L 4 R 431/24

Land
Freistaat Sachsen
Sozialgericht
Sächsisches LSG
Sachgebiet
Rentenversicherung
1. Instanz
SG Dresden (FSS)
Aktenzeichen
S 1 R 35/23
Datum
2. Instanz
Sächsisches LSG
Aktenzeichen
L 4 R 431/24
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
-
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Anrechnungsvorschrift des § 93 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 2, Abs. 2a SGB VI in der Fassung des Grundrentengesetzes vom 12.08.2020 verstößt nicht gegen Verfassungsrecht. Insbesondere ist es von Verfassungs wegen nicht geboten, der Verletztenrente i.S.d. §§ 56 ff. SGB VII die Bedeutung eines Surrogates unfallbedingt entgangener Entgeltpunkte in der gesetzlichen Rentenversicherung beizumessen.

  1. Die Berufung der Klägerin gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 17. September 2024 wird zurückgewiesen.
  2. Außergerichtliche Kosten sind auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.
  3. Die Revision wird nicht zugelassen.

 

Tatbestand

 

 

Die 1957 geborene Klägerin wendet sich gegen die Bemessung ihrer Altersrente, namentlich gegen die Anrechnung der ihr gewährten Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung.

 

Auf ihren Antrag vom 04.03.2022 bewilligte die Beklagte der Klägerin mit Bescheid vom 15.06.2022 für die Zeit ab dem 01.07.2022 Altersrente für schwerbehinderte Menschen. Der monatliche Zahlbetrag betrug, ausgehend von einer Rente i.H.v. 1.599,03 EUR, unter Berücksichtigung der Abzüge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung 1.421,54 EUR. Ausweislich der Anlagen errechnete die Beklagte nach Entgeltpunkten eine monatliche Rente i.H.v. 1.824,35 EUR. Auf diese rechnete sie monatlich 225,32 EUR an. Der Anrechnung liegt der Bezug von Verletztenrente seit dem 01.10.2001 aus der gesetzlichen Unfallversicherung i.H.v. zuletzt monatlich 333,74 EUR zugrunde. Bei der Klägerin wurde hierfür eine unfallbedingte Minderung der Erwerbsfähigkeit (MdE) von 20 Prozent festgestellt, wobei der zugrundeliegende Jahresarbeitsverdienst 30.036,78 EUR betrug.

 

Gegen die Anrechnung richtete sich der Widerspruch der Klägerin vom 05.07.2022. Diese bewirke die rechtswidrige Wegnahme von Leistungen für ihre Lebensarbeitszeit. Mit Widerspruchsbescheid vom 14.12.2022 wies die Beklagte den Widerspruch unter Verweis auf § 93 Sechstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VI) zurück. Die Berechnung im Bescheid vom 15.06.2022 entspreche den gesetzlichen Vorschriften.

 

Dagegen hat die Klägerin am 11.01.2023 Klage zum Sozialgericht Dresden erhoben und ihre Ausführungen aus dem Widerspruchsverfahren im Wesentlichen wiederholt. Es handele sich um eine verfassungswidrige Rentenkürzung. Die Unfallrente erhalte sie für eine anerkannte Behinderung aufgrund eines arbeitsunfallbedingten Körperschadens.

 

Nach vorheriger Anhörung der Beteiligten hat das Sozialgericht die Klage unter Verweis auf die Vorschrift des § 93 SGB VI mit Gerichtsbescheid vom 17.09.2024 abgewiesen. Die Anrechnung begegne unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) keinen verfassungsrechtlichen Bedenken.

 

Gegen den der Klägerin am 18.09.2024 zugestellten Gerichtsbescheid richtet sich deren Berufung vom 17.10.2024 zum Sächsischen Landessozialgericht (SächsLSG).

 

Die Klägerin trägt vor, die Anrechnung ihrer Verletztenrente aus der Unfallversicherung auf ihre Altersrente verletzte ihr Recht auf Eigentum nach Art. 14 Abs. 1 Grundgesetz (GG) und den Gleichbehandlungsanspruch nach Art. 3 GG. § 93 SGB VI sei nicht verfassungsgemäß.

 

Sie habe im Jahr 1975 30 Prozent ihrer Arbeitskraft verloren. Der Träger der Unfallversicherung habe bis zum 31.12.2017 aufgrund unfallbedingten MdE von 30 Prozent Verletztenrente bezahlt. Nach einer Knie-OP sei Verletztenrente zuletzt aufgrund bestandskräftig festgestellten MdE von 20 Prozent i.H.v. 333,74 EUR je Monat gezahlt worden. Infolge des Arbeitsunfalls habe sie als Erzieherin nur Teilzeit im Umfang von ca. 30 Stunden je Woche arbeiten können. Deshalb habe sie geringere Karrierechancen gehabt. Sie habe die Verletztenrente zum Ausgleich der verletzungsbedingten Einbußen hinsichtlich des Arbeitseinkommens und der Möglichkeit der eigenen Altersvorsorge bezogen. Der Grad der Behinderung sei danach gestiegen und habe seit 01.03.2022 50 betragen. Im Rahmen ihrer Erwerbsmöglichkeiten habe sie nur die Altersrentenanwartschaften für eine Rente von 1.824,35 EUR je Monat erwerben können. Ohne Unfall hätte sie eine Rente von ca. 2.433,00 EUR je Monat, also rund 608,00 EUR mehr je Monat erzielen können. Durch die parallele Gewährung von Alters- und Verletztenrente entstehe keine Überkompensation, die durch Anrechnung verhindert werden müsse. Die Rechtsprechung des BSG, auf welche die Beklagte und das Sozialgericht hingewiesen hätten, finde sie nicht überzeugend.

