- Ist ein – ohnehin lediglich deklaratorischer – Verwaltungsakt zur Feststellung des Bestehens einer Familienversicherung nicht ergangen, ist die Krankenkasse nicht gehindert, die Familienversicherung zu „stornieren“, d.h. rückwirkend festzustellen, dass ab einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt eine Familienversicherung nicht bestanden hat.
- Meldet ein bislang privat krankenversicherter hauptberuflich selbstständig Erwerbstätiger, der das 55. Lebensjahr bereits vollendet hat, seinen Gewerbebetrieb lediglich kurzzeitig (hier: für drei Tage) beim Gewerbeamt ab, ohne hierfür einen plausiblen Grund zu haben, kann eine Erklärung hierfür sein, dass er über eine kurzfristige Familienversicherung einen Wechsel in die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) erreichen wollte.
- Die rückwirkende Aufhebung einer durch arglistige Täuschung erlangten Entscheidung der Krankenkasse über die Aufnahme in die freiwillige Krankenversicherung ist ohne Ermessensausübung rechtmäßig, da ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null vorliegt.
Auf die Berufung der Beklagten werden das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 21. Juni 2022 aufgehoben und die Klage abgewiesen.
Kosten haben die Beteiligten einander für das gesamte Verfahren nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit einer rückwirkenden „Stornierung“ der Mitgliedschaft des Klägers (und Berufungsbeklagten) in der Familienversicherung und freiwilligen gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sowie sozialen Pflegeversicherung.
Der 1956 geborene Kläger war jahrelang hauptberuflich selbstständig erwerbstätig mit einem Gewerbe zur Installation von Elektro- und Blitzschutzanlagen und der Installation von Alarmanlagen und bis zum 31. Juli 2017 privat krankenversichert. Seine Ehefrau ist bei der Beklagten (und Berufungsklägerin) zu 1, einer gesetzlichen Krankenkasse, krankenversichert.
Am 16. Mai 2017 bewarb sich der Kläger bei der C GmbH (nachfolgend: C-GmbH) um eine Anstellung als Elektromeister. Nachdem Einigkeit über die Details der Einstellung erzielt werden konnte, beabsichtigte die C-GmbH, den Kläger zum 1. Juli 2017 einzustellen. Die Einstellung scheiterte aber später aus betrieblichen Gründen. Am 15. Juni 2017 meldete der Kläger sein Gewerbe mit Wirkung zum 31. Juli 2017 ab; als Grund für die Abmeldung gab er an: „vollständige Aufgabe“ des Betriebes, einen Grund für die Betriebsaufgabe nannte er nicht. Mit Schreiben vom 17. Juni 2017 übersandte ein Versicherungsmakler einen vom Kläger und seiner Ehefrau am 16. Juni 2017 unterschriebenen Antrag zur Aufnahme in die Familienversicherung ab dem 1. August 2017 an die Beklagte zu 1, die Gewerbeabmeldung fügte er bei.
Mit Schreiben vom 28. Juni 2017 dankte die Beklagte zu 1 dem Kläger, dass er sich für die Familienversicherung entschieden habe, und übersandte ihm eine Versicherungsbescheinigung.
Am 29. Juli 2017 übermittelte der Versicherungsmakler per Fax einen vom Kläger am 28. Juli 2017 unterschriebenen Antrag auf Mitgliedschaft in der freiwilligen Versicherung ab dem 4. August 2017 (mit Anspruch auf Krankengeld) an die Beklagte zu 1. In dem Antragsformular hatte der Kläger angegeben, dass er „bisher“ vom 1. bis 3. August 2017 familienversichert gewesen sei und er ab dem 4. August 2017 als Elektro-Meister mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden selbstständig tätig sein und aus dieser Tätigkeit ein jährliches Einkommen in Höhe von 1.000 Euro erzielen werde. Am 1. August 2017 (Dienstag) meldete der Kläger mit Wirkung zum 4. August 2017 (Freitag) erneut ein Gewerbe mit identischem Gegenstand und identischer Adresse wie zuvor an. Ausweislich seines Steuerbescheides vom 13. Mai 2019 für das Kalenderjahr 2017 erzielte der Kläger in diesem Kalenderjahr Einkünfte aus Gewerbebetrieb in Höhe von insgesamt 9.073 Euro. Eine getrennte Abrechnung für Zeiten bis 31. Juli 2017 und ab 4. August 2017 lässt sich dem Bescheid nicht entnehmen.
Mit Bescheid vom 3. August 2017 bestätigte die Beklagte zu 1 dem Kläger den Beginn seiner Mitgliedschaft als freiwilliges Mitglied am 4. August 2017 und setzte den von ihm zu zahlenden Beitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung fest. Am 4. September 2017 stellte der Kläger bei der Beklagten zu 1 einen Antrag auf Beitragsreduzierung und reichte seine Einkommensteuerbescheide für die Kalenderjahre 2014 und 2015 ein. Mit Beitragsbescheiden vom 5. September 2017 und vom 15. Januar 2018 setzte die Beklagte zu 1 daraufhin die vom Kläger zu zahlenden Beiträge neu fest.
Mit Schreiben vom 2. März 2018 gab die Beklagte zu 1 dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu ihrer Absicht, die durchgeführte Familienversicherung zu „stornieren“. Sie teilte in dem Schreiben u.a. mit, dass sie davon ausgehe, dass die vermeintliche Geschäftsaufgabe nur erfolgt sei, um sich in der GKV versichern zu können. Der Kläger widersprach diesen „Vermutungen und Unterstellungen“ nachdrücklich und vertrat die Ansicht, bereits aus der unstreitigen Abmeldung des Gewerbes ergebe sich rein faktisch, dass die selbstständige Tätigkeit unterbrochen gewesen wäre. Er habe aufgrund gesundheitlicher Probleme seine hauptberuflich selbstständige Tätigkeit bereits vor seinem Antrag zur Aufnahme in die Familienversicherung aufgeben wollen. Die Gewerbeabmeldung sei bereits unter dem 16. Juni 2017 mit dem Ziel der Betriebsaufgabe erfolgt. Er sei weiter bemüht gewesen und sei dies immer noch, einer anderen oder gleichartigen Tätigkeit nachzugehen, um seinen Lebensunterhalt sichern zu können. Da er jedoch keine Einstellung in einem anderen Betrieb erhalten habe, habe er sein Gewerbe wieder angemeldet, um nicht Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhaltes beziehen zu müssen. Er arbeite aus gesundheitlichen Gründen nicht hauptberuflich selbstständig, da er diesen Belastungen nicht mehr gewachsen sei. Der zeitliche Umfang der Tätigkeit sei deutlich herabgesetzt. Es sei insoweit zu prüfen, inwieweit möglicherweise weiter die Voraussetzungen der Familienversicherung vorlägen. Diese Frage hätte bei der Bearbeitung seines Antrags auf freiwillige Versicherung bereits geprüft werden müssen bzw. er hätte dazu beraten werden müssen. Die Negativeinkünfte aus dem Jahr 2014 und die geringen Einkünfte aus dem Jahr 2015 seien der Beklagten zu 1 aus den Einkommensteuerbescheiden bekannt gewesen. Er habe in jedem Fall weiter einen Anspruch auf Zugang zur freiwilligen Versicherung, so dass weder die Familienversicherung noch die Mitgliedschaft in der freiwilligen Versicherung zu stornieren seien. Die tatsächlichen Voraussetzungen hätten sich nicht geändert. Die Beklagte zu 1 sei über seine persönlichen Verhältnisse vollumfänglich informiert.
