerichtsverfahren dem unterlegenen Beteiligten auferlegt werden können. Könnten Versicherte durch einen Widerspruch gegen den Mahnbescheid und die dadurch ausgelöste Abgabe des Verfahrens an das SG die Kosten des Mahnverfahrens vor dem AG endgültig abwenden, hätten sie ohne Rücksicht auf die Erfolgsaussichten eines Widerspruchs schon aus kostenrechtlichen Gründen ein Interesse daran, den Widerspruch einzulegen. Dies liefe dem Entlastungszweck des Mahnverfahrens zuwider. Andererseits würde eine Tragung auch der Pauschgebühr durch den unterlegenen Versicherten im Ergebnis die Gerichtskostenfreiheit dieses Personenkreises erheblich einschränken. § 193 Abs. 4 SGG, wonach die Aufwendungen der in § 184 Abs. 1 genannten Gebührenpflichtigen nicht erstattungsfähig sind, bestätigt die vorstehende Auslegung (BSG a.a.O. Rn. 20 f.)

 

  1.  

Die Revision wird nicht zugelassen, da Gründe für die Zulassung nicht vorliegen (§ 160 Nr. 1 und 2 SGG).

Rechtskraft
Aus
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