1. Die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage setzt einen objektiv vorliegenden Verwaltungsakt voraus. Die Durchführung eines Widerspruchsverfahrens und fristgerechte Klageerhebung allein reichen nicht aus.
2. Ohne Belang für die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage ist es dagegen, wenn die Behörde den Widerspruch wegen aus ihrer Sicht fehlenden Verwaltungsaktes als unzulässig verworfen hat, jedenfalls dann, wenn dies unzutreffend erfolgt ist, und die Behörde eigentlich eine Entscheidung in der Sache hätte treffen müssen.
3. Die Berücksichtigung oder Nichtberücksichtigung eines Zuschlags gem. § 78a SGB VI zu den persönlichen Entgeltpunkten ist bei der Bewilligung der Witwenrente (nur) ein Berechnungs-Element des Verfügungssatzes zur Rentenhöhe. Auf einen für die Vergangenheit auch wegen geänderten Einkommens ergangenen Rentenänderungsbescheid findet die Rechtsprechung zum begrenzten Regelungsgehalt von lediglich die Zukunft betreffenden Rentenanpassungsmitteilungen keine Anwendung.
4. § 78a SGB VI war bereits in seiner ursprünglichen Fassung dahingehend auszulegen, dass die Zugehörigkeit einer Person zum Personenkreis des § 56 Abs. 4 SGB VI allein der Annahme von „Kalendermonaten mit Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung, die der Witwe oder dem Witwer zugeordnet worden sind“ im Sinne des § 78a Abs. 1 S. 2 SGB VI nicht entgegenstand. Die Gesetzesnovelle zum 01.01.2012 hatte hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit dieses Personenkreises nur deklaratorische und keine konstitutive Wirkung.
Das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 22. November 2024 wird aufgehoben.
Der Bescheid der Beklagten vom 6. September 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2022 wird geändert und die Beklagte verurteilt, eine höhere Witwenrente unter Berücksichtigung des Zuschlags nach § 78a SGB VI für die Erziehungszeit für die Kinder M_C_ und P_C_ab dem 1. Januar 2012 zu gewähren.
Die Beklagte erstattet der Klägerin deren notwendige außergerichtlichen Kosten des Vor-, Klage- und Berufungsverfahrens.
Die Revision wird zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung des Zuschlags an persönlichen Entgeltpunkten für Erziehungszeiten zur Witwenrente rückwirkend ab dem 1. Januar 2012.
Die Klägerin ist Witwe des im März 2009 verstorbenen C_. Die Klägerin ist Beamtin seit dem 1. August 1986 und Mutter von zwei Kindern, M_C_, geb. 1992, sowie P_C_, geb. 1994, die sie beide erzogen hat. Der Dienstherr der Klägerin, das Land Schleswig-Holstein, bestätigte der Klägerin mit Schreiben vom 2. November 2022 und 16. Januar 2023, sowie mit E-Mail vom 17. Januar 2023, dass beide Kinder während des bestehenden Beamtenverhältnisses geboren seien. Daher erfolge die Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten beider Kinder vollumfänglich durch das Land Schleswig-Holstein. Die Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten erfolge jedoch erst bei Eintritt der Klägerin in den Ruhestand in Hinblick auf deren Ruhegehalt.
Die Beklagte bewilligte der Klägerin mit Bescheid vom 18. Mai 2009 eine große Witwenrente aus der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem März 2009. Im Versicherungsverlauf des verstorbenen Versicherten waren keine Kindererziehungszeiten oder Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung enthalten.
Die Beklagte erließ in der Folge diverse Rentenbescheide, mit denen die Rente unter anderem wegen der Anrechnung von Einkommen oder dem Zuschuss zur privaten Krankenversicherung neu festgestellt wurde.
Die Klägerin beantragte im August 2022 die Neuberechnung der Witwenrente seit 2009, da die Entgeltpunkte aufgrund ihrer Kindererziehungszeiten nicht berücksichtigt worden seien. Dies stehe ihr aufgrund von § 78a Abs. 1a Nr. 1 SGB VI zu. Diesen Antrag lehnte die Beklagte mit Überprüfungsbescheid vom 25. Januar 2023 ab, der in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. Mai 2023 und nach Abweisung der dagegen erhobenen Klage (S 20 R 54/23) mit Urteil vom 24. April 2024 im Parallel-Berufungsverfahren vor dem erkennenden Senat zum Aktenzeichen L 7 R 41/24 streitgegenständlich war. Das dortige Verfahren hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung vom 27. Februar 2025 nach gerichtlichen Hinweisen auf das fragliche Rechtsschutzbedürfnis für die beiden parallel geführten Verfahren und die in einem Überprüfungsverfahren ohnehin nur begrenzt mögliche zeitliche Rückwirkung (§ 44 Abs. 4 SGB X) für erledigt erklärt.
Mit Bescheid vom 6. September 2022 berechnete die Beklagte die große Witwenrente ab dem 1. Januar 2012 neu, und hob „den bisherigen Bescheid“ hinsichtlich der Rentenhöhe auf, ausweislich der Begründung, weil eine Rentenanpassung durchzuführen war, sich das mit der Rente zusammentreffende Einkommen und sich im Rahmen der Einkommensanrechnung die Anzahl der für den Freibetrag zu berücksichtigenden Kinder geändert habe. Für die Zeit vom 1. Januar 2012 bis zum 31. August 2022 stellte die Beklagte eine Nachzahlung in Höhe von 727,76 EUR fest. In der Anlage „Berechnung der Rente“ wies sie darauf hin, dass die persönlichen Entgeltpunkte in der gleichen Höhe wie bisher zugrunde gelegt würden. Kindererziehungszeiten oder Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung wurden dabei (weiterhin) nicht berücksichtigt. Weiter führte die Beklagte in dieser Anlage aus, dass sich „das auf die Rente anzurechnende Einkommen für die Zeit ab 1. Januar 2012“ geändert habe. Einzelheiten beinhalte der Abschnitt „Zusammentreffen von Rente und Einkommen“. In der (46 Seiten umfassenden) Anlage „Zusammentreffen von Rente und Einkommen“ teilte die Beklagte jeweils das „bisher berücksichtigte monatliche Einkommen“ (für die Zeit ab 1. Januar 2012 etwa 1.523,89 EUR) mit, als auch das „zu berücksichtigende monatliche Einkommen“ (für den genannten Zeitraum etwa 1.593,73 EUR).
Die Klägerin erhob am 12. September 2022 Widerspruch gegen den Bescheid vom 6. September 2022. Bei den Entgeltpunkten seien ihre Kindererziehungszeiten nicht berücksichtigt worden.
Mit Widerspruchsbescheid vom 20. Dezember 2022 wies die Beklagte den Widerspruch gegen den Bescheid vom 6. September 2022 als unzulässig zurück. Über den erstmals im Widerspruchsverfahren erhobenen Anspruch auf Zuschlag bei Witwenrenten wegen Kindererziehung sei bisher nicht durch einen Verwaltungsakt entschieden worden. Eine Prüfung in der Sache dürfe man daher nicht vornehmen. Da die Klägerin bereits im August 2022 einen Antrag auf Neuberechnung Ihrer Witwenrente unter Berücksichtigung des Zuschlages bei Witwenrente wegen Kindererziehung ab Rentenbeginn in 2009 gestellt habe, folge noch ein gesonderter Bescheid.
Die Klägerin hat am 10. Januar 2023 Klage beim Sozialgericht Schleswig erhoben und verfolgt ihr Anliegen weiter. Mit dem Bescheid vom 6. September 2022 seien alle bisherigen Rentenbescheide mit Wirkung ab 1. Januar 2012 aufgehoben und neu berechnet worden. Der fristgerecht eingelegte Widerspruch richte sich gegen diese Neuberechnung ab 1. Januar 2012, die fehlerhaft sei, da der ihr zustehende Zuschlag gem. § 78a SGB VI nicht berücksichtigt worden sei.
Die Klägerin hat beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 6. September 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2022 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, der Klägerin ab dem 1. Januar 2012 eine höhere große Witwenrente unter Berücksichtigung eines Zuschlages an persönlichen Entgeltpunkten für die Erziehung der Kinder M_C_, geb. 1992, sowie P_C_, geb. 1994, zu gewähren.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Klage sei unzulässig, da mit dem angefochtenen Bescheid vom 6. September 2022 die Rente nur wegen der Rentenanpassung und der Einkommensanrechnung neu berechnet worden sei. Eine Regelung hinsichtlich des Witwenrentenzuschlages sei mit dem angefochtenen Bescheid nicht erfolgt.
