L 14 AL 93/22

Land
Berlin-Brandenburg
Sozialgericht
LSG Berlin-Brandenburg
Sachgebiet
Arbeitslosenversicherung
Abteilung
14
1. Instanz
SG Potsdam (BRB)
Aktenzeichen
S 6 AL 64/19
Datum
2. Instanz
LSG Berlin-Brandenburg
Aktenzeichen
L 14 AL 93/22
Datum
3. Instanz
-
Aktenzeichen
B 11 AL 3/25 R
Datum
-
Kategorie
Urteil
Leitsätze

Die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG verstößt weder gegen Art. 3 Abs. 1 GG noch gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG (Anschluss an Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26.09.2024 – L 9 AL 5/23 –).

Die Berufung des Klägers gegen den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 7. Juni 2022 wird zurückgewiesen.

 

Außergerichtliche Kosten haben die Beteiligten einander auch für das Berufungsverfahren nicht zu erstatten.

 

Die Revision wird zugelassen.

 

Tatbestand

 

Die Beteiligten streiten über die Höhe des Arbeitslosengeldes im Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis 30. Juni 2019 und hierbei insbesondere über die Frage, ob das Bemessungsentgelt auf das fiktive Bemessungsentgelt ohne Altersteilzeit zu erhöhen ist.

 

Der am  1955 geborene kinderlose Kläger (und Berufungskläger), der ausweislich des vorliegenden Versicherungsverlaufs im Dezember 2018 die Wartezeit von 35 Jahren mit rentenrechtlichen Zeiten erfüllt hatte, stand vom 16. November 1992 bis zum 31. Dezember 2018 in einem versicherungspflichtigen Vollzeit-Beschäftigungsverhältnis bei der H AG (nachfolgend: H-AG). Im Zeitraum vom 1. März 2015 bis 31. Dezember 2018 war er aufgrund einer Altersteilzeitvereinbarung mit der H-AG vom 10./12. Dezember 2014 / 5. Februar 2015 („Altersbrücke ‚plus‘“) vollständig und unwiderruflich von der Arbeitsleistung freigestellt. Die der Altersteilzeitvereinbarung zugrunde liegende „11. Zusatzvereinbarung zur GBV 1/1998 ‚Altersteilzeit‘“ enthielt u.a. folgende Bestimmungen:

  • Unter den Voraussetzungen von […] ist eine Altersteilzeit nach dem Modell Altersbrücke „plus“ möglich, wenn […] die Altersteilzeit zum frühestmöglichen Zeitpunkt endet, in dem der Arbeitnehmer den Anspruch auf Bezug einer geminderten Altersrente hätte (§ 236 Absatz 1 Satz 2 Sozialgesetzbuch Sechstes Buch [SGB VI] und die Fälle des § 236a und § 236b SGB VI), und […].
  • Die Arbeitszeit in der Altersteilzeit wird auf die Hälfte der bisherigen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit abgesenkt.
  • Das Entgelt in der Altersteilzeit wird durch das Unternehmen auf 85 % seiner Nettobezüge am Stichtag 31.12.2014 aufgestockt. Ein gesonderter Anspruch auf tarifliche Sonderzahlungen oder auf Tantieme besteht während der Laufzeit der Altersteilzeit nicht.
  • Endet die Altersteilzeit […] aufgrund § 236a SGB VI, erhält der Arbeitnehmer zusätzlich […] als Abfindung […].
  • Liegt das vereinbarte Ende der Altersteilzeit lediglich wenige Monate vor dem möglichen Bezug einer ungekürzten Rente gemäß § 236b SGB VI, bietet das Unternehmen dem betroffenen Arbeitnehmer an, das Arbeitsverhältnis nach der Beendigung der Altersteilzeit für die o.g. Anzahl Monate in ein befristetes geringfügiges Beschäftigungsverhältnis (<15h pro Woche), umzuwandeln, längstens jedoch bis zum Bezug einer ungeminderten Altersrente. Die pauschale Bruttomonatsvergütung (inkl. Sonderzahlung, Urlaubsgeld, Urlaubsabgeltung etc.) beträgt 200 €. […]

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten der vom Kläger mit der H-AG getroffenen Vereinbarungen wird auf die von der Berichterstatterin beigezogenen Unterlagen (Bl. 224-269 der Gerichtsakte) Bezug genommen.

 

Während der Laufzeit der Altersteilzeit wurde dem Kläger am 15. Mai 2017 ein Grad der Behinderung (GdB) von 80 zuerkannt.

Im Zeitraum vom 1. Januar 2018 bis 31. Dezember 2018 erhielt der Kläger von der H-AG ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 19.152,51 Euro ausgezahlt. Dieses Entgelt setzte sich gemäß der maßgeblichen Betriebsvereinbarung zusammen aus dem der reduzierten Arbeitszeit entsprechenden Entgelt und einem zusätzlichen Aufstockungsbetrag auf 85 Prozent des Nettos des fiktiven steuerpflichtigen Bruttomonatsentgelts seines bisherigen Beschäftigungsgrads ohne Berücksichtigung des Progressionsvorbehalts. Die Rentenversicherungsbeiträge wurden gemäß der maßgeblichen Betriebsvereinbarung von der H-AG auf 100 Prozent aufgestockt.

 

Am 9. Oktober 2018 meldete sich der Kläger bei der Beklagten (und Berufungsbeklagten) persönlich mit Wirkung zum 1. Januar 2019 arbeitslos; am 16. Oktober 2018 stellte er einen Antrag auf Arbeitslosengeld.