Mit Bescheid vom 20. März 2018, der im Fettdruck überschrieben ist mit „Aufhebung der freiwilligen Mitgliedschaft / Stornierung der Familienversicherung“, teilte die Beklagte zu 1 mit, dass die Familienversicherung des Klägers „storniert“ worden sei. Die Familienversicherung sei ausgeschlossen und für die Zeit vom 1. August 2017 bis 3. August 2017 zu Unrecht durchgeführt worden. Da der Zugang zur freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 4. August 2017 damit nicht mehr gegeben sei, sei auch die freiwillige Mitgliedschaft ab dem 4. August 2017 „storniert“ worden. Die Beitragsbescheide vom 5. September 2017 sowie vom 15. Januar 2018 würden aufgehoben. Schutzwürdiges Vertrauen sei nicht gegeben, weil aufgrund der widersprüchlichen Angaben davon ausgegangen werden müsse, dass von vornherein geplant gewesen sei, über die vermeintliche Betriebsaufgabe einen Zugang zur GKV zu erhalten. Da die Abmeldung des Betriebes nur für drei Tage erfolgt sei und der Betrieb zudem bereits am 1. August 2017 wieder angemeldet worden sei, habe es sich nicht um eine vollständige Betriebsaufgabe gehandelt. Die selbstständige Tätigkeit des Klägers sei aufgrund des zeitlichen Umfangs und der wirtschaftlichen Bedeutung durchgehend als hauptberuflich anzusehen.
Mit seinem hiergegen gerichteten Widerspruch trug der Kläger u.a. vor, er habe seine selbstständige Tätigkeit vor der Familienversicherung beendet gehabt. Die entsprechenden Meldungen und steuerlichen Erklärungen habe er beim zuständigen Finanzamt abgegeben gehabt, Betriebsvermögen sei aufgelöst worden, eventuelle Nachzahlungen an das Finanzamt seien geleistet worden, den Berufsgenossenschaften und Innungen sei die Beendigung der selbstständigen Tätigkeit mitgeteilt worden. Alle Bescheide der Beklagten zu 1 seien rechtskräftig und damit verbindlich für beide Seiten. Sein, des Klägers, Vertrauensschutz schließe eine nachträglich geänderte Bewertung gleicher Tatsachen durch andere Mitarbeiter der Beklagten zu 1 aus. Die Beklagte zu 1 unterstelle ohne nähere Ausführungen, dass er hauptberuflich eine selbstständige Tätigkeit ausführe. Dieses Vorgehen sei willkürlich ohne Einzelfallprüfung zum konkreten Sachverhalt.
Mit Bescheid vom 30. Mai 2018 ergänzte die Beklagte zu 1 ihren Bescheid vom 20. März 2018 dahingehend, dass dieser zugleich im Namen der Pflegekasse (der Beklagten und Berufungsklägerin zu 2) ergehe und somit auch die Aufhebung der Familienversicherung nach § 25 Sozialgesetzbuch Elftes Buch (SGB XI) und Versicherungspflicht nach § 20 Abs. 3 SGB XI erfolge.
Mit Schreiben vom 30. Mai 2018 forderte die Beklagte zu 1 diverse Nachweise zum Vortrag aus dem Widerspruchsschreiben beim Kläger an. Der Kläger übersandte keine weiteren Unterlagen, aber teilte mit, dass es kein aufzulösendes Betriebsvermögen gegeben habe. Informationen an Kunden und Vertragspartner gebe es nicht schriftlich und könnten daher nicht vorlegt werden. Mit Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2018 wies die Beklagte zu 1 – zugleich im Namen der Beklagten zu 2 – den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 20. März 2018 und den Ergänzungsbescheid vom 30. Mai 2018 gestützt auf § 45 Abs. 1 und 4 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) als unbegründet zurück. Die Familienversicherung ab 1. August 2017 sei aufgrund der Ausübung der hauptberuflich selbstständigen Erwerbstätigkeit ausgeschlossen und sei daher aufzuheben. Aufgrund der nicht vorhandenen Familienversicherung und dem somit fehlenden Bezug zum System der GKV sei die Durchführung der freiwilligen Kranken- und Pflegeversicherung ab dem 4. August 2017 nicht möglich und sei daher rückwirkend aufzuheben gewesen. Nachweise über die gesundheitlichen Einschränkungen, das Bemühen der Aufnahme einer Arbeitnehmertätigkeit sowie Bescheinigungen bzw. Abrechnungen des Finanzamts über die steuerlichen Verpflichtungen oder die Auflösung des Betriebsvermögens aufgrund der Geschäftsaufgabe und betriebswirtschaftliche Auswertungen oder Bescheinigungen der Berufsgenossenschaften bzw. Innungen seien trotz Aufforderung nicht eingereicht worden. Auch seien die Bescheide bezüglich der Beitragseinstufung als hauptberuflich Selbstständiger nicht mit einem Rechtsmittel angegriffen worden, so dass der Kläger auch immer selbst von der Ausübung einer hauptberuflichen selbstständigen Erwerbstätigkeit ausgegangen sei. Der Kläger gehe neben der selbstständigen Tätigkeit von 40 Stunden pro Woche auch keiner weiteren Tätigkeit nach und erziele auch keine weiteren Einkünfte, so dass die selbstständige Tätigkeit von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung sei. Insofern sei auch eine eingeschränkte Ausübung der selbständigen Tätigkeit nicht erkennbar. Die selbstständige Tätigkeit sei daher als hauptberuflich anzusehen. Dies mit der Folge, dass die Familienversicherung ab dem 1. August 2017 zu Unrecht durchgeführt worden und daher rückwirkend aufzuheben sei. In der Konsequenz fehle es damit auch an der Zugangsvoraussetzung zur Durchführung der freiwilligen Mitgliedschaft nach § 188 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V), so dass auch die freiwillige Mitgliedschaft rückwirkend aufzuheben sei. Schutzwürdiges Vertrauen liege nicht vor, da unterstellt werden müsse, dass der Kläger als jahrelang privat Versicherter durch die vermeintliche Betriebsaufgabe für drei Tage gezielt den Zugang zur GKV angestrebt habe, denn eine Rückkehr in die GKV wäre aufgrund des Alters selbst bei Eintritt von Versicherungspflicht nicht möglich gewesen (§ 6 Abs. 3a SGB V). Der Kläger sei zu Beginn der Familienversicherung bzw. freiwilligen Mitgliedschaft nicht transparent mit seiner Gesamtsituation umgegangen. Hätte er direkt vor Inkrafttreten der Familienversicherung kundgetan, dass er seinen Betrieb nur für drei Tage abmelden werde, hätte frühzeitig festgestellt werden können, dass hier eine durchgehende selbstständige Tätigkeit vorliege und eine Familienversicherung nicht möglich sei. Die Aufhebung der Familienversicherung sowie in der Folge die Aufhebung der freiwilligen Mitgliedschaft habe rückwirkend erfolgen können, da die Aufhebung innerhalb der Jahresfrist, gerechnet ab dem Eingang des Antrags auf freiwillige Mitgliedschaft, dem 29. Juli 2017, erfolgt sei.