 

Der Senat hat die Klägerin im Rahmen der Eingangsverfügung auf den Beschluss des Landessozialgerichts [LSG] Nordrhein-Westfalen vom 06.03.2024 – L 8 R 231/22 – zur Verfassungsmäßigkeit der Anrechnung der Verletztenrente in der aktuellen Gesetzesfassung hingewiesen. Das BSG habe mit Beschluss vom 10.09.2024 – B 5 R 72/24 B die Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision als unzulässig verworfen und dabei auf seine höchstrichterliche Rechtsprechung verwiesen.

 

Hierauf hat die Klägerin ausgeführt, sie gehe von einem Designfehler bei der Gesetzgebung des § 93 SGB VI aus, der eine willkürliche Enteignung einer kleinen Gruppe von Altersrentnern ohne sachliche Rechtfertigung darstelle und dringend behoben werden müsse. Weder die Altersrente noch die Verletztenrente aus der Unfallversicherung seien eine Sozialleistung. Es gehe der Klägerin nicht um soziale Almosen des Steuerzahlers zur nicht anderweitig möglichen Deckung ihres menschenwürdigen Existenzminimums, sondern um ihre Rechte aus (Pflicht)-Versicherungen, für die viele Versicherungsbeiträge gezahlt worden seien. Die gesetzliche Unfallversicherung pauschaliere und entbürokratisiere die Schadenersatzansprüche der Klägerin aus einem sehr früh im Leben tatsächlich erlittenen Arbeitsunfall, also Erwerbs- und Altersvorsorgeeinbußen, Mehraufwand, Schmerzensgeld usw. wegen einer dauerhaften Erwerbsminderung durch Zahlung einer dauerhaften Verletztenrente. Es gehe um die Haftung für individuelle Schadenersatzansprüche aus einem unvorhersehbaren, einzigartigen Schadensereignis mit Dauerfolgen.

 

Bei der gesetzlichen Rentenversicherung gehe es demgegenüber um etwas ganz Anderes. Diese erhebe von Arbeitgebern und Arbeitnehmern Beiträge entsprechend des konkreten Einkommens und verspreche dafür dem Arbeitnehmer eine Rentenzahlung entsprechend der geleisteten Beiträge. Die konkret berechnete Altersrente solle ausnahmslos dem Verhältnis der individuellen Leistung des Einzelnen im Vergleich mit den anderen Beitragszahlern in einem solidarischen System entsprechen. Der einzige sachliche Maßstab für die Rentenhöhe sei die Summe der tatsächlich geleisteten verpflichtenden und freiwilligen Beitragszahlungen. Das Renteneinkommen solle im Alter den davor tatsächlich erzielten Lohn ersetzen. Es komme nur darauf an, wie viel insgesamt gearbeitet und wie viel für die Arbeitsstunde jeweils gezahlt worden sei, wobei es der Rentenversicherung egal sei, ob der Versicherte immer Vollzeit gearbeitet und wenig verdient oder weniger gearbeitet und dabei viel verdient habe. Es komme auf den Gesamtbeitrag zur Solidargemeinschaft an. Die Klägerin habe nach dem Unfall mit ihrer Restarbeitskraft, also einer Erwerbsfähigkeit von 70-80 Prozent gearbeitet. Es sei zu viel gewesen, um EU- oder BU-Rente zu beziehen, anderseits zu wenig, um richtig Karriere machen zu können. Sie sei nie arbeitslos gewesen. Alle Beiträge zur Rentenversicherung seien abgeführt worden.

 

Aus Sicht der Klägerin verbiete sich deshalb ein Abzug. Es sei unsachlich, eine Verbindung zwischen Unfallverletzten- und Altersrente herzustellen. Die Berücksichtigung anderer Faktoren als die zuvor bereits Benannten führten zu einer unsachlichen Ungleichbehandlung. Allein die gemeinsame Leistungsform der zwei Versicherungen, also die laufende monatliche Rentenzahlung mache die Versicherungsleistungen nicht austauschbar. Auch dass beide Rentenzahlungen tatsächlich vom Versicherten für den laufenden Lebensunterhalt verwendet werden können, sei kein ausreichendes Kriterium. Sonst müsste sämtliches monatliches Einkommen bei der Rentenversicherung angerechnet werden, da jedes Einkommen irgendwie der individuellen Existenz-Bedarfsdeckung diene.

 

Unter Bezugnahme auf das Urteil des BSG vom 31.03.1998 – B 4 RA 49/96 R – führt die Klägerin aus, sie bekomme oder verlange keinen „Doppelbezug“ von Leistungen. Sie wolle zwei verschiedene Einzelversicherungsleistungen, mit denen zwei verschiedene Risiken versichert worden seien, nebeneinander beziehen. Ihr drohe bei Bezug der Versicherungsleistungen aus Unfall/Schadenersatz und Altersrente keine „Privilegierung“. Sie bekomme aufgrund ihrer Verletztenrente nicht mehr Rente aus der Rentenversicherung, als nicht verletzte Altersrentner mit ansonsten ähnlicher Erwerbsbiographie. Sie wolle genau die Rente, für die sie mit ihrer eingeschränkten Erwerbsfähigkeit Beiträge gezahlt habe.