Mit Urteil vom 22. November 2024 hat das Sozialgericht die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, dass die Klage zulässig sei. Das nach § 78 SGG erforderliche Vorverfahren sei durchgeführt und ein Widerspruchsbescheid erlassen worden, gegen den innerhalb der Monatsfrist nach Bekanntgabe Klage erhoben worden sei. Ob der Widerspruchsbescheid rechtmäßig sei, sei von der Kammer im Rahmen der Begründetheit der Klage zu überprüfen. Selbst wenn diese Prüfung ergeben sollte, dass der Widerspruch zu Recht als unzulässig abgelehnt worden sei, ändere dieses nichts daran, dass die Klage zulässig sei. Die Frage, ob die Beklagte den Widerspruch zu Recht aufgrund dessen als unzulässig zurückgewiesen hatte, weil noch kein Verwaltungsakt vorliege, ließ das Sozialgericht offen. Es könne dahinstehen, ob durch den angefochtenen Bescheid vom 6. September 2022 rückwirkend ab 1. Januar 2012 eine Regelung dahingehend getroffen worden sei, dass ein Zuschlag zu den persönlichen Entgeltpunkten bei der Witwenrente nicht gewährt werde. Denn selbst wenn durch den angefochtenen Bescheid eine entsprechende Regelung getroffen worden sein sollte, bestehe kein Anspruch auf den begehrten Zuschlag. Die Klage sei unbegründet, weil der angefochtene Bescheid im Ergebnis rechtmäßig sei und die Klägerin nicht in ihren Rechten verletze. Sie habe keinen Anspruch auf einen Zuschlag zu den persönlichen Entgeltpunkten bei Witwenrente. Für den Zeitraum bis zum 31. Dezember 2011 gälten zunächst §§ 78a (in der Fassung vom 1. Januar 2002 bis 31. Dezember 2011) i. V. m. § 56 Abs. 4 (in der Fassung vom 1. Januar 2008 bis 21. Juli 2009) i. V. m. § 5 Abs. 1 Nr. 1 (in der Fassung vom 1. Januar 2009 bis 2. Mai 2011) SGB VI. Danach werde ein Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten bei Witwenrenten, der eine höhere Rente bedingen würde, nicht gewährt, wenn die betroffene Person nach § 56 Abs. 4 SGB VI von der Anrechnung von Kindererziehungszeiten ausgeschlossen sei. Dies sei nach § 56 Abs. 4 Nr. 2 SGB VI u. a. der Fall, wenn sie während der Erziehungszeit zu den nach § 5 Abs. 1 und 4 SGB VI genannten Personen gehöre, also etwa – wie die Klägerin – Beamtin auf Lebenszeit sei. Nach der bis 31. Dezember 2011 geltenden Rechtslage sei die Klägerin deshalb von einem Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten ausgeschlossen. Sie habe darüber hinaus auch keinen Anspruch auf eine höhere Rente unter Berücksichtigung eines Zuschlages an persönlichen Entgeltpunkten ab dem 1. Januar 2012. Zwar sei § 78a SGB VI mit Wirkung vom 1. Januar 2012 durch die Einfügung von Abs. 1a mit der Wirkung geändert worden, dass die Klägerin ab 1. Januar 2012 trotz Vorliegens der Voraussetzungen von § 56 Abs. 4 SGB VI nicht mehr vom Zuschlag nach § 78a Abs. 1 SGB VI ausgeschlossen wäre, da sie im Weiteren auch tatsächlich die Erziehung ihrer Söhne erbracht habe und ihr die Erziehung zuzuordnen sei. Dem geltend gemachten Anspruch der Klägerin ab dem 1. Januar 2012 stehe jedoch § 306 Abs. 1 SGB VI entgegen, denn durch die Gewährung eines Zuschlages an persönlichen Entgeltpunkten ab 1. Januar 2012 durch die zu diesem Zeitpunkt wirksame Rechtsänderung käme es zu einer Änderung der persönlichen Entgeltpunkte, die § 306 Abs. 1 SGB VI gerade ausschließe. Eine Verfassungswidrigkeit von § 78a SGB VI a. F. könne die Kammer nicht erkennen, insbesondere liege kein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz des Art. 3 Abs. 1 GG vor. Es werde nicht wesentlich Gleiches unterschiedlich behandelt. Ein Ausschluss von Beamten verstoße nicht gegen den Gleichheitsgrundsatz. Eine Ungleichbehandlung sei aus Sicht der Kammer durchaus gerechtfertigt, da die Kindererziehungszeiten der Klägerin, wie vom Dienstgeber der Klägerin angegeben, bei den späteren Versorgungsbezügen vollumfänglich berücksichtigt würden und der Klägerin nicht verloren gingen. Hier stelle sich eher die Frage, ob eine doppelte Berücksichtigung bei der Witwenrente und bei den späteren Versorgungsbezügen gerechtfertigt sei.
Die Klägerin hat gegen das ihr am 29. November 2024 zugestellte Urteil am 16. Dezember 2024 Berufung eingelegt. Die Rechtsauffassung der Beklagten, sie – die Klägerin – habe den Anspruch auf Kinderzuschlag bisher nicht erhoben, sei falsch. Der Anspruch sei mit Antragstellung im Jahre 2009 erhoben worden. Deshalb sei es unerheblich, ob die Beklagte bei der Erstellung des ersten Rentenbescheids entweder die Prüfung des Zuschlags vergessen habe oder ob die Prüfung zwar vorgenommen, aber nicht dokumentiert worden sei. Beides wirke sich gleich aus. Der im Klageverfahren geäußerte Einwand der Beklagten „der Rentenbescheid könne nicht alles aufführen, worauf kein Anspruch bestehe“, sei nur dann nachvollziehbar, wenn es abwegig erscheine, dass eine Prüfung vorzunehmen sei. Da der Beklagten aber bekannt sei, dass sie zwei Kinder habe, seien selbstverständlich alle Aspekte zu prüfen, die die Rentenhöhe aufgrund der Kindererziehung beeinflussen könnten. Sollten dann Ausschlussgründe vorliegen, seien diese im Rentenbescheid zu benennen. Das Fehlen der Prüfung, ob ihr ein Zuschlag zustehe oder nicht, habe dazu geführt, dass sie gar nicht habe erkennen können, dass ihr der Zuschlag verweigert worden sei. Ansonsten hätte sie schon 2009 versucht, ihren Rechtsanspruch auf den Zuschlag durchzusetzen. Den meisten Betroffenen würde der fehlende Zahlbetrag gar nicht auffallen. Dies beruhe darauf, dass der Bescheid des Rentenversicherungsträgers nicht erkennen lasse, dass der Zuschlag verweigert werde. Die Bescheide seien daher fehlerhaft und zu korrigieren.
Die Begründung der Kammer, warum diese keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz erkenne, sei nicht nachvollziehbar. Die Vorschrift des § 78a SGB VI alte Fassung (vor 2012) habe einen materiellen Gesetzesfehler. Verbeamtete Witwenrentenbezieherinnen würden gegenüber solchen, die nicht verbeamtet seien, ungleich behandelt. Eine Ungleichbehandlung von Personen oder Personengruppen sei aber nur dann verfassungsgemäß, wenn sie durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt sei. Dieser Grund müsse zudem in einem angemessenen Verhältnis zur Ungleichbehandlung stehen. Ein sachlicher Grund könne vorliegen, wenn die Hinterbliebene aus einem anderen Versorgungssystem gleichzeitig Anspruch auf eine gleichwertige Leistung geltend machen könne. Dies sei jedoch nicht der Fall. Dass Anwartschaften auf Versorgung im Alter erworben würden, könne kein sachlicher Grund dafür sein, dass dieser Personenkreis vom Kinderzuschlag ausgeschlossen werde, da sich die Anwartschaft nicht auf die Höhe der Hinterbliebenenrente und der Bezug der Hinterbliebenenrente sich zudem auch nicht auf die Höhe der Versorgungsbezüge auswirke. Eine Doppelleistung bei Hinterbliebenenrenten, die hier — so offensichtlich die Intention des Gesetzgebers — vermieden werden sollte, sei nur denkbar, wenn der Verstorbene und nicht der Hinterbliebene zu Lebzeiten in zwei unterschiedlichen Versorgungssystemen rentenversichert gewesen sei. Der Gesetzgeber habe somit eine fehlerhafte Vorschrift erlassen.