 

Von Januar 2019 bis Juni 2019 stand der Kläger in einem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis mit der H-AG mit einer wöchentlichen Arbeitszeit von unter 15 Stunden. Während dieser Zeit war er von der H-AG widerruflich von der Arbeitsleistung freigestellt und erhielt er ein monatliches Entgelt in Höhe von 200 Euro brutto (192,80 Euro netto).

 

Nach der Gewährung eines Vorschusses auf das Arbeitslosengeld mit Bescheid vom 30. November 2018 bewilligte die Beklagte dem Kläger mit Bewilligungsbescheid vom 2. Januar 2019 abschließend Arbeitslosengeld für die Zeit ab dem 1. Januar 2019 in Höhe von 26,46 Euro täglich. Die Leistung werde ab diesem Zeitpunkt nach einem Arbeitsentgelt (= Bemessungsentgelt) von 55,12 Euro täglich berechnet. Den auf Gewährung höheren Arbeitslosengeldes gerichteten Widerspruch des Klägers wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom 13. März 2019 als unbegründet zurück. Zur Begründung führte sie u.a. aus: § 149 des Dritten Buches Sozialgesetzbuch (SGB III) bestimme, dass das Arbeitslosengeld 60 Prozent des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt) betrage (allgemeiner Leistungssatz).Leistungsentgelt sei gemäß § 153 Abs. 1 SGB III das um pauschalierte Abzüge (§ 153 Abs. 2 Satz 1 SGB III) verminderte Bemessungsentgelt. Der Bemessungszeitraum umfasse gemäß § 150 SGB III die beim Ausscheiden des Arbeitslosen aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen. Der Bemessungsrahmen umfasse ein Jahr; er ende mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs. Der Bemessungsrahmen umfasse somit die Zeit vom 1. Januar 2018 bis 31. Dezember 2018. Bei der Ermittlung des Bemessungszeitraumes blieben Zeiten außer Betracht, in denen die durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf Grund einer Teilzeitvereinbarung nicht nur vorübergehend auf weniger als 80 Prozent der durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit einer vergleichbaren Vollzeitbeschäftigung, mindestens um fünf Stunden wöchentlich, vermindert gewesen sei, wenn die oder der Arbeitslose Beschäftigungen mit einer höheren Arbeitszeit innerhalb der letzten dreieinhalb Jahre vor der Entstehung des Anspruchs während eines sechs Monate umfassenden zusammenhängenden Zeitraums ausgeübt habe (§ 150 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB III). Dies gelte gemäß § 150 Abs. 2 Satz 2 SGB III nicht in Fällen einer Teilzeitvereinbarung nach dem Altersteilzeitgesetz (AltTZG), es sei denn, das Beschäftigungsverhältnis sei wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers beendet worden. Sei im Bemessungszeitraum Altersteilzeitarbeit mit Aufstockungsleistungen enthalten (§ 3 Abs. 1 Nr. 1 AltTZG), erhöhe sich das Bemessungsentgelt auf das fiktive Bemessungsentgelt ohne Altersteilzeitarbeit (§ 10 Abs. 1 AltTZG), wenn das günstiger sei. Die Vergünstigung entfalle, sobald der Arbeitslose eine Rente wegen Alters beziehen könnte. Im vorliegenden Fall sei im gesamten Bemessungszeitraum Altersteilzeitarbeit mit Aufstockungsleistungen enthalten. Das Bemessungsentgelt sei jedoch nicht auf das fiktive Bemessungsentgelt ohne Altersteilzeitarbeit zu erhöhen, da der Kläger bereits seit dem 1. Januar 2019 eine Rente wegen Altersbeziehen könnte. Unerheblich sei dabei, dass es sich um eine verminderte Rente handele. Der Kläger habe sich mit dem Abschluss des Altersteilzeitvertrages wohlwissend dazu entschlossen, nach dem Ende der Altersteilzeit in Rente zu gehen, auch wenn es sich dabei um eine geminderte Rente handele. Der Wunsch des Klägers, nunmehr eine ungeminderte Rente in Anspruch nehmen zu wollen, müsse hier unberücksichtigt bleiben. Bemessungsentgelt sei gemäß § 151 Abs. 1 SGB III das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt habe. Der Bemessungszeitraum umfasse die Entgeltabrechnungszeiträume vom 1. Januar 2018 bis 31. Dezember 2018. Im Bemessungszeitraum sei in 365 Tagen ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt von insgesamt 20.117,12 Euro erzielt worden. Hieraus ergebe sich ein durchschnittliches tägliches Entgelt (Bemessungsentgelt) von 55,12 Euro. Maßgeblich sei die Lohnsteuerklasse 3. Damit ergebe sich unter Berücksichtigung der gesetzlichen Abzüge ein Leistungsentgelt in Höhe von 44,10 Euro. Ein Kind sei nicht zu berücksichtigen. Der Kläger habe damit Anspruch auf Arbeitslosengeld nach dem allgemeinen Leistungssatz von 60 Prozent des Leistungsentgelts. Das Arbeitslosengeld betrage täglich 26,46 Euro.

 

Mit seiner hiergegen am 15. April 2019 erhobenen Klage hat der Kläger – wie schon im Widerspruchsverfahren – die Auffassung vertreten, § 10 Abs. 1 Satz 1 AltTZG sei anzuwenden mit der Folge, dass ein erhöhtes Arbeitsentgelt der Leistungsberechnung zugrunde zu legen sei. Eine abschlagsfreie Rente sei erst ab dem 1. Juli 2019 möglich gewesen. Es wäre schlicht unbillig, § 10 Abs. 1 Satz 1 AltTZG nicht anzuwenden, weil er unmittelbar vor der Möglichkeit gestanden habe, eine abschlagsfreie Altersrente in Anspruch zu nehmen. § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG sei verfassungskonform dahingehend auszulegen, dass diese Regel nur dann Anwendung finde, wenn nicht eine abschlagsfreie Rente unmittelbar oder in naher Zukunft möglich sei. Der Gedanke des § 3 der Unbilligkeitsverordnung müsse Berücksichtigung finden.