Mit seiner hiergegen am 13. August 2018 beim Sozialgericht erhobenen Klage hat der Kläger vorgetragen, dass er die Absicht gehabt habe, seinen Gewerbebetrieb aufzugeben und zu veräußern. Da eine Veräußerung und auch Bewerbungen bei anderen Firmen gescheitert seien, habe er das Gewerbe zum 4. August 2017 erneut angemeldet. Umfang und Leistung in seiner Tätigkeit hätten sich aufgrund gesundheitlicher Probleme erheblich reduziert. Er habe auf den Bestand der Entscheidungen der Beklagten zur Familienversicherung und der sich anschließenden freiwilligen Versicherung vertraut. Seine private Krankenversicherung habe er gekündigt und er könne wegen Zeitablaufs nicht mehr zu den alten Konditionen in diese zurückkehren. Der Bescheid vom 20. März 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2018 sei bereits formell rechtswidrig. Die Beklagten hätten eine besondere Härte aufgrund des Wegfalls des Krankenversicherungsschutzes für die Vergangenheit berücksichtigen müssen. Zudem hätten sie bei ihrer Entscheidung im Rahmen der zu begründenden Ermessensentscheidung auch eigene Fehler einstellen und bei der Abwägung berücksichtigen müssen. Mit der Aufnahme der selbstständigen Tätigkeit als Familienversicherter sei automatisch eine freiwillige Mitgliedschaft gemäß § 188 Abs. 4 SGB V begründet worden.
Auf Nachfrage des Gerichts hat der Kläger u.a. einen Bescheid der Handwerkskammer Frankfurt (Oder) vom 24. Juli 2017 über die Löschung der Eintragung des Unternehmens des Klägers aus der Handwerksrolle bzw. aus dem Verzeichnis der zulassungsfreien Handwerke/handwerksähnlichen Gewerbe mit Wirkung vom 31. Juli 2017, einen (nicht ausgefüllten) Fragebogen (nur Seite 1 von 2) der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) vom 28. Juli 2017 zur „Betriebseinstellung“ und ein Bestätigungsschreiben der Steuerberaterin des Klägers vom 19. März 2021 eingereicht. Im Laufe des Klageverfahrens hat sein Prozessbevollmächtigter außerdem ein Urteil des Sozialgerichts (SG) Schwerin vom 24. April 2019 – S 8 KR 262/18 – sowie einen Gerichtsbescheid des SG Cottbus vom 14. Juni 2022 – S 19 KR 387/18 – zur Akte gereicht. Beiden Klageverfahren lagen ähnliche Sachverhalte wie im vorliegenden Fall zugrunde und in beiden Klageverfahren war der Prozessbevollmächtigte des Klägers als Prozessbevollmächtigter der dortigen Kläger aufgetreten. In diesen Verfahren hatten die Sozialgerichte jeweils die Entscheidung der Krankenkasse über die Rückabwicklung der Mitgliedschaft aufgehoben. Hinsichtlich der Einzelheiten der genannten Unterlagen wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.
Im Termin zur mündlichen Verhandlung am Sozialgericht am 21. Juni 2022 hat der Kläger u.a. angegeben, dass er sein Gewerbe zum 31. Juli 2017 abgemeldet habe mit der Absicht, sich bei einer Baufirma anstellen zu lassen und dort als Meister tätig zu sein. Mit dieser Baufirma habe er Gespräche geführt, nach denen es so ausgesehen habe, als wenn man sich einig werden würde. Im weiteren Verlauf habe es dann jedoch doch nicht geklappt. Hierdurch sei es zu dem Ab- und Wiederanmelden seines Gewerbes gekommen. Er habe sein Gewerbe veräußern wollen.