 

In der heutigen Welt alternativer Lebensentwürfe, gebrochener Erwerbsbiographien und später Zufallskarrieren könne nicht ausgeschlossen werden, dass die Rente höher sei als das zu erwartende, durchschnittliche oder letzte Erwerbseinkommen. Dies jedenfalls solange die Beitragszahlung zur Rentenversicherung stimme. Vorliegend könne keine Rede davon sein, dass die zusammengerechneten Renten der Klägerin auch nur annähernd an ein Nettoeinkommen aus vollschichtiger Tätigkeit in ihrem Beruf der Erzieherin herankämen. Auch die Annahme – die dem Grenzwert zugrunde liege – der Versicherte hätte nie mehr verdienen können, als das fortgeschriebene Einkommen vor dem Arbeitsunfall sei lebensfremd. Wenn natürlich willkürlich ein sehr niedriger „Grenzbetrag“ pauschal fingiert werde, ausgehend vom Einkommen der Klägerin vor ihrem Unfall 1975 in der DDR, dann könne der so unrealistisch niedrig ausfallen, dass das tatsächliche Renten-Einkommen darüber liege. Dies sei aber kein Beweis für das angebliche Privileg der Klägerin, sondern spreche eher für die Diskriminierung ostdeutscher Arbeitsunfall-Opfer. Abgesehen von der Konstruktion des § 93 SGB VI sei speziell der Grenzbetrag das Problem.

 

Soweit das BSG ausführe, § 93 SGB VI verstieße nicht gegen das GG, könne den Ausführung nicht gefolgt werden. Die Klägerin bemängele insoweit, dass das Gesetz pauschal die den Verlust des Erwerbseinkommens ausgleichenden Anteile der beiden Renten verrechne und nicht ausreichend nach dem Zeitpunkt des Arbeitsunfalls und der tatsächlichen Erwerbstätigkeit (Vollzeit, Teilzeit) seit dem Arbeitsunfall differenziere. Im Fall einer nach dem Unfall verbleibenden Teil-Erwerbsfähigkeit der auch nur durch Teilzeitarbeit nachgekommen werde, könne keine Verrechnung stattfinden, ohne den Gedanken der Verletztenrente ad absurdum zu führen. Natürlich falle der Schadenersatz für immaterielle Schäden, besondere Betroffenheit und Mehrbedarf aus der Vergleichsbetrachtung. Aber auch der Ersatz für die teilweise zerstörte Erwerbsfähigkeit müsse grundsätzlich anrechnungsfrei bleiben. Die Klägerin könnte es allenfalls noch verstehen, wenn der Teil der Verletztenrente, der auf den Verlust des Erwerbseinkommens entfalle, mit Renteneintritt auf 70 Prozent reduziert werde, aber nicht, dass er ganz entfalle bzw. von der Rentenversicherung verrechnet werde.

 

Die in Anlehnung dazu ergangene Entscheidung des LSG Nordrhein-Westfahlen vom 06.03.2024 – L 8 R 231/22 finde die Klägerin noch weniger überzeugend.

 

Die Klägerin beantragt sachgemäß ausgelegt,

 

den Rechtsstreit gemäß Art. 100 Abs. 1 GG auszusetzen sowie dem Bundesverfassungsgericht die Frage vorzulegen, ob § 93 SGB VI mit dem GG vereinbar ist.

und

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Dresden vom 17.09.2024 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin unter Abänderung des Rentenbescheides vom 15.06.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2022 ab dem 01.07.2022 Altersrente für schwerbehinderte Menschen ohne Anrechnung von Verletztenrenten aus der gesetzlichen Unfallversicherung zu gewähren.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Die Beklagte verteidigt die erstinstanzlichen Ausführungen und verweist auf die geltende Rechtslage, an die sie gebunden sei.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten beider Rechtzüge und der beigezogenen Verwaltungsakte der Beklagten sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen (§§ 153 Abs. 1, 136 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz [SGG]).

 

Entscheidungsgründe

 

Die zulässige Berufung der Klägerin ist unbegründet.

 

Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben der erstinstanzlichen Entscheidung des Sozialgerichts der Rentenbescheid vom 15.06.2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 14.12.2022, mit dem die Altersrente der Klägerin für schwerbehinderte Menschen unter Anrechnung der ihr gewährten Verletztenrente aus der Unfallversicherung ab dem 01.07.2022 bewilligt wurde. Ihr Begehren, eine ungekürzte Regelaltersrente von der Beklagten ab Rentenbeginn zu erhalten, verfolgt die Klägerin zulässigerweise mit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG).

 

Zu Recht hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Denn der angegriffene Rentenbescheid ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 54 Abs. 2 Satz 1 SGG). Sie kann von der Beklagten keine höhere Rente beanspruchen.

 

Einwände gegen die von der Beklagten errechnete Rentenhöhe i.H.v. 1.824,35 EUR hat die Klägerin nicht erhoben. Fehler in der Tatsachenfeststellung, Rechtsanwendung und Berechnung sind dem Senat auch sonst nicht ersichtlich.

 

Die Klägerin kann die Rente auch nicht ohne Anrechnung ihrer Verletztenrente aus der Unfallversicherung verlangen. Die Ermittlung des anrechenbaren Anteils erfolgte rechtmäßig. Die Anrechnung verstößt nicht gegen Verfassungsrecht.

 