 

Während des Klageverfahrens wurde dem Kläger eine abschlagsfreie Altersrente für besonders langjährig Versicherte gemäß § 236b SGB VI ab dem 1. Juli 2019 bewilligt (Rentenbescheid vom 25. Juni 2019). Mit Aufhebungsbescheid vom 5. Juli 2019 hob die Beklagte ihre Entscheidung über die Bewilligung von Arbeitslosengeld wegen des Rentenbezugs für die Zeit ab dem 1. Juli 2019 auf.

 

Mit Gerichtsbescheid vom 7. Juni 2022 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung ausgeführt: Entgegen der klägerischen Auffassung sei die Regelung des § 10 Abs. 1 AltTZG in allen Fällen der „Rente wegen Alters“ anzuwenden, also auch in seinem Fall. Ebenso wie die Beklagte folge auch die Kammer der Entscheidung des Bundessozialgerichts (BSG) vom 15. Dezember 2005 zum Aktenzeichen B 7a AL 30/05 R, in der u.a. auch auf die Gesetzesbegründung (BT-Drucksache 13/4877, S. 29f zu § 10 Abs. 1) Bezug genommen werde.

 

Gegen diesen seinem Prozessbevollmächtigten am 21. Juni 2022 übermittelten Gerichtsbescheid hat der Kläger am 21. Juli 2022 Berufung eingelegt. Er wiederholt seinen Vortrag aus dem erstinstanzlichen Verfahren und rügt, dass eine Auseinandersetzung mit den von ihm geäußerten Billigkeitsgesichtspunkten und verfassungsrechtlichen Bedenken in der angefochtenen Entscheidung nicht erfolgt sei. Ergänzend trägt er vor, er habe bereits bei Abschluss des Altersteilzeitvertrages beabsichtigt gehabt, aufgrund erwarteter Rentenabzüge nach Ende der Altersteilzeit ein halbes Jahr lang noch Arbeitslosengeld zu beziehen. Grund für den Abschluss des Altersteilzeitvertrages sei auch gewesen, dass dadurch innerbetrieblich sichergestellt worden sei, dass jüngere Kollegen im Betrieb hätten verbleiben können. Ihm sei es wichtig gewesen, hierzu einen Beitrag zu leisten. Die Möglichkeit, den Altersteilzeitvertrag ein halbes Jahr später abzuschließen, habe nicht bestanden. Richtig sei zwar, dass der Gesetzesbegründung zu § 10 AltTZG entnommen werden könne, dass diese Regelung auch für mit Abschlägen versehene Altersrenten gelte. Bislang nicht geklärt sei jedoch, ob dies auch für die Altersrente für schwerbehinderte Menschen gemäß § 236a SGB VI gelte. Schwerbehinderten Menschen falle es aufgrund der Erheblichkeit ihrer körperlichen und/oder psychischen Einschränkungen deutlich schwerer, durch längeres Arbeiten eine Phase der Arbeitslosigkeit zwischen Altersteilzeit und Rentenbeginn zu vermeiden. Dies führe dazu, dass derjenige, der aus gesundheitlichen Gründen früher aus dem Erwerbsleben ausscheiden müsse, am Ende weniger Arbeitslosengeld erhalte, obwohl er besonders schutzwürdig sei. Für die Frage eines Gleichheitsverstoßes nach Art. 3 Abs. 3 Satz 2 Grundgesetz (GG) ergebe sich daraus Folgendes: Ziehe man die Rente aus § 236a SGB VI im Rahmen von § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG heran, erweitere man aufgrund des frühen Beginns dieser Rente den Anwendungsbereich von § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG für schwerbehinderte Menschen in zeitlicher Hinsicht – und zwar dahingehend, dass für sie die strenge Berechnungsregel aus § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG früher einsetze als bei nichtschwerbehinderten Menschen. Schwerbehinderte Menschen würden dadurch wegen ihrer Schwerbehinderung schlechter gestellt. Darin liege eine von Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG untersagte Benachteiligung. Zusätzlich bestünden gegen eine Einbeziehung der Altersrente nach § 236a SGB VI auch europarechtliche Bedenken. Die Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (nachfolgend: Richtlinie 2000/78/EG) verbiete in ihren Art. 1 und 2 u.a. eine Diskriminierung. Diese Vorgaben müssten durch die nationalen Gerichte bei der Auslegung und Anwendung nationalen Rechts unmittelbar berücksichtigt werden. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) habe in seiner Entscheidung zum Aktenzeichen C-152/11 („Odar“) deutlich gemacht, dass eine finanzielle Belastungssteuerung im Vorfeld einer Rente nicht zulasten behinderter Menschen erfolgen dürfe, wenn deren Benachteiligung auf ihrer Behinderung beruhe. Dass er, der Kläger, im Zeitpunkt des Eintritts der Altersteilzeit noch nicht schwerbehindert gewesen sei, stehe den Ausführungen zu Art. 3 GG nicht entgegen. Er, der Kläger, könne schließlich auch nicht auf eine Altersrente für langjährig Versicherte verwiesen werden. Zum Ersten würde dies die besondere Schutzwürdigkeit von schwerbehinderten Menschen außer Acht lassen. Zum Zweiten sei zu beachten, dass er bereits im siebten Monat nach der Altersteilzeit eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte in Anspruch habe nehmen können. Bis dahin habe ihm nur noch das nach § 236b Abs. 2 SGB VI erforderliche Alter gefehlt. Die Altersrente für besonders langjährig Versicherte habe es noch nicht gegeben, als der Gesetzgeber § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG eingeführt habe. Da dieser privilegierte Rentenzugang jedoch nunmehr vorhanden sei, müsse im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsordnung eine Harmonisierung zwischen den Vorschriften gefunden werden. Eine solche Harmonisierung gebiete jedenfalls in den Fällen, wo die Wartezeit von 45 Jahren erfüllt sei und das erforderliche Rentenalter nicht allzu weit entfernt liege, die Rente für langjährig Versicherte im Rahmen des § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG außer Acht zu lassen. Anderenfalls würde die ihm, dem Kläger, vom Gesetzgeber für seine langjährige Tätigkeit zuerkannte Privilegierung wieder entwertet, weil er entweder ein geringeres Arbeitslosengeld erhalte oder dazu angehalten werde, trotz erfüllter versicherungsrechtlicher Voraussetzungen auf die Privilegierung einer Rente für besonders langjährig Versicherte zu verzichten.