Mit Urteil vom 21. Juni 2022 hat das Sozialgericht die angefochtenen Bescheide der Beklagten vom 20. März 2018 und vom 30. Mai 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2018 aufgehoben und zur Begründung ausgeführt: Die in dem streitgegenständlichen Bescheid verlautbarte Verfügung einer „Stornierung“ der Familienversicherung sei rechtswidrig, weil die Beklagte zu 1 ihren Bescheid vom 28. Juni 2017 nicht aufgehoben habe. Die Beklagte hätte zur Rückabwicklung der Familienversicherung des Klägers diesen Bescheid unter den Voraussetzungen der §§ 45, 48 Abs. 1 SGB X rückwirkend aufheben müssen. Denn die Beklagte habe die Familienversicherung des Klägers ab dem 1. August 2017 mit Schreiben vom 28. Juni 2017 verbindlich festgestellt. Zwar habe das Bundessozialgericht (BSG) in der Übersendung sogenannter Begrüßungsschreiben noch keine Entscheidung über das Versicherungsverhältnis gesehen. Im vorliegenden Fall habe die Beklagte den Bescheid vom 28. Juni 2017 aber erst nach individueller Prüfung des Antrages des Klägers erteilt. Um ein bloßes Begrüßungsschreiben habe es sich damit nicht gehandelt. Die rückwirkende „Stornierung“ reiche wegen des erlassenen, die Familienversicherung feststellenden Bescheides vom 28. Juni 2017 allein nicht aus. Aus der Formulierung „Stornierung“ ergebe sich nicht hinreichend, dass die Beklagte den Bescheid vom 28. Juni 2017 habe aufheben wollen. Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus dem Umstand, dass die Beklagte im Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2018 die Verfügung ausgesprochen habe, dass die Familienversicherung des Klägers aufgrund der Ausübung einer hauptberuflich selbstständigen Erwerbstätigkeit ausgeschlossen und „daher aufzuheben“ gewesen sei. Die Beklagte erwähne weder im Bescheid vom 20. März 2018 noch im Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2018 eine konkrete zu beseitigende Entscheidung. Es werde nicht deutlich, dass die Beklagte überhaupt einen Verwaltungsakt über das Bestehen der Familienversicherung habe aufheben wollen. Ebenso sei die Aufhebung der freiwilligen Mitgliedschaft des Klägers in der GKV ab dem 4. August 2017 rechtswidrig erfolgt. Der Bescheid vom 3. August 2017 sei nicht i.S.d. § 45 SGB X rechtswidrig, weil die Voraussetzungen für eine freiwillige Mitgliedschaft des Klägers in der GKV nach § 188 Abs. 4 SGB V entgegen der Auffassung der Beklagten vorgelegen hätten. Die Beklagte habe mit Schreiben vom 28. Juni 2017 die Durchführung der Familienversicherung des Klägers ab dem 1. August 2017 im Sinne eines statusbegründenden Verwaltungsaktes nach § 31 SGB X bestätigt. Das Ende der ab dem 1. August 2017 bei der Beklagten bestehenden Familienversicherung des Klägers habe nach § 188 Abs. 4 SGB V zur Fortsetzung der Versicherung als sogenannte obligatorische Anschlussversicherung geführt. Die dort genannten Voraussetzungen seien erfüllt. Der Kläger sei insbesondere ab dem 4. August 2017 nach § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V wegen der Wiederaufnahme seiner hauptberuflichen selbstständigen Erwerbstätigkeit zum 4. August 2017 von der Familienversicherung ausgeschlossen. Denn er habe eine insoweit relevante Erwerbstätigkeit ausgeübt und diese sei hauptberuflich erfolgt. Er habe ab dem 4. August 2017 eine gewerbliche Tätigkeit im Bereich „Installation von Elektro- und Blitzschutzanlagen und Alarmanlagen“ ausgeübt. Dies entnehme die Kammer den eigenen Angaben des Klägers und der (erneuten) Gewerbeanmeldung vom 1. August 2017. Die Kammer sei davon überzeugt, dass der Kläger seine gewerbliche Tätigkeit im streitgegenständlichen Zeitraum auch hauptberuflich ausgeübt habe. Aber auch bei unterstellter anfänglicher Rechtswidrigkeit des Bescheides der Beklagten vom 3. August 2017 fehle es an der auf Rechtsfolgenseite nötigen Ermessensausübung durch die Beklagte. Dies führe zur Rechtswidrigkeit der streitigen Bescheide und sei durch das Gericht von Amts wegen zu berücksichtigen. Weder die Bescheide vom 20. März 2018 und vom 30. Mai 2018 noch der Widerspruchsbescheid vom 13. Juli 2018 ließen eine Ermessensbetätigung erkennen. Die Ausführungen der Beklagten zum Nichtvorliegen eines schutzwürdigen Vertrauens des Klägers genügten insoweit nicht. Eine Ermessensreduzierung auf Null könne die Kammer nicht erkennen.
Gegen dieses ihnen am 29. Juni 2022 zugegangene Urteil richten sich die Beklagten mit ihrer am 20. Juli 2022 beim Landessozialgericht eingegangenen Berufung.
Sie sind der Ansicht, die Familienversicherung des Klägers sei rückwirkend aufgehoben worden, auch wenn der Terminus „Stornierung“ verwaltungsverfahrensrechtlich nicht korrekt gewesen sei. Im Rahmen des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2018 sei hier aber eine Konkretisierung bzw. Klarstellung erfolgt. Die Aufhebung der Familienversicherung sei auch rückwirkend zulässig gewesen, da der Kläger seine hauptberufliche Selbstständigkeit für den Zeitraum vom 1. bis 3. August 2017 nicht tatsächlich aufgegeben gehabt habe. Da die Aufgabe der Selbstständigkeit weder im Widerspruchsverfahren noch im Klageverfahren hinreichend dargelegt worden sei, sei die rückwirkende Aufhebung der Familienversicherung unter Berücksichtigung der Ermessensreduzierung auf Null zulässig gewesen. In der Konsequenz der Aufhebung der Familienversicherung sei auch der Zugang zum weiteren Krankenversicherungsschutz nach § 188 Abs. 4 SGB V wegen fehlender Vorversicherung nicht gegeben und auch die Weiterversicherung ab dem 4. August 2017 aufzuheben. Aus ihrer, der Beklagten, Sicht werde noch immer nicht deutlich, dass die Selbstständigkeit tatsächlich beendet und neu begonnen worden sei. Es sei nicht erkennbar, warum die Gewerbeanmeldung am 1. August 2017 nicht direkt zum 1. August 2017 erfolgt sei, sondern erst zum 4. August 2017. Nach ihrer Auffassung sei die Gewerbeabmeldung und –anmeldung lediglich deklaratorisch zur Schaffung eines Zugangsrechts zur Familienversicherung erfolgt. Eine tatsächliche Gewerbeaufgabe bzw. Gewerbeunterbrechung habe nach ihrer Überzeugung nicht stattgefunden.
Die Beklagten beantragen,
das Urteil des Sozialgerichts Neuruppin vom 21. Juni 2022 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er verweist auf seinen Vortrag in der Sache und auf die Ausführungen im angefochtenen Urteil. Das Sozialgericht habe fehlerfrei darauf hingewiesen, dass ein Ausnahmefall der Ermessensreduzierung auf Null nicht vorliege, da die Beklagte im Rahmen der Ermessensausübung hätte einstellen und berücksichtigen können, inwieweit eine Prüfung der Voraussetzungen der freiwilligen Mitgliedschaft bei Erteilung des Bescheides unterblieben wäre, obwohl bekannt gewesen sei, dass eine kurze Unterbrechung der selbstständigen Tätigkeit vorgelegen habe. Die Tatsache der Unterbrechung habe sich aus den der Beklagten mitgeteilten Zeiträumen der Abmeldung und der Anmeldung des Gewerbes ergeben. Er habe zu jedem Zeitpunkt offen seine persönlichen Verhältnisse offenbart und der Beklagten alle Tatsachen zeitnah mitgeteilt.