Rechtsgrundlage bildet § 93 SGB VI in der zum 01.07.2021 geänderten Fassung einschließlich der Neufassung des Abs. 2a dieser Vorschrift aufgrund des Gesetzes zur Einführung der Grundrente für langjährige Versicherung in der gesetzlichen Rentenversicherung mit unterdurchschnittlichem Einkommen und für weitere Maßnahmen zur Erhöhung der Alterseinkommen (Grundrentengesetz vom 12.08.2020; BGBl. I S. 1879). Besteht für denselben Zeitraum Anspruch auf Rente aus eigener Versicherung und auf Verletztenrente aus der Unfallversicherung wird gemäß § 93 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI die erstgenannte Rente insoweit nicht geleistet, als die Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge vor Einkommensanrechnung nach § 97 SGB VI und nach § 65 Abs. 3 und 4 Siebtes Buch Sozialgesetzbuch (SGB VII) den jeweiligen Grenzbetrag übersteigt. Bei der Ermittlung der Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge bleiben gemäß § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VI bei der Verletztenrente aus der Unfallversicherung ein verletzungsbedingte Mehraufwendungen und den immateriellen Schaden ausgleichender Betrag nach den Absätzen 2a und 2b unberücksichtigt. Buchstabe b der Vorschrift betrifft – hier nicht relevant – weitere Freibeträge, wenn die Minderung mindestens 60 Prozent beträgt und die Rente aufgrund der benannten entschädigungspflichtigen Berufskrankheit (Silikose) geleistet wird. Der die verletzungsbedingten Mehraufwendungen und den immateriellen Schaden ausgleichende Betrag beträgt gemäß § 93 Abs. 2a Satz 1 Nr. 2 SGB VI bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von 20 Prozent das 3,01fache des aktuellen Rentenwerts. Abs. 2b der Vorschrift betrifft – hier wiederum nicht einschlägig – Rechtsfolgen bei einer Minderung der Erwerbsfähigkeit von mindestens 50 Prozent. Der in § 93 Abs. 1 SGB VI genannte Grenzbetrag beträgt gemäß § 93 Abs. 3 Satz 1 SGB VI 70 vom Hundert eines Zwölftels des Jahresarbeitsverdienstes, der der Berechnung der Rente aus der Unfallversicherung zugrunde liegt, vervielfältigt mit dem jeweiligen Rentenartfaktor für persönliche Entgeltpunkte der allgemeinen Rentenversicherung; bei einer Rente für Bergleute beträgt der Faktor 0,4. Mindestgrenzbetrag ist der Monatsbetrag der Rente ohne die Beträge nach § 93 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI.

 

Diese gesetzlichen Vorgaben hat die Beklagte bei der Berechnung der Altersrente der Klägerin für schwerbehinderte Menschen ab 01.07.2022 beachtet und ist so zum korrekten Anrechnungsbetrag i.H.v. 225,32 gelangt. Insbesondere hat die Beklagte zutreffend den die verletzungsbedingten Mehraufwendungen und den immateriellen Schaden ausgleichenden Betrag berechnet. Die Klägerin hat weder gegen die Berechnungsfaktoren noch gegen die konkrete Berechnung Einwände erhoben. Fehler sind auch insoweit nicht ersichtlich.

 

Ein Anwendungsfall von § 93 Abs. 5 Satz 1 SGB VI, wonach die Anrechnungsvorschriften nicht anzuwenden sind, wenn die Rente aus der Unfallversicherung für einen Versicherungsfall geleistet wird, der sich nach Rentenbeginn oder nach Eintritt der für die Rente maßgebenden Minderung der Erwerbsfähigkeit ereignet hat, (Nr. 1) oder ausschließlich nach dem Arbeitseinkommen des Unternehmers oder seines Ehegatten oder Lebenspartners oder nach einem festen Betrag, der für den Unternehmer oder seinen Ehegatten oder Lebenspartner bestimmt ist, berechnet wird (Nr. 2), ist offensichtlich nicht gegeben.

 

Die verfassungsrechtlichen Bedenken der Klägerin teilt der Senat nicht, weshalb eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) nach Art. 100 Abs. 1 GG nicht veranlasst ist.

 

Dass die Regelung in § 93 Abs. 1 SGB VI verfassungsgemäß ist, hat das Bundessozialgericht (BSG) mit Urteil vom 31.03.1998 – B 4 RA 49/96 R – entschieden (zu § 1278 Reichsversicherungsordnung [RVO] bereits BVerfG, Beschluss vom 19.07.1984 – 1 BvR 1614/83 – juris). Nachfolgend hat das BSG seine Auffassung mit Urteilen vom 20.10.2005 – B 4 RA 27/05 R – juris Rn. 15 ff. und vom 27.08.2009 – B 13 R 14/09 R – juris Rn. 16 ff. bestätigt. Verfassungsrechtliche Bedenken hat in der Folge auch keines der Landessozialgerichte der Länder erhoben (z.B. Bayerisches LSG, Beschluss vom 13.04.2016 – L 19 R 203/13 – juris Rn. 20; LSG Baden-Württemberg, Urteil vom 25.02.2016 – L 10 R 1154/15 – juris Rn. 24; LSG Hamburg, Urteil vom 13.10.2015 – L 3 R 2/12 – juris Rn. 10; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 03.04.2014 – L 3 R 190/13 – juris Rn. 24, 25).

 

Das BSG hat im Urteil vom 20.10.2005 – B 4 RA 27/05 R – juris Rn. 13 bis 24 zusammenfassend ausgeführt:

 

"(..) Die betragsmäßige Anrechnung einer Verletztenrente aus der UV auf eine Rente aus der RV führt zwangsläufig dazu, dass der Betroffene die Geldleistung nicht in Höhe des festgesetzten Werts seines Rechts auf Rente erhält, sondern der RV-Träger ihm einen geringeren Betrag zahlt. Die Anrechnung bewirkt daher immer einen Eingriff in geldwerte Ansprüche des Betroffenen und bedarf schon mit Blick auf den einfachgesetzlichen Gesetzesvorbehalt des § 31 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I), vor allem aber nach dem Parlamentsvorbehalt des Art. 14 GG einer Ermächtigungsgrundlage, in der Inhalt, Zweck und Ausmaß des Eingriffs geregelt sind. Da es um Eingriffe in subjektive Rechte geht, kann es nicht der Verwaltung oder dem Richter überlassen bleiben, die maßgeblichen Kriterien zu bestimmen, sondern dies ist allein dem Deutschen Bundestag als dem gesetzgebenden Organ des Bundes vorbehalten.