 

Der Kläger beantragt,

 

den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Potsdam vom 7. Juni 2022 aufzuheben und die Beklagte unter Abänderung des Bescheides vom 2. Januar 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2019 zu verurteilen, ihm für die Zeit vom 1. Januar 2019 bis 30. Juni 2019 höheres Arbeitslosengeld zu bewilligen.

 

Die Beklagte beantragt,

 

die Berufung zurückzuweisen.

 

Sie verweist zur Begründung auf die Ausführungen in der erstinstanzlichen Entscheidung und vertritt die Ansicht, die Urteile des Bundessozialgerichts vom 22. September 2022 – B 11 AL 31/21 R – sowie des Landessozialgerichts Sachsen-Anhalt vom 6. Mai 2024 – L 2 AL 25/20 – bestätigten ihre Auffassung, dass § 10 Abs. 1 Satz 1 AltTZG auch dann keine Anwendung finde, wenn – wie im vorliegenden Fall – eine Altersrente nur unter Inkaufnahme eines Abschlags vorzeitig in Anspruch genommen werden könne. Aus den Auskünften der H-AG gehe hervor, dass Leistungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 AltTZG erbracht worden seien. Trotz der erfolgten (vollständigen) Freistellung von der Arbeitsleistung bereits ab Beginn der Altersteilzeit gehe sie unter Berücksichtigung der Entscheidung des BSG vom 22. September 2022 davon aus, dass es sich vorliegend um eine tatsächliche Altersteilzeitarbeit i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 1 AltTZG gehandelt habe. Der Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung sei jedoch als sperrzeitrelevant zu bewerten, da der Kläger offensichtlich nicht beabsichtigt gehabt habe, nahtlos nach dem Ende der Altersteilzeit in die Rente zu gehen. Die Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG verstoße nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Die unterschiedliche Arbeitslosengeldbemessung sei aus sachlichen Gründen gerechtfertigt, da der Gesetzgeber mit dieser Regelung den Schutz der Arbeitslosenversicherung vor finanziellen Belastungen aus Frühverrentungen bezweckt habe. Eine gemäß Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG verbotene Benachteiligung liege insbesondere bei Maßnahmen vor, die die Situation von Behinderten wegen der Behinderung verschlechterten. Eine solche Schlechterstellung liege hier nicht vor. Die vorliegende Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG knüpfe an einen Rentenanspruch wegen Alters an. Dieser sei für schwerbehinderte Menschen in §§ 37, 236a SGB VI geregelt und setze neben der Schwerbehinderteneigenschaft sowohl Alters- als auch Wartezeitvoraussetzungen – wie bei anderen Renten wegen Alters auch – voraus. Die Privilegierung ende, sobald eine Altersrente beansprucht werden könne, da die günstigere Bemessung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AltTZG nur im Falle einer Störung der Altersteilzeit mit der Folge einer unfreiwilligen Arbeitslosigkeit vorgesehen sei. Sie, die Beklagte gehe davon aus, dass der Kläger bereits vor dem 1. Januar 2019 eine geminderte Altersrente für schwerbehinderte Menschen hätte in Anspruch nehmen können. Dies sei jedoch nicht seine Intention gewesen. Vielmehr habe auch die eigentliche Altersteilzeitvereinbarung eine Überbrückungszeit von sechs Monaten mit geringfügiger Beschäftigungsmöglichkeit vorgesehen, um eine ungekürzte Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab dem 1. Juli 2019 anzutreten. Eine Benachteiligung bzw. Ungleichbehandlung gerade wegen der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers sei hier jedenfalls nicht ersichtlich.

 

Nach Anhörung der Beteiligten hat der Senat die Berufung mit Beschluss vom 14. Februar 2023 der Berichterstatterin übertragen.

 

Die Berichterstatterin hat von der H-AG Auskünfte zum während der Altersteilzeit gezahlten Entgelt eingeholt sowie die der Altersteilzeitvereinbarung zugrunde liegenden Gesamtbetriebsvereinbarungen beigezogen. Hinsichtlich der Einzelheiten der eingeholten Auskünfte und Unterlagen wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

 

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und den Inhalt der Verwaltungsakte der Beklagten Bezug genommen.

 

Entscheidungsgründe

 

Die Entscheidung konnte gemäß § 153 Abs. 5 Sozialgerichtsgesetz (SGG) durch die Berichterstatterin gemeinsam mit den ehrenamtlichen Richtern ergehen, nachdem das Gericht die Berufung auf der Grundlage dieser Vorschrift der Berichterstatterin übertragen hatte.

 

Die statthafte und form- und fristgerecht (§§ 143, 144 Abs. 1 Satz 1, 151 SGG) eingelegte Berufung des Klägers ist statthaft und zulässig, aber nicht begründet. Das Sozialgericht hat seine Klage zu Recht abgewiesen.

 

Streitgegenstand ist neben dem angefochtenen Gerichtsbescheid des Sozialgerichts vom 7. Juni 2022 der Bescheid der Beklagten vom 2. Januar 2019 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 13. März 2019. Der Aufhebungsbescheid vom 5. Juli 2019, der die Bewilligungsentscheidung ab dem (Rentenbeginn am) 1. Juli 2019 aufgehoben hat, ist wegen der Begrenzung des Begehrens in zeitlicher Hinsicht auf die Zeit vom 1. Januar 2019 bis zum 30. Juni 2019 nicht streitbefangen (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 2022 – B 11 AL 31/21 R -, Rn 10, juris). Der Kläger verfolgt seinen Anspruch zulässigerweise im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage § 54 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 i.V.m. Abs. 4 SGG, gerichtet auf Erlass eines Grundurteils § 130 Abs. 1 SGG, denn mit Wahrscheinlichkeit kann von höheren Leistungen ausgegangen werden, wenn dem Klagebegehren gefolgt wird (vgl. BSG, Urteil vom 22. September 2022 – B 11 AL 31/21 R -, Rn 11, juris).

 

Der Kläger erfüllte im streitgegenständlichen Zeitraum zwar grundsätzlich die Voraussetzungen für den Anspruch auf Arbeitslosengeld gemäß §§ 136, 137 Abs. 1 SGB III, denn er hatte das für die Regelaltersrente i.S.d. SGB VI erforderliche Lebensalter noch nicht erreicht (§ 136 Abs. 2 SGB III), war arbeitslos (§ 138 SGB III), hatte sich bei der Agentur für Arbeit arbeitslos gemeldet (§ 141 SGB III) und die Anwartschaftszeit (§ 142 SGB III) erfüllt. Allerdings hatte er durch die Altersteilzeitvereinbarung sein unbefristetes Arbeitsverhältnis in ein befristetes Arbeitsverhältnis umgewandelt und dabei von Anfang an beabsichtigt, nicht nahtlos in den Rentenbezug zu wechseln, obwohl er ab dem 1. Januar 2019 Anspruch auf eine vorgezogene Altersrente gehabt hätte (Ausführungen hierzu folgen), sondern stattdessen zunächst vom 1. Januar 2019 bis zum 30. Juni 2019 Arbeitslosengeld zu beziehen. Dies hat er auf Befragen in der mündlichen Verhandlung noch einmal ausdrücklich bestätigt. Der Kläger hat seine Arbeitslosigkeit ab dem 1. Januar 2019 damit nicht nur grob fahrlässig, sondern sogar vorsätzlich herbeigeführt. Hierin liegt ein versicherungswidriges Verhalten i.S.d. § 159 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 SGB III (Sperrzeit bei Arbeitsaufgabe), denn einem Arbeitnehmer kann der Abschluss eines Altersteilzeitvertrags nur dann nicht vorgeworfen werden, wenn von ihm der direkte Übergang in den Rentenbezug beabsichtigt war (BSG, Urteil vom 22. September 2022 – B 11 AL 31/21 R –, Rn. 19, juris). Da der Kläger für den Abschluss des Altersteilzeitvertrages, der aus seiner Sicht nicht unmittelbar in den Rentenbezug, sondern in den Bezug von Arbeitslosengeld münden sollte, auch keinen wichtigen Grund hatte, hat der Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld für die Dauer einer Sperrzeit von zwölf Wochen geruht (§ 159 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Abs. 3 Satz 1 SGB III). Eine besondere Härte i.S.d. § 159 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2b) SGB III war nicht gegeben. Der Kläger hatte somit für die Zeit vom 1. Januar 2019 bis 25. März 2019 eigentlich gar keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld, so dass er für den genannten Zeitraum erst recht keinen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld haben kann. Die Beklagte ist bei ihrer Bewilligungsentscheidung allerdings zu Gunsten des Klägers (zunächst noch) davon ausgegangen, dass dieser den Eintritt seiner Arbeitslosigkeit nicht vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt habe und dass ein wichtiger Grund vorgelegen habe.

 

Der Kläger hat aber auch für den Zeitraum vom 26. März 2019 bis 30. Juni 2019 keinen Anspruch auf höheres Arbeitslosengeld. Die Berechnung der Beklagten ist auch insoweit jedenfalls nicht zum Nachteil des Klägers fehlerhaft erfolgt.

 

Nach § 149 Nr. 2 SGB III beträgt das Arbeitslosengeld nach dem im Fall des kinderlosen Klägers einschlägigen allgemeinen Leistungssatz 60 Prozent des pauschalierten Nettoentgelts (Leistungsentgelt), das sich aus dem Bruttoentgelt ergibt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat (Bemessungsentgelt). Der Bemessungszeitraum umfasst nach § 150 Abs. 1 SGB III die beim Ausscheiden aus dem jeweiligen Beschäftigungsverhältnis abgerechneten Entgeltabrechnungszeiträume der versicherungspflichtigen Beschäftigungen im Bemessungsrahmen (Satz 1). Der Bemessungsrahmen umfasst ein Jahr; er endet mit dem letzten Tag des letzten Versicherungspflichtverhältnisses vor der Entstehung des Anspruchs (Satz 2). Das Bemessungsentgelt ist nach § 151 Abs. 1 Satz 1 SGB III das durchschnittlich auf den Tag entfallende beitragspflichtige Arbeitsentgelt, das die oder der Arbeitslose im Bemessungszeitraum erzielt hat.

 

Der Bemessungsrahmen reicht im vorliegenden Fall vom 1. Januar 2019 bis zum 31. Dezember 2019. An diesem Tag endete das Beschäftigungsverhältnis und das Entgelt war bis zu diesem Zeitpunkt abgerechnet. Laut der von der H-AG am 18. Dezember 2018 an die Beklagte übermittelten Arbeitsbescheinigung hat der Kläger in diesem Zeitraum ein beitragspflichtiges Arbeitsentgelt in Höhe von insgesamt 19.152,51 Euro erzielt (also weniger als das von der Beklagten in ihrer Berechnung zugrunde gelegte Arbeitseinkommen von insgesamt 20.117,12 Euro). Hieraus ergibt sich ein durchschnittliches tägliches Entgelt (Bemessungsentgelt) von 52,47 Euro (die Beklagte hat ein Bemessungsentgelt von 55,12 Euro zugrunde gelegt). Zutreffend ist die Beklagte bei ihrer Berechnung auch von der Lohnsteuerklasse 3 ausgegangen.

 

Die Ermittlung des Bemessungszeitraums richtet sich nicht nach § 150 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB III. Nach dieser Vorschrift bleiben bei der Ermittlung des Bemessungszeitraums Zeiten außer Betracht, in denen die durchschnittliche regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit auf Grund einer Teilzeitvereinbarung nicht nur vorübergehend auf weniger als 80 Prozent der durchschnittlichen regelmäßigen Arbeitszeit einer vergleichbaren Vollzeitbeschäftigung, mindestens um fünf Stunden wöchentlich, vermindert war, wenn die oder der Arbeitslose Beschäftigungen mit einer höheren Arbeitszeit innerhalb der letzten dreieinhalb Jahre vor der Entstehung des Anspruchs während eines sechs Monate umfassenden zusammenhängenden Zeitraums ausgeübt hat. Diese Voraussetzungen sind nicht erfüllt. Die Arbeitszeit des Klägers war bereits seit dem 1. März 2015 und damit länger als dreieinhalb Jahre auf die Hälfte der bisherigen regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit abgesenkt.

 

Eine Verlängerung des Bemessungszeitraumes in die Vergangenheit nach § 150 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 SGB III scheidet darüber hinaus auch deshalb aus, weil die Regelung zur Altersteilzeit eine speziellere Regelung darstellt. Gemäß § 150 Abs. 2 Satz 2 SGB III gilt die Regelung nicht in Fällen einer Teilzeitvereinbarung nach dem Altersteilzeitgesetz, es sei denn, das Beschäftigungsverhältnis ist wegen Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers beendet worden. Für Altersteilzeitvereinbarungen gilt eine Privilegierung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AltTZG (Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 6. Mai 2024 – L 2 AL 25/20 –, Rn. 29, juris).

 

Vorliegend haben der Kläger und die H-AG eine Vereinbarung über Altersteilzeitarbeit i.S.d § 2 Abs. 1 Nr. 1, 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 Satz 1 AltTZG in der bis zum 31. Dezember 2022 gültigen Fassung abgeschlossen. Hierfür ist Voraussetzung, dass Arbeitnehmer, wenn sie das 55. Lebensjahr vollendet haben, aufgrund einer Vereinbarung mit ihrem Arbeitgeber, die sich zumindest auf die Zeit erstrecken muss, bis eine Rente wegen Alters beansprucht werden kann, ihre Arbeitszeit auf die Hälfte der bisherigen wöchentlichen Arbeitszeit vermindert haben und versicherungspflichtig beschäftigt im Sinne des SGB III sind. Die Altersteilzeitvereinbarung zwischen dem Kläger und der H-AG entspricht diesen Anforderungen, insbesondere erstreckte sich ihre Laufzeit bis zum 31. Dezember 2018 und damit bis zu einem möglichen Altersrentenbeginn. Der Kläger hätte ab dem 1. Januar 2019 eine Altersrente für langjährig Versicherte vorzeitig in Anspruch nehmen können (§§ 36 Satz 2, 236 Abs. 1 Satz 2 SGB VI), denn er hatte sein 63. Lebensjahr am 26. Dezember 2018 vollendet und im Dezember 2018 auch die Wartezeit von 35 Jahren mit rentenrechtlichen Zeiten (§ 51 Abs. 3 SGB VI) erfüllt. Die vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente ist allerdings – als Ausgleich für die längere Laufzeit der Rente – zwingend mit einem Rentenabschlag verbunden; für jeden Kalendermonat der vorzeitigen Inanspruchnahme vermindert sich der Zugangsfaktor um 0,003 (§ 77 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a SGB VI). Um die durch eine vorzeitige Inanspruchnahme an sich eintretende Rentenminderung nicht eintreten zu lassen, ist den Versicherten durch § 187a SGB VI die Möglichkeit eröffnet, diese durch Zahlung von freiwilligen Beiträgen auszugleichen. Von dieser Möglichkeit hat der Kläger keinen Gebrauch gemacht. Um den Rentenabschlag dennoch zu vermeiden und weil er bereits ab Juli 2019 Anspruch auf eine ungeminderte Altersrente für besonders langjährig Versicherte (§ 236b Abs. 1 und Abs. 2 Satz 2 SGB VI) hatte, hat er auf die Beantragung einer vorzeitigen Altersrente ab Januar 2019 verzichtet.

 

Die Beklagte und das Sozialgericht haben jedoch zu Recht und aus zutreffenden Gründen entschieden, dass wegen der Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG im Falle des Klägers die Privilegierung nach § 10 Abs. 1 Satz 1 AltTZG keine Anwendung findet. Satz 1 der genannten Vorschrift lautet: „Beansprucht ein Arbeitnehmer, der Altersteilzeitarbeit (§ 2) geleistet hat und für den der Arbeitgeber Leistungen nach § 3 Abs. 1 Nr. 1 erbracht hat, Arbeitslosengeld oder Arbeitslosenhilfe, erhöht sich das Bemessungsentgelt, das sich nach den Vorschriften des Dritten Buches Sozialgesetzbuch ergibt, bis zu dem Betrag, der als Bemessungsentgelt zugrunde zu legen wäre, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitszeit nicht im Rahmen der Altersteilzeit vermindert hätte“. Satz 2 der genannten Vorschrift bestimmt: „Kann der Arbeitnehmer eine Rente wegen Alters in Anspruch nehmen, ist von dem Tage an, an dem die Rente erstmals beansprucht werden kann, das Bemessungsentgelt maßgebend, das ohne die Erhöhung nach Satz 1 zugrunde zu legen gewesen wäre“.

 

Der Kläger hätte – wie oben dargelegt – bereits zum 1. Januar 2019 eine Altersrente für langjährig Versicherte in Anspruch nehmen können, darüber hinaus hätte er – nachdem er seit dem 15. Mai 2017 als schwerbehinderter Mensch anerkannt war – zum 1. Januar 2019 auch eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen vorzeitig in Anspruch nehmen können (§§ 37, 236a Abs. 2 Satz 2 SGB VI). Es entspricht höchstrichterlicher Rechtsprechung sowie dem gesetzgeberischen Willen, wie er in der Gesetzesbegründung zu § 10 AltTZG zum Ausdruck kommt, dass die Regelung des § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG auch dann Anwendung findet, wenn eine Altersrente – wie hier – nur unter Inkaufnahme eines Abschlags vorzeitig in Anspruch genommen werden kann (BSG, Urteil vom 15. Dezember 2005 – B 7a AL 30/05 R –, Rn. 14, und Urteil vom 22. September 2022 – B 11 AL 31/21 R –, Rn. 26; Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Januar 2021 – L 3 AL 1926/20 –, Rn. 29; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 6. Mai 2024 – L 2 AL 25/20 –, Rn. 29; Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. September 2024 – L 9 AL 5/23 –, Rn. 37, alle juris). Der Gesetzgeber verfolgt mit der Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG einen legitimen Gesetzeszweck: den Schutz der Arbeitslosenversicherung vor finanziellen Belastungen durch Frühverrentungsprogramme (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Januar 2021 – L 3 AL 1926/20 –, Rn. 30, juris). Dementsprechend hat er in den Gesetzesmaterialien zu § 131 SGB III a.F., jetzt § 151 SGB III (BT-Drucks. 14/6944, S. 36) ausgeführt: „Arbeitnehmer, die mit ihrem Arbeitgeber eine Teilzeitvereinbarung nach dem Altersteilzeitgesetz getroffen haben, sind bei Arbeitslosigkeit für Zeiten vor dem frühestmöglichen Rentenbeginn durch die Sonderregelung des § 10 Abs. 1 des Altersteilzeitgesetzes vor Nachteilen bei der Bemessung des Arbeitslosengeldes geschützt. Sie erhalten Arbeitslosengeld auf der Grundlage des Arbeitsentgelts, das sie erzielt hätten, wenn sie ihre Arbeitszeit nicht im Rahmen der Altersteilzeit vermindert hätten. (...) Arbeitnehmer, die sich entschließen, nach Ablauf der Altersteilzeitvereinbarung – entgegen dem Grundgedanken des Altersteilzeitgesetzes und der Altersteilzeitförderung – keine Rente wegen Alters in Anspruch nehmen, sondern Arbeitslosengeld zu beantragen, sollen bei der Bemessung der Leistung für Zeiten nach einem möglichen Rentenbeginn jedoch nicht privilegiert werden“.

 

Ein Verstoß gegen das Gleichheitsgebot aus Art. 3 Abs. 1 GG liegt nicht vor. Art. 3 Abs. 1 GG schützt nicht vor jeglicher Ungleichbehandlung, sondern nur vor einer Ungleichbehandlung ohne hinreichend gewichtigen Grund (Bundesverfassungsgericht [BVerfG], Urteil vom 28. April 1999 – 1 BvL 11/94 –, Rn. 129, juris). Für die in § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 AltTZG angelegte unterschiedliche Arbeitslosengeldbemessung bei Personen, die noch keine Rente beanspruchen können, und solchen, die bereits eine Rente – wenn auch nur unter Inkaufnahme von Abschlägen – beanspruchen können, lässt sich jedenfalls ein rechtfertigender Grund ausmachen, nämlich der Schutz der Arbeitslosenversicherung vor finanziellen Belastungen aus Frühverrentungen (Landessozialgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 20. Januar 2021 – L 3 AL 1926/20 –, Rn. 33; Landessozialgericht Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 6. Mai 2024 – L 2 AL 25/20 –, Rn. 32, beide juris).

 

Die Regelung in § 10 Abs. 1 Satz 2 AltTZG verstößt, auch soweit sie eine Altersrente für schwerbehinderte Menschen erfasst, auch nicht gegen Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG. Der besondere Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG untersagt jegliche Benachteiligung wegen einer Behinderung. Auf den Grund der Behinderung kommt es nicht an. Entscheidend ist vielmehr, ob eine Person in der Fähigkeit zur individuellen und selbstständigen Lebensführung längerfristig beeinträchtigt ist. Menschen mit Behinderungen werden demnach benachteiligt, wenn ihre Lebenssituation im Vergleich zu derjenigen Nichtbehinderter durch staatliche Maßnahmen verschlechtert wird. Dies ist der Fall, wenn ihnen Entfaltungs- und Betätigungsmöglichkeiten vorenthalten werden, die anderen offenstehen. Untersagt sind letztlich alle Ungleichbehandlungen, die für Behinderte zu einem Nachteil führen. Erfasst werden dabei auch mittelbare Benachteiligungen, bei denen sich der Ausschluss von Betätigungsmöglichkeiten nicht als Ziel, sondern als typische Nebenfolge einer Maßnahme der öffentlichen Gewalt darstellt (BVerfG, Beschluss vom 29. Januar 2019 – 2 BvC 62/14 –, Rn. 54 f., juris). Da aber die in § 10 Abs. 1 Satz 1 und 2 AltTZG angelegte unterschiedliche Arbeitslosengeldbemessung dem Schutz der Arbeitslosenversicherung vor finanziellen Belastungen aus (allen) Frühverrentungen dient, unabhängig davon, auf welchem Grund die Frühverrentung beruht, liegt eine Benachteiligung bzw. Ungleichbehandlung gerade wegen der Schwerbehinderteneigenschaft des Klägers nicht vor. Hinzu kommt, dass in seinem Fall das Vorliegen der Schwerbehinderung für die Berechnung des Arbeitslosengeldes keinen Unterschied macht. Denn die Nichtanwendbarkeit der für ihn günstigen Vorschrift des § 10 Abs. 1 Satz 1 AltTZG beruht (auch) darauf, dass er ab dem 1. Januar 2019 auch einen Anspruch auf eine vorzeitige Altersrente für langjährig Versicherte gehabt hätte, für die die Schwerbehinderteneigenschaft keine Rolle spielt. Auch deshalb ist der besondere Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG jedenfalls im vorliegenden Fall nicht verletzt.

 

Darüber hinaus sind im Rahmen der verfassungsrechtlichen Prüfung einer Ungleichbehandlung (hier von Menschen mit und ohne Schwerbehinderung) nicht nur isoliert ihre nachteiligen, sondern ebenso ihre günstigen Folgen zu betrachten. Die Regelungen in §§ 37, 236a SGB VI stellen eine Privilegierung dar, indem sie es schwerbehinderten Menschen ermöglichen, bereits zwei Jahre vor der Regelaltersgrenze eine Rente zu beanspruchen, eine vorzeitige Inanspruchnahme (mit Abschlägen gem. § 77 SGB VI) ist fünf Jahre früher möglich. Im Einzelfall kann sich die Möglichkeit der vorzeitigen Inanspruchnahme zwar nachteilig auswirken, bei einer Gesamtbetrachtung der Regelungen handelt es sich jedoch überwiegend um eine Privilegierung, so dass eine Benachteiligung aufgrund der Behinderung nicht gegeben ist (Landessozialgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 26. September 2024 – L 9 AL 5/23 –, Rn. 38, juris; anhängig beim Bundessozialgericht unter dem Aktenzeichen B 11 AL 10/24 R).

 

Der sachliche Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78/EG ist bei Leistungen aus dem System der Arbeitslosenversicherung nicht eröffnet. Weil § 10 Abs. 1 AltTZG keiner Umsetzung von (sekundärem) Unionsrecht diente, ist auch der sachliche Geltungsbereich der Charta der Grundrechte der Europäischen Union nicht eröffnet (BSG, Urteil vom 22. September 2022 – B 11 AL 31/21 R –, Rn. 30 f., juris).

 

Offen bleiben kann nach alledem, ob § 10 AltTZG in Fällen wie dem vorliegenden, in denen das Altersteilzeitverhältnis entsprechend der Vereinbarung beendet wurde, überhaupt Anwendung finden kann. Denn das AltTZG sieht nach seiner Konzeption die Inanspruchnahme von Leistungen der Arbeitslosenversicherung eigentlich nicht vor. Der spezifische Zweck des § 10 AltTZG liegt darin, die soziale Sicherung der Arbeitnehmer bei Störfällen, also bei einer – gegenüber den Festlegungen des Altersteilzeitvertrages – vorzeitigen Beendigung des Altersteilzeitverhältnisses, zu regeln. Die Ursachen für eine vorzeitige Beendigung können in einer Kündigung durch den Arbeitgeber oder durch den Arbeitnehmer liegen. Da das Arbeitslosengeld bei Störfällen ansonsten seine Entgeltersatzfunktion nur unzureichend erfüllen könnte, wird das Bemessungsentgelt nach Maßgabe des § 10 Abs. 1 Satz 1 AltTZG erhöht. Arbeitnehmer, die in Altersteilzeit gearbeitet haben, sollen (in Störfällen, wenn also die Altersteilzeit – anders als hier – vorzeitig beendet wird) grundsätzlich vor den Nachteilen ihrer Teilzeitarbeit bewahrt werden. Der Vorschrift liegt allerdings keine umfassende, allgemeingeltende Privilegierung der Altersteilzeit zugrunde (Voelzke in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB Sozialrecht Besonderer Teil, 1. Aufl., § 10 AltTZG (Stand: 19.11.2024), Rn. 13 f.).

 

Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG und entspricht dem Ausgang des Verfahrens.

 

Der Senat hat die Revision wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache zugelassen (§ 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG). Der sog. „Kleine Senat“ ist durch die fehlende Mitwirkung der anderen Berufsrichter des Senats nicht gehindert, die Revision zuzulassen (Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt, SGG, 14. Aufl. 2023, § 153, Rn. 25d).

 

Rechtskraft
Aus
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