Das Sozialgericht habe keinen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz gesehen, da es eine Ungleichbehandlung zwischen gesetzlich Versicherten und Beamten für gerechtfertigt halte, da die Kindererziehungszeiten der Klägerin bei ihren späteren Versorgungsbezügen berücksichtigt werden würden. Diese Begründung sei allein schon deshalb abwegig, da ja bei allen Menschen, die Kinder erzogen hätten, diese Kindererziehungszeiten berücksichtigt würden, sowohl bei der Rente als auch bei den Versorgungsbezügen. Zudem habe der Gesetzgeber seinen Fehler inzwischen erkannt und die Vorschrift mit Wirkung zum 1. Januar 2012 geändert. Er habe nunmehr klargestellt, dass auch verbeamtete Hinterbliebene einen Anspruch auf den Zuschlag hätten, sofern sie nicht zeitgleich eine gleichwertige Leistung tatsächlich erhalten. Der Kammer sei offensichtlich nicht bekannt, dass der Kinderzuschlag nach § 78a SGB VI keinen Zusammenhang zur Anrechnung von Kindererziehungszeiten bei den Versorgungsbezügen von Beamten habe. Die Berücksichtigung bei der Altersrente / Versorgung solle die grundsätzliche Lebensleistung während der Kindererziehungszeit honorieren. In beiden Versicherungssystemen werde dies entsprechend berücksichtigt. Der Grund für die Einführung des Kinderzuschlags zu der Hinterbliebenenrente sei jedoch ein ganz anderer gewesen. In der Gesetzesbegründung zur Änderung des § 78a SGB VI ab 2012 heiße es dazu: „Da das Regelungsziel von § 78a jedoch darin besteht, die Absenkung des Versorgungssatzes der Witwen- beziehungsweise Witwerrente von 60 auf 55 Prozent zu kompensieren, wenn Kinder erzogen wurden, verfehlt die Vorschrift in den Fällen ihr Ziel, in denen zwar Kinder erzogen wurden, aus anderen Gründen aber gleichwohl keine Berücksichtigungszeiten anzurechnen sind — und damit derzeit auch kein Zuschlag gewährt wird. Mit der Einfügung des neuen Absatzes 1a wird diesem Mangel abgeholfen.“ Richtig sei somit, dass die Kindererziehungszeiten sowohl bei der Witwenrente als auch bei den späteren Versorgungsbezügen berücksichtigt würden, jedoch mit einer völlig unterschiedlichen Intention des Gesetzgebers.
Durch das Festhalten der Beklagten an der Nichtgewährung des Kinderzuschlags nach § 78a SGB VI auch für die Zeit nach der – unstreitig zu Gunsten der Klägerin vorgenommenen – Gesetzesänderung zum 1. Januar 2012 werde die Ungleichbehandlung noch verfestigt. Nunmehr finde eine solche auch noch im Vergleich zu dem eigentlich aufgrund von § 56 Abs. 4 SGB VI ausgeschlossenen, über die seit 2012 geltende Rückausnahme des § 78a Abs. 1a SGB VI aber wieder eingeschlossenen Personenkreises statt, bei dem der Versicherungsfall erst nach dem 1. Januar 2012 eingetreten sei. Die Beklagte lehne die Berücksichtigung des Kinderzuschlags ab dem 1. Januar 2012 unter Verweis auf das Rentenbeginnprinzip ab. Somit seien alle Bestandswitwenrentner nicht nur in der Zeit von 2001 bis 2011 benachteiligt gewesen, sondern blieben nun dauerhaft vom Bezug des Kinderzuschlags ausgeschlossen. Der Grundsatz des Rentenbeginnprinzips in § 306 Abs.1 SGB VI diene in erster Linie dem Vertrauensschutz des Leistungsempfängers in den Bestand von laufenden Renten. Eine Benachteiligung von Bestandsrentnern sei zwar unter gewissen Voraussetzungen hinzunehmen, in diesen Fällen sei der Gesetzgeber jedoch verpflichtet, sich mit dem Umstand auseinanderzusetzen, ab wann die neue Regelung gelten solle und habe hinreichend zu begründen, warum Bestandsrentner von verbesserten Leistungen ausgeschlossen würden. Dies sei aber nicht geschehen. Schon allein daher könne § 306 SGB VI keine Anwendung finden. Der Gesetzgeber habe sich leider nicht damit befasst, wie mit den Bestandsrentnern einer Witwen- bzw. Witwerrente verfahren werden solle, die in den Jahren 2001 bis 2011, in denen die bis dahin mangelhafte Vorschrift des § 78a SGB VI zu einer Ablehnung des Anspruchs auf Kinderzuschlag geführt habe, erstmalig eine Hinterbliebenenrente als Witwe oder Witwer erhalten hätten.
Kern ihrer Klage bleibe aber, dass sie bereits durch das 2009 geltende Recht in ihrem Grundrecht auf Gleichbehandlung verletzt worden sei, weil sie nicht die gleiche Begünstigung erhalte wie Hinterbliebenenrentnerinnen und Hinterbliebenenrentner, die nicht zum Personenkreis des § 56 Abs. 4 SGB VI gehörten. Der Zuschlag zur Witwenrente werde ihr verwehrt, obwohl sie zwei Kinder erzogen habe, eine Absenkung der Witwenrente hinnehmen müsse und ihr dafür keinerlei Ausgleich durch ein anderes Versicherungssystem zustehe. Alle wesentlichen Aspekte für die Zahlung des Zuschlags erfülle sie.
Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 22. November 2024 aufzuheben, den Bescheid der Beklagten vom 6. September 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2022 abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, die Witwenrente der Klägerin ab dem 1. Januar 2012 unter Berücksichtigung des Zuschlags für Erziehungszeiten für die Kinder M_ und P_ C_ für die Zeit ab dem 1. Januar 2012 neu zu berechnen und eine höhere Witwenrente zu gewähren.
Die Beklagte beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie beruft sich auf ihr Vorbringen in der ersten Instanz und verweist hinsichtlich der Unzulässigkeit des Klagebegehrens auf Rechtsprechung des Bayerischen LSG (vom 26. August 2020 - L 19 R 272/20 und vom 5. Mai 2021 - L 19 R 632/20) wonach eine Klage bereits als unzulässig angesehen worden sei, wenn mit dem angefochtenen Bescheid bei einer Witwenrente eine Rentenanpassung und Einkommensanrechnung geregelt worden, jedoch eine höhere Rentenhöhe (also mehr Entgeltpunkte) begehrt worden sei.
In der Sache sei grundsätzlich nach § 300 Abs. 3 SGB VI in Verbindung mit § 306 Abs. 1 SGB VI das “alte“ Recht bei Rentenbeginn anzuwenden. Da die große Witwenrente der Klägerin im März 2009 begonnen habe, sei § 78a SGB VI in der Fassung vom 1. Januar 2002 bis 31. Dezember 2011 anzuwenden. Absatz 1a der Vorschrift, wonach auch versicherungsfreie Beamte den Witwenrentenzuschlag nach § 78a SGB VI erhalten könnten, sei erst mit der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2012 eingeführt worden. Eine Rückwirkung habe der Gesetzgeber nicht vorgesehen – und sei zu einer solchen auch nicht verpflichtet gewesen. Zudem stehe die Einführung des Abs. 1a mit der Einführung des Absatzes 3 in Zusammenhang. Danach sollten die Fälle mit "Doppelleistungen" aus dem Beamtenbereich und der gesetzlichen Rentenversicherung vermieden werden, die es vor der Gesetzesänderung zum 1. Januar 2012 auch gegeben haben dürfte. Der Grundsatz der Nicht-Rückwirkung ("lex retro non agit") im deutschen Rechtssystem diene insbesondere dem Schutz der Rechtssicherheit und des Vertrauens der Bürger in die Kontinuität und Berechenbarkeit der Rechtsordnung (Art. 20 Abs. 3 GG). Soweit der Gleichbehandlungsgrundsatz nach Art. 3 GG beanstandet werde, sei auf die höchstrichterliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichtes in dessen Urteil vom 10. November 2022 – B 5 R 29/21 R – sowie des Bundesverfassungsgerichtes (BVerfG) in dessen Beschluss vom 12. Juni 2023 - 1 BvR 847/23 - bezüglich der Stichtagsregelung hinsichtlich der Rentenzuschläge bei "Bestandsrentnern" der erst ab 1. Januar 2019 erstmals bewilligten Erwerbsminderungsrenten hinzuweisen. Die höchstrichterlichen Darlegungen dürften umso mehr gelten, wenn es sich – wie im hiesigen Verfahren – nicht um einen eigenen, sondern einen abgeleiteten Rentenanspruch handele.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach-und Streitstands wird auf den Inhalt der zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den sonstigen Inhalt der Gerichtsakte sowie der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten, die bei der Entscheidung vorgelegen haben und Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat Erfolg. Sie ist sowohl statthaft (§ 143 Sozialgerichtsgesetz <SGG>) und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht erhoben (§ 151 Abs. 1 SGG).
Die Berufung ist auch begründet. Das Sozialgericht (SG) hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.
1. Gegenstand des Verfahrens ist neben dem Urteil des Sozialgerichts Schleswig vom 22. November 2024 und des Bescheids der Beklagten vom 6. September 2022 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 20. Dezember 2022 der von der Klägerin erhobene Anspruch auf Zahlung einer höheren Witwenrente unter Berücksichtigung des Zuschlags für Erziehungszeiten für die Kinder M_ und P_ C_ für die Zeit ab dem 1. Januar 2012. Diesen Anspruch macht die Klägerin statthaft mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nach § 54 Abs. 4 SGG geltend. Die auf (höhere) Geldleistungen, auf die ein Rechtsanspruch besteht, gerichtete Klage zielt auch zulässigerweise auf den Erlass eines Grundurteils gem. § 130 Abs. 1 SGG ab.
2. Die Klage vor dem Sozialgericht war zulässig. Hiervon ist auch das Sozialgericht im Ergebnis zutreffend ausgegangen. Die Klage war auch nicht deshalb unzulässig, weil es an einem anfechtbaren Bescheid fehlen würde. Ein solcher anfechtbarer Bescheid liegt vor.
a) Diese Frage wurde vom Sozialgericht zu Unrecht offengelassen. Es hat die Klage schon allein deshalb für zulässig erachtet, weil das nach § 78 SGG erforderliche Vorverfahren durchgeführt und ein Widerspruchsbescheid erlassen worden war, gegen den innerhalb der Monatsfrist Klage erhoben wurde. Diese Voraussetzungen allein reichen aber für die Zulässigkeit einer Anfechtungs- bzw. einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nicht aus. Erforderlich ist zusätzlich, dass sich die Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt (VA) richtet (Meyer-Ladewig/Keller/Schmidt SGG/Keller, 14. Aufl. 2023, SGG § 54 Rn. 8).
Ohne Belang für die Zulässigkeit einer Anfechtungsklage ist es, wenn die Behörde – wie hier – den Widerspruch wegen aus ihrer Sicht fehlenden Verwaltungsaktes als unzulässig verworfen hat, jedenfalls dann, wenn dies – wie hier – unzutreffend erfolgt ist, und die Behörde eigentlich eine Entscheidung in der Sache hätte treffen müssen. Die Klage ist dann nicht schon deshalb unzulässig, weil die Behörde den Widerspruch als unzulässig angesehen hat. Die Gegenansicht (etwa Burkiczak, „Setzt eine zulässige Anfechtungsklage einen zulässigen Widerspruch voraus?“ SGb 2016, 189, 193, dort auch mit weiteren Nachweisen zum Meinungsstand) berücksichtigt aus Sicht des Senats nicht ausreichend, dass dem Argument der Prozessökonomie in Fällen, in denen die Behörde den Widerspruch zu Unrecht als unzulässig verworfen hat, wegen des bereits eingetretenen Zeitablaufs höheres Gewicht zukommt. Zudem hat die Behörde gem. § 78 SGG die Möglichkeit zur Selbstkorrektur gehabt. Die Doppelfunktionalität des Vorverfahrens als Selbstkorrektur der Verwaltung und Prozessvoraussetzung ist damit erschöpft. Einem ggf. (hier jedoch nicht) durch aufwändige Nachermittlungen bei Gericht, und nicht bei der hierfür eigentlich zunächst zuständigen Behörde, entstehenden höheren Ermittlungsaufwand kann durch Anwendung des § 192 Abs. 4 SGG, der Auferlegung der durch notwendige Nachermittlungen entstandenen Kosten, oder in besonderen Fällen des § 131 Abs. 5 SGG, die Zurückverweisung an die Behörde wegen erheblicher erforderlicher Nachermittlungen, begegnet werden.
b) Hier fehlte es für die Zulässigkeit der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage nicht an einem anfechtbaren Verwaltungsakt. Dieser bestand in der Festsetzung der jeweiligen Höhe(n) der der Klägerin dem Grunde nach unstreitig zustehenden und bewilligten großen Witwenrente im von dem Bescheid vom 6. September 2022 geregelten Zeitraum seit dem 1. Januar 2012. Dieser Verfügungssatz über die Rentenhöhe(n) war im vorliegenden Verfahren nicht weiter aufteilbar, da die Beklagte insgesamt über den Witwenrentenanspruch bei Aufhebung des bisherigen Bewilligungsbescheids entschieden hat. Der Zuschlag nach § 78a SGB VI ist lediglich ein Berechnungselement des Verfügungssatzes über die Rentenhöhe.
In einem Rentenbescheid sind sämtliche für die Berechnung der Rente bedeutsamen Zeiten auf der Grundlage des zutreffenden Sachverhalts und des für die Rentenbewilligung maßgeblichen Rechts zu berücksichtigen (BSG, Urteil vom 6. Mai 2010 – B 13 R 118/08 R –, Rn. 16, juris). Nach Erlass eines Rentenbescheids besteht demgemäß auch kein Rechtsschutzbedürfnis mehr zur Durchführung eines gesonderten Rechtsbehelfsverfahrens nur in Bezug auf einen Vormerkungsbescheid gem. § 149 SGB VI bzw. darin geregelte einzelne rentenrechtliche Zeiten; ein solches Verfahren wäre unzulässig (so bereits BSG vom 22. September 1981; BSG vom 14. Mai 2003 Rn. 8 ff; BSG vom 23. August 2005, Rn. 41; BSG, Urteil vom 6. Mai 2010 – B 13 R 118/08 R –, Rn. 16, jeweils juris).
Der hier vorliegende, ursprüngliche Witwenrentenbescheid vom 18. Mai 2009 verlautbarte vier Verwaltungsakte (i.S. des § 31 Satz 1 SGB X): Er stellte – wie nach der ständigen Rechtsprechung des BSG (vgl BSGE 46, 236, 237 mwN; BSG, Urteil vom 23. März 1999 – B 4 RA 41/98 R –, Rn. 23, juris) regelmäßig bei derartigen Bescheiden Rentenart, -höhe, -beginn und -dauer fest. Der streitige Bescheid vom 6. September 2022 setzte die Rentenhöhe(n), also den Wert des Rechts der Klägerin auf Witwenrente, für den Zeitraum seit dem 1. Januar 2012 neu fest und hob den vorherigen Bescheid auf. Dies ergibt sich aus dem Verfügungssatz des Bescheides, demzufolge der bisherige Bescheid „hinsichtlich der Rentenhöhe mit Wirkung ab dem 01.01.2012“ aufgehoben wurde.
Die Berücksichtigung (oder – wie hier – Nichtberücksichtigung) eines Zuschlags gem. § 78a SGB VI zu den persönlichen Entgeltpunkten ist bei der Bewilligung der Witwenrente ein (Berechnungs-) Element. Es ist Teil des sich aus mehreren Faktoren zusammengesetzten Verfügungssatzes zur Rentenhöhe. Dieser ist lediglich in Bezug auf verschiedene Zeitabschnitte unterscheid- und aufteilbar. Er ist innerhalb der Zeitabschnitte nicht weiter aufteilbar, da die Faktoren lediglich Berechnungselemente eines einheitlichen Streitgegenstandes der Höhe der Witwenrente sind. (vgl. zu entsprechenden Konstellationen in der Arbeitslosenhilfe BSG, Urteil v. 9. Dezember 2004, B 7 AL 24/04 R, juris; LSG Nordrhein-Westfalen Urt. v. 6. August 2008 – L 8 R 73/07, juris, Rn. 13). Der Klägerin kann deshalb aber auch nicht entgegengehalten werden, die Beklagte habe in dem Rentenbescheid vom 6. September 2022, in dem die Höhe der Rente neu berechnet und festgestellt wurde, über ein einzelnes Berechnungselement noch nicht entschieden. Dies gilt unabhängig davon, ob die Beklagte dieses Berechnungselement bewusst oder unabsichtlich unberücksichtigt gelassen hat.
Der Senat folgt nicht der Auffassung der Beklagten zu einer entsprechenden Anwendung der Rechtsprechung zu Rentenanpassungsmitteilungen. Die von der Beklagten in der Berufungserwiderung zitierten Urteile des Bayerischen Landesozialgerichts betreffen Rentenanpassungsmitteilungen bzw. deren begrenzten Regelungsgehalt, der sich in einer zukunftsgerichteten Änderung der wertmäßigen Bestimmung des Rentenrechts nach Änderung der Bemessungsgrundlage bzw. des aktuellen Rentenwerts erschöpft (Bayerisches Landessozialgericht, Urteile vom 26. August 2020 – L 19 R 272/20 – und vom 5. Mai 2021 – L 19 R 632/20 –, Rn. 20, juris, jeweils unter Verweis auf die diesbezüglich einschlägige Rspr. des BSG), und damit nicht den hiesigen Fall. Diese Grundsätze sind auf den hier streitigen Bescheid vom 6. September 2022 nicht übertragbar. Der hier streitige Bescheid vom 6. September 2022 hob zum einen den bisherigen Rentenbescheid nicht nur zukunftsgerichtet, sondern rückwirkend für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2012 auf und berücksichtigte zum anderen nicht nur einen geänderten Rentenwert, sondern auch noch geändertes, mit der Rente zusammentreffendes Einkommen.
c) Ein Rechtschutzbedürfnis für das Verfahren liegt vor. Nachdem die Klägerin das parallel geführte Berufungsverfahren L 7 R 41/24 nach gerichtlichem Hinweis für erledigt erklärt hat, stellt sich die Frage des Rechtsschutzbedürfnisses für die beiden letztlich auf dasselbe Ziel gerichteten Verfahren nicht mehr.
3. Das Sozialgericht hat die Klage zu Unrecht als unbegründet abgewiesen. Die Klägerin hat einen Anspruch auf eine höhere Witwenrente.
Der Bescheid vom 6. September 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Dezember 2022 ist – soweit er angefochten wurde – rechtswidrig und verletzt die Klägerin deshalb insoweit in deren Rechten. Die Beklagte hat bei der in diesem Bescheid vorgenommenen Neuberechnung der großen Witwenrente für den Zeitraum ab dem 1. Januar 2012 rechtswidrig den Zuschlag nach § 78a SGB VI nicht berücksichtigt und die Klägerin damit in deren Recht auf zutreffende Festsetzung der Rentenhöhe verletzt.
Die Voraussetzungen für einen Anspruch auf eine höhere Witwenrente liegen für die von dem Bescheid geregelte Zeit ab dem 1. Januar 2012 vor. Bei der vorzunehmenden Neuberechnung der Rente wird die Beklagte den Zuschlag für Erziehungszeiten für die Kinder M_ und P_ C_ für die Zeit ab dem 1. Januar 2012 berücksichtigen müssen. Der Anspruch hierfür ergibt sich aus der Vorschrift des
§ 78a SGB VI in dessen ursprünglicher und vorliegend anzuwendenden Fassung.
a) Der Anspruch der Klägerin auf eine Witwenrente ist dem Grunde nach zwischen den Beteiligten zu Recht nicht streitig. Streitig ist allein im Rahmen der Rentenhöhenberechnung, ob der Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten gem. § 78a SGB VI zu berücksichtigen ist. Die Höhe der Witwenrente errechnet sich gem. der Rentenformel (§ 64 SGB VI) als Produkt aus
1. den unter Berücksichtigung des Zugangsfaktors, der gem. § 77 SGB VI im Regelfall vom Alter des Versicherten bei Rentenbeginn oder wie im Falle einer Witwenrente bei Tod abhängt, ermittelten persönlichen Entgeltpunkte (dazu näher gleich),
2. dem hier nicht streitigen Rentenartfaktor, der bei Witwenrenten bis zum Jahre 2001 0,6 betrug, und dann ab dem Jahre 2002 auf 0,55 abgesenkt wurde (vgl. § 67 SGB VI in der jeweiligen Fassung) sowie
3. dem hier ebenfalls nicht streitigen aktuellen Rentenwert, der gem. § 65 SGB VI zum 1. Juli eines jeden Jahres angepasst wird.
Die persönlichen Entgeltpunkte ergeben sich gem. § 66 Abs. 1 SGB VI, indem die Summe aller Entgeltpunkte für verschiedene, im Einzelnen näher bezeichnete Tatbestände (etwa in Nr. 1: „Beitragszeiten“) mit dem Zugangsfaktor vervielfältigt und bei Witwenrenten und Witwerrenten sowie bei Waisenrenten danach um den hier streitigen Zuschlag gem. § 78a SGB VI erhöht wird (persönliche Entgeltpunkte = Entgeltpunkte x Zugangsfaktor + Zuschlag).
Unter welchen Voraussetzungen und in welchem Umfang ein solcher Zuschlag bei Witwenrenten zur Anwendung kommt, ist seit dessen Einführung im Ausgangspunkt in § 78a SGB VI geregelt (für Waisenrenten in § 78 SGB VI). Die Höhe des Zuschlags an Entgeltpunkten hängt gemäß § 78a SGB VI von der Dauer der Kindererziehung der Witwe ab. Der Zuschlag hängt nicht von dem Versicherungsleben des Verstorbenen ab. Dies unterscheidet die Regelungsmechanik von der gesetzlichen Betrachtung bei Waisenrenten. Die „Kinderkomponente“ des § 78a SGB VI bei Witwenrenten ist und war als die Kindererziehung privilegierender Ausgleich für die Verringerung des Rentenartfaktors für die Witwen- und Witwerrente von 60 auf 55 v.H. (s.o.) ab dem Jahre 2002 gedacht (BT-Drs. 14/6044, S. 5.; Blüggel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 78a SGB VI, Stand: 1. April 2021, Rn. 15; Helmut Stahl in: Hauck/Noftz SGB VI, 1. Ergänzungslieferung 2025, § 78a SGB 6, Rn. 5).
b) Der Zuschlag nach § 78a SGB VI war und ist nicht bereits deshalb ausgeschlossen, weil eine sogenannte „Altehe“ vorläge. Da die oben geschilderte Verringerung des Rentenartfaktors von 60 auf 55 v.H. im Falle einer „Altehe“ nicht vorgenommen wird (§§ 255 Abs. 1, 265 Abs. 7 SGB VI), ist der Zuschlag des § 78a SGB VI (nach § 264b Abs. 2 SGB VI in der bis Ende 2012 gültigen Fassung vom 19. Februar 2002, danach § 264c Abs. 2 SGB VI) in diesen Fällen konsequenterweise ebenfalls ausgeschlossen. Eine solche „Altehe“ liegt hier nicht vor. Sie setzt nach den genannten Vorschriften voraus, dass der Ehegatte entweder vor dem 1. Januar 2002 verstorben ist. Der Ehegatte der Klägerin ist im Jahre 2009 gestorben. Auch die andere Alternative der „Altehen“ regelnden Vorschriften liegt nicht vor. Dafür müsste die Ehe vor dem 1. Januar 2002 geschlossen worden und zusätzlich mindestens ein Ehegatte vor dem 2. Januar 1962 geboren sein. Letzteres ist hier nicht der Fall. Der Ehegatte der Klägerin wurde im Dezember 1962 und die Klägerin im April 1963 geboren. Somit sind beide nicht vor dem
2. Januar 1962 geboren.
c) Die tenorierten Erziehungszeiten waren als Zuschlag zu den Entgeltpunkten bereits nach dem im Zeitpunkt des Versicherungsfalls im März 2009 geltenden Recht für die Bemessung der Witwenrente zu berücksichtigen.
Maßgeblich ist aufgrund der Regelung des § 306 SGB VI der Rechtszustand zum Zeitpunkt des Versterbens des Ehegatten („Rentenbeginn-Prinzip“). Nach der Vorschrift werden aus Anlass einer Änderung rentenrechtlicher Vorschriften die einer Rente zugrunde gelegten persönlichen Entgeltpunkte nicht neu bestimmt, wenn der Anspruch auf Leistung der Rente bereits vor dem Zeitpunkt der Rechtsänderung bestand, soweit nicht in den folgenden – hier jedoch nicht einschlägigen – Vorschriften etwas anderes bestimmt ist. Nach § 306 SGB VI hat somit eine Änderung der gesetzlichen Grundlagen für die Bestimmung der persönlichen Entgeltpunkte für die gesamte Bezugszeit der Rente keine Auswirkungen, soweit der Gesetzgeber eine solche nicht ausdrücklich als Ausnahme vom „Rentenbeginn-Prinzip“ für Bestandsrenten anordnet. Für den durch Art. 4 Nr. 4 Buchst. des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze (v. 22. Dezember 2011, BGBl. I 3057, 3059) mit Wirkung zum 1. Januar 2012 eingeführten § 78a Abs. 1a SGB VI hat der Gesetzgeber eine solche Änderungswirkung für Bestandsrenten nicht angeordnet. Dies war nach der durch den Senat für richtig erachteten Auslegung der zuvor geltenden Fassung des § 78a SGB VI aber auch nicht notwendig. Die Gesetzesnovelle hatte hinsichtlich der Berücksichtigungsfähigkeit des Personenkreises des § 56 Abs. 4 SGB VI nur deklaratorische, und keine konstitutive Wirkung.
Die Gesetzesneufassung zum 1. Januar 2012 stellte deshalb insoweit keine „Änderung rentenrechtlicher Vorschriften“ im Sinne von § 306 SGB VI dar. Schon der ursprüngliche Witwenrentenbescheid war aufgrund der Nichtberücksichtigung des Zuschlags zu Lasten der Klägerin rechtswidrig. Dieser Fall ist wie die Aufhebung bereits ursprünglich rechtswidriger Bescheide im Zugunstenverfahren nach § 44 SGB X von § 306 SGB VI nicht erfasst (siehe zum Ganzen: Udo Diel in: Hauck/Noftz SGB VI, 1. Ergänzungslieferung 2025, § 306 SGB 6, Rn. 6; Eisenbart in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 306 SGB VI, Stand: 1. April 2021, Rn. 12).
d) Bei der Klägerin waren die tenorierten Erziehungszeiten als Zuschlag zu den Entgeltpunkten bereits nach dem im Zeitpunkt des Versicherungsfalls im März 2009 geltenden Recht für die Bemessung der Witwenrente zu berücksichtigen. Die Klägerin hatte einen Anspruch auf den Zuschlag. Denn § 78a SGB VI war bereits in seiner zum Zeitpunkt des Todes des Ehemannes der Klägerin geltenden Fassung dahingehend auszulegen, dass die Zugehörigkeit einer Person – wie der Klägerin – zum Personenkreis des § 56 Abs. 4 SGB VI allein der Annahme von „Kalendermonaten mit Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung, die der Witwe oder dem Witwer zugeordnet worden sind“ im Sinne des § 78a Abs. 1 S. 2 SGB VI nicht entgegenstand. Diese Auslegung ergibt sich nach Ansicht des Senats aus verfassungsrechtlichen Gründen aus dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 Grundgesetz (dazu unter (1)), einer systematischen Betrachtung der Vorschrift des § 78a SGB VI (2) sowie mit Blick auf Wortlaut (3), Gesetzeszweck und –geschichte (4).
Die Regelung des § 78a Abs. 1 S. 2 SGB VI stellt auf die Zuordnung der Zeiten wegen Kindererziehung im eigenen Versorgungssystem der Witwe oder des Witwers ab. Die Regelung schließt die Zeiten als Berücksichtigungszeiten nach § 57 SGB VI ebenso ein, wie die Zuschläge zu den Ruhegehältern wegen Kindererziehung in den beamtenrechtlichen Versorgungsgesetzen.
(1) Der Senat folgt nicht der Auslegung des § 78a SGB VI durch die Beklagten. Nach dieser würden während der Kindererziehung verbeamtete Witwen – wie die Klägerin – ausgeschlossen und gegenüber während dieser Zeit nicht verbeamteten Witwen benachteiligt (dazu (a)). Für diese Ungleichbehandlung gibt es keinen sachlichen Grund (dazu (b)). Die vom Senat gefundene Auslegung von § 78a SGB VI in seiner ursprünglichen Form führt dazu, dass keine Ungleichbehandlung vorliegt.
(a) Nach dem von der Beklagten vertretenen Verständnis des § 78a SGB VI hätte der Zuschlag für die Erziehung von Kindern der Klägerin im Zeitpunkt des Versicherungsfalles im Jahre 2009 und bis zur Änderung der Vorschrift zum 1. Januar 2012 nicht zugestanden. § 78a SGB VI lautete in seiner ursprünglichen, durch Art. 1 des Altersvermögensergänzungsgesetzes vom 21. März 2001 eingeführten, vom 1. Januar 2002 bis zum 31. Dezember 2011, und damit im Zeitpunkt des Versterbens des Ehegatten der Klägerin im März 2009 und der Bewilligung der großen Witwenrente mit Bescheid vom 18. Mai 2009 geltenden Fassung vom 19. Februar 2002 (Hervorhebung durch den Senat):
§ 78a Zuschlag bei Witwenrenten und Witwerrenten
(1) Der Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten bei Witwenrenten und Witwerrenten richtet sich nach der Dauer der Erziehung von Kindern bis zur Vollendung ihres dritten Lebensjahres. Die Dauer ergibt sich aus der Summe der Anzahl an Kalendermonaten mit Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung, die der Witwe oder dem Witwer zugeordnet worden sind, beginnend nach Ablauf des Monats der Geburt, bei Geburten am Ersten eines Monats jedoch vom Monat der Geburt an. Für die ersten 36 Kalendermonate sind jeweils 0,1010 Entgeltpunkte, für jeden weiteren Kalendermonat 0,0505 Entgeltpunkte zugrunde zu legen. Witwenrenten und Witwerrenten werden nicht um einen Zuschlag erhöht, solange der Rentenartfaktor mindestens 1,0 beträgt.
(2) Sterben Versicherte vor der Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes, wird mindestens der Zeitraum zugrunde gelegt, der zum Zeitpunkt des Todes an der Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes fehlt. Sterben Versicherte vor der Geburt des Kindes, werden 36 Kalendermonate zugrunde gelegt, wenn das Kind innerhalb von 300 Tagen nach dem Tod geboren wird. Wird das Kind nach Ablauf dieser Frist geboren, erfolgt der Zuschlag mit Beginn des Monats, der auf den letzten Monat der zu berücksichtigenden Kindererziehung folgt. Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, wenn die Witwe oder der Witwer zum Personenkreis des § 56 Abs. 4 gehören (Satz 4).
Die schon in der Ursprungsfassung der Norm in Abs. 1 Satz 2 erwähnten „Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung“ sind in § 57 SGB VI normiert. Dessen seit Einführung des § 78a SGB VI nicht geänderter Satz 1 lautet:
§ 57 Berücksichtigungszeiten
Die Zeit der Erziehung eines Kindes bis zu dessen vollendetem zehnten Lebensjahr ist bei einem Elternteil eine Berücksichtigungszeit, soweit die Voraussetzungen für die Anrechnung einer Kindererziehungszeit auch in dieser Zeit vorliegen.
Was Kindererziehungszeiten sind, welchem Elternteil sie zuzuordnen sind und unter welchen Voraussetzungen sie nicht anrechenbar sind, ist in § 56 SGB VI normiert. In der vom 1. Januar 2008 bis zum 27. Juli 2009 (also auch beim hier vorliegenden Versicherungsfall) geltenden Fassung vom 20. April 2007 lautete dieser (auszugsweise, soweit hier von Relevanz, Hervorhebungen durch den Senat):
§ 56 Kindererziehungszeiten
1) Kindererziehungszeiten sind Zeiten der Erziehung eines Kindes in dessen ersten drei Lebensjahren. Für einen Elternteil (§ 56 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 und Abs. 3 Nr. 2 und 3 Erstes Buch) wird eine Kindererziehungszeit angerechnet, wenn
1. die Erziehungszeit diesem Elternteil zuzuordnen ist,
2. die Erziehung im Gebiet der Bundesrepublik Deutschland erfolgt ist oder einer solchen gleichsteht und
3. der Elternteil nicht von der Anrechnung ausgeschlossen ist.
(2) Eine Erziehungszeit ist dem Elternteil zuzuordnen, der sein Kind erzogen hat. Haben mehrere Elternteile das Kind gemeinsam erzogen, wird die Erziehungszeit einem Elternteil zugeordnet. Haben die Eltern ihr Kind gemeinsam erzogen, können sie durch eine übereinstimmende Erklärung bestimmen, welchem Elternteil sie zuzuordnen ist. Die Zuordnung kann auf einen Teil der Erziehungszeit beschränkt werden. Die übereinstimmende Erklärung der Eltern ist mit Wirkung für künftige Kalendermonate abzugeben. Die Zuordnung kann rückwirkend für bis zu zwei Kalendermonate vor Abgabe der Erklärung erfolgen, es sei denn, für einen Elternteil ist unter Berücksichtigung dieser Zeiten eine Leistung bindend festgestellt, ein Versorgungsausgleich oder ein Rentensplitting durchgeführt. Für die Abgabe der Erklärung gilt § 16 des Ersten Buches über die Antragstellung entsprechend. Haben die Eltern eine übereinstimmende Erklärung nicht abgegeben, ist die Erziehungszeit der Mutter zuzuordnen. Haben mehrere Elternteile das Kind erzogen, ist die Erziehungszeit demjenigen zuzuordnen, der das Kind überwiegend erzogen hat, soweit sich aus Satz 3 nicht etwas anderes ergibt.
(3) […]
(4) Elternteile sind von der Anrechnung ausgeschlossen, wenn sie
[…]
2. während der Erziehungszeit zu den in § 5 Abs. 1 und 4 genannten Personen gehören,
[…]
Der in § 56 Abs. 4 SGB VI in Bezug genommene § 5 Abs. 1 Satz 1 SGB VI lautet:
§ 5 Versicherungsfreiheit
(1) Versicherungsfrei sind
1. Beamte und Richter auf Lebenszeit, auf Zeit oder auf Probe, Berufssoldaten und Soldaten auf Zeit sowie Beamte auf Widerruf im Vorbereitungsdienst,
[…]
Unter Anwendung der von der Beklagten vertretenen Auffassung, der Berücksichtigung des Verweises auf § 5 Abs. 1 SGB VI, würde die von § 56 Abs. 4 SGB VI betroffene verbeamtete Klägerin gegenüber einer im Versorgungssystem der gesetzlichen Rentenversicherung abgesicherten Person wesentlich ungleich bei der Höhe der Witwenrente behandelt, da sie aufgrund der Bezugnahme des § 56 Abs. 4 SGB VI auf § 5 Abs. 1 SGB VI nicht in den Genuss des Zuschlags zu den Entgeltpunkten käme.
(b) Ein sachlicher Grund für diese Ungleichbehandlung lag nicht vor.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts liegt stets eine Doppelberücksichtigung vor, wenn die Erziehungszeiten der Kinder bei der Witwe Berücksichtigung finden. Daher kann dieses Argument nicht zur Rechtfertigung einer Ungleichbehandlung herangezogen werden. § 78a SGB VI sieht eine Doppelberücksichtigung von Kindererziehungszeiten durchaus vor. Diese ist jedoch vom Gesetzgeber gewollt. Sie ist auch in der seit 2012 geltenden Fassung in § 78a SGB VI enthalten und gilt im Grundsatz unabhängig davon, ob ein „rein rentenrechtlicher“ oder ein Fall mit beamtenrechtlichem Bezug vorliegt.
Der Ausschluss einer noch weitergehenden Versorgung nach § 78a Abs. 3 SGB VI neuer Fassung kann sich lediglich auf die Fälle beziehen, in denen bei Witwengeld nach beamtenrechtlichen Vorschriften bereits ein Zuschuss wegen Kindererziehung berücksichtigt wird.
Entgegen der Auffassung des Sozialgerichts spricht die Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten bei der eigenen Altersversorgung der Klägerin nach beamtenrechtlichen Grundsätzen nicht gegen die Berücksichtigung im Rahmen der Witwenrente. Es handelt sich um keine Doppelversorgung, zumindest nicht um eine solche, die nicht in allen Fällen des § 78a vorliegen würde, und vom Gesetzgeber nicht gewollt wäre.
Die vom Sozialgericht angenommene „Doppelversorgung“ beim gleichzeitigen Bezug einer (beamtenrechtlichen) Altersversorgung neben einer Witwenrente hat deshalb nichts mit dem hier streitigen Zuschlag nach § 78a SGB VI zu tun, sondern besteht immer, und immer auch in rein rentenrechtlichen Fällen ohne beamtenrechtlichen Bezug. Denn die Besonderheit des „Kinderkomponenten-Zuschlags“ des § 78a SGB VI besteht gerade darin, dass er aufgrund einer eigenen Tätigkeit der Kindererziehung bei der Hinterbliebenenversorgung gewährt wird. Sie werden zu den „fremden“ persönlichen Entgeltpunkten des verstorbenen Ehegatten hinzugerechnet, die dieser im Laufe seiner Erwerbsbiographie erworben hat. Wenn dann die Witwenrente beziehende Witwe später eine eigene Altersversorgung bezieht, werden die Kindererziehungszeiten immer und immer ein weiteres Mal berücksichtigt, und zwar unabhängig davon, ob die eigene Altersversorgung aus gesetzlicher Rentenversicherung erfolgt (dann wird die Kindererziehung über §§ 56 und 70 SGB VI in Form der Berücksichtigung als Entgeltpunkte berücksichtigt), oder wie im vorliegenden Fall aus einem eigenen Beamtenverhältnis heraus (wie es der Dienstherr der Klägerin für die Berücksichtigung der Kindererziehungszeiten bei den späteren Versorgungsbezügen bestätigt hat). Diese „Doppelberücksichtigung“ von Kindererziehungszeiten sowohl beim gleichzeitigen Bezug einer auf „fremder“ Versicherung beruhenden Witwenrente als auch einer eigenen gesetzlichen Renten- oder beamtenrechtlichen Versorgung gilt also für jede Witwenrente und hat ihren Grund in deren Natur als Rente aus einer fremden Versicherung, bei deren Berechnung eigene Kindererziehungszeiten berücksichtigt werden. Sie ist offensichtlich vom Gesetzgeber gewollt – und sollte noch nie (auch nicht von § 78a Abs. 3 SGB VI neuer Fassung) ausgeschlossen werden.
Eine vom Gesetzgeber nicht gewollte und ausgeschlossene Doppelversorgung läge vor, wenn der verstorbene Versicherte (der Ehegatte der Klägerin) neben Anwartschaften in der gesetzlichen Rentenversicherung auch Anwartschaften nach beamtenrechtlichen Vorschriften erworben hätte und die kindererziehende Witwe (die Klägerin) deshalb eine Hinterbliebenenversorgung aus der beamtenrechtlichen Versorgung des verstorbenen Versicherten erhielte, bei deren Berechnung die Kindererziehung ebenfalls berücksichtigt würden. So wird nach § 59 des Gesetzes des Landes Schleswig-Holstein über die Versorgung der Beamtinnen und Beamten sowie Richterinnen und Richter (Beamtenversorgungsgesetz Schleswig-Holstein - SHBeamtVG) vom 26. Januar 2012, ähnlich wie nach dem hier streitigen § 78a SGB VI, ein das Witwengeld erhöhender Kinderzuschlag gewährt. Dann bestünde nach § 78a Absatz 3 SGB VI trotz der der Klägerin nach dem SGB VI zuzuordnenden Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung kein Anspruch auf den hier streitigen Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten zur Witwenrente nach dem SGB VI, da dann eine dem Zuschlag gleichwertige Leistung aus der Versorgung des verstorbenen Versicherten nach beamtenrechtlichen Vorschriften erbracht würde. Diese Konstellation wird auch auf dem Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung (rvRecht® - Rechtsportal der Deutschen Rentenversicherung - Literatursystem - §§ 76 - 100 - § 78a SGB VI: Zuschlag bei Witwenrenten und Witwerrenten, dort ganz am Ende) zutreffend als Beispiel für die von Abs. 3 ausgeschlossene Doppelversorgung genannt. Eine solche Konstellation liegt hier jedoch nicht vor, da der verstorbene Ehegatte der Klägerin kein Beamter war und die Klägerin kein Witwengeld nach beamtenrechtlichen Vorschriften erhält.
(2) Für die vom Senat gefundene Auslegung streitet zudem eine systematische Betrachtung der gesamten ursprünglichen bis Ende 2011 geltenden Fassung der Vorschrift des § 78a SGB VI. Mit § 78a Abs. 2 S. 4 SGB VI in der damals geltenden Fassung („Die Sätze 1 und 2 gelten nicht, wenn die Witwe oder der Witwer zum Personenkreis des § 56 Abs. 4 gehören.“) wollte der Gesetzgeber offensichtlich eine besondere, auf den Personenkreis des § 56 Abs. 4 zugeschnittene Regelung treffen. Diese Regelung in Abs. 2 aber wäre – zumindest in der von der Beklagten vorgenommenen Lesart des § 78a Abs. 1 S. 2 SGB VI – überflüssig gewesen, da sie keinerlei eigenen Anwendungsbereich gehabt hätte. Denn der Personenkreis des § 56 Abs. 4 SGB VI wäre ja – in der Lesart der Beklagten –etwa aufgrund seines Beamtenstatus‘ – über die oben dargestellte Normenkette der §§ 57, 56 und 5 SGB VI von vornherein von Zuschlägen nach § 78a SGB VI ausgeschlossen gewesen. § 78a Abs. 2 S. 4 SGB VI konnte also nur dann einen Anwendungsbereich haben, wenn Abs. 1 S. 2 der Norm nicht im Sinne der Beklagten, sondern – wie vom Senat für zutreffend gehalten – dergestalt ausgelegt wurde, dass eben die bloße Zugehörigkeit einer Person zum Personenkreis des § 56 Abs. 4 SGB VI der Annahme von „Kalendermonaten mit Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung, die der Witwe oder dem Witwer zugeordnet worden sind“ im Sinne des § 78a Abs. 1 S. 2 SGB VI für sich genommen noch nicht entgegenstand.
(3) Letztlich gab auch schon der – seitdem unveränderte – Wortlaut des § 78a Abs. 1 S. 2 SGB VI einen Hinweis darauf, dass der „normale“ (und für die Klägerin auch nach Auffassung des Senats geltende) „Kindererziehungs-Anrechnungsausschluss“ des § 56 Abs. 4 SGB VI im Rahmen etwa einer eigenen Altersrente für den „Kinderkomponenten-Zuschlag“ nach § 78a SGB VI schon von Anfang an nicht im Fokus des Gesetzgebers stand. Denn der eigentliche Schwerpunkt der Regelung des § 78a Abs. 1 S. 2 SGB VI lag von Anfang an darin, dass rentenrechtliche Zeiten aus zwei verschiedenen Versicherungsverläufen für die Berechnung ein und derselben Rente Berücksichtigung finden, nämlich die „normalen“ („fremden“) Entgeltpunkte des versicherten Verstorbenen aus dessen Versicherungsverlauf (etwa aufgrund von „normalen“ Beitragszeiten) und die „eigenen“ der Witwe aus deren Kindererziehung (siehe dazu schon oben). Ob es jedoch tatsächlich eigene Kindererziehungszeiten der Witwe sind, mit anderen Worten: ob ihr diese zuzuordnen sind, kann im Einzelfall schwierig zu beurteilen sein. Für solche Fälle sieht das Gesetz das Instrumentarium des § 56 Abs. 2 SGB VI vor, wo – recht detailliert – geregelt ist, welchem Elternteil eine Kindererziehungszeit zuzuordnen ist. In dem Verweis auf dieses Regelwerk ist der eigentliche Hauptzweck des § 78a Abs. 1 S. 2 SGB VI zu sehen. Die dortige Betonung, dass die Zeiten für die Berechnung des Zuschlags entscheidend sind, die „der Witwe oder dem Witwer zugeordnet“ sind, nimmt erkennbar auf das Regelungsgefüge und den Wortlaut (nur) des § 56 Abs. 2 SGB VI („Eine Erziehungszeit ist dem Elternteil zuzuordnen, der…“) Bezug. Wenn auch schon die ursprüngliche Fassung des § 78a Abs. 1 S. 2 SGB VI den gesamten § 56 SGB VI, also insbesondere auch dessen „Anrechnungs-Ausschlussnorm“ in Abs. 4 in Bezug hätte nehmen sollen, hätte es bereits sprachlich nähergelegen, nicht von „zugeordneten“, sondern von „angerechneten“ Zeiten zu sprechen.
(4) Schließlich streiten die Gesetzeshistorie und der Gesetzeszweck für diese Auslegung.
Durch das Vierte Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2011 wurde in § 78a SGB VI mit Wirkung zum 1. Januar 2012 Absatz 1a eingefügt, der bisherige Satz 4 des Absatzes 2 aufgehoben und Absatz 3 angefügt, so dass die Norm in der vom 1. Januar 2012 bis zum 30. Juni 2020 geltenden Fassung lautete:
§ 78a Zuschlag bei Witwenrenten und Witwerrenten
(1) Der Zuschlag an persönlichen Entgeltpunkten bei Witwenrenten und Witwerrenten richtet sich nach der Dauer der Erziehung von Kindern bis zur Vollendung ihres dritten Lebensjahres. Die Dauer ergibt sich aus der Summe der Anzahl an Kalendermonaten mit Berücksichtigungszeiten wegen Kindererziehung, die der Witwe oder dem Witwer zugeordnet worden sind, beginnend nach Ablauf des Monats der Geburt, bei Geburten am Ersten eines Monats jedoch vom Monat der Geburt an. Für die ersten 36 Kalendermonate sind jeweils 0,1010 Entgeltpunkte, für jeden weiteren Kalendermonat 0,0505 Entgeltpunkte zugrunde zu legen. Witwenrenten und Witwerrenten werden nicht um einen Zuschlag erhöht, solange der Rentenartfaktor mindestens 1,0 beträgt.
(1a) Absatz 1 gilt entsprechend, soweit Berücksichtigungszeiten nur deshalb nicht angerechnet werden, weil
1.die Voraussetzungen des § 56 Absatz 4 vorliegen,
2.die Voraussetzung nach § 57 Satz 2 nicht erfüllt wird oder
3.sie auf Grund einer Beitragserstattung nach § 210 untergegangen sind.
(2) 1Sterben Versicherte vor der Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes, wird mindestens der Zeitraum zugrunde gelegt, der zum Zeitpunkt des Todes an der Vollendung des dritten Lebensjahres des Kindes fehlt. 2Sterben Versicherte vor der Geburt des Kindes, werden 36 Kalendermonate zugrunde gelegt, wenn das Kind innerhalb von 300 Tagen nach dem Tod geboren wird. 3Wird das Kind nach Ablauf dieser Frist geboren, erfolgt der Zuschlag mit Beginn des Monats, der auf den letzten Monat der zu berücksichtigenden Kindererziehung folgt.
(3) Absatz 1 gilt nicht, wenn eine Leistung, die dem Zuschlag gleichwertig ist, nach beamtenrechtlichen Vorschriften oder Grundsätzen oder nach entsprechenden kirchenrechtlichen Regelungen erbracht wird.
Den drei Ziffern des zum 1. Januar 2012 eingeführten § 78a Abs. 1a SGB VI (siehe oben) ist gemein, dass sie Fälle betreffen, in denen zwar Kinder erzogen wurden, gleichwohl aber (etwa aufgrund der von der Beklagten vertretenen Lesart der bis dahin geltenden Normfassung in Verbindung mit § 56 Abs. 4 SGB VI) keine Berücksichtigungszeiten angerechnet wurden. Diese Auslegung hat die Gesetzgebung selbst als Mangel wahrgenommen und deshalb den Absatz 1a mit Wirkung vom 1. Januar 2012 in § 78a SGB VI eingefügt (so auch Blüggel in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VI, 3. Aufl., § 78a SGB VI, Stand: 1. April 2021, Rn. 18). In der Gesetzesbegründung des Vierten Gesetzes zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom 22. Dezember 2011 mit Wirkung zum 1. Januar 2012 (BT-Drs. 17/6764, S. 21) heißt es entsprechend:
„Insbesondere aus Gründen der Verwaltungspraktikabilität wird im Hinblick auf die Gewährung des Zuschlags bisher auf die Anrechenbarkeit von Berücksichtigungszeiten abgestellt. Da das Regelungsziel von § 78a jedoch darin besteht, die Absenkung des Versorgungssatzes der Witwen- beziehungsweise Witwerrente von 60 auf 55 Prozent zu kompensieren, wenn Kinder erzogen wurden, verfehlt die Vorschrift in den Fällen ihr Ziel, in denen zwar Kinder erzogen wurden, aus anderen Gründen aber gleichwohl keine Berücksichtigungszeiten anzurechnen sind – und damit derzeit auch kein Zuschlag gewährt wird. Mit der Einfügung des neuen Absatzes 1a wird diesem Mangel abgeholfen.“
Zudem hieß es in der Gesetzesbegründung (a.a.O.) – einleitend zu den für § 78a SGB VI beabsichtigten Änderungen:
„Mit den Ergänzungen in § 78a soll das Regelungsziel dieser Vorschrift zielgenauer als bisher zum Ausdruck gebracht werden.“
Schon dieser Satz zeigt, dass der Gesetzgeber selbst von keiner – konstitutiv wirkenden – materiellen Änderung der Rechtslage ausging, sondern diese Änderung lediglich klarstellender Natur sein sollte. Das Regelungsziel sollte nicht geändert, sondern nur zielgenauer zum Ausdruck gebracht werden.
e) Die übrigen Voraussetzungen des Zuschlags nach § 78a SGB VI lagen unstreitig vor; entgegenstehende Anhaltspunkte wurden weder vorgetragen noch waren sie sonst ersichtlich.
4) Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 SGG.
5) Die Revision war gem. § 160 Abs. 2 Nr. 1 SGG zuzulassen, da die Frage der Auslegung von § 78a SGB VI in seiner ursprünglichen, bis Ende 2011 geltenden Fassung grundsätzliche Bedeutung hat und bislang nicht höchstrichterlich geklärt ist. Aufgrund möglicher Zugunstenverfahren auch für Altfälle hat die vom Senat entschiedene Rechtsfrage trotz des zeitlichen Abstands zur Neuregelung des § 78a SGB VI im Jahr 2012 eine erhebliche verbleibende Breitenwirkung für die Witwen- und Witwerversorgung.