 

Gemäß § 93 Abs. 1 Nr. 1 SGB VI wird die Rente aus der RV insoweit nicht geleistet, als bei einem Zusammentreffen mit einer Verletztenrente aus der UV die Summe der zusammentreffenden Rentenbeträge vor Einkommensanrechnung den jeweiligen Grenzbetrag übersteigt. Diese Norm regelt die Voraussetzungen, unter denen der RV-Träger als Schuldner des Versicherten, der ihm gegenüber als Gläubiger ein Recht auf eine RV-Rente hat, den in Höhe des Werts dieses Rechts entstandenen monatlichen Ansprüchen (ganz oder teilweise) anspruchsvernichtend durch Verwaltungsakt (Festsetzung der monatlichen Anrechnungsbeträge) entgegenhalten darf und muss, dieser habe jeweils für denselben Monat außerdem einen Anspruch auf eine Verletztenrente aus der UV, durch den bereits (ganz oder teilweise) der Nachteil ausgeglichen werde, den - insoweit nachrangig zur UV-Rente - abzugelten die RV versprochen habe (anspruchsvernichtender Einwand der Übersicherung). Im Einzelnen bestimmt sich der Anrechnungsbetrag nach der Freibetragsregelung des § 93 Abs. 2 SGB VI und der Grenzbetragsregelung seines Abs. 3.

 

Diese "Anrechnungsregelung" ist als solche grundsätzlich mit Art 3 Abs. 1 GG und Art. 14 GG vereinbar. Insoweit wird auf die Ausführungen im Urteil des BSG vom 31. März 1998 (B 4 RA 49/96 R, BSGE 82, 83 ff = SozR 3-2600 § 93 Nr. 7) Bezug genommen, die nachfolgend zusammengefasst werden:

 

§ 93 SGB VI berührt den Schutzbereich der grundrechtlichen Eigentumsgarantie und den allgemeinen Gleichheitssatz und muss sich deshalb an den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstäben des Art 14 Abs. 1 GG und Art 3 Abs. 1 GG messen lassen. Das Regelungskonzept der Anrechnung ist durch sachliche Gründe gerechtfertigt, die dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügen.

 

Die Beklagte hat den Wert des subjektiven Rechts des Klägers auf Altersrente und damit inzidenter den Wert der aus diesem (Stamm-)Recht monatlich entstehenden Einzelansprüche zum 1. Juli 2000 mit 2.316,87 DM festgesetzt und den Ansprüchen jeweils den anspruchsvernichtenden Einwand der Übersicherung in Höhe des Anrechnungsbetrags von 981,90 DM entgegengehalten (es genügt insoweit beispielhaft auf die zum Rentenbeginn getroffenen Verwaltungsentscheidungen abzustellen; für die nachfolgenden Neufeststellungen gilt Entsprechendes). Dieser Einwand lässt das Recht auf Rente und die Einzelansprüche mit dem von der Beklagten festgestellten Wert unberührt, mindert diesen Wert also nicht. Weder die Zahl der Entgeltpunkte (EP) noch der Rentenartfaktor noch der aktuelle Rentenwert sind von der Regelung des § 93 SGB VI betroffen. Vielmehr setzt die Norm in Gestalt des Mindestgrenzbetrags, der mindestens dem Wert des Rechts auf Rente (= sog. Monatsbetrag der Rente, § 64 SGB VI) entspricht, gerade voraus, dass der Wert des Rechts auf Rente aus der RV als solcher unverändert bleibt. Der in § 93 SGB VI ausgestaltete anspruchsvernichtende Einwand beschränkt sich darauf, dass - bei gleichbleibendem Wert des Rechts auf Rente - derjenige Betrag reduziert wird, dessen Auszahlung der Rentenberechtigte vom RV-Träger monatlich beanspruchen kann (§ 194 Bürgerliches Gesetzbuch). Demzufolge kommt der Verletztenrente aus der UV in Höhe des Anrechnungsbetrags die Bedeutung eines Erfüllungssurrogats zu; der Anspruch gegen den RV-Träger gilt in Höhe des Anrechnungsbetrags als erfüllt und befreit den RV-Träger insoweit von seiner Leistungspflicht.

 

§ 93 SGB VI, der eine von den Regelfällen abweichende Sonderregelung für diejenigen Versicherten schafft, die neben der Rente aus der RV eine Verletztenrente aus der UV beziehen, ist eine Schrankenbestimmung i.S. des Art 14 Abs. 1 GG. Sie verletzt das Eigentumsgrundrecht des Klägers nicht, weil sie sich am "Wohl der Allgemeinheit" orientiert, nämlich am Gemeinwohl der Generationen übergreifenden Versichertengemeinschaft, das nicht nur Grund für die Sozialpflichtigkeit des Eigentums ist (Art 14 Abs. 2 GG), sondern auch Grenze für die Beschränkung des Rentenversicherungs-Eigentums. Die durch § 93 SGB VI getroffene Schrankenbestimmung ist verhältnismäßig. Sie beruht ferner auf einem Sachgrund (materielles Differenzierungskriterium), der Art und Ausmaß der Abweichung von der Normregelung rechtfertigt. Dies deckt sich mit den Anforderungen, welche sich auch aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben.

 

Die Anrechnungsregelung verfolgt den verfassungsgemäßen Zweck, Nachteilsüberkompensationen (sog. Überversorgung bzw. Übersicherung) aus der Summierung teilweise zweckähnlicher Versicherungsleistungen aus zwei Zweigen der Sozialversicherung des SGB wegen der Belastung der aktuellen Beitragszahler zu begrenzen, ohne – insoweit anders als das für Bezugszeiten bis Ende 1991 gültige Recht – den durch die Verletztenrente mit abgedeckten Ausgleich für immaterielle Schäden, verletzungsbedingten Mehraufwand und besondere Betroffenheit im wirtschaftlichen Ergebnis zu entziehen. Dies wird durch die Freibetragsregelung gewährleistet. Angerechnet wird immer nur der Teil der Verletztenrente, der den Bedarf deckt, zu deren Absicherung auch das Recht aus der RV erworben und zugesagt wurde.

 

Beide Rentenleistungen erfüllen eine Einkommensersatzfunktion, und zwar kommt der Verletztenrenten aus der UV u.a. eine Lohnersatzfunktion zu, während die Renten in der RV den Ausfall von ansonsten versichertem Erwerbseinkommen ausgleichen. Trotz dieser Unterschiede im Versicherungsgegenstand stimmen die Sicherungsziele insoweit letztlich überein (vgl. hierzu auch Urteil des Senats vom 10. April 2003, B 4 RA 32/02 R, SozR 4-2600 § 93 Nr. 2). Neben der weitgehenden Gruppenkongruenz bzw. personellen Kongruenz bei Beitragszahlern (Beitragszahler sind sowohl in der UV als auch RV nur die Arbeitgeber, vgl. zur RV: BSG, Urteil vom 29. Juni 2000, BSGE 86, 262, 268 ff = SozR 3-2600 § 210 Nr. 2) und Versicherten besteht im Ausgleich des materiellen Schadens eine sachliche Kongruenz. Diese rechtfertigt die Anrechnung der Verletztenrente.

 

Eine sachliche Kongruenz besteht nicht, wo die Verletztenrente nicht die durch Arbeitsunfälle erlittenen materiellen Schäden deckt, also keine Lohnersatzfunktion hat, sondern dem Ausgleich immaterieller Schäden dient. Insoweit hatte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) bereits im Beschluss vom 7. November 1972 (BVerfGE 34, 118, 132 f; vgl. auch Beschluss vom 8. Februar 1995, SozR 3-2200 § 636 Nr. 1) geklärt, dass die Verletztenrente als Unfallentschädigung schon 1972 für MdE-Grade bis 50 v.H. einen für die Anwendung des Gleichheitssatzes des Art 3 GG zu beachtenden Funktionswandel weg vom Lohnersatz hin zum Ausgleich immaterieller Schäden genommen hatte. Den diese Schäden widerspiegelnden Betrag auszuklammern, ist der Sinn und Zweck der Freibetragsregelung des § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchst a SGB VI. (..)

 

Entgegen der Auffassung des Klägers wird er nicht gegenüber denjenigen unfallverletzten Rentnern benachteiligt, die - anders als er - nach dem Arbeitsunfall nicht mehr oder nicht in gleichem Umfang erwerbstätig gewesen sind. Auch bei diesen wird die Verletztenrente angerechnet. Eine verfassungswidrige Benachteiligung des nach dem Unfall weiterhin Vollerwerbstätigen besteht nicht. Bei gleichem MdE-Grad wird zwar beiden Personengruppen ein gleicher Freibetrag zugestanden, jedoch erwirbt der weiterhin versicherungspflichtig erwerbstätige Verletzte auf Grund seiner zusätzlichen Vorleistungen zur RV zusätzliche Rangstellenwerte (verwaltungstechnisch ausgedrückt in EP), die den Wert seines Rechts auf Rente erhöhen; sie garantieren ihm zugleich im Rahmen des § 93 Abs. 3 SGB VI einen seiner individuellen Vorleistung entsprechend höheren Mindestgrenzbetrag als denjenigen, die nach dem Unfall nicht oder nicht in gleichem Umfang eine versicherungspflichtige Tätigkeit ausgeübt haben.

 

Der Senat hält daher an seiner Rechtsprechung fest, dass die "Anrechnungsregelung" des § 93 SGB VI als solche grundsätzlich verfassungsgemäß ist. Für Rentenbezieher im Beitrittsgebiet bestehen keine Besonderheiten, die eine andere Bewertung rechtfertigen könnten (so auch Urteil des Senats vom 10. April 2003, a.a.O.). (..) Die Klage ist daher unbegründet, soweit sich der Kläger grundsätzlich gegen die Anrechnung der Verletztenrente wendet. (..)"

 

Im Urteil vom 27.08.2009 – B 13 R 14/09 R – juris Rn. 16 bis 21 hat das BSG ergänzt:

 

"(..) (a) Generell begegnet die Anrechnung der Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung auf die Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung nach näherer Maßgabe des § 93 SGB VI keinerlei verfassungsrechtlichen Bedenken (vgl. BSG vom 28.1.1999, SozR 3-2600 § 93 Nr. 9 S 90; BSG vom 31.3.1998, BSGE 82, 83, 86 ff = SozR 3-2600 § 93 Nr. 7; s ferner, noch zum alten Recht, die Nichtannahmebeschlüsse des BVerfG vom 19.1.1968, SozR Nr. 69 zu Art. 3 GG; vom 19.7.1984, SozR 2200 § 1278 Nr. 11, und vom 30.1.1985 - 1 BvR 1259/84).

 

Hierdurch wird eine Überversorgung durch die Summierung zweier zweckähnlicher Versicherungsleistungen aus zwei Zweigen der Sozialversicherung des SGB vermieden (BSG vom 31.3.1998, BSGE 82, 83, 90 = SozR 3-2600 § 93 Nr. 7). Jegliche Anrechnung aber auf die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung führt folgerichtigerweise dazu, dass - für die konkrete Rentenart - Beiträge vergebens entrichtet wurden, denn dieselbe Gesamtleistung hätte auch mit weniger Beiträgen erreicht werden können. Nicht nur für freiwillig Versicherte wie den Kläger, sondern auch für Pflichtversicherte lässt sich dann die Höhe "überzahlter" Beiträge ermitteln.

 

Verfassungsrechtliche Bedenken folgen insbesondere nicht aus dem Umstand, dass nicht die Rentenversicherungs- auf die Unfallversicherungsleistungen angerechnet werden, sondern umgekehrt die Unfallversicherungs- auf die (u.U. durch Art 14 Abs. 1 GG noch stärker geschützten) Rentenversicherungsleistungen.

 

Denn jedenfalls wäre verfassungsrechtlich zulässig, wenn der Gesetzgeber zur Vermeidung eines Doppelbezugs von Leistungen mit gleicher Zweckbestimmung (hierzu BVerfG vom 19.7.1984, SozR 2200 § 1278 Nr. 11) nicht die Regelaltersrente, sondern die Verletztenrente kürzen würde. Dieser Anspruch ist der Gestaltung durch den Gesetzgeber in stärkerem Maße zugänglich als der Anspruch auf Regelaltersrente. Denn er beruht - auch im Falle des Klägers, der im Zeitpunkt seines Arbeitsunfalls abhängig beschäftigt und deshalb gesetzlich unfallversichert war - auch nicht teilweise auf eigenen Beiträgen, sondern auf denen seines damaligen Arbeitgebers (zum Schutz der Verletztenrente durch Art. 14 Abs. 1 GG s jedoch Bulla, SGb 2007, 653, 660 f). Damit aber würde - "unter dem Strich" - der Kläger dieselbe Gesamtleistung beziehen wie nach der von ihm beanstandeten Gesetzeslage.

 

Diese bewirkt, dass Berechtigte wie der Kläger im Ergebnis mindestens den Betrag erhalten, der ihnen als Regelaltersrente zusteht, sowie jenen Teil der Verletztenrente, der nicht dem Ausgleich des Erwerbsschadens dient (§ 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchst a i.V.m. Abs. 3 Satz 2 SGB VI; zu den immateriellen Schäden s z.B. Keller, SGb 2009, 391, 392). (..)

 

Wie (..) der Gesetzgeber den Doppelbezug beseitigt, unterliegt weitgehend seiner Gestaltungsfreiheit. Selbst wenn man die Lösung in § 93 SGB VI als eigentlich unsystematisch ansieht (so auch BSG 4. Senat vom 31.3.1998, BSGE 82, 83, 98 f = SozR 3-2600 § 93 Nr. 7; vgl. ferner BSG 8. Senat vom 16.5.2001, SozR a.a.O. Nr. 10 S. 99; im Einzelnen streitig, vgl. Kranig, SF 1999, 18, 20 ff), kann dies allein nicht dazu führen, sie als verfassungswidrig anzusehen (BSG 4. Senat a.a.O.; zu einer ähnlichen Problematik beim Zusammentreffen von Altersruhegeld mit Arbeitslosengeld BVerfG vom 15.6.1971, BVerfGE 31, 185, 190 ff = SozR Nr. 18 zu Art 14 GG) (..)"

 

An den Grundstrukturen der Anrechnungsvorschrift hat der Gesetzgeber im Rahmen des Grundrentengesetzes vom 12.08.2020 nichts geändert. Wie bereits zuvor sind die pauschalierten Anteile der Verletztenrente, die dem Ausgleich immaterieller Schäden dienen, von der Anrechnung nach Maßgabe des § 93 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. Abs. 2a und 2b SGB VI ausgenommen. § 93 Abs. 3 SGB VI regelt zudem einen Mindestgrenzbetrag, der in jedem Fall den Rentenbetrag aus der Rentenversicherung garantiert (vgl. im Einzelnen Kuklock in GK-SGB VI, Stand 12/2023, § 93 Rn. 16). Insofern haben die Ausführungen des BSG in den zitierten Entscheidungen unverändert Bestand (vgl. insoweit auch BSG, Beschluss vom 10.09.2024 – B 5 R 72/24 B – juris Rn. 6).

 

Die Ausführungen der Klägerin geben keinen Anlass zu einer abweichenden Bewertung. Im Kern vertritt sie die Auffassung, dass nicht nur der Altersrente die Bedeutung zukomme, den Ausfall von versichertem Erwerbseinkommen ausgleichen. Auch dem Teil der Verletztenrente, der nicht den immateriellen Schaden ausgleicht, wohne mit Verfassungsrang dieselbe Funktion nach dem Eintritt in die Altersrente inne und zwar ohne, dass dafür Rentenversicherungsbeiträge gezahlt worden sind. Mit dieser Annahme gleiche die Verletztenrente Einkommensverluste im Alter aus, die die durch Arbeitsunfall geschädigte Klägerin während ihres Erwerbslebens erlitten habe, weil sie lediglich teilzeitbeschäftigt habe sein können, sie demnach weniger Entgeltpunkte in der Rentenversicherung habe erreichen können und ihr Karrierechancen geringer gewesen seien. Hieraus leitet die Klägerin ihrem Vortrag nach ab, dass eine Gleichbehandlung von Versicherten mit gleichzeitigem Anspruch auf Verletzten- und Altersrente ohne vergleichende Betrachtung ihrer tatsächlichen Erwerbsbiographie mit ihrer fiktiven beruflichen Entwicklung ohne Arbeitsunfall ungerechtfertigt sei und damit einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG bewirke. Zumindest müsse der Zeitpunkt des Eintritts der Erwerbsminderung ein differenzierendes Anrechnungskriterium sein, weil dieser den Umfang des auszugleichenden Schadens in der Altersabsicherung beeinflusse.

 

Diese Auffassung verkennt, dass der Verletztenrente nach dem Unfallversicherungsrecht (§§ 56 ff. SGB VII) die von der Klägerin vertretene alterssichernde Wirkung bereits nicht zukommt und eine solche Bedeutung von Verfassung wegen auch nicht geboten ist, weshalb es bei der überzeugenden Auffassung des BSG verbleibt, dass die Anrechnungsvorschrift des § 93 SGB VI verfassungsrechtlich legitim der Vermeidung eines Doppelbezuges wesensähnlicher Leistungen bzw. der Vermeidung von Übersicherung dient.

 

Der Senat teilt dabei die Auffassung des BSG, dass das legitime Ziel des Gesetzgebers, durch Anrechnung eine Überversorgung durch die Summierung zweier zweckähnlicher Versicherungsleistungen aus zwei Zweigen der Sozialversicherung des SGB zu vermeiden, systematisch besser durch eine Anrechnung der Altersrente auf die Rente aus der Unfallversicherung zu erreichen wäre. Da die tatsächlichen Wirkungen einer solchen aber mit der umgekehrten Anrechnungssystematik des § 93 SGB VII identisch sind, kann hierauf die Verfassungswidrigkeit nicht gestützt werden, weil es der Gestaltungsfreiheit des Gesetzgebers obliegt, den "Doppelbezug" zu beseitigen (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.2009 – B 13 R 14/09 R – juris Rn. 21). Anhaltspunkte für Willkür sind nicht ersichtlich.

 

Unter dieser Prämisse verstößt die Anrechnung nicht gegen Verfassungsrecht, weil die durch die Anrechnung hervorgerufenen Beschränkungen der Verletztenrente Verfassungsrecht nicht verletzen.

 

Eine ausdrücklich geregelte Zweckbestimmung hat die Verletztenrente aus der gesetzlichen Unfallversicherung nicht. Die der Gewährung zugrundeliegenden Vorschriften des §§ 56 ff. SGB VII (zuvor §§ 580, 581ff., 1585 Abs. 2 RVO) regeln nur Beginn, Dauer und die Höhe sowie die Berechnungsmodalitäten (vgl. BSG, Urteil vom 03.12.2002 – B 2 U 12/02 R – juris Rn. 23). Insofern handelt es sich um eine abstrakt berechnete Verdienstausfallentschädigung, der infolge tatsächlicher Änderungen der wirtschaftlichen, technischen und sozialen Rahmenbedingungen im Laufe der Jahre kompensatorische Bedeutung sowohl für immaterielle als auch materielle Schäden beigemessen worden ist (vgl. BVerfG in: NZS 2011, 895 Rn. 38, beck-online; BSG, Urteil vom 10.04.2003 – B 4 RA 32/02 R – Rn. 31). Diesem Umstand trägt die Anrechnungsvorschrift des § 93 Abs. 2 Nr. 2 Buchstabe a SGB VII seit dem 01.01.1992 auch Rechnung.

 

Hieraus lässt sich aber kein verfassungsrechtlich gebotener Anspruch ableiten, dass die von der Rechtsprechung seit jeher zuerkannte Lohnersatzfunktion der Verletztenrente (vgl. BSG, Urteile vom 03.12.2002 – B 2 U 12/02 R – juris Rn. 23 und vom 20.03.2018 – B 2 U 6/17 R – juris Rn. 21; Bundesgerichtshof [BGH], Urteil vom 03.12.2002 – VI ZR 304/01 – juris) auch über das Ende des Erwerbslebens hinaus ohne Beitragsmittelaufkommen des Versicherten in Gestalt eines Surrogates für entgangene Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung Fortbestand haben muss. Weder wird dadurch Art. 3 Abs. 1 GG noch Art. 14 Abs. 1 GG oder das Sozialstaatsprinzip nach Art. 20 Abs. 1 2. Alt GG verletzt. Aufgrund der gesetzlichen Ausgestaltung hat die Klägerin von Anfang an keine anrechnungsfreie Unfallrente erworben. Sie kann diese also nur in der Form beanspruchen, wie der Gesetzgeber sie vorgesehen hat.

 

Es ist rein spekulativ, welche tatsächlichen Rentenansprüche die Klägerin ohne den Arbeitsunfall im Jahr 1975 tatsächlich erworben hätte. Insofern greift die von ihr angestellte Berechnung auch nicht durch. Es ist verfassungsrechtlich nicht geboten, die Anrechnung der Verletztenrente auf die Versicherungsrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung oder aber umgekehrt die Anrechnung der Altersrente auf die Unfallrente an der Erwerbsbiographie des Betroffenen einschließlich spekulativer Entwicklungsprognosen auszurichten, zumal der Einsatz generalisierender, typisierender und pauschalierender Regelungen dem Gesetzgeber gerade bei Massenerscheinungen im Sozialleistungsrecht grundsätzlich offensteht (vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 15.04.2024 – 1 BvR 2076/23 – juris Rn. 18).

 

Dem Gesetzgeber ist es zudem in weit größerem Umfang als in der vom Versicherten mit seinen Beiträgen mitfinanzierten gesetzlichen Rentenversicherung überlassen, den Umfang der Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung zu bestimmen und unter anderem durch Anrechnungsvorschriften zu begrenzen, nachdem der Versicherte selbst keine Beiträge zur Unfallversicherung bezahlt, sondern diese die Arbeitgeber (vgl. § 150 SGB VII) tragen (vgl. BSG, Urteil vom 27.08.2009 – B 13 R 14/09 R – juris Rn. 19). Die Anrechnung stellt sich insofern zumindest als zulässige Inhalts- und Schrankenbestimmung i.S.d. Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar.

 

Da aus der Verletztenrente keine Beiträge zur gesetzlichen Rentenversicherung gezahlt werden, wird insoweit nicht ungerechtfertigt in durch Art. 14 GG gewährleistete Ansprüche aus der gesetzlichen Rentenversicherung eingegriffen.

 

Nach alledem hat die Berufung keinen Erfolg.

 

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG und orientiert sich am Ausgang des Verfahrens.

 

Die Revision ist nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe i.S.d. § 160 Abs. 2 Nr. 1 und 2 SGG nicht vorliegen.

 

Rechtskraft
Aus
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