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die gemäß § 143 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und auch im Übrigen zulässige (vgl. § 151 Abs. 1 SGG) Berufung der Beklagten ist begründet.
Gegenstand des Berufungsverfahrens ist neben dem Urteil des Sozialgerichts der Bescheid der Beklagten vom 20. März 2018 in der Fassung des Bescheides vom 30. Mai 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. Juli 2018. Der angefochtene Bescheid hat zwei verschiedene Regelungsgegenstände: Zum einen wurde die Familienversicherung des Klägers für die Zeit vom 1. bis 3. August 2017 „storniert“ (dazu 1.), zum anderen wurde der Bescheid vom 3. August 2017 über die freiwillige Versicherung des Klägers ab dem 4. August 2017 aufgehoben (dazu 2.). Das Sozialgericht hat auf die zulässige Anfechtungsklage (vgl. § 54 Abs. 1 SGG) des Klägers zu Unrecht den genannten Bescheid der Beklagten aufgehoben. Der Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Die Beklagten waren berechtigt, die Entscheidung über die freiwillige Versicherung des Klägers rückwirkend zum 4. August 2017 zurückzunehmen. Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts war keine Familienversicherung eingetreten und war eine Ermessensausübung der Beklagten betreffend die Rücknahme nicht erforderlich, da ihr Ermessen auf Null reduziert war.
- Mit der „Stornierung“ der Familienversicherung haben die Beklagten festgestellt, dass eine Familienversicherung im Zeitraum vom 1. bis 3. August 2017 tatsächlich nicht bestanden hat. Dies war ohne besondere Voraussetzungen (insbesondere ohne die Voraussetzungen der §§ 45, 48 SGB X) möglich, da ein vorheriger Bescheid über das Bestehen einer Familienversicherung nicht ergangen war (so auch im Berufungsurteil zum vergleichbaren Sachverhalt im Klageverfahren S 8 KR 262/18 des SG Schwerin: Landessozialgericht [LSG] Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22. März 2023 – L 6 KR 63/19 –, Rn. 39, juris). Die „Stornierung“ der Familienversicherung stellt keinen aufhebenden Verwaltungsakt dar (und ist auch nicht so zu verstehen), weil die Beklagten eine solche Versicherung nicht zuvor bestandskräftig durch Verwaltungsakt festgestellt hatten. Ist ein Verwaltungsakt zur Feststellung des Bestehens einer Familienversicherung nicht ergangen, ist die Krankenkasse nicht gehindert, rückwirkend festzustellen, dass ab einem in der Vergangenheit liegenden Zeitpunkt eine Familienversicherung nicht bestanden hat (BSG, Urteil vom 7. Dezember 2000 – B 10 KR 3/99 R –, Rn. 33, juris). Der Erlass eines feststellenden Verwaltungsaktes über den Eintritt der Familienversicherung war auch nicht erforderlich. Eine Familienversicherung beginnt unabhängig von einem feststellenden Verwaltungsakt der Krankenkasse kraft Gesetzes an dem Tag, an dem die Voraussetzungen für die Familienversicherung vorliegen (Felix in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 5. Aufl., § 10 SGB V (Stand: 02.04.2025), Rn. 15, m.w.N.).
Das Bestätigungsschreiben der Beklagten zu 1 vom 28. Juni 2017 stellt keinen den Eintritt der Familienversicherung feststellenden Verwaltungsakt dar (ebenso schon BSG, Urteile vom 21. Mai 1996 – 12 RK 67/24 –, Rn. 21, und vom 19. Juni 2001 – B 12 KR 37/00 R –, Rn. 19, beide juris). Es fehlt an dem für einen Verwaltungsakt notwendigen Regelungselement hinsichtlich des Bestehens von Versicherungspflicht (so auch im Berufungsurteil zum vergleichbaren Sachverhalt im Klageverfahren S 19 KR 387/18 des SG Cottbus: LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. September 2023 – L 9 KR 257/22 –, Rn. 32, beck-online). Die Beklagte zu 1 hat lediglich eine Bescheinigung ausgestellt, aber keine Regelung dazu getroffen, ob die Voraussetzungen für eine Familienversicherung vorliegen. Gegeneinen Regelungswillen der Beklagten spricht insbesondere, dass Gegenstand der Bescheinigung ein in der Zukunft liegender Sachverhalt war (Familienversicherung ab dem 1. August 2017), dessen tatsächlicher Eintritt zum Zeitpunkt des Ausstellens noch ungewiss war und von der Beklagten daher nicht abschließend geprüft werden konnte (vgl. BSG, Urteil vom 27. Juni 2012 – B 12 KR 11/10 R –, Rn. 19, juris). Der einzig erkennbare Zweck der Ausstellung der Bescheinigung war es demnach, dem Kläger die rechtzeitige Kündigung seiner privaten Krankenversicherung zu ermöglichen. Es handelte sich daher, genau wie bei der Übersendung der Versichertenkarte, um eine reine Vorbereitungshandlung für die tatsächliche Durchführung des Versicherungsverhältnisses im Falle von dessen Eintreten zum vom Kläger mitgeteilten Datum. Auch die äußere Form des Schreibens bzw. der Bescheinigung deutet nicht auf einen Regelungswillen der Beklagten zu 1 hin. Denn ihnen fehlt sowohl ein Bescheidkopf als auch eine Rechtsmittelbelehrung (so auch in vergleichbaren Fällen LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22. März 2023 – L 6 KR 63/19 –, Rn. 39, und LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Dezember 2022 – L 1 KR 356/20 –, Rn. 32, beide juris).
Die mit der „Stornierung“ der Familienversicherung zum Ausdruck gebrachte Feststellung, dass eine Familienversicherung im Zeitraum vom 1. bis 3. August 2017 tatsächlich nicht bestanden hat, ist zutreffend. Die Voraussetzungen für die Familienversicherung lagen zu keiner Zeit vor, da der Kläger zur Überzeugung des Senats im Jahr 2017 ununterbrochen hauptberuflich selbstständig erwerbstätig im Sinne von § 10 Abs. 1 Nr. 4 SGB V war.
- Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 SGB V sind unter bestimmten Voraussetzungen der Ehegatte, der Lebenspartner und die Kinder von Mitgliedern sowie die Kinder von familienversicherten Kindern über das Mitglied familienversichert. Gemäß § 10 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB V scheidet eine Familienversicherung aber aus für Familienangehörige, die hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sind (ebenso in der Pflegeversicherung, § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 SGB XI). Wann eine selbstständige Tätigkeit i.S.d. § 5 Abs. 5 SGB V „hauptberuflich“ ausgeübt wird, ist weder gesetzlich ausdrücklich bestimmt noch nach dem Wortsinn eindeutig. Jedoch hat das BSG in ständiger Rechtsprechung unter Bezugnahme auf die Gesetzesmaterialien Hauptberuflichkeit dann angenommen, wenn die selbstständige Tätigkeit von der wirtschaftlichen Bedeutung und dem zeitlichen Aufwand her die übrigen Erwerbstätigkeiten zusammen deutlich übersteigt und – ohne dass diesem Merkmal eine eigenständige Bedeutung zukäme – den Mittelpunkt der Erwerbstätigkeit darstellt (BSG, Urteil vom 23. Juli 2014 – B 12 KR 16/12 R –, Rn. 15, juris, m.w.N.). Da der Kläger neben seiner selbstständigen Tätigkeit als Elektromeister keine anderen Erwerbstätigkeiten ausgeübt hat und zudem gegenüber den Beklagten selbst angegeben hat, dass er seine Tätigkeit als Elektromeister (ab dem 4. August 2017) mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden ausüben werde, war seine Erwerbstätigkeit als Elektromeister als hauptberuflich einzustufen.
- Der Senat ist davon überzeugt, dass der Kläger seinen Gewerbebetrieb am 1. August 2017 tatsächlich nicht aufgegeben hat, sondern diesen – trotz kurzzeitiger Abmeldung – als hauptberuflich selbstständiger Elektromeister ununterbrochen weitergeführt hat. Die gegenüber dem Gewerbeamt am 15. Juni 2017 erklärte Absicht der Aufgabe des Gewerbes zum 31. Juli 2017 hat zur Überzeugung des Senats nicht bestanden.
Der Gewerbeabmeldung vom (bereits) 15. Juni 2017 zum (erst) 31. Juli 2017 kommt ebenso wenig wie der am 1. August 2017 erfolgten (Wieder-) Anmeldung des Gewerbes zum 4. August 2017 mit dem identischen Gegenstand und derselben Anschrift wie zuvor eine entscheidende Bedeutung für die Frage der Ausübung eines Gewerbes zu. Die Meldungen gegenüber dem Gewerbeamt dokumentieren nicht mehr als bloße Erklärungen über Absichten einer Gewerbeausübung und können eine tatsächliche Aufgabe des Gewerbes alleine nicht beweisen. Die Gewerbeanmeldung oder Gewerbeabmeldung begründet lediglich den Beweis dafür, wann und durch wen gegenüber dem Gewerbeamt eine beurkundete Erklärung abgegeben wurde (LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Dezember 2024 – L 28 KR 375/23 WA –, Rn. 27, LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22. März 2023 – L 6 KR 63/19 –, Rn. 41, alle juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. September 2023 – L 9 KR 257/22 –, Rn. 35, beck-online). Auch der Bescheid der Handwerkskammer Frankfurt (Oder) vom 24. Juli 2017 über die Löschung der Eintragung aus der Handwerksrolle bzw. aus dem Gewerbeverzeichnis erbringt keinen Beweis dafür, dass der Betrieb auch tatsächlich eingestellt wurde.
Einen Grund dafür, warum der Betrieb nicht zu Dienstag, den 1. August 2017, wieder angemeldet wurde, sondern erst zu Freitag, den 4. August 2017, hat der Kläger nicht angegeben und ein anderer Grund als zur Vorspiegelung einer dreitägigen Unterbrechung der selbstständigen Tätigkeit ist auch nicht erkennbar. Zu den zwischenzeitlich erwähnten „gesundheitlichen Problemen“ liegen keinerlei weitere Angaben oder Unterlagen vor. Die erwähnte Bewerbung bei der C-GmbH betraf eine Einstellung zum 1. Juli 2017, also einen Zeitpunkt, der am 1. August 2017 bereits einen Monat zurücklag. Ob und ggf. wie der Kläger den Fragebogen der BG ETEM vom 28. Juli 2017, von dem nur die Seite 1 (von 2 Seiten) vorliegt, beantwortet hat, ist nicht bekannt; aus dem eingereichten unausgefüllten Fragebogen kann jedenfalls nicht auf eine tatsächlich eingestellte Betriebstätigkeit für drei Tage geschlossen werden. Die Steuerberaterin des Klägers hat unter dem 19. März 2021 lediglich den bekannten Umstand bestätigt, dass der Kläger „im Juni 2017“ die Absicht hatte, in ein Angestelltenverhältnis zu gehen und „daher“ das Einzelunternehmen zum 31. Juli 2017 abgemeldet hat. Hieraus erklärt sich aber nicht, warum der Kläger am 1. August 2017 seinen Betrieb für drei Tage eingestellt haben sollte, obwohl er zu diesem Zeitpunkt längst wusste (spätestens seit dem 1. Juli 2017), dass kein Anstellungsverhältnis begründet worden war.
Die einzig schlüssige und nachvollziehbare Erklärung für das Verhalten des Klägers liegt zur Überzeugung des Senats darin, dass der Kläger mit Blick auf das nahende Rentenalter einen Wechsel in die GKV vollziehen wollte, was aber nur über eine kurzfristige Familienversicherung möglich war, da er im Jahr 2017 das 55. Lebensjahr bereits vollendet hatte, so dass er selbst bei Aufnahme einer an sich versicherungspflichtigen Beschäftigung versicherungsfrei geblieben wäre (§ 6 Abs. 3a SGB V). Insofern wertet der Senat die behauptete Absicht, das Gewerbe aufgeben zu wollen, als bloße verfahrensangepasste Schutzbehauptung (so auch in Parallelverfahren LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Dezember 2024 – L 28 KR 375/23 WA –, Rn. 28, und LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22. März 2023 – L 6 KR 63/19 –, Rn. 43, beide juris).
- Da der Kläger somit nie über die Familienversicherung Mitglied der GKV geworden ist, konnte auch eine Anschlussversicherung in der GKV nicht eintreten. Die Beklagte zu 1 hat daher ihren Bescheid vom 3. August 2017 über die freiwillige Versicherung (der eine statusbegründende Regelung getroffen hat und daher einen Verwaltungsakt i.S.d. § 31 SGB X darstellt) zu Recht aufgehoben. Die Entscheidung ist auch ohne Ermessensausübung rechtmäßig.
- Rechtsgrundlage für die rückwirkende Aufhebung des Bescheides der Beklagten zu 1, soweit sie die Entscheidung über die freiwillige Versicherung zurückgenommen hat, ist § 45 Abs. 1, 4 SGB X. Gemäß § 45 Abs. 1 SGB X darf ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), soweit er rechtswidrig ist, auch nachdem er unanfechtbar geworden ist, nur unter den Einschränkungen der Absätze 2 bis 4 ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder die Vergangenheit zurückgenommen werden. Nach § 45 Abs. 2 Satz 1 SGB X darf ein rechtswidriger begünstigender Verwaltungsakt nicht zurückgenommen werden, soweit der Begünstigte auf den Bestand des Verwaltungsaktes vertraut hat und sein Vertrauen unter Abwägung mit dem öffentlichen Interesse an einer Rücknahme schutzwürdig ist. Das Vertrauen ist in der Regel schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann, § 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X. Nach § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X kann sich der Begünstigte nicht auf Vertrauen berufen, soweit 1. er den Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung oder Bestechung erwirkt hat, 2. der Verwaltungsakt auf Angaben beruht, die der Begünstigte vorsätzlich oder grob fahrlässig in wesentlicher Beziehung unrichtig oder unvollständig gemacht hat oder 3. er die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes kannte oder infolge grober Fahrlässigkeit nicht kannte; grobe Fahrlässigkeit liegt vor, wenn der Begünstigte die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat. Gemäß § 45 Abs. 4 Satz 1 SGB X wird der Verwaltungsakt nur in den Fällen von Absatz 2 Satz 3 und Absatz 3 Satz 2 mit Wirkung für die Vergangenheit zurückgenommen.
- Mit der Entscheidung über die Aufnahme des Klägers in die freiwillige Versicherung zum 4. August 2017 hat die Beklagte zu 1 einen den Kläger begünstigenden Verwaltungsakt erlassen (Bescheid vom 3. August 2017), der von Anfang an rechtswidrig war, da am 4. August 2017 die Voraussetzungen für eine freiwillige Versicherung nach § 9 SGB V nicht vorlagen. Einer freiwilligen Versicherung konnte der Kläger insbesondere nicht im Anschluss an eine Familienversicherung beitreten (vgl. § 9 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 SGB V), da eine solche – mangels Entstehens (siehe oben) – nicht erloschen war. Die freiwillige Versicherung bestand auch nicht gemäß § 188 Abs. 4 Satz 1 SGB V, wonach sich für Personen, deren Versicherungspflicht oder Familienversicherung endet, die Versicherung mit dem Tag nach dem Ausscheiden aus der Versicherungspflicht oder mit dem Tag nach dem Ende der Familienversicherung als freiwillige Mitgliedschaft fortsetzt, es sei denn, das Mitglied erklärt innerhalb von zwei Wochen nach Hinweis der Krankenkasse über die Austrittsmöglichkeiten seinen Austritt, weil diese das Ende einer bestehenden Familienversicherung vorausgesetzt hätte.
- Der Kläger konnte sich im Hinblick auf den Fortbestand des ihn begünstigenden Verwaltungsakts über die freiwillige Versicherung vom 3. August 2017 gemäß § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X auch nicht auf Vertrauensschutz berufen. Denn er hat den genannten Bescheid durch arglistige Täuschung erwirkt sowie vorsätzlich unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht, auf denen der Verwaltungsakt beruht, und er kannte die Rechtswidrigkeit des Verwaltungsaktes.
Der Kläger hatte bereits vor der Bekanntgabe des Bescheides mit der Wiederanmeldung des Gewerbes am 1. August 2017 (zum 4. August 2017) entschieden und bekundet, dass er seine hauptberufliche Erwerbstätigkeit als Elektromeister ab August 2017 weiter ausüben werde. Damit wusste er im Zeitpunkt der Bekanntgabe des ihn begünstigenden Bescheides vom 3. August 2017 bereits, dass die Beklagte zu 1 von falschen Voraussetzungen, nämlich von einer Aufgabe der hauptberuflichen Erwerbstätigkeit ausgegangen war, und kannte somit die Rechtswidrigkeit des ihn begünstigenden Verwaltungsaktes. Darüber hinaus ist der Senat aus den oben genannten Gründen davon überzeugt, dass der Kläger nicht nur im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 3 SGB X Kenntnis bzw. grob fahrlässige Unkenntnis von den fehlenden Voraussetzungen einer freiwilligen Versicherung hatte, sondern mit der Wiederanmeldung des Gewerbes erst zum 4. August 2017 statt zum 1. August 2017 bewusst eine nach außen dokumentierte zeitliche Lücke seiner hauptberuflichen Erwerbstätigkeit herbeiführen wollte. Nach dem Sachverhalt ist davon auszugehen, dass mit der zeitlichen Lücke zwischen Gewerbeabmeldung und –anmeldung eine Betriebsaufgabe nur zum Schein erfolgen sollte und dass der Kläger insoweit gegenüber der Beklagten zu 1 bewusst falsche Angaben im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 2 SGB X zu der Betriebsaufgabe gemacht hat (ebenso in Parallelfällen LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Dezember 2024 – L 28 KR 375/23 WA –, Rn. 29, und LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Dezember 2022 –L 1 KR 356/20 –, Rn. 34, beide juris). Vor dem geschilderten Hintergrund ist der Schluss zwingend, dass der Kläger, beraten und instruiert durch einen Versicherungsmakler, durch seine Erklärungen gegenüber dem Gewerbeamt ganz bewusst eine „Papierlage“ hat herstellen wollen, die der Beklagten zu 1 einen unrichtigen Sachverhalt suggerieren würde. Er hat dabei darauf spekuliert, die Beklagte zu 1 werde diesen scheinbar durch öffentliche Urkunden belegten Sachverhalt ihrer versicherungsrechtlichen Beurteilung zugrunde legen und ihm dadurch einen Zugang zur GKV ermöglichen, der ihm in gesetzeskonformer Weise nicht mehr offenstand (ebenso im schon erwähnten Parallelfall LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22. März 2023 – L 6 KR 63/19 –, Rn. 44, juris). Anders lässt sich die zeitliche Abfolge der Ab- und Wiederanmeldung zur Überzeugung des Senats nicht plausibel erklären. Damit beruhte der Verwaltungsakt über die freiwillige Versicherung auf vorsätzlich unrichtigen Angaben des Klägers, nämlich über die behauptete Einstellung des Gewerbes zum 1. August 2017 und die angebliche Neuaufnahme zum 4. August 2017. Insoweit ist der Verwaltungsakt über die freiwillige Versicherung auch durch arglistige Täuschung im Sinne des § 45 Abs. 2 Satz 3 Nr. 1 SGB X herbeigeführt worden, indem der Kläger der Beklagten anhand der Gewerbeabmeldung bewusst vorspiegelte, ab dem 1. August 2017 nicht mehr hauptberuflich selbstständig erwerbstätig sein zu wollen (ebenso LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Dezember 2024 – L 28 KR 375/23 WA –, Rn. 29, juris).
Die Einschaltung des Versicherungsmaklers kann den Kläger nicht entlasten. Denn er muss sich das Verhalten seiner Bevollmächtigten analog § 278 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) zurechnen lassen (vgl. LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Dezember 2022 – L 1 KR 356/20 –, Rn. 34, juris).
- Die Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsaktes scheitert auch nicht an einer fehlenden Ermessenausübung der Beklagten. Offen bleiben kann, ob die Beklagten dem Erfordernis einer Ermessensausübung bereits dadurch genügt haben, dass sie ausweislich der Begründung des Widerspruchsbescheides zu dem maßgeblichen Umstand ausgeführt haben, dass der Kläger kein schutzwürdiges Vertrauen genieße, da er nicht transparent mit der Gesamtsituation umgegangen sei. Denn aufgrund des vorliegenden Tatbestandes einer arglistigen Täuschung war das Ermessen bezüglich der Rücknahmeentscheidung auf Null reduziert. Zwar tritt nicht in jedem Fall des § 45 Abs. 2 Satz 3 SGB X automatisch eine Ermessensreduzierung auf Null ein. Etwas anderes gilt allerdings, wenn wie hier der begünstigende Verwaltungsakt durch arglistige Täuschung herbeigeführt wurde. In diesem Fall wiegt die gezielte Herbeiführung eines rechtswidrigen Verwaltungshandels so schwer, dass die Berücksichtigung anderer Gesichtspunkte ein Absehen von einer Rücknahme nicht zu begründen vermag (ebenso in den schon erwähnten Parallelfällen LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 9. Dezember 2024 – L 28 KR 375/23 WA –, Rn. 30; LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22. März 2023 – L 6 KR 63/19 –, Rn. 49; LSG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 28. Dezember 2022 – L 1 KR 356/20 –, Rn. 36 f.; alle juris; LSG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 4. September 2023 – L 9 KR 257/22 –, Rn. 47, beck-online)Auch für die Berücksichtigung eines Mitverschuldens der Beklagten (in Form der unzureichenden Prüfung der vom Kläger gemachten Angaben) ist bei dieser Konstellation kein Raum; gerade auf einen solchen Verlauf der Dinge hatte es der Kläger vorliegend abgesehen. Es kann ihn aber in keiner Weise entlasten, dass seine Täuschung planmäßig von Erfolg gekrönt war (ebenso im schon genannten Parallelfall LSG Mecklenburg-Vorpommern, Urteil vom 22. März 2023 – L 6 KR 63/19 –, Rn. 49, juris). Aus diesem Grund kam es nicht darauf an, dass der Kläger in seinem am 29. Juli 2017 gestellten Mitgliedsantrag für die freiwillige Versicherung angegeben hat, dass die (damals noch in der Zukunft liegende) Familienversicherung nur vom 1. bis 3. August 2017 bestehen werde. Denn ihm muss bewusst gewesen sein, dass seine gegenüber der Beklagten zu 1 vormals getätigten Angaben zur Geschäftsaufgabe ab dem 1. August 2017 unrichtig waren. Zum Zeitpunkt der Bekanntgabe des Bescheides über die freiwillige Versicherung wusste der Kläger, dass eine freiwillige Versicherung bei einer Gewerbeanmeldung zum 1. August 2017 nicht mehr in Betracht gekommen wäre und eine solche nur über eine zeitlich verzögerte Wiederanmeldung mit einer zum Schein erfolgten Aufgabe des Betriebes ermöglicht werden konnte. Auch insoweit muss der Kläger sich jedenfalls das Verhalten des eingeschalteten Versicherungsmaklers zurechnen lassen.
- Auch wenn der Kläger tatsächlich, wie von ihm vorgetragen, seine private Krankenversicherung gekündigt haben sollte und nun eine neue Krankenversicherung nur zu schlechteren Konditionen begründen könnte, wäre dies nicht zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Das Vertrauen in einen Verwaltungsakt ist nur dann schutzwürdig, wenn der Begünstigte erbrachte Leistungen verbraucht oder eine Vermögensdisposition getroffen hat, die er nicht mehr oder nur unter unzumutbaren Nachteilen rückgängig machen kann (§ 45 Abs. 2 Satz 2 SGB X). Der Abschluss eines neuen Vertrages zu schlechteren Konditionen, nachdem ein früherer Vertrag aufgrund eigener Entscheidung gekündigt wurde (hier in der Erwartung, einen Zugang zur GKV zu erhalten), ist kein Nachteil, der als unzumutbar im Sinne dieser Vorschrift anzusehen wäre, sondern Folge des Vorgehens des Klägers zur (gesetzeswidrigen) Erlangung eines Zugangs zur GKV.
- Ein schutzwürdiges Vertrauen lässt sich schließlich auch nicht damit begründen, dass die Beklagte am 4. September 2017 und 15. Januar 2018 weitere Beitragsbescheide erlassen hat, die bestandskräftig geworden sind. Denn auch insoweit gilt, dass der Kläger sich nicht auf ein Vertrauen in den Bestand eines Bescheides berufen kann, der letztlich auf einer arglistigen Täuschung durch ihn beruht.
- Die Rücknahme des begünstigenden Verwaltungsaktes zur freiwilligen Versicherung vom 3. August 2017 erfolgte auch innerhalb eines Jahres nach seinem Erlass und damit rechtzeitig i.S.d. § 45 Abs. 4 Satz 2 SGB X.
- Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.
Gründe für eine Zulassung der Revision gemäß § 160 Abs. 2 Nrn. 1 oder 2 SGG liegen nicht